Das Johanna Martzy - Phänomen


  • Johanna Martzy wurde 1924 in Temesvar/Ungarn geboren und starb 1979 in der Schweiz an einem Krebsleiden, sie wurde demnach nur 55 Jahre alt. Sie wurde mit 8 Jahren Schülerin von Jenö Hubay, der ihr voraussagte, sie würde zu denn ersten zehn Geigern der Welt gehören. Als 16-jährige erspielte sie sich den Remenyi-Preis, zwei Jahre später gewann sie den Hubay-Wettbewerb und 1947 erhielt sie die Auszeichnung beim Councours International d'execution Musicale in Genf. Daran schloss sich eine schnelle aber auch kurzlebige Karriere in Europa und Amerika an, ihr wurde von einem Kritiker der Titel "fesselnde Königin des Violinspiels" verliehen. In den 60ern wurde es schon ruhiger um sie, sie konzertierte noch bis 1969, erkrankte dann aber an einer Hepatitis und verstarb 10 Jahre später. Ihr Name ist heute vermutlich nur noch den Geigenenthusiasten bekannt, wie viele ihrer Generation haben 2. Weltkrieg und kalter Krieg ihre Karriere erheblich behindert.
    Aber - und deshalb der Titel - sie gilt unter Schallplattensammler quasi als "Heilige" und ihre nicht zahlreichen Schallplatten erzielen als Originale Spitzenpreise in der E-Bucht und anderswo. Da ist zum einen die phänomenale Einspielung des Dvorakkonzertes unter Ferenc Fricsay, eine DGG von 1953. Bis vor kurzem musste man da locker € 100 für hinlegen, seit es sie als Reissue von Speakers Corner auf dem Markt ist, kriegt man sie für € 28. Da ist das Brahmskonzert unter Kletzki, das habe ich vor 2 Jahren als "Schnäppchen "in Canada für nur $35 ergattern können und da sind last not least die drei Scheiben mit den Bachsonaten und -partiten, für die man mindestens einen schlappen Tausender braucht. Die Krönung des Ganzen ist, dass es inzwischen eine Plattenfirma gibt (Coup d'archet http://www.coupdarchet.com/Home ), die offensichtlich nur existiert, um neben ein paar wenigen anderen Exoten das Erbe von Johanna Martzy zu bewahren. Diese Firma bietet alle Studio- und viele Rundfunkaufnahmen in 2 Vinylboxen an, die je für den Sonderpreis :D von € 350 zu haben sind. Außerdem wird eine große Biographie vorbereitet. Also soviel Ehre wird m.E. keinem anderen Geiger/in zuteil und ich frage mich schon, wie so etwas entsteht. Vergleichen wir z.B. die Nachwirkung von Bronislaw Gimpel (s. Nachbar-Thread), dessen Platten auch nicht gerade überall herumstehen, schon gar nicht in Mint-Qualität, so ist da doch eine - wie ich finde - unerklärbare Diskrepanz in der Nachwirkung.

  • Für alle, die keine Plattenspieler mehr haben, bietet sich natürlich dieser japanische CD-Import an:



    6 CDs für € 491, gebraucht sogar schon für € 538, beim Marktplatz am Fluss. :jubel:


    Spaß beiseite, die hörenswerten Aufnahmen von Johanna Martzy gibt es inzwischen alle bei Testament.

  • Die Preise sind eine Spinnerei unter Vinylsammlern und das wird dann zum Selbstläufer.
    Die Bachschen Sonaten/Partiten sind nicht teuer von der EMI France zu kriegen, etliches andere auf Testament zu zivilen Preisen veröffentlicht worden.
    Ich besitze nur den Bach und den Dvorak, die sind gut, aber nicht so ungewöhnlich überragend, dass der Hype gerechtfertigt wäre.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Die Preise sind in der Vergangenheit vor allem durch asiatische Käufer hochgetrieben worden. Das ließ sich zumindest beobachten, als die Käuferprofile bei ebay noch ganz gut einsehbar waren. Re-Issues der Platten hat es immer mal wieder gegeben. Am prominentesten bislang war das von Lexington (kostet auch ein Vermögen), die auch die Transfers zu CD geamcht haben. Aktuell scheint Coup d'Archet ein Re-Issue der EMI-Aufnahmen für 300 Pfund anzubieten, was fast ein Schnäppchen ist. Das Label bietet als Box auch die Radio-Aufnahmen der Martzy an, die der gute Armstrong im Laufer der Jahre verfügbar gemacht hat. Die gibt's allerdings auch als CD für 80 Pfund, was jetzt nicht wirklich teuer ist.


    Die hohen Preise werden übrigens immer für die Original Platten aufgerufen, bei den EMI-Aufnahmen also immer die Columbia-Platten (mit dem blaugoldenen Label). Deutlich günstiger sind die amerikanischen Angel-Pressungen (aber auch nicht gerade Schnäppchen), die DGG-Aufnahmen sind in Deutschland auch als Zweitveröffentlichung bei Heliodor erschienen, die Schubert-Aufnahmen bei der Deutschen Columbia (ohne die Fantasie allerdings). Auch diese Pressungen waren in der Vergangenheit erheblich günstiger zu kaufen als die Originale. Wem es um die Musik der Martzy ging, der konnte auf diesem Wege schon drankommen.


    Die ersten Aufnahem machte Johanna Martzy für die DGG (Dvorak ist wirklich eine Sternstunde, daneben solte man den Mozart nicht übersehen) und wechselte dann zur Legges EMI. Hier gibt es das Gerücht, dass Legge der jungen Geigerin intime Offerten gemachte haben soll, die sie empört zurückgewiesen hat. Immerhin sind dann doch einige Aufnahmen für die EMI entstanden. Im Umgang war die Dame nicht ganz einfach: das Mendelssohn-Konzert sollte mit dem jungen Sawallisch aufgenommen werden. Beim Abhören der Bänder müssen sich Martzy und Sawallisch derart gestritten habe, dass Johanna Martzy die Veröffentlichung der Aufnahme untersagte das Werk mit Paul Kletzki neu aufgnommen wurde. Mittlerweile ist aber auch die ursprüngliche Aufnahme mit Sawallisch verfügbar.


    Johanna Martzy war wohlhabend verheiratet. Über ihren Mann verfügte sie über fabelhafte Instrumente. Und siie hatte die Freiheit, sich nicht den Forderungen von Plattenproduzenten beugen zu müssen. Alle ihre Platten hat sie vor ihrem 30-sten Lebensjahr aufgenommen. Danach verstummt die Geigerin zumindest für die Platte (eine Privatpressung entstand noch Mitte der 1960er Jahre). Im Rundfunk war sie präsenter und es ist das Verdienst von Coup d'Archet, einige dieser Rundfunkaufnahmen zugänglich gemacht zu haben. Faszinierend ist ihre Einspielung des Brahms-Konzertes zusammen mit Günter Wand und dem Stuttgarter RSO, die leider nur mühselig über HMV-Japan zu kaufen ist.


    Ob der Hype gerechtfertigt ist? Schwer zu sagen. Einige Sammler kaufen Platten als Wertanlage, die Musik drauf ist ihnen egal. Offenbar war das Angebot immer geringer als die Nachfrage, selbst die Re-Issues kosteten ein Vermögen, und das hat die Preise über die Jahre stabil hoch gehalten. Mittlerweile - und da hat Johannes recht - ist das meiste von ihr auf CD verfügbar. Einigen Aufnahmen billige ich durchaus Referenzstaus zu (etwa Brahms/Wand oder Dvorak/Fricsay), musikalisch öde Aufnahmen habe ich von ihr noch nie gehört. Für den heutigen Markt dürften die Martzy-Aufnahmen dennoch nicht einfach zu vermarkten sein: nicht eine davon ist stereo. Persönlich mag ich ihre Schubert-Aufnahmen, vor allem das Rondo-brillant.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Die Preise sind eine Spinnerei unter Vinylsammlern und das wird dann zum Selbstläufer.


    Das ist doch Unsinn! Hier geht es um Sammlerstücke. Seltene Exemplare sind eben entsprechend teuer, egal ob es sich um seltene Vinylscheiben oder um seltene Briefmarken handelt.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • Das ist doch Unsinn! Hier geht es um Sammlerstücke. Seltene Exemplare sind eben entsprechend teuer, egal ob es sich um seltene Vinylscheiben oder um seltene Briefmarken handelt.


    :hello:

    So ganz schief liegt Johannes hier wirklich nicht., da die hohen Preise nur für bestimmte Ausgaben bezahlt werden. Da steht tatsächlich nicht die musikalische Qualität im Vordergrund. Beim Dvorak-Konzert etwa wurde die 10'' Version erheblich höher gehandelt als die 12'' LP. Frag' mich jetzt nicht warum. Bei den EMI-Aufnahmen stehen Columbia-Pressungen höher im Kurs als die zeitgleich erscheinenden Angel-Pressungen (von der gleichen Matritze).


    Es gibt ein ähnlich umkämpftes Sammelgebiet bei den Schallplatten: die Original DECCA SXL Platten wide band. Da hat man es auich mit Spinnern zu tun, die über genügend Geld verfügen und eine bestimmte Platte einfach haben wollen, ohne dass sie die Musik darauf interessiert.


    Es ist bei Johanna Martzy wirklich sinnvoll, sich über die einzelnen Aufnahmen auszutauschen, sich ggf. untereinander zu vernetzen und Aufnahmen auszutauschen. Die Preise bei ebay und Co sind wirklich ein Kapitel für sich.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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  • So ganz schief liegt Johannes hier wirklich nicht., da die hohen Preise nur für bestimmte Ausgaben bezahlt werden. Da steht tatsächlich nicht die musikalische Qualität im Vordergrund. ...


    Das sage ich doch!!!
    Es geht nicht primär um die Musik, sondern um den Sammlerwert. Es geht um Angebot und Nachfrage und es gibt genau die gleichen Muster wie z.B. bei Briefmarken oder alten Bucherstausgaben...


    :hello:

    Ciao


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  • Und wie genau widerspricht das jetzt dem, was ich oben gesagt habe? Mal abgesehen von der flapsigen Formulierung habe ich natürlich genau das gemeint: "Sammlerstück" = "Spinnerei unter Vinylsammlern".

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  • Und wie genau widerspricht das jetzt dem, was ich oben gesagt habe? Mal abgesehen von der flapsigen Formulierung habe ich natürlich genau das gemeint: "Sammlerstück" = "Spinnerei unter Vinylsammlern".


    Der Widerspruch - so vorhanden - läge in der Einschränkung auf "Vinylsammler". Das würde nicht stimmen, denn es ist ein allgemeines "Sammlerphänomen". Es wären dann alle Sammler, die für ausgefallene Objekte auch einmal tief in die Tasche greifen, "Spinner".


    ;)

    Ciao


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  • Für nächste Woche angekündigt, eine CD mit Rundfunkeinspielungen von Johanna Martzy beim SWR in Stuttgart, die Violinkonzerte von Mendelssohn und Brahms. Beide exitieren schon als Studioaufnahmen bei EMI, aber speziell der Brahms könnte interessant sein, da dirigiert von Günter Wand. M.W. gab es das Brahmskonzert noch nicht in seiner Diskografie.

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  • Die Aufnahme des Brahms' Konzertes mit Günter Wand war mir bekannt, die mit Müller-Kray und dem Mendelssohn-Konzertes nicht. Zwischenzeitlich hat man in Korea eine Edition herausgebracht, die alle Studio-Aufnahmen der Martzy in einer Box vereinigt:



    Eine feine Sache, allerdings gibt es mittlerweile mehr posthum veröffentlichte inoffizielle Martzy-Aufnahmen als offizielle. Man kann also getrost weitersammeln.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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  • Bisher wohl unveröffentlichte Aufnahmen des RIAS mit Johanna Martzy sind angekündigt. Das Dvorak Violinkonzert entstand um die gleiche Zeit, ist aber nicht identisch mit der legendäre DGG Studioaufnahme.


    Die in Beitrag 11 gezeigte CD-Box ist bereits wieder vergriffen und wird beim Werbepartner für € 800 offeriert. :D

  • Tja, bei Martzy-Veröffentlichungen muss man schnell zuschlagen. Bereits die in der Vergangangenheit veröffentlichten Reprints der alten Platten waren nach kurzer Zeit verkauft und erzielen auf dem zweiten Markt hohe Preise, ebenso die von Glenn Armstrong unter dem Label Coup d'Archet veröffentlichten Rundfunkaufnahmen. Das gilt sowohl für LP's als auch für die CD's. Die oben gezeigte Box wurde in Korea produziert. Wahrscheinlich war auch hier die Auflage nicht sehr hoch, so daß sie flugs verkauft war. Danke daher für den Hinweis auf die Audite-Veröffentlichung. Die werde ich umgehend ordern.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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  • Auch eine weitere CD mit Rundfunkaufnahmen von Johanna Martzy ist im Anmarsch.

    Vielen Dank für den Hinweis!


    Gruß
    Manfred

    "Menschen, die nichts im Leben empfunden haben, können nicht singen."
    Enrico Caruso


    "Non datemi consigli che so sbagliare da solo".
    ("Gebt mir keine Ratschläge, Fehler kann ich auch allein machen".)
    Giuseppe di Stefano

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  • Für die Martzy-Fans, zwei LPs für nur schlappe € 149,99:



    Wenn man sich mit der CD begnügt, gibt es das gleich für € 1,29.