Wer hat Angst vor Nischenrepertoire ?

  • Vermutlich (fast) alle.
    Denn sobald ein Thread über einen Komponisten gestartet wird, der nicht zum Mainstraem - oder zumindest den Rand dessen was man als Mainstream definieren kann - gehört, herrscht Sendepause. Und das in einem Forum, welches sich die klassische Musik an die Fahnen gehaftert hat. Wir können davon ausgehen, daß es in der realen Welt noch schlimmer zugeht, es seien hier die Programme von Konzertveranstaltungen als Indikator genannt. Lediglich die Tonträgerindustrie beackert dieses Feld - aber auch nicht um verborgene Kulturschätze ans Tagelicht zu befördern, sondern eher um diese Schätze in bare Münze zu verwandeln, unausgeschöpfte (finanzielle) Resourcen auszubeuten....


    Vermutlich ein völlig normaler Vorgang, den Nischenrepertoire wurde ja nicht grundlos "Nischenrepertoire" - ursprünglich waren viele jener Komponisten, die heute als "Nischenkomponisten" oder "Kleinmeister" abgurteilt werden hochberühmte Künstler ihrer Zeit - bis hin was heute unter dem Begriff "Flagschiff" laufen würde.
    Wenn ICH über "Nischenrepertoire rede (schreibe), dann tritt zutage, daß ich dies stets mit unbekannten Werken des 18. und frühen 19. Jahrhunderts verbinde. Aber das ist natürlich nur eine sehr persönliche Sicht der Dinge - es gibt wesentlich mehr, das da in den Nischen verborgen ist - eigenlich sollte für jeden ein Thema dabei sein.
    Wenn - wie schon oben beschrieben, solche Themen auf wenig bis kein Interesse stossen, denn liegt das wohl daran, daß schon an dieser Musik kaum Interesse besteht. Das ist schon an der Tatsache zu sehen, daß Musik, welche dem Nischenrepertoire zugehörig ist, schon relativ kurz nach ihrem Erscheinen wieder aus den Katalogen verschwindet oder in den Ramschwühlkisten diverser Plattenabteilungen von Kaufhausketten enden.
    So werden "Ausgrabungen" unbekannter Werke, schnell wieder "eingegraben"


    Nach dieser zugegebenermaßen langen - und ein wenig nach Anklage klingenden - Einleitung stelle ich die Frage, warum dies so ist. (?)


    Ich beginne - im Gegensatz zu sonstigen Treaderöffnungen von meiner Seite - mit meinem persönlichen Statement.


    Ich sammle seit etwa meinem 15. Lebensjahr Tonträger mit klassischer Musik.
    Damals hörte ich vorzugsweise Mozart, Beethoven, Schubert und Haydn, sowie einige zig Werke der klassischen Musikliteratur (Vivaldi lieber als Bach, Mendelssohn, Ohrwürmer von Tschaikowski, Orff - und natürlich Opern von Rossini, Bellini, Donizetti, Verdi, Lortzing)
    Ich habe damals mit der Tatsache gehadert, daß Mozart so jung starb und mir die Frage gestellt, ob es nicht Zeitgenossen gab, welche ähnlich schöne Musik geschrieben hätten, wie er.
    Der Markt war damals kleiner, aber immerhin fand ich Johann Christian Bach, bei dem ich eine gewisse Ähnlichkeit zu Mozart zu sehen glaubte - was letztlich ja gar nicht so falsch war. Warum Hummel DAMALS mein zweiter Mozartersatz war erschliesst sich mir indes nicht ganz - wenngleich Hummel ja in gewisser Weise Schüler Mozarts war - er wohnte eine zeitlang sogar bei ihm. Inzwischen hatte ich mich - vielleicht nicht mit letzter Begeisterung - aber immerhin anderen Komponisten des 19 Jahrhunderts zugewandt, Schumann, Tschaikowsy und Brahms - sowie - eigenartigerweise - den leichteren Sinfonien von Mahler. Als diese Phase im Abklingen war hatte sich der Markt gewandelt. Man konnte Musik von Mozart Zeitgenossen kaufen, deren Namen man zuvor allenfalls in besseren Konversationslexika finden konnte. So lernte ich Rosetti kennen, labte mich an den Sinfonien Boccherinis, hörte die Meister der Mannheimer Klassik, und befasste mich mit Kozeluch, Salieri, Cannabich, Pleyel Vanhal und Vranicky - sowie etlichen mehr. Und ich hörte die beiden Klavierkonzerte von Mozarts Sohn, welche die Brücke zur Romantik herstellen


    Später kamen dann die Beethoven Zeitgenossen dran - allen voran Czerny und Riess.


    Inzwischen iost die Anzahl meiner "Nischenkomponisten" ins schier unermessliche gestiegen. Nicht alles ist auf Dauer hörenswert - aber ist vieles dabei, das ich keinesfalls missen möchte.


    Carl Maria von Weber - ist das Nischenrepertoire ?
    Ich würde sagen : HEUTE schon.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Tja. Klar. ja.
    Ist das nicht eine Tautologie?
    Klar, ich hbe hier auch Themen begonnen, die Nischen darstellten und die kein reaktionen hervorriefen. Warum? Weil die Sachen niemand kennt. Also schreibt niemand. so einfach, so platt.
    Wenn ich über das Limburgs Symfonie Orchest schreibe erhalte ich keine Reaktion, weil außer mir da keiner hingeht und keiner CD von denen kauft.
    Was soll man da erwarten? Dass Leute aus Wien nach Maastricht fahren? Sofort eine CD probekaufen?
    Das wäre schön.
    ist aber utopisch.
    Tja.
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Gab es nicht mal einen ähnlichen Thread, wo aufgezählt werden sollte, welche Nicht-Mainstream-Komponisten gehört werden?


    Also ich habe da keine Berührungsängste.

    Liebe Grüße
    der Manfred

  • Carl Maria von Weber - ist das Nischenrepertoire ?
    Ich würde sagen : HEUTE schon.....


    Nun fragt es sich, für wen? Die Regisseure und Operndirektoren, die Kritiker oder gar die Taminos?


    Für mich jedenfalls nicht. Außerdem stehen sicher der Freischütz und die Klarinetten-Konzerte außerhalb der Nische.


    Von Abu Hassan, Die drei Pintos, Euryanthe und Oberon gibt es wenigstens Aufnahmen.
    Was den Oberon betrifft, kann man über das Libretto seine Meinung haben, die Musik ist jedenfalls genial in ihrer Vielfalt der musikalischen Stilarten.


    Warum diese Perle der Romantik nicht öfter (oder überhaupt?) auf den Spielplänen steht, ist mir persönlich ein Rätsel und ich hoffe, dass ein mutiger Theaterchef dieses Werk wieder zugänglich macht.

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  • In den letzten jahren wurden in Gera eine Reihe von Ausgrabungen aufgeführt, darunter


    - Janacek - die Ausflüge des Herrn Broucek


    - Pavel Haas - Scharlatan


    - Walter Braunfels - Ulenspiegel


    - Samuel Barber - Vanessa


    mehr fallen mir nicht ein, es waren aber mehr (Ende der 80-er Jahre z.B. 2x Franz Schreker - das war sogar ganz gut)


    Das alles wurde mit großem Aufwand inszeniert. Im Scharlatan trat ein Zirkus auf, für Ulenspiegel wurde der Enkel des Komponisten (der Architekt Stephan Braunfels) als Bühnenbildner geholt. Dazu in allen Aufführungen teure Gastsänger.


    Das Ergebnis: In den Premieren drängelte sich die Journaille von Stuttgart über Frankfurt bis nach Berlin. Trotzdem war der 2. Rang leer geblieben. In den wenigen (manchmal nur 3 Aufführungen)Folgevorstellungen waren mitunter keine 200 Leute im Theater. Das war aber der Theaterleitung egal. Gera stand im Opernglas, in der Opernwelt, und in den überregionalen Zeitungen wurden wir auch erwähnt, lobend. Sogar Direktübertragungen in Deutschlandradio Kultur gab es.


    Fazit: Das Theater hat viel Geld ausgegeben und wenig eingenommen. Jetzt kämpft es ums Überleben. Der Intendant mußte gehen. Nichts gegen Ausgrabungen, sicher eine wichtige Sache. Für Wien oder Berlin. Aber nicht für "Provinztheater" in klammer Finanzsituation.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Zu Alfreds Nischen"report":


    Schon mal was von Musik ohne Orchester gehört?


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ich frage mich: Worauf zielt die Fragestellung dieses Threads ab? Die Antwort wird ja gleich mitgeliefert, wenn Alfrend Schmidt feststellt:


    "Vermutlich (fast) alle. Denn sobald ein Thread über einen Komponisten gestartet wird, der nicht zum Mainstream - oder zumindest den Rand dessen was man als Mainstream definieren kann - gehört, herrscht Sendepause. Und das in einem Forum, welches sich die klassische Musik an die Fahnen gehaftert hat."


    Soll man daraus jetzt die Schlussfolgerung ziehen, dass das Starten eines Threads über einen Nischen-Komponisten wenig sinnvoll ist und deshalb besser unterlassen werden sollte?


    Oder soll es heißen, dass man sich um diesen Aspekt gar nicht scheren soll, - auch auf die Gefahr hin, dass man mit seinem Thread allein bleibt?


    Liegt der Sinn eines Thread primär in der Betriebsamkeit, die er entfaltet? Oder eher im Wecken der Aufmerksamkeit für bestimmte musikalische Themen, Komponisten, Gattungen , musiktheoretische Fragen und Aspekte usw.? Oder in beidem" Wenn ja, wie sieht dann die Gewichtung aus?


    Muss der Initiator eines Threads dann, wenn er damit auf wenig Aufmerksamkeit stößt und wenig "Betrieb" darin und drumherum auslöst, die ganze Sache als sinnlos betrachten und abbrechen?


    Das sind so die Fragen, die sich mir(!) stellen, wenn ich die Threaderöffnung lese. Sind es die, die hier diskutiert werden sollen?

  • Zitat

    Oder soll es heißen, dass man sich um diesen Aspekt gar nicht scheren soll, - auch auf die Gefahr hin, dass man mit seinem Thread allein bleibt?

    Das ist vermutlich die sinnvollste Lösung - wenn man es denn seelisch durchhält.



    Zitat

    Liegt der Sinn eines Thread primär in der Betriebsamkeit, die er entfaltet? Oder eher im Wecken der Aufmerksamkeit für bestimmte musikalische Themen, Komponisten, Gattungen , musiktheoretische Fragen und Aspekte usw.? Oder in beidem" Wenn ja, wie sieht dann die Gewichtung aus?

    Alles miteinander. Das Wecken der Aufmerksamkeit für Randthemen ist sicher ein Aspekt der sehr wichtig ist, sonst müssten wir solch ein Forum bald generell in TRITSCH-TRATSCH umbenennen.
    Allerdingsd ist das was Helmut Hofmann gelegentlich ein wenig abwertend als "Betriebsamkeit" bezeichnet auch sehr wichtig in einem Forum, wobei man natürlich das Niveau nicht gänzlich aus den Augen verlieren sollte. Mir sind jedoch "seichte" Klassikthemen lieber , als jene über Fußball oder Geburtstagswünsche etc. Ein Forum ohne "Betriebsamkeit" ist langfristig zum Sterben verurteilt, ebenso wie ein solches ohne Kernthemen und anspruchsvolle Seitenthreads.
    Letztlich gesehen ist solch ein Thema, wie jenes in dem wir uns momentan befinden, ein zarter Hinweis darauf, daß das Nischenrepertoire eigentlich das einzige Langzeitthema ist, das ein Klassikforum stabil am Leben erhalten kann.
    Wobei natürlich Nischenrepertoire - ich sagte es schon zu Beginn - nicht als Einheit zu betrachten ist - es gibt vielerlei Nischen.......


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • "Angst" hat wohl niemand. Aber es hat auch niemand die Pflicht an allem so viel Interesse zu haben, dass er es sich anhören oder sich gar dazu äußern will.
    Es wird heute jedenfalls so viel Nischenrepertoire eingespielt wie nie zuvor. Die Risiken (und Chancen auf nationale Aufmerksamkeit), die ein Theater dabei läuft, wenn es solche Werke auf die Bühne bringt, wurden oben schon genannt. Dass man sich nach dem Publikum richten soll, ist doch im Forum breit anerkannt. Wenn nun das Publikum aber eben lieber immer wieder Figaro und Fledermaus sehen will statt mal Vampyr und Vanessa, lieber Sinfonien von Beethoven und Brahms statt von Spohr oder Raff, kann man den Verantwortlichen kaum vorwerfen, dass sie sich danach richten.


    Und ähnliches gilt in abgeschwächter Form für Tonträger. Auch wenn man heute kaum mehr Geld mit CDs verdienen kann, anscheinend kann man mehr mit dem zigsten Beethovenzyklus (gleich ob Sinfonien, Klaviersonaten, Quartette usw.) verdienen, als mit Spohr, Ries, Raff oder Herzogenberg. Umso dankbarer kann man den Künstlern und Labels sein, die sich dennoch um Komponisten wie die letztgenannten bemühen.


    Die relative Inflexibilität vieler Klassikhörer sollte Forianern nicht völlig fremd sein. Schließlich ist der Bestand auch ohne Nischenrepertoire in einem Leben kaum angemessen zu erfassen, sofern man sich für mehrere Genres und Epochen interessiert.


    ad C.M. v. Weber
    Der Freischütz ist im deutschsprachigen Raum nach wie vor unter den Top Ten Opern. Webers Klarinettenkonzerte sind nach Mozarts die bekanntesten und häufigst (ein-)gespielten. Die Klavierkonzerte liegen in mehreren Aufnahmen mit durchaus renommierten Pianisten (Demidenko, Oppitz, noch mehr beim Konzertstück) vor. Wie oft sie (oder wenigstens das Konzertstück f-moll, das interessanter ist als die beiden Konzerte) aufgeführt werden, weiß ich nicht. Auch das Klarinettenquintett dürfte etwa das drittbekannteste Stück der Gattung sein. Dann noch ein paar Ouverturen und Aufforderung zum Tanz, die restliche Instrumentalmusik ist wohl tiefere Nische.


    "Oberon" könnte mittelfristig gerade aufgrund des geschmähten, postmodern-respektlosen "Regietheaters" eine gewisse Chance haben. Ähnlich wie bei den "semi-operas" Purcells ist das Stück eher eine Mischung aus diversen Genres, dabei eine Reihe von Tableaux, kein schlüssiges Musikdrama. Und die Oratorien Händels haben heute ja auch Konjunktur, oft sogar in szenischen Aufführungen. Damit kommt es, in gewissen Hinsichten zeitgenössischer Ästhetik entgegen. Andererseits scheint die Musik auch nicht durchweg allzu gut anzukommen, sonst müsste es mehr konzertante (finanziell und organisatorisch weit weniger aufwendig) Aufführungen geben.

    Struck by the sounds before the sun,
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    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Ich dachte bei Weber eigenartigerweise nicht an den Freischütz, der meiner Meinung nach ein Eigenleben führt, sondern an die Sinfonien, die Klaviersonaten und Solo Klavierstücke. Und natürlich das einst so berühmte Stück "Aufforderung zum Tanz", das inzwischen wohl völlig in der Versenkung verschwunden ist.
    Immerhin umfasst Webers Schaffen an die 70 Opuszahlen und - soweit ich recherchieren konnte 268 Einträge des Jähns-Verzeichnisses (Der Unterschied kommt dadurch zustande, weil in Manchen Opuszahlen mehrere Stücke zusammengefasst wurden)


    Zum Thema Nischerepertoire auf CD, mit welchem man vermutlich keinen Blumentopf mehr gewinnen, geschweige denn finanzielle und somit auch imagefördernde Erfolge verbuchen kann:



    Zitat

    Umso dankbarer kann man den Künstlern und Labels sein, die sich dennoch um Komponisten wie die letztgenannten bemühen

    Es steht mit Recht zu befürchten, daß die Künstler gerne auf diese virtuelle "Dankbarkeit" verzichten werden, ab dem Moment wo sich ihnen eine einträglichere Tätigkeit anbietet. Denn zum Idealismus - um ein berühmtes Wort von Nikolaus Harnoncourt abzuwandeln - gehört immer eine gehörige Portion Blödheit....



    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Um einmal Bezug zu nehmen zu der von Alfred angesprochenen Epoche der Wiener Klassiker: Es gibt da vom Label CHANDOS die schöne Reihe "Contemporaries of Mozart", in der eine ganze Reihe von Komponisten vorgestellt werden, die Alfred nennt. Da gibt es Krommer, Wranitzky, Pichl, Salieri, Vogler und viele andere. Ich habe vor der Musik dieser Komponisten natürlich keine Angst, ich mag sie vielmehr sehr gerne. Das Problem - hinsichtlich der Problematik, die Alfred ansprach - ist doch, dass es dann von diesen raren Werken kaum Aufnahmen gibt. Oft gibt es nur eine gute. Die zwei anderen Einspielungen, die dann noch erhältlich sind, kranken oft an etwas: Interpreten aus der dritten Reihe, die über nettes Provinzniveau, aber eben auch nicht mehr verfügen, schlechter Klang, unprofessionelles Coverdesign - und was einen noch abstoßen kann. Diese eine gute Aufnahme, die es gibt, macht einen Komponisten noch nicht zum Gesprächsthema. Man weiß zu wenig über ihn, man kennt diese eine CD mit zwei oder drei Werken. Das bedeutet aber nicht, dass man auch nur annähernd das Gefühl hat, man sei mit dem Komponisten und seinem Gesamtwerk vertraut, man hat keine persönliche Hörtradition. Bei Mozart oder Beethoven hat so gut wie jeder, der Klassik hört, eine eigene 'Hörgeschichte' vorzuweisen, hat sich mitunter seit Jahren Gedanken zu bestimmten Werken gemacht, diese in diversen und auch hochkarätigen Interpretationen gehört und für sich im Laufe von Jahren die beste herausdestilliert. Bei Krommer oder Pichl gibt's nix heraus zu destillieren. Da gibt es zum einen keine jahrzehntealte Interpretationstradition der musikalischen Größen des 20. Jahrhunderts, da gibt es zum anderen keine ebenso lange Aufnahmetradition der großen Schallplattenlabel und daraus folgt logischerweise, dass es keine Hörtraditionen beim Klassikliebhaber geben kann. Das alles verhindert, dass die Nischenthreads zu erfolgreichen Threads werden können, so sehr viele Musikliebhaber sich sicherlich über die wiederentdeckten Nischen freuen - sie wissen, glaube ich, oft nicht, was sie dazu schreiben sollen.


    Grüße,


    Garaguly

  • Ich formuliere eine provozierende These: Alles außer Beethovens Sinfonien ist in diesem Klassikforum Nischenrepertoire.


    Natürlich wird auch über andere Werke geschrieben und gestritten. Aber das hat eher U-Boot-Charakter: So ein Thema taucht auf, ist kurz sichtbar und verfolgbar, und dann verschwindet es wieder.


    Beispiele: Winterreise, Wagner-Opern, Sibelius-Sinfonien, Haydn-Quartette, Schostakowitsch-Sinfonien. Nicht mal Mozarts Sinfonien, Bachs große Vokalwerke, der Don Giovanni, die Missa Solemnis, die späten Beethoven-Quartette, die späte Kammermusik Schuberts, Tristan, Bruckner-Sinfonien, Brahms-Sinfonien nebst Deutschem Requiem und Konzerten, Tschaikowsky, Dvorak, Mahler, Zweite Wiener Schule, Strawinsky, Debussy, Ravel, ... und was sonst noch zum "ganz engen Kernbestand dessen gehört, was man unbedingt in diesem Leben mal gehört haben sollte" :D ist in der Lage, eine längere Diskussion am Laufen zu halten.


    So ist das. Entweder man akzeptiert das und schreibt trotzdem, oder man lässt es.


    :hello:

  • Wer kennt sie nicht aus Kindertagen? Die Angst am Abend, wenn man vor dem Zubettgehen noch einen zähneklappernden Blick unters Bett wirft: Hat sich dort vielleicht Nischenrepertoire heimtückisch auf die Lauer gelegt? :P


    Das Problem mit dem Nischenrepertoire hängt wohl mit einer Art possitiver Rückkopplung zusammen. Gemäß dem Motto "Wer hat, dem wird gegeben" haben es vielgehörte Werke bzw. Komponisten leichter, neue Hörer zu finden als Wiederentdeckungen. Und damit ist ein erstes, riesiges Hindernis aufgebaut: Lernt man erst Mozart, Beethoven, Haydn, Bruckner, Mahler, Wagner kennen und schätzen, dann wird wenig Zeit für Nischenerkundungen sein. Geht man dann davon aus, dass man sich zumindest bei einzelnen der großen Komponisten nicht nur auf die Hauptwerke beschränkt, sondern sich dem Gesamtwerk widmen möchte, reduziert sich die Zeit weiter.


    Zudem ist die Investition in Aufnahmen des Nischenrepertoires risikobehafteter, macht es aber auch spannend. Gerade die Versandkostenfrei-Aktionen von jpc nutze ich deswegen gerne mal für Blindkäufe für geringes Geld. Aber auch hier liegt die Betonung auf "Blind" - freilich spannen Hörschnipsel, Covergestaltung und Werbetexte einen Erwartungshorizont, aber die Kaufentscheidung bleibt doch zu einem nicht unbeträchtlichen Teil willkürlich.


    Ich könnte mir vorstellen, dass Nischenrepertoire v.a. Chancen bei Hörern hat, die sich auf bestimmte Gattungen spezialisieren, z.B. das Violinkonzert. Wer so vorgeht, der ist mit Beethoven schneller "durch" als ein Sinfonienliebhaber.

    "Geduld und Gelassenheit des Gemüts tragen mehr zur Heilung unserer Krankheiten bei, als alle Kunst der Medizin." (W.A. Mozart)

  • Ich formuliere eine provozierende These: Alles außer Beethovens Sinfonien ist in diesem Klassikforum Nischenrepertoire. (...) Beispiele: Winterreise, Wagner-Opern, Sibelius-Sinfonien, Haydn-Quartette, Schostakowitsch-Sinfonien. Nicht mal Mozarts Sinfonien, Bachs große Vokalwerke, der Don Giovanni, die Missa Solemnis, die späten Beethoven-Quartette, die späte Kammermusik Schuberts, Tristan, Bruckner-Sinfonien, Brahms-Sinfonien nebst Deutschem Requiem und Konzerten, Tschaikowsky, Dvorak, Mahler, Zweite Wiener Schule, Strawinsky, Debussy, Ravel, ... und was sonst noch zum "ganz engen Kernbestand dessen gehört, was man unbedingt in diesem Leben mal gehört haben sollte" :D ist in der Lage, eine längere Diskussion am Laufen zu halten.

    Ich wage auch eine provokante These: Wenn alle die aufgezählten Werke Nischenrepertoire sein sollen, dann ist der Eingangssatz nicht aufrecht zu erhalten. Dann gehört der Beethovensche Sinfonie-Block auch zum Nischenrepertoire.
    Wenn zu einzelnen Werken nichts mehr geschrieben wird, könnte es ja auch damit zusammenhängen, das alles gesagt wurde - nur noch nicht von allen, die aber keinen Senf mehr dazu geben möchten und solche Diskussionen für sich als überflüssig erachten. Postulate, in denen man die Spieldauer miteinander vergleicht, sind für mich nicht erhellend (was andere Forenmitglieder aber durchaus als wichtig ansehen können - wie käme ich dazu, das zu bestreiten!). Und ich weiß von etlichen Mitschreibern, die das ebenso sehen.


    Liebe Grüße vom

    .


    MUSIKWANDERER

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  • Egal, wer sich seine Nische jetzt wie zusammendefiniert, ich habe keinesfalls Angst vor Unbekanntem, vor selten Eingespieltem, vor Exotischem. Im Gegenteil.
    Da ich das Glück habe, auf eine selbst in ihrem Ausweichquartier recht gut sortierte Stadtbibliothek zurückgreifen zu können, wandert doch sehr vieles in den CD-Spieler, was als Nischerepertoire locker durchgeht. Sicher ist vieles dabei, was mich nicht anspricht oder was man nach angenehmen Hören sofort wieder vergißt, aber es ist auch die eine oder andere Perle dabei zu finden. Außerdem macht das sehr viel Spaß. Wehmütig könnte man nur werden, wenn man sieht, wie viel es gibt, was man gar nicht schafft sich anzuhören.



    :hello:
    Reinhard

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Zitat

    "Angst" hat wohl niemand. Aber es hat auch niemand die Pflicht an allem so viel Interesse zu haben, dass er es sich anhören oder sich gar dazu äußern will.


    Das kann ich für die breite Masse sogar verstehen. Bei den Mitgliedern eines Klassikforums sieht das hingegen schon anders aus. Natürlich kann man nicht jedermann für Sinfonien des 18. Jahrhunderts begeistern, auch nicht für selten gespielte Klavierkonzerte des 19. Jahrhunderts. Man muss nicht unbedingt die Streichquartette des Herrn Boccherini lieben - ebensowenig wie man zeitgenössisches Repertoire schätzen muss. Man darf unbekannte Interpreten, die als Geheimtipps gehandelt werden, durchaus negieren. Aber IRGENDWAS von alldem sollte ein Mitglied schon interessieren - und da meine ich NICHT Fußballergebnisse.
    Die Preisgestaltung heutiger CDs - vor allem bei Nischenrepertoire - ist derart moderat, daß die Anschaffung solcher CDs durchaus kein Risiko mehr darstellt - Ich verweise hier auf die Marken Naxos und BRILLIANT, aber auch auf die zahlreichen Abverkäufe von cpo, wo wirkliche Perlen an Nischenrepertoire zu finden sind.
    Ein Klassikforum, welches sich nur mit Mainstream befasst, wird schnell an die Grenzen der verfügbaren Themen anstoßen, es sei denn man analysiert alles und jedes - und auch hier gehen etliche User auf Tauchstation.
    Persönlich habe ich ca. 200 oder mehr CDs an "ungeliebtem Repertoire" in meiner Sammlung - vorzugsweise solches des 20. Jahrhunderts. Ich bereue indes keinen einzigen Kauf, weil ich diese Musik (die in meinen Ohren oft keine ist) anders höre, als beispielsweise Mozart, Haydn oder Boccherini, Beethoven oder Schubert. Ich höre dies als Kontext zur Geschichte, so wie ich mir alte Fotos ansehe, welche mir beispielsweise die Zeit um 1920 oder 1930 näherbringen. Es war damals ein anderes Lebensgefühl, man hatte eine andere Beziehung zur Kunst und zur Musik. Dies hören zu können ist durchaus INTERESSANT - nicht aber immer musikalisch angenehm zu hören. Aber ich möchte hier keineswegs den Eindruck erwecken, dass das Befassen mit Nischenrepertoire eine trockene Sache sei, bzw. daß man stets nur zweit - oder drittklassiges zu hören bekäme.
    Wobei man sich natürlich fragen könnte, WARUM denn manche Komponisten als "zweitklassig" gesehen werden.
    Nun - so meine Beobachtung - HEUTE verlangt man quasi von jedem Komponisten - soll er in die erste Reihe gesetzt werden - daß er "originell" sei, bzw in der Musik "einen revolutionären oder zumindest evolutionären Vorgang" eingeleitet habe. Dieser Anspruch wurde von den Zeitgenossen nicht gestellt (und ich stelle ihn auch nicht) Es war nicht wichtig daß Pleyel "origineller" oder "moderner" schrieb als beispielsweise Haydn - sondern daß er dem Modetrend der Zeit - und hier war Haydn in gewisser Weise federführend - entsprechende Werke schrieb. Diese Werke sollten möglichst die gleiche Qualität aufweisen, wie jene der großen Vorbilder. Dass das sehr oft gelang wird dadurch belegt, dass zahlreiche falsche Zuschreibungen - absichtlich und unabsichtlich - verursacht wurden - und die Musikhistoriker in manchen Fällen nicht in der Lage sind den wirklichen Komponisten zu benennen......


    Nischenrepertoire - geschickt ausgewählt, vermag die Klassikszene ungemein zu bereichern - ebenso wie unser Dioskussionsforum - das in gewisser Weise auch einen Anflug von Enzyklopädie hat - oder nach meinem Willen zumindest haben soll........


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Nun - so meine Beobachtung - HEUTE verlangt man quasi von jedem Komponisten - soll er in die erste Reihe gesetzt werden - daß er "originell" sei, bzw in der Musik "einen revolutionären oder zumindest evolutionären Vorgang" eingeleitet habe.


    In diesem Zusammenhang finde ich auch den Begriff des Epigonentums zumindest nicht unproblematisch. Da finden sich, gerade in Bezug auf Nischenkomponisten, Äußerungen à la bewegt sich in den stilistischen Grenzen von oder entwickelt die Gattung nicht weiter. Dieses Urteil läßt sich indess doch nur im Vergleich fällen bzw. aus der Kenntnis des chronolgischen Nacheinanders heraus und sagt ja über die Qualität der Musik wenig aus.


    Mit anderen Worten: Lernte man beispielsweise zunächst einen Nischenkomponisten kennen, der seine Sinfonien ganz im Stile Beethovens schuf, ohne die Gattung weiterzuentwickeln, und erst danach befasste man sich mit dem Schaffen Beethovens, würde man letztgenannten doch nicht als unoriginell abtun.

    Zurück zum Threadthema: Da ja niemand ernstlich Angst vor Nischenrepertoire haben dürfte, würde ich die Ausgangsfrage gerne etwas erweitern:
    Welche Motive gibt es für Euch, den Kontakt mit Nischenrepertoire aufzunehmen oder aber zu vermeiden?
    Einiges wurde ja schon mehr oder weniger gestreift: Da gibt es die pure Neugier gepaart mit Entdeckungslust, da gibt es die hinlängliche Kenntnis des Standardrepertoires oder auch die leichte, kostenarme und risikofreie Zugänglichkeit durch die Stadtbibliothek. Und sonst?

    "Geduld und Gelassenheit des Gemüts tragen mehr zur Heilung unserer Krankheiten bei, als alle Kunst der Medizin." (W.A. Mozart)


  • In diesem Zusammenhang finde ich auch den Begriff des Epigonentums zumindest nicht unproblematisch. Da finden sich, gerade in Bezug auf Nischenkomponisten, Äußerungen à la bewegt sich in den stilistischen Grenzen von oder entwickelt die Gattung nicht weiter. Dieses Urteil läßt sich indess doch nur im Vergleich fällen bzw. aus der Kenntnis des chronolgischen Nacheinanders heraus und sagt ja über die Qualität der Musik wenig aus.


    Mit anderen Worten: Lernte man beispielsweise zunächst einen Nischenkomponisten kennen, der seine Sinfonien ganz im Stile Beethovens schuf, ohne die Gattung weiterzuentwickeln, und erst danach befasste man sich mit dem Schaffen Beethovens, würde man letztgenannten doch nicht als unoriginell abtun.


    Hat irgendjemand ein plausibles Beispiel für solch einen Fall?
    Ich glaube kaum, dass wir viele Zeitgenossen von Beethoven oder Haydn heute diesen gegenüber zurücksetzen, weil sie ein paar Jahre später ganz im Stile der Vorbilder komponiert hätten. Wenn das einzige Manko ein geringfügiges historisches Zuspät wäre, würde das ganz gewiss durch überragende Qualität aufgewogen. Wenn zB jemand 1830 eine Sinfonie komponiert hätte, die wir, abgesehen von ca. 20 Jahren Verspätung, als stilistisch gleichartig und gleichwertig Beethovens 5. oder 7. Sinfonie finden würden, hätten wir wohl kaum ein Problem mit dem "Epigonentum". Es scheint aber de facto schlicht so zu sein, dass ein epigonaler Komponist so ein Werk nicht hinbringt. Und die Komponisten, die wir heute noch kennen, komponieren stattdessen eben Werke, die originell und anders sind als Beethovens, wie Berlioz die "Symphonie Fantastique" oder Mendelssohn die "italienische".


    Wie schon mehrfach geschrieben, glaube ich, dass viele Hörer kaum Bedarf für Nischenrepertoire haben, weil sie mit dem anderen Repertoire ausreichend beschäftigt sind. Es geht ja gar nicht um Epigonentum; die meisten Zeitgenossen Haydns oder Mozarts waren natürlich keine Epigonen, gerade aus der "Frühklassik" gibt es überdies viele, die sich stilistisch auch deutlich vom späteren Stil abheben. Aber der "normale Hörer" hört nicht einmal alle (oder auch nur einen größeren Teil) der Sinfonien Haydns und Mozarts, warum sollte er Bedarf oder Verlangen nach Sinfonien von Vanhal, Dittersdorf oder Kozeluch haben?

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  • Es gibt für mich als unqualifizierten Vielhörer ohne allzuviel wirkliches musikalisches Verständnis durchaus Gründe auch in den Nischen zu stöbern. Erst nachdem man auch zweitrangige, mittelmässige oder vorgeblich misslungene Werke gehört hat, kann man für sich selbst den Wert der ganz grossen Kompositionen richtig nachfühlen - erst nach Hören der zahlreichen Violinkonzerte von Louis Spohr (gegen die nichts zu sagen ist) kann ich etwa die Eigenart des op.61 von Beethoven richtig erfassen. Ähnlich ginge es mit den Klavierkonzerten von Brahms, die anders klingen, wenn man zuvor ausgiebig die brilllianten Konzerte von Kiel oder Moscheles gehört hat. Die Beschränkung auf ein kleines Repertoire von Meisterwerken in Referenzeinspielungen zerstört die musikalische Artenvielfalt - ich habe durch die Begegnung mit solchen weniger gespielten Kompositionen sicher auch gelernt, dass man zB die Streichquartette von Robert Volkmann trotz überlegener Quartette der bedeutenderen Zeitgenossen schätzen kann wenn man ihren Habitat respektiert, damit meine ich, sie nicht sofort gegen die grossen Kaliber antreten lässt und deren Ansprüche an sie stellt. Vielleicht geschieht dann auch einmal das kleine Wunder, dass man das Urteil der Musikgeschichte über den einen oder anderen Vergessenen nicht verstehen kann.

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt.


    Arnold Schönberg

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  • Es gibt für mich als unqualifizierten Vielhörer ohne allzuviel wirkliches musikalisches Verständnis durchaus Gründe auch in den Nischen zu stöbern. Erst nachdem man auch zweitrangige, mittelmässige oder vorgeblich misslungene Werke gehört hat, kann man für sich selbst den Wert der ganz grossen Kompositionen richtig nachfühlen - erst nach Hören der zahlreichen Violinkonzerte von Louis Spohr (gegen die nichts zu sagen ist) kann ich etwa die Eigenart des op.61 von Beethoven richtig erfassen. Ähnlich ginge es mit den Klavierkonzerten von Brahms, die anders klingen, wenn man zuvor ausgiebig die brilllianten Konzerte von Kiel oder Moscheles gehört hat. Die Beschränkung auf ein kleines Repertoire von Meisterwerken in Referenzeinspielungen zerstört die musikalische Artenvielfalt - ich habe durch die Begegnung mit solchen weniger gespielten Kompositionen sicher auch gelernt, dass man zB die Streichquartette von Robert Volkmann trotz überlegener Quartette der bedeutenderen Zeitgenossen schätzen kann wenn man ihren Habitat respektiert, damit meine ich, sie nicht sofort gegen die grossen Kaliber antreten lässt und deren Ansprüche an sie stellt. Vielleicht geschieht dann auch einmal das kleine Wunder, dass man das Urteil der Musikgeschichte über den einen oder anderen Vergessenen nicht verstehen kann.

    Hallo Stentor,
    sehr weise gesprochen. Das würde ich so ebenfalls unterschreiben.


    Grüße,
    Garaguly

  • Zitat

    Erst nachdem man auch zweitrangige, mittelmässige oder vorgeblich misslungene Werke gehört hat, kann man für sich selbst den Wert der ganz grossen Kompositionen richtig nachfühlen - erst nach Hören der zahlreichen Violinkonzerte von Louis Spohr (gegen die nichts zu sagen ist) kann ich etwa die Eigenart des op.61 von Beethoven richtig erfassen.


    Jein - "Misslungene Werke" werden ja wohl kaum auf CD erscheinen, mittelmäßiges schon eher. Aber es gibt in der Tat zahlreiche eher selten gespielte Werke, wo nur "Kenner" erklären können, was diesen Werken zum "Meisterwerk" fehlt.
    Daß manche "Kenner" Probleme haben ein Werk, welches nicht im Autograph vorliegt, bzw wo die Autorenschaft umstritten ist, mit hoher Wahrscheinlichkeit zuzuschreiben, mag als Indiz dafür gelten, daß manche Verdikte auf tönernen Beinen stehen.


    Aber selbst wenn wir diesen Aspekt außer Betracht lassen, dann gibt es doch zahlreiche Werke, von denen die Klassikkritik behauptet, sie seien mittelmässig, was jedoch von der Mehrheit des Klassikpublikums gar nicht wahrgenommen wird. Um nicht als "Unwissender" dazustehen wird der Kreis jener, der solche (oft falschen) Urteile kritiklos nachbetet allmählich immer größer - und irgendwann gelten dann solche Aussagen als gefestigtes Wissen.


    Man denke hier beispielsweise an die Einschätzung von Vivaldi (und auch Boccherini) in der Vergangenheit....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich habe einiges in der Sammlung, was wohl als Nischenrepertoire gelten würde, v.a. im Bereich der Kammermusik. So habe ich etwa Streichquartette und andere Kammermusikwerke von Spohr, Burgmüller, Onslow, Tanjejew, Kuhlau, Weingartner, und Bruch. Alles in allem muss ich aber sagen, dass von einigen Glanzpunkten abgesehen (z.B die d-moll Streichquartette von Burgmüller und Tanjejew und das Klavierquartett von Kuhlau), diese Musik einfach nicht den Inspirationsgrad der "großen" Komponisten besitzt, auf gut Deutsch: langweilig ist. Besonders Onslow und Spohr, die im allgemeinen sehr gelobt werden, finde ich todlangweilig - trotz einzelner spannender Sätze.


    Andere ehemalige Nischenkomponisten wie Clementi und Zelenka haben es inzwischen ja (fast) geschafft. Zurecht.


    bezüglich Diskussionsteilnahme: ich habe doch den Eindruck, dass die Zahl der hier aktiv schreibenden Mitglieder relativ gering ist. Wenn man dann noch die unterschiedlichen Interessen berücksichtigt, z.B Oper vs. Klaviermusik, bleiben halt nicht mehr viele übrig, um Spezialrepertoire z.B. die Kammermusik Weingartners zu besprechen.

  • Zitat

    Besonders Onslow und Spohr, die im allgemeinen sehr gelobt werden, finde ich todlangweilig


    Ja- die sind in der Tat langweilig - wobei ich mir nicht sicher bin ob das nicht an mittelmäßigen Interpretationen und einer ebensolchen Aufnahmetechnik liegt. Ich könnte hier noch Louise Farrec nennen, zu deren Werken ich mehr als einmal (vergeblich) Zugang suchte....


    Aber das ist natürlich nur eine Seite des Nischenrepertoires. Es gibt tausende geglückt Werke, denen man jedoch heute die "Genialität" abspricht, obwohl sie an sich sehr publikumswirksam wären - oder vielleicht gerade deshalb.
    Im Rahmen dieses Threads werde ich gerne einige solche Komponisten erwähnen - obwohl etliche davon schon ihren eigenen Thread im Forum haben. Ich habe beispielsweise ein Faible - langjährige Forianer werden nun die Aufen verdrehen und müde nicken) für Ferdinand RIES. Kaum jemand ist mit seinen Sinfonien näher an Beethoven (und teilweise auch Schubert) herangekommen als er, ich meine hier nicht in Sachen Struktur - sondern in ihrer Aussenwirkung....


    RIES Ferdinand: Sinfonie Nr 5 in d-moll op 112 - epigonales Meisterwerk ?
    RIES Ferdinand: Klavierkonzerte (Doch kein Schüler Beethovens ?]
    RIES Ferdinand: Die Streichquartette - Aus dem Schatten Beethovens
    RIES Ferdinand: Wer kennt den schon ? - Ferdinand Ries - ein Beethoven Epigone
    RIES Ferdinand: Sinfonie WoO 30 in Es-Dur - die "Achte" mit Vorbehalt


    mit freundlichen grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Vielen Dank für die Tipps! Ich habe mir ohnehin vorgenommen demnächst ein wenig in Ries reinzuhören, denn ich kenne von ihm tatsächlich prakisch nichts.

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  • Felix Meritis:


    ja, sehr schön - den Louis Spohr halte ich auch für eine echte Schlaftablette - keine seiner Symphonien, die mir teilweise sogar doppelt (Irrsinn!!!) in guten Einspielungen vorliegen, vermag in Gänze so etwas wie ein positives Grundgefühl in mir auszulösen, das mich mit Freude zuhören ließe. Immer muss ich mich verstandesmäßig zu Spohr überreden, um mal eines seiner Werke zu hören. Auch die Violinkonzerte reißen's nicht wirklich raus.


    Für den Ferdinand Ries aber, für den wünsch' ich Dir viel Vergnügen. Neben den Symphonien und Klavierkonzerten gibt es eine Reihe von Kammermusikaufnahmen, die exzellente Musik bereithalten, viele davon bei cpo erschienen.


    Ries ist so einer, dem wünschte man, dass er die Nische "Beethovenschüler" endlich mal verlassen könnte.


    Grüße,


    Garaguly

  • Da ich sehr viele Ausgrabungen und Aufnahmen von "vergessenen" Komponisten in meiner Sammlung habe, habe ich natürlich auch viele Frustrationserlebnisse in Kauf nehmen müssen. Da ich vorhabe speziell diesen Thread hier aktiv mitzugestalten wäre es vielleicht von Vorteil, wenn ich einmal mehr meine Prioritäten in diesem Zusammenhang erkläre.
    Persönlich lege ich auf "Originalität" eines Komponisten kein besonderes Gewicht, er muß keine "Neuerungengen in der Musikgeschichte eingeführt haben. Auch ein "Meisterwerk" welches so komplex ist, daß es sich erst nach 45igem Abhören einigen Auserwählten in seiner Genialität erschliesst ist mein Ziel - sondern einfach Musik (natürlich klassische), welche meinem Bedürfnis nach Schönheit, Erhabenheit und Elegance entgegenkommt. Also vorzugsweise Musik, welche der Wiener und Mannheimer Klassik oder der Frühromantik nahesteht. Auch Vivaldi und Boccherini seine an dieser Stelle genannt. Wobei ich gleich die Gelegenheit beim Schopf packe ob die beiden Letztgenannten eigentlich schon Mainstream sind, oder aber immer noch am Rand des Nischenrepertoires einzuordnen sind. Zumindest in meiner Jugend waren sie so gesehen.
    Ich meine, daß insbesondere diese beiden Komponisten den Sprung ins "Hauptrepertoire" geschafft haben - was immer das auch bedeuten mag.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    zweiterbass: Schon mal was von Musik ohne Orchester gehört?

    Nennt man das nicht "a capella"?


    Wenn ja, dann ja!


    Im Ernst, ich habe keine Angst vorm Nischenrepertoire, sondern keine Zeit dafür, jedenfalls beim Hören. Ich komme kaum mit dem Mainstream-Reprtoire durch. Als Chorsänger ist das anders. Da haben wir mit Werken von Josef Rheinberger oder Heinrich von Herzogenberg, um nur zwei zu nennen, schon große Chorwerke "aus der zweiten Reihe" aufgeführt.


    Liebe Grüße


    Willi ?(:D

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Spohr war seinerzeit wohl der berühmteste Instrumentalkomponist nach Beethoven (und von "Konservativen" typischerweise bevorzugt...)
    Ich finde einiges zwar auch etwas unverbindlich, aber doch hörenswert. Die paar Streichquartette, die ich auf einer Marco Polo/Naxos-Scheibe habe, haben mich auch weniger begeistert, aber gemischte Kammerbesetzungen oder seine Spezialität "Doppelquartette" sind besser. Ich habe eben gerade das auf folgender CD enthaltene Doppelquartett e-moll gehört und es hat mir, abgesehen von ein paar zu viel Violingirlanden, ziemlich gut gefallen. Klar, das ist nie so ausdrucksstark wie später Schubert oder Beethoven, sondern ein manchmal etwas "glatter" leicht romantischer Klassizismus, aber allzu weit von zB Mendelssohns Quintetten o.ä. ist es nicht entfernt.


    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Mit anderen Worten: Lernte man beispielsweise zunächst einen Nischenkomponisten kennen, der seine Sinfonien ganz im Stile Beethovens schuf, ohne die Gattung weiterzuentwickeln, und erst danach befasste man sich mit dem Schaffen Beethovens, würde man letztgenannten doch nicht als unoriginell abtun.


    Die daraufhin folgende Frage von Johannes Roehl - ob es hiefür Beispiele gäbe - ist zwar logisch verständlich - aber nicht beanwortbar, weil meistens die "Mainstream Götter" derart im Vordergrund stehen, daß es zur hier angenommene Situation vermutlich erst gar nicht kommt - Und sollte es dennoch der Fall sein, so wird die entsprechende "Versuchsperson" nie zugeben, daß die eine "Leitfigur der klassischen Musikwelt" erst später kenengelernt hat als einen "Mitläufer"


    Das "Problem" der "Mitläufer" ist ja, daß wir , die wir sie ja vorerst kaum kennen, irgendeiner Stilrichtung oder einem angeblich ähnlichen Komponisten - der aber allgemein bekannt sein muß - zuordnen. Zeitgenossen haben zeitweise Salieri oder Kozeluch gegenüber Mozart den Vorzug gegeben - mit dem Ergebnis, daß unsere Zeit sie für nicht "musikalisch gebildet" klassifiziert. Ähnliches kann über Beethoven und Schubert gesagt werden - interessanterweise jedoch nicht über Haydn.


    Hier als "Beleg" eine Kritik aus der Vergangenheit:


    "Kozeluchs Arbeiten erhalten sich und finden allenthalben Eingang, dagegen Mozarts Werke nicht ganz so gefallen"


    "Magazin der Musik" 1788





    Wenn ich also irgendjemandem Pleyel näherbringen möchte, dann erkläre ich (oft ungeprüft), daß er "ähnlich wie Haydn" komponiert habe - dessen Schüler er schliesslich war. Sollte jemand an hand von Werkanalysen diese Behauptuing anzweifeln, dann hat man immer noch Mozart im Rücken, der auch dieser Meinung gewesen sei.


    All das hat noch nicht dazu beigetragen, daß Pleyel die gleiche Wertschätzung widerfährt wie Haydn - obwohl er sie vermutlich verdient hätte. Das Geheimnis der Aura Joseph Haydns ist ein interessantes. Vielleicht finden sich im Herbst - wenn die tropischen Temperaturen ein wenig in Vergessenheit geraten sind genügend Mitglieder die das Phänomen Haydn
    im Thread : http://tamino-klassikforum.de/…age=Thread&threadID=14700
    näher beleuchten.


    Für heute solls genug sein.
    Warum ICH das "Nischenrepertoire" - bzw einen bestimmten Teil daraus - fovorisiere - das erkläre ich demnächst in einem meiner nächsten Beiträge in diesem Thread.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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