Hallo!
In diesem thread geht es um Beethovens letztes vollendetes mehrsätziges Werk, nämlich das Streichquartett F-dur op. 135.
Komponiert wurde es im Oktober 1826. Beethoven fand hier zur alten Viersätzigkeit zurück, und auch von den inneren und äußeren Dimensionen ist es im Vergleich zu den vorangehenden Streichquartetten ein eher unproblematisches, kurzes Werk. Die Rückkehr zu einer gewissen Klassizität macht das Werk aber keineswegs uninteressant und ist um einiges kühner im Ausdruck als ein früherer ebensolcher Rückblick in Beethovens symphonischem Schaffen war, die achte Symphonie.
Ich habe die drei mir auf CD zur Verfügung stehenden Aufnahmen vergleichend gehört, eine Hör-Disziplin, in der ich noch nicht sonderlich geübt bin, aber dennoch mein Ergebnis hier berichten möchte. Bei den Interpreten handelt sich es um das Emerson String Quartet, das Juilliard String Quartet und das Melos Quartett.
Im ersten Satz (allegretto) bleiben die expressiven (oder impressiven) Extreme der vorangegangenen Quartette aus, das Melos Quartett liegt hier mit seiner klassisch-ausgewogenen Interpretation genau richtig. Es ist ein Quartettsatz, den man aufs erste Hören erst mal nicht in Beethovens Spätwerk einsortieren würde.
Den zweiten Satz (vivace), ein kurzes, unruhiges, intensives Scherzo interpretiert das Melos Quartett ebenso klassizistisch „harmlos“ und liegt damit IMO genau falsch. Der unruhige Rhythmus, die schnelle Tempoangabe, die hämmernden Tonrepetitionen und das „offene Ende“ (ähnlich wie im Scherzo von op. 131) verlangen nach einer raschen, extremeren Interpretation, und da ist das Emerson Quartet genau in seinem Element – hervorragend!
Im dritten Satz (lento assai, cantante e tranquillo) bin ich beim Hören der Interpretation des Juilliard Quartets – das bis dahin im Vergleich unauffällig (aber keinesfalls schlecht!) blieb – wahrlich „dahingeschmolzen“. Das Ensemble wählt ein äußerst langsames Tempo und erreicht einen unvergleichlich weihevoll-erhabenen Ausdruck (fern aller Sentimentalität). Allein dafür hat sich der erst kürzlich erfolgte Kauf dieser CD gelohnt. Das Emerson Quartet spielt diesen Satz erwartungsgemäß um 100 Sekunden schneller, und auch dem Melos Quartett fehlt wohl der Mut zur elementaren Langsamkeit. Es handelt sich übrigens um einen Variationssatz (Thema mit vier Variationen) in Des-dur.
Der vierte Satz bedarf einer ausführlicheren Erläuterung. Er ist von Beethoven mit der Überschrift „Der schwer gefasste Entschluß“ überschrieben. Er beginnt mit einer Einleitung (grave, ma non troppo), in der ein markantes Dreiton-Motiv in f-moll, überschrieben mit „Muß es sein?“ fünfmal hervortritt. In dieser Einleitung, die als sehr expressive, zäsurenreiche Komposition ein Beispiel für den „ganz späten“ Beethoven ist, wird von Beethoven ein weiteres Mal die „Schicksalsfrage“ gestellt. Darauf folgt (in F-dur) ein Dreiton-Motiv als Antwort auf die gestellte Frage: „Es muß sein!“ Dieses Motiv beherrscht das Finale (allegro), das als durchaus ausgelassen und heiter zu bezeichnen ist, so als wäre eine schwere Last vom Komponisten abgefallen, ein schwerer Konflikt überwunden. In der Durchführung verfinstert sich aber die Stimmung wieder und die Frage aus der Einleitung wird noch hämmernder und eindringlicher gestellt, dafür in der Reprise um so beschwingter und bestimmter wiederum beantwortet. Das Werk endet überaus positiv und optimistisch. Dieser Finalsatz ist ein „per aspera ad astra“ im Kleinformat. Ich weiß nicht, was das genaue Gegenteil von Resignation ist, aber Beethoven beschließt sein großes Gesamtopus mit genau diesem Ausdruck!
Um auf das Vergleichshören noch einmal zurückzukommen: Die extremen Gefühlswelten dieses Satzes gibt das Emerson Quartet quasi als „Emerson Express“ schnell und grandios wieder. Um es überspitzt zu formulieren: Das Melos Quartett spielt op. 135, als würde es sich um ein Haydn-Quartett handeln. Das liegt im Bereich des Möglichen, ist aber nicht mein bevorzugter Stil in diesem Fall. Insgesamt ziehe ich das Emerson Quartet vor, auch weil die Klangqualität besser ist als in meiner Juilliard Quartet – Aufnahme (etliche Störgeräusche).
Es gibt sicher noch andere Freunde des späten Beethoven hier im Forum! Eure Meinung zu diesem Werk und seinen Interpreten ist nun gefragt!
Viele Grüße,
Pius.