Bruckners Sinfonien - welche Fassungen bevorzugt ihr?

  • Zum heutigen Todestag Anton Bruckners ein Bruckner Thread.


    Es gibt wohl keinen Komponisten bei dem sich die Frage nach den Fassungen in solchem Umfange stellt wie bei Bruckner.
    Wenn man kleinere Überarbeitungen und frühe Editionen, wie etwa Orel, Gutmann oder Löwe ausser Acht lässt und nur Fassungen von Bruckners Hand berücksichtigt, existieren im wesentlichen verschiedene Fassungen von folgenden Sinfonien:


    1. Sinfonie
    - erste Linzer Fassung (1866). Aufnahmen: von Georg Tintner bei Naxos 1998 wohl erstmals eingspielt, mittlerweile auch von Simone Young bei Oehms.
    - zweite Linzer Fassung (ca. 1870?, laut Wikipedia 1877). Aufnahmen: die große Mehrzahl aller Einspielungen benutzt diese Fassung.
    - Wiener Fassung (1891). Aufnahmen: z.B. Günther Wand mit den Kölnern bei RCA/Sony.


    2. Sinfonie
    - erste Fassung (1872). Aufnahmen: auch in diesem Fall stammt die Ersteinspielung wohl von Georg Tintner von 1996 bei Naxos und ebenfalls gibt es mittlerweile eine Aufnahme mit Simone Young bei Oehms.
    - zweite Fassung (1875-77). Aufnahmen: die große Mehrzahl aller Einspielungen benutzt diese Fassung.


    3. Sinfonie
    - erste Fassung (1873) mit Wagner Zitaten. Aufnahmen: es gibt schon länger Dirigenten, die diese Fassung spielen, persönlich kenne ich in diesem Fall wieder die Tintner Einspielung bei Naxos.
    - zweite Fassung (1877). Aufnahmen: meine Empfehlung wäre hier Osmo Vänskä, BBC Scottish Symphonie Orchestra bei Hyperion.
    - dritte Fassung (1889). Aufnahmen: die große Mehrzahl aller Einspielungen benutzt diese Fassung.


    4. Sinfonie
    Die beiden Fassungen der 4. unterscheiden sich so stark, daß man hier fast meint zwei verschiedene Sinfonien zu hören, in denen nur z.T. die gleichen Themen verwendet, aber ganz verschieden durchgeführt werden.
    - erste Fassung (1874). Aufnahmen: Jesús López-Cobos, Cincinnati Symphonie Orchestra bei Telarc; Simone Young bei Oehms; und meine persönliche Empfehlung Kent Nagano, Bayerisches Staatsorchester bei Sony.
    - zweite Fassung (1878). Diese Fassung hat ein komplett neues (heute übliches) Scherzo und eine Zwischenfassung des letzten Satzes (das sogenannte "Volksfest-Finale").
    - 3. Fassung des Finales (1880). Aufnahmen: in dieser Form, mit der dritten Fassung des Finales, liegen heute die meisten Aufnahmen vor.


    5. Sinfonie
    Von dieser Sinfonie existiert "eigentlich" nur eine Fassung (1878) von Bruckners Hand. Erst vor kurzem habe ich erfahren, daß es von Carragan den Versuch der Rekonstruktion einer "Urfassung" von 1876 gibt, die ich jedoch nicht kenne. Aufnahmen: hier zitiere ich am besten Norbert, dem ich den Hinweis verdanke:

    Hallo Byron,


    abruckner.com listet eine Aufnahme mit Akira Naito und dem Tokyo New City Orchestra auf, die aber leider weder bei Amazon noch bei JPC erhältlich ist.


    Von der unveröffentlichten 1876er Version gibt es eine Aufnahme mit Shunsaku Tsutsumi und dem Shunyukai Symphony Orchestra, die aber beiden Werbepartnern ebenfalls unbekannt ist.


    Dann gibt es von der 5. Sinfonie natürlich die "berüchtigte"
    - Schalk-Fassung in der das Werk unter Leitung von Franz Schalk uraufgeführt wurde. Auch wenn Schalk die Sinfonie mit Bruckners Erlaubnis für die Aufführung bearbeitete, stammen die Änderungen doch nicht vom Komponisten. Aufnahmen: Leo Botstein bei Telarc (habe ich nur einmal reingehört, scheint nicht empfehlenswert) und 2 existierende Einspielungen unter Knappertsbusch, die ich mir jetzt mal anschaffen werde (danke an Joseph II. für seine Auskünfte über die Knappertsbusch-Einspielungen).


    8. Sinfonie
    - erste Fassung (1887). Aufnahmen: Georg Tintner bei Naxos, Simone Young bei Oehms.
    - zweite Fassung (1890) Aufnahmen: die große Mehrzahl aller Einspielungen benutzt diese Fassung.


    Nun gibt es manche Argumente für die späten wie auch die frühen Fassungen, aber in diesem Thread soll es eher darum gehen, ob und warum ihr persönlich bestimmte Fassungen bevorzugt. Ich möchte mich in den nächsten Tagen noch zu den einzelnen Fassungen äußern und habe teilweise gewisse Vorlieben für die eine oder andere Fassung - missen möchte ich sie aber alle nicht.


    Gruß aus Freiburg
    Byron

    non confundar in aeternum

  • Ich bevorzuge v.a., mir keine Gedanken über "Fassungen" machen zu müssen... :D


    Daher habe ich bislang das Fassungschaos weitgehend ignoriert. Allerdings besitze ich inzwischen tatsächlich Aufnahmen der "Urfassungen"? der 3. (Nott), der 4. (Russell Davies) und der 8. (Inbal), sowie die Komplettierungen der 9. unter Rattle und die, die bei Naxos erschienen war. Die Komplettierungen des Finales der 9. sind aber wohl ein Extrakapitel. Die Sätze 3+4 der Ur-Vierten gefallen mir überhaupt nicht; vielleicht mache ich irgendwann nochmal einen Versuch, aber bis dahin ist behalte ich die CD nur als Kuriosität.
    Bei der 8. ist mir nicht bewusst, was außer der Coda des Kopfsatzes wesentlich anders ist. Auch hier bevorzuge ich die üblichen, späteren Versionen mit dem leisen Satzende.
    Die Nott-Aufnahme der Urfassung der 3. besitze ich zwar auch schon einige Monate, aber ich habe sie nur einmal und nicht im Vergleich zur späteren Fassung gehört. Ich weiß auch nicht, wann ich mal die Geduld für so einen Vergleich aufbringen werde...

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Die Sätze 3+4 der Ur-Vierten gefallen mir überhaupt nicht; vielleicht mache ich irgendwann nochmal einen Versuch, aber bis dahin ist behalte ich die CD nur als Kuriosität.


    Ging mir bei der Vierten auch so. Die Achte war eigentlich nicht soooo anders - beachtlich soll wohl noch die Dritte bzgl. Erstfassung sein, aber die ganze Dritte höre ich kaum.


    OT: Bei Ralph Vaughan Williams ist mir eine Erstfassung deutlich lieber als die Endfassung: Bei Symphonie Nr. 2. Sonst spielt das Thema Erst/Endfassung bei mir keine Rolle. Faures Requiem ist etwas recihhaltiger Orchestriert in der Endfassung.

  • Die Sätze 3+4 der Ur-Vierten gefallen mir überhaupt nicht; vielleicht mache ich irgendwann nochmal einen Versuch, aber bis dahin ist behalte ich die CD nur als Kuriosität.


    Nun, insgesamt würde ich bei der 4. auch sagen, daß die späte Version die nach scheinbar "objektiven Kriterien" bessere ist: der gesamte Verlauf, vor allem der Ecksätze, wirkt stringenter und weniger ausschweifend. Allerdings schätze ich gerade bei der 4. die Urfassung, erstens schon mal, weil sie fast eine andere Sinfonie ist. Das war für mich überhaupt zunächst ein Grund mich mit den frühen Fassungen zu beschäftigen: Kennengelernt hatte ich Bruckner in den 70er/80er Jahren vor allem durch die Jochum Einspielungen (teils DG, teils die späteren bei EMI) und folglich in Form der damals üblichen Fassungen "letzter Hand". Die Urfassungen waren für mich später erstmal die Möglichkeit, die Sinfonien nochmal teils neu und anders kennenzulernen und dabei wenigstens passagenweise Musik von Bruckner zu hören, die ich noch nicht kannte, die aber teilweise grossartig war. Im Fall der 4. zeigt die Durchformung der Sätze sicher Schwächen, andererseits gibt es einfach soviel wunderbare "Stellen", die wir sonst nicht hätten.
    Du magst den 3. und 4. Satz nicht: manchmal kann das natürlich ein bißchen an der Aufnahme liegen, ich kenne Deine Russel-Davies Aufnahme nicht, bin aber von der Ur-Fassung viel angetaner in der Kent Nagano Einspielung, als in der Lopez-Cobos Aufnahme, die ich als erstes besaß. Der 3. ist ja schonmal ein komplett anderer Satz, also mit dem späteren Scherzo nicht wirklich vergleichbar. Der 4. Satz ist in der Urfassung stellenweise so chromatisch und rhytmisch aussergewöhnlich, daß er mir schon allein deshalb interessant erscheint. Insgesamt habe ich bei der Urfassung den Eindruck, die Musik käme zu einem Großteil aus Bruckners Orgelimprovisation - da reiht er mit grosser Spielfreude grossartige Stellen aneinander - und ich finde es "macht richtig Spaß" das zu hören. Bruckner war sich aber sicher der Formschwäche dieses Werks bewusst; insofern ist seine weitgehende Umarbeitung schon richtig und sinnvoll. Aber ich bin froh, daß es die Urfassung auch noch gibt, die soviel "jugendlichen" (Bruckner war 1874 erst 50 ;)) Übermut zeigt.


    Gruß aus Freiburg
    Byron

    non confundar in aeternum

  • Die Nott-Aufnahme der Urfassung der 3. besitze ich zwar auch schon einige Monate, aber ich habe sie nur einmal und nicht im Vergleich zur späteren Fassung gehört. Ich weiß auch nicht, wann ich mal die Geduld für so einen Vergleich aufbringen werde...


    Nun, schon in Deiner Formulierung klingt das nach Arbeit. Du hast ja schon verschiedentlich hier im Forum durchscheinen lassen, daß Du kein ausgesprochener Bruckner-Fan bist und das ist wahrscheinlich der Punkt: wenn man die Sinfonien nicht in einer Fassung schon sehr gut kennt, fällt der Vergleich natürlich viel schwerer und man muß sich hinsetzen und schauen: was ist denn jetzt in dieser Fassung anders als in jener? Ganz anders sieht das eben aus, wenn man die üblichen Fassungen seit Jahren gut kennt und dann mal eine Frühfassung hört. Da gibt es Sinfonien, wo zunächst mal kein grosser Unterschied ist, aber dann kommt eine Passage, wo man denkt: hey wow! - was hat er denn da verrücktes gemacht? Generell gibt es in den Frühfassungen noch viel mehr zwar Unausgereiftes aber für die Entstehungszeit fantastisch Ausgefallenes. Die Umarbeitungen gehen alle in die Richtung stärkerer formaler Konzeption - zum einen eine Konzession an damalige Hörgewohnheiten - zum anderen aber auch wirklich sinnvolle Straffung und größere Ausgewogenheit; leider ging damit auch ein Teil revolutionärer Fantasie verloren.


    Bei der ersten Sinfonie sind die Unterschiede zwischen der revidierten, also zweiten Linzer Fassung (lange Zeit als die Linzer Fassung bekannt - so heisst es z. B. in der CD-Box der Jochum Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern "Fassung: 1865/66 'Linzer'" - wohl in der damaligen Unkenntnis, daß die Edition der Linzer Fassung auf einer Umarbeitung zwischen 1870/77 beruhte - Jochum dirigierte natürlich diese spätere revidierte Fassung) und der späten Wiener Fassung eher marginal (hauptsächlich Instrumentierung, wenige Überarbeitungen in Details, Übergang von Trio zur Scherzo-Reprise), wohingegen etwas deutlichere Unterschiede in der ersten, unrevidierten Linzer Fassung (1866) zu Tage treten. Insgesamt sind die Unterschiede in den Fassungen der Ersten allerdings deutlich geringer, als bei den späteren Sinfonien.


    Die zweite Sinfonie, deren Einspielung in der Urfassung erstmals 1996 von Georg Tintner vorgelegt wurde, unterscheidet sich stärker in ihren beiden Fassungen. In der Urfassung hört man, daß die Sinfonie ursprünglich großformatiger angelegt war und im Formverlauf später "gezämt" wurde. Die meisten später gekürzten Stellen scheinen sich um den dramatischen Verlauf nicht zu scheren und verlaufen manchmal wie verträumt irgendwo im Gestrüpp, bevor es wieder anders weiter geht. Ein Vergleich der Spielzeiten zeigt in der späten Fassung bei Jochum 51'49 und in der Urfassung bei Tintner 71'22; selbst wenn man abzieht, daß Tintner durchgängig etwas langsamere Tempi anschlägt, so bleiben doch in der Urfassung etwa 15 Minuten Musik mehr, die später gestrichen wurde. Im Falle der Zweiten kann ich sagen, daß mir die Urfassung persönlich ganz klar besser gefällt, da sie weitaus "größer" daherkommt - wozu vielleicht im Falle der Tintnter Einspielung beiträgt, daß er sie als große Sinfonie ernstnimmt und nicht so sehr als "munteres Frühwerk" dirigiert, wie mich das bei vielen Aufnahmen der Ersten, Nullten und Zweiten stört.


    Gruß aus Freiburg
    Byron

    non confundar in aeternum

  • Ich bevorzuge die jeweiligen Letztfassungen. Bruckner hat sich schon immer was dabei gedacht. Besonders bei der 4. Symphonie ist das "geläufige" Finale doch unzweifelhaft viel besser als die früheren Versuche. Eine Ausnahme stellt die Schalk-Bearbeitung der 5. Symphonie dar, die ich neben der Normalfassung durchaus gerne und mit Gewinn höre (auch wenn man hier praktisch auf einen einzigen Dirigenten, Knappertsbusch, angewiesen ist).

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo Byron,


    ich bevorzuge in der Regel die späten Fassungen, weil dies die ausgereiftesten Fassungen sind.
    Es hatte seinen Grund, warum Bruckner und seine Schüler Bearbeitungen vornahmen. Wenn alles TOP gewesen wäre, hätte man die Erstfassung ja so lassen können.
    Wie man in der Praxis sieht werden die Sinfonien auch meist in diesen Spätfassungen aufgeführt.
    :thumbup: Ein ganz hervorragenpositives Beispiel sind die Wand-Aufnahmen / Kölner RSO (RCA) an denen ich mich erst seit ca.1 Monat höchzufrieden erfreuen kann - Wand verwendet nur die Letztfassungen.



    :!: Allerdings ist für mich als Bruckner-Fan auch wichtig die Frühfassungen zu kennen !
    Ich war dahingehend mit einigen NAXOS_CD´s mit Tintner, aus meiner Sicht reingefallen, weil diese mir wegen den langatmigen Tempi und der mittelmässigen Orchesterleistung gar nicht gefallen haben ... (ich war Karajan und Solti gewohnt und dann das ;( ...).


    Aber ich habe darauffolgend und nachdem ich mich informiert habe, welche Einspielungen angemessener sein sollen, einige Erstfassungen in den Inbal-Aufnahmen (Teldec) erworben, die mich wirklich in jeder Hinsicht zufriedenstellen. *** Ganz gross die Sinfonie Nr.3 (Erstfassung) mit Inbal. (Auch der Vergleich mit Tintner, da Inbal hier nichts langatmig verschleppt. Schon der Blick auf die Spielzeiten gibt vorher ungehört dazu Aufschluss. ;) Die "Naxosen" waren schneller abgesetzt als gekauft ... )
    8-) Insgesamt gesehen sind die Frühfassungen interessant zu hören, aber die späten Fassungen finde ich durchweg angemessener !


    :!: Ganz extreem bei der Sinfonie Nr.4, bei der ich die Sätze 3 +4 (da schliesse ich mich dem an, was Johannes schreibt,) bei weitem nicht so hoch schätze wie die in der Spätfassung. Sinfonie Nr.4 in der Erstfassung ist praktisch in ihrer Aussage und Wirkung eine ganz andere Sinfonie.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Nun, insgesamt würde ich bei der 4. auch sagen, daß die späte Version die nach scheinbar "objektiven Kriterien" bessere ist

    Mir mißfielen die Sätze subjektiv, bis zu einem "objektiven" Vergleich bin ich gar nicht gekommen, das unmittelbare Mißfallen hat mich sozusagen davon abgehalten.


    Die erste und zweite Sinfonie kenne ich tatsächlich nicht gut, die 3.,4. und 5. allerdings schon seit über 20 Jahren und eigentlich ganz gut, aber halt nicht unbedingt auswendig. Eine Veränderung wie die unterschiedliche Coda in der 8. hört man natürlich auch, ohne das Werk besonders gut zu kennen.
    Ich habe schlicht und einfach nicht genügend Interesse an den Sinfonien, um mich näher mit der Fassungsproblematik zu befassen. Die 4. war mal so eine Stichprobe und bei der 3. hat es mich im Prinzip auch interessiert, da ich hier mehr Kommentare gelesen hatte, dass manche hier die Urfassung bevorzugen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich bevorzuge die jeweiligen Letztfassungen. Bruckner hat sich schon immer was dabei gedacht.


    Das bezweifle ich absolut nicht. Persönlich kann einem trotzdem, wie bei mir im Falle der Zweiten, eine Fassung besser gefallen, oder wie im Falle der Vierten, die Urfassung zu hören einfach etwas völlig anderes sein als die letzte Fassung. Und selbst magst Du ja auch die Schalk-Fassung, obwohl man sie sicher nicht als die wirklich bessere bezeichnen kann. (übrigens nochmal danke für den Knappertsbusch-Tip; habe mir die Decca Aufnahme heute als - sündhaft teure - Japanpressung bestellt)


    Gruß aus Freiburg
    Byron

    non confundar in aeternum

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Ein ganz hervorragenpositives Beispiel sind die Wand-Aufnahmen / Kölner RSO (RCA) an denen ich mich erst seit ca.1 Monat höchzufrieden erfreuen kann - Wand verwendet nur die Letztfassungen.

    Hervoragende Aufnahme, ja! Wobei Wand tatsächlich einer der wenigen ist, die auch bei der Ersten Sinfonie die letzte, also die Wiener-Fassung spielen. Merkwürdigerweise tut das kaum ein anderer Dirigent, selbst wenn bei allen anderern Sinfonien die Fassungen letzter Hand genommen werden.



    Ganz gross die Sinfonie Nr.3 (Erstfassung) mit Inbal. (Auch der Vergleich mit Tintner, da Inbal hier nichts langatmig verschleppt.

    Da kann ich Dir garnicht zustimmen: ich hatte die Inbal-Einspielung zuerst und fand die Dritte irgendwie uninspiriert heruntergespielt - von daher hielt ich nicht viel von der Urfassung bis ich Tintner hörte, der die Sinfonie zugegebenermaßen eher "zelebriert" - und dabei deutlich langsamere Tempi anschlägt, aber für mich hat seine Interpretation deutlich mehr Tiefgang als Inbal, der für die eigentlich deutlich längere Urfassung nicht länger braucht, als Celibidache für die viel kürzere letzte Fassung (o.k. zugegeben: Celibidache ist nicht gerade für schnelle Tempi bekannt, also kein ganz lauterer Maßstab).


    Gruß aus Freiburg
    Byron

    non confundar in aeternum

  • Nachdem ich mir nun diese Box von Music&Arts

    angeschafft habe, hörte ich nach der Dritten heute morgen die 1959er Münchner Aufnahme der Fünften (in der Schalk-Fassung).

    aber die Münchner Version überzeugt durch mehr Herzblut und Spontaneität. Nie hörte man das Blech brutaler und die Symphonie pathetischer als hier. Ein echtes Abbild des Fin de siècle. Dass es nur mehr bedingt etwas mit Bruckner zu tun hat, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

    Ich würde nun nicht einmal sagen, daß das Ergebnis nur bedingt mit Bruckner zu tun hätte - auf jeden Fall ist die Interpretation absolut großartig! Zu den von Knappertsbusch favorisierten Erstdruck-Fassungen gibt es in der Box einen sehr interessanten und aufschlussreichen Text, der die Vermutung nahelegt, daß es sich bei diesen ersten Druckfassungen (außer im Falle der 9.) gar nicht um so völlig von Bruckners Willen abweichende Versionen handelt, wie wir heute glauben; daß zumindest manche Änderungen, die man eine zeitlang Schalk zuschrieb, nicht nur mit Bruckners Einverständnis, sondern zum Teil sogar aus seiner Feder stammend in den Druck gelangten. In der Fassung der Fünften finden sich natürlich die meisten nicht direkt von Bruckner stammenden Änderungen, doch nach meinem heutigen Hörerlebnis muß ich meine zuvor recht negative Einschätzung der Schalk-Fassung etwas revidieren. Da sieht man wieviel die Einspielung zur Beurteilung einer Fassung beitragen kann (bei mir war es die negative Erfahrung mit der Leon Botstein CD).


    Die krasseste Änderung ist der etwas abrupte Strich im Finale; ansonsten ist es aber eben doch nicht einfach ein "Aufmotzen" der Instrumentierung, was Schalk da macht, sondern die Retuschen scheinen mir doch größtenteils behutsam und differenziert - bis auf die Coda des Finales natürlich, die hat schon einen massiv satteren Klang (macht aber Spaß :thumbsup: ).
    Auf jeden Fall ist das Interessante an den Knappertsbusch-Einspielungen, daß man einen Eindruck von der frühen Bruckner Rezeption bekommt, die ja auch eher der Praxis entspricht, die Bruckner noch erlebte und mit der er rechnen mußte.

    non confundar in aeternum

  • Auf jeden Fall ist das Interessante an den Knappertsbusch-Einspielungen, daß man einen Eindruck von der frühen Bruckner Rezeption bekommt, die ja auch eher der Praxis entspricht, die Bruckner noch erlebte und mit der er rechnen mußte.


    Nein, diese Annahme kann man eher verneinen. Wenn man möglichst nahe an Bruckner herankommen will, führt kein Weg an den Aufnahmen von Volkmar Andreae mit den Wiener Symphonikern vorbei. Andreae hatte bereits 1911 alle Bruckner-Symphonien aufgeführt (und nach meinem aktuellen Wissensstand war er damit der erste Dirigent!), er hat in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehr Bruckner dirigiert als jeder andere und ist damit die beste Referenz für frühe Bruckner-Rezeption, die wir haben. Und er klingt völlig anders als Knappertsbusch!


    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Bei Bruckners Sinfonien vertraue ich ganz dem Urteilsvermögen und der wohlfundierten Meinung Günter Wands.


    Liebe Grüße


    Willi :rolleyes:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Und wieder muss ich das traurige Los der 6. bedauern, gibt es die überhaupt?


    Falls ja, dann möchte ich eine Lanze für Günter Wand brechen. So wie der den ersten Satz rhythmisiert, ist einfach umwerfend. Da sind Jochum und Celibidache wesentlich zahmer.

  • Mein lieber Hans!


    Ich höre zwar selten konzertante Musik, aber "wenn schon, denn schon". Diese Aufnahme höre ich hin und wieder. Eine bessere kenne ich nicht.



    Herzlichst
    Wolfgang

    W.S.

  • Lieber Byron,


    es freut mich zu lesen, dass die Knappertsbusch-Aufnahme der Schalk-Beabrbeitung der 5. Symphonie für dich eine Bereicherung darstellt.


    Soweit ich das überblicke, sind in dieser Box (ich habe die Einzelaufnahme der 5. von M&A) folgende Aufnahmen:


    - Symphonie Nr. 3, BayStO 1954
    - Symphonie Nr. 4, BPO 1944
    - Symphonie Nr. 5, MPO 1959
    - Symphonie Nr. 7, WPO 1949
    - Symphonie Nr. 8, BPO 1951
    - Symphonie Nr. 9, BPO 1950


    Die 3., 4. und 8. bevorzuge ich in anderen Aufnahmen von Kna (NDR SO 1962; WPO 1964; MPO 1963), aber natürlich sind auch die hier enthaltenen sehr gut.


    Bzgl. der 8. Symphonie verwendet Kna ja auch die Schalk-Bearbeitung: 2. Fassung von 1888/90, Ed. Schalk/v. Oberleithner (1892).


    Was die Bruckner-Rezeption im frühen 20. Jahrhundert anbelangt, so kann man es doch nicht bestreiten, dass die Schalk-Fassungen eben durchaus auch gespielt wurden. Knappertsbusch spielte diese noch in den 60er Jahren! Ich würde auch eher bezweifeln, dass der sicherlich achtbare Volkmar Andreae (ich kenne seine Aufnahme der 5. Symphonie) damals berühmter war als Knappertsbusch. Immerhin hat das führende Klassik-Label Decca 1956 seine erste Stereo-Aufnahme der 5. Bruckner mit Kna in der streitbaren Schalk-Bearbeitung gemacht, genauso wie Westminster sieben Jahre später seine Studio-Aufnahme der 8. ebenfalls in der Schalk-Version mit Kna machte.


    Ich würde sagen: Wer nie die Schalk-Bearbeitung der 5. Symphonie gehört hat, der sollte sich vor Vorurteilen hüten. Keine Aufnahme der "regulären" Fassung kann mit der wirklich apotheosischen Wirkung der Coda des Finalsatzes in der Schalk'schen Bearbeitung konkurrieren. Hier wird die musikalische Umsetzung der Dreifaltigkeit Gottes erst richtig spürbar. Und das wiederum ist doch im Sinne des erzkatholischen Bruckner.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Wolfgang,


    auch der Abbado war offensichtlich kein Freund der Sechsten, jedenfalls finde ich von ihr keine Aufnahme mit ihm, die Vierte werde ich mir aber besorgen.
    Witzig, gerade höre und sehe ich mir die Sechste mit dem Chicago Symphony Orchestra unter Solti an, zum ersten Mal übrigens.
    Wuchtige Blechbläser, aber der Funke will nicht überschlagen.


    Muss mir das noch ein paar Mal anhören. Den Günter Wand verdrängt er aber sicher nicht aus meiner Favoritenliste.


    Liebe Grüße
    hami

  • Wenn man möglichst nahe an Bruckner herankommen will, führt kein Weg an den Aufnahmen von Volkmar Andreae mit den Wiener Symphonikern vorbei.

    Das ist sicher ein bedenkenswerter Einwand - andererseits würde ich Joseph II. zustimmen, daß Knappertsbusch sicher auch damals der renomiertere Interpret war.

    Ich würde auch eher bezweifeln, dass der sicherlich achtbare Volkmar Andreae (ich kenne seine Aufnahme der 5. Symphonie) damals berühmter war als Knappertsbusch.

    Zudem weiß ich nicht, inwieweit Andreae in der Tradition der ersten Bruckner Dirigenten stand (auch wenn er dann später selber ein immerhin sehr früher war), wohingegen Knappertsbusch immerhin noch Assistent von Hans Richter war!


    Absolut richtig!


    Und schon wieder fehlt die Sechste. Sans olle deppert?

    Nun, soviel ich weiß existiert eben leider keine Aufnahme der Sechsten unter Knappertsbusch.


    Gruß aus Freiburg
    Byron

    non confundar in aeternum

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    auch der Abbado war offensichtlich kein Freund der Sechsten, jedenfalls finde ich von ihr keine Aufnahme mit ihm, die Vierte werde ich mir aber besorgen.


    Mein lieber Hans!


    Leider kenne ich nicht viel von Bruckner, daher kann ich mir auch kein Urteil über die Aufnahmen mit "Kna" erlauben. Wenn "seine Majestät, Joseph II." die Aufnahmen mit "Kna" empfiehlt, kann man dies nur als beste Empfehlung annehmen. ;)



    Gruß Wolfgang

    W.S.

  • Wenn "seine Majestät, Joseph II." die Aufnahmen mit "Kna" empfiehlt, kann man dies nur als beste Empfehlung annehmen.


    Hallo Wolfgang,


    das mag ja von der Interpretation her alles richtig sein, was Josef berichtet. An seinen Eindrücken habe ich keine Zweifel !
    ;) Aber Klangtechnisch würden diese historischen Aufnahmen mich eher für Bruckner abtörnen ...
    wo man doch Solti, Karajan und Wand, sowie Inbal mit den Urfassungen in exzellenter Klangtechnik geniessen kann.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo Wolfgang (teleton),


    ich weiß natürlich, du bist ein "Klang-Fetischist". Aber selbst für dich gibt es bei Kna zwei Aufnahmen, die dich interessieren könnten, nämlich in astreinem Stereo:



    Ich weiß nicht, ob du überhaupt eine Aufnahme von Knappertsbusch hast, aber besonders die 5. lohnt sich wegen der Schalk-Bearbeitung wirklich. Dass die Live-Aufnahme noch besser ist, wird dir nicht viel helfen, denn die ist in Mono ... Und wie er in der 8. die letzten Takte der Coda hinauszögert, ist auch sagenhaft.


    LG
    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Joseph, ich konnte bei Amazon in die Achte hineinhören, das hat mir schon gefallen, aber leider ist sie trotz eines Preises von kanpp 42 Euronen derzeit nicht lieferbar. Es wäre ja doch interessant, in einem Einzelfall zu hören, wie sich die Schalk-Fassung von der Haas- und der Nowakfassung unterscheidet. ich habe mal kurz in meine Sammlung geschaut, die noch nicht ganz wieder eingeordnet ist. Karajan in seiner GA der 70/80er Jahre und Günter Wand in Lübeck 1987 bevorzugen die Haas-Fassung, Celi in München hat die Nowak-Fassung gewählt. Aber eine Aufnahme in einer Schalk-Fassung habe ich bisher nicht in meiner Sammlung.


    Liebe Grüße


    Willi :)


    Herzlichen Glückwunsch zu deinem neuen Avatar. Bist du das, oder ist das am Ende doch Johnny Depp?

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Karajan in seiner GA der 70/80er Jahre und Günter Wand in Lübeck 1987 bevorzugen die Haas-Fassung, Celi in München hat die Nowak-Fassung gewählt.


    Marek Janowski bevorzugt (in den Aufnahmen mit dem RSO Berlin) anscheinend auch die Nowak-Fassung …

    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)

  • Ich würde mich sehr freuen, wenn ich ein paar Meinungen über Marcus Bosch hören könnte, dessen Bruckneraufnahmen jetzt auch als Komplettboxen vorliegen. Ich selber habe ja schon einige Male erwähnt, dass ich das für sehr hörenswert halte. Es ist für mich auch von einiger Wichtigkeit, dass die Aufnahmen in einer Kirche gemacht worden sind. Irgendwie denke ich immer, dass Bruckner stets so eine Akustik imaginiert hat (verbrachte er doch eine große Zeit seines Lebens in solchen Gebäuden). Auch denke ich, dass der schroffe Stil von Bosch den WErken gut gerecht wird.
    Hat schon mal jemand reingehört?
    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Hallo Teleton

    Hallo Wolfgang (teleton),


    ich weiß natürlich, du bist ein "Klang-Fetischist". Aber selbst für dich gibt es bei Kna zwei Aufnahmen, die dich interessieren könnten, nämlich in astreinem Stereo

    Also wenn Du wie ich etwas audiophil veranlagt bist, gäbe es noch die (leider teure) Alternative einer audiophilen Japanpressung (SHM CD) der DECCA-Aufnahme. Sieht ziemlich gleich aus, führt aber zu einem anderen Artikel, als die von Joseph II. verlinkte:


    Alles was ich bisher an SHM-CDs aus Japan besitze finde ich klanglich hervorragend - habe mir die CD selbst bestellt, wegen der langen Lieferzeit warte ich aber noch darauf.

    Gruß aus Freiburg
    Byron

    non confundar in aeternum

  • Ich würde mich sehr freuen, wenn ich ein paar Meinungen über Marcus Bosch hören könnte


    Hallo Klaus 2,


    das gehört zwar eigentlich nicht ganz in diesen Thread, aber ich besitze die 9. unter Marcus Bosch, eigentlich vor allem, weil ich Aufnahmen mit dem komplettierten Finale sammle.


    Sicher nicht schlecht, aber alles ein bißchen sehr zügig gespielt - für mich gab es jedenfalls keinen Anreiz weitere Sinfonien mit Bosch zu erstehen. Und wenn man eine Aufnahme mit Finale sucht, bevorzuge ich jetzt die neue Rattle Einspielung - auch recht schnell, aber zumindest vom Finale die überzeugendste Aufnahme, die ich bisher gehört habe.

    Gruß aus Freiburg
    Byron

    non confundar in aeternum

  • Lieber Byron!


    Das war dann aber auch kein Glücksgriff! Wie gesagt mag ich seine EInspielungen sehr, aber gerade die 9. bricht da für mich aus. Meiner Meinung nach eilt er durch die 1. drei Sätze, damit er endlich das Finale spielen kann. Gefällt mir gar nicht.
    Falls du nicht allzu frustriert bist, ich finde die 3. ist ihm so richtig gut gelungen, kantig, wuchtig, archaisch.


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose