Der Froschkönig - oder wie wandelt sich ungeliebte Musik in eine (G)geliebte?

  • Angeregt durch Felix Meritis im Dvorak Thread, der so eine Verwandlung bei Dvorak beschreibt, starte ich diesen Thread. :)


    Mir erging es so mit den Chopin-Variationen von Rachmaninow. Anders als die wunderbaren Corelli-Variationen ("Liebe auf den ersten Blick") fand ich diese Komposition nach dem ersten Hören nicht so berauschend und habe mich nie mehr mit ihr beschäftigt. Sie blieb einfach "links liegen". Das änderte sich kürzlich, als ich Ashkenazys vorzügliche Aufnahme hörte. Ich habe das Werk quasi neu "entdeckt" und gemerkt, daß ich es einfach anders hören muß. Ashkenazy verleitet mich zum Wiederhören. Jetzt fasziniert mich dieser "Brocken" von Variationswerk!



    Beste Grüße
    Holger

  • Dazu gibt es verschieden Möglichkeiten einer Erklärung.
    EINE davon wäre - und ich führe hier hier gern ein Beispiel an.
    Es war 1968, als ich (über Beziehungen) der Premiere von Kubricks "2001: Odyssee im Weltraum" beiwohnen durfte. Ich war damals 18 und meine Klassik- Plattensammlung umfasste damals etwa 60 Stück.
    Bekanntlich benutzt der Film den Beginn Von "Also sprach Zahrathustra" von Richard Strauß.
    Dieser Komponist stand damals nicht auf meinem Programm, da "zu modern"
    Dennoch- die Faszination war groß. So erwarb ich eine Aufnahme auf LP, und zwar in spektakulärer "DECCA PHASE 4" Tontechnik.
    Meine Erwartungen waren groß - und ebenso meine Enttäuschung.
    Dabei wäre alles voraussehbar gewesen, wenn ich meinen Verstand statt meines Gefühls hätte sprechen lassen:
    Selbstverständlich wurde die effektvollste Stelle im Film verwendet, und es musste mir klar sein, daß Richard Strauss nun eben nicht mein Lieblingskomponist war.
    Als ich diese Erkenntnis verdaut hatte, wanderte die Aufnahme für die nächsten Jahre ungehört in den Plattenschrank.
    Jahre später - die CD war inzwischen geboren - wollte ich einen weiteren Versuch starten. Ich erwarb die Digitalaufnahme des Werkes unter Herbert von Karajan. Auch diese Einspielung überzeugte mich nicht. Kein Wunder - es musste am Komponisten und seinem Werk liegen...


    Irgendwann in den späten neunzigern - oder war es schon nach 2000? hörte ich dann durch Zufall die Aufnahme mit der Staatskapelle Dresden unter Kempe (1973) Sie war (für mich) eine Offenbarung und öffnete mir den Zugang zu dem Werk. Ein Vergleich mit der Karajanaufnahme und sogar einer unter Karl Böhm (Strauss-Spezialist und einer meiner Lieblingsdirigenten) bestätigte den Ausnahmerang der Kempe-Einspielung: Diese Ausnahmerang ist inzwischen auch dem EMI Management klargeworden: Einst bereits in die Nipper-Budgetserie abgeschoben, hat man sie wieder ins Midprice Segment zurückgeholt. Sie ist aber auf jeden Fall ihr Geld wert....

    Es gibt aber auch andere Möglichkeiten, wo sich ein ungeliebtes Werk plötzlich in ein geliebtes verwandelt -
    Über diese Fälle werde ich in den nächsten Tagen berichten....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Bei mir ist es immer wieder eine fast todsichere Methode, wenn ich ein Stück live höre. Es ist ganz selten, dass ich mich dann verschließen kann. Anschließend kann ich es dann auch als Konserve genießen. Das funktioniert bei Symphonien genau so wie mit Opern. Einmal auf der Bühne gesehen, dann mag ich es.
    Nur bei ganz modernen Sachen hilft diese Technik dann auch nicht mehr.


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Über die Jahre zunehmende Hörerfahrung spielt für die Beantwortung der oben eingeführten Fragestellung sicher auch eine Rolle. Vor zwanzig Jahren (damals auch 20 Jahre alt) konnte ich zum Beispiel mit Schostakowitschs Musik trotz diverser Hörversuche von CD's und zufälligen Konzerterlebnissen einfach nichts anfangen. Sie sprach mich nicht an, war mir fremd.
    Heute liebe ich sie sehr. Es kam im Laufe der Jahre, in denen ich mich durchgehend mit klassischer Musik befasst habe. Auf einmal war ich soweit, dass meine Ohren sozusagen geöffnet waren, um diese Musik aufnehmen und verstehen zu können.


    Grüße,
    Garaguly

  • Auch ich muss sagen, dass ich aufgrund der Hörgewohnheiten in jüngeren Jahren mit machen Komponisten nichts anfangen konnte. Damals hörte ich überwiegend Opern, konnte mich aber z.B. für die von Richard Strauss, ja sogar von Puccini, der heute zu meine Lieblingskomponisten gehört, nicht anfreunden. Das ergab sich erst später sowohl durch Aufführungen, die ich gesehen habe als auch durch das dadurch wachsende Interesse, immer mehr Musik aller Arten kennen zu lernen. Nur zu den schon im Thema "Vorlieben-Abneigungen" genannten "Musik"arten und zum "Sacre du printemps", beim letzteren auch durch zweimal erlebte Aufführungen und durch Hören auf CD, habe ich die Abneigung nicht verlieren können.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Mir geht es ähnlich wie Garaguly und Gerhard. Der Einstieg in klassische Musik war bei mir durchaus auf melodiöse Stücke konzentriert, und das war eben besonders Verdi und sogar Operette. Durch den Besuch von Opern und auch Konzerten wurde ich dann konfrontiert mit Puccini, Wagner (von dem mir anfangs nur der Holländer und Lohengrin gefiel) und Strauß (der mir gar nichts gab).


    Im Jugendkonzertanrecht - das gab es in den 60-er Jahren in der DDR - wurden wir im Konzert mit den Ohrwürmern verwöhnt wie Les Preludes, Capriccio italien, Tell-Ouvertüre, LÁrlesienne-Suiten, Peer Gynt, B-Moll-Klavierkonzert. Mozarts Nachtmusik, die Nacht auf dem kahlen Berge kam uva. Und da hat mir einiges gefallen. Aber gar nichts konnte ich dann in Konzerten für "Erwachsene" anfangen mit Mahler, Bruckner, Strauß.


    MIt der Zeit war aber nur Verdi nicht ausreichend für mich, und die Ohrwürmer im Konzert wurden vorsichtig erweitert. Wesentlich dazu beigetragen hat das Radio, ab 1974 auch mein erster Plattenspieler. Nach und nach fand ich Gefallen an anderer Musik, eben auch an Mahler, seit meiner ersten Alpensinfonie 1993 auch an Strauß, seit etwa 10 Jahren an Bruckner, und jetzt auch Schostakowitsch und Strawinski.


    Es war bei mir ein kontinuierlicher Prozeß, auch beeinflußt durch meine Frau, deren Lieblingskomponisten eben Verdi, Puccini und Leoncavallo waren. Jetzt schwärmen wir immer noch für Boheme, Bajazzo und Traviata, aber genauso für Bruckners 4.,Mahlers 8. oder Don Quichotte. Und wir beschäftigen uns intensiv mit Künstlerbiographien, was ungemein zum Musikverständnis beigetragen hat.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Was bei mir natürlich auch eine große rolle spielt sind Empfehlungen, - auch hier bei Tamino. Das heißt, ich höre ein Stück und es sagt mir nichts. Wenn mir dann aber jemand sag:"Achte doch mal auf....", dann kann sich das sehr dramatisch ändern. Einfachstes, drastischstes Beispiel und das, was mich überhaupt in die Welt der Symphonie eingeführt hat: Der Hinweis auf Bruder Jakob bei Mahlers 1.
    Man braucht das, was man bei uns "Packan" nennt. Jedenfalls ich. Auch ein vorgesummtes Thema kann so etwas bei mir bewirken. Grundsätzlich also:Information.

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • In Beitrag 2 habe ich EINE Möglichkeit erwähnt, wie sich ein ungeliebtes Werk in ein geliebtes verwandeln kann. Nun eine 2. Variante - sie ist mir selbst passiert. Mitte der achtziger Jahre kaufte ich - aus welchen Gründen auch immer - eine Aufnahme mit Schostakowitsch 1. und 9. Sinfonie. Sie wanderte nach kurzem Hineinhören mehr oder weniger jungfräulich ins Archiv. Etwa zehn Jahre Später wollte ich noch einen zweiten Versuch wagen.
    Ich legte die CD in den Player....
    "Verdammt - ich habe die CD vertauscht, es ist was anderes in der Hülle gewesen "
    Eine Kontrolle am CD-Label ergab, daß dies ein Trugschluss war. ES war die erste Sinfonie von Schostakowitsch - aber sie klang plötzlich vertraut und nicht mehr fremd - dabei hatte ich sie seit mindestends 10 Jahren nicht mehr gehört - und auch vorher nur EIN mal....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich legte die CD in den Player....
    "Verdammt - ich habe die CD vertauscht, es ist was anderes in der Hülle gewesen "
    Eine Kontrolle am CD-Label ergab, daß dies ein Trugschluss war. ES war die erste Sinfonie von Schostakowitsch - aber sie klang plötzlich vertraut und nicht mehr fremd - dabei hatte ich sie seit mindestends 10 Jahren nicht mehr gehört - und auch vorher nur EIN mal....

    Lieber Alfred,


    wie passiert so etwas? Wir entwickeln uns wohl ständig weiter ohne es zu merken - und dann ist plötzlich eine Kluft nicht mehr da, die vorher existierte!? :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ich habe kein einzelnes durchschlagendes Beispiel und vielleicht zu viele, bei denen einfach wiederholtes Hören, mitunter auch mit Jahren dazwischen, den Effekt allmählich bewirkt hat. Es ist kaum zu bestreiten, dass man normalerweise desto offener wird, je mehr unterschiedliche Musik man schon kennt. Das zwanglose Erweitern des Horizontes erweitert ihn also gleich für die Stücke ein wenig mit, bei denen man sich etwas zwingen musste.
    Ein paar Beispiele, an die ich mich einigermaßen erinnere:


    - Chopin: Ein paar bekannte Stücke habe ich auf einer best-of-CD schon als ziemlicher Anfänger mit ca. 16 kennengelernt und ich besaß irgendwann auch noch eine CD mit den Preludes und einigen Füllern (Argerich), die mir zwar durchaus gefallen, mich aber noch nicht so recht dazu bewogen hat, weitere Werke dieses Komponisten anzuhören. Die CD, die mich dann komplett begeistert hat, war Sokolov mit der 2. Sonate und den Etudes op.25. Da hörte ich vermutlich schon beinahe 10 Jahre Klassik. Es hat sich zwar danach immer noch etwas hingezogen, bis ich mit den meisten Werken gut vertraut war und sie regelmäßig gehört habe, aber von dieser Begegnung an war ich mir sicher, dass das kein "Salonkomponist" ist.


    - Messiah: Das Werk habe ich im Konzert mit 18 gehört (ein Schulkamerad spielte Continuo); da ist nicht so viel hängengeblieben. Etwa 5 Jahre später kaufte ich mir C. Davis Einspielung aus den 1960ern und war eher enttäuscht. Gezündet hat es erst im Vorfeld (oder gar nach) einer weiteren Live-Aufführung (diesmal mit persönlichen Bekannten im Chor) nochmal knapp zwei Jahre später. Seitdem ist das Stück für mich beinahe eine Kette von Ohrwürmern.


    - Bachs Klavierwerke: Habe ich ohnehin erst nach ein paar Jahren Klassikhörens kennengelernt, fand das eher langweilig, konnte keine Motive und Melodien erkennen und behalten (gleichförmige Ketten von 16teln). Hier war vielleicht entscheidend, dass ich einige Asuzüge (Tanzsätze aus Suiten, aber auch einige Präludien) selbst gespielt habe (NB in Bearbeitungen für zwei Klarinetten...)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Bei mir gibt es in dieser Rubrik nur einen Kandidaten: Beethovens Op. 127. Als ich vor langer Zeit die Beethoven-Streichquartette kenennlernte, war ich hingerissen von den Werken aus der mittleren Periode und legte mir kurz danach erwartungsvoll eine Einspielung der späten Quartette zu (Quartetto italiano). Das erste Quartett, das ich hörte war Op. 127 - ich war restlos empört! Vielleicht war meine Abneigung deshalb so stark, weil ich es als erstes aus dieser Gruppe hörte. Jedenfalls sollte dieses Quartett für mich sehr lange Zeit das hässliche Entlein unter Beethovens Streichquartetten bleiben. Bis ich es mir letztes Jahr wieder einmal auflegte (gespielt vom Artemis-Quartett) - ich war restlos begeistert. Tatsächlich ist Op. 127 zur Zeit mein liebstes Beethoven-Streichquartett.

  • Zitat

    Ich habe kein durchschlagendes Beispiel und vielleicht zu viele, bei denen einfach wiederholtes Hören, mitunter auch mit Jahren dazwischen, den Effekt allmählich bewirkt hat.


    Genau DAS ist mein Rezept Nr. 3: ÖFTER HÖREN !
    Ich kam durch einen Zufall darauf. Nicht nur zeitgenössische Stücke stossen mich beim Ersthören regelrecht ab, sondern ich kann sehr oft (aber durchaus nicht immer) mit Werken von mir unbekannten Komponisten wenig bis nichts anfangen. Entweder sie gehen mir "am Ohr vorbei" und sind am nächsten Tag bereits aus meinem Gedächtnis gelöscht, oder ich empfinde sie schin beim Ersthören als "langweilig" oder "sperrig" . Als ich erstmals RAFF hörte, erging es mir so, bei der 5. Sinfonie von Ries habe ich andauernd lachen müssen, wie er das Original (Beethovens 5.) zwar nicht zitierte, aber es immer wieder ins Gedächtnis rief...
    HEUTE gehören beide Komponisten zu meinen Lieblingen......
    Ich hatte mich irgendwie dazu gebracht einige Schlüsselwerke mehrfach in Folge zu hören.


    Anmerkung: Das Erlebnis von Felix ist vom Prinzip her deckungsgleich mit meinem, welches ich in Beitrag 8 dieses Threads ansprach.....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !