Felix Mendelssohn - Streichquintett Nr. 1, Op. 18

  • In der Mendelssohnschen Kammermusik gibt es noch viele Schätze, die es für eine breitere Öffentlichkeit zu entdecken gäbe. An erster Stelle wären hier Mendelssohns Streichquintette zu nennen, die nicht nur in den dunkelsten Zeiten der Mendelssohnignoranz ein Nischendasein fristeten, sondern auch noch heutzutage, d.h. zu einer Zeit in der Mendelssohns Streichquartette, Klaviertrios und Cellosonaten praktisch im Akkord aufgenommen werden. Verständlich ist mir das nicht ganz, haben doch die beiden Qunitette alle Vorzüge des Mendelssohnschen Stils: sie sind melodisch, kontrapunktisch dicht gearbeitet und strahlen die typische Mendelssohnsche Lebensfreude aus. Dieser Thread wird dem ersten Streichquintett Mendelssohns gewidmet sein, seinem Opus 18, das in wesentlichen Teilen in 1826 entstand, also zeitlich genau zwischen dem Streichoktett Op. 20 und dem a-Moll Streichquartett Op. 13 - beide ungleich berühmter als Op. 18. Das Adagio wurde erst 1832 in Gedenken an seinen kürzlich zuvor verstorbenen Freund Julius Rietz geschrieben und statt einem Menuettsatz, von dem noch die Rede sein wird, an die zweite Stelle in der Satzfolge gesetzt. Mir persönlich hat dieses Quintett immer schon besser gefallen als das Streichoktett, denn es ist einerseits intimer, vermittelt aber noch intensiver jene (Natur-)Romantik, die so charakteristisch für Mendelssohns Frühphase ist. Gerade im ersten Satz und dem Adagio gibt es herrliche Stellen, die an das "Raunen der Natur" denken lassen. Der Kopfsatz ist einer der längsten Sätze Mendelssohns und recht untypischerweise rhytmisch entspannt. Dennoch wirkt in der Durchführung die typisch Mendelssohnsche kontrapunktische Verdichtung sehr dramatisch. Der langsame Satz, obwohl in Andenken an seinen verstorbenen Freund geschrieben, hat nichts von einem Trauerstück, sondern ist viel mehr eine mystische Naturschilderung - einer der wunderbarsten langsamen Sätze Mendelssohns! Das Scherzo ist eine Mischung aus Elfenmusik und Bachschem Kontrapunkt. Meinem Empfinden nach ist dieser Satz dem Scherzo des Oktetts durchaus ebenbürtig. Der Finalsatz ist ein typisch Mendelssohnscher fugierter Kehraussatz aber im Gegensatz zu einigen seiner Finalsätze aus seiner mittleren Periode nicht zu lang sondern genau richig proportioniert. Dieses Werk hat keine schwachen Stellen.


    Aufnahmen:



    Die meine Meinung nach beste Aufnahme dieses Werk ist die Einspielung vom Mannheimer Streichquartett mit Jone Kaliunaite, erschienen bei CPO.


    Diese Interpreten schaffen es auf vorbildlichste Weise, die Komplexität des Stücks mit Luftigkeit zu verbinden. Genau das ist das Ideal bei Mendelssohn!



    Ebenfalls hervorragend ist diese Einspielung:




    Weniger empfehlenswert wegen der Interpretation sondern wegen der Ersteinspielung (?) des von Mendelssohns gestrichenen Menuettsatzes ist diese Einspielung:


    Das Menuett ist herrlich streng gearbeitet - eine Mischung aus Boccherini und Mozart. Der Ausdruck ist unversöhnlich. Weshalb es Mendelssohn für dieses Quintett geschrieben hat, ist mir unverständlich, aber sehr hörenswert ist dieses Menuett allemal.

  • Mir fehlt leider (noch) der Vergleich, aber dennoch möchte ich eine weitere Aufnahme ins Rennen werfen:

    Es ist schwierig zu urteilen, wenn man durch eine gewisse Aufnahme geprägt ist.
    Die Klangbeispile bei jpc sind durch klicken auf das Coverbild erreichbar, aber falsch beschriftet. Es handelt sich bei op.18 selbstvertändlich um das StreichQUINTETT Nr1 - und nicht wie fälschlich angegeben um das Streichqartett mit der selben Nummer...
    Felix Meritis danke ich unter anderem für den Hinweis auf die Naxos-Aufnahme mit dem originalen Menuett...
    Vielleicht noch ein kleiner Hinweis: Das Werk gewinnt bei oftmaligem Hören an Reit - zumindest mir ist es so ergangen.

    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,


    Du weist auf diese Aufnahme zurecht hin! Diese Doppel-CD von Virgin Records war übrigens eine meiner allerersten Mendelssohnanschaffungen - noch damals in 2001. Bezugnehmend auf Deinen Beitrag in "Was höre ich gerade" möchte ich anmerken, dass ich die CDs damals bei Gramola am Graben kaufte. Dort war das Set auch noch einige Jahre hindurch verfügbar (ich war damals sehr, sehr oft in diesem Geschäft und habe nach Neuigkeiten Ausschau gehalten). Das Problem, das ich mit der Op. 18 Aufnahme auf dieser CD habe ist, dass der Klang etwas flach ist. Das macht sich gegenüber den von mir empfohlenen Aufnahmen unangenehm bemerkbar. Allerdings wurde diese Aufnahme noch einmal aufgelegt - bei EMI:



    Und zwar wurde das Stück jetzt digital remastered, was einen riesigen Unterschied macht. Deshalb hatte ich mir auch überlegt, ob ich die Hausmusik-Aufnahme empfehlen soll, habe mich aber dann dagegen entschieden, weil sie in einer 5CD-Box (eben der gezeigten) inkludiert ist. Diese Box - jetzt zum Spottpreis von 12 Euro erhältlich - ist allerdings in ihrer Gesamtheit wärmstens zu empfehlen.

  • Danke für den Tipp, Felix, ich habe das Quintett erst jetzt kennen gelernt - gefällt mir ausgezeichnet! Da ist wie bei den beiden frühen Quartetten auch diese Lust an Chromatik und dissonanten Reibungen und vor allem am Fugenschreiben, aber trotzdem klingt das alles eingängig und melodisch - ich kann verstehen, dass Mendelssohn seine Mittel später etwas dosierter einsetzt - er muss später ja niemandem mehr beweisen, was er alles kann -, aber ich finde diese frühe Kammermusik für Streicher großartig!


    Das zweite Quintett finde ich übrigens auch sehr hörenswert, vor allem den langsamen Satz, der eine Hommage an Schuberts D887 zu sein scheint mit seinen bohrenden Tonrepetitionen im Cello und den Tremoli, auch dem Charakter des Hauptthemas nach.


    Viele Grüße
    Frank

  • Ich kenne nur die Aufnahme von "Hausmusik" in der gezeigten Doppel-CD. Mir gefällt das Werk auch gut, aber ich halte es doch für erheblich weniger originell als das Oktett oder die Quartette op.12+13. Ich finde den Ton noch nicht so unverwechselbar und manchmal scheint mir noch zu sehr der Kontrapunkt-Musterschüler durch. Ich müsste jetzt nochmal nachhören, aber man vergleiche diese Passagen in Überleitungen/Schlussgruppe? des Kopfsatzes mit dem fugato-Einsatz im Finales des Oktetts. Beim Oktett ist von Gelehrsamkeit nichts zu spüren, die Technik ist Mittel zum Zweck. Bei einigen Passagen des Quintetts bin ich mir da nicht so ganz sicher...


    Gewiss ist dennoch kaum gerechtfertigt, dass man diesen Quintetten (ich fand beim Wiederhören vor einigen Wochen das 2. auch eher noch überzeugender) kaum je begegnet, was freilich wohl auch ein Problem dieser Besetzung ist. Selbst von Mozarts Quintetten scheint mir nur das g-moll so richtig bekannt zu sein und auch die von Brahms sind nicht gerade Dauerbrenner. Beethovens ist nahezu obskur, was bei einem gültigen Werk dieses Komponisten sehr seltsam ist. (Beethovens Quintett mag kein herausragendes Werk sein, aber doch besser als das zumindest auf Tonträgern weit besser vertretene Bläserquintett u.ä.)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Es freut mich sehr, dass meine Besprechung Mendelssohns Op. 18 hier auf so fruchtbaren Boden fällt! Das zweite Quintett werde ich selbstverständlich auch noch eines eigenen Threads würdigen - allerdings erst, wenn ich endlich Zeit gefunden habe, einiges über Beethovens Klaviertrios zu schreiben.


    Mir gefällt das zweite Quintett auch einen Tick besser, wobei ich Frank vollkommen recht gebe, wenn er im Adagio Schubertnähe vermutet. Das ist sehr ohrenfällig, was mich nur wundert, ist, wie Mendelssohn Schuberts Kammermusik außer den Klaviertrios kennengelernt haben könnte. Die Streichquartette wurden meines Wissens erst nach Mendelssohns Tod veröffentlicht.


    Bezüglich des Akademischen, das Johannes bei Op. 18 raushört: das kann man schon so sehen, wobei ich das auch im Oktett verorten würde. Der Schlussatz ist meiner Meinung nach doch schon sehr "gelehrt" (natürlich trotzdem wirkungsvoll).....

  • Selbst von Mozarts Quintetten scheint mir nur das g-moll so richtig bekannt zu sein und auch die von Brahms sind nicht gerade Dauerbrenner. Beethovens ist nahezu obskur, was bei einem gültigen Werk dieses Komponisten sehr seltsam ist.

    Ja, das ist ein bedauerlicher Umstand! Nicht einmal Bruckners Quintett begegnet man häufig, und das würde ich doch über die Quintette Mendelssohns und Brahms' stellen. Im wesentlichen werden nur Mozarts KV 516 und Schuberts D956 gespielt.

  • Das vergaß ich ganz im Einführungstext zu erwähnen: auch dieses Frühwerk kommt nicht ohne Beethoven-Zitat aus. Das zweite Thema des Kopsatzes ist das Seitenthema des ersten Satzes aus Beethovens c-Moll Quartett Op. 18 (man beachte auch die Opusnummern!). Aber ganz typisch für Mendelssohn: im Gegensatz zu Beethoven nutzt er dieses Thema nicht als Kontrast sondern zur weiteren Vertiefung der lyrischen Stimmung.

  • Schubert ist natürlich die große Ausnahme (und eine andere Besetzung, vielleicht ist die Tatsache, dass es sehr viel mehr berühmte Cellisten als Bratscher gibt, durchaus auch eine Ursache).
    An Bruckners Quintett hatte ich gar nicht gedacht; das schätze ich zwar nicht höher als Brahms, aber es ist ebenfalls erstaunlich wenig bekannt und recht selten eingespielt. Allerdings wundert mich das bei diesem Stück weniger als in den anderen Fällen wie Mendelssohn oder Beethoven. Mozarts und wohl auch Brahms' Quintette scheinen mir doch deutlich besser im Katalog repräsentiert. Ich behaupte mal, dass der "typische" Bruckner-Fan kein Kammermusikfreund ist und ungekehrt. Das heißt wohlgemerkt nicht, dass es keine Schnittmenge gibt, nur dass sie nicht allzu groß ist.
    Aber das führt vom Thema weg.
    Streichquintett allgemein

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Da es auch hier passt, möchte ich den im Eröffnungsbeitrag angeführten Tipp nochmals unterstreichen:


    Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847)
    Streichquintette Nr.1 & 2

    Mannheimer Streichquartett (mit Jone Kaliunaite, Viola)
    CPO, DDD, 2008


    So viele Aufnahmen der beiden Streichquintette, wie man vielleicht vermuten mag, gibt der Katalog gar nicht her. Daher erscheint es nicht unpassend, dass das "Entdeckerlabel" CPO eine Produktion der beiden Werke vorlegt. Diese ist umso begrüßenswerter, wenn man den Inhalt der CD würdigt. Aus meiner Sicht handelt es sich nämlich um eine der ganz wenigen "perfekten" Scheiben. Die Interpretation durch das Mannheimer-Streichquartett ist gleichermaßen packend wie subtil und feinsinnig. Die Deutung unterstreicht dabei, dass es sich bei op. 18 & 87 um veritable Meisterwerke handelt, die man häufiger hören sollte. In klanglicher Hinsicht ist die SWR-Co-Produktion ebenfalls bestens gelungen. Absoluter Kauftipp!

    Zitat

    klassik-heute. com 01 / 09: "Eine vollendete Instrumentationskunst und meisterhafte Formbehandlung, eine unvergleichliche Lebendigkeit, Ausdrucksfülle und Klangschönheit. Das jede falsch verstandene Süße vertreibende Espressivo-Spiel der fünf Streicher vereint technische Souveränität, rhythmische Geschmeidigkeit und eine beeindruckende Ausdruckspalette." klassik. com 02 / 09: "Wunderbar geschlossene Einspielung."


    Besprechung bei klassik heute


    Viele Grüße
    Frank

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