Neue Streichquartette

  • Wie an anderer Stelle schon ausgeführt, ist das Streichquartett meine liebste Musikform. Bis es dazu kam, war es ein weiter Weg, aber inzwischen schätze ich diese Kunstform vor jeder anderen. Fast jeder Komponist, der sich dem Streichquartett ernsthaft zugewendet hat, hat hier wichtige musikalische Aussagen getroffen, einige m.E. ihre wichtigsten überhaupt (Haydn, Beethoven, Bartok, Schostakowitsch). Die Tatsache, dass im Streichquartett im Idealfall vier gleichberechtigte Musiker auf der Suche nach einer gemeinsamen Aussage zusammenfinden, spricht mein Demokratieverständnis besonders an. Ein weiterer Grund sind die vielen neuen jungen Streichquartette, die in den letzten Jahren förmlich aus dem Boden geschossen sind und das technische Niveau auf ungeahnte Höhen gehoben haben. Und sie sind auch "sexy", die jungen Quartette. Vorbei die alten Zeiten, als vier bebrillte distinguierte Herren die Plattencovers zierten und sicher ein jüngeres Publikum schon deshalb meist abschreckten.
    Viele der jungen Quartette präsentieren sich eher wie Popstars, das mag man kritisch sehen, aber wenn es denn junge Leute in die Konzertsäle bringt, mag es die richtige Strategie sein.


    Das 20. Jahrhundert ist vermutlich dasjenige, in dem die meisten Streichquartette komponiert wurden. Diese Aussage mag im ersten Moment überraschen, haben doch gerade in der Frühzeit des Genres einige Komponisten (Haydn Boccherini etc) fast an die hundert geschrieben. Aber die fast unübersehbare Zahl von Komponisten der Gegenwart zeichnet sich durch eines aus, fast alle haben ein, die meisten mehrere Streichquartette komponiert. So dass ich ohne es belegen zu können, überzeugt bin, dass das 20. Jahrhundert auch das Jahrhundert der Streichquartette ist.


    Vor einigen Jahren habe ich mir das Ziel gesetzt, die möglichst alle kennenzulernen, zumindest soweit sie auf Tonträger erhalten sind. Das ist natürlich ein absurdes Vorhaben und ich bin auch denkbar weit vom Ziel entfernt. Aber inzwischen kenne ich schon einiges, teils auch abgelegenes, und möchte in loser Folge auf einige der interessanteren Funde hinweisen. Natürlich in der Hoffnung, bei dem einen oder anderen das Interesse an dieser Musik zu wecken bzw. zu verstärken oder Gleichgesinnte zu finden.


    Den Anfang werden ich mit dieser CD machen, die ich heute erstanden, aber noch nicht ganz durchgehört habe. Das heißt, die Besprechung folgt.

  • Stefano Scodanibbio - Jahrgang 56 - ist letztes Jahr verstorben, er war mir bisher nicht untergekommen, obwohl es einige CDs mit seiner Musik gibt. Scodanibbio war Kontrabassist und hat es auf diesem - oft belächelten - Instrument wohl zu außerordentlichen Virtuosität gebracht. Darüber hinaus hat er die Literatur zu seinem Instrument bereichert, u.a. mit einer Bearbeitungen einer der Sequenzas von Berio.


    Auch die vorliegende CD beinhaltet keine eigenen Kompositionen sondern Bearbeitungen schon existierender Musik für das Streichquartett - eben Reinventions. Das entstehende Produkt ist aber soweit klanglich vom Original entfernt, dass es deutlich mehr ist als eine einfache Instrumentierung oder Umarbeitung für die Königsgattung.


    Dies wird gleich bei den drei Stücken deutlich, die Anfang, Mitte und Ende des Programms markieren, drei Adaptationen von Bach'schen Contrapunti aus der Kunst der Fuge. Obwohl die Fugen klar als Bach'sche Schöpfungen erkennbar bleiben, ist der Klang derart verfremdet, dass man diese Musik ganz neu hört. Zum einen wird sie deutlich langsamer gespielt als üblich, und durch Oktavtransposition einzelner Stimmen und Mitklingen von Obertönen entsteht eine kristall-gläserne Musik, die vertraut und doch fremd, fast archaisch wirkt. Dies wird wohl durch entsprechende Strichtechniken erreicht, jedenfalls ohne elektronische Beeinflussung.


    Zwischen die drei Bachstücke sind zum einen ein Block von vier Adaptionen von Gitarrenkompositionen spanischer Komponisten (Tarrega, Llobet, Aguado, Sor), zum anderen fünf Bearbeitungen von mexikanischen Canzones (Jimenez, Alavez, Bilbao, Velazquez, Traditional) gesetzt, die einer vergleichbaren Behandlung unterzogen werden. Dadurch rücken diese Musiken, die eigentlich Jahrhunderte trennen, eng zusammen.


    Dies ist Musik zum Zuhören - fast meditativ. Ob man das ganze Programm auf einmal hören mag, entscheide jeder selbst, durch die Bach'schen Zäsuren lassen sich auch zwei Teilprogramme daraus machen. Dies wäre sicher auch ein Programm für das Kronos Quartet. Das italienischen Quartetto Prometeo steht dem aber in der technischen Umsetzung nicht nach.


    Wie für ECM üblich, ist die klangliche und optische Umsetzung hervorragend. Das Booklet zieren Artikel von Irvine Arditti, der wie man zwischen den Zeilen lesen kann, dem Komponisten wohl auch deshalb sehr verbunden ist, da er über ihn seine Frau kennengelernt hat und von Paul Griffiths, dem Ex-Biochemiker und Autor einiger bekannter Bücher über Musik, u.a. dem m.E. besten über Streichquartette (The Art of String Quartet - leider nur auf englisch und seit vielen Jahren vergriffen).

  • Das gehört natürlich eigentlich nicht hierher, auf der anderen Seite ist die Interpretation der Bach'schen Fugen für Streichquartette dann doch eine relativ neue Entwicklung und gehört somit klar ins 20. Jhdt.



    Ich habe dies zum ersten Mal vor gut 25 Jahren in New York vom Juilliard String Quartet gehört, in einer Schul-Aula - Eintritt war wohl frei.
    Die Version der Juilliards war auch m.W. die erste auf Tonträger.


    Inzwischen sind die schöne aber strenge, an der HIP Praxis orientierte, des Andras Keller Quartets hinzugekommen und die ebenfalls wunderbare des Emerson String Quartets.


  • Ein Name im Zusammenhang mit neuen Streichquartetten muss hier erwähnt werden. Das Kronos-Quartett, das seinen Namen vom griechischen Gott der Zeit ableitet. Seit dreissig Jahren widmen sich die vier Musiker aus San Francisco moderner Streichquartett-Literatur. Für diese Formation wurden eigens Werke komponiert. Das Kronos Quartett arbeitet oft mit anderen Musikern zusammen und ihre CD-Projekte sind oft kosmopolitisch ausgerichtet.
    In dieser zum absoluten Mondpreis (1) erhältlichen Box mit 10 CDs des Labels Nonesuch Records sind wichtige Werke enthalten.

    Andere Aufnahmen sind erhältlich, hier eine Auswahl:

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Das Kronos Quartett ist ohne jeden Zweifel seit über 30 Jahren eine der führenden Formationen, wenn es um die Streichquartett-Literatur der Gegenwart geht. Sie waren auch die ersten, die praktisch eigenhändig die Art und Weise wie sich Streichquartette präsentieren, revolutioniert haben, indem sie sich in Kleidung, Auftreten und Albumdesign stark an die Popkultur angelehnt haben und somit auch einen neuen jüngeren Hörerkreis für diese Musik gewonnen haben. Kronoskonzerte sind praktisch immer auch Events. Ihre Alben sind anlog zu denen der progressiven Popmusik meist als Konzeptalben (Sgt. Peppers lässt grüssen) gestaltet. Neben der etablierten Moderne (Bartok, Sallinen, Schnittke etc.) bedienen die Kronos-Leute vor allem das Cross-over Feld mit Projekten, die weit in den Jazz- oder Weltmusikbereich hineinreichen.



    Es gibt inzwischen fast an die 50 CDs der Kronos-Leute und auch ich kenne bei weitem nicht alle. Ich lade alle Taminos ein, ihren Favoriten, wenn Sie denn einen haben, hier vorzustellen.


    Die sündhaft teure Box Kronos 25, die oben abgebildet ist, würde ich übrigens niemals kaufen. Mit ein bisschen Geduld kriegt man die einzelnen CDs gebraucht sicher für ein Viertel des Preises zusammen.

  • Wenn von den Streichquartettformationen der neuen Musik die Rede ist, darf natürlich auch der Name Arditti Quartett nicht fehlen. Dieses Quartett, das sich mit wechselnder Besetzung um den ersten Violinisten und Spiritus rector Irvine Arditti versammelt, hat ein noch umfassenderes Werk auf CD vorgelegt, in dem kaum ein Name der avancierten Musik des 20. Jhdts fehlt. Wie dieses Quartett dieses unglaubliche Arbeitspensum absolviert, ist mir ein Rätsel, sie müssen inzwischen an die 1000 neukomponierte Streichquartette aufgeführt (nicht eingespielt!) haben.


    Bezeichnenderweise hat Irvine Arditti auf die Frage, ob er denn alle Quartette, die sie spielen würden gut fände, einmal sinngemäß geantwortet:


    Es ist nicht unsere Aufgabe zu entscheiden, ob die Quartette gut sind, es ist unsere Aufgabe sie zu spielen.


    Ein von der Musik der Gegenwart und seiner Mission Besessener.


    Ich hatte das Privileg, vor zwei Jahren an einem dreitägigen Workshop der Ardittis im Herrenhaus Edenkoben teilnehmen zu dürfen, bei der es neben ausführlicher neuer Musik (Rihm war da schon das etablierteste) auch gutes Essen und guten Wein gab übrigens gemeinsam mit den Künstlern. Ein Erlebnis.


    Auch von diesem Quartett wird hier noch öfters zu reden sein.


  • Die vermutlich erste Aufnahme einer Streichquartettfassung der Kunst der Fuge stammt aus den 1930ern:


    http://www.musicweb-internatio…_tovey_divineart27084.htm


    In der Generation vor dem Arditti-Quartett waren wohl das Juilliard und besonders das LaSalle-Quartett die bekanntesten Ensembles, die sich am stärksten für zeitgenössische Musik eingesetzt haben.


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    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Wie weiter oben erwähnt, ist das Kronos Quartet nicht nur in der klassischen Moderne bzw Postmoderne unterwegs, sondern auch im Crossover-Bereich. Hier auf einer ihrer neuesten CDs sind sie gemeinsam mit dem finnischen Akkordeonspieler und Komponisten Kimmo Pohjonen und seinem Sampling-Wizard Samuli Kosminen ziemlich weit gegangen, dies hat mit zeitgenössischer e-Musik nichts mehr zu tun.


    Dies ist reine Popmusik, allerdings erster Güte. Ich würde es als Progressivrock für Streichquartett und Akkordeon bezeichnen. Wer wie ich mit Gruppen wie Pink Floyd, Yes, Genesis, Peter Gabriel und King Crimson aufgewachsen ist und die alten Platten ab und zu auch noch mal gerne auflegt, dürfte an den Soundcollagen der sechs Musiker seine helle Freude haben und hier und da an Klänge aus lang vergangener Zeit erinnert werden (eine Stelle klingt so richtig schön nach einer Passage aus Mike Olfields Tubular Bells). Das ganze natürlich im perfekten Sound der heutigen Zeit, sehr abwechslungsreich und brilliant gemixt.


    Gefällt mir sehr .

  • Den amerikanischen Komponisten Fred Lerdahl werden die wenigsten hier kennen, mir ging es ebenso bis ich kürzlich durch eine positive Kritik im "American Reord Guide" auf diese CD aufmerksam wurde.


    Lerdahl ist Jahrgang '43 inzwischen also 70 und hat einen für amerikanische Komponisten recht typischen CV mit renommierten Studien- und Lehrorten (Berkeley, Harvard etc.). Ab 1991 hatte er den Fritz Reiner Lehrstuhl für Musik an der Columbia University inne. Er hat viele Preise und Stipendien erhalten und die Liste der Orchester und Ensembles, die seine Musik aufgeführt haben, ist lang und enthält alle Spitzenorchester der USA.


    Hinter solch einem eindrucksvollen CV verbirgt sich aber häufig eine recht akademische Musikproduktion, hoch intelligent zusammengebastelt und intellektuell anspruchsvoll, aber letztendlich dröge und schwer genießbar. Nicht so in diesem Fall. Diese drei Streichquartette bieten einiges und verdienen durchaus intensivere Beschäftigung.


    Das erste entstand 1978, wurde vom Juilliard SQ uraufgeführt und immerhin ca 2 Jahre im Repertoire gehalten. SQ 2 und 3 sind neue Schöpfungen aus den letzten Jahren und wurden fürs Daedalus Quartet geschrieben. Beide nehmen Ideen aus dem ersten auf und entwickeln sie weiter. Somit kann man diese gleichlangen einsätzigen Quartette (je um die 23 min) einzeln hören oder als Megaquartett von 68 min mit drei Sätzen (letzteres habe ich zweimal gemacht).


    Die verwendete Tonsprache ist zeitgemäß modern, aber ohne anstrengend oder nervig zu werden (sicher hört das jeder anders). Die Musik ist sehr fantasievoll und abwechslungsreich gestaltet und nutzt fast alle Facetten des Streichquartettklanges aus. Wer sich in der Welt der Bartokquartette wohlfühlt, oder sie zumindest gelegentlich aufsucht, dürfte auch mit dieser Musik gut klarkommen.


    Das Daedalus Quartett ist ein typisch amerikanisches Quartett mit multi-ethnischem Hintergrund (Gregorian, Kim, Thompson, Ramakrishnan) und nicht nur in zeitgenössischem Repertoire unterwegs, sondern auch gelobt für ihren Haydn, Beethoven und Mendelssohn. Sie fliegen hoch hier ohne abzustürzen. Aufnahmetechnik und Gestaltung der CD sind vorbildlich, das Coverbild hätte bei mir gute Chance, Cover des Jahres zu werden (Zu LP-Zeiten hätte ich es vermutlich gerahmt und aufgehängt).


    Für mich eine Bereicherung des Repertoires.

  • Kurzer Nachtrag, die weiter oben genannte Zusammensetzung des Quartetts stimmt nicht mehr, es gibt zwei neue Mitglieder:


    Min-Young Kim, Matilda Kaul, Jessica Thompson, Thomas Kraines


    Cooles Line-up


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  • Der Komponist Olivier Greif (1950-2000) ist mir bisher noch nicht untergekommen, ebenso wie auch das Ensemble Syntonia, das hier sein 4. kurz vor dem Tode vollendetes Streichquartett vorlegt. Die Syntonias gibt es aber offensichtlich schon länger, denn das Werk wurde für sie geschrieben.
    7 Sätze, 50 min Dauer und ein Titel, der sich natürlich auf eines der zentralen Werke der Literatur des 20. Jhdts bezieht (ich gestehe, ich bin nie über Seite 50 hinausgekommen).


    Olivier Greif war wohl ein musikalisches Wunderkind, begann mit 11 zu komponieren und hat in frühen Jahren als Assistent von Luigi Nono gearbeitet, war mit Jagger und Warhol bekannt und mit Salvatore Dali "befreundet". Mitte der 70er Jahre ist er in den Dunstkreis von Guru Sri Chimnoy geraten (Carlos Santana und John McLaughlin lassen grüssen) und hat für längere Zeit nichts komponiert, war aber weiter als Pianist tätig.


    Um Musik zu beschreiben hat man ja gerne Schubladen, für die hier habe ich keine. Ein ungewöhnliches Werk. Von der Musiksprache von z.B. Luigi Nono denkbar weit entfernt. Die Musik ist im Prinzip tonal, Motive und Melodien sind z.T. fast simpel, klingen der Volksmusik entnommen, werden dann aber in verschiedene Richtungen verfremdet, häufig durch schräge Dissonanzen, was entfernt an Ives erinnert. An einigen Punkten erinnert die oft traurige Musik an die von Komponisten wie Gorecki oder Vasks. Den Masterplan für die 7 Sätze habe ich noch nicht durchschaut, oft wird eine Entwicklung mitten im Satz abgebrochen und etwas neues beginnt. Das ganze hat also auch einen etwas fragmentarischen Charakter. Mir scheint hier trauert ein Komponist über die Unmöglichkeit, heute noch tonale Musik schreiben zu können, darin wiederum an Silvestrov und seine Postmusik erinnernd. Ein Streichquartett, auf dass man sich einlassen, mit dem man sich beschäftigen muss.

  • Hier gab es eine von mir losgetretene Diskussion über die zeitliche Abgrenzung dieses Threads, worauf lutgra den hier zitierten Vorschlag machte:

    Zitat

    Um weitere Diskussionen zu vermeiden, schlage ich vor, dass wir unter diesem Thread tatsächlich nur zeitlich "neue" Streichquartette auflisten, also Streichquartette so ab ca. 1975.

    Danke! Dann deckt sich Titel mit Inhalt des Threads.
    Die letzten großen Neoklassizisten (im weitesten Sinn) sind gestorben: 1974 Milhaud, 1975 Schostakowitsch, 1976 Britten
    Die Spätwerke von Cage Four (1989), Nono Fragmente, Stille an Diotima (1979), Feldman String Quartet (1979) stehen neben den Werken der jüngeren Generation Schnittke, Lachenmann, Ferneyhough, Sciarrino, Rihm.


    Da merke ich, dass ich aus dem (post-)minimalistischen Bereich keine Streichquartette kenne. Hast Du da Erfahrungen?

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    Seit einer Woche gibt es die, die kenne ich aber noch nicht.

    Weiter oben habe ich CDs von Olivier Greif und Frank Lerdahl empfohlen, vielleicht kämen die in Frage?


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    Oder die mit den Streichquartetten von Peter Garland, die hat mir gut gefallen - environmental music (was immer das ist).



    Eine meiner liebsten CDs mit Streichquartetten der letzten Jahre ist die hier:


















  • "Postminimalismus" ist auch so ein Fachbegriff ... macht nichts, man muss ja nicht alle Schubladen kennen.
    In Youtube kann man Michael Torke: Corner in Manhattan (2000) hören, der wird in Wikipedia als weiterer Postminimalist genannt. Hat mir jetzt beim kurz Hineinhören weniger Neugierde erweckt.
    :hello:

  • Zur Vorstellung einige Worte des Komponisten selbst (aus dem Beiheft entnommen):


    " Das Genre des Streichquartetts hat mich ständig beschäftigt. ...
    Das erste Streichquartett habe ich in den Jahren 1983 bis 84 zum Andenken an meinen früh verstorbenen Musikerfreund David Chandschian komponiert. Es besteht aus drei Teilen. Der erste Teil basiert auf der Rhytmus- und Intonationsreihe der Schmerz-, Klage- und Flüsterstimmen, die von der armenischen Sprache herrühren. Den zweiten Teil beherrschen die laut ertönenden Klagestimmen, die von rituellen Körperbewegungen begleitet werden. Diese Körperbewegungen entsprechen dem inneren Zustand eines Menschen, der einen teuren Verlust zu beklagen hat. Wenn er dann still wird, fängt er an, den Verstorbenen zu lobpreisen. ... Dieses rituelle Lob stellt den dritten Teil des Streichquartetts dar. ".


    Auch das zweite Streichquartett ist ein Andenkenwerk. Mansurians Tonsprache ist lyrisch und zurückhaltend, nah und zugänglich, aber auch rätselhaft und fremd. So, zusammenfassend, aus der anschliessenden Besprechung der ECM-Edition.



    ECM New Series 1905, Rosamunde Quartett

    Julius



  • Es ist zwar schon eine Weile her, dass ich diese Quartette gehört habe, aber ich fand sie damals ziemlich eindrucksvoll.
    Ich werde sie mir mal wieder vornehmen.

  • Hier jetzt etwas besonders Skuriles:


    71cKknPvs3L._AC_UY218_.jpgJeder Liebhaber von Stimme und Oper kennt die legendären Aufnahmen der Florence Foster Jenkins, jener amerikanischen Millionenerbin, die glaubte, der Welt ihre Versionen der bedeutenden Koloraturarien schuldig zu sein und damit immerhin einmal sogar die Carnegiehall füllen konnte. Sicher ein erinnerungswürdiges Konzert mit großem Spaßfaktor.


    Die vorliegende Doppel-CD mit den 5 Streichquartetten stellen das kompositorische Äquivalent dar. Richard Nanes - Gott hab ihn selig, er ist 2009 gestorben - war ein offensichtlich sehr erfolgreicher amerikanischer Unternehmer, der nebenbei auch als Pianist und Komponist "wirkte". Dass seine Kompositionen nicht nur in der Schublade landeten, sondern tatsächlich auch aufgeführt und eingespielt wurden (2 Symphonien z.B. vom London Philharmonic Orchestra) verdankt er hohem finanziellen Eigenanteil. Darin erinnert die Geschichte ein wenig an die von Gilbert Kaplan und seine dirigentische Passion bezüglich Mahlers 2. Symphonie. Mit dem wesentlichen Unterschied, dass Herr Kaplan tatsächlich zumindest dieses Werk vorzüglich dirigieren konnte (kann man bei DGG nachhören).


    Die Streichquartette des Herrn Nanes nun zeigen eine kompositorisches Unvermögen, dass zumindest mir noch nie so begegnet ist. Allen Musikfreunden, die beim Anhören ungeliebter zeitgenössischer Musik gelegentlich denken oder sagen: so etwas könnte ich auch komponieren, sollten diese CDs mal hören. Hier ist Klang geworden, was daraus wird, wenn ein Dilettant versucht zu komponieren: 2 Stunden drögestes Herumgefidel ohne Sinn und Verstand. Anfangs lacht man, aber nach 20 min legt man das kopfschüttelnd weg.


    Dass es sich bei dem Budapester String Quartet, dass hier antritt, nicht um das legendäre amerikanische Quartett ungarischer Exilanten handelt, kann man sich schon denken. Die jungen Musiker aus Budapest standen nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes vermutlich kurz vor dem Hungertod und waren dankbar für jeden $ den sie ergattern konnten. ;(


    Hoffentlich hat er sie wenigstens fürstlich entlohnt.

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  • Das Stück für Streichquartett und Ozean kenne ich von dieser CD:


    (Es gehört diese Frage nicht hierher, aber wie fügt man Cover aus dem Amazon-Shop ein, der mit den sog. ASIN-Nummer neuerdings geizt bzw gut versteckt?)




    Es rauscht der Ozean, man hört Seevögel, (dies alles vom Tonband), und dann, hier und da, schimmert wellenüberspültes Land algengrün auf, und dies ist der letzte Boden, der sich dem Menschen in diesem ihm doch feindlichen Element bietet, um noch ein Weilchen Mensch zu sein, ja sogar traut klingt das Streichquartett, das aus dem Meeresrauschen auftaucht, so traut wie ein Nix sein kann, doch nicht lange, die Wellen kommen wieder und spülen alles über und fort.


    Im Textheft gibt es eine richtige Deutung und Begründung. Mir gefällt das Stück am besten von dieser CD. Es ist das 9. Streichquartett Gudmundsen-Holmgreens, und dem Kronos-Quartett gewidmet. Vielleicht kennt jemand die anderen?

    Julius



  • Lieber Julius


    vielen Dank für den Hinweis und Deiner Beschreibung entnehme ich, dass mich das Stück interessieren könnte. Mein erster Impuls war: von dem Komponisten hast Du noch nie etwas gehört, aber eine kurze Recherche ergab, dass ich eine CD mit Musik von ihm schon in der Sammlung habe. Eine weitere Streichquartettaufnahme scheint es aber nicht zu geben.



  • (Es gehört diese Frage nicht hierher, aber wie fügt man Cover aus dem Amazon-Shop ein, der mit den sog. ASIN-Nummer neuerdings geizt bzw gut versteckt?)


    Aber bei dem angegebenen Beispiel ist die ASIN doch genau dort, wo sie immer ist. Einfach auf der Amazon Seite <Strg>+F drücken und dann "asin:<Return>" eingeben und du bist dort...


    Bei Büchern gibt es manchmal nur mehr die ISBN-13, diese kann auch verwendet werden (ohne Bindestriche!).


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • O ja, tatsächlich! Ich hatte nicht genügend heruntergescrollt. Danke, Theophilius.



    Lieber Lutgra,


    das Streichquartett ist gerade 10 Minuten lang.
    Ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht missfallen wird (etwa, wie könnte der Cantus Arcticus von Rautavaara nicht gefallen?), aber die anderen STücke auf der CD sind eher nicht rautavaarahaft. Das nur als Hinweis,


    Julius

    Julius

  • Na, dann reicht mir ja vielleicht ein download. Schätze ich sonst nicht so, aber in solchen Fällen tut es das auch.

  • Mir gefallen die Werke für Streichquartett von Peter Ruzicka. Oder, besser gesagt, ich habe beim gelegentlichen Hören Momente grossen Entzückens, in denen ich schlichtweg begeistert bin, aber wie gesagt, es sind Augenblicke, die sich, wenn auch unvermutet, verlässlich einstellen.


    Gekauft habe ich sie mir weil ich zu einem Kauf aufgelegt das so lange nicht mehr aufgesuchte CD-Geschäft betrat und sie mich interessierte. Um Hölderlin und Celan geht es auch, soviel konnte ich beim Hin- und Her-wenden in Erfahrung bringen. Das ist vielleicht der grösste Vorteil eines Musikgeschäfts: mit der Auswahl muss man sich zufrieden geben, und das Resultat kann man schon in der U-Bahn sich näher besehen, (und in noch gehobener Stimmung am selben Abend zweifeln, ob man´s wirklich gut getroffen. Hätte ich doch im Internet erstmal recherchiert, usw usf. Aber so: nun habe ich sie, kann ich ihr wirklich nichts abgewinnen?)
    Es ist keine leichte Musik. Aphorismenhaft wie Webern und Kúrtag? Auf jeden Fall sind es längere Stücke, und es wird auch die menschliche Stimme eingesetzt, die aber nicht mit musiziert sondern der Musik Worte entgegensetzt, über deren Bedeutung ich durch die Musik in eine andere Stimmung und Auffassungsbereitschaft versetzt, anders nachsinne als beim blossen Lesen.
    Es werden auch 12 Celan-Gedichte rezitiert vom Komponisten selbst. Genausowenig wie ich die Musik "verstehe", "verstehe" ich Celan. Da sind mal einzelne Zeilen, oder gar nur Wörter, die aufleuchten, und ich glaube, das es vielleicht ganz ähnlich ist ein Celan-Gedicht wie eines der 6 Streichquartette in voller Länge zu geniessen.
    Aber die Augenblicke, die lohnen auch reichlich genug. Es sind, das sage ich mir immer, die besten Käufe doch die unrecherchierten, spontanen, mit denen ich lange zu ringen habe.

    Julius

  • Luca Lombardis erstes Streichquartett stammt von 1991/1992, ist einsätzig und ca. 20 min lang. Eine eigentlich eher ruhige Musik, vor allem vom Cello geprägt, an den späten DSCH gemahnend, wird immer wieder durch aggressive, teils schrille Einsprenkelungen der anderen Instrumente aufgerissen. Ziemlich avantgardistisch, vermutlich nur etwas für Fortgeschrittene. Das noch junge Auryn-Quartett spielt.


    Auf wen sich die Widmung bezieht (Komponist?, Hörer? ^^ ), habe ich nicht herausfinden können.



  • Kenneth Fuchs ist ein amerikanischer Komponist, Jahrgang 1956, der in D kaum bekannt ist. Ich habe bereits vor einigen Jahren eine CD mit den Streichquartetten 2-4 gespielt vom ausgezeichneten American String Quartet erstanden, die mir gut gefallen hat. Hier nun neu auf Naxos, das 5. mit dem mir bisher nicht bekannten Delray String Quartet aus Florida, die aber auch schon seit 10 Jahren unterwegs sind. Das knapp halbstündige Werk trägt den Beinamen "American" und als solches ist es auch schnell identifizierbar. Die Tonsprache ist komplett tonal und direkt zugänglich. Die Musik ähnelt recht stark der von Aaron Copland und wer dessen "Appalachian Spring" Ballettmusik mag, wird auch dieses Streichquartett mögen.

  • Joey Roukens ist ein holländischer Komponist Jahrgang 1982. Und auch wenn er nicht wie ein typischer Komponist von "moderner klassischer Musik" aussieht, er ist es. Kompositionen von ihm wurden bereits vom Concertgebouw Orchestra uraufgeführt.


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    Die CD, die mir vorliegt, enthält das 26-minütige Streichquartett "Earnest and Game" zu Deutsch soviel wie "Ernst und Spiel". Roukens bedient sich bei seiner Musik so ziemlich aller verfügbaren Einflüsse, hier bindet er Folkmusic, Pop, Avantgarde und Spätromantik derart überzeugend zusammen, das es eine wahre Freude ist. So ein Stilgemisch funktioniert besonders gut in einem Streichquartett, das haben schon mehrfach die Kronos Leute gezeigt. Wer modernes Streichquartettspiel liebt, kommt hier voll auf seine Kosten. Und der technische Anspruch, der hier gestellt wird, ist durchaus mit dem von Bartoks Quartetten vergleichbar. Das ebenfalls junge Rubens Quartett aus Holland ist mit diesem Stück national und international sehr erfolgreich unterwegs. Die CD wird komplementiert von Mozarts Dissonanzenquartett (muß ich noch hören) und als Eröffnungsstück gibt es eine sehr schöne Bearbeitung einer Motette von Josquin Deprez ebenfalls von Roukens eingerichtet. Diese CD ist ein Volltreffer.



    Den flotten zweiten Satz kann man hier live hören:


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