Beethoven: drei Sonaten op. 31

  • Hallo!


    1801/02 komponierte Ludwig van Beethoven die drei Klaviersonaten, die als Opus 31 zusammengefaßt sind, nämlich
    Nr.1 in G-dur, Nr. 2 in d-moll, Nr. 3 in Es-dur.


    In diesem Beitrag möchte ich zunächst die erste Sonate in G-dur vorstellen. Die beiden anderen werden folgen.


    Die Klaviersonate G-dur op. 31 Nr. 1 war von Beethoven ursprünglich als Streichquartett geplant. Sie gehört zu den am seltensten gespielten Beethoven-Sonaten, was ich persönlich schade finde.
    Der erste Satz (allegro vivace) ist voller (haydnschem) Humor, es geht nicht um Empfindungstiefe, sondern humoristische Akzente, vergnügliche Melodien und Wendungen bestimmen den Satzverlauf.
    Das Thema des zweiten Satzes (adagio grazioso, C-dur) ist der Raphael-Arie "Rollend in schäumenden Wellen" aus Haydns "Schöpfung" angelehnt, und im Mittelteil in c-moll wird der Tonfall dieser Sonate das einzige mal wirklich "ernst".
    Das abschließende Rondo (allegretto-adagio-presto) ist größtenteils ein heiterer Kehraus, auch hier mag man sich an Haydn erinnern. Man möge es mir verzeihen, aber mich erinnert das Thema stets an "Fröhliche Weihnacht überall, klinget durch die Lüfte froher Schall...". Vor der Presto-Coda gibt es noch zwei Adagio-Passagen, die aber eher "Neckerei" als Tiefsinn oder Pathos darstellen.


    Vielleicht wird diese Sonate so selten gespielt, weil sie irgendwie nicht "typisch Beethoven" ist (was immer das auch sein soll). Dabei ist es doch schön, den Meister mal von seiner humorigen Seite zu erleben!


    Meine beiden Aufnahmen (F. Gulda und A. Schnabel) habe ich vergleichend gehört:
    Satzlängen:
    FG: 5'58 - 7'55 - 5'49
    AS: 5'51 - 12'31 - 5'37
    Während die beiden sich in den Ecksätzen nicht viel geben oder nehmen, ist der Unterschied in der Auffassung des zweiten satzes eklatant:
    Gulda spielt ein allegretto statt adagio (wenn das mal reicht), die Sonate hat dadurch drei schnelle Sätze. Schnabel kostet das Adagio-Tempo dagegen richtig aus, dadurch wirkt der zweite Satz gewichtiger, erhabener.
    Wenn auch Schnabel sich ans Tempo hält, so bewirkt doch Guldas Interpretation, daß er den Hörer in der vergleichsweise heitereren Stimmung beläßt, was möglicherweise ja Beethovens Absicht war.


    Wie auch immer, ich bin froh, diese beiden Gesamteinspielungen zu besitzen:


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat

    Original von Pius
    1801/02 komponierte Ludwig van Beethoven die drei Klaviersonaten, die als Opus 31 zusammengefaßt sind, nämlich
    Nr.1 in G-dur, Nr. 2 in d-moll, Nr. 3 in Es-dur.


    Die Klaviersonate G-dur op. 31 Nr. 1 war von Beethoven ursprünglich als Streichquartett geplant.


    Woher stammt diese Information? Das habe ich noch nie gehört? Es kann sich auch höchstens um einzelne Motive handeln, denn die Sonate selbst ist sehr pianistisch, der Witz des Kopfsatzes mit der rechten und linken Hand gegeneinander verschoben, die Figurationen des adagio, die Triolenbegleitung im Rondo usw.


    Zitat


    Das Thema des zweiten Satzes (adagio grazioso, C-dur) ist der Raphael-Arie "Rollend in schäumenden Wellen" aus Haydns "Schöpfung" angelehnt, und im Mittelteil in c-moll wird der Tonfall dieser Sonate das einzige mal wirklich "ernst".


    Die Verbindung zu der Haydn-Arie halte ich auch für zweifelhaft; die beginnt in Moll und recht flott!



    Als ich die Sonate kennenlernte (Gilels) fand ich das adagio langweilig. Bei Gulda wirkt der Satz wie ein Parodie, das finde ich sehr witzig und es leuchtet mir ein, dass es so gemeint ist, aber man kann wohl auch die ernstere Deutung starkmachen. Vielleicht ist Guldas Tempo sogar historisch richtiger: Beethovens Schüler Czerny gibt Achtel = 116-126, Gulda spielt zwar noch etwas schneller (Achtel ca. 138 ), aber erstens schreibt Beethoven selbst für das affetuoso in op.18,1 ein solches Tempo vor, zweitens kann man so noch 3 langsame Schläge pro (9/8 )takt hören, nicht 9 schnelle. Bei ca. 80 für Achtel geht das Gefühl für die längeren Einheiten verloren.
    Sehr unterhaltlsam auch Goulds knochentrockene Aufnahme (8:50 fürs adagio)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Sagitt meint:


    op. 31 Nr. 2, die sicher bekannteste unter den dreien und jede Menge hörenswerte Aufnahmen. Ob nun Richter oder Gilels,Rubinstein oder Arrau. Ich habe sich vor Jahrzehnten mit Hans Richter Haaser kennengelernt, in den fünfziger Jahre als Erbe von Backhaus und Kempff tituliert, aber dieser Pianist hat in Deutschland nie richtig Fuß fassen können. Er war ein fulminanter Beethovenspieler.
    Alle dreie gibt es auch von Gould. Ein wenig trocken, aber der zweite Satz von op. 31 nr. 3 ist hinreißend pointiert. Ich finde im Prinzip des Beethoven von Gould nach wie vor spannend. Er macht bei den op. 31-Sonaten eigentlich keine Mätzchen, viel zu schnell oder zu langsam. Am Ende haben ihm die Sonaten noch gefallen ?

  • Ich glaube, eine ganze Anzahl von Beethovensonaten hat Gould gefallen, explizit ablehnend hat er sich außer über die appassionata nur über wenige geäußert. Außerdem zählen gerade bei Künstlern und solcher Polemik Taten mehr als Worte (auch so lange er noch konzertierte, spielte er Bach und Beehtovn am häufigsten). Ich kenne nicht alle seiner Beethoveneinspielungen, aber von denen, die ich kenne, halte ich viele für hochinteressant und absolut hörenswert, außer op.31, z.B.:


    op.10 (atemberaubende tempi in einigen Sätzen, aber auch sehr schön im largo von #3)
    op.13 (ebenfalls sauschnell)
    Die CD mit den Variationen op. 34, 35 und c-moll ist eine meiner "Insel-CDs" und das 1. Klavierkonzert vielleicht meine Lieblingsaufnahme des Werks (der Rest der Konzerte auch sehr hörenswert)


    viele Grüße


    JR

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  • Hallo, Johannes!


    Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Woher stammt diese Information?


    Paul Bekker: Beethoven


    Zitat

    Die Verbindung zu der Haydn-Arie halte ich auch für zweifelhaft; die beginnt in Moll und recht flott!


    Zu Beginn des zweiten Satzes gibt es das Adagio-Thema, begleitet von Sechzehntel(?)-Läufen, auf diese beziehe ich mich. Höre Dir dann noch mal die Haydn-Arie an und denke Dir den Gesang als Klaviertranskription.


    Viele Grüße,
    Pius.

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  • Hallo!


    Nun zur Sonate d-moll op.31 Nr.2:


    Das Werk ist dreisätzig: 1.Satz: largo-allegro; 2.Satz: adagio (B-dur); 3.Satz: allegretto
    Im ersten Satz wechseln das Einleitungs-Thema (largo) und das Hauptthema (allegro) ab, der Satz wirkt dadurch sehr kontrastreich: drängendes Pathos und fast mystische Largo-Passagen. Was hat sich Beethoven dabei gedacht?
    Er empfahl den Hörern, Shakespeares Drama "Der Sturm" als Schlüssel zum Verständnis des Werkes zu lesen, erläutert hat er dies nicht. Ich habe nie eine Geistesverwandtschaft zwischen dieser Beethoven-Sonate und dem Shakespeare-Werk empfunden. Die Sonate trägt durch diese Äußerung Beethovens allerdings den irreführenden Namen "Sturmsonate".
    Das Adagio hat mir nie viel bedeutet, der dritte Satz mit seinen gehetzten Sechzehntel-Läufen ist dagegen wirklich mitreißend. Angeblich hat Beethoven beim Komponieren an ein galoppierendes Pferd gedacht.


    Ich habe mir vier Interpretationen angehört, aus der ich eine IMO "beste" ermitteln wollte: von Daniel Barenboim, Friedrich Gulda, Stephen Kovacevich und Artur Schnabel.


    Die Zeiten:
    DB: 8'46 - 8'41 - 6'57
    FG: 7'09 - 7'55 - 5'52
    SK: 8'29 - 8'44 - 6'27
    AS: 8'49 - 8'18 - 5'43


    Zu meiner Überraschung schied für mich Gulda bereits beim Vergleichshören des ersten Satzes aus: Er eilt über die "Largo-Mysterien" hinweg, als seien sie nur als Bremsklötze gedacht, eine gefühlvolle Ausdeutung liegt ihm fern. Barenboims Interpretation der ganzen Sonate ist sicher die lyrischste, unterscheidet sich da im Ansatz sehr von den anderen dreien. Schnabels Interpretation des ersten Satzes schwankt zwischen Extremen: die langsamen Passagen besonders innig und langsam, dafür im allegro-Teil um so schneller. Kovacevich überinterpretiert die "Mysterien-Stellen" nicht, geht aber auch nicht achtlos an ihnen vorbei.
    Anhand des nicht so geliebten zweiten Satzes wollte ich keinen ausscheiden lassen.
    Der dritte Satz ist bei Schnabel IMO irgendwie "kalt", hämmernd und schroffe Sechzehntel-Läufe, sehr schnell (kein allegretto). Barenboim ist mir im Finale zu "lyrisch", Kovacevich gefiel mir am besten.
    Also: Für mich ist Kovacevichs Interpretation die beste. Vielleicht hat dabei aber auch die Tatsache reingespielt, daß ich durch diese Aufnahme die Sonate kennenlernte.


    Viele Grüße,
    Pius.



  • Ich kanns nicht nachvollziehen, von ein paar "rollenden" Allerweltsfiguren abgesehen und natürlich der Tatsache, dass der Satz arienhaften Charakter hat; schade, das Bekker (ich habe das inzwischen ausgegraben) keine nähere Begründung oder gar Belege zu liefern scheint, wobei ich das mit dem Quartett in der Tat noch unplausibler finde.
    Ha, ich habe jetzt einen Hinweis gefunden: Vom Beginn des letzten Satzes gibt es wohl eine Skizze auf 4 Systemen (nach S. Mauser: Beethovens Klaviersonaten, München: Beck 2001)



    diese Reihe scheint ziemlich gut zu sein, wenn dieser Band und der zu Haydns Quartetten repräsentativ sind, knapp, aber aktuell und teils sogar ziemlich anspruchsvoll. In der Tat ist ja das Finale on op. 14,1, die Beethoven später als Quartett arrangierte, von ähnlichem Charakter.
    Hast Du den Bekker komplett gelesen? Ich hatte ihn vor einiger Zeit antiquarisch gekauft, aber jetzt zum ersten Mal reingeschaut...


    viele Grüße


    JR

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  • Zitat

    Original von Pius
    Nun zur Sonate d-moll op.31 Nr.2:


    Das Werk ist dreisätzig: 1.Satz: largo-allegro; 2.Satz: adagio (B-dur); 3.Satz: allegretto
    Im ersten Satz wechseln das Einleitungs-Thema (largo) und das Hauptthema (allegro) ab, der Satz wirkt dadurch sehr kontrastreich: drängendes Pathos und fast mystische Largo-Passagen. Was hat sich Beethoven dabei gedacht?
    Er empfahl den Hörern, Shakespeares Drama "Der Sturm" als Schlüssel zum Verständnis des Werkes zu lesen, erläutert hat er dies nicht. Ich habe nie eine Geistesverwandtschaft zwischen dieser Beethoven-Sonate und dem Shakespeare-Werk empfunden.


    Bei diesen Bemerkungen wird immer mal wieder vermutet, Beethoven habe Schindler, der ihn nervte, nur abspeisen wollen. Angeblich hat er das mit dem Sturm auch über die Appassionata gesagt. Zumal ist der Sturm bei Shakespeare ja nur ein Mittel zum Zweck, während beide Ecksätze bei Beethoven stürmisch sind und man wohl kaum anderer Parallelen zu Shakespeare finden wird (es gibt jedoch wohl tatsächlich eine Interpretation, die das sehr eng versucht).


    Allerdings der erste Satz ist in der Tat ein seltsames Stück, so dass wirklich naheliegt, dass eine konkrete poetisch-dramatische Szene umgesetzt werden sollte. Die wiederkehrendenn largo Arpeggien und besonders die beiden sprechenden rezitativischen Stellen könnten so etwas wie eine Beschwörung nahelegen, oder eine Bitte, die dann aber offenbar mit dem Einsetzen der Reprise abgeschlagen wird.



    es ist eben ein schnelles allegretto :D
    Im Ernst, ich bin hier auch unschlüssig; von denen, die ich gehört habe, nehmen Gulda, Gould, Kocsis praktisch dasselbe Tempo wie Schnabel im Finale. Gulda ist im Kopfsatz deutlich schneller, hauptsächlich allerdings weil er die largo-Stellen und Fermaten nicht so auskostet, Kocsis hat hier vielleicht die extremsten Kontraste.
    Gilels ist wesentlich gemäßigter (9:20; 9:23. 7:25), auch im Ausdruck dennoch auf seine Art größtenteils überzeugend. Wenn das Finale ein ewiges Wogen des Meeres, Brausen des Windes oder Für Elise auf dem Horrortrip :D sein sollte, würde ein schnelles tempo auch Sinn ergeben. Allerdings macht Schnabel in der Tat eine seltsame Akzentuierung, die zu einem Wogen gar nicht paßt.
    Das adagio solltest Du wirklich nochmal hören, IMO ein ganz wunderbarer Satz, vielleicht auch mit einem poetischen Programm: der zögerliche Anfang, später dann die wiederkehrende grummelnde Bassfigur


    Ich nehme an, Kovacevichs ist eine ältere Aufnahme (Philips?), nicht die aus der neuen EMI-Reihe?


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo, Johannes!


    Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Ich kanns nicht nachvollziehen, von ein paar "rollenden" Allerweltsfiguren abgesehen und natürlich der Tatsache, dass der Satz arienhaften Charakter hat; schade, das Bekker (ich habe das inzwischen ausgegraben) keine nähere Begründung oder gar Belege zu liefern scheint


    Wenn das mal nicht die verschachteltste Zitatantwort des Forums ist! :D


    Du bist Schuld, daß ich mir dauernd diese Schöpfung-Arie angehört habe! Na ja, eigentlich ist Bekker Schuld. Ich hatte das nicht leichtgläubig in meinen Beitrag übernommen, sondern nachdem ich es gelesen hatte, einmal kurz in die Arie reingehört und gewisse Ähnlichkeiten gehört.
    Allerdings bin ich insgesamt genau so weit wie Du. Wirklich klar ist der Bezug nicht. Hat denn niemand sowohl die "Schöpfung"-Partitur als auch die Noten zu op. 31 Nr.1 und kann helfen?
    Jedenfalls muß ich von nun an immer, wenn ich die Raphael-Arie höre, an op. 31 Nr. 1 von Beethoven denken - und umgekehrt. Vielleicht ist DAS ja die Gemeinsamkeit? :D


    Zitat


    Hast Du den Bekker komplett gelesen? Ich hatte ihn vor einiger Zeit antiquarisch gekauft, aber jetzt zum ersten Mal reingeschaut...


    Ich hatte es auch vor einigen Jahren antiquarisch gekauft. Nein, alles gelesen habe ich nicht, aber vieles.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Hallo, Johannes!


    Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Bei diesen Bemerkungen wird immer mal wieder vermutet, Beethoven habe Schindler, der ihn nervte, nur abspeisen wollen. Angeblich hat er das mit dem Sturm auch über die Appassionata gesagt.


    Quelle? (für BEIDE Aussagen!)


    Zitat


    Zumal ist der Sturm bei Shakespeare ja nur ein Mittel zum Zweck, während beide Ecksätze bei Beethoven stürmisch sind und man wohl kaum anderer Parallelen zu Shakespeare finden wird (es gibt jedoch wohl tatsächlich eine Interpretation, die das sehr eng versucht).


    Wirklich? Gibt es Leute, die gewisse Passagen als Calibans Flüche oder Prosperos Zauberei o.ä. interpretiert haben? Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt!


    Zitat


    Allerdings der erste Satz ist in der Tat ein seltsames Stück, so dass wirklich naheliegt, dass eine konkrete poetisch-dramatische Szene umgesetzt werden sollte. Die wiederkehrendenn largo Arpeggien und besonders die beiden sprechenden rezitativischen Stellen könnten so etwas wie eine Beschwörung nahelegen, oder eine Bitte, die dann aber offenbar mit dem Einsetzen der Reprise abgeschlagen wird.


    Ja, auch ich habe an den beiden langen, geheimnisvollen Largo-Stellen immer das Gefühl, das Beethoven hier eine besondere "poetische Idee" vertont hat - oder auch ein subjektives Gefühl. Es kann ja tatsächlich mit seiner Shakespeare-Lektüre zu tun haben, warum denn nicht.


    Zitat


    es ist eben ein schnelles allegretto :D
    Wenn das Finale ein ewiges Wogen des Meeres, Brausen des Windes oder Für Elise auf dem Horrortrip :D sein sollte, würde ein schnelles tempo auch Sinn ergeben. Allerdings macht Schnabel in der Tat eine seltsame Akzentuierung, die zu einem Wogen gar nicht paßt.


    Mir kommt da der Gedanke: Vielleicht weiß der ein oder andere nicht, daß sich "Sturmsonate" auf Shakespeare bezieht und spielt einfach "stürmisch".


    Zitat


    Das adagio solltest Du wirklich nochmal hören, IMO ein ganz wunderbarer Satz, vielleicht auch mit einem poetischen Programm: der zögerliche Anfang, später dann die wiederkehrende grummelnde Bassfigur


    Es ist nicht so, daß ich das Adagio vor dem Beitrag das erste mal gehört hätte. ich kenne die Sonate schon lange, und zwischen dem n-ten und (n+1)-ten Hören eines Stückes ändert sich bei großen n erfahrungsgemäß meist wenig am Eindruck.
    Wenn ich so etwas schreibe, dann ist das stets mein ganz persönlicher Eindruck zum Werk, den ich weitergebe, beileibe keine Kritik an Beethoven.
    Die Liste der Beethoven-Klaviersonaten, bei denen mich alle Sätze begeistern, ist recht kurz.


    Zitat


    Ich nehme an, Kovacevichs ist eine ältere Aufnahme (Philips?), nicht die aus der neuen EMI-Reihe?


    Das Cover ist im Beitrag abgebildet. Die Aufnahme ist von 1971, von Philips.


    Mir ist derzeit nicht nach Beethoven-Klaviersonaten. Wenn Du magst, kannst Du op. 31 Nr. 3 vorstellen. Bei mir dauerts ne Weile.


    Viele Grüße,
    Pius.

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  • Zitat

    Original von Pius


    Quelle? (für BEIDE Aussagen!)


    Walter Riezler: Beethoven (Zürich 1951, S. 95):
    <<Die bekannte Antwort auf Schindlers Frage nach dem Sinn der Sonaten op.31,2 und 57: "Lesen Sie Shakespeares Sturm!", soll man freilich nicht zum Beweise dafür [dass die Sonaten ein "Programm" haben, eine "Anregung" durch eine Dichtung möchte Riezler hingegen nicht ausschließen] anführen. Wer die Dichtung kennt, weiß, daß deren Titel mit dem Inhalt nur sehr wenig zu tun hat, und daß dieser Inhalt zu dem wahrhaft "stürmischen"Charakter der beiden Sonaten nicht im mindesten paßt. [...] Ohne Zweifel wollte hier Beethoven, wie auch sonst oft, einen lästigen, unverständigen Frager mit einer nicht ernst gemeinten Antwort abspeisen. Hat er dem gleichen Frager doch auch einmal gesagt, er habe zu der Sonate op.111 keinen dritten Satz komponiert, weil er keine Zeit dazu hatte"! >>


    Schindler ist wohl unter den Historikern inzwischen in vielen Fällen als unzuverlässig erwiesen worden; er war offenbar ein ziemlicher Wichtigtuer, der aus seiner Nähe zu Beethoven Ruhm oder Kapital schlagen wollte. Ich meine auch, ähnliches noch anderswo gelesen zu haben.


    Allerdings ist Riezler insofern Partei, als dass die Idee der "absoluten Musik" ein ganz wesentlicher Aspekt seiner Ausführungen ist. In diesem Abschnitt, aus dem das Zitat stammt, versucht er zu zeigen, inwiefern die Pastorale und Les Adieux aus dem Oeuvre herausstechen und im Umkehrschluss (der logisch natürlich wackelig ist), dass andere Werke nicht programmatisch sind.
    Da das eines der ersten Beethovenbücher war, die ich in zartem Alter gelesen habe, hat mich die Grundidee der absoluten Musik lange sehr überzeugt, inzwischen bin ich nicht mehr so sicher; die Grenzen scheinen fleißender zu sein. So platt programmatisch wie R. Strauss manchmal tut (er könne ein Glas Bier so darstellen, dass man höre, ob es Pilsner oder Kulmbacher (?) Bier sei), war vermutlich nichtmal Strauss selbst.


    Zitat

    Wirklich? Gibt es Leute, die gewisse Passagen als Calibans Flüche oder Prosperos Zauberei o.ä. interpretiert haben? Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt!


    Arnold Schering hat in den 20er Jahren wohl fast alle größeren Werke Beethovens literarischen Werken o.ä. zugeordnet; ich habe das aber nie im Original gelesen, nur anderswo zitiert oder diskutiert (IIRC Eroica - Ilias). Dabei wohl auch dieses Sonate eben dem Sturm....Ich habe noch was gefunden (aus dem Beiheft der späten Quartette, Melos Quartett, Text von C. Floros) Schering nimmt folgende Zuordnungen vor: op.127 - Lustige Weiber von Windsor, op.130- Sommernachtstraum, op.131 - Hamlet, op.133 - Walpurgisnacht aus Faust I
    :rolleyes: ?( :D


    Zitat


    Mir ist derzeit nicht nach Beethoven-Klaviersonaten. Wenn Du magst, kannst Du op. 31 Nr. 3 vorstellen. Bei mir dauerts ne Weile.


    Ich kann es machen, aber bei mir dauert es auch 'ne Weile, da ich ja ständig ungeplante Dinge (wie op.31,2) hören muß :D


    viele Grüße


    JR

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  • (ich habe die grandiose Zitat-Rekursion jetzt mal mal grob abgebrochen...)


    Zitat

    Original von Pius
    Wenn das mal nicht die verschachteltste Zitatantwort des Forums ist! :D


    Du bist Schuld, daß ich mir dauernd diese Schöpfung-Arie angehört habe! Na ja, eigentlich ist Bekker Schuld. Ich hatte das nicht leichtgläubig in meinen Beitrag übernommen, sondern nachdem ich es gelesen hatte, einmal kurz in die Arie reingehört und gewisse Ähnlichkeiten gehört.
    Allerdings bin ich insgesamt genau so weit wie Du. Wirklich klar ist der Bezug nicht. Hat denn niemand sowohl die "Schöpfung"-Partitur als auch die Noten zu op. 31 Nr.1 und kann helfen?
    Jedenfalls muß ich von nun an immer, wenn ich die Raphael-Arie höre, an op. 31 Nr. 1 von Beethoven denken - und umgekehrt. Vielleicht ist DAS ja die Gemeinsamkeit? :D


    Ich habe die Schöpfungspartitur nicht. In keinem Falle glaube ich, dass es ein absichtliicher Bezug ist, schon gar keiner, der irgendeine Bedeutung hat. Man darf nicht vergessen, das Haydn und Beethoven so etwas wie eine gemeinsame musikalische Muttersprache teilen, gemeinsame Wendungen und Motive müssen keine bewußten Zitate sein (die wenigen bewußten Anspielungen, dürfte man vergleichsweise leicht und eindeutig erkennen)
    Hör Dir mal Beethovens Violinsonate op.96, Trio des Scherzos, Bruckners 4. Sinfonie, Trio an. Dieselbe Ländlermelodie taucht bei Mahler nochmal auf (vergessen wo), wobie es vermutlich kiene direkten absichtlichen Zitat sind. So ähnlich findet man (jednefalls rhythmisch) das ta-ta-ta-taaa-Motiv aus Beethovens 5. in dutzenden oder hunderten von Werken.


    Zitat

    Ich hatte es auch vor einigen Jahren antiquarisch gekauft. Nein, alles gelesen habe ich nicht, aber vieles.


    ich habe jetzt am WE ziemlich viel im Bekker zu den Werken gelesen. Sehr interessant, allerdings stellenweise auch ziemlich kühn. Einige Unterscheidungen erscheinen doch etwas seltsam (Musiker vs. Tondichter, in den ersten beiden Sinfonien ist Beethoven "nur" Musiker usw.). Bekker deutet z.B an, man sollte in der Eroica die Mittelsätze vertauschen, ist insgesamt teils so kritisch gegenüber den Werken, dass man sich fragt, an welchem Maßstab er mißt. Erstaunlich (für diese Zeit) die Verteidigung der 4. und 8. Sinfonie, wogegen die Pastorale eher schlecht wegkommt. Ich halte die Gesamtsystematik, die er in den Sinfonien 3-8 findet für ziemlich fragwürdig. Wie auch immer, ein bißchen langatmig, aber allemal interessant.


    Wäre vielleicht mal einen eigenen thread in Musikliteratur wert...


    viele Grüße


    JR

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    (Bob Dylan)

  • Hallo, Johannes!


    Zitat


    Arnold Schering hat in den 20er Jahren wohl fast alle größeren Werke Beethovens literarischen Werken o.ä. zugeordnet; ich habe das aber nie im Original gelesen, nur anderswo zitiert oder diskutiert (IIRC Eroica - Ilias). Dabei wohl auch dieses Sonate eben dem Sturm....Ich habe noch was gefunden (aus dem Beiheft der späten Quartette, Melos Quartett, Text von C. Floros) Schering nimmt folgende Zuordnungen vor: op.127 - Lustige Weiber von Windsor, op.130- Sommernachtstraum, op.131 - Hamlet, op.133 - Walpurgisnacht aus Faust I
    :rolleyes: ?( :D


    Ich lach mich scheckig! :D
    Das widerspricht allerdings der biblischen Interpretation von opp. 130-133, die im Bekker steht! :wacky:


    Zurück zu den Interpretationen: Findest Du denn "in Ordnung", was Gulda im ersten Satz von op.31 Nr.2 macht? Ich nämlich nicht. Über die intimen Largo-Stellen so hinwegzuhudeln, zerstört einen Teil der Wirkung des Satzes auf den Hörer.


    Interessanterweise hattest Du bei meiner Zuordnung des Finalthemas von op.31 Nr.1 zu "Fröhliche Weihnacht überall" nicht protestiert. Jetzt fragt sich nur noch, was zuerst entstanden ist.


    Ansonsten höre ich ziemlich oft irgendwelche "Ähnlichkeiten", die mit dem 2. Satz von Hob.I:93 und dem 5. Satz der "Pastorale" wurde mir hier auch ausgeredet. Ich stelle solche Thesen besser nicht mehr auf (bzw. übernehme sie von anderen).


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat

    Original von Pius


    Ich lach mich scheckig! :D
    Das widerspricht allerdings der biblischen Interpretation von opp. 130-133, die im Bekker steht! :wacky:


    Klar. Ich vermute, dass Riezler die "absolute" Musik so vehement verteidigt, weil er wenige Jahre nach Scherings Veröffentlichungen schreibt. Ich finde so etwas auch völlig bizarr. Aber für allgemeinere "poetische Ideen" haben wir sowohl Andeutungen von Beethoven (sogar Haydn) selbst als auch konkrete Stücke wie die Pastorale oder Les Adieux. Die Grenzen sind fließend und ein Stück wie diese Sonate (oder auch z.B. Rezitativ, arioso "Klagender Gesang" und Fuge in op. 110) sind gewiß schwierige Fälle.


    Zitat


    Zurück zu den Interpretationen: Findest Du denn "in Ordnung", was Gulda im ersten Satz von op.31 Nr.2 macht? Ich nämlich nicht. Über die intimen Largo-Stellen so hinwegzuhudeln, zerstört einen Teil der Wirkung des Satzes auf den Hörer.


    Ich finde es nicht gehudelt. In der Tat finde ich die Arpeggien bei vielen anderen an der Grenze zur Zerdehnung (bei den Rezitativstellen weiter in der Mitte reißen sie sich dann doch zusammen). Sicher sind die Kontraste bei Gulda nicht so deutlich wie in anderen Interpretationen, aber sie sind klar erkennbar. Die Argumentation mit alten Instrumenten ist zwar fragwürdig und Gulda benutzt ja auch keines, aber auf einem Hammerklavier von 1802 würde kein Mensch diese Stellen so breit spielen wie es meist getan wird, weil der Ton nicht lange genug trägt. Stellt man sich das Rezitativ gesungen vor kommt man m.E. auch zu keinem extrem langsamen tempo. Aber ich kann verstehen, dass es jemandem nicht gefällt. In Les Adieux kommt am Ende des Finales das Hauptthema als "poco andante". Viele treten hier total auf die Bremse, aber poco andante heiß ja eigentlich nur "ein wenig gehend", hier finde ich Guldas flüssiges tempo überzeugender als ein Beinahe-Stop.


    Zitat


    Interessanterweise hattest Du bei meiner Zuordnung des Finalthemas von op.31 Nr.1 zu "Fröhliche Weihnacht überall" nicht protestiert. Jetzt fragt sich nur noch, was zuerst entstanden ist.


    Ansonsten höre ich ziemlich oft irgendwelche "Ähnlichkeiten", die mit dem 2. Satz von Hob.I:93 und dem 5. Satz der "Pastorale" wurde mir hier auch ausgeredet. Ich stelle solche Thesen besser nicht mehr auf (bzw. übernehme sie von anderen).


    Man kann hier sicher oft nach beiden Seiten herunterfallen. Es macht vielleicht auch Spaß solche Ähnlichkeiten zu finden. Aber ich halte die meisten für bedeutungslos. Zu der Haydn 93 -Pastorale-Verbindung hast Du glaube ich schon damals Widerspruch von anderer Seite erhalten. Gewiß besteht eine Ähnlichkeit, aber eben auch Unterschiede, besonders wenn man die gesamte Phrase betrachtet, nicht nur den Anfang. Der Hirtenmusikcharakter ist bei Beethoven viel deutlicher (den würde ich bei Haydn so gar nicht sehen, die Punktierung ist schärfter, daher fällt die "wiegende" Bewegung weg, man hat eher den Eindruck verschiedener "Anläufe").


    Ich glaube, konkrete Motive waren für Komponisten viel weniger wichtig als wir heute glauben, es war zum guten Teil wirklich nur Baumaterial; neulich bin ich bei meiner Lektüre darauf gestoßen, das Mozart 4 aufeinanderfolgende Klavierkonzerte mit sehr ähnlichen Motiven beginnen läßt (KV 451-459): Alle fangen mit einem punktierten marschähnlichen Motiv an, teils (bei 456 und 459) zum Verwechseln ähnlich). Dennoch sind diese Konzertsätze trotz weiterer Gemeinsamkeiten auch ziemlich unterschiedlich. Oder Schlußrondos bei Mozart und Haydn.
    Frö-hö-liche Weihnacht und das Rondothema aus op.31, 1 sind ebenfalls solche Allerweltsfloskeln, dass ich da nicht auf einen tatsächlichen Zusammenhang tippe.


    viele Grüße


    JR

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  • Hallo!


    Die Klaviersonate Es-dur op.31 Nr.3 ist ein eher heiteres, extrovertiertes Werk. Es gibt keinen langsamen Satz und alle vier Sätze sind in Dur (der zweite in As, die anderen in der Tonika). Es ist übrigens Beethovens letzte viersätzige Klaviersonate vor op.106.


    Die Satzbezeichnungen sind:
    allegro - scherzo. allegretto vivace - menuetto. moderato e grazioso - presto con fuoco


    Und dafür brauchten die verglichenen F. Gulda, S. Kovacevich und A. Schnabel so lange:
    Gulda: 7:55 - 4:19 - 3:49 - 4:08
    Kovacevich: 8:00 - 4:53 - 3:49 - 4:31
    Schnabel: 8:22 - 4:47 - 4:11 - 4:06


    1. Satz: Schnabel spielt ihn ernster als Gulda, das Schicksalsmotiv scheint zu erklingen (habe ich bei Gulda so nicht rausgehört), die Durchführung ist bei Schnabel ebenfalls sehr dramatisch. Gulda nimmt den Satz eher "locker" und schneller. Welche Deutung nun "angebrachter" ist, weiß ich nicht. Gefühlsmäßig: Gulda.
    Danach brachte das Hören von Kovacevich keine neuen Erkenntnisse.


    2. Satz: Hier fing ich dafür mit Kovacevich an, verblaßte dann durch den folgenden, schnelleren Gilda, dem dieses "jazzige", das der Satz durchaus hat (irgendwie die ganze Sonate), besser liegt. Schnabel ist wieder um "Ernsthaftigkeit" bemüht, das ist hier aber IMO nicht so überzeugend. Komischerweise störte mich gerade in diesem Satz die schwache Tonqualität.


    3. Satz: Schnabel: schleppend (eigentlich ja wie gewünscht: moderato), cantabler als Kovacevich. Gulda gefällt mir am meisten, interessante dynamische Kontraste und Akzentuierungen. Richtig "graziös" fand ich keinen (geht das überhaupt?)


    4. Satz: Gulda "swingt" - mitreißend!
    Kovacevich: Donnernde Durchführung, langsamer und weniger mitreißend als Gulda.
    Schnabel: Wahnsinnstempo, dafür verspielt er sich aber auch! Aber perfektes Spiel bedeutet noch nicht Kult: Die Schnabel-Aufnahme ist von 1932, und trotz mehr Fehlern(?) als in allen anderen großen Aufnahmen wird sie zurecht immer wieder herangezogen, gehört.


    Ich kam diesmal ohne "Der X.-te Satz klingt wie..." aus, und das ist auch gut so.


    Mein Fazit: An Gulda kommt man nicht vorbei: Referenz !?


    Viele Grüße,
    Pius.

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  • Ich hoffe, Du nimmst es mir nicht übel, wenn ich jetzt poste, was ich am Wochenende angefangen, aber nicht fertiggeschrieben hatte. Ich kürze auch nichts mehr, ist daher recht lang.


    Nun also zur letzten Sonate des opus Nr 3 in Es-Dur (früher manchmal "The hunt" genannt, wohl wegen des Finales). Sie ist als einzige der drei viersätzig, ohne jedoch das traditionelle Schema zu erfüllen: Nach einem Sonatenhauptsatz folgt ein Unikat in den Beethovenschen Sonaten, ein Scherzo im 2/4-Takt in Sonatenform, ohne Trio. Es schließt sich ein "Grazioso"-Menuett an, der einzige lyrische Ruhepunkt, bevor die Sonate mit einem atemlosen 6/8-Presto (einer Art "Tarantella" oder auch ein Jagdstück) zu Ende geht.
    Am nächsten dürfte dieser Satzfolge in Beethovens Oeuvre die 8. Sinfonie kommen, was insofern passt, als dass wir es auch hier mit einem Meisterwerk doppelbödigen Humors zu tun haben.


    Schnabel 1934 (Naxos/Pearl)
    Rubinstein 1946 (RCA)
    Annie Fischer 1961 (EMI)
    Gulda 1968 (amadeo)
    Gilels 1981 (DG)


    Als erstes hörte ich A. Fischer (aus einer EMI "Introuvables" Box). Leider trotz stereo ein unschöner und etwas dumpfer Klavierklang, wobei mir nicht ganz klar ist, ob das vielleicht auch an der Interpretin liegt (ich vermute aber hauptsächlich an Aufnahmen und evtl. späterer Verschlimmbesserung). Sie betont die dramatischen Seiten des Stücks, im ersten Satz ein schnelles Grundtempo, aber die ritardandi mit den häufig dissonanten Akkorden (dam-dam-dam-dammm) werden voll ausgekostet und wirken wie ein fast verzweifeltes sich Festfahren. Ähnlich wirken Scherzo und Finale nicht sehr spielerisch, eher grimmig (im Blindtest würde vermutlich niemand ahnen, dass hier eine Frau spielt). Insgesamt eine sehr interessante Lesart, wenn auch recht idiosynkratisch und leider durch den Klang beeinträchtigt


    Dagegen ist Rubinstein trotz mono und einiger Nebengeräusche glasklar und sehr viel "klassischer", besonders im ersten Satz, der sehr viel schlanker, humorvoller daherkommt, die Kontraste nicht so auf die Spitze getrieben, maßvolle ritardandi; auch das Scherzo profitiert deutlich vom klareren Klang. Im Menuett wird das "statische" Trio mit erstaunlichen dynamischen Kontrasten gestaltet.
    Angeblich war dies ein Lieblingsstück von Rubinstein, man kann das anhand dieser Aufnahme durchaus nachvollziehen (vom Kopfsatz abgesehen werden einige Wdh. übersprungen).


    Schnabel holt, ähnlich wie Fischer, aus den Kontrasten des ersten Satzes das Maximum heraus. Die ritardandi und harmonischen Spannungen der mehrfach wiederholten "fragenden" Phrase werden extrem ausgespielt. Der Gegensatz zu dem spielerischen Charakter der Überleitungsfiguren und des 2. Themas ist sogar noch deutlicher als bei Fischer, wo mir auch deren Humor allzu grimmig zu sein scheint. Sehr schön auch das Menuett; die anderen beidne Sätze fand ich etwas weniger überzeugend, Mängel der Spiel (und auch Klangtechnik) verunklaren hier doch einiges.


    Bei Gulda schließe ich mich im Wesentlichen Pius Ausführungen an: Von den Gehörten das beste Scherzo: sehr flott, dennoch glasklar; insgesamt sehr überzeugend, der Kopfsatz humorvoll, mit maßvollen ritardandi, wodruch der Satz geschlossener wirkt. Wer, wie bei manchen der Sonaten vielleicht nachvollziehbar, von Gulda behauptet, er zocke seinen Beethoven schnell herunter, höre sich bitte mal das Trio des Menuetts hier an, äußerst differenziert in Tongebung und Dynamik.


    Gilels ist wie nicht selten in allen Sätzen auf der langsamen Seite (9:04, 5:17, 4:55, 4:22). Es wirkt jedoch nicht schleppend, ich finde allerdings die ritardandi in den ersten beiden Sätzen übertrieben. Im Scherzo sind durch die Pausen und wiederholten Anläufe Verzögerungen bereits auskomponiert, Gilels bringt hier die Bewegung zu sehr ins Stocken, auch im Kopfsatz erreicht er trotz extremen ritardandi nicht die Spannung von Schnabel oder Fischer, wirkt aber auch nicht humorig, sondern (mir zu) nüchtern. Sehr viel überzeugender die beiden anderen Sätze, besonders das sehr kraftvolle Finale.
    Ich kann verstehen, dass viele Gilels' Klarheit und Differenziertheit schätzen, mit kommt hier aufs Ganze gesehen der Humor zu kurz.
    Fü ein abschließendes Urteil müßte ich eigentlich die ersten beiden, die ich am Samstag gehört hatte, nochmal vornehmen, aber dreimal hintereinander ein Stück reicht wirklich.
    Ich schließe mich nachdrücklich Pius Votum für Gulda an, möchte jedoch für eine schlanke klassische Interpretation nochmals Rubinstein hervorheben (zumal auf der CD eben auch das großartige 3. Konzert mit Toscanini ist) und für einen sehr eigenwiligen alternativen dramatischen Zugang A. Fischer.


    Noch was ganz anderes: Schumann zitiert wohl das Trio des Menuetts im Rondo des "Faschingsschwanks aus Wien"...


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo, Johannes!


    Zitat


    Ich hoffe, Du nimmst es mir nicht übel, wenn ich jetzt poste, was ich am Wochenende angefangen, aber nicht fertiggeschrieben hatte. Ich kürze auch nichts mehr, ist daher recht lang.


    Wieso sollte ich Dir diesen Beitrag übelnehmen? Eher Du mir doch meinen, wo ich op. 31 Nr.3 mehr oder weniger Dir "zugeschoben" hatte und dann spontan doch wieder Lust drauf hatte. Die Beiträge überschneiden sich ja kaum, und aus Deinem konnte ich viel neues wissenswertes entnehmen.


    Zitat


    Am nächsten dürfte dieser Satzfolge in Beethovens Oeuvre die 8. Sinfonie kommen, was insofern passt, als dass wir es auch hier mit einem Meisterwerk doppelbödigen Humors zu tun haben.


    Ja, stimmt, irgendwie sind die Werke musikalisch "Verwandte".


    Zitat


    Schnabel holt, ähnlich wie Fischer, aus den Kontrasten des ersten Satzes das Maximum heraus. Die ritardandi und harmonischen Spannungen der mehrfach wiederholten "fragenden" Phrase werden extrem ausgespielt. Der Gegensatz zu dem spielerischen Charakter der Überleitungsfiguren und des 2. Themas ist sogar noch deutlicher als bei Fischer, wo mir auch deren Humor allzu grimmig zu sein scheint. Sehr schön auch das Menuett; die anderen beidne Sätze fand ich etwas weniger überzeugend, Mängel der Spiel (und auch Klangtechnik) verunklaren hier doch einiges.


    Bei Gulda schließe ich mich im Wesentlichen Pius Ausführungen an: Von den Gehörten das beste Scherzo: sehr flott, dennoch glasklar; insgesamt sehr überzeugend, der Kopfsatz humorvoll, mit maßvollen ritardandi, wodruch der Satz geschlossener wirkt. Wer, wie bei manchen der Sonaten vielleicht nachvollziehbar, von Gulda behauptet, er zocke seinen Beethoven schnell herunter, höre sich bitte mal das Trio des Menuetts hier an, äußerst differenziert in Tongebung und Dynamik.


    Na, da sind wir uns ja im großen und ganzen einig. Gulda ist mir tatsächlich manchmal zu schnell, bei dieser Sonate aber nicht. Interessanterweise war auch schon bei op. 31 Nr.1 Schnabel der "ernste" und Gulda der "heitere".


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat

    Original von Pius



    Ja, stimmt, irgendwie sind die Werke musikalisch "Verwandte".


    Ich habe inzwischen gesehen, das Riezler in seinem Beethovenbuch sogar explizit auf diese Gemeinsamkeit hinweist.


    Zitat

    Na, da sind wir uns ja im großen und ganzen einig. Gulda ist mir tatsächlich manchmal zu schnell, bei dieser Sonate aber nicht. Interessanterweise war auch schon bei op. 31 Nr.1 Schnabel der "ernste" und Gulda der "heitere".


    Es ist bei mir selten das tempo per se (da ich bei Beethoven fast immer sehr für schnelle tempi bin), er ist mir mitunter etwas "neutral" im Ausdruck und ich kann verstehen, dass manche Hörer ihn fast immer zu wenig emotional finden. Wenn man die Musik mal mit Noten hört, wird man allerdings überrascht davon, wie präzise Gulda in der Regel Akzente, Artikulation etc. beachtet. Das ist zwar immer sehr flüssig, aber alles andere als flüchtig.
    Und zumindest in den schnellen Sätzen ist Schnabel ja auch nicht langsamer.


    viele Grüße


    JR

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    (Bob Dylan)

  • Christian hat mich gebeten, etwas zu den von mir soeben erworbenen Beethoven Sonaten Op. 31 Nr. 16 bis 18 der Gesamtausgabe von Bräutigam ein paar Sätze zu schreiben und ich kommt dem gerne nach (Achtung, ich bin nur - sehr interessierter - Laie und es ist doch ein großer Unterschied etwas zu hören, unmittelbar wahrzunehmen und andererseits, diese Wahrnehmungen in Worte zu fassen, das ist richtig Arbeit :rolleyes: ). Zur Sonate Nr. 16:


    Hat man - wie ich - noch nicht soviel Erfahrung mit den Klängen des Hammerklaviers (ich hatte dies Instrument zuvor bei Begleitungen von Schubert-Liedern eher im Hintergrund kennen gelernt), erfährt man gerade bei Bräutigam einen "verblüffenden Angriff auf bisherige Hörgewohnheiten", insbesondere beim Hören mit dem Kopfhörer. In der - übrigens klanglich hervorragenden - Aufnahme hört man im Bassbereich knackige, etwas schnarrende Töne; bei den hohen Tönen gibt es klare, trockene Klänge mit wenig Obertönen. Damit bekommen gerade die schnellen Läufe eine faszinierende "perkussive" Note, während ich bei den langsamen Sätzen auch bei Gebrauch des Pedals durchaus einmal das weitere Klangspektrum der heutigen Flügel vermisst habe. Aber das mag an der Prägung meiner Hörgewohnheiten durch heutige Flügel liegen.. In der Sonate Nr. 16 beginnt das Allegro Vivace mit einem Sturm von schnellen Läufen (ich fühlte mich geradezu an ungarische Cymbal-Spieler erinnert). Das offenbart hohe Spielfreude verbunden mit einer stupenden Technik und führt zu besonderen Klangerlebnissen (gerade, wenn das Thema im Bassbereich übernommen wird und die rechte Hand mit perlenden Läufen begleitet). Hinter all dem waltet ein klarer, analytischer Geist. Das führt - verbunden mit den etwas trockeneren Klängen - dann bei den langsameren Sätzen wie dem folgenden Adagio grazio zu einem etwas "distanzierteren" Klangerlebnis. Daran muss ich mich - "romantische Interpretationen" im Ohr - erst gewöhnen. Im letzten Satz, dem Rondo; Allegretto: wunderschöne schwingende Bögen. Bei Forte / Fortissimo wirkt der typische Klang des Hammerklaviers beinahe etwas "blechern" und gerade dadurch packend, es ist, als wollte Bräutigam über die klanglichen Grenzen dieses Instruments hinausgehen. Dies einmal als Kostprobe. Herzlichst, Peter

    Peter