Ist "vorbelastete Musik" heute noch vorurteilsfrei aufführbar?

  • Ich weiß nicht, ob es das Thema in ähnlicher Form schon gibt, aber wie dem auch sei, vielleicht wäre eine ganz neue Diskussion in jedem Falle interessant.


    Die Frage, was ist "vorbelastete Musik", muss man sich natürlich zu Anfang stellen.


    Liszts Les Préludes dürfte das vielleicht prominenteste Beispiel sein. Als "Siegesfanfare" im Russlandfeldzug von den Nazis in der Deutschen Wochenschau verwendet, hat es für viele ältere Menschen noch heute einen üblen Beigeschmack. Nichtsdestotrotz haben schon Furtwängler 1954 und Fricsay 1959, also nur wenige Jahre nach dem Krieg, Studioaufnahmen davon gemacht. Letztere gilt bis heute als Referenz.


    Ist dies nicht auch eine Generationenfrage?


    Spielt man dieses Werk heutigen Jugendlichen vor, so werden sie ohne das historische Vorwissen kaum etwas Schlechtes damit verbinden. Spielt man es dagegen heute 90jährigen vor, dann könnte die Reaktion eine ganz andere sein.


    Die Frage ist aber auch: Was kann Musik, die im 19. Jahrhundert komponiert wurde, dafür, dass sie im 20. Jahrhundert missbraucht wurde?


    Konkret wurde das Werk von Liszt zwischen 1848 und 1854 geschrieben. Was also hat das mit den 1940er Jahren zu tun?


    Es gibt viele weitere Beispiele, man denke nur an die Ouvertüre zu Rienzi, das Vorspiel zum Dritten Aufzug aus Lohengrin oder die Schlussansprache des Hans Sachs aus den Meistersingern. Und das sind jetzt nur die deutschen Fälle. Wer weiß, was nicht alles von Verdi unter Mussolini verwendet wurde, vielleicht der Triumphmarsch aus Aida?


    Wieso sind eigentlich nur bestimmte Werke betroffen?


    Dass die Neunte von Beethoven oft zum "Führer-Geburtstag" gespielt wurde, konnte ihr nichts anhaben Mit ihr wurde sogar Neu-Bayreuth eröffnet. Auch die Fünfte von Beethoven, die "Schicksalssymphonie des deutschen Volkes", ging unbeschadet aus diesen Zeiten hervor. Woran liegt's?


    Fragen über Fragen, die auf Antworten warten.


    P.S.: Es sei noch ein Video-Beispiel angehängt, nämlich die Verwendung von Les Préludes in der Deutschen Wochenschau. Ein Paradebeispiel der missbräuchlichen Verwendung von klassischer Musik.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich bin jetzt leider über Zeit und Ort noch über die Gruppe und den Titel mehr ganz im klaren.
    Es war der Titel einer bekannten Boygroup, den ein meiner Meinung nach südamerikanischer Diktator immer dann aufspielen ließ, bevor er 100 von Menschen in einem Stadion hinrichten ließ.

  • Joseph 2 möchte ich noch ergänzen um Respighis letzten Satz aus den Pinien von Rom, der "Via Appia", deren monumentale und marschmäßig komponierte Ausführung durch Mussolinis Werber genauso mißbraucht wurde wie Le Preludes.


    Trotzdem bleibt es phantastische, aufwühlende und im Konzertsaal ungemein wirkugsvolle Musik! Übrigens sogar mit Nachtigall!


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Zunächst sollte man einmal klar trennen:


    Zwischen:


    1. Musik, die lange vor ihrem Missbrauch durch ein diktatorisches Regime komponiert wurde (z.B. Liszts 'Les Préludes') und einen völlig anderen geistig-philosphisch-historischen Hintergrund hat als die Ideologie eines Regimes, das diese Musik dann Jahrzehnte später wozu auch immer benutzt.


    und


    2. Musik, die direkt im Auftrag eines diktatorischen Regimes komponiert wurde, zur Verherrlichung ebendieses Regimes und um dessen Ideologie Ausdruck zu verleihen.


    Die Musik aus Punkt 1 kann man selbstverständlich hören. Schließlich haben die Schöpfer dieser Musik in der Regel aus ganz anderem Geist heraus ihre Töne geschöpft. Man sollte sich als gebildeter Mitteleuropäer nur des jeweiligen historischen Werdegangs, den ein Musikstück genommen hat, bewusst sein. Man sollte nicht bedenkenlos hören. Ich mag 'Les Préludes' sehr, habe auch kein schlechtes Gewissen beim Hören dieser Musik, aber ich kann sie auch nicht ohne das dazugehörige historische Wissen hören. Anton Bruckners 5. Symphonie soll dem Vernehmen nach Hitlers Lieblingssymphonie gewesen sein. Den Schöpfer dieser Musik, einen zutiefst gläubigen und habsburgtreuen (Widmung 8. Symphonie) Katholiken, kann man kaum in einen ideologischen Topf werfen mit dem Menschheitsverbrecher, der dann Jahrzehnte später dieses Werk zu einer seiner Lieblingsmusiken erkor.
    Dass all diesen Musiken etwas innewohnt, das dem pathosgetränkten Irrglauben der nationalsozialistischen Ideologie zupass kam, ist aber kein Vorwurf, den man diesen Werken machen kann. Da ist schlicht und einfach das Prinzip der Chronologie zu beachten.


    Bei der Musik aus Punkt 2 habe ich dann doch deutliche Schwierigkeiten. Auch die kann man hören, sofern sie nicht (Achtung Text!!!) verboten ist. Da kann man sich dann auch Gedanken machen um Huldigungskantaten an Stalin aus der Feder Prokofieffs u.ä. Die Frage muss hier wohl eher sein: Will ich das hören, um mich erbauen zu lassen? Will ich das wirklich? Oder will ich aus Gründen (musik-)historischen Interesses einfach wissen, wie Prokofieff und andere für den Stalinismus komponiert haben? Da liegen Welten zwischen beiden Haltungen.
    Das muss jeder mit sich selbst abmachen, sofern er oder sie nicht gegen strafrechtliche Bestimmungen verstößt.
    Ich für meinen Teil kann mich von der Musik, die unter Punkt 2 zu verstehen ist, schlicht nicht einfach unterhalten lassen.


    Grüße,
    Garaguly

  • Les Préludes wurde auch, wenn ich mich recht erinnere, im Radio zu den Wehrmachtssondermeldungen gespielt. Bewusst habe ich das aber erst wahrgenommen, als es schon aus war, mit den Siegreichen. Im Keller, bei den Bombenangriffen, hatte aber niemand ein Handy oder einen MP3-Spieler dabei, der Krach war einfach zu laut.


    Den Franzerl will ich aber freisprechen. Der hatte mit der ganzen Sache nichts zu tun. Erhebende Musik übrigens, beim Grünen Veltliner höre ich die immer gern.

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  • Es gibt da noch einen Thread, der sich damit befasst, dass man manche Musik mit etwas verbindet, das ursprünglich gar nichts damit zu tun hat. Weil z.B. Fernsehwerbung damit unterlegt wurde.
    Es ist dann bei mir schon so, dass mir diese Assoziationen ganz schön den Spaß verderben können. Und so verhält es sich natürlich mit anderer missbrauchten Musiken auch. Es ist also für mcih weniger die Frage, ob man das hören darf, sondern ob man das hören kann.


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Es gibt da noch einen Thread, der sich damit befasst, dass man manche Musik mit etwas verbindet, das ursprünglich gar ncihts damit zu tun hat. Weil z.B. Fernsehwerbung damit unterlegt wurde.
    Es ist dann bei mir schon so, dass mir diese Assoziationen ganz schön den Spaß verderben können.


    Im Gegensatz zu Pavlovs Hunden, sind uns aber die Mechanismen des bedingten Reflexes bekannt. Freilich, ganz entziehen kann ich mich ihnen trotzdem nicht.
    Assoziiere ich ein bekanntes Musikstück mit einer Ware, dann kaufe ich sie nicht.

  • Wenn ich die "Rheinische"-Sinfonie von Schumann höre,denke ich immer an die WDR 3 Abendsendung "Hier und Heute". Jahrzehnte lang untermalte diese Musik den TV-Trailer am Sendebeginn. Ich bin mir sicher, daß eine Umfrage (durch vorspielen des Sinfoniebeginns) in der älteren Bevölkerung von Nordrhein-Westfalen eine Zuordnung zu dieser TV-Sendung ergeben würde, wobei nicht jedem der Komponist bekannt sein mag.
    Wenn ich mich recht erinnere, waren die ersten 9-10 Töne der "Rheinischen" auch das Erkennungzeichen des WDR-Rundfunksenders, d.h. jede Rundfunksendung startete damit.

    mfG
    Michael

  • Bei "Les Preludes" ist von der Programmatik her klar, daß das mit Kriegsverherrlichung nun rein gar nichts zu tun hat. Darauf wies neulich auch mal Daniel Barenboim hin. Trotz alledem kann man sich fragen, warum sich denn eine bestimmte Musik mißbrauchen läßt und andere eher nicht. Ich bin wahrlich ein großer Liszt-Liebhaber. Trotzdem ist für mich "Les Preludes" grenzwertig. Ich mag einfach nicht diesen "Ton", der typisch 19. Jahrhundert ist, diesen selbstgefälligen theatralischen Heroismus. Aus diesem Grund mochte ich auch die "Meistersinger"-Ouvertüre nie besonders. Ich kann das nicht ohne innere Distanz hören - und ich mag deshalb Interpretationen, die dieser Rhetorik nicht auf den Leim gehen.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Liszts Les Préludes dürfte das vielleicht prominenteste Beispiel sein.


    Es gibt drei verschiedene Probleme, meine ich, die wir unterscheiden sollten:


    I. Musik wird missbraucht, wurde also mit einer ganz anderen Intention geschaffen.
    Wollten wir ein solches Werk verdammen oder nicht mehr aufführen, sind alle Meisterwerke in Gefahr, sobald sich herausstellt, dass sie mit einem Despoten in Verbindung gebracht werden. Sehr problematisch ist eine Einstellung, die mir schon oft begegnet ist, und zwar besonders oft im Zusammenhang mit Richard Wagner, im Nachhinein nach Anhaltspunkten zu suchen, die einen solchen Missbrauch nahelegen. Man wird immer fündig.


    II. Musik wird mit einem schrecklichen Ereignis assoziiert, das sie für den Einzelnen unerträglich macht.
    Es gibt Menschen, für die Liszts Meisterwerk in diese Kategorie gehört. Und deshalb ist es gut zu verstehen, wenn sie diesem Werk aus dem Wege gehen. Das aber hat mit dem Werk selbst ja nichts zu tun. Und es betrifft ja auch nicht nur Musik. Aber jeder, der Les Préludes aus diesen Gründen nicht ertragen kann, hat die Freiheit, ein solches Konzert zu meiden. So kenne ich zum Beispiel einen Menschen, dem es nicht möglich ist, Alben von Abi und Esther Ofarim zu hören, weil er zu dieser Zeit sehr krank war. Die Musik wurde zwar nicht missbraucht, aber ein schreckliches Ereignis mit ihr assoziiert.


    Eine Musik nicht mehr aufzüführen, weil sie in die Kategorie I fällt, wäre grundlos. Beim zweiten Fall ist es eine Generationsfrage. Demnach gibt es keinen Grund, ein Werk, das in diese beiden Kategorien fällt, nicht mehr aufzuführen, oder gar zu verdammen.


    III. Musik wird bewusst geschrieben, um eine Wirkung zu erzeugen, die gegebenfalls einen moralisch fragwürdigen Zweck unterstützt, oder um ein Meisterwerk zu ersetzen, das einem despotischen Regime nicht genehm ist.
    Hier wird es schon sehr viel schwieriger. Was ist zum Beispiel von Carl Orffs Musik zum Sommernachtstraum zu halten? Und Carmina Burana, die ganz gewiss nicht in diese Abteilung gehört, aber doch allein durch ihre teilweise bombastische Wirkung (Komponsitionen, die sich an O Fortuna orientieren, aber oft sehr viel weniger Geist offenbaren, sind inzwischen in amerikanischen Filmproduktionen mit Massenszenen nicht mehr wegzudenken). Carl Orff und Hans Pfitzner sind ja in diesem Zusammenhang ohnehin schwierige Figuren. Besonders das Werk von Pfitzner scheint -- vom Palestrina abgesehen -- in der Versenkung zu verschwinden.


    Es gibt noch ein weiteres Problem: Stellen wir uns vor, dass ein Meister eine wunderbare, geradezu hinreißende Märchenoper komponiert, die ein großes Publikum anzieht. Und dann stellt sich später heraus: Es handelt sich um einen Mörder. Was dann?


    Im Grunde täte es jedem Werk gut, wenn der Urheber inkognito bliebe. Aber wer will das schon.


    Grüße von Heiko

    Heiko Schröder
    Ahrensburg


    "Wer sich im Ton vergreift, sucht nur in den glücklichsten Fällen nach neuen Harmonien."

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  • Im Grunde täte es jedem Werk gut, wenn der Urheber inkognito bliebe.


    Interessante Idee. Aber da der Eigennnutz die Welt umtreibt, fragt es sich, wer da noch für ein geringes Salär einen Haufen Noten schreiben würde.

  • Für mich gibt es nur Musik, die mir gefällt oder nicht gefällt. Mir ist es völlig egal, wer welches Werk missbraucht hat. Denn der Missbrauch fällt immer auf den Missbrauchenden zurück, nicht auf das, was missbraucht wird. So ist es in der Kunst, so ist es im Leben. Musik kann auch Opfer sein. Deshalb höre ich missbrauchte Musik ohne Vorbehalte. Für mich persönlich sind das wichtige Erkenntnisse. Ich habe aber dank der Gnade später Geburt auch nicht zu Musik in den Krieg ziehen müssen. Je älter ich werde, um so stärker empfinde ich diese Gnade. Betroffene - in welcher Form auch immer betroffen - mögen das alles anders sehen.


    Im Detail - und darin sehe ich keinen Widerspruch zum oben geschriebenen - finde ich die Missbrauchsfacetten schon spannend, und ich habe mich dafür immer interessiert. Was die genannten Stücke Les Préludes oder die Rienzi-Overtüre angeht, so baut deren Missbrauch durch die Nationalsozialisten wie meistens auf einem großen Irrtum auf. Das, was man da herauszuhören meinte, ist nämlich gar nicht drin. Die eindrucksvolle Filmszene, die Joseph II. verlinkt hat, wirkt auf mich aus heutiger Sicht völlig gegenteilig zu dem, was sie propagandistisch aussagen sollte. Ein schon unfreiwilliger Verfremdungseffekt. Die Musik von Liszt wird nämlich zum Fanal des bevorstehenden Untergangs der Verursacher solchen Leides. Mich überkommt Kälte. Es ist unheimlich und gar nicht siegesgewiss.


    Ich bin davon überzeugt, dass Musik, diese ehr abstrakte Kunst, nicht dazu taugt, Völkermord und andere Gräßlichkeiten im Sinne der Verursacher anzufachen und auszumalen. Selbst Musik, die in Nazideutschland entstand und dort wohlwollend gefördert wurde, ist heute noch gut hörbar. Der Name Orff war gefallen. Ich würde noch Gerster oder Wagner-Régeny anführen wollen. Oder nehmt den Komponisten Wolfgang Zeller, der die Musik zum berüchtigten Film "Jud Süß" schrieb, andererseits aber auch für den Film "Ehe im Schatten" über das Schicksal einer jüdischen Familie in Nazideutschland, der nach 1945 entstand. Ein Widerspruch? Vielleicht nicht einmal. Ich wage die These: Musik als Kunst ist nicht korrumpierbar, allenfalls deren Schöpfer.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Zitat von Rheingold

    Für mich gibt es nur Musik, die mir gefällt oder nicht gefällt. Mir ist es völlig egal, wer welches Werk missbraucht hat.


    Ja, Rheingold, so sehe ich das auch.


    Kein Opfer-Abo für Musik.

  • Musik als Kunst ist nicht korrumpierbar, allenfalls deren Schöpfer.


    Die Komponistengeneration nach 1945 - zu der Nono, Boulez und Stockhausen gehörten - waren da durchaus anderer Meinung. Sie wollten dem machtpolitischen Mißbrauch von Musik vorbeugen durch jeden Verzicht auf rhetorische Wirkungsmittel. Musik von Wagner z.B. setzt ganz bewußt auf Wirkung, da hatte man im 19. Jhd. noch keine Skrupel. Nach den Erfahrungen des 20. Jhd. kann man sich nicht mehr so einfach solcher Wirkungsrhetorik hingeben - auch wenn sie ursprünglich gar nicht "militaristisch" gemeint war.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Interessant ist vielleicht in dem Zusammenhang noch Folgendes:


    Zitat

    20.6.1941 Reichspropagandaminister Joseph Goebbels gibt den Komponisten Norbert Schultze und Herms Nil den Auftrag zur Vertonung des u.a. von Walter Tietzler und Hans-Wilhelm Kulenkampf geschriebenen "Lied vom Feldzug im Osten" in Auftrag; auf ausdrücklichen Wunsch des Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler wird das Stück "Les Préludes" von Franz von Liszt in die Melodie eingearbeitet. (zitiert nach chroniknet.de)


    Seine Wirkung dürfte das damals nicht verfehlt haben. Noch heute ist man unweigerlich erstaunt ob der perfekten Inszenierung durch die Nationalsozialisten. Sie wussten sich sehr früh der neuesten Medien zu bedienen und sie propagandistisch zu nutzen. Man bedenke, dass der Tonfilm da gerade etwa ein Jahrzehnt alt war. Wenn bei den letzten Takten des Ausschnitts von Les Préludes dann pathetisch der Reichsadler aufscheint, dann wurde wohl dem letzten Zweifler klar, dass es das Großdeutsche Reich (offizieller Name Deutschlands seit 1943) sein würde, das den Sieg davonträgt. Wenn die sowjetischen Kriegsgefangenen einblendet werden, spielt natürlich auch die vermeintliche deutsche Überlegenheit eine gewichtige Rolle. Der Expansionsdrang nach Osten wird nicht zuletzt durch das angebliche Bringen von Zivilisation gerechtfertigt. Hierin unterscheidet sich das übrigens wenig vom früheren Zarenreich, das dergestalt auch sein Ausgreifen nach Asien zu legitimieren suchte.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Ich hab' noch nie eine Wochenschau mit Liszts Tondichtung gesehen, deshalb stellt sich natürlich auch keine Assoziation damit ein, wenn ich dieses großartige Stück höre. Und nur, weil ich weiß, dass das mal so verwendet wurde, denke ich beim Hören natürlich auch nicht daran.


    Das wäre übrigens auch nicht anders, wenn es extra für die Wochenschau komponiert worden wäre.

  • Ich trete Musik - in Bezug auf ideologische Bezüge - weitgehend vorurteilsfrei gegenüber. Und die Mehrheit der "Klassikhörer" tut das offenbar auch. So hat weder Wagners musikalische Reputation wirklich Schaden erlitten, noch jene von Beethoven, dessen "Ode an die Freude", welche immerhin als "Europahymne" missbraucht wird - für ein Konstrukt, das unter Ausschaltung des Wählerwillens tiefgreifend Einfluss auf die Bürgerrechte nimmt und die wohlhabenderen Nationen - weitgehend ohne Gegenwehr - an den Bettelstab bringen will, gelenkt von des sogenannten multinationalen Konzernen, für die ein anderes Wort besser angebracht wäre...
    Das liegt zum einen in der Qualität der Musik zusammen - zum anderen mit den musikalischen Moden.
    Pfitzners relativ sperrige Musik hat es da schon schwerer Fürsprecher zu finden - belastet hin - belastet her - sein "Palestrina" indes scheint sacrosanct zu sein.....
    Ähnlich bei Liszt: Man wird schwerlich behaupten können, dass der Beliebtheitsfaktor von Liszts anderen sinfonischen Dichtungen höher liegt, als jener von "Les Preludes".
    Irgendwann wird jemand (erfolglos) die englische Hymne verbieten lassen wollen, weil sie ein Symbol des Imperialismus und des Kolonialdenkens sei.
    "Dummköpfe aller Länder vereinigt Euch"


    Es ist natürlich gut nachvollziehbar, dass Leute mit persönlichen Verletzungen - die durch gewisse Musikstücke wieder in Erinnerung gerufen werden, diese Musikstücke meiden. Es ist jedoch eine Anmassung Leuten späterer Zeitalter dies geradezu penetrant aufdrängen zu wollen - speziell wenn diese Leute das nicht wollen......


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Mit eventueller Ausnahme von "Les Preludes" ist mir ebenfalls kein einziges gängiges Stück (Stalin-Kantaten usw. von Sowjetkomponisten sind niemals international gängig gewesen) bekannt, dass unter dem "Mißbrauch" in der Praxis gelitten hätte. Die Meistersinger wurden aufgeführt, sobald Bayreuth wieder eröffnet wurde. Einzelne Hörer mögen mit diesem und anderen Stücken ungute Erinnerungen verbunden haben, den Musikbetrieb (außerhalb Israels) hat das anscheinend kaum berührt. Nun könnte man freilich sagen, dass solch eine zögerliche oder nicht vorhandene "Vergangenheitsbewältigung" ohnehin symptomatisch für die Nachkriegszeit bis in die 1960er gewesen sei.


    Es ist aber auch den allmächtigen, alles unterwandernden "68ern" nach ihrem Weg durch die Institutionen anscheinend nicht gelungen (sofern sie es überhaupt angestrebt haben sollten), zB Wagner (oder Lehar oder Bruckner oder Beethoven, oder was noch in Frage kommen könnte) durch Verknüpfung mit "unseligen Zeiten" aus dem Repertoire zu verbannen. Obwohl die Vorbelastung häufig mitschwingen mag (es ist ja auch kein Vorurteil, sondern ein historisches Faktum, dass die Musik entsprechend propagiert und verwendet wurde), hat das auf den Musikbetrieb, soweit ich sehe, kaum Auswirkungen gehabt.
    Musik von Mitläufern oder Sympathisanten wie Egk war in den 1950ern recht verbreitet; ich glaube nicht, dass sie aus historischen Gründen weitgehend von den Spielplänen verschwunden ist, sondern einfach, weil sich musikalisch kaum mehr jemand dafür interessiert hat.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • 2. Musik, die direkt im Auftrag eines diktatorischen Regimes komponiert wurde, zur Verherrlichung ebendieses Regimes und um dessen Ideologie Ausdruck zu verleihen.

    Ich für meinen Teil kann mich von der Musik, die unter Punkt 2 zu verstehen ist, schlicht nicht einfach unterhalten lassen.


    Wie, wenn man nun von einem Stück begeistert ist und erst hinterher erfährt, dass es unter 2. fällt?


    Revidiert man dann sein Urteil?

  • Wie, wenn man nun von einem Stück begeistert ist und erst hinterher erfährt, dass es unter 2. fällt?


    Revidiert man dann sein Urteil?


    Ich würde sagen, dass eine Revision des eigenen Urteils dem denkenden und gebildeten Mitteleuropäer grundsätzlich gut zu Gesicht steht.
    Du lernst ein Musikstück kennen und es gefällt Dir sehr, hinterher erfährst Du, dass der Komponist ein glühender Nationalsozialist war, der das Stück Hitler als Geburtstagspräsent gewidmet hat - also ich könnte diese Musik hinterher nicht mehr genauso hören wie zuvor. Man kann nicht sein Wissen um die Hintergründe, wenn man sie (die Hintergründe) erstmal erhellt hat, verdrängen. Also - man kann schon, man sollte es aber nicht. Das hat etwas mit dem aufgeklärten Geist zu tun.
    Ob Du das Stück danach nie mehr hören sollst, kann ich Dir garantiert nicht beantworten, denn das Denken, Entscheiden und Handeln bleibt dem einzelnen Individuum überlassen. Es gibt verschiedene Wege, dieses Dilemma (schönes Musikstück mit widerwärtigem historischem Kontext) für Dich persönlich aufzulösen.


    Wer sagt, für ihn existiere angesichts dieses Wissens nun gar kein Dilemma, den - es tut mir leid, aber ich kann nicht anders - den muss ich als geistig unreif betrachten.


    Dass einem die Musik zuvor, ohne das Hintergrundwissen, gut gefallen hat, muss aber nun wirklich niemanden beschämen - wobei ich von reiner Instrumentalmusik ausgehe. Bei einer Huldigungskantate oder ähnlichen Werken merkt man's ja am Text - und da gibt's nun gar keine Ausrede.


    Grüße,
    Garaguly

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  • Wenn es danach geht dann dürfte man auch keine Aufnahmen mehr kaufen, auf denen Furtwängler dirigeirt, der sich ja auch mit dem 3. Reich zumindestens arrangiert hat. Wir müssten die Bayreuther Festspiele meiden, weil die beiden Schwestern auch nicht grade viel zur Vergangenheitsbewältigung beitragen. Wir dürften demnach auck keine Heinz Rühmann Filme mehr schauen, der sich auch mit den Nazis arrangiert hat um als Schauspieler weiter arbeiten zu können. Wenn ich die Musik eines bestimmten Komponisten, Dirigenten oder Sängers gut finde muss ich noch lange nicht seine politischen Ansichten teilen, und deshalb hab ich auch kein schlechtes Gewissen wenn ich Wagner höre. Wir dür

  • Du lernst ein Musikstück kennen und es gefällt Dir sehr, hinterher erfährst Du, dass der Komponist ein glühender Nationalsozialist war, der das Stück Hitler als Geburtstagspräsent gewidmet hat - also ich könnte diese Musik hinterher nicht mehr genauso hören wie zuvor. Man kann nicht sein Wissen um die Hintergründe, wenn man sie (die Hintergründe) erstmal erhellt hat, verdrängen. Also - man kann schon, man sollte es aber nicht. Das hat etwas mit dem aufgeklärten Geist zu tun.


    Da sind wir aber wieder bei der Wagner-Debatte. Bei Gemälden und Bauwerken schaut man, wie ich es sehe, aber nicht so genau hin.


    Noch deutlicher wäre die Nachsicht auf naturwissenschaftlichen Gebieten zu spüren.
    Einsteins berühmte Formel wurde dazu benützt, um zwei japanische Großstädte auszuradieren. Die Formel kann aber nichts dafür und der Missbrauch macht sie nicht falsch, selbst wenn Einstein persönlich den Einsatz der Atombombe befürwortet hätte (was er allerdings nicht getan hat).


    Angenommen Dr. Mengele hätte ein Mittel gegen unheilbare Krankheiten erfunden. Wäre es unethisch, dieses Mittel im Bedarfsfalle anzuwenden?


    Zugegeben, beim Musikhören ist die Wahlfreiheit groß und man kann sich leicht aus der Affäre ziehen, das Prinzip aber bleibt das gleiche.


    Die Entscheidung, ein Musikstück mit Verweis auf dessen ursprünglichen Zweck oder den Lebenswandel des Komponisten abzulehnen, ist an sich sympathisch und mir selbst wäre sie ebenfalls nicht fremd, logisch gesehen ist sie aber nichts Anderes als Voreingenommenheit.

  • Wäre es zum Besipiel nicht denkbar in einem Konzert oder bei einer Opernveranstaltung, in einer Einführung auf genau dieses Thema einzugehen? Das wäre bestimmt sinnvoller anstatt uns damit zu langweilen was der Regisseur uns zu sagen hat. Ich glaube nicht das sich Opern Intendanten oder diejenigen die eine Konzertsaison planen, über diese Problematik Gedanken machen, obwohl sie es eigentlich müssten.

  • Einsteins berühmte Formel wurde dazu benützt, um zwei japanische Großstädte auszuradieren. Die Formel kann aber nichts dafür und der Missbrauch macht sie nicht falsch, selbst wenn Einstein persönlich den Einsatz der Atombombe befürwortet hätte (was er allerdings nicht getan hat).


    Oh, aber jetzt glaube ich, könnten wir etwas vermischen, was nicht zusammengehört ;) . Eine Formel ist als beste Form, einen naturwissenschaftlichen Zusammenhang auszudrücken, kein Kunstwerk. Einsteins Zeitgenossen und Nachgeborenen haben vielmehr eine Erkenntnis missbraucht, um eine Technik für einen ganz bestimmten, moralisch verwerflichen Zweck zu entwickeln. Eher müssten wir dem Erfinder des Rades vorwerfen, dass dadurch mehr Menschen unter die Räder kommen.


    Ein großer Komponist, jeder große Künstler, will immer verändern, womit sein Schaffen zunächst einmal an sein zeitliches Umfeld gebunden ist. All dies trifft auf die Arbeit eines Naturwissenschaftlers nicht zu (eher auf die eines Erfinders). Für einen großen Komponisten dürften vor allem musikalische Veränderungen im Vordergrund stehen. Alle außermusikalischen "Absichten" sind ein Zusatz. Und deshalb dreht sich aus meiner Sicht der Thread um die Frage, ob das Publikum nicht einem Kunstwerk, das von Nachfolgern (erfolgreich?) missbraucht werden konnte, den Rang eines Kunstwerks abspricht, wenn außermusikalische "Absichten" diskutiert werden müssen. Und das ist für Manche bei einigen von Wagners eben die große Frage wenn sie daran zweifeln, dass die Musik allein als Kunstwerk begriffen werden kann.


    Für meine Begriffe ist es denkbar uninteressant, ob sich ein Adolf Hitler nun für Wagner begeistert hat oder nicht. Die Frage ist doch nur, ob die Musik so gestaltet ist, dass sie diesen Missbrauch nahelegt. Machen wir uns einen Kopf darum, ob Pol Pot Debussy mochte?

    Heiko Schröder
    Ahrensburg


    "Wer sich im Ton vergreift, sucht nur in den glücklichsten Fällen nach neuen Harmonien."

  • Wenn es danach geht dann dürfte man auch keine Aufnahmen mehr kaufen, auf denen Furtwängler dirigeirt, der sich ja auch mit dem 3. Reich zumindestens arrangiert hat. Wir müssten die Bayreuther Festspiele meiden, weil die beiden Schwestern auch nicht grade viel zur Vergangenheitsbewältigung beitragen. Wir dürften demnach auck keine Heinz Rühmann Filme mehr schauen, der sich auch mit den Nazis arrangiert hat um als Schauspieler weiter arbeiten zu können. Wenn ich die Musik eines bestimmten Komponisten, Dirigenten oder Sängers gut finde muss ich noch lange nicht seine politischen Ansichten teilen, und deshalb hab ich auch kein schlechtes Gewissen wenn ich Wagner höre. Wir dür


    Nein, rodolfo, Du gehst in Deiner Argumentation den Weg, den leider viele Menschen gehen. den Weg des bequemen Ausweichens. Du schreibst immer davon, dass man ja dieses oder jenes nicht mehr dürfe. Du darfst alles (außer das, was Dir durch die einschlägigen Bestimmungen des Strafgesetzbuches der Bundesrepublik Deutschland verboten ist.). Du kannst Furtwängler ohne Ende beim Dirigieren zuhören, Du kannst nach Bayreuth pilgern so häufig es Deine Zeit und Dein Geldbeutel zulassen, Du kannst Dir alle Heinz-Rühmann-Filme, die irgendwie auf DVD greifbar sind kaufen und immer wieder in Endlosschleife angucken - kein Richter der Welt wird Dir irgendetwas 'anhängen' können.


    Du musst (oder solltest) für Dich persönlich eine Haltung dazu finden. Schaust Du Dir Rühmann-Filme mit dem dazugehörigen Hintergrundwissen an, oder ignorierst Du dies vollkommen. Du hast die Wahl. Schiebe es bitte nicht auf eine allmächtige, ferne Macht, die Dir irgendetwas verbieten will (abgesehen von dem, was der Staat zu Recht verbietet - aber aus den meisten Dingen der Art, wie wir sie hier besprechen hält er sich ja heraus). Nur Du und Deine Gewissen - ihr "beide" seid verantwortlich für das, was Du täglich tust und wie Du Dich zu allen möglichen Fragen, die von außen an Dich herangetragen werden positionierst.


    Es geht nicht um ein juristisches "Nicht-Dürfen", das ist wohl klar. Es geht zumindest mir auch nicht darum zu bevormunden. Aber ich erwarte schlichtweg von gebildeten Menschen, dass sie sich über Dinge, wie die, die Du oben ansprichst Gedanken machen und darüber reflektieren.
    Zu welchem Ergebnis Du dabei kommst, ist allein Deine Sache. Solltest Du Dich für ein bloßes "Ich will mich nur unterhalten und dabei von nichts stören lassen" entscheiden, darfst Du Dich dann aber nicht wundern oder beleidigt sein, wenn Dir Kritik entgegenschlägt.


    Europas Geistesgeschichte beinhaltet als wesentlichen Abschnitt die Aufklärung. Die Aufklärung verlangt den selbstdenkenden Menschen. Um nichts anderes geht es hier.


    Grüße,
    Garaguly

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  • Zunächst einmal vorweg: Ich trennte ja eingangs zwischen Kunstwerken, die lange vor ihrem Missbrauch unter völlig anderen gesellschaftlichen Bedingungen entstanden und solchen, die ganz bewusst zur Verherrlichung einer Diktatur geschaffen wurden.


    Uns beiden ging es ja in unseren Gedankenaustausch via Posting nur um den zweiten Teil, also um die bewusst Geschaffenen. Und damit läuft auch Dein Mengele-Vergleich ins Leere. Wenn dieser völlig gewissenlose Verbrecher ein Medikament entdeckt hätte, dessen Erschaffung und Erprobung durch schreckliche Menschenversuche zustande gekommen wäre und vermutlich nur zur Behandlung sogenannter 'Arier' eingesetzt worden wäre, dann müsste es doch ein später Triumph der Gerechtigkeit sein, wenn heute mit einem solchen Medikament auf allen Kontinenten der Erde Leben gerettet würde. Warum sollte man es verbieten? Man täte mit dieser unter grauenhaften Bedingungen entstandenen Erfindung ja definitiv Gutes. Man löscht den bösen Geist, der in ihrem Schöpfer steckte täglich aufs Neue aus. Wenn Du so willst, wäre es tägliche Rache des Guten am Bösen. An sich keine üble Vorstellung, oder?


    Mit einem Musikstück nun verhält es sich aber anders. Ich denke, das siehst Du auch ein. Es ist bewusst zur Verherrlichung von etwas Wahnsinnigem geschaffen worden, Du rettest niemandem das Leben (oder tust sonstwie Gutes), indem Du es Dir täglich anhörst.


    Ich habe meine Position ja klar genug ausgedrückt: Mach', was Du willst. Höre es auch völlig bedenkenlos - die Freiheit dazu hast Du. Aber Du musst damit leben, dass andere diese Gedankenlosigkeit, die auf bloßem Amüsierwillen und einer gewissen Sturheit beruht, nicht teilen und anders darüber denken.


    Grüße,
    Garaguly


  • Oh, aber jetzt glaube ich, könnten wir etwas vermischen, was nicht zusammengehört ;) . Eine Formel ist als beste Form, einen naturwissenschaftlichen Zusammenhang auszudrücken, kein Kunstwerk. Einsteins Zeitgenossen und Nachgeborenen haben vielmehr eine Erkenntnis missbraucht, um eine Technik für einen ganz bestimmten, moralisch verwerflichen Zweck zu entwickeln. Eher müssten wir dem Erfinder des Rades vorwerfen, dass dadurch mehr Menschen unter die Räder kommen.


    Ein großer Komponist, jeder große Künstler, will immer verändern, womit sein Schaffen zunächst einmal an sein zeitliches Umfeld gebunden ist. All dies trifft auf die Arbeit eines Naturwissenschaftlers nicht zu (eher auf die eines Erfinders). Für einen großen Komponisten dürften vor allem musikalische Veränderungen im Vordergrund stehen. Alle außermusikalischen "Absichten" sind ein Zusatz. Und deshalb dreht sich aus meiner Sicht der Thread um die Frage, ob das Publikum nicht einem Kunstwerk, das von Nachfolgern (erfolgreich?) missbraucht werden konnte, den Rang eines Kunstwerks abspricht, wenn außermusikalische "Absichten" diskutiert werden müssen. Und das ist für Manche bei einigen von Wagners eben die große Frage wenn sie daran zweifeln, dass die Musik allein als Kunstwerk begriffen werden kann.


    Für meine Begriffe ist es denkbar uninteressant, ob sich ein Adolf Hitler nun für Wagner begeistert hat oder nicht. Die Frage ist doch nur, ob die Musik so gestaltet ist, dass sie diesen Missbrauch nahelegt. Machen wir uns einen Kopf darum, ob Pol Pot Debussy mochte?


    Nur zum letzten Abschnitt: Weder Wagner noch Debussy kann man einen Strick daraus drehen, dass ihre Musik längere Zeit nach ihrem Ableben von geisteskranken Schwerstverbrechern geschätzt wurde (Pol Pot und Debussy? Du führtest das ja wohl bloß als theoretisches Beispiel an, oder etwa nicht?). Über diese Frage möchte ich eigentlich nicht mehr diskutieren, weil sie so offensichtlich leicht zu beantworten ist.


    Grüße,
    Garaguly

  • Lieber Garaguly,


    ich habe mir schon meine Gedanken über diese Problematik gemacht und mich auch näher damit besschäftigt und viele Gespräche geführt. Denn ich bin Mittglied in einem Heimatverein und natürlich haben wir über dieses Thema auch gesprochen. Wobei ich aber die Feststellung gemacht habe, das selbst bei manchen Leuten die das 3. Reich erlebt haben der Grundtenor ist, das sie nicht mehr darüber reden und nachdenken wollen. Und wenn ich dann nachgefragt habe, kam teilweise die Antwort: Irgendwann muss doch auch mal gut sein. Nur durch das ewige Nachdenken und reden wird das 3. Reich auch nicht vergessen gemacht.

  • Mit einem Musikstück nun verhält es sich aber anders. Ich denke, das siehst Du auch ein. Es ist bewusst zur Verherrlichung von etwas Wahnsinnigem geschaffen worden, Du rettest niemandem das Leben (oder tust sonstwie Gutes), indem Du es Dir täglich anhörst.


    Wenn aber so ein Musikstück das einzige Mittel gegen Depressionen wäre, was dann?


    Nun rufen ja die meisten solcher (Mach)Werke auch musikalisch keine große Bewunderung hervor und somit ist diese Debatte etwas wirklichkeitsfern.
    Im Übrigen habe ich keinesfalls die Absicht, schlechten Geschmack zu verteidigen, nur finde ich, könnte man dem Problem ein moral-philosophisches Interesse abgewinnen ohne seine persönlichen Präferenzen in die Waagschale zu legen.

  • ... kam teilweise die Antwort: Irgendwann mussd doch auch mal gut sein. Nur durch das ewige Nachdenken und reden wird das 3. Reich auch nicht vergessen gemacht.


    Lieber rodolfo,


    auch hier gilt: jeder muss zunächst ganz alleine mit sich selbst ausmachen, wie er zu historischen Entwicklungen seines eigenen Volkes sich positioniert. Ich finde aber eben grundsätzlich, dass es aufgeklärter europäischer Geisteshaltung entsprechen muss, sich über solche Dinge Gedanken zu machen; über Geschichte zu reflektieren und auch die absolut negativen Entwicklungen, die ein Volk in seiner Geschichte durchlaufen hat, bewusst zu akzeptieren und sie nicht wegdrücken zu wollen durch diese elenden "Schlussstrichparolen".
    Freilich hat jeder das Recht auf seinen persönlichen Schlussstrich; nur - und das gilt jetzt für mich ganz persönlich: ich halte diese völlig unreflektierten Geister für intellektuell nicht satisfaktionsfähig. Allzu häufig poasunen genau diese Leute gerade zu den Themen, von denen sie doch angeblich gar nichts mehr wissen wollen, ständig heraus, dass nun endlich Schluss sein müsse. Sie beteiligen sich also auf eine nur negativ-verneinende Art an solchen Diskussionen. Sie verneinen die Beschäftigung, die Diskussion an sich - und das ist von Übel.


    Im Übrigen finde ich, dass der, der sich für Furtwängler als Dirigenten (und vielleicht auch für den Komponisten !!!) interessiert, sich doch zwangsläufig auch für dessen Vita interessieren muss. Und schon beginnt man zu lesen und dabei entsteht doch nahezu von alleine eine Haltung zu dieser Person und ihrem Wirken. Dasselbe gilt für Wagner: es geht nicht um primitive Wagnerverdammung. Aber man muss doch Fragen nachgehen wollen wie der, welche Anteile an der Gesamtkunst dieses Mannes es waren, die so eine enorme Parallelwirkung und auch Nachwirkung auf politischem Gebiet hatten (und haben). Also informiert man sich - und unversehens setzt sich Wissen in einem fest. Und dieses Wissen führt zu einer bewussten Haltung. Es geht mir um Aufklärung durch Wissen. Das dumpfe Ablehnen oder Befürworten von irgendetwas ohne die Hintergründe zu kennen, ist so unwürdig!


    Bei der Frage, ob Du Erdbeereis dem Schokoladeneis vorziehst oder umgekehrt, kann man's ruhig bei plumpen und unbegründeten Bauchgefühlen belassen - denn da gehört das Eis ja hin. Aber bei den Dingen, um die es uns hier geht, da bedarf es gezwungenermaßen der Reflexion - denn was bleibt sonst vom Menschsein?


    Grüße,
    Garaguly

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