Merkel und Marthaler - Triumphe des Dilettantismus - oder: Marthaler als Daniela Katzenberger der Oper

  • Vorbemerkung.
    Hier kommt am Anfang einiges über Politik und Gesellschaft vor (Teil 1), nichtsdestoweniger ist es ein vielleicht neuer Ansatz, um zu verstehen, warum sich das Regietheater trotz Misserfolges so hartnäckig hält (Teil 2). Ich habe Marthaler schon angesichts seiner Inszenierung der "Sache Makropulos" als Dilettanten bezeichnet. Jetzt weiß ich genau, wie berechtigt das war.


    1. In den Nachdenkseiten (http://www.nachdenkseiten.de, 13.11.2012) wird der konservative (!) Essayist der FAZ (!!) Thomas Rietzschel in einem Interview zum universalen Problem des Dilettantismus in Politik und Gesellschaft befragt. Hier muss ich jetzt einiges zitieren, aber die Aussagen sind so treffend, dass sich das lohnt!
    "Gemeinhin glaubt man, der Dilettant sei einer, der von dem, was er zu können meint, meist nichts und in jedem Fall zu wenig versteht. Das stimmt aber nicht ganz, denn eines beherrscht der Dilettant ganz hervorragend: die Täuschung. Der Dilettant ist ein begnadeter Blender, ein Meister in der Kunst, sich und anderen etwas vorzumachen (mir fielen sofort Dutzende Namen aus Politik und Kunst ein! Pingel).... Man sollte übrigens den Dilettanten vom Laien unterscheiden. Während der Laie sich etwas aneignet, für das er entflammt ist, genügt dem Dilettanten die Vorspiegelung der Kompetenz. Geht es ihm doch zunächst um die persönliche Präsentation." Er bringt dann Beispiele aus der Politik, etwa drei Bundeskanzler, die hinter dem Machstreben noch eine Vision hatte: Brandt mit der Ostpolitik, Schmidt mit dem Kampf gegen den Terrorismus und Kohl mit der deutschen Einheit.
    Rietzschel: "Bei unserer derzeitigen Bundeskanzlerin kann ich hingegen nicht erkennen, dass wir es mit einer überzeugten Demokratin zu tun haben. Im Gegenteil, sie versucht das Parlament auszutricksen, wo es ihre Kreise zu stören droht. Schon wiederholt wurde sie vom Bundesverfassungsgericht zurückgepfiffen. Sie ist eine professionelle Dilettantin, die alles versucht, um an der Macht zu bleiben, wofür auch immer."
    Als ehemaliger Politiklehrer muss ich beklagen, dass Merkel keine Ahnung von Wirtschaft hat. Das beweist ihr Beispiel von der schwäbischen Hausfrau, wo sie zeigt, dass sie den Unterschied zwischen privaten und öffentlichen Haushalten nicht versteht (1. Semester Volkswirtschaft). Das ist so, als wenn ein Pysiker Ohm, Watt und Volt verwechselt. Die daraus resultierende Austeritätspolitik hat leider verheerende Auswirkungen, wie man in Spanien und Griechenland sehen kann. Auch Steinbrück kommt bei Rietzschel nicht gut weg. Er ist ja einer der Konstrukteure der Finanzkrise und hat dafür gesorgt, dass die Banken riesige Rettungsschirme ohne Gegenleistung bekamen. Ein perfekter Dilettant, der für eine Stunde Talk so viel Geld bekommt, wie viele nicht mal als Jahreseinkommen haben. Nicht nur in der Politik, sondern auch in der Kultur wimmelt es von "hohlen Idolen" zum Beweis, dass man nichts können muss, um ins TV zu kommen (Jauch, Lanz, Anne Will, Bohlen, Katzenberger Klum, die Geissens...)
    Fazit Rietzschel: "Wir leben in einer leistungsmüden Gesellschaft, in der wir einerseits ein enormes individuelles Selbstbewusstsein entwickelt haben, andererseits es aber leid sind, uns vom Zweifel an den eigenenen, den eingebildeten Fähigkeiten die Laune verderben zu lassen. Wir leben längst in einer Epoche des professionellen Dilettantismus. Die Vortäuschung von Kompetenz - vor sich und vor anderen - ist zur eigentlichern Profession geworden."


    2. Regietheater
    Ich glaube, die Parallelen sind überdeutlich. Insofern ist das Regietheater ebenfalls ein Ausdruck des professionellen Dilettantismus.
    So konnten die Regisseure der Gesellschaft einreden, die Regie sei das wichtigste in der Oper, wobei wir doch wissen, dass es die Musik ist.
    Ein Beispiel: Marthalers Regie bei der Sache Makropulos und das Bühnenbild von Anna Viebrock sind professioneller Dilettantismus, vor allem, weil sie kein Handwerk mehr benötigen. Meine Lieblingsinszenierung von der Sache Makropulos ist in den 70ern in Düsseldorf von Bohumil Herlischka gemacht worden. Niemals hätte ich sowas gekonnt. Die Salzburger Inszenierung hätte ich wahrscheinlich besser gemacht, schon dadurch, dass ich es niemals gewagt hätte, blöde eigene Texte dahineinzuschmuggeln.
    Übrigens: wirkliche Kompetenz zeigen in der Oper so gut wie immer die Musiker, also Dirigent, Musiker und Sänger. Da kann man aber auch nicht schummeln.


    Fazit: das Regietheater ist Ausdruck des Zeitgeistes, wir lassen uns dort Dinge gefallen, die wir in Politik, Kunst und Gesellschaft auch gefallen lassen. Alle lassen sich das gefallen? Nein, in einem kleinen, aber feinen Internetforum wird dagegen ein heroischer Kampf geführt!

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • "Wir leben in einer leistungsmüden Gesellschaft, in der wir einerseits ein enormes individuelles Selbstbewusstsein entwickelt haben, andererseits es aber leid sind, uns vom Zweifel an den eigenenen, den eingebildeten Fähigkeiten die Laune verderben zu lassen. Wir leben längst in einer Epoche des professionellen Dilettantismus. Die Vortäuschung von Kompetenz - vor sich und vor anderen - ist zur eigentlichern Profession geworden."


    Oh Mann, ist das gut. Sehr, sehr treffend formuliert. An der Richtigkeit dieses Befundes ist nicht zu zweifeln.


    Grüße,
    Garaguly

  • Lieber Dr. Pingel,


    du hast den Dilettantismus klar geschildert, besser konnte man es nicht sagen. Ich habe es an anderer Stelle ähnlich ausgedrückt. Wer nichts kann, muss sich auf andere Weise einen Namen und Macht verschaffen.
    Wie könnte man also zu den "modischen" Verunstaltungsregisseuren sagen? Keine Ahnung, aber davon reichlich.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Lieber Dr. Pingel,


    herzlichen Dank für diesen Beitrag. Ich denke auch, dass man in der Diskussion um das RT den gesellschaftlichen Hintergrund, den "Zeitgeist" keinesfalls außer Acht lassen kann. Alles hat irgendwo eine Ursache, nichts kommt einfach von ungefähr. Ja, allerdings, eine "Leistungsmüdigkeit" (schön gesagt von Herrn Rietzschel) kann man konstatieren.
    Alles muss "fun and easy" sein, Lernen ist out, handwerkliches Können auch, Hintergrundwissen erst recht. Jeder kann alles. Brave new world.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Das Interview stammt von Telepolis/heise.de


    "http://www.heise.de/tp/artikel/37/37923/1.html


    Bei aller Begeisterung sollten die hiesigen Theaterrezensions-Dilettanten vielleicht die Selbstanwendung nicht ganz außer acht lassen. :D

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Bereits die definitorische Unterscheidung zwischen Dilettant und Laie kommt mir willkürlich vor. Der Laie hat einen religiösen, der Dilettant einen kulturellen Kontext. Beide Begriffe hatten ursprünglich nicht den pejorativen, abwertenden Sinn wie heute (auch Amateur wäre zu nennen).


    Die Beurteilung der Herren Brandt, Schmidt und Kohl oder Merkel erweist denn, daß der Verfasser selbst ein blutiger Laie sein muß. Ich sehe natürlich ein, daß jeder Politiklehrer die europäische Krise besser bewältigt hätte als die jetzige Bundesregierung. Zum Glück werden nicht alle politischen Fragen am Stammtisch gelöst, pardon: vom Fachwissen der zeitungslesenden Partikularisten. Es ist das Schicksal aller Dilettanten: Richter zu spielen über ein Handwerk, das sie selber nicht auszuüben verstehen.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Zitat von Strano Sognator

    Alles muss "fun and easy" sein, Lernen ist out, handwerkliches Können auch, Hintergrundwissen erst recht.

    Liebe Sognatrice,


    das trifft's. Was Lernen und Bildung anbetrifft, las ich heute Folgendes:
    Eine Studentin des Fachs Chemie soll eine Chemische Formel erklären. Sie steht dumm da. Da zeichnet die Professorin ein Viereck und darin vier Kreise. "Das können Sie aber doch sicher erklären". Die Studentin stutzt wiederum. "Ja, das ist der Kochherd, wohin sie gehören."
    Und da wünsche ich manchen Regisseur auch hin. Ob allerdings dann das Essen genießbar wäre, ist stark zu bezweifeln.



    Zitat von Strano Sognator

    Jeder kann alles

    oder nichts.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Bei aller Begeisterung sollten die hiesigen Theaterrezensions-Dilettanten vielleicht die Selbstanwendung nicht ganz außer acht lassen. :D


    Mich wundert, dass solche Bemerkungen/Bezeichnungen, die m.E. gegen die Forenregeln verstoßen, so kommentarlos geduldet werden. Oder sind Moderatoren "more equal" ?

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Wenn es dilettantisch ist, in einer Operninszenierung das sehen zu wollen, was das Libretto bzgl. Handlungszeit und -ort verspricht, dann bekenne ich mich zum Dilettantismus. Ich gehe sogar noch weiter und gebe zu, dass ich auch derart dilettantisch bin, genau das hören zu wollen, was das Libretto bzw. die Partitur offeriert, sprich: keine eigenmächtigen Streichungen oder textlichen Veränderungen, etwa Unterbrechung des Schlussmonologs des Hans Sachs und solche Spitzfindigkeiten gewisser Regisseure, die meinen, sie wüssten alles besser als die Komponisten und Librettisten.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Hallo,


    die Beiträge 1, Abs. 1, 3 + 6 möchte ich ergänzen (berichtigen?):


    Es ist die perfekte Rosstäuscherei, den überwiegenden Teil der Bevölkerung in der BRD (wie weit das weltübergreifend ist, mag ich nicht beurteilen) glauben zu machen - und zwar erfolgreich - die Entscheidungsträger würden in demokratisch legitimierter und zu verantwortender Machtausübung Lenkungsfunktionen - egal auf welchem Gebiet - ausüben - NEIN - das sind Marionetten, die von langer Hand geplante und an langen Fäden hängend den Willen von Machtzentren ausüben, die völlig andere Interessen verfolgen, als vorgegeben wird.


    Und zum Beitrag Nr. 8 fällt mir nur der im Glashaus sitzende Steinewerfer ein.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Es ist wie so oft.
    Da werden - möglicherweise diskussionswürdige - aber um Ernsthaftigkeit bemühte Thesen zu einem Thema formuliert.
    Was geschieht?
    Allerlei auch nicht durchweg helle Sottisen zerschießen jeden vernüftigen Ansatz einer Auseinandersetzung. Es ist so lästig, stets diesen Nonsens beim Durchgehen der Beiträge quasi auch noch zur Kenntnis nehmen zu müssen. In einem Gespräch von Angesicht zu Angesicht käme man damit nicht weit - aber hier im Netz geht ja alles.
    BRAVO!!


    Grüße,
    Garaguly

  • Die Beurteilung der Herren Brandt, Schmidt und Kohl oder Merkel erweist denn, daß der Verfasser selbst ein blutiger Laie sein muß. Ich sehe natürlich ein, daß jeder Politiklehrer die europäische Krise besser bewältigt hätte als die jetzige Bundesregierung. Zum Glück werden nicht alle politischen Fragen am Stammtisch gelöst, pardon: vom Fachwissen der zeitungslesenden Partikularisten. Es ist das Schicksal aller Dilettanten: Richter zu spielen über ein Handwerk, das sie selber nicht auszuüben verstehen.

    Nur ganz kurz: dass ein intelligenter Mensch wie farinelli hier das platteste aller Argumente bemüht (keine Kritik, wenn du es nicht besser kannst), erstaunt mich doch sehr. Dazu hat Karl May gesagt: Wer in der Öffentlichkeit Kegel schiebt, muss sich gefallen lassen, dass man die Hölzer nachzählt. In der Anwendung widerspricht sich farinelli selber: wenn er kein Politiklehrer war, kann er mich nicht kritisieren.
    Hier lüfte ich mal ein Geheimnis: die Bezeichnung der Politiklehrer als "Stammtisch" ist richtig. Schon das Studium spielt sich in Kneipen, Cafés oder im Freien ab oder in den Hinterzimmern von radikalen Parteien. Dann geht man in den Ortsverein des prüfenden Professors und besteht glänzend. Für den Leistungskurs "Sozialwissenschaften" wählt man den inkompetentesten Fachlehrer aus, 2004 traf es mich. Morgens lese ich dann die WAZ, damit ich ein wenig Wissensvorsprung habe. Alle Schüler bringen auch die WAZ mit; die Doppelstunde vergeht wie im Fluge.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Mich wundert, dass solche Bemerkungen/Bezeichnungen, die m.E. gegen die Forenregeln verstoßen, so kommentarlos geduldet werden. Oder sind Moderatoren "more equal" ?


    Gegen welche Regel wurde verstoßen?


    Willst Du ernsthaft bestreiten, dass dieses Forum davon lebt, dass Dilettanten (im Felde der Theater und Musikkritik) meinen, Profis (u.a. als "Dilettanten") kritisieren zu können? Oder habe ich verpasst, dass ihr alle ausgebildete und erfahrene Musikjournalisten, Theaterregisseure etc. seid? Dann bitte ich vielmals um Verzeihung!

    Sollte das aber nicht der Fall sein, so leuchtet mir kaum ein, warum "Dr. Pingel" (meines Wissens Religionslehrer i.R.) Marthaler einen (Regie-)Dilettanten nennen darf, ich aber nicht "Dr. Pingel" u.a. Rezensionsdilettanten. Denn das ist doch offensichtlich genau das, was wir alle (mich natürlich eingeschlossen) hier im Forum betreiben, wenn wir uns zu musikalischen oder theatralischen Darbietungen äußern!


    Aber es passt zusammen: Glashausbewohner und "Kampfmimosen". Man selber darf beleidigen, aber sobald ein sanft-ironischer Hinweis zur Selbsterkenntnis kommt, ist man zu Tode beleidigt und schreit nach Moderation und Administration.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Zitat von Johannes Roehl: Willst Du ernsthaft bestreiten, dass dieses Forum davon lebt, dass Dilettanten (im Felde der Theater und Musikkritik) meinen, Profis (u.a. als "Dilettanten") kritisieren zu können? Oder habe ich verpasst, dass ihr alle ausgebildete und erfahrene Musikjournalisten, Theaterregisseure etc. seid? Dann bitte ich vielmals um Verzeihung!

    Lieber Johannes,


    Ein Koch hat dem Gast zu dienen. Ich bin kein ausgebildeter Koch, daher kann ich nicht sagen, wie er sein Handwerk auszuüben hat, aber ich erwarte von einem ausgebildeten Koch ein schmackhaftes Essen und die Mehrheit anderer Gäste wohl auch. Deshalb wage ich es, einen Koch als Nichtkönner (= Dilettant oder noch schlimmer) zu kritisieren, wenn er mir ungenießbares Essen vorsetzt.
    Ein Regisseur hat dem Werk und dem Zuschauer zu dienen. Deshalb wage ich auch, den Fraß, den uns heute die meisten Regisseure vorsetzen, und gegen den eine große Mehrheit steht (was zwar Anhänger des Verunstaltungstheaters bestreiten werden), als einen, der sein Handwerk nicht beherrscht und daher mit verrückten Ideen Selbstdarstellung übt, zu kritisieren. Denn wir (die den Sinn dieser verrückten Ideen, die nicht zum Werk passen, nicht entschlüsseln können und auch nicht wollen) sind es doch, die diesen Fraß auslöffeln sollen, nicht die sogenannten "erfahrenen" Regisseure, Musikjournalisten (die - wie wir an verschiedenen Stellen schon gezeigt haben - häufig auch aus dem Tal der Ahnungslosen kommen, und vor einem Modetrend in die Knie gehen) usw. .


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Sollte das aber nicht der Fall sein, so leuchtet mir kaum ein, warum "Dr. Pingel" (meines Wissens Religionslehrer i.R.) Marthaler einen (Regie-)Dilettanten nennen darf, ich aber nicht "Dr. Pingel" u.a. Rezensionsdilettanten. Denn das ist doch offensichtlich genau das, was wir alle (mich natürlich eingeschlossen) hier im Forum betreiben, wenn wir uns zu musikalischen oder theatralischen Darbietungen äußern!


    Aber es passt zusammen: Glashausbewohner und "Kampfmimosen". Man selber darf beleidigen, aber sobald ein sanft-ironischer Hinweis zur Selbsterkenntnis kommt, ist man zu Tode beleidigt und schreit nach Moderation und Administration.


    In diesem Fall gebe ich dir durchaus Recht, Johannes. Ich habe übrigens nicht nach dem Moderator gerufen und bin natürlich ein Rezensionsdilettant! Aber in dem Sinne, wie ihn Gerhard trefflich beschrieben hat. Ich habe von Rezepten keine Ahnung, aber kann schon beurteilen, ob das Essen schmeckt. Ich habe von Musiktheorie keine Ahnung, aber ob mir eine Aufführung von der Sache Makropulos schlüssig erscheint, das kann ich sehr gut beurteilen.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Gegen welche Regel wurde verstoßen?


    Willst Du ernsthaft bestreiten, dass dieses Forum davon lebt, dass Dilettanten (im Felde der Theater und Musikkritik) meinen, Profis (u.a. als "Dilettanten") kritisieren zu können? Oder habe ich verpasst, dass ihr alle ausgebildete und erfahrene Musikjournalisten, Theaterregisseure etc. seid? Dann bitte ich vielmals um Verzeihung!

    Sollte das aber nicht der Fall sein, so leuchtet mir kaum ein, warum "Dr. Pingel" (meines Wissens Religionslehrer i.R.) Marthaler einen (Regie-)Dilettanten nennen darf, ich aber nicht "Dr. Pingel" u.a. Rezensionsdilettanten. Denn das ist doch offensichtlich genau das, was wir alle (mich natürlich eingeschlossen) hier im Forum betreiben, wenn wir uns zu musikalischen oder theatralischen Darbietungen äußern!


    Aber es passt zusammen: Glashausbewohner und "Kampfmimosen". Man selber darf beleidigen, aber sobald ein sanft-ironischer Hinweis zur Selbsterkenntnis kommt, ist man zu Tode beleidigt und schreit nach Moderation und Administration.


    Nun ja, was mich betrifft - ich bin ausgebildete Musikerin und Musikpädagogin. Das ist in diesem Fall aber nicht entscheidend, denn ich muss kein Ei legen können, um eins zu beurteilen. Meine irritierte Frage betraf die folgende, dir sicherlich hinlänglich bekannte Regel:

    Zitat

    * Die Beleidigung oder Belästigung anderer Mitglieder führt zum Ausschluß aus dem Forum.

    , und da würde mich mal interessieren, ob durchaus berechtigte Kritik an Regisseuren auch als "Beleidigung oder Belästigung von Mitgliedern" gilt, die solche "sanft-ironischen Hinweise" (über deren Definition man auch wieder diskutieren könnte) erforderlich macht. Das ist schon alles.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Zitat

    Zitat von Dr. Pingel: Ich habe von Musiktheorie keine Ahnung, aber ob mir eine Aufführung von der Sache Makropulos schlüssig erscheint, das kann ich sehr gut beurteilen.

    Lieber Dr. Pingel,


    ich denke, man muss kein Musiktheoretiker sein - und 99% der Opernfreunde sind es mit Sicherheit auch nicht - um eine Oper zu genießen und zu verstehen. Aber Opernfreunde wie wir beschäftigen sich vor der Vorstellung mit dem Werk und informieren sich anhand entsprechender Literatur eingehend darüber. Aber bei vielen ausgebildeten (ob erfahren ist wohl eine andere Frage) Regisseuren und Musikjournalisten kann ich mich des Eindrucks durchaus nicht erwehren, dass sie sich mit ihrer "Ausbildung" begnügen, aber mit dem Werk, das sie nun inszenieren oder beurteilen sollen überhaupt nicht auseinandergesetzt haben (manche haben es bei gezielten Fragen ja unter der Hand auch schon zugegeben). Sie verwirklichen ihre unsinnigen Vorstellungen auf Biegen und Brechen, auch wenn sie überhaupt nicht zu Ort, Zeit und Handlung oder zum Text passen (so bleibt ein Schwert ein Schwert und kein Maschinengewehr, Kleopatra hat sicher nie auf einer Rakete gesessen usw.). Die "lästige" Musik spielt für den Regisseur überhaupt keine Rolle mehr.
    Wer ist wohl hier der größere Dilettant? Und selbst als Dilettant in einem - egal welchem - Handwerk, kann ich sehen, ob ich das Produkt eines guten Handwerkers oder eines Dilettanten vor mir habe. Und bei einem Theoretiker kann ich als Laie in der Regel auch feststellen, ob er eine Ahnung hat oder nur pseudowissenschaftliche oder nachgeplapperte Dinge daherredet.
    Mögen die Anhänger des Verunstaltungstheaters auch bersten, wir werden weiter für vernünftiges Theater kämpfen.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ein Koch hat dem Gast zu dienen. ...


    Ein Regisseur hat dem Werk und dem Zuschauer zu dienen.


    Wenn jemand ein schallendes Gelächter zu hören vermeint - er irrt sich nicht! Das stammt von den Regisseuren, die das soeben gelesen haben...


    :D

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!



  • Wenn jemand ein schallendes Gelächter zu hören vermeint - er irrt sich nicht! Das stammt von den Regisseuren, die das soeben gelesen haben...


    :D


    Doch, doch, das habe ich gehört. War so laut, dass ich mir Ohrstöpsel besorgen musste. Es gilt aber immer noch: Wer zuletzt lacht, lacht am besten....

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

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  • Lieber Dr. Pingel,


    ich hatte bloß auf die Anführungszeichen oben und unten geachtet und verpaßt, daß der Redner zwischendurch wechselte. So entging mir auch die Ironie. Es tut mir leid, einen so gescheiten Tamino wie dich ganz zu Unrecht gebrandmarkt zu haben. Was ich dir allerdings nicht nachsehe, ist, daß du aus deinen negativen Erfahrungen auf die Gesamtheit zeitgenössischer Regieexperimente extrapolierst. Aber das ist ein weites Feld.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Lieber farinelli,


    dass Du plötzlich zu einem Bewunderer der Mittelmäßigkeit geworden bist, finde ich, wenn ich Deine sonst so qualifizierten Beiträge betrachte, ziemlich überraschend. Wenngleich viele Politiker über eine relativ hohe Intelligenz verfügen, ist das keine Garantie dafür, dass damit vernünftige Politik betrieben wird. Weder Hitler noch Napoleon waren Idioten und doch machten sie Fehler, über die jeder normalbegabte Durchschnittsbürger nur den Kopf schütteln konnte.
    Das ist heute nicht anders. Im schwedischen Reichstag drücken unsere Abgeordnete auf Abstimmungsknöpfe, wissen aber in vielen Fällen nicht, warum es überhaupt geht. Das ist keine Hypothese, sondern Ergebnis einer Umfrage.


    Nur ein Beispiel: ein Regierungsbeschluß vor einiger Zeit fordert, dass kein gesonderter Unterricht für Kinder mit Lernschwierigkeiten außerhalb der Klasse mehr stattfinden darf, obwohl jeder Pädagoge weiß, dass Kinder mit Aspergersyndrom unmöglich in großen, lärmenden Klassen unterrichtet werden können.
    Ich könnte noch Dutzende solcher Beispiele bringen, die in ähnliche Richtung gehen, vor allem was die Schule und die Jugendämter betrifft, ich spreche da aus eigener Erfahrung.


    Und kommen wir zum Thema Moral, sieht es noch düsterer aus. Die Ockupation Tibets wird schon seit 60 Jahren von unseren Demokraten toleriert und der neugewählte, mächtigste Mann der Welt spricht einem ganzen Volk die Existenzberechtigung ab.


    Wieso, frage ich mich da, sollte man also in Erfurcht vor unseren kompetenten Überfliegern erstarren und glauben, die Dilettanten würden es viel schlechter machten?


    Um schließlich beim eigentlichen Thema, bei der Musik zu landen. Keinem vernünfigen Menschen würde es einfallen, das ungeheure Können unserer großen Dirigenten in Frage zu stellen, oder das der Musiker der bekannten Orchester, schon deshalb, weil den Meisten das Wissen dazu fehlt.
    Die Deutung eines Opernsujets dürfte aber auch einem interessierten Laien möglich sein. Da kann man nicht jede Kritik von deren Seite als Stammtisch-Dilettantismus abtun.


    Es gibt under den Erzeugnissen des sog. Regietheaters viel Bemerkenswertes, Vieles auch, was herkömmliche Inszenierungen überragt. Zu kritisieren sind aber die vorbehaltlose Akzeptanz jeglicher Auswüchse moderner Regie, die intellektuelle Arroganz der Missionare und die oftmals grotesken Forderungen an die Sänger, die damit verbunden sind.


    Edda Moser erzählte einmal, dass sie als Königin der Nacht auf einem hohen Turm plaziert, in fast panischer Höhenangst ihre Rachearie singen musste und deshalb nicht ihr Bestes geben konnte.
    Das war doch schlichtweg eine grobe Unverschämtheit des Regisseurs und nicht nur gegenüber der Sängerin. Das Publikum wurde dadurch um eine wichtige Nuance des künstlerischen Ausdrucks betrogen.


    Die Opernregie ist leider heutzutage nur allzu oft in den Händen fanatischer Scharlatane, die mit billigen Tricks billigen Applaus erheischen.


    Man kann nur hoffen, dass Orgien in Blut, Kot und Sex, Hakenkreuze, Uniformen und Kalaschnikofs, mit dem Kopf nach unten oder in einem Wasserbecken zu singen nicht das Non plus ultra der Regiekunst bleiben.

  • Zitat

    Zitat von Theopihilus: Wenn jemand ein schallendes Gelächter zu hören vermeint - er irrt sich nicht! Das stammt von den Regisseuren, die das soeben gelesen haben...

    Schallendes Gelächter, natürlich, da sagst du uns nichts Neues. Das hört man doch schon, ehe man schreibt. Denn man hat ihnen ja in der Ausbildung beigebracht, dass sie nur sich selbst zu dienen haben. Sie lachen ja auch, wenn das Gezeigte in Buh-Rufen untergeht und sie lachen auch noch, wenn das Haus leer bleibt. Denn dann haben sie den Skandal, den sie brauchen und ihr Name ist - wenn auch im negativen Sinne - gleich in aller Munde. Nur über ihre Ausschüttungen können meist nur noch sie selbst lachen, für die meisten sind sie nur lächerlich. Aber vielleicht vergeht ihnen das Lachen dann doch, wenn endlich wieder einmal Vernunft und Einsicht einkehrt und keiner mehr was von ihnen wissen will. Einige radikale Regisseure haben den Trend ja schon erkannt und beginnen - wenn auch zögerlich - wieder gemäßigtere Wege zu gehen.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Da werden - möglicherweise diskussionswürdige - aber um Ernsthaftigkeit bemühte Thesen zu einem Thema formuliert.


    Die Thesen Herrn Rietzschels scheinen mir billig, aber sind sie auch recht? - Die Methode ist einfach: Man nehme einen Begriff, lade ihn negativ auf und verwende ihn auf den Gegenstand des eigenen Missfallens. Tatsächlich aber, wie Johannes bereits bemerkte, besitzt der Begriff des Dilettantismus diese ihm hier aufgenötigte negative Konnotation nicht eigentlich. Als Resultat kommt es nicht nur in Rietzschels Kopf, sondern auch hier in der Diskussion prompt zu Missverständnissen.


    Warum "Dilettantismus"? Warum nicht "Inkompetenz"? - Auch diese läßt sich Politikern (und vermutlich auch Theater-/Opernregisseuren) gemeinhin auf das wunderbarste - und unter Ausblendung jeglicher Komplexität - unterstellen ... Dabei fällt mir ein: Hat hier schonmal jemand etwas vom Dunning-Kruger-Effekt gehört?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Lieber Dr. Pingel,


    Was ich dir allerdings nicht nachsehe, ist, daß du aus deinen negativen Erfahrungen auf die Gesamtheit zeitgenössischer Regieexperimente extrapolierst. Aber das ist ein weites Feld.

    Lieber farinelli,


    in diesem Punkt hast völlig Recht; das kann man keinem nachsehen. Aber du tust mir unrecht. Ich habe in verschiedenen threads immer wieder auf geglückte moderne Inszenierungen hingewiesen. Da ich keinem zumuten will, das alles nachzuschlagen, will ich das hier wiederholen (Jahre und Regisseure sind mir nicht immer präsent).
    Gelsenkirchen: Die tote Stadt, Mefistofele, Gloriana (Britten): tolle moderne Inszenierungen, Gloriana sogar mit einer mir sonst verhassten Regietheatermarotte, der Verdoppelung von Personen, die hier aber schlüssig war. Mefistofele mit einer hinzuerfundenen Person, was auch schlüssig war.
    Düsseldorf: Peter Grimes und Billy Budd. In Billy Budd auch mit einer hinzuerfundenen Person, der Nurse; auch schlüssig.
    Nach Information eines Freundes, der ähnlich eingestellt ist wie ich, muss auch The Turn of the Screw großartiges modernes Musiktheater sein.
    Auch die Düsseldorfer "Cosi" unter Regie von Nicolas Brieger hat mir trotz ihres sehr strengen, abstrakten Duktus sehr gefallen. Leider konnte ich "Pelléas" von Nikolaus Lehnhoff in Essen noch nicht sehen, Freunde haben begeistert berichtet.
    Was wir hier kritisieren, findet sich überdeutlich im Thread über lächerliche und abstruse Inszenierungen.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Zitat von »Gerhard Wischniewski« Ein Koch hat dem Gast zu dienen. ...


    Ein Regisseur hat dem Werk und dem Zuschauer zu dienen.


    Wenn jemand ein schallendes Gelächter zu hören vermeint - er irrt sich nicht! Das stammt von den Regisseuren, die das soeben gelesen haben...


    Lieber Theophilus - das mit dem schallenden Gelächter irritiert mich. Mich würde sehr interessieren, wie Deine persönliche Meinung dazu ist. Ein sarkastischer Zwischenruf eines Moderators ist eigentlich kein richtiger Beitrag!


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Warum "Dilettantismus"? Warum nicht "Inkompetenz"? - Auch diese läßt sich Politikern (und vermutlich auch Theater-/Opernregisseuren) gemeinhin auf das wunderbarste - und unter Ausblendung jeglicher Komplexität - unterstellen ... Dabei fällt mir ein: Hat hier schonmal jemand etwas vom Dunning-Kruger-Effekt gehört?


    Tja, wenn das so ist, dann wirft das ein sehr schlechtes Licht auf unsere Experten im schwedischen Reichstag.


    Vermutlich hast Du mit Deinem Einwand das Gegenteil gemeint, aber erkläre mir doch - ohne die Komplexität der Fragen als deus ex machina zu bemühen, wie es kommt, dass in unseren humanistischen Gesellschaften die Reichen immer reicher, die Armen immer ärmer und die Ausgestoßenen immer verlassener werden?
    Jede Woche ein neuer Korruptionssandal in den Kommunen, Schwerkranke ohne ärztliche Versorgung, Opfer in Altersheimen die tagelang im eigenen Kot liegen ohne dass darüber von jemandem Rechenschaft gefordert wird, hemmungslose Verschleuderung öffentlicher Gelder, groteske Abfindungen für inkomptetente oder kriminelle Manager und so weiter ... Und das im Wochentakt.


    Ich bin überzeugt, dass viele Dilettanten eine bessere Arbeit liefern würden als mancher überschätzte Experte. So hat z.B. die Organisation "Missing people" eine weitaus höhere Erfolgsrate beim Suchen nach Vermissten aufzuweisen als die Polizei, bei der viele wichtige Fälle im Papierkorb landen.


    Vielleicht wäre es an der Zeit, dass die Götzendiener des Expertenglaubens auch mal auf konkrete Einwände reagieren, anstatt sich hinter philosophischen Auslegungen zu verstecken. Weder von Dir noch von farinelli habe ich bisher etwas Handfestes vernommen.
    Den Trick, keine Einzelfälle zu diskutieren, sollte man den Politikern überlassen. Auf diesem Gebiet sind sie allenfalls Experten.


    MfG
    hami1799

  • Zitat

    Zitat von hami: Vielleicht wäre es an der Zeit, dass die Götzendiener des Expertenglaubens auch mal auf konkrete Einwände reagieren, anstatt sich hinter philosophischen Auslegungen zu verstecken. Weder von Dir noch von farinelli habe ich bisher etwas Handfestes vernommen.

    Du sagst es, lieber Hans,


    auch ich habe schon oft konkrete Fragen gestellt, ohne je von den "Experten" eine konkrete Antwort zu bekommen (ich spreche dabei niemand persönlich an, dies ist nur eine allgemein Feststellung). Es wird um alles herumphilosophiert und -theoretisiert, aber nicht auf die eindeutigen Diskussionspunkte eingegangen. Ich denke, wir haben bisher klar und eindeutig gesagt, worin wir Sinnentstellungen und Verunstaltungen sehen, und die Absurditäten und Lächerlichkeiten an vielen Beispielen aufgezeigt. Noch nie habe ich eine Antwort der Verteidiger erhalten, warum die Werke unbedingt so verunstaltet werden müssen (sie nennen es seltsamerweise "entstaubt", ein Wort, das für mich die Bedeutung "den alten Glanz wiederherstellen" hat), und immer wieder dieselben Unglaubwürdigkeiten und bis zum erbrechen wiedergekäuten Klischees auf die Bühne gebracht werden (Beispiele: Panzer, Maschinengewehre, Raketen zur Zeit von Julius Caesar oder Schwerter im Text, dazu Maschinengewehre auf der Bühne, Klosetts und Männer mit heruntergezogenen Hosen zur Ouvertüre des "Maskenball", auf Spielzeughäuschen herumturnende Männer in "Die Meistersinger", Ratten im "Lohengrin", Kreuzritter mit Kühlschränken und Laptops, Nazi- und andere Uniformen usw.) und worin der Wert dieser Entstellungen des Originalwerks liegen soll. Die weitere Frage hat mir auch noch niemand, der um unsere konkreten Beanstandungen mit viel schönen Worten herumphilosophiert, beantwortet: Warum wählen auch moderne Regisseure teilweise historische Themen, wenn die Historie von den Regisseuren ohnehin verleugnet und örtlich und zeitlich gebundene Geschehnisse nur noch - zwecks Selbstverwirklichung des Regisseurs und zur Schaffung eines aufsehenerregenden, eventuell skandalträchtigen "Events" - in die Gegenwart versetzt und mit gewalttätigen Szenen "gewürzt" werden müssen, Märchen aber (siehe Aachen) "entschärft" werden müssen, weil sie (die vielen Generationen nicht geschadet haben) nach neuesten Begriffen zu gewalttätig sind. Dafür aber dürfen dann den Jugendlichen täglich massenweise Grausamkeiten im Fernsehen vorgesetzt werden.
    Bitte, liebe Kritisierer unserer Beiträge, begründet einmal konkret, warum das unbedingt so sein muss und warum Werke, denen historische Geschehnisse, Märchen oder Mythen zugrunde liegen, heutzutage nicht mehr im Gewand der Historie (des Märchens, des Mythos) spielen dürfen, und warum Spinnereien, die die meisten Zuschauer nicht deuten und entschlüsseln können, unbedingt wichtig sind. Allgemein nachgeschwatzte Phrasen und Plattitüden, wie "entstaubt (siehe oben), "nicht mehr zeitgemäß", "museal" und anderes nützen uns dabei wenig, denn sie sind unglaubwürdig. Seid ihr der Meinung, der Zuschauer geht nicht mehr zur Entspannung vom Alltag in die Oper, um zu der geliebten Musik auch ein passendes Bild zu bekommen, sondern nur noch, um da auch wieder den Alltag, den er auch im Fernsehen zur Genüge eingetrichtert bekommt, auch hier wieder zu erleben, sich tagelang über diesen Mist Gedanken zu machen, den er - der sich mit dem Werk befasst hat - nicht mehr mit diesem in Zusammenhang bringen kann, und dafür auch noch sein Geld verschwendet zu haben oder als Steuerzahler mitbezahlen zu müssen?
    Ohne dies dürft ihr ruhig eure Philosophien ausbreiten, die aber für unser Verständnis dann wertlos bleiben.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Tja, wenn das so ist, dann wirft das ein sehr schlechtes Licht auf unsere Experten im schwedischen Reichstag.


    Vermutlich hast Du mit Deinem Einwand das Gegenteil gemeint, aber erkläre mir doch - ohne die Komplexität der Fragen als deus ex machina zu bemühen, wie es kommt, dass in unseren humanistischen Gesellschaften die Reichen immer reicher, die Armen immer ärmer und die Ausgestoßenen immer verlassener werden?
    Jede Woche ein neuer Korruptionssandal in den Kommunen, Schwerkranke ohne ärztliche Versorgung, Opfer in Altersheimen die tagelang im eigenen Kot liegen ohne dass darüber von jemandem Rechenschaft gefordert wird, hemmungslose Verschleuderung öffentlicher Gelder, groteske Abfindungen für inkomptetente oder kriminelle Manager und so weiter ... Und das im Wochentakt.

    Habe ich dies bestritten? - Nichtsdestotrotz bleibt es einfach, hierfür einzig und allein die Politik verantwortlich zu machen und damit quasi per definitionem jegliche eigene Handlungsmöglichkeit zu verneinen. Ich behaupte nicht, dass ich in diesen Belangen ein besserer Mensch wäre und ich behaupte auch nicht, dass ich täglich gegen die "herrschenden" Zustände - mit denen ich beileibe nicht immer einverstanden bin - protestierend auf die Straße gehe. - Was ich aber behaupte, ist die allgegenwärtige Tendenz, mit griffigen Begriffen (sic!) anderer Leute Arbeit und Meinung in Bausch und Bogen klein zu machen einzig, weil man anderer Meinung ist, weil man Spaß daran hat oder weil man einfach meint, es zu können. Nach der von Dir eingeforderten "Handfestigkeit" irgendwelcher Argumente fragt heutzutage nicht nur niemand mehr, viel schlimmer ist auch kaum jemand noch in der Lage, diese zu liefern. - Und, mit Verlaub, wenn dies für farinelli oder mich gilt, so gebe ich dieses "Kompliment" gerne zurück.



    Ich bin überzeugt, dass viele Dilettanten eine bessere Arbeit liefern würden als mancher überschätzte Experte.

    Tatsächlich kommt es gerade in der Politik m.E. viel häufiger vor, dass sich eben diese gegen jede gegenteilige Expertenmeinung durchsetzt; siehe aktuell die Diskussion um die Einführung des sog. Betreuungsgeldes hier in Deutschland.



    So hat z.B. die Organisation "Missing people" eine weitaus höhere Erfolgsrate beim Suchen nach Vermissten aufzuweisen als die Polizei, bei der viele wichtige Fälle im Papierkorb landen.

    Als Mathematiker bin ich naturgemäß skeptisch gegenüber jeglicher Statistik, die ich nicht gesehen habe; aber trotzdem: Wenn es so ist, wie Du sagst, ist dies ein Grund, die Polizei abzuschaffen? - Was ist die Pointe?



    Vielleicht wäre es an der Zeit, dass die Götzendiener des Expertenglaubens auch mal auf konkrete Einwände reagieren, anstatt sich hinter philosophischen Auslegungen zu verstecken. Weder von Dir noch von farinelli habe ich bisher etwas Handfestes vernommen.

    Vielleicht hast Du es auch nur nicht als "handfest" wahrgenommen!? - Im übrigen ging es im ersten Beitrag von dr.pingel zumindest nach meinem Verständnis eher um eine Kritik an den Götzendienern des Dillettantismus. Da frage ich mich doch, was eigentlich bleibt, wenn man nun auch noch das Expertentum verneint? - Etwa der "gesunde Menschenverstand"?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Lieber Hans, lieber Gerhard,
    ich danke euch sehr für diese Beiträge, die mich dazu bringen, meinen einleitenden Beitrag noch mal kurz zu schärfen. Hans weist darauf hin, wie gefährlich die Dilettanten sind, weil sie Millionen Menschen skandalöserweise ins Elend stürzen. Beispiel: Hilfen für Griechenland und Spanien sind Hilfen für deren Banken, nicht für die Bevölkerung. Politsprech wie "Reformen" heißt "Sozialbbau", in der Tagesschau wird die Finanzkrise nach wie vor hartnäckig als Schuldenkrise bezeichnet, so als ob wir alle über unsre Verhältnisse gelebt hätten und nicht die Banken. Und in Regiesprech heißt es dann nun mal "entstaubt", "modern". Die Gefährlichkeit der Regietheater-Regisseure liegt darin, dass sie uns vergraulen und die Jungen nicht gewinnen!

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

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