Oper im Originalklang

  • Liebe Opern- und Stimmenfreunde!


    Angeregt durch die Aufnahme von " A te, o cara" in der Interpretation von Alain Vanzo, die gerade in einem anderen Thread kurz vorgestellt wurde und die ich persönlich sehr schätze, treibt mich wieder mal eine Frage um, die ich mir schon lange stelle. So wie Vanzo diese Arie singt, wurde sie wahrscheinlich auch von Rubini bei der Uraufführung der "Puritani" gesungen, denn hohe Töne wurden zur Zeit von Rossini, Bellini und auch des frühen Donizetti mit der Kopfstimme bzw. der voix mixte gesungen. Nun ist man ja auf der Suche nach dem Originalklang schon viele Wege gegangen. Man spielt auf historischen bzw. nachgebauten Instrumenten, man verzichtet auf Vibrato, es werden Appogiaturen und Verzierungen angebracht, Kastratenrollen werden mit Countertenören besetzt, und an alles das haben wir uns gewöhnt und schätzen es sogar. Nur bei Tenorrollen der frühromantischen italienischen Opern verstößt man permanent dagegen, indem alle hohen Töne mit der Bruststimme herausgeschmettert werden, angeblich, weil das Publikum sich nicht daran gewöhnen könne, wenn diese in der beschriebenen Art gesungen werden. (Nebenbei - was die Regie angeht, fragt ja auch keiner, ob sich das Publikum an das gewöhnen kann, was einem so vorgesetzt wird). Einen Tenor wie Florez würde Rossini trotz dessen Koloraturfähigkeit sicherlich nicht akzeptiert haben, bekanntlich verabscheute er das hohe C mit der Bruststimme. Übrigens würde es natürlich auch allen Sängern dieses Repertoires helfen, wenn man die Orchesterstimmung auf das damals übliche Niveau herunterfahren würde. Das würde so manche Transposition überflüssig machen. Warum versucht man also nicht einmal, eine Oper von Rossini oder Bellini im kompletten "Originalklang" zu singen und zu spielen?


    Es würde mich mal interessieren, wie andere an diesem Opernrepertoire interessierte Forianer zu dieser Frage stehen.


    Viele Grüße


    Mme. Cortese

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Einen Tenor wie Florez würde Rossini trotz dessen Koloraturfähigkeit sicherlich nicht akzeptiert haben, bekanntlich verabscheute er das hohe C mit der Bruststimme.


    Nun, man müsste sagen, er verabscheute, was er damals gehört hat. Ich glaube nicht, dass die ersten erfolgreichen Versuche einen Vergleich mit späterer vollendeter Technik aushalten, daher sollte man dieses historische Zitat nicht überbewerten.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Bekanntlich wurde ja der Orchesterklang wegen eines angeblichen brillianteren Klanges nach oben hin korriergiert.
    Hier sollte in erster Linie angesetzt werden.
    Der Rest ergibt sich dann wahrscheinlich von ganz allein.


    Aber stand Alain Vanzo wirklich wie Rubini das " hohe f " zur Verfügung, das ja nicht einmal Florez zur Verfügung steht.
    Rubini wird es bei seiner Rollenauslegung mit sicherheit gesungen haben.

  • Meinst Du das "Heraufwandern" des Stimmtons von 415-430 Hertz (zu Rossinis Zeiten?) auf >440 in den letzten Jahrzehnten?

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Mir hängt das ewige "Historisieren" also die geradezu manische Sucht im Instrumentalbereich und in der Oper, den damaligen Originalklang zu finden, schon zum Hals heraus. Ich meine jeder Komponist würde die heutigen technischen Möglichkeiten voll ausnützen, was alleine dadurch bewiesen wird, dass bereits kurz nach ihrem Erscheinen Klarinetten und Ventil-Trompeten ins Orchester eingebaut wurden und Stücke für diese damals neuen, bzw. verbesserten Instrumente geschrieben wurden. Meine Frau und ich waren erschreckt, als wir von einem der in diesem Genre bedeutenden Dirigenten eine Aufführung von "Don Giovanni" mit nachgebauten Orignalinstrumenten und laut Programm in korrekter, historischer Wiedergabe erlebten (durchlitten haben). Ungewohnter Klang, Tempo zäh, langatmig, Dauer 20 -30 Minuten länger als gewohnt. Da war Knappertsbusch direkt ein Eilzug dagegen, vor allem konnten die Maestros seiner Zeit trotz pathetischem Ausdruck dramatische Spannung in der Wiedergabe verwirklichen.


    Selbstverständlich ist es richtig, in bestimmten frühen Opern Countertenöre einzusetzen, weil diese den damals eingesetzten Kastratenstimmen am nächsten kommen.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Selbstverständlich ist es richtig, in bestimmten frühen Opern Countertenöre einzusetzen, weil diese den damals eingesetzten Kastratenstimmen am nächsten kommen.


    Das ist keineswegs selbstverständlich, sondern durchaus und zu Recht umstritten.
    Wir wissen, dass es seinerzeit Frauen gab, die sogar auf Kastratenrollen spezialisiert waren. Counterenöre oder Falsettisten waren in der Oper wohl eher selten, aber genau weiß man es auch nicht. Es gibt überdies sogar die Vermutung, dass sich nicht-kastrierte Falsettisten als Kastraten ausgaben, weil sie so mehr Geld verdienen konnten.
    (Ohne genauer über die grausigen medizinischen Details Bescheid zu wissen: In der Forschung ist wohl höchst umstritten, wie viele Knaben kastriert wurden, wieviele das überlebten! (obwohl der Eingriff wohl für seinerzeitige Verhältnisse "minimal invasiv" durchgeführt wurde) und wieviele dann große Sänger wurden. Oder ob es nicht viel mehr nichtkastrierte Falsettisten gegeben hat als vermutet.)


    M.E. sind heute in Kastratenrollen Frauen sängerisch meistens den Falsettisten überlegen (natürlich nicht immer alle). Die Frage ist dann auch eine der Balance zwischen Bühnenplausibilität (Mann sollte Männerrolle singen) und Stimmqualität. Freilich gab es wie gesagt, schon damals Hosenrollen und es scheint, dass man, wie später bei Cherubino oder Octavian, das geschlechtliche Verwirrspiel auch geschätzt hat. (ZB in Alcina: Frau verkleidet sich als Mann, fällt natürlich nicht auf, weil die Männerrollen auch alle von Alt oder Mezzos gesungen werden.)

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  • @ Theophilus


    Ich weiß natürlich nicht, wie die ersten Tenöre mit dem hohen "c" damals geklungen haben und ob die heutigen Tenöre eine bessere Technik haben. Rossinis Gesangsideal waren allerdings die Kastraten, damals bereits eine aussterbende Spezies. Von daher glaube ich eher nicht, dass er die heutigen Tenöre goutiert hätte. Und eine sichere Technik bedeutet noch lange keinen schönen Klang. Ich persönlich kann beispielsweise die Spitzentöne von William Matteuzzi, ja für längere Zeit einer der führenden Rossini-Tenöre- einfach nicht ertragen. Von daher würde sicherlich ein Herunterstimmen des Orchesters einiges helfen - auch den Sängern.



    @ Operus


    Die von Dir beschriebene langatmige und langweilige Don Giovanni-Aufführung kannst du ja wohl nicht den Instrumenten oder Sängern anlasten, sondern allenfalls dem Dirigenten.



    @ Johannes Roehl


    Ob die Kastraten wirklich Kastraten oder gute Falsettisten waren, spielt ja in diesem Zusammenhang keine Rolle. Für heutige Aufführungen zählt ja in erster Linie die Stimme. Wenn die passende Optik hinzukommt, umso besser. Ich könnte mir Max Emanuel Cencic beispielweise gut als Tancredi vorstellen, obwohl die Rolle für Mezzosopran geschrieben wurde, und ich habe vor Jahren bei den Göttinger Händelfestspielen eine Aufführung des "Serse" gesehen, in der Brian Asawa eine Frauenrolle übernommen hatte, ohne das das groß aufgefallen wäre, zumal das ganze in prächtigen Barockkostümen stattfand.


    Aber meine Frage galt ja eigentlich der Art, in der frühromantische Tenorrollen gesungen werde sollten...


    Viele Grüße


    Mme. Cortese

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Meine Frau und ich waren erschreckt, als wir von einem der in diesem Genre bedeutenden Dirgenten eine Aufführung von "Don Giovanni" mit nachgebauten Orignalinstrumenten und laut Programm in korrekter, historischer Wiedergabe erlebten (durchlitten haben). Ungewohnter Klang, Tempo zäh, langatmig, Dauer 20 -30 Minuten länger als gewohnt. Da war Knappertsbusch direkt ein Eilzug dagegen, vor allem konnten die Maestros seiner Zeit trotz pathetischem Ausdruck dramatische Spannung in der Wiedergabe verwirklichen.


    Mein Beileid, lieber Operus!


    Zu gerne würde ich mal einen Don Giovanni unter Knappertsbusch hören. Scheint nur keiner auf Tonträgern überlebt zu haben. Er hat laut Konzertregister diese Oper nur sechsmal (sic!) überhaupt aufgeführt, nicht einmal die Ouvertüre gesondert, und zwar 1926/27 in München an der Bayerischen Staatsoper (3 x) und 1941 bei den Salzburger Festspielen (3 x). Aber wer weiß, alle Jahre taucht irgendwas Neues auf, was es laut den Diskographien gar nicht geben dürfte.


    Beste Grüße
    Joseph
    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Liebe Mme Cortese,


    ich schaffe einfach das Zitieren nicht. Sorry.
    Bei dem sterbens langweiiligen "Don Giovanni" war es selbstverständlich der Dirigent, aber nicht allein. M. E. war es der krampfhafte Versuch, unbedingt etwas Neues zu machen, sprich auf historisch hin zu trimmen und diese misslungene Versuch lähmte und verzerrte dann die ganze Aufführung.
    Ein anderes Beispiel. Gerhard Oppitz spielt zur Zeit die gesamten Schubert Sonaten hinreißend klangschön ein. Schreibt doch ein Kritiker im "Fono Forum": "Oppitz ertränkt Schubert in Wohlklang und seit den Interpretationen auf dem Hammerklavier könne man diese romantisierende Auffassung nicht mehr akzeptieren."
    Wo ist die Berechtigung für ein solches Urteil? Schubert war Romantiker und sein ganzes Schaffen ist dem Gesanglichen verpflichtet. Ich meine man sollte die Kirche im Dorf lassen. Experimente und Versuche mit historisierenden Aufführungen und Aufnahmen sind interessant und haben ihre Berechtigung. Die Zeit und Entwicklung kann man jedoch nicht zurückdrehen, deshalb haben zeitgemäße und historische Interpretationen gleichermaßen ihre Berechtigung.


    Lieber Joseph II.
    Der Don Giovanni, unter Knappertsbusch der meine Frau und mich so beeindruckte, war eine Live-Aufführung an der Bayerischen Staatsoper. Ich glaube nicht, dass es von dieser Repertoire-Aufführung einen Mitschnitt gibt.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • "Oppitz ertränkt Schubert in Wohlklang und seit den Interpretationen auf dem Hammerklavier könne man diese romantisierende Auffassung nicht mehr akzeptieren."


    Wo sind denn die Schubert-Interpretationen auf dem Hammerklavier, denen eine besondere Bedeutung beigemessen werden?




    ich schaffe einfach das Zitieren nicht. Sorry.

    Faule Ausrede! ;)
    Du hast es einfach noch nie ernsthaft versucht (es ist leichter als einen Beitrag von einem Textverarbeitungsprogramm hierher zu kopieren! Das Zitieren ist beim Betrachten des Menüs ohnehin fast selbsterklärend, außerdem gibt es eine gute Beschreibung in der Hilfe-Funktion!).

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • Kastratenrollen werden mit Countertenören besetzt, und an alles das haben wir uns gewöhnt und schätzen es sogar

    Nein, liebe Mme Cortese, daran werde ich mich nie gewöhnen und es auch ganz bestimmt nie schätzen. Ich bin da ganz offen - die Barockoper - so sehr ich sie mag, wird mir durch den Einsatz von Countertenören regelrecht verleidet, und buchstäblich zum Abgewöhnen (bzw. Abschalten, sofern es sich um das Radio handelt) finde ich , dass die sich jetzt schon in Oratorien und Kantaten tummeln. Mir ist nie klar gewesen, wie man gerade Kastraten, denen ja nun alle möglichen und unmöglichen stimmlichen Fähigkeiten nachgesagt werden und wurden, ausgerechnet durch Countertenöre ersetzen will.



    (Ohne genauer über die grausigen medizinischen Details Bescheid zu wissen: In der Forschung ist wohl höchst umstritten, wie viele Knaben kastriert wurden, wieviele das überlebten! (obwohl der Eingriff wohl für seinerzeitige Verhältnisse "minimal invasiv" durchgeführt wurde) und wieviele dann große Sänger wurden. Oder ob es nicht viel mehr nichtkastrierte Falsettisten gegeben hat als vermutet.)

    Hubert Ortkemper beschreibt in seinem Buch "Engel wider Willen. Die Welt der Kastraten" sehr interessant, wie das Leben eines solchen Mannes (?) ausgesehen hat. Ja, es gab auch nichtkastrierte Falsettisten, aber die waren trotzdem eher selten und konnten es mit den Kastraten niemals aufnehmen. Zudem konnte man einen Kastraten auch äußerlich ziemlich genau erkennen, viele waren extrem dickleibig (beispielsweise Senesino), andere sehr groß und wieder andere zwergenhaft. Man kann davon ausgehen, dass sie also nicht nur durch ihren Gesang auffielen.


    Doch zurück zum Thema. Mme Cortese hat sehr richtig bemerkt, dass Rossinis Ideal eher die Kastraten waren - was an seiner Musik ja auch mehr als deutlich wird. Aber ob eine HIP- motivierte Besetzung nun an den Brust-oder Kopftönen scheitern soll, das würde ich doch bezweifeln. Natürlich ist ein Rossini-C kein Verdi-C, aber viel wichtiger für eine größtmögliche Annäherung an den Originalklang fände ich - ebenso wie meine Vorredner - eine Herunterstimmen des Orchesters sowie einen wirklich spezialisierten Rossini-Sänger und keinen lyrischen Tenor, der das mit "im Repertoire" hat, dann aber alle oder sehr viele schwierige Stellen weglässt. Wenn seinerzeit Rockwell Blake "Cessa di più resistere" gesungen hat und man auch noch den Weg der kleinsten Koloratur verfolgen konnte (habe ihn zum Glück live in Hamburg erlebt), dann konnte er wohl kaum "HIPper" sein.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Hier ist eine Aufnahme der "Lucia di Lammermoor" von Donizetti in der Originalfassung von 1835 - gespielt auf "period instruments" von der "Hanover Band" aus London unter Charles Mackerras.



    Als ich die 1997 in der Abbey Road entstandene Aufnahme erstmals hörte, war ich erst mal schockiert - ich dachte, welche ländliche Feuerwehrkapelle spielt denn da?
    Inzwischen habe ich mich an den historischen Klang gewöhnt (die Stimmung ist übrigens a1 = 430 Hz), da mich die Leistungen der Sänger überzeugt haben.

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Inzwischen habe ich mich an den historischen Klang gewöhnt (die Stimmung ist übrigens a1 = 430 Hz), da mich die Leistungen der Sänger überzeugt haben.


    Was mich bei Andrea Rost auch nicht verwundert. Habe sie selber 2009 in der DOB als Lucia gehört und war und bin begeistert.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Nein, liebe Mme Cortese, daran werde ich mich nie gewöhnen und es auch ganz bestimmt nie schätzen. Ich bin da ganz offen - die Barockoper - so sehr ich sie mag, wird mir durch den Einsatz von Countertenören regelrecht verleidet, und buchstäblich zum Abgewöhnen (bzw. Abschalten, sofern es sich um das Radio handelt) finde ich , dass die sich jetzt schon in Oratorien und Kantaten tummeln. Mir ist nie klar gewesen, wie man gerade Kastraten, denen ja nun alle möglichen und unmöglichen stimmlichen Fähigkeiten nachgesagt werden und wurden, ausgerechnet durch Countertenöre ersetzen will.


    Liebe Strana,


    ich weiß ja nicht, ob du immer sofort abschaltest, wenn ein Counter im Radio angesagt wird. Ich möchte jedoch wetten, dass du beim Blindhören, wenn du nicht weißt, wer da singt, bei einigen dieser Herren nicht sofort auf einen männlichen Sänger tippen würdest. Ich denke da zum Beispiel an Max Emanuel Cencic, David Daniels oder auch Philippe Jaroussky, meinetwegen auch den jungen Jochen Kowalski. Ihre Stimmen unterscheiden sich meiner Meinung nach kaum von Frauenstimmen. Allerdings bei Countertenören, die man beim ersten Ton als solche erkennt, neige auch ich oft zum Ausschalten.


    Viele Grüße


    Mme. Cortese

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Na da nenn´mir doch mal einen von den singenden Hungerhaken, der den Ton auf "Sol" so lang und kräftig bis zum Schluß bringt. Da müssen die doch schon zwischendurch erschöpft dreimal nach Luft schnappen.


    Hallo Chrissy, ich übernehme mal dein Zitat in diesen Thread. Erstens haben auch schlankere Sänger diesen Ton mindestens ebenso lange und laut gehalten wie Pavarotti - ich denke da mal beispielsweise an Franco Corelli. Aber sie alle singen nicht im Sinne Verdis. Verdi hat für die Schlussphrase von "Celeste Aida" vorgeschrieben "pp -morendo", was wesentlich schwieriger ist. Viele Tenöre beklagen sich, dass das gar nicht möglich sei, einige wenige schaffen es - einer von ihnen war Carlo Bergonzi. Klar, das Publikum ist an einen Fortissimo-Ton gewöhnt und erwartet ihn auch. Wer so singt wie Verdi es vorgeschrieben hat, muss damit rechnen, ausgebuht zu werden. Auch das ist Carlo Bergonzi einmal passiert. Und Salvatore Licitra wurde mit Pfiffen bedacht, weil er auf Anweisung des Dirigenten das hohe "C" in der Stretta des Manrico auf Anweisung des Dirigenten wegließ, obwohl dieser Ton, der ursprünglich nicht in der Partitur steht, von Verdi nachträglich genehmigt wurde. Da fragt man sich doch, ob man im Zirkus ist. Wie gesagt, den Ton im Pianissimo zu singen, ist wesentlich schwieriger - dumm nur, dass das Publikum das nicht weiß (womit ich dich, lieber Chrissy, ganz gewiss nicht persönlich meine). Und wenn du dennoch die laute Variante bevorzugst - okay, das tun viele, nur ist es eben nicht im Sinne der Partitur. Aus genau diesem Grund habe ich diesen Thread gestartet - warum meint man, dass insbesondere Tenöre alle hohen Töne mit der Bruststimme -ich formuliere das mal etwas provokativ -herausposaunen müssen ?


    Auf Antwort wartet


    Mme. Cortese

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Auf Antwort wartet Mme. Cortese

    Die bekommst Du auch selbstverständlich, liebe Mme. Cortese.



    Aber sie alle singen nicht im Sinne Verdis. Verdi hat für die Schlussphrase von "Celeste Aida" vorgeschrieben "pp-morendo", was wesentlich schwieriger ist.
    dumm nur, dass das Publikum das nicht weiß (womit ich dich, lieber Chrissy, ganz gewiss nicht persönlich meine.

    Ich gebe ehrlich zu, daß auch ich das bis vor einiger Zeit tatsächlich nicht gewußt habe. Der Grund, ich habe es von den vielen Interpreten, die ich mit dieser Arie gehört habe, nie anders gehört. Allerdings seit geraumer Zeit weiß ich es aber, weil mich Freund Herbert aus unserem Forum da schon aufgeklärt und genauso wie Du es sagst, darauf hingewiesen hat.



    Und wenn du dennoch die laute Variante bevorzugst - okay, das tun viele

    Ja, ich bevorzuge die laute Variante aus vielfacher Hörgewohnheit und weil ich es nicht anders kenne und weil es sich einfach gut anhört- vor allem von Pavarotti.



    Wie gesagt, den Ton im Pianissimo zu singen, ist wesentlich schwieriger

    Das ist ohne Zweifel richtig. Nur, das klingt bestimmt nicht so richtig gut und wirkungsvoll.



    warum meint man, dass insbesondere Tenöre alle hohen Töne mit der Bruststimme -ich formuliere das mal etwas provokativ -herausposaunen müssen ?

    Weil hier in der Aida der Radames gewissermaßen ein Held, ein Feldherr ist. Warum sollte er seine Kraft nicht wirkungsvoll demonstrieren und mit Nachdruck Aidas Thron zur Sonne erhöhn?
    Und nun speziell zu Pavarotti. Wir alle wissen wohl, daß er einer der größten Tenöre aller Zeiten war. Und er wußte das ganz sicher auch. Natürlich will er das auch, wie hier als Radames, beweisen. Und das macht er mehr als eindrucksvoll. Bei all´meiner grenzenlosen Verehrung für ihn meine ich aber auch, er war ein äußerst verliebter Selbstdarsteller, der es genoß sich auf seinen hohen und wohlklingenden Tönen zu sonnen, zu schwelgen und sich dann hat berechtigt feiern und bejubeln lassen. Irgendwie paßt das auch zu ihm und mir gefällt es. Als Zuhörer/Zuschauer genieße und sonne ich mich mit ihm, wenn ich das vielleicht mal so beschreiben darf. Aber, es sind ja nicht nur seine hohen, kräftigen und spektakulären Töne, die ihn zum absoluten Weltstar machten. Du kennst seine SF- Boheme. Welch unglaubliches Gefühl, welche Geschmeidigkeit und auch stimmliche Zartheit er in dieser Partie rüberbringt. Hier geht es nicht nur um sein tolles hohes C in der berühmten Arie, hier geht es um die Gesamtheit. Und den Rodolfo, den macht ihm keiner nach (!!!), den hat Puccini für ihn komponiert und die Mimi natürlich für die unvergleichliche Mirella Freni- für mich das Traumpaar der "Boheme"!


    Liebe Mme. Cortese. Ich wünsche Dir eine gute Nacht und sei herzlich gegrüßt von
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Verdi hat für die Schlussphrase von "Celeste Aida" vorgeschrieben "pp -morendo", was wesentlich schwieriger ist. Viele Tenöre beklagen sich, dass das gar nicht möglich sei, einige wenige schaffen es - einer von ihnen war Carlo Bergonzi


    Liebe Mme. Cortese,


    auch mein Lieblingstenoer Helge Rosvaenge hatte die pp-Variante drauf. Ich habe eine Aufnahme mit diesem pp, aber auch eine, mit der er im p beginnt und das Crescendo bis zum ff steigert und dann noch endlos anhält. Mir persönlich jagt letztere Variante Schauer über den Rücken. Hörgewohnheit?


    Herzlich La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Nein, liebe Mme Cortese, daran werde ich mich nie gewöhnen und es auch ganz bestimmt nie schätzen. Ich bin da ganz offen - die Barockoper - so sehr ich sie mag, wird mir durch den Einsatz von Countertenören regelrecht verleidet, und buchstäblich zum Abgewöhnen (bzw. Abschalten, sofern es sich um das Radio handelt) finde ich , dass die sich jetzt schon in Oratorien und Kantaten tummeln. Mir ist nie klar gewesen, wie man gerade Kastraten, denen ja nun alle möglichen und unmöglichen stimmlichen Fähigkeiten nachgesagt werden und wurden, ausgerechnet durch Countertenöre ersetzen will.

    Also von "tummeln" würde ich nun wirklich nicht sprechen, liebe Strano Sognator. Das klingt abwertend. Sie tummeln sich nicht, vielmehr haben diese Künstler durch sehr harte und auch mutige Arbeit das Musikangebot international enorm erweitert. Denke daran, diese Männer wurden auch verlacht und als "weibisch" beschimpft. Du magst diesen Stimmtyp offenbar nicht, eine Erklärung bleibst Du allerdings schuldig. Den Countertenören - angefangen beim alten Deller oder Russel Oberlin bis hin zu Philippe Jaroussky, haben wir eine unglaubliche Repertoireerweiterung zu verdanken. Sie haben uns Musik nahe gebracht, die wir nicht einmal mehr dem Namen nach kannten. Kränze müsste man ihnen flechten.


    Von Ersatz der Kastraten durch Countertenöre kann doch nicht die Rede sein, auch wenn es hier und da entsprechende Besetzungen gibt. Beides hat miteinander nichts zu tun. Man höre sich nur den alten Moreschi an, um den Unterschied festzustellen. Dabei muss man allerdings bedenken, dass diese einzigen Aufnahmen eines Kastraten nur ein blasser Widerschein dessen sind, was diese Sänger klanglich zu bieten hatten. Und Kastraten wird es - zum Glück - hoffentlich nie mehr geben! Für mich war das vor allem ein tragisches Kapitel der Musikgeschichte. Du hast ja auf das Buch "Engel wider Willen" verwiesen, das ich auch mit großem Interesse gelesen haben. Es gibt noch viele andere gute Bücher zum Thema.


    Im Übrigen halte ich es grundsätzlich für einen Irrtum, einen Originalklang anzustreben. Das wird nie gelingen, höchstens ansatzweise. Und da gibt es sehr schöne Sachen. Christina Pluhar, die auch mit Jaroussky wunderbar zusammenarbeitet, schätze ich in diesem Zusammenhang sehr. Ich möchte nicht wissen, wie die Orchester zur Zeit Rossinis und Beethovens geklungen haben. Wir haben da ja nur die Beschreibungen. Niemand will doch im Ernst da wieder hin.


    Beste Grüße von Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Hallo Chrissy, ich übernehme mal dein Zitat in diesen Thread. Erstens haben auch schlankere Sänger diesen Ton mindestens ebenso lange und laut gehalten wie Pavarotti - ich denke da mal beispielsweise an Franco Corelli. Aber sie alle singen nicht im Sinne Verdis.

    Da muss ich dich leider korrigieren, liebe Mme Cortese. Von Corelli gibt es sogar eine Studioaufnahme, in der er diesen Ton vorschriftsmäßig abschwellen lässt. Es ist auch bekannt, dass er in mehreren Aufführungen dies so gesungen hat.



    Du magst diesen Stimmtyp offenbar nicht, eine Erklärung bleibst Du allerdings schuldig.

    Nein, ich mag diesen Stimmtyp ganz und gar nicht. Das ist eine Geschmacksfrage, allerdings, und Geschmäcker muss man nicht erklären. Mein eigentliches Problem ist vielmehr, wie ich schon sagte, dass diese Sänger den barocken Bereich fast flächendeckend beherrschen und somit gute Altistinnen nahezu völlig verdrängen. Und ich bleibe dabei: ein Countertenor kann nichts, was eine gut ausgebildete und spezialisierte Altistin nicht auch könnte. Daher sehe ich absolut keinen Grund für die inflationäre Beschäftigung dieser Stimmgattung.



    Zitat

    Von Ersatz der Kastraten durch Countertenöre kann doch nicht die Rede sein, auch wenn es hier und da entsprechende Besetzungen gibt. Beides hat miteinander nichts zu tun.

    Hat es auch nicht. Wird aber trotzdem so gehandhabt. Das ist auch mein Kritikpunkt.



    Zitat

    Im Übrigen halte ich es grundsätzlich für einen Irrtum, einen Originalklang anzustreben. Das wird nie gelingen, höchstens ansatzweise.

    Das sehe ich genauso.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

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  • Mein eigentliches Problem ist vielmehr, wie ich schon sagte, dass diese Sänger den barocken Bereich fast flächendeckend beherrschen und somit gute Altistinnen nahezu völlig verdrängen.


    Das klingt es fast so, als gäbe es da die Counter-Mafia. ;) Doch nun im Ernst: Woran lässt sich das erkennen? Fast flächendeckend! Das ist eine enorme Größenordnung. Ich sehe das nicht. Da nimmt doch niemand niemanden die Rollen weg? Ich kenne nicht eine einzige gute Altistin, die durch einen Countertenor verdrängt worden wäre. Es gibt ganz hervorragende Altistinnen. Counter sind doch eine Bereicherung, eine Erweiterung des Spektrums und keine Einengung. Barockoper haben doch eine Renaissance wie nie zuvor. Wer soll das alles singen? Vielleicht ist es auch für andere Taminos in diesem Thread interessant, auf welchen Quellen und Beobachtungen Deine Feststellungen beruhen? Ich bin an entsprechenden Informationen sehr interessiert und freue moich darauf.


    Sicher kommt es vor, dass ein Dirigent eine Sängerin durch einen Countertenor ersetzt. Wenn die dann enttäuscht und nicht sonderlich gut auf den Ersatz zu sprechen ist, kann ich das nachvollziehen. Eine Erklärung ist es nicht.


    Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Es gibt auch nicht dutzendweise virtuose Altistinnen vom Schlage Podles oder Mingardo. Ich habe (außer der Counter-freien Dido&Aeneas) noch keine Barockoper auf der Bühne gesehen. Aber wenn ich mal so meine CDs mit Händel-Opern überfliege, haben die meisten davon den primo huomo mit einer Frau besetzt. Z.B. Rinaldo und Cäsar unter Jacobs, Amadigi, Teseo und Ariodante unter Minkowski, Orlando und Alcina unter Christie, Alcina unter Hickox... Die zweite Kastratenpartie oder Nebenrollen sind häufiger mit einem männlichen Sänger besetzt, aber auch nicht immer.
    Ich sehe bei Falsettisten ein gewisses Dilemma: Wenn sie Frauen wirklich zum Verwechseln ähnlich klingen, verlieren sie m.E. einen Teil der fremdartigen Faszination. Aber die, die nicht so klingen, klingen meistens unangenehm... Außerdem klingen die mit den schönsten Stimmen für mich oft nicht sehr ausdrucksstarkt und die Ausdrucksstärkeren (zB Lesne, Jacobs) klingen nicht besonders schön.

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    (Bob Dylan)

  • Im Übrigen halte ich es grundsätzlich für einen Irrtum, einen Originalklang anzustreben. Das wird nie gelingen, höchstens ansatzweise


    Ich habe ja auch nur gefragt, warum , wenn man im Instrumentalen versucht, dem Originalklang nahezukommen, das nicht auch für die sängerische Umsetzung gelten soll (s. meine Bemerkungen zu Tenorrollen in der frühromantischen Oper). Eine Antwort darauf steht noch aus.


    Liebe Grüße


    Mme. Cortese

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Liebe Mme. Cortese, Dein schöner Thread verdient es wohl, wieder auf den Ausgangspunkt zu kommen. Dein Beispiel Alain Vanzo ist sehr treffend. Er war für mich immer vor allem die Inkarnation französischen Operngesangsstils, der sich durch die Globalisierung auch verloren hat und später in die Provinz verbannt war als zum Beispiel die Norman und andere Amerikaner an der Pariser Oper reüssierten. Als mein Beispiel für das, was Dich bewegt, nämlich der Originalklang in der Oper, möchte ich Iwan Koslowski (1900-1993) nennen. Den Jahren nach hätte er Vanzos Vater sein können, ist also eine Generation früher. Koslowski ist nie herausgekommen aus der einstigen Sowjetunion, er sang ausschließlich hinter dem eisernen Vorhang und konservierte sich dort selbst. Und meine Überzeugung ist, dass sich bei ihm ein Stil erhalten hat, der tief im 19. Jahrhundert verwurzelt ist. So könnte es zur Zeit von Bellini geklungen haben. Auch eine Ähnlichkeit zu Vanzo höre ich, der im Gegensatz zu dem gut ausgebildeten Russen Autodidakt gewesen ist. Koslowski hat unglaublich viele Aufnahmen hinterlassen, wobei es mich nicht einmal stört, dass er nur russisch singt. Diese Dokumente sind vorzügliche Studienobjekte. Ich höre sie sehr gern. Nach meiner Überzeugung sterben Gesangsstile auch aus, weil sich die Bedingungen entscheidend verändert haben: Ausbildung, Lehrer, Globalisierung, das Verlassen der Muttersprache, die Verhältnisse an den Opernhäusern, das Publikum, die gesellschaftlichen und sozialen Umstände. Historische Instrumente kann man nachbauen oder restaurieren, so sie sich erhalten haben - menschliche Stimme leider nicht. Deshalb halte ich es - kurz gesagt - für einen Irrtum Originalklang anzustreben, der nicht gelingen kann.


    Liebe Grüße für Dich von Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rheingold,


    selbstverständlich kenne ich auch Iwan Koslowski uns schätze seine Aufnahmen sehr. Und selbstverständlich kann man menschliche Stimmen nicht reproduzieren. Weshalb allerdings ein Gesangsstil auf ewig verschwunden sein sollte, erschließt sich mir nicht so ganz. Bei der Barockoper ist es doch auch weitgehend gelungen, ihn einigermaßen wiederherzustellen. Opernaufnahmen beispielsweise aus den 50er oder 60er Jahren von Händel empfinden wir heute als kurios bis unsäglich - ein Bariton als Cesare und da-capo-Arien als pures da- capo, also ohne Verzierungen und damit todlangweilig. Und das alles besserte sich trotz der von dir genannten Bedingungen. Warum also sollte es bei den Opern von Rossini und der Frühromantik nicht möglich sein? Nur weil das Publikum beispielsweise die voix mixte bei hohen Tönen nicht tolerieren kann? Sicher, für die vielen Liebhaber geschmetterter und endlos gehaltener hohen "c"s ein Alptraum. Von denen haben wir ja auch einige im Forum. Also heraus mit eurer Meinung! Ist euch ein geschmetterter Spitzenton wirklich wichtiger als eine Wiedergabe im Sinne des Komponisten?


    Viele Grüße


    Mme. Cortese

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Also heraus mit eurer Meinung! Ist euch ein geschmetterter Spitzenton wirklich wichtiger als eine Wiedergabe im Sinne des Komponisten?

    Wenn dieser "geschmetterte Spitzenton" im Sinne des Komponisten ist, warum nicht? Wenn nicht, beurteile ich die Leistung nicht nach einem bestimmten Ton, der auf eine bestimmte Art gesungen oder nicht gesungen wird, sondern nach der stilistischen Gesamtleistung. Da du ganz zu Anfang Florez erwähnt hast - von mir aus würde ich auf seine fantastischen hohen Töne hinsichtlich seiner Gesamtleistung und den lupenreinen Koloraturen auch verzichten können bzw sie auch als voix mixte akzeptieren. Das ist nun einmal aber nicht so, aber es hält mich nicht davon ab, mich für diesen Sänger zu begeistern. Als Rockwell Blake in Rente ging, dachte ich, dass so ein absoluter Spezialist so schnell nicht wieder auf den Bühnen der Welt erscheinen würde. Gottseidank habe ich mich geirrt!

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Das klingt es fast so, als gäbe es da die Counter-Mafia. ;) Doch nun im Ernst: Woran lässt sich das erkennen? Fast flächendeckend! Das ist eine enorme Größenordnung. Ich sehe das nicht.

    Vielleicht auch deshalb, weil du Countertenöre magst. Jemandem wie mir, der sie eben nicht mag, fällt das eher störend auf.



    Zitat

    Da nimmt doch niemand niemanden die Rollen weg? Ich kenne nicht eine einzige gute Altistin, die durch einen Countertenor verdrängt worden wäre. Es gibt ganz hervorragende Altistinnen. Counter sind doch eine Bereicherung, eine Erweiterung des Spektrums und keine Einengung. Barockoper haben doch eine Renaissance wie nie zuvor. Wer soll das alles singen? Vielleicht ist es auch für andere Taminos in diesem Thread interessant, auf welchen Quellen und Beobachtungen Deine Feststellungen beruhen? Ich bin an entsprechenden Informationen sehr interessiert und freue mich darauf.

    Also - ich führe keine Statistik und auch kein Tagebuch über die Häufigkeit, in der ich auf Countertenöre treffe. Aber ich leide auch nicht an Wahrnehmungsstörungen und habe, seitdem ich mich mit klassischer Musik und gerade auch mit der Barockoper beschäftige - und das ist keine kurze Zeit - festgestellt, dass in den letzten Jahren bei Liveaufführungen von Oratorien und Kantaten Countertenöre immer mehr zum Einsatz kommen. Und da frage ich mich, was das für einen Sinn haben soll, wenn "Schlafe mein Liebster" von einem Counter gesungen wird? Das ist ein ziemlich rezentes Beispiel aus der vergangenen Weihnachtszeit, als ein solches WO übertragen wurde. Den Sender weiß ich nicht mehr.
    In der Oper kann ich mir den Einsatz dieser Sänger damit erklären, dass man auch eine optische Variante zu der ansonsten ja fast nur aus Frauen bestehenden Besetzung anbieten möchte. Einverstanden. In Oratorien und ganz besonders auf Tonträgern sind sie für mich aber absolut entbehrlich.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Ja, ich liebe Countertenöre sehr, die es besonders schwer haben. Das hast Du sehr richtig erkannt, Strano Sognator. Ich liebe aber auch Soprane, Altistinnen, Tenöre, Baritone und Bässe. Ich liebe die Dietrich, die Streisand, die Faithfull, die Lenya.


    Den Alt im "Weihnachtsoratorium" würde ich immer mit einer Frau besetzen. Das geht gar nicht anders. Ich führe auch keine Statistiken, sehe aber, dass nie so viel vokale Barockmusik aufgeführt und eingespielt wird wie heute. Auch das Fernsehen ist voll damit. Das will alles auch besetzt sein. Im Übrigen solltest Du Dich mit bestimmten Dirigenten auseinandersetzen, die vornehmlich mit Countertenören arbeiten.


    Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich führe auch keine Statistiken, sehe aber, dass nie so viel vokale Barockmusik aufgeführt und eingespielt wird wie heute.


    Und das ist auch sehr begrüßenswert. Trotzdem meine ich, dass die Zahl der Altistinnen und Mezzos sehr viel größer ist als die der Countertenöre. Und solange es eine gute, aber arbeitslose Altistin gibt, muss kein Countertenor besetzt werden, es sei denn aus den von mir vorhin genannten Gründen in der Oper. Wenn du diese Stimmgattung liebst, sei dir das unbenommen! Ich werde das nicht tun, und wenn es im Studium nicht geklappt hat, in dem alles versucht wurde, um mir bzw. meinen Kommilitonen Countertenöre schmackhaft zu machen, dann wird das jetzt erst recht nicht funktionieren. Ich denke, dass kann man doch akzeptieren, oder?

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Der Alt im WO wurde freilich (im Gegensatz zu den Kastratenpartien) seinerzeit ziemlich sicher tatsächlich von einem männlichen Altus gesungen. Hier hätte man also ein Argument aufgrund historischer Richtigkeit, das bei den Opernpartien nicht unbedingt gegeben ist.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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