Der Stoff aus dem die Opern sind (10) - Komponisten als Librettisten ihrer Opernkompositionen

  • In der zehnten Folge unserer Serie „Der Stoff aus dem die Opern sind“ befassen wir uns mit Komponisten, die sich gelegentlich – oft – oder immer ihr eigenes Libretto schrieben.
    Es sind mehr als man im ersten Augenblick vermuten würde – und es ist ein Trend, der sich – wenn auch nicht ausschliesslich - im 20 Jahrhundert entwicklete.
    Es stellt sich nun die Frage wer aller seine Kompoosition mit einem eigenen Libretto verband, warum er das tat und wie geglückt man das jeweilige Ergebnis bezeichnen darf. Optimale Symbiose von Text und Musik ? oder dlettantische Möchtegern-Dichtung ?


    Es wird niemanden verwundern, dass mich Richard Wagner – darüber gibt es bereits einen eigenen Thread –auf dieses Thema gebracht hat – aber nicht nur er konnte dramatisch gestalten……..


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred


    Weitere Threads dieser Serie laden zum mitmachen ein:


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    Der Stoff aus dem die Opern sind (2) - Sagen des Mittelalters
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    Der Stoff aus dem die Opern sind (4) - Librettii nach griechischen und römischen Klassikern
    Der Stoff aus dem die Opern sind (5) - Gekrönte Häupter und welche es gern geworden wären....
    Der Stoff aus dem die Opern sind (6) - Christoph Columbus
    Der Stoff aus dem die Opern sind (7) – Historische Themen in Opern des 20. Jahrhuinderts
    Der Stoff aus dem die Opern sind (8) - Zeitgenössische Themen in Opern des 20. Jahrhunderts
    Der Stoff aus dem die Opern sind (9) – Deus ex machina

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Da ist wohl Albert Lortzing ein Spitzenkandidat. Er hat, allerdings nach Schauspielen als Vorlage, fast alle seine Opernlibretti selbst verfasst.


    Die genialste seiner Operndichtungen dürfte das Libretto zu Zar und Zimmermann sein, eine beißende und zugleich köstliche Satire gegen das Spitzelsystem der Metternich-Ära.
    Der Einfall des Dideldum als "Instrumentenreflexion" ist umwerfend, wie überhaupt jede Note meisterhaft das Wort unterstreicht.


    Was kommt da nicht alles zum Ausdruck: die verklärte Emphase des Bürgermeisters in Erwartung des hohen Gastes, der Stolz und die Begeisterung über seine eigene gelungene Dichtung,
    der hilflose Versuch, den Chor unter Kontrolle zu halten, die huldvolle Einsicht, dass es besser ohne ihn geht und schließlich die Freude im Walzertakt über das Gelingen nach vieler Müh´.


    Die feine Charakterzeichnung, der Humor, der beißende Spott, die Übereinstimmung von Text und Musik und die Fülle der Melodien machen Zar und Zimmermann zu einem der gelungensten Werke seines Genres.


    Persönlich möchte ich Albert Lortzing in der Rolle des Dichter-Komponisten als ebenbürtig neben Richard Wagner stellen.



    VAN BETT zum Chor.
    Den hohen Herrscher würdig zu empfangen,
    Beschied ich, meine Freunde, euch allesamt hierher.
    Es sollen Worte ihm zum Ohr gelangen,
    Wie er auf dieser Welt vernimmt sie nimmermehr.
    Worte voll Salbung, voll Demut und Moral,
    Und Schmeicheleien ohne Zahl.
    CHOR.
    Laßt doch hören, laßt doch hören!
    Alle sind wir gern bereit,
    Einen Kaiser hoch zu ehren,
    Der uns seine Liebe weiht.
    Doch wir möchten gerne wissen,
    Wer der große Herrscher ist,
    Wenn wir ihn empfangen müssen,
    Sprecht, wie heißt er?
    VAN BETT.
    Nun so wißt: 's ist der Kaiser aller Reußen.
    CHOR.
    Aller Reußen?
    VAN BETT.
    Oder Russen, wie ihr wollt.
    Peter Iwanow hat er geheißen,
    Dem man jetzt so hohe Ehre zollt.
    CHOR.
    Iwanow, der Zimmermann?
    VAN BETT.
    Das war sein Privatvergnügen;
    Höhern Pflichten zu genügen,
    Er den schlauen Plan ersann.
    Lasset ohne Zeitverlieren
    Die Kantate uns probieren,
    Die zu anderm Zwecke zwar verfaßt,
    Sich jedoch hierher grad' paßt.
    CHOR.
    Her die Noten!
    VAN BETT.
    Nur Geduld!
    Die Worte sind von mir verfaßt,
    In einer schönen Stunde;
    Doch bin ich nur Poet, nicht Musiker, aus diesem Grunde
    Erfand mein Freund, der Kantor, mir, auf daß es wirksam sei,
    Zu diesen schönen Worten eine zarte Melodei.
    Den Solosang werd ich mit Kraft und Grazie vollführen.
    Ihr sollt den Chor mit Präzision riskieren!
    Da in der Kirche ihr perfekt von Noten singt,
    So ist es ganz natürlich, daß es hier euch auch gelingt.
    CHOR.
    Her die Noten, Ihr sollt sehen,
    Daß wir uns darauf verstehen.
    Ratsdiener verteilt die Noten und stellt alle in einem Halbkreis auf.


    VAN BETT.
    Nehmt die Noten!
    CHOR.
    Mir her!


    Sie greifen danach.


    VAN BETT.
    Und Ruhe dann.
    CHOR.
    Mir her!
    VAN BETT.
    Jetzt fang ich mein Solo an:
    »»Heil sei dem Tag, an welchem du bei uns erschienen.«
    Dideldum. – Das ist das Zwischenspiel. –
    »Es ist schon lange her,
    Wir alle können uns nicht mehr darauf besinnen«,
    Dideldum!
    »Das freut uns um so mehr.
    Aus vollem Herzen rufen wir: Heil uns, der Zar ist da!
    Du bist ein großer Held! Vivat! Halleluja!«
    O wie schön die Worte fließen.
    Wie ein Bächlein über Wiesen;
    Gar nicht schwülstig, ganz natürlich,
    Und der Stilus so ausführlich.
    Jeder Redesatz korrekt,
    Das macht sicherlich Effekt.
    CHOR.
    Ja, wenn wir alle erst es wissen,
    Macht es sicherlich Effekt.
    VAN BETT.
    Aufgepaßt! Schärfet alle Äug und Ohr,
    Denn noch einmal trage ich die Stelle vor.
    CHOR.
    Aufgepaßt! Schärfet alle Aug und Ohr,
    Denn noch einmal trägt er jetzt die Stelle vor.
    VAN BETT.
    Ruhe, schwatzt mir nicht so viel
    Und habt acht aufs Zwischenspiel.
    CHOR.
    »Heil sei dem Tag, an welchem du bei uns erschienen,
    Dideldum –«
    VAN BETT ihnen nachäffend.
    Dideldum! – Dideldum ist kein Gesang;
    Es ist, ich sagte es euch schon,
    Nur Instrumentenreflexion.
    CHOR.
    Aha! Es ist nur Reflexion.
    VAN BETT.
    Hört mich an, es ist nicht schwer,
    Und dann schreit mir nicht so sehr.
    Reißt die Mäuler nicht so weit,
    Sonst wird's nichts in Ewigkeit.
    »Heil sei dem Tag, an welchem du –«
    CHOR.
    »Heil sei dem Tag –«
    VAN BETT.
    Das ist zu hoch! Halt!
    CHOR.
    »Heil sei dem Tag –«
    VAN BETT.
    Das ist zu tief – schweigt still! Ruhe!
    CHOR.
    »An welchem du bei uns erschienen.«
    VAN BETT.
    Hört mich doch an!
    DIE MÄDCHEN unter sich zankend.
    Du hast gefehlt, ich war ganz recht.
    VAN BETT.
    Halt't eure Mäuler!
    DIE MÄDCHEN.
    Ich singe gut, du triffst so schlecht.
    VAN BETT.
    Wollt ihr schweigen!
    CHOR.
    Ihr sollt jetzt entscheiden, wer von uns gefehlt.
    ALLE umringen van Bett und schreien ihm in die Ohren.
    »Heil sei dem Tag, an welchem du bei uns erschienen!«
    VAN BETT.
    Euer Singsang ist ein Graus.
    Statt daran sich zu ergötzen,
    Reißt der Zar sich vor Entsetzen
    Lieber alle Haare aus.
    DIE MÄDCHEN.
    Besser wird es uns gelingen,
    Wenn wir ganz alleine singen,
    Denn wenn Ihr dazwischen schreit,
    Wird es nichts in Ewigkeit.
    VAN BETT.
    Darin bin ich eurer Meinung,
    Jeder singe, wie er kann;
    Fanget ohne meine Leitung
    Noch einmal von vorne an.
    CHOR der sich wieder im Halbkreis aufgestellt hat.
    »Heil sei dem Tag, an welchem du bei uns erschienen.«
    VAN BETT.
    Jetzt tacet für den Chor.
    CHOR.
    »Es ist schon lange her.«
    VAN BETT.
    Bravo!
    CHOR.
    »Wir alle können uns nicht mehr darauf besinnen.«
    VAN BETT.
    St!
    CHOR.
    »Das freut uns um so mehr.
    Aus vollem Herzen rufen wir:«
    VAN BETT soufflierend.
    Heil uns, der Zar –
    CHOR.
    »Heil uns, der Zar ist da.«
    VAN BETT.
    Schön, schön!
    CHOR.
    »Du bist ein großer Held! Vivat! Halleluja.«
    VAN BETT.
    O wie schön die Worte fließen.
    Wie ein Bächlein über Wiesen.
    CHOR.
    Nun sprecht, wie haben wir gesungen,
    Wie ist es uns gelungen,
    Legen wir wohl Ehre ein?
    VAN BETT.
    Köstlich habt ihr nun gesungen,
    Endlich ist es euch gelungen.
    CHOR.
    So werdet Ihr zufrieden sein?
    VAN BETT.
    So werde ich zufrieden sein!
    CHOR.
    So legen wir auch Ehre ein?
    VAN BETT.
    So legt ihr große Ehre ein!
    CHOR.
    Wir legen Ehre ein, das wird 'ne Freude sein!
    Endlich ist es uns gelungen, und wir legen damit
    Ehre ein.
    VAN BETT.
    Wie so schön die Worte fließen, wie ein Bächlein hin;
    Gar nicht schwülstig, ganz natürlich,
    Und der Stilus so ausführlich.
    Ja, wir legen Ehre ein.
    ALLE.
    »Du bist ein großer Held, vivat hoch!«
    Das wird 'ne große Freude sein,
    Wir legen Ehre ein.


    Alle wenden sich zum Gehen


  • Ja - Lortzing ist in der Tat genial - ich habe dem Thema einst einen eigenen Thread gewidmet.


    http://www.tamino-klassikforum…page=Thread&threadID=2712


    Lortzing erleidet in gewisser Weise ein ähnliches Schicksal wie Richard Wagner, nämlich was seine Texte betrifft. Sie werden implizit als dilettantisch abgetan. Wirft man Richard Wagner seine "schwülstige Sprache" vor (ich hallte sie für gewollte und dem im 19 Jahrhundert in Mode gekommenen Historismus geschuldet - so wird Lotzing gerne "spießbürgerliche Betulichkeit vorgeworfen. Viel weiter kann man mit seinem Urteil nicht danebenschießen - denn speziell Lortzing machte sich darüber lustig. Bleiben wir fürss erste bei "Zar und Zimmermann". Auch die Arie des "Van Bett" ist köstlich, eine Parodie auf alle Politiker mit allenfalls lokaler Bedeutung. Der einzige, der von Bett für bedeutend hält ist er selbst, was er in seiner großen Aria auch lauthals kundtut.Die Arie endet mit einem Tiefen Ton, der oft aus dem Orchester "nachgeliefert" wird und an etwas erinnern soll....Was war denn das bloß ? Ach ja - HEISSE LUFT.
    Woher die kommt wird kaum jemand nachfragen wollen.....


    mfg
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wenn ich richtig informiert bin, waren auch Boito und Pfitzner ihre eigenen Librettisten, Boito, was natürlich allen bekannt ist, auch für Verdi wichtig...


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Wenn ich richtig informiert bin, waren auch Boito und Pfitzner ihre eigenen Librettisten, Boito, was natürlich allen bekannt ist, auch für Verdi wichtig...


    Ja Boito, das Libretto zu seinem Mefistofele hat er selbst verfasst. Bemerkenswert für die damalige Zeit ist auch, dass er Libretti für Verdi schrieb und gleichzeitig für Wagner schwärmte.

  • Ein nettes Gedicht des Leipziger Arzt und Professor Heinroth "An den Schauspieler Lortzing" nach Aufführung der Oper Die beiden Schützen:


    'Mit Ernst hat, die das Schöne lieben,
    dein Geistesodem angeweht.
    Die Menge, sie ist stumm geblieben.
    Warum? Weil sie dich nicht versteht.'"


    Ein Kritiker sagte einmal, man muss doppelbödig denken, um Lortzing ganz zu begreifen.

  • Janacek hat die meisten seiner Libretti selbst verfasst,so wurde z.B. aus der Groteske "Die Sache Makropulos" eine ergreifende Tragödie. Auch Dostojewskis "Totenhaus" wurde von ihm verschärft. Auch von der Katja muss man das sagen. Janacek spitzt die zugrundeliegenden Stoff immer zu und passt sie damit seiner Musik an. Ein besonderes Kennzeichen ist dabei die extreme Verkürzung: seine Opern dauern maximal 2 Stunden.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Da habe ich mich lange mit den Inhaltsangaben zu Janaceks Opern beschäftigt und bin nicht draufgekommen, daß der natürlich auch dazu gehört - lieber Dr. Pingel: im Gedenken an eine durchaus fruchtbare Zusammenarbeit bei den Opern Deines Liebslingskomponisten sage ich einfach nur "Asche auf mein Haupt"!


    ;(

    .


    MUSIKWANDERER

  • Sucht man nach dem Librettisten von Modest Mussorgskjis Oper "Boris Godunov", wird überall der Komponist selbst angegeben. Dagegen kann man aber berechtigte Zweifel anmelden.


    Viele Passagen geben einfach nur Puschkins Originaltext wieder, verkürzt manchmal und hier und dort leicht verändert, aber durchaus nicht eigenständig.


    Das wirft die Frage auf: wie viel fremden Text darf sich ein Librettist erlauben, ohne den Anspruch auf diesen Titel zu verlieren?

  • Lortzings Texte sind in der Tat doppelbödig


    Selbst der beliebte Meister Stadinger kann es nicht lassen sich selbst auf tollpatschige Art ins
    rechte Licht zu setzen. Man beachte die scheinbar plumpen Stellen, die jedoch sprachlich Meisterwerke des Humors darstellen...
    .......


    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Das ist köstlich!!!


    Ich flöße jedem, groß und klein,
    nebst Medizin auch Achtung ein –

    Ein analoger und ebenso witziger logischer Salto findet sich bei Wilhelm Busch:


    "Mit einer Gabel und mit Müh´
    zog ihn die Mutter aus der Brüh´."

  • Weil ich ihn gerade mal wieder hervorgekramt habe um für den Opernführer zu schreiben: Alexander von Zemlinsky hat zumindest drei Opernlibretti selber nach Vorlagen verfaßt: "Sarema" (mit Arnold Schönberg zusammen), "Der Kreidekreis" und "Der König Kandaules".


    Darf der trotzdem hier genannt werden ;(


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Immerhin haben wir bereits einige Beispiele, wo der Komponist sein eigener Librettist war - weitere werden folgen. Offen bleigt die Frage WARUM diese Komponisten auf einen "professionellen" Librettisten verzichtet haben. Wollten Sie die das Honoroar alleine kassieren udn nicht teilen müssen ?
    Oder wollten sie Auseinandersetzungen mit den Textern vermeiden, die ja naturgemäß zumeist in die Komposition eingreifen wollte - ja vermutlich sogar mussten?
    Hatten sie Angst vor Verstümmelungen ? Wenngleich es in vergangenen Jahrhunderten noch kein Regietheater gab, Beispiele wo Librtti den Erfolg einer Oper gefährdeten gibt es einige. Die meisten kann man heute gar nicht mehr als Beispiel heranziehen - sie sicn so gut wie vergessen.....
    Natürlich ist das "selbst erstellte Libretto" noch kein Garant für Erfolg - ja mancher wird vielleicht sogar der Meinung sein, es wäre ein riskantes Unterfangen - und man fände auch zahlreiche mißglückte Opern in dieser Sparte....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • (...) Offen bleigt die Frage WARUM diese Komponisten auf einen "professionellen" Librettisten verzichtet haben. Wollten Sie die das Honoroar alleine kassieren udn nicht teilen müssen ?
    Oder wollten sie Auseinandersetzungen mit den Textern vermeiden, die ja naturgemäß zumeist in die Komposition eingreifen wollte - ja vermutlich sogar mussten?
    Hatten sie Angst vor Verstümmelungen ? (...)

    Ich könnte mir vorstellen, daß alle aufgelisteten Gründe eine Rolle spielten. Möglicherweise könnte man noch ergänzen, daß die Komponisten in ihrem Umfeld keine adäquaten Texter fanden und sie deshalb selbst "Hand anlegten" - wie es genauso gut möglich ist, daß sie sich selber für den besseren Librettisten hielten, der am besten die Einsicht in die Notwendigkeiten des textlich-musikalischen Konzepts hatte.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Ich glaube, dass man als Komponist-Librettist in Personalunion - vorausgesetzt man hat das Talent dazu - wesentlich "authentischer" wirken kann, als wenn man den Kompromiss eingeht , einige seiner Gedanken dem Partner opfern zu müssen - sich anzupassen. Natürlich gibt es zahlreiche Beispiele, die das Gegenteil zu belegen scheinen, aber ich will versuchen, zu illustrieren worauf ich hinaus will:
    Gerade wurde Carl Orff hier genannt, Richard Wagner ist hier ein Selbstläufer, ich nehme hier mal Lortzing als dritten ins Spiel:
    Während Verdis Opern - nur als Beispiel, oder jene von Mozart stilistisch und sprachlich durchaus unterschiedlich sein können, so ist bei den Erstgenannten quasi IMMER der Stempel des Autors - sowohl als Librettist als auch als Komponist erkennbar, wobei hier zumeist ein verstärkender Effekt auftritt, ich nenne hier als Beispiel nur Lortzings oft SCHEINBAR tölpelhafte Texte, die von einer spöttischen Musik begleitet werden.....
    SIEGFRIED Wagner ist in diesem Zusammenhang ein eigener Fall.
    Ich werde mich - so niemand sonst es tut - in einem meiner nächsten Beiträge in diesem Thread diesem Spezialfall widmen...


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Höre und sehe gerade Schumanns Genoveva, wo wie in der "Frau ohne Schatten" eine böse Amme Unheil stiftet.
    Harnoncourt dirigiert im Opernhaus Zürich eine seltsam vernachlässigte Oper.


    Bei Wikipedia ist Folgendes zu finden:


    "Zuerst hatte sich Schumann für seinen Freund, Robert Reinick, einen Dichter und Maler ohne jegliche Bühnenerfahrung, als Librettisten entschieden, der einen Text auf Basis von Ludwig Tiecks 'Leben und Tod der heiligen Genoveva' von 1799 lieferte, der Schumann zu lyrisch war. Da man sich nicht auf den Text einigen konnte, schrieb Schumann einen eigenen Text, in dem er in einigen Teilen den originalen Wortlaut der 1843 veröffentlichten Tragödie 'Genoveva' von Friedrich Hebbel übernahm. Von Reinicks Urversion blieben nur rund 200 Verse übrig. Trotzdem ist Schumanns Version eigenständig und unterscheidet sich inhaltlich von den ursprünglichen Vorlagen, so z. B. im Happy End"

  • Nach über einem Jahr Pause versuche ich diesen Thread (und andere der Serie) wieder in Schuss zu bringen. Von anderen Aspekten abgesehen ist es ja heute fast der einzige Weg jüngeren an der Oper interessierten Leuten die eigentlichen Geschichten bzw ihre Herkunft nahezubringen. Entweder werden Opern verballhornt oder aber sie verschwinden vom Spielplan.
    Hier befasse ich mich - wie weiter oben versprochen - mit Siegfried Wagners Oper: Der Bärenhäuter (Inhaltsangabe im Tamino Opernführer)
    WAGNER, Siegfried: DER BÄRENHÄUTER
    Siegfried Wagner hat wie sein Vater Richard die meisten seiner Libretti selbst geschrieben ., so auch in diesem Fall. Er hält sch nicht sklavisch genau an die Vorlage, allein schon deshalb weil es gar keine verbindliche gibt. Ja- ich weiß es handelt sich um ein Märchen der Gebrüder Grimm – aber die Grimms waren ja keine „Märchenerzähler“ sondern Sprachwissenschaftler.
    Sie sammelten die Märchen, die in Spinn- und Bauernstuben an Winterabenden beim Kamin erzählt wurden – und versuchten auf dieses Weise altes Volksgut der Nachwelt zu erhalten.
    Dadurch gab es auch immer wieder verschieden Versionen ihrer Märchen. Der Bärenhäuter hieß bei den Gebrüdern Grimm von 1815-1843 „Teufel Grünrock“ und trug die Nr KHM 101. KHM heisst in diesem Zusammenhang nicht etwa „Kunsthistorisches Museum“ sondern „Kinder und Hausmärchen“ Das eigentliche Märchen verläuft etwas anders als die Opernhandlung. Eigenartigerweise ist sie simpler und zugleich bösartiger.
    Auf der Wikipedia-Seite lernen wir die unterschiedlichen Fassungen kennen
    http://de.wikipedia.org/wiki/Der Bärenhäuter
    Bei Ludwig Bechstein hieß das Märchen seit 1853 „Rupert der Bärenhäuter


    Siegfried Wagner erweist sich bei der Umsetzung als geschickter- und vor allem humorbegabter Librettist. Allein die Dialoge mit dem Teufel, der sehr viel Wert auf gesellschaftliche Konventionen und einen guten Umgangston ihm gegenüber Wert legt – sind schon kleine Kostbarkeiten, ebenso wie das Würfelspiel um die Seelen mit Petrus in Verkleidung, der sich als Falschspieler entpuppt (Er würfelt mit zwei Würfel die Zahl 13 (!!) und übertrifft somit die an sich nicht zu toppende 12 seines Gegners.
    Interessant auch die Tricks mit denen der Teufel seinen Pakt gewinnen möchte – und dass er am Schluss seinen Vertrag einhält. Die Gegenleistung von 2 Seelen, nämlich jene der Schwestern der Braut des Bärenhäuters, der bei Wagner Hans Kraft heißt erhält der Teufel in dieser Fassung nicht, weil die Schwestern hier nicht Selbstmord begehen…..


    mit freundlichen Grüßen
    Alfred Schmidt
    Tamino Klassikforum Wien

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Bemerkenswert für die damalige Zeit ist auch, dass er Libretti für Verdi schrieb und gleichzeitig für Wagner schwärmte.


    Naja, das war nicht ganz gleichzeitig, sondern schon etwas zeitversetzt: zuerst Wagner-Verehrung und Verdi-Spott beim jungen Stürmer und Dränger Boito, der erst später (als Wagner schon tot war) Verdis Größe voll erfassen konnte und dann mit seinen beiden genialen Shakespeare-Libretti unermesslich viel zu Verdis grandiosem Spätwerk beitrug. :yes:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Liebe Taminos,


    auch Ruggero Leoncavallo schrieb für viele seiner Opern u.a. den Bajazzo, Zazá, I Medici, La Bohéme seine Libretti selber. Dies war in seinem Fall fast selbstverständlich, hat er doch ein Studium der Literatur hinter sich und war zudem noch ein bekannter Librettist bevor sein Erfolg des Bajazzos ihn in den Augen des Publikums zum Schöpfer der veristischen Oper schlechthin machte (von der Cavalleria mal abgesehen). Dabei wurden seine schriftstellerischen Werke kaum als dilettantisch angesehen. Ricordi - der Verlag Puccinis - sorgte sogar dafür, dass Leoncavallo (zu Puccinis Missfallen) am Libretto der Manon Lescaut mitarbeitete. Er schrieb zudem zwei weitere Libretti für heute vergessene Opern der Komponisten Pennacchio und Machado.


    Beste Grüße
    Christian

  • Das wirft die Frage auf: wie viel fremden Text darf sich ein Librettist erlauben, ohne den Anspruch auf diesen Titel zu verlieren?

    Eine entsprechende Frage müsste sich auch Georg Büchner stellen, der ganze Passagen aus der Zeitung abschrieb.



    Offen bleigt die Frage WARUM diese Komponisten auf einen "professionellen" Librettisten verzichtet haben.

    Für mich stellt sich eher die Frage, warum sich so viele Komponisten auf nicht professionelle Librettisten eingelassen haben. Vielleicht ist Helmine von Chezy ein gutes Beispiel. Webers Musik zu "Euryanthe" dürfte eines der größten Verluste des Musiktheaters bedeuten. Wagner hatte einmal gegenüber Rossini sinngemäß festgestellt, dass er so etwas wie den Rütlischwur nur hätte komponieren können, weil er an dieser Stelle selbst sein eigener Textdichter gewesen sei.


    Ja, es wird noch weitere Bespiele geben: Rimski-Korsakow (das war doch klar :D ), wenn auch nicht bei allen Opern, hatte für jede seiner 15 eine andere Form gefunden, die ich in dieser Vielfalt noch bei keinem anderen Komponisten gesehen habe; mögen die Opern nun "wirken" oder nicht. Er sagte ganz klar: Eine Oper ist ein musikalisches Kunstwerk. Deshalb darf sich der Librettist nicht als "Textdichter" verstehen, sondern muss sich damit abfinden, der Sache "dienlich" zu sein. Und das heißt: Sein Name wird auf den Plakaten deutlich "kleiner gedruckt". Hat ein Komponist eine schriftstellerische Begabung (und das kann Rimski nicht abgesprochen werden, trotz angeblich fehlender "Dramatik"), warum sollte er sich auf ein mühsames Hin und Her mit einem Librettisten einlassen? Die sehr glücklichen Fälle (z.B. Lorenzo da Ponte, Karl Sabina, Vladimir Belski) scheinen eher die Ausnahme zu sein.



    Gruß Heiko

    Heiko Schröder
    Ahrensburg


    "Wer sich im Ton vergreift, sucht nur in den glücklichsten Fällen nach neuen Harmonien."