Neukomponiertes Finale zu Bruckners Neunter von Heinz Winbeck

  • Liebe Forianer!


    Zur Diskussion stellen möchte ich gerne folgenden Vorgang.


    Dennis Russell Davies hat sich noch beim Würzburger Brucknerfest 2003 geweigert, die Neunte Bruckner mitsamt der Aufführungsfassung des Finales zu spielen - entgegen des ausdrücklichen Wunsches der Veranstalter, die daraufhin das Münchner Rundfunkorchester unter Sebastian Weigle bitten mußten, neben der Sinfonie von Hans Rott das Finale einzuspielen, damit der Satz wenigstens zeitnah zu DRD´s Aufführung der Neunten erklingt (die er - wie originell! - mit Schuberts Unvollendeter gepaart hatte).


    Nun hat das Linzer Brucknerfest allerdings bei dem Würzburger Komponisten Heinz Winbeck einen von ihm völlig neu komponierten Finalsatz zur Neunten in Auftrag gegeben, der ausdrücklich nicht auf Bruckners eigene Fragmente zum Finale zurückgreifen soll, sondern ein "Heinz Winbeck denkt auf der Grundlage der ersten drei Sätze über die Neunte nach" repräsentieren soll. Die Uraufführung sollte beim Linzer Brucknerfest 2005 stattfinden, doch wird Herr Winbeck nicht rechtzeitig fertig. So steht uns diese Uraufführung wohl erst im nächsten Jahr ins Haus.


    Gleichwohl wird diese Uraufführung vom Bruckner Orchester Linz unter eben jenem Dennis Russell Davies bestritten. Kein Wunder: Herr Russell Davies hat schon mehrere Werke von Heinz Winbeck aus der Taufe gehoben ...


    Meinungen dazu sind willkommen. Wer mag, darf diese auch gern dem Direktor des Brucknerfestes, Wolfgang Winkler, mitteilen ... (Brucknerhaus Linz)

  • Hallo Ben,


    meine Meinung: Dennis Russell Davies soll tun, was er will, insbesondere diejenige Fassung dirigieren, die er dirigieren will. Mir riecht, ganz vorsichtig formuliert, das Posting ein wenig "politisch"...


    Also halte ich dagegen: Wer will, darf Herrn Winkler dazu gratulieren, dass er die künstlerische Entscheidungsfreiheit darüber, welche "Fassung" zu dirigieren ist, weiterhin DRD überlässt, obwohl sich ein bekannter Bruckner-Forscher gegen die von diesem gewählte Winbeck-Ergänzung ausgesprochen hat.


    Oder so ähnlich.


    Nebenbei: Die Winbeck-Ergänzung kennt doch jetzt noch niemand. Wie kann man dann schon dagegen sein? Rein vorsorglich?


    Dass es ein wenig danach riecht, dass DRD Herrn Winbeck zu Tantiemen verhilft - das sehe ich allerdings auch. Aber solche Bezüge hat es zwischen Dirigenten und Komponisten wohl immer gegeben. Sie sind für die Musik nicht automatisch von Nachteil.


    Freundliche Grüße


    Heinz Gelking

  • Lieber Herr Gelking: Es geht hier eben nicht um eine neue "Ergänzung", sondern um eine Neukomposition ohne Berücksichtigung von Bruckners eigener Hinterlassenschaft zum Finale. Also ein Thema, das grundsätzlich zu diskutieren wäre: Wann schreibt dann jemand mal ein neues Finale zu Beethovens Neunter? e gustibus? Ein Schelm, wer arges dabei denkt?
    Ob das Brucknerorchester im Allgemeinen oder Herr Russell Davies im besonderen unsere oder eine andere Aufführugnsfassung dirigiert oder nicht dirigiert ist mir dabei eigentlich herzlich egal ...

  • Zitat

    doch wird Herr Winbeck nicht rechtzeitig fertig


    ...mit welcher Fassung dennn...? :D


    Ich sehe keine Notwendigkeit darin, zu Beethovens IX. ein neues Finale zu komponieren, das Werk ist vollendet.


    Jedoch halte ich persönlich eine Neukomposition eines [unvollständigen, nichtausgearbeiteten, fehlenden] Finales - quasi als hommage an Bruckner - für wesentlich sinnvoller, als die "Vollendung" fragmentarischer Teile; diese meine Meinung dürfte ja hinreichend bekannt sein.


    In Russell Davies sehe ich einen absolut kompetenten Künstler, der von Mozart bis Mahler [meine Erfahrung] es mir stets "Recht gemacht" hat. Keine Einwände.


    Addio
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von ben cohrs
    Lieber Herr Gelking: Es geht hier eben nicht um eine neue "Ergänzung", sondern um eine Neukomposition ohne Berücksichtigung von Bruckners eigener Hinterlassenschaft zum Finale. Ja, habe ich verstanden. Die Fragmente werden allenfalls als "Ideen-Vorlage" genutzt. Winbeck macht damit, was er will - soll er. Also ein Thema, das grundsätzlich zu diskutieren wäre: Wann schreibt dann jemand mal ein neues Finale zu Beethovens Neunter? Die Neunte ist ja auch fertig geworden - der Vergleich hinkt also etwas. Aber warum eigentlich nicht? Mal so eine Neunte ohne überforderte Chor-Soprane, weil's keinen Chor gibt... Keine schlechte Idee (Achtung: Ironie!) e gustibus? Ein Schelm, wer arges dabei denkt?
    Ob das Brucknerorchester im Allgemeinen oder Herr Russell Davies im besonderen unsere oder eine andere Aufführugnsfassung dirigiert oder nicht dirigiert ist mir dabei eigentlich herzlich egal ...

    Mir bestimmt. Aber warum dann dieser Angriff gegen DRD und Winbeck? Es scheint doch auf einen eher kreativen Umgang Winbecks mit den Fragmenten hinaus zu laufen. Ich kenne übrigens weder Winbeck, noch eine seiner vier Sinfonien, noch seine konkreten Pläne, aber die Idee, eben nicht zu rekonstruieren, sondern "modern anzubauen" ist jedenfalls nicht von vorherein schlecht und hat bei der Gedächtniskirche in Berlin ja auch funktioniert.


    Freundliche Grüße
    Heinz Gelking

  • Ulli


    Wenn ich den Thread zum Finalsatz der Neunten richtig gelesen und verstanden habe, dann handelt es sich beim vierten Satz nicht um etwas "unvollständiges, unaugearbeitetes". Der Satz war in weiten Teilen fertiggestellt, ist jedoch fragmentiert worden.


    Eine Neukomposition ist immer etwas feines :hello:, aber der Finalsatz von Bruckners Neunten braucht nicht neu geschaffen zu werden. Ich kann darauf verzichten, jedoch halte ich die geäußerte Kritik an DRD und Winbeck für übertrieben. Am Ende entscheidet sowieso das Publikum und die Kritiker, was davon zu halten ist, diese Meinung hatte ich ja auch schon im Marthé Thread geäussert.


    Ich persönlich freue mich auf das Cohrs-Finale und werde bis ich eine Gelegnheit zum Hören habe mich mit anderen Rekonstruktionen und Neukompositionen erst gar nicht beschäftigen, selbst wenn sie separat betrachtet gelungen sein mögen.


    Die Kutsche "Bruckner9" wird nur rund laufen, wenn das vierte Rad richtig zusammengebaut wird, die Einzelteile (Felge, Nabe) hat uns Bruckner ja hinterlassen. Und wenn die ein oder andere Speiche fehlt, wird der Karren trotzdem fahren, das ist meine Meinung.

  • Zitat

    Der Satz war in weiten Teilen fertiggestellt, ist jedoch fragmentiert worden.


    Salut,


    das müsstest Du mir für mein Verständnis bitte etwas genauer definieren.


    ?(


    Ein Fragment ist m. A. nach ein unvollständiges, skizziertes Werk, oder aber ein Werk [Satz], welches durch irgendwelche Umstände "auseinandergerissen" wurde. M. E. handelt es sich bei Bruckners IX. eher um Ersteres, da man von z.B. "großen Notenwerten" spricht - wohl ein Indiz für eine noch nicht abgeschlossene [melodische, wohl aber harmonische] Ausarbeitung. Nicht weit entfernt vom Begriff des "Fragmentes" ist auch die "Skizze". Was hier zutrifft, kann ich nicht sagen.


    Ein "fragmentiert werden" kann es so gesehen nicht geben - man müsste schon einige Noten herausradieren, oder ein paar Seiten verschwinden lassen.


    Sehe ich das richtig?


    Zitat

    Die Kutsche "Bruckner9" wird nur rund laufen, wenn das vierte Rad richtig zusammengebaut wird, die Einzelteile (Felge, Nabe) hat uns Bruckner ja hinterlassen. Und wenn die ein oder andere Speiche fehlt, wird der Karren trotzdem fahren, das ist meine Meinung.


    Schön gesagt.


    Addio
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Ulli


    Start/Programme/Zubehör/Systemprogramme/Defragmentierung


    Dann in der Detailansicht genau beobachten was passiert. Es kommt nichts hinzu, es wird nichts weggenommen, es kommt nur alles an den richtigen Platz, und hinterher sieht es wieder schön ordentlich aus. :baeh01:

  • Salut,


    das ist richtig - daran habe ich während des Schreibens auch gedacht. Ich denke aber, fragmentieren ist hier ein Vorgang, den sich die moderne Technik selbst zuzuschreiben hat, ebenso wie das "Gegengift": Defragmentieren.


    Bruckners Noten, wie auch alle anderen aus der Zeit, wo es noch keine Computer gab, dürften aber mit Tinte oder Vergleichbarem fest aufs Papier notiert sein und nicht dureinander fallen.


    Zudem kommt, dass der Inhalt einer Festplatte ohnehin zumeist entweder immer vollständig ist, oder sich vermehrt. Das kann man wohl kaum mit einem musikalischen Werk vergleichen. Selbst wenn man ein solches via Notensatzprogramm auf der Festplatte speichert [nehmen wir an, es ist ein vollendetes Werk], so werden zwar die Daten, nicht aber das angezeigte Ergebnis "fragmentiert".


    :hello:


    bien cordialement
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Vervollständigungen an Hand von fragmentarischen Notenmaterial- zumal Jahrzehnte oder ein Jahrhundert nach dem Tod des Komponisten werden - wer immer sie verfertigt hat - von einem Teil der Klassikgemeinde scheel betrachtet werden (was ich im Falle Bruckners, der ja fast alle Änderungswünsche willig, je unterwürfig aufgriff), nicht ganz verstehen kann)


    Daran werden sich immer die Geister scheiden - Daran ist nichts zu ändern. Immerhin wird solch eine Fertigstellung andererseits aber beachtet werden (in Wien zumeist nach dem Tod der Herausgeber)- sie wird ihren Platz in der Musikgeschichte , zu Recht , wie ich meine , behaupten können.Allerdings immer als Alternative


    Ganz anders schaut das IMO mit willkürlichen "Nachkompositionen aus"
    Das Tabu wurde bereits bei Holsts" Planeten" gebrochen, hier wurde Pluto dazukomponiert. Pluto wurde erst nach der Komposition entdeckt, aber vor dem Tode Holsts. Holst hätte das Werk also ergänzen können - wenn er gewollt hätte . Er wollte nicht.


    Im 21. Jahrhundert einen völlig neu komponierten Satz an ein bestehendes Meisterwerk der Musikgeschichte anzuhängen halte ich freundlich gesagt für gewagt.- uind persönlich gesagt für abstossend und unzulässig.


    Man stellt sich die Frage wozu das gut sein soll - und die Frage beantwortet sich de facto von selbst: Weiter oben im Thread wurde schon darauf eingegangen.


    Ich nehme an, daß die Leitung des Brucknerfestes weder an meiner, noch an sonst einer Meinung interessiert sind, die mit ihrer nicht konvergiert.


    Solange Subventionen aus dem Füllhorn der Steuerzahler ausgeschüttet werden ist man quasi unangreifbar und auf Meinungen von Publikum und Musikwissenschaft nicht angewiesen....


    Aber nur solange........


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred Schmidt.

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Salut,


    ich sehe den großen "Vorteil" in einer Nachkomposition darin, dass diese als solche auch ausgewiesen wird und der Zuhörer definitiv weiß, dass das Werk nicht von dem Autor des eigentlichen Hauptwerkes stammt. Bei einer Rekonstruktion bleibt der [nicht fachlich versierte] Zuhörer trotz etlicher Erläuterungen stets im Dunkeln, welche Teile nun "echt" sind und welche nicht. "Otto Normalverhörer" wird bei dem Wort "Rekonstruktion" stets suggeriert, es handele sich tatsächlich, wie von Holger Grinz beschrieben, um das "richtige" anordnen von vorhandenen Teilen.


    Dem ist jedoch in den meisten Fällen nicht so. Das typische "Defragmentieren", wie Holger es beschreibt, gibt es m. W. in nur zwei - mir bekannten - Fällen: Der erste in der Literatur: Hier hat Dr. phil. Christian Eschweiler die Kapitelfolge von Kafkas "fragmentarischem" Roman Der Process neu geordnet und damit für großen Wirbel gesorgt. Eschweiler hat hier nicht einen Punkt zu den Buchstaben Kafkas hinzugefügt oder verändert, sondern dem Werk einen ganz eigenen - in meinen Augen, soweit ich das begreifen kann - richtigen Sinn durch die seiner Meinung nach "richtige Anordnung" der Kapitel gegeben. Daher rührt auch der Titel seines Buches: Kafkas unerkannte Botschaft - Der richtige Process.


    Das zweite Beispiel ist Franz Joseph Haydns [es muss am Franz liegen!] Oper L'anima del filosofo assia: Orfeo ed Euridice: Hier wurde nicht eine Note verändert oder hinzugefügt. So schreibt Maike Lieser im Zusammenhang mit den wahrlich raren Aufführungen dieser Oper: [...] Ein Grund hierfür ist wohl in der etwas verworrenen Handlung und der eher stereotypen Charaktere zu sehen, die wiederum z.T. auf die problematische Quellenlage zurückzuführen sind, aus der eine "Endfassung" der Oper nicht ersichtlich ist [...] Ähnlich gelagert sind auch die Quellenlagen der Opern Johann Christian Bachs: Hier wurden [nicht mehr erhaltene oder auffindbare] Rezitative stilgerecht ergänzt und die Oper somit aufführbar gemacht. Sehr sinnvoll! Hierbei ist natürlich zu beachten, dass Rezitative nicht das non plus ultra einer Oper sind.


    Anders liegt der Fall bei der Ergänzung Alfred Schnittkes zum Mahlerschen Klavierquartett. Schnittke wurde beauftragt, das unvollendete [und damit fragmentarische] Werk zu vollenden. Antti Häyrynen schreibt dazu: Schnittke war seiner modernen Arbeitsweise treu und hat keinen Kitt aus der Musikgeschichte bemüht. Er drückte dem Mahlerschen Jugendwerk ungeniert seinen Stempel auf. Hierbei handelt es sich natürlich um zwei Größen aus der Musikwelt, die - mehr oder weniger - unfreiwillig aufeinander gestossen sind. Natürlich: Auch hier stellt sich die Frage: Warum hat Mahler das Werk nicht vollendet? Da es sich um ein Jugendwerk handelt, ist davon auszugehen, dass er es nicht wollte. Dennoch ist der Erfolg, dass wir das [ergänzte] Werk heute erleben dürfen [und ich liebe es sehr]. Der/Die Schnitt[k]e ist deutlich heraushörbar und somit nicht unbedingt schädlich.


    Deswegen halte ich eine Neukomposition zu Brückners IX. für gar nicht mal sooo schlecht. Die Vorhandenen Sätze werden im Original gespielt und zur "Abrundung" [wenn es gelingt], gibt's was Neues - kein Wust aus irgendwelchem latenten Notenmaterial. Allerdings wäre es schön und richtig, wenn dabei der Stil des Komponisten des Hauptwerkes gewürdigt würde. Anhand von Mozarts Skizzen beispielsweise ist leicht erkennbar: Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt - Komponisten komponieren häufig trotz etlicher vorhandener Skizzen und Entwürfe dann doch etwas völlig anderes, als in den Entwürfen steht.


    Für Fragmentfanatiker bietet sich dann auch immer noch die Möglichkeit, dass Fragment als solches zu spielen - für mich immer noch die reinste Form, wenn auch nicht immer ganz unsittlich...


    Meine letzte Anregung wäre noch, dass ich einmal kompositorische Größen wie Karlheinz Stockhausen und Wolfgang Rihm an einer werkgetreuen Ergänzung versuchen sollten.


    Adieu
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Lieber Ulli! Das Finale hat in der Tat bei Bruckners Tod als zusammenhängendes Ganzes vorgelegen, mit völlig fertig instrumentierter Exposition, der Rest des Satzes mit vollständigen Streichern und im Entstehen begriffener Bläser-Instrumentation. Die Partitur konnte aus den außerdem erhaltenen Entwürfen, Skizzen und Vorstadien zu etwa 90% von uns rekonstruiert werden. Der Satz wurde erst nach Bruckners Tod auseinandergerissen. Bis heute geistert die eigenartige Ansicht herum, unser Bearbeiterteam hätte das Finale anhand von Computersatztechniken rekonstruiert. Das einzige, wozu der Rechner verwendet wurde, war die Erstellung der Druckvorlagen mit dem Notenschreibprogramm Sibelius. Der Vorgang der Rekonstruktion erforderte einerseits die korrekte Reihung der von Bruckner selbst numerierten noch erhaltenen Partiturbogen sowie zum zweiten die Entwicklung von Rekonstruktionstechniken zur partiellen Wiederherstellung der im Ablauf der Partitur HEUTE vorliegenden Lücken. Dafür konnte auf einen sehr reichen Materialbestand von Bruckners eigener Hand zurückgegriffen werden. Das von Dir geschilderte Problem, daß ein Hörer nicht weiß, was nun rekonstruiert ist und was nicht, sehe ich auch. Deshalb würde ich für meine eigenen Aufführungen wo immer nur möglich dafür plädieren, in einem 45minütigen Werkstattteil vorneweg das Finale als Fragment aufzuführen und dann nach ausführlicher Pause die komplettierte Neunte. Dann kann man es sofort hörend nachvollziehen. (Auf Medien böten sich da noch ganz andere Möglichkeiten.) Andrerseits kümmert das den Hörer bei Mozarts Requiem in Süßmeiers Beendigung beispielsweise schon längst nicht mehr ...


    Lieber Heinz: Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn die Komponisten XYZ in aller möglichen Form über solche Werke nachdenken (Gottfried von Einem hat zum Beispiel den Finale-Choral in seinen "Bruckner-Dialog" eingebaut), aber dann soll man ein solches Werk bitteschön als eigenständiges Werk, als kompositorischen Kommentar oder "Hommage" oder "Fantasie über Bruckners Neunte" oder was auch immer bezeichnen und nicht ein originäres Kunstwerk durch ein eigenes "überschreiben". Sinnvolle Abrundungen in der Programmgestaltung schließt das ja ohnehin nicht aus. Vor der Pause drei fertige Sätze der Neunten, nach der Pause (oder umgekehrt) das, was der Dirigent dazu als passend erachtet, liegt eben ganz im Ermessen des Dirigenten bzw. des Veranstalters. Wenn also Herr Winbeck als Komponist über Bruckners Neunte nachdenkt und das ganze im Zusammenhang mit der Neunten aufgeführt wird, ist auch das völlig in Ordnung. Doch die Vorgabe für Herrn Winbeck ist laut Info der Veranstalter AUSDRÜCKLICH, Bruckners eigene Fragmente zum Finale NICHT zu berücksichtigen und "einen neuen Finalsatz" zu komponieren! Es geht mir hier auch nicht um einen "Angriff auf DRD" (zu dem ich hier nicht mal eine private Meinung äußere) und Heinz Winbeck, sondern lediglich um das Procedere - nämlich ein bereits vom Komponisten Bruckner selbst vorliegendes Werk durch ein neu geschriebenes Werk eines anderen Komponisten ersetzen zu lassen. Alfred hat das - vielen Dank - bestens verstanden. Das hat für mich nicht mehr viel mit Kunst zu tun. Wobei zu den "Planets" zu sagen wäre, daß es Holst ohnehin nicht um Astronomie, sondern Astrologie ging - nämlich die charakterlichen Zuschreibungen an die Planeten, die er in seinen Satztiteln auch deutlichst zum Ausdruck bringt. (Zumal sich die Forscher bis heute darüber streiten, ob Pluto überhaupt ein Planet zu nennen ist oder nicht ...)

  • Lieber Ben,


    Danke für die Aufklärung. Deine Darstellung entspricht ganz meinen Vorstellungen, was die "Aufführungspraxis" betrifft. Ich wollte dies noch als Möglichkeit vorschlagen, zuerst das "Fragment" aufzuführen - dazu vielleicht nachher eine Erläuterung über die Rekonstruktion mit Klangbeispielen [vorher/nachher] - dann das komplettierte Werk. Dass Bruckners Satz auseinander gerissen wurde, war mir nicht bekannt [obwohl ich es sicherlich hier im Forum bereits hätte nachlesen können - ich bitte um Nachsicht]. Dennoch möchte ich [kleine] Bedenken äußern gegenüber der Ausarbeitung des Bläsersatzes, was - sei versichert - weder als Kritik noch als Einschätzung als mangelnden Könnens von mir beurteilt werden soll. Wie ich bereits schrieb "Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt!". Sicherlich wird aus Eurer Erfahrung heraus mit dem Brucknerschen Gesamtwerk eine recht gute Annäherung erzielt werden.


    Was das Mozart'sche Requiem betrifft, so bin ich anderer Ansicht - und dies nicht deswegen, weil es von Mozart ist. Wie bekannt, "hasse" ich Komplettierungen von Werken, insbesondere derer von Mozart. Das Requiem bildet aber hier in meiner Gefühlswelt eine fast einzigartige Ausnahme, da es von Zeitgenossen und Freunden bzw. Schülern und Assistenten vervollständigt wurde. Ich betrachte es als Ganzes, so wie es ist, als Kind seiner Zeit. Alle Vervollständigungen der heutigen Zeit - das kann man kaum dementieren - sind mehr oder weniger beeinflusst von dem Wissen, was danach kam. Ich bin sicher, dass Mozart das Requiem, wenn er es überhaupt hat vollenden wollen [was ich mittlerweile in Zweifel ziehe], anders gemacht hätte. Natürlich ist es annähernd möglich, die Instrumentation der halberftigen Teile heutzutage "besser", also "mozartischer" zu gestalten - das ist aber nicht notwendig: Das Werk wird bereits, von jenen, die es Wollen, so geliebt, wie es ist.


    Zitat

    Das hat für mich nicht mehr viel mit Kunst zu tun.


    Doch, hat es schon. Wieder soll es kein Angriff sein - nur mein persönliches Empfinden: Für mich ist es "etwas" mehr Kunst [im Sinne von Können], sich in ein Werk hineinzuversetzen, aus dem Erfahrenen Neues zu entwickeln, als mit "blossem Handwerk" [keine Degradierung!] etwas zu ergänzen. Sicherlich ist Eure Arbeit eine große, anstrengende und nicht immer ganz einfache. Aber: Rekonstruktion ist eben keine Schöpfung.


    Herzliche Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Lieber Uli: es ist für mich kein schlüssiges Argument, einem Werk wie Mozart/Süßmayrs Requiem ein "Gewohnheitsrecht" einzuräumen, bloß weil es schon gleich nach Mozarts Tod vervollständigt wurde. Und wenn nun Löwe oder Schalk gleich nach Bruckners Tod das Finale zu Ende instrumentiert hätten?


    Nein - meiner Ansicht nach muß man jedes Fragment und dessen Vervollständigung dem Einzelfall nach betrachten und sollte nicht pauschalisieren. Und man sollte vor allem sich erst mal kundig machen, worüber man urteilt (kein persönlicher Vorwurf!) , und da ist meiner Erfahrung nach der Wille bei vielen schon erschreckend gering..


    Aber das geht schon ein bischen über den eigentlichen Thread hinaus. Meine Anregung galt ja nicht der Vervollständigung von Fragmenten sondern der Frage, wo es etwaige Grenzen im Umgang mit dem schöpferischen Resultat der Arbeit von Komponisten gibt, und wer wo und wie sie ziehen könnte oder sollte.


    Und in diesem Fall: Warum ein völlig neues Finale zur Neunten komponieren, wenn es doch eins vom Komponisten selbst gibt, das als Werk noch in weiten Teilen erhalten ist?


    Herr Winbeck ist da ja nicht der einzige: Ich korrespondiere mit einem Komponisten namens Benjamin Cutler in den USA, der auch einen solchen Plan hatte, und wer weiß, wen es da noch so gibt. Iinzwischen (nachdem ich ihm diverses Material geschickt habe) ist Herr Cutler zumindest soweit, sein Werk als autonome Hommage zu konzipieren. Eine erste Realisation (Prelude and Fugues on Anton Bruckner´s Ninth Symphony) für Streichorchester in Art einer Vorstudie hat er mir gerade in Kopie geschickt.

  • Zitat

    Lieber Uli: es ist für mich kein schlüssiges Argument, einem Werk wie Mozart/Süßmayrs Requiem ein "Gewohnheitsrecht" einzuräumen, bloß weil es schon gleich nach Mozarts Tod vervollständigt wurde. Und wenn nun Löwe oder Schalk gleich nach Bruckners Tod das Finale zu Ende instrumentiert hätten?


    In Kürze... ich stehe kurz vor dem Abflug:


    Weil der Geist der Zeit und des Mannes, der das Werk nicht vollendet hat noch in den "überlebenden" weiterlebt. Ich halte zeitnahme Ergänzungen für die "echtesten", obwohl sie - natürlich! - nicht unbedingt dem entsprechen, was der Meister wollte!


    Zitat

    Nein - meiner Ansicht nach muß man jedes Fragment und dessen Vervollständigung dem Einzelfall nach betrachten und sollte nicht pauschalisieren. Und man sollte vor allem sich erst mal kundig machen, worüber man urteilt (kein persönlicher Vorwurf!) , und da ist meiner Erfahrung nach der Wille bei vielen schon erschreckend gering..


    Eine mutige Behauptung von mir ist: Ich könnte Mozart's R. "vollenden", würde es aber niemals tun, auch nicht als Beweis meiner Behauptung und nehme damit den Spott der Welt auf mich. Ich kenne noch jemanden, der es könnte... vielleicht tut er's? ICh rate ihm aber davon ab.


    Zitat

    Aber das geht schon ein bischen über den eigentlichen Thread hinaus. Meine Anregung galt ja nicht der Vervollständigung von Fragmenten sondern der Frage, wo es etwaige Grenzen im Umgang mit dem schöpferischen Resultat der Arbeit von Komponisten gibt, und wer wo und wie sie ziehen könnte oder sollte.


    Die Grenzen sind ja gezogen, indem W. ein "neues" Finale komponiert. M.M. hat natürlcih dieses neue Finale "nichts" mit der Sinfonie zu tun - aber es ist interessant. ICh würde eine solche Neukomposition auch niemals als vollwertige Ergänzung werten, aber einen gewissen Respekt zollen.


    * * *


    Gibt es eigentlcih eine Einspielung des Fragmentes?


    In Eile und liebe Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von UlliGibt es eigentlcih eine Einspielung des Fragmentes?


    Ich denke, das Gesprächskonzert von Harnoncourt mit den Wienern besteht lediglich aus den Fragmenten, ohne irgendwelche Hinzudichtungen,



    dann gibt es noch von Peter Hirsch mit dem RSO Berlin eine Einspielung, die ich zwar besitze, aber nie gehört habe.





    Ich warte auf das Cohrs-Finale :jubel:

  • ...bin ich auf diesen Thread gestoßen. Was ich über die Samale/Mazucca-Aufführungsversion denke, habe ich in Ben Cohrs' Thread zu dem Thema bereits dargelegt.


    Nun zu dem hier verhandelten Thema: Dass Ben die von ihm miterarbeitete Aufführungsversion verteidigt, ist klar. Dass er Dennis R. Davies zu seiner Entscheidung NICHT gratuliert, ist auch klar. Schließlich geht es nicht zuletzt um Tantiemen - das meine ich keineswegs abwertend. Auch für mich ist kein Heiterkeitsauslöser, wenn einem meiner Stücke das eines anderen Komponisten vorgezogen wird und ich Tantiemen einbüße.


    Dass Davies das Recht hat, eine Fassung zu spielen, die ihm genehm ist, ist aber sein unbestreitbares Recht als Künstler.


    Wie steht's nun um das Winbeck-Finale? - Also: Warum eigentlich nicht? Auch wenn Ben es nicht gerne lesen wird: Über weite Strecken ist auch das Samale-Mazzuca-Finale etwas wie eine Fantasie über Bruckner, wenngleich nicht so frei wie Einems Bruckner-Dialoge oder das, was bei Winbeck wahrscheinlich herauskommt.


    Wenn es stimmt, dass Bruckner in der Coda des Finales alle Themen aus den vorangegangenen Sätzen übereinanderstellen wollte, dann ist Winbecks Ausgangspunkt, das Finale aus den Themen der fertig komponierten Sätze zu entwickeln, gar nicht so übel.


    Für mich stellt sich nur die Frage: Wo ist diese Bruckner-Paraphrase im Konzert dann zu platzieren? Und da muss ich zugeben, dass ich wahrscheinlich ein unangenehmes Gefühl hätte, sie als krönendes Finale nach dem Adagio zu hören. Eine Themenparaphrase ist nämlich keine Werk-Ergänzung, sondern ein eigenständiges Werk. Und das gehört meiner Meinung nach durch die Programmfolge deutlich ausgedrückt.

    ...

  • Tantiemen sind wirklich das letzte, woran wir hier denken!
    Unsere Aufführungsfassung ist GEMA-frei, wir erheben lediglich Leih- und Aufführungsgebühren, aus denen wir gerade einmal unsere Kosten decken...
    Allerdings wird Herr Winbeck natürlich für eine Originalkomposition den vollen GEMA-Satz einstreichen dürfen, insbesondere, wenn er eben nicht auf Bruckners Skizzen zurückgreift...
    Allerdings finde ich es beleidigend, unsere Neuausgabe oder auch nur die alte Samale-Mazzuca Version als "Fantasie nach Bruckner" abzuqualifizieren; angesichts von beinahe 600 Takten Musik aus Bruckners eigener Hand ...
    Ich habe kein Problem damit, wenn Komponisten von heute Fragmente von Gestern mit eigenen Mitteln weiterdenken und darüber Fantasien schreiben. Aber wenn eine solche Neu-Komposition explizit als Ersatz für ein umfangreiches Fragment aus originaler Hand sein soll, scheinen mir Grenzen des guten Geschmacks überschritten. Wann erhebt dann einer den Anspruch, ein besseres Finale zu Beethovens Neunter zu komponieren?

  • Wann immer in der Musikgeschichte (auch in der Bildenden Kunst) Ergänzungen an Werken vorgenommen werden mussten,bzw.vorgenommen wurden - Stets waren sie Thema heißer Diskussionen.


    Hiebei war es auch egal ob wissenschaftlich akribisch, skrupolös oder "mutig" bewusst "erneuernd" gearbeitet wurde, ob eine Rekonstruktion an Hand von Skizzen in mühevoller Klenarbeit erstellt wurde, oder ob man einfach neu dazukomponierte.


    Damit muß man leben - und das kann man auch.
    Als Positivum muß vermerkt werden, daß solche Werke üblicherweise besser im Bewusstsein der Klassikgemeinde haften bleiben, soll heißen, daß ihnen stetiges Interesse sicher ist.


    Ich kann Ben gut verstehen, daß er innerlich (und äusserlich) kocht, hat er doch hart daran gearbeitet, alles vorhandene Material zusammenzutragen, zu sichten und zu ordnen - und Ergänzungen nur im äussersten Notfall zuzulassen.


    Dann kommt jemand und erspart sich all das - und die "Neukomposition"
    wird - warum auch immer - vorgezogen.


    Hier bin ich mit Herrn Baumgartner d´accord - es geht vielleicht um Tantiemen.
    Ben Cohrs hat grade erklärt, für seine Fassung würden keine eingehoben - und ich habe kenen Grund daran zu zweifeln. - Aber vielleicht sind andere sind an Tantiermen interessiert ....


    Im übrigen bin ich der Meinung, daß die Existenz von zwei Alternativen, die Tonträgerindustrie auf den Plan rufen wird, BEIDE Fassungen alternativ anzubieten. Solche Diskussionen wie hier sind ideal, das Interesse anzukurbeln........man will sich schließlich selber ein Bild machen..... ;)


    Allerdings bin ich auch strikte dafür, "Nachschöpfungen" als solche zu kennzeichnen, der "Markt" ist groß: Mozarts " kleine Nachmusik" beispielsweise ist unkomplett, ein Satz ist verlorengegangen.
    Das Jubiläumsjahr 2006 ist nah. Da böte es sich doch geradezu an an.....
    "Wer wagts Rittersmann oder Knapp.... ? ":D


    Beste Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Nun ja, Ben, 600 Takte aus Bruckners Hand ist natürlich ein wenig eine Halbwahrheit. Richtig wäre die Formulierung: 154 Takte, die in einer Weise von Bruckner fertiggestellt wurden, dass es nur einer Endredaktion bedarf, und 446 Takte, in denen ein Team an Musikwissenschaftern und Komponisten notwendig war, um eine klingende Hypothese über Bruckners mögliche Absichten zu verfassen.


    Ganz ehrlich, Ben: Ich kenne diese Diskussionen mit "Fertigstellern" von Werken zur Genüge. Und mit einer einzigen Ausnahme, nämlich Deryck Cooke, sind sie alle maßlos empört, wenn man sie darauf hinweist, dass sie nicht den Willen des Komponisten sicht- bzw. hörbar gemacht, sondern auf der Basis von Fragmenten eine Hypothese erstellt haben, die sich mit dem Willen des Komponisten aller Wahrscheinlichkeit nach nicht deckt.


    Vielleicht kannst Du mir helfen: Was ist so schlimm daran, dass Bruckners Finale der "Neunten" eben nicht in einer Endfassung wie das von Beethovens "Neunter" vorliegt, und dass jenes Team, zu dem auch Du gehörst, eine fabelhafte Arbeit verrichtet hat, um das Wenige, das seitens Bruckner in einer eindeutigen kompositorischen Willenserklärung vorliegt, in einen kompositorisch sinnvollen Zusammenhang zu stellen?


    Lediglich Cooke hat bei seiner Version von Mahlers "Zehnter" von selbst immer darauf hingewiesen, dass es sich um eine "Aufführungsfassung der Entwürfe" handelt; er hat nie behauptet, Mahlers Willen zu kennen oder gar Mahlers Skizzen "vollendet" zu haben.


    Ich habe das Gefühl, dass Du mich für einen Gegner der von Euch erarbeiteten Version hältst. Das bin ich nicht. Ich schätze sie, seit ich sie durch die Eichhorn-Aufnahme kennengelernt habe. Aber es ist NICHT Bruckners Musik, sondern es ist eine HYPOTHESE über Bruckners Musik. Und zwar eine sehr überzeugende. Nicht weniger - aber auch nicht mehr!


    Ich bin aber gerne bereit, mich eines Besseren belehren zu lassen - deshalb: In welchem Verlag ist die Partitur Eurer Fassung erschienen? (Meine beiden Notenfachgeschäfte in Wien wussten leider keinen Rat.) Ich würde sie nämlich ganz gerne einmal mit meiner Ausgabe des Finales im Musikwissenschaftlichen Verlag vergleichen.

    ...

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  • Ich bin es einfach müde, nach 20 Jahren Arbeit daran, Fakten vorzulegen, immer die gleichen Pauschalurteile von vielen Leuten zu hören, die schlicht zu faul sind, die Quellen zu studieren. Aber was soll man auch erwarten? Schon Elisabeth Meier schrieb in einer Rezension etwas von Fachleuten, die nicht willens sind, sich durch die Bände der Gesamtausgabe zur Neunten durchzuarbeiten... Zum Bezug der Neuausgabe siehe mein Thread zur Neunten sowie im Internet bei http://www.musikmph.de
    Übrigens: Auch Mahlers Zehnte ist in sich ein Ganzes, deren Einzelteile in unterschiedlichen Stadien vorliegen. Das Particell zum Finale ist allenfalls zweimal von Mahler durchgearbeitet worden; es gibt nur spärliche Instrumentationsabgaben. Dieses Stadium hatte Bruckners Satz längst hinter sich, und wäre die Gesamtheit aller fertiger und halbfertiger Partiturbogen intakt überliefert worden, hätten wir diese Debatte nicht.

  • Nachtrag: Zur Problematik von Mahlers Zehnter und ihrer unterschiedlichen, erhaltenen kompositorischen Schichten sowie deren Komplettierungs-Versuchen empfehle ich den vorzüglichen Artikel von Frans Bouwman aus der Musical Times vom Winter 2001, zu finden unter:


    mahlerarchives.net/archives/chewM10.pdf

  • Nun, Ben, ich z.B. wäre schon bereit, mich durchzuarbeiten. Nur gibt's unter sehr vielen Menschen, die, wie ich, selbst komponieren, einen Satz, den ich in den Worten meines Lehrers wiedergebe: "Glauben sie keinen Interpretationen, glauben sie nur den Noten."
    Im konkreten Fall: Ich lese natürlich auch den Editionsbericht. Allein: Ohne die Noten zu Eurer Aufführungsversion des Finales nützt er mir nichts. Das entspräche einem Schriftsteller, der Hanns henny Jahnns "Fluss ohne Ufer" fertigschreibt, aber nicht den Text, sondern lediglich den Editionsbericht problemlos einsehbar macht.
    Ich hätte gerne die Partitur Eurer Aufführungsversion des Finales, um sie mit meiner Partitur des sicherlich nicht unseriös arbeitenden Musikwissenschaftlichen Verlags zu vergleichen - und danach, aber eben erst danach, sähe ich gerne im Editionsbericht nach, wie die einzelnen Entscheidungen begründet sind.
    Daher nochmals meine Frage: In welchem Verlag ist Eure Aufführungsversion des Finales in der jetzt gültigen Fassung publiziert?


    Ich muss auch sagen, dass meiner Erfahrung nach immer dann etwas nicht stimmt im Verhältnis des tatsächlichen Materials zum behaupteten Fertigstellungsstand, wenn es einen hohen Pegel der Empfindlichkeit gibt.


    In jedem Fall von empfindlichen Reaktionen treten diese bei der Frage ein, woher denn der "Fertigsteller" wissen, was der Komponist gewollt habe. Es folgen dann beleidigte Hinweise auf Editionsberichte.
    Mitunter wäre es wesentlich ehrlicher, würden die Fertigsteller einfach sagen, sie hätten auf der Basis des vorhandenen Materials und im Vergleich mit anderen Schaffensprozessen des jeweiligen Komponisten nach bestem Wissen und Gewissen eine Hypothese erstellt, die sich dem wahrscheinlichen Ziel des Komponisten weitestmöglich annähert, die aber nicht mit dem tatsächlichen Willen des Komponisten gleichgesetzt werden darf.


    Dass diese Frage nach der Erahnung des Willens des Komponisten beleidigte Reaktionen nach sich ziehen kann, verstehe ich nicht, wenn die fertiggestellte Musik und die Aussagen über die Fertigstellung deckungsgleich sind. Vor allem dann, wenn kein fortlaufender Notentext vorhanden ist, ist diese Frage nur logisch.


    Bitte, Ben, verabschieden wir uns von Halbwahrheiten, geben wir der ganzen Wahrheit die Ehre: Natürlich ist Mahlers 10. ein Fragment. Der Unterschied zu Bruckner/9/Finale besteht darin, dass es bei Mahler einen durchgehenden Notentext gibt. Dieser mag zwar fragmentarisch sein, er mag oft nur in skizzenhaft festgelegten harmonischen Fortschreitungen bestehen, aber es gibt kaum einen Takt, der nicht zumindest einen kleinen Hinweis darauf enthält, was, neben anderen Dingen, in diesem Takt auch passiert wäre.
    Am wichtigsten ist aber, dass über weite Strecken der melodische Verlauf festgelegt ist.
    Das ist im Finale von Bruckners 9. entweder
    a) nicht der Fall oder
    b) die Partitur des Musikwissenschaftlichen Verlages, erschienen 1994, vorgelegt von dem gerade Dir sicherlich nicht unbekannten John A. Phillips lügt. b) erscheint mir dabei äußerst unwahrscheinlich.


    Damit wir nicht aneinander vorbei reden, wäre es gut, nicht einfach auf Berge von Editionsberichten zu verweisen, durch die mittlerweile nicht einmal mehr Bruckner-Experten durchfinden, sondern schlicht und einfach zu sagen: Ist die von Phillips herausgegebene Partitur des Musikwissenschaftlichen Verlags zuverlässig oder nicht?


    Da ich kein anderes Material habe, beziehe ich mich weiterhin auf die genannte unschwer zugängliche Partitur.


    Damit unsere Mitleser und -streiter wissen, was ich meine: In dieser Partitur, die laut Phillips alles vorhandene Material in der von Bruckner sicherlich intendierten Reihenfolge bietet, gibt es nicht weniger als 43 Takte, in denen nichts, nicht eine Note Bruckners, eingetragen ist. Da Bruckner aber die Taktstriche gezogen hat, dürfte er diese Takte aus Proportionsgründen für notwendig gehalten haben. Streicht man sie, greift man in Bruckners Proportionen ein, füllt man sie auf, muss man über Bruckners Themen frei fantasieren.
    Damit wir weiter klar sehen: Die Partitur bricht auf Seite 136 ab, was im Finale geschehen hätte sollen, weiß man nur von Auer. Noten von Bruckners Hand gibt es dazu - wiederum laut der genannten Partitur - nicht.


    Wie es um die Partitur des Finales bestellt ist, beschreibt Phillips so (Fettungen von mir): "Eine durchgehende Fertigstellung der Instrumentation konnte Bruckner anscheinend nur bis in die Durchführung fortsetzen. Was er nach der Krise vom Juli 1896 erreichen konnte, waren hauptsächlich die späten Satzverlaufsentwürfe (vor allem zu Bogen I sowie zur Erweiterung der Durchführung), vereinzelte, nicht immer deutbare Eintragungen in bereits komponierten Bogen sowie wiederholte Versuche, Bogen weiter umzunumerieren."
    Ich habe hier nicht den Eindruck, dass Phillips von einer Partitur spricht, die nur einer leichten Edition bedarf, um den endgültigen Willen des Komponisten wiederzugeben.

    Was aus Phillips Worten nicht hervorgeht, ist, wie viele Seiten der Partitur nur spärlichste Eintragungen enthalten bzw. nur rhythmisierte Begleitstimmen ohne thematische Hauptstimmen - offenbar ging es Bruckner auch an diesen Stellen darum, Proportionen festzusetzen und die Hauptstimmen erst hinterher festzulegen; wozu es aber nicht mehr kam. Was in den Hauptstimmen an diesen Stellen passieren sollte, muss eine Vermutung bleiben - etwa S. 121ff (oder sollte die Bratschenstimme hier wirklich einziges thematisches Element sein? - Das erschiene mir sehr un-brucknerisch.)


    Ich frage mich manchmal, was wäre, würde man in einer Partitur der Aufführungsfassung dieses Finales alle nicht einer Interpretation bedürfenden Noten Bruckners schwarz, alle der Interpretation bedürfenden Noten grün und alle Hinzufügungen rot zu drucken. Wäre es so, wie es von Dir dargestellt und mit sehr sympathischem Engagement verteidigt wird, müsste es ein überwiegend schwarzer Text mit einigen grünen und ganz wenigen roten Einsprengseln sein. Ich werde aber das Gefühl nicht los, dass es, spätestens ab Seite 54 ein überwiegend grüner Text mit viel rot und ab Seite 137 bis zum Schlussakkord ein einfärbig roter Text wäre.

    ...

  • Nochmals die Bitte, in den anderen Thread BrucknerIXFinale zu schauen. Da stehen alle benötigten Informationen über Bezug der verschiedenen Ausgaben. Nein, die "Dokumentation" von Phillips ist nicht ganz auf dem neuesten Stand. Die Lücke in der Fuge läßt sich im Verlauf doch aus den Skizzen schließen, und ebenso die angenommene, aber eigentlich nicht vorhandene Lücke in der Gesangsperiode.

  • Hallo Edwin:
    Du wünscht Dir: "Mitunter wäre es wesentlich ehrlicher, würden die Fertigsteller einfach sagen, sie hätten auf der Basis des vorhandenen Materials und im Vergleich mit anderen Schaffensprozessen des jeweiligen Komponisten nach bestem Wissen und Gewissen eine Hypothese erstellt, die sich dem wahrscheinlichen Ziel des Komponisten weitestmöglich annähert, die aber nicht mit dem tatsächlichen Willen des Komponisten gleichgesetzt werden darf. " Wir haben nie etwas anderes getan, vergl. dazu unter anderem das Vorwort der Neuausgabe: (Und noch mal: Study Score 444, Repertoire Explorer / Musikproduktion Hoeflich, online zu bestellen, http://www.musikmph.de). Die Unterstellung der Beleidigtheit hilft auch nicht weiter: Empfindlich und befindlich reagiere ich allenfalls dann, wenn ich den Eindruck bekomme, das unsere Arbeit von Menschen kritisiert wird, die ihre Kritik verschießen, ohne sich in der Sache wirklich kundig gemacht haben. Das ist doch wohl verständlich, oder? Wichtig wäre jedoch meines Erachtens zu sagen, wenn man schon Mahlers Zehnte und Bruckners Neunte vergleicht, daß es sich im Falle der Neunten als Ganzem um ein Werk mit drei fertigen Sätzen sowie einem zumindest bei Bruckners Tod in der Konzeption wohl bereits fertigen, lediglich nicht zu Ende instrumentierten vierten Satz handelt (ein Pressebericht vom März 1896: "das Finale wohl fertig skizziert"...), während in der Zehnten Mahlers kein Satz wirklich ganz fertiggestellt ist. Nimm Dir von der Zehnten nur das Finale und schau in der Faksimile-Ausgabe an, was davon da ist; erst dann vergleiche es mit den Manuskripten zum Finale der Neunten ...


    "Am wichtigsten ist aber, dass über weite Strecken der melodische Verlauf festgelegt ist. Das ist im Finale von Bruckners 9. entweder a) nicht der Fall oder b) die Partitur des Musikwissenschaftlichen Verlages, erschienen 1994, vorgelegt von dem gerade Dir sicherlich nicht unbekannten John A. Phillips lügt. b) erscheint mir dabei äußerst unwahrscheinlich." Eine Frage der Nuancen. Man sollte halt dazu sagen: Im Finale der Neunten WAR ähnlich wie bei Mahlers Zehnter "über weite Strecken der melodische Verlauf festgelegt". Er ist es nur leider HEUTE nicht mehr.


    Zur Zuverlässigkeit der "rekonstruierten Autographpartitur": Phillips wies selbst darauf hin, daß zum Verständnis des Ganzen das Studium der Faksimile-Ausgabe unerläßlich ist. Nur so bekommt man einen Eindruck von der eigentlichen konzeptionellen Arbeit Bruckners am Satz. Hinzu kommt, daß Phillips IMMER NOCH an dem lange angekündigten Textband zum Finale arbeitet; da ich mit ihm seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr habe, weiß ich auch nicht, wie weit er damit ist. Denn die AP bietet NICHT, wie Du schreibst, "ALLES erhaltene Material", sondern ist lediglich der Versuch, die Kontinuität des Satzes aus den erhaltenen Partiturbogen des Letztstadiums sowie herangezogenen Entwürfen und ausgeschiedenen Partiturbogen soweit als möglich wiederherzustellen, daher "rekonstruierte Autograph-Partitur". Die Grenzen, die sich der Herausgeber dabei gesetzt hat, werden von ihm im Vorwort erläutert. Wie bereits in der letzten Nachricht erwähnt, ergab eine neue Durchsicht des Materials, daß seine Vermutungen bezüglich einer Erweiterung in der Gesangsperiode (Bogen 5a und b) höchstwahrscheinlich nicht zutreffen; außerdem war es möglich, in der Verlaufs-Arbeitsskizze zur Fuge durch penible Beachtung von Bruckners Weisern den Text der Skizze dem fehlenden Bogen in der Fuge korrekt zuzuordnen.


    Zu Deiner Äußerung: "In dieser Partitur, die laut Phillips alles vorhandene Material in der von Bruckner sicherlich intendierten Reihenfolge bietet, gibt es nicht weniger als 43 Takte, in denen nichts, nicht eine Note Bruckners, eingetragen ist. Da Bruckner aber die Taktstriche gezogen hat, dürfte er diese Takte aus Proportionsgründen für notwendig gehalten haben." Entschuldigung, aber das sind genau die Halbwahrheiten, die mir a) zeigen, daß jemand nicht genau hingesehen hat, und b) die mich dann verständlicherweise verärgern. Bei den von Dir monierten "Leertakten" handelt es sich zum allergrößten Teil um eine schematische Wiedergabe der einst vorhandenen, heute verlorenen Partiturbogen, soweit sich deren Länge aus dem Manuskripten rekonstruieren läßt. Oft sind die zugehörigen Skizzen Bruckners zum Notentext an jenen Stellen unterlegt. Tatsächlich könnte man allenfalls auf S. 60 sowie auf S. 120 von Leertakten im von Dir gemeinten Sinne sprechen: Auf S. 60 hat Bruckner vier Takte lang keinen weiteren Fortgang skizziert; S. 120 beschreibt eine Diskrepanz der zugehörigen unterlegten Skizze und dem Beginn von S. 121: wenn Bruckner die Skizze der Steigerung in Ces / as-moll so wie geschrieben ausgearbeitet hat (was durchaus wahrscheinlich ist; es handelt sich hier um einen verlorenen Partiturbogen), dann konnte er nicht bei dem "Schluß d-moll" einfach so zum ersten Takt auf S. 121 springen, denn zum einen setzt dort die Periode mit 5-6 fort, zum zweiten ist dort Quintlage im Diskant, während die Steigerung auf Oktavlage zuläuft. Zu dem istder "Schluß d-moll" ein mit "1" metrisch bezifferter Takt, woraus sich logisch dreieinhalb weitere "Leertakte" (=1-2-3-4- der auf S. 121 mit -5-6- fortgesetzten Periode) ergeben. Mehr aber nicht...


    Zu Deiner Frage wegen der Bratschen S. 121: Gerade dieser Partiturbogen zeigt allerdings, wie Bruckner wichtige Stimmen fixiert – die Streichertextur enthält schon den wesentlichen Satz, und wo eine neue führende Stimme eintritt, nämlich die Trompete S. 124, notiert er sie dann auch. Das war seine Art von "Kurzschrift". Es gibt eben im Finale auch weite Strecken von reiner Motorik, wie auch im ersten Satz. Nimm Dir beispielsweise die in manchem ähnlich angelegte Passage T. 493ff im ersten Satz – auch, wenns ein Höhepunkt ist –, und stell Dir mal den Bogen ganz ohne Bläser vor (vergl. Revisionsbericht zum 1.-3. Satz, Faksimile auf S. 64f). Dann hat Du optisch ziemlich genau den gleichen Eindruck. Welche wichtige Nebenstimme hätte Bruckner abgesehen von den Streichern noch notwendigerweise vorskizzieren müssen? Allenfalls vielleicht die Imitationen der 2.3. Klarinette und die Trompeten, was in einem einzigen Takt getan wäre (vergl. z. B. im Finale die Notate Phillips, S. 90, 3. Takt).Es handelt sich hier (S. 121) sicherlich um ein bloßes Ab-Ebben nach dem d-moll-Durchbruch, wie er in der Skizze zweifelsfrei vorgezeichnet ist. Was, bitte, soll da noch an entscheidenden Stimmen hinzukommen?


    Zu Deinem Vorschlag: "Ich frage mich manchmal, was wäre, würde man in einer Partitur der Aufführungsfassung dieses Finales alle nicht einer Interpretation bedürfenden Noten Bruckners schwarz, alle der Interpretation bedürfenden Noten grün und alle Hinzufügungen rot zu drucken. Wäre es so, wie es von Dir dargestellt und mit sehr sympathischem Engagement verteidigt wird, müsste es ein überwiegend schwarzer Text mit einigen grünen und ganz wenigen roten Einsprengseln sein. Ich werde aber das Gefühl nicht los, dass es, spätestens ab Seite 54 ein überwiegend grüner Text mit viel rot und ab Seite 137 bis zum Schlussakkord ein einfärbig roter Text wäre." Im Prinzip eine gute Idee; ich habe sogar etwas ähnliches in Vorbereitung, allerdings nicht in drei Farben. Schau Dir aber mal die Cooke-Ausgabe vom Finale von Mahlers Zehnter an: Dort ist die Skizze unterlegt... Sinnvoll wäre jedenfalls zu differenzieren a) dem komponierten Notentext an sich (vergl. dazu mein modifiziertes "Übersichtsparticell" im Musik-Konzepte-Band), und b) die Instrumentations-Ergänzungen. Du wirst dann feststellen, daß die Ergänzungen kompositorischer Faktur vergleichsweise gering ausfallen, die Instrumentations-Ergänzungen natürlich notwendigerweise stärker. Aber auch hier wäre zu differenzieren. Du verschweigst nämlich dabei, daß gerade bei Reprisen sich einiges aus Parallelstellen erschließen läßt, beispielsweise der aus der Exposition analog recht leicht zu ergänzende Bläsersatz zur Reprise des Choralthemas, oder die Instrumentierung der in Teilen aus der Skizze entnommenen Reprise der Gesangsperiode. Sogar Bruckner hat ja so gedacht, als er skizzierte, siehe zum Beispiel seine Anmerkung wiedergeben auf S. 107 der Phillips-Partitur: "Fis d. in Gesangsper. wie in 1. Abth. dann" und später, S. 117: "Fis d. 2. Abth. hier weiter".


    Was mich wirklich einmal mehr ärgert, ist jedoch Deine Behauptung "ab Seite 137 bis zum Schlussakkord ein einfärbig roter Text". Blättere doch mal auf S. 138: Allein der skizzierte Coda-Beginn, der leicht für Streicher zu übertragen ist, enthält schon 24 Takte bis zum Abbruch der Tintenschrift (Bruckner hat diese Passage übrigens insgesamt zweimal skizziert; die vorausgehende Skizze steht nur in der Faksimile-Ausgabe). Das sind schon eineinhalb Bogen, deren musikalischer Inhalt einigermaßen klar ist; hier ist auch wenig hinzuzufügen gewesen außer einer Reihe kleiner, charakteristischer Imitationen. Sodann ab S. 139 der höchst bedeutsame Verlauf der letzten Kadenz-Zone des Satzes, beginnend mit einer Choralperiode von acht Takten, deren erste vier harmonisch ausgearbeitet sind (Bruckner: "1-2-3-4-"), sodann wohl vier Leertakte in Deinem Sinne, die zu dem Ces-F-A-D Feld geführt hätten, das in weiteren 24 Takten da ist, mithin das Gerüst von insgesamt 32 Takten, was der Länge von noch zwei weiteren Partiturbogen entspricht! Und diese Passagen sind insgesamt nicht mehr oder weniger dünn als manche Passagen im Finale von Mahlers Zehnter!


    Daher möchte ich an dieser Stelle meine Bitte nochmal dringend wiederholen: Wenn Du ernsthaft Detailprobleme der Rekonstruktion oder der Manuskripte mit mir diskutierten willst, mach Dich bitte erst vertraut mit Bruckners Kompositionsweise, den Eigenarten seines Stils und insbesondere mit ALLEN als Faksimile verfügbaren NOCH ERHALTENEN Manuskripten zum Finale. Dann diskutierte ich auf der Ebene gern weiter. Das Bedauerliche an solchen Debatten ist, daß sie immer aufs neue Erweisen, wie schwierig es ist, komplexe philologische Sachverhalte einigermaßen allgemeinverständlich aufzubereiten. Ich kenne allerdings viele andere Menschen, die nicht vom Fach sind, aber trotzdem in der Sache durchaus begriffen haben, worum es geht... ;-)

  • hhhggghhh


    Also ich bin der meinung mann soll die förschungsarbeit von Ben und Nicola 'au serieux' nemen. Mann kommt nie so richtig nahe an die vervollständigung des Finales von Anton Bruckner's neunte synfonie,
    als mit der durch Ben und Nicola geleistete arbeit.


    Gert van Gelder
    Antwerpen, Belgien