Was verbindet Ihr mit dem Begriff "Streichquartett" ?

  • Ein dummer Threadtitel - Was soll die Frage überhaupt ?
    Nun ja - mit diesem Thema lässt sich allerlei anfangen. Vor allem lässt sich so wirklich eruieren warum viele Klassikliebhaber die Kammermusik meiden wie die Pest. Vielleicht lässt sich aber auch herausarbeiten, warum andere sich davon angezogen fühlen. Streichquartett ist in diesem Zusammenhang als Musikstück - und nicht als Formation gedacht.
    Eine mögliche - aber zugleich auch "unmögliche" Antwort könnte sein: " Ein Musikstück ohne Temperament - von 4 Langweilern ausgeführt." - Aber so eine Antwort wird natürlich niemand wirklich geben - und schon gar nicht schriftlich in einem Klassikforum. Oder doch ? - Egal - an diesem Thread kann sich faktisch jeder beteiligen, gleichgültig wie ausgeprägt sein Klassikwissen nun ist - oder nicht.
    Ich habe für diesen Thread explizit das Streichquartett , und nicht etwa das Klaviertrio oder ähnliches gewählt, weil das Streichquartett quasi das "Flaggschiff" der Kammermusik ist. Ob dieser Thread seicht oder tiefschürfend verlaufen wird liegt nicht in der Thematik begründet, sondern an den Antworten der Mitspieler.
    Hier ist es auch wichtig, Angaben darüber zu machen, welche Erwartungen man an ein solches Streichquartett hat, und was man in groben Zügen bereits kennt - bzw NICHT kennt. Möge dieser Thread dazu beitragen, daß sich ein oder zwei Mitglieder und vielleicht auch fünf Mitleser mit der Materie "Streichquartett" näher befassen.....
    Gibt es vielleicht sogar Musikfreunde , welche VORZUGSWEISE Streichquartette hören ?


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Gibt es vielleicht sogar Musikfreunde , welche VORZUGSWEISE Streichquartette hören ?


    Wenn ich mich für eine Gattung entscheiden müsste, dann für diese.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Wie man jemals auf die Idee kommen könnte, daß es sich beim Streichquartett um "ein Musikstück ohne Temperament - von 4 Langweilern ausgeführt", bliebe für mich unerfindlich. Gerade beim Steichquartett handelt es sich vielleicht um jene Musikform, bei der klassische Musik am direktesten, reinsten, kompirimiertesten zum Ausdruck kommt. Schon in meiner Jugend dachte ich, daß beispielsweise WAGNER - die Wagnerianer mögen es mir verzeihen - einen riesigen Klangkörper benötigt, um sich musikalisch zu erklären und etwas auszudrücken, während z. B. MOZART, HAYDN, SCHUBERT oder BEETHOVEN, ihre Kunst und ihr persönlchstes Ich, ihre musikalischen Ideen und ihre Stimmungsschwankungen, via vier unterschiedlich agierenden Instrumentalisten preisgegeben, und oftmals am Charakterischtischten, Mitreißendsten und/oder Ergreifendsten zum Erklngen gebracht haben.


    Gruß


    wok

  • Mit dem Begriff "Streichquartett" verbinde ich:


    - ein Ensemble in der Besetzung 1. Violine, 2. Violine, Viola, Violoncello
    oder
    - eine Komposition für die o. g. Besetzung.


    Das ist ja schon mal außergewöhnlich. Ein Werk für Klavier heißt ja nicht "Klavier", sondern Sonate, Suite, Impromptu, Nocturne, ... Ein Werk für Streichquartett heißt aber "Streichquartett".


    Mit der Gattung "Streichquartett" verbinde ich:


    - Minimalisierung der klanglichen Ressourcen. Der Komponist kann nicht (beispielsweise) einen dumpfen Posaunenakkord mit einem Paukenwirbel grundieren, darüber irisierende Streicherflächen legen und im Vordergrund das Englisch Horn eine klagende Melodie blasen lassen und alleine rein klanglich schon einen interessanten Effekt erzielen. Es kommt beim Streichquartett vor allem auf primäre musikalische Mittel an: Form, Melodie (Horinzontale), Harmonik (Vertikale), Rhythmus, Dynamik, Strukturen.


    - Darum ist ein Streichquartett immer auch eine besondere Probe des Könnens eines Komponisten, der unter Verzicht auf Klangeffekte zeigen muss, was er kann. Mozart komponierte keine Oper, kein virtuoses Klavierkonzert und keine Sinfonie, sondern Streichquartette, um Haydn sein Können zu zeigen - und diese Tradition hält bis heute an.


    - Das Streichquartett zielt darum auch weniger auf die Masse, sucht nicht den plakativen Effekt, den die Oper fast zwangsläufig suchen muss, sondern sucht eher mit Zwischentönen, Intimität, subtilen Nuancen und feinen Schattierungen den Hörer mitzunehmen. (Die Kopfsätze von Beethovens op. 95 oder Schuberts Quartett Nr. 14 würde ich da mal ausnehmen. Aber gerade für viele Werke des 20. Jhds. verhält es sich genau so. Man vergleiche Bartoks Konzert für Orchester mit seinen Streichquartetten. Oder Schostakowitschs Sinfonien mit dessen Quartetten.)


    - Goethes Satz, er "höre hier vier vernünftige Leute sich miteinander unterhalten", legt oft eine falsche Spur. Vernünftige Leute hören einander zu und lassen einander ausreden, d. h., es redet immer nur einer. Im Streichquartett ist es eher üblich, dass man einander ins Wort fällt und gleichzeitig redet. - Viele Sätze aus Streichquartetten des 18. Jhds. (und auch spätere) sind eigentlich Werke für Violine solo mit Begleitung eines Streichtrios. - Es kommt darauf an, ob der Komponist eine gleichberechtigte Selbständigkeit der vier Instrumente wollte oder eben nicht.


    :hello:

    2 Mal editiert, zuletzt von Wolfram ()

  • Das Sreichquartett basiert auf einem polarisierendem Instrument, den Streichern.


    Sie sind Instrumente, die einen warmen , angenehmen Ton erzeugen wie das Cello, einen "Hintergrund" wie die Bratsche oder "schrille" Akzente setzt wie die Geige.


    Das Ineianderfliessen, Verschmelzen der einzelnen Instrumente, das man sich z.B. fragt, wo ist eigentlich die zweite Geige, braucht man sie überhaupt für die Darstellung der Musik, ist eine Herausforderung für jeden Hörer. Dazu kommt noch das komplexe Erfassen der Musik, Strukturen, die verschachtelt sind , die eigentlich klar sein sollten, aber oft genug verwirrend versteckt sind.


    Alle diese Herausforderungen bedient Beethoven in seinen Kompositionen für das Streichquartett. Spätestens mit Op.59 hat er eine Musikwelt geschaffen, die jenseits jeglichem "Mainstream" oder "Easy Listning" liegt.


    Ich tauche ab in diese Musik. Selbstbewusst tritt sie auf, will kaum schmeicheln und wenn, dann als Sprungbrett zu neuen Entdeckungen. Alles ist trügerisch, nichts fest, die Musik stellt sich selber in Frage, ist immer auf der Kippe.


    Herrrrlich.


    Grüße Thomas

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  • Gedanken zum Streichquartett, Bezüge auf Postings anderer Forianer sind zufällig und nicht als Kritik gemeint:


    Dass der Klang eines Streichquartetts eingeschränkt sein sollte oder sogar als bewusste klangliche Restriktion konnte ich noch nie so recht nachvollziehen. Das klingt so, als ob Komposition für ein spätromantisches Orchester der Regelfall wäre, demgegenüber man sich einschränken muss. Für kaum einen bedeutenden Komponisten von Streichquartetten war das so.)
    In der Entstehungs- und ersten Blütezeit des Streichquartetts in den 1760er bis 80er Jahren waren die klanglichen Ressourcen einer Sinfonie oder eines Konzerts nicht so viel umfangreicher, da die Bläser oft nur Liegetöne spielten oder ggf. verdoppelten. Klar, selbst ein barockes Concerto grosso hat den Solo/Concertino-Tutti-Kontrast in stärkerem Maße, ansatzweise hat den ein Quartett natürlich auch, aber bei den Vier Jahreszeiten oder Bachs Violinkonzerten hebt niemand eine Minimalisierung der klanglichen Möglichkeiten hervor, auch nicht bei Werken für Klavier oder Cembalo solo.


    Überdies sind die Klang- und Spieltechniken (wie zB bei Bartok) durchaus erweiterbar. Schließlich bietet ein Quartett jedenfalls klangliche Möglichkeiten, die sich selbst von einer reinen chorischen Streicherbesetzung unterscheiden, weil es eben anders klingt, wenn Stimmen solo besetzt sind. So eindrucksvoll zB die Orchesteraufnahme von op.131 unter Bernstein auf ihre Art sein mag, es geht eben auch etwas verloren. Oder man stelle sich eine Passage wie die virtuose Kadenz der 1. Violine über dem Pizzicato der übrigen Streicher in Beethovens "Harfenquartett" chorisch besetzt vor...


    Interessantes historisches Faktum:
    Beethoven fand op.95 anscheinend so intim und persönlich, dass er zuerst daran dachte, es überhaupt nicht zur Veröffentlichung und öffentlichen Aufführung freizugeben; die Veröffentlichung erfolgte mit etwa vier Jahren Verzögerung (1810 -> 1814).
    Dennoch ist weitgehend unbestritten, dass spätestens mit Beethovens mittleren Werken das Genre die Sphäre der "Hausmusik" verlassen hat. Diese Spannung zwischen Intimität und Öffentlichkeit ist dem Genre (wie noch viel stärker dem Kunstlied) zu eigen.

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  • Mein Horizont beschränkt sich hier auf Schostakowitschs Achtes Quartett - ich tue mich im Allgemeinen (noch?) schwer mit dünn besetzten Werken. Ich denke, es wird hier laufen, wie sonst auch: Über die Gassenhauer werde ich vielleicht auch zur Kammermusik finden. Ich bin 40 und habe hoffentlich noch ein bißchen Zeit.


  • Was verbindet Ihr mit dem Begriff "Streichquartett" ?


    Eine schier endlose Menge großartiger Musikstücke!



    Wenn ich mich für eine Gattung entscheiden müsste, dann für diese.


    Das gilt für mich inzwischen vermutlich auch.


    Vielleicht ist der Weg dahin interessant: Einstiegsdroge war bei mir im Wesentlichen Haydn, zu einer Zeit, wo ich die meisten seiner Symphonien gar nicht besonders mochte (die Quartette Beethovens kannte ich schon vorher, aber die meisten waren mir zu diesem Zeitpunkt eher fremd; die späten von Mozart auch, und sie waren mir zwar nicht fremd, aber längst nicht so nah wie beispielsweise die Konzerte).
    Es ist durchaus ein anderes Hören als bei symphonischer Musik, eins, das mehr Konzentration erfordert, weil die Details sehr wesentlich sind und oft in einer irren Geschwindigkeit vorrüberrauschen. Das ist auch bei Haydn so (vielleicht ist es sogar vor allen anderen bei Haydn so), aber es ist andererseits auch häufig eine zugängliche Oberfläche da, von der aus man sich tiefer in die Werke hereintasten kann. Haydns Quartette haben bestimmt zwei Jahre lang 20 bis 30 Prozent der von mir gehörten Musik ausgemacht (dazu kamen noch Symphonien und Trios), und danach war ich ein anderer Hörer: Nicht nur, dass sich die Details mir inzwischen quasi aufdrängen, bei jeglicher Musikform (inklusive populärer Musik), ich verlange danach (was unter anderem auch bedeutet, dass ich für viele symphonische Werke neue Aufnahmen brauche, die mir die Details liefern).
    Das heißt natürlich nicht, dass jedes neue Werk nun für mich einfach zu erschließen ist, momentan beiße ich beispielsweise bei Bartoks Quartetten ganz schön auf Granit; und für einige von Beethovens Quartetten habe ich sehr lange gebraucht. Manchmal muss man vermutlich einfach Geduld haben und es immer wieder probieren, es sind teilweise eben auch sehr schwierige Werke, die gar nicht erst versuchen, es dem Hörer einfach zu machen.

  • es sind teilweise eben auch sehr schwierige Werke, die gar nicht erst versuchen, es dem Hörer einfach zu machen.


    Stimmt! Viele Streichquartette sind stolz und wissen, was sie wert sind. Sie biedern sich nicht billig mit schmeichelnden Klängen an, nur um zu gefallen.


    :hello:

  • Wäre ich Hausmusiker und hätte 3 entsprechende Mitspieler wäre ich wohl auch ein Freund des Streichquartetts. Aber nur so? tut mir leid, wenn ich die Wahl zwischen einem großen Orchester und einem Quartett hätte, so wählte ich wohl meist das Große.
    Ich sehe wohl ein, dass oft eben kein orchester möglich ist und dann gibt es tolle Stücke für weniger Leute, aber ich kann nicht verstehen, wie man das dann vorziehen kann. Sicher gibt es da Perlen und Glanzstücke. Aber die Wucht einer Synfonie ist dann halt nicht möglich.
    Deshalb verbinde ich mit dem Begriff die Beschränkung auf Weniges.


    Tut mir leid
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

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  • Streichquartette bedeuteten lange Zeit wenig bis nichts für mich - von den "Gassenhauern" wie Tapio sie im Scherz bezeicvhnet hat, mal abgesehen. Aber ich glaube eigentlich nicht, daß die Gassenhauer mir den Zugang wirklich geebnet haben. Wenn man sich mit Streichquartetten befasst, dann muß man sich Zeit nehmen und disch voll aufs Hören konzentrieren. Vielleicht ist es möglich, aber ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, daß man Streichquartette nur nebenbei hören kann. Kopfhörer waren mir da Anfangs eine große Hilfe.
    Als ich diesen Thread startete, hatte ich irgendwie im Hinterkopf, daß die meisten Streichquartett-Verweigerer automatisch damit die Wiener Klassik und allenfalls noch Brahms verbänden. Aber überraschenderweise kam dieses Statement nicht.
    Andrerseits bin ich positiv überrascht über die relativ positive Akzeptanz dieses Themas, welche in keiner Relation an der Teilnahme unserer sonstigen Kammermusik-Treads steht. Das aber nur am Rande, eine Beobachtung meinerseits, keine Kritik.
    Ich glaube, daß nur relativ wenige Menschen Kammermusik mit Musik des 20. Jahrhunderts assoziativ verbinden, aber interessanterweise habe ich (für mich) die Erfahrung gemacht, daß gerade diese Musik - zumindest bis 1950 (für mich) oft anhörbarer und interessanter ist, als sonstige Werke dieser Epoche. Scherzhaft habe ich das einmal für mich so kommentiert: Das ist, weil man mit 4 Instrumenten nicht solch ein Desaster verursachen kann, wie mit einem kompletten Orchester. - Das war natürlich nicht ernst gemeint - Dennoch ist es interessant inwieweit hier im Forum auch Streichquartette der klassischen Moderne und der Zeit kurz danach bewusst gehört werden. Dieser Aspekt sollte jedoch nur kurz gestreift werden, weil er im geplanten Spezialthread "Kammermusik des 20. Jahrhunderts" ausführlich behandelt werden soll.


    Ich verbinde Streichquartette immer ein wenig mit einem älteren Publikum - was sicher falsch ist - da es zahlreiche junge Kammermusiker gibt. Ich verbinde Streichquartette immer mit einem etwas introvertierten Publikum - und hier glaube ich nicht, daß ich ganz falsch liege....(?)


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Dass der Klang eines Streichquartetts eingeschränkt sein sollte oder sogar als bewusste klangliche Restriktion konnte ich noch nie so recht nachvollziehen.


    Hallo Johannes,


    ich auch nicht :thumbsup:


    Danke für das schöne Detail von Op.95. Intimität empfinde auch ich beim Hören, so als etwas nur für gerade im Moment gespielt wird. Seltsam... Dieses Empfinden hatte ich gleich beim ersten Hören.


    Mein Zugang war das Habenmüssen aller Beethoven-Kompositionen.


    Die Konzerte des Artemis Quartett wurden überwiegend von jungen Leuten besucht, ich meine sogar bis zu 70%. Liegt es an der Spielweise, dieses direkte, packende, schnörkellose, Offenlegen der Komposition?


    Gerade bei den Solostücken für die erste Geige spüre ich aufbaumäßige, durchaus klangliche Gemeinsamkeiten mit gekonnten E-Gitarren-Soli aus den 70er/80er Jahren. Ich meine das kurze, schnelle Aufeinderfolgen von Tönen und die herausragende, pointierte Stellung in der Gruppe.


    Dabei ist die Geige klar im Vorteil. Sie ist schneller, klarer in der Tonwiedergabe, sie verzerrt nicht wie selbst die beste E-Gitarre. Aber in beiden Instrumenten kann sich ein Meister/in offenbaren und im Musikstück hervortreten.


    Das jemand nur auf die Wucht großer Orchester "abfährt", akezptiere ich. Wer aber Beethoven auf die Simphonien reduziert, wird ihm nicht gerecht. Erst wer sich auch mit der Kammermusik beschäftigt, im besonderen den Streichquartetten, wird die wahre Größe und Bedeutung Beethoven`s erfassen.



    Grüße Thomas

  • Dass heute viele Hörer Orchesterwerke als "Normalfall" annehmen, ist ja vielleicht nachvollziehbar. Aber damit wird man keiner anderen Gattung gerecht. Es ist die Ausnahme, dass jemand Kammer- oder Klaviermusik komponiert, weil er aus irgendwelchen Gründen keine Orchestermusik schreiben kann oder will.


    Schubert sagte einmal, er wolle sich den Weg zu Sinfonie bahnen, was meist mit dem Oktett in Verbindung gebracht wird und es wird von dem vierhändigen Grand Duo vermutet, dass es eine "Ersatzsinfonie" sein könnte, weil Schubert damals keine Gelegenheit hatte, Orchesterwerke aufführen zu lassen. Und weil vielleicht der "Schatten Beethovens" bei einer Sinfonie schwerer lastete als bei einer Besetzung wie dem Oktett. Aber für Haydn, Mozart, Beethoven, Brahms usw. gilt das keineswegs.


    In einem Raum entsprechender Größe ist ein Quartett oder anderes Kammerensemble auch nicht weniger "wuchtig" als ein Orchester, mitunter im Gegenteil. Und die klanglichen Möglichkeiten sind erst einmal andere, nicht unbedingt eingeschränkte.
    Wie gesagt, käme wohl niemand auf die Idee, dass Bach die Goldbergvariationen "eigentlich" lieber für Orchester komponiert hätte (mal ganz abgesehen davon, dass sie Teil einer "Clavierübung" sind). Genausowenig sollte man sich bei Quartetten und anderen Kammermusiken von einer solchen Vorstellung leiten lassen.


    Es scheint aber tatsächlich so zu sein, dass viele Hörer solistische Streicherbesetzungen (also auch Quintette und Sextette) als "spitz", "dünn" oder "schrill" wahrnehmen. Ist wohl eine persönliche Sache, ich hatte da nie Schwierigkeiten (die einzigen Werke, mit denen es mir ein wenig so ging, sind Bachs u.a. Werke f. Violine solo), was nicht heißen soll, dass ich als Einsteiger nicht auch mehr Orchestermusik gehört hätte (seltsamerweise hatte ich mit einigen Ausnahmen immer mehr Schwierigkeiten mit Musik für Klavier solo, die mir früher viel eher "eintönig" vorkam). Ich schätze die Gattung Streichquartett aber auch nicht ausdrücklich wegen des Klangs, sondern einfach weil es so viele gute Stücke gibt.


    Eine nachvollziehbare Empfehlung für "Einsteiger", die der Wiener Klassik eher fernstehen, sind die Quartette von Ravel und Debussy. Wer nach dem Hören dieser Stücke immer noch meint, "Klangzauber" käme bei solistischen Streichermusiken nicht vor, dem ist vielleicht wirklich nicht zu helfen.

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  • Wer nach dem Hören dieser Stücke immer noch meint, "Klangzauber" käme bei solistischen Streichermusiken nicht vor, dem ist vielleicht wirklich nicht zu helfen.

    Lieber Johannes, ich genieße es im Augenblick sehr, was Du da in den letzten Tagen zu diesem Thema geschrieben hast. Wie für Dich ist mir Kammermusik von Anfang an eine völlig natürliche musikalische Äußerung gewesen, die niemals in grundsätzlicher Weise hinter anderer Musik zurückgestanden hat.


    Tatsächlich war Kammermusik das erste, was ich gespielt habe, im Streichquartett und im Klaviertrio, dann Cello solo, erst danach kam Orchestermusik hinzu. Bestimmt macht es dieses phasenweise Hineinwachsen einfacher, die Gleichberechtigung der verschiedenen Besetzungen als naturgegeben anzunehmen.


    Ich empfinde es als sehr schade für diejenigen, die mit Kammermusik meinen nichts anfangen zu können, dass sie sich eine so reiche Klangwelt vorenthalten. Mit Bedauern beobachte ich das auch bei meiner lieben Frau, die sehr spät an klassische Musik herangekommen ist, jetzt vor allem Bruckner und Brahms genießt - aber Kammermusik biete ich ihr nach einigen vergeblichen Versuchen gar nicht mehr an.

  • Ein Aspekt für den Vorzug von großen, gemeinschaftlich gespielten Werken ist bei mir auch, dass mir stark herausgestellte Solisten oft zu narzisstisch erschienen; der Komponist bietet dem Solisten sozusagen die große Bühne, damit dieser sein Können präsentieren kann. Und ich empfand Solisten schon oft als Fremdkörper. Tschaikowskis Violinenkonzert, welches meines Wissens nach große Akzeptanz erfährt, sah und hörte ich genau einmal - und ich empfand die Violine oft als einfach nur anmaßend! Alle anderen haben still zu sein, der Violinist zaubert möglichst schwierige Passagen hin, die sehr losgelöst von dem Orchesterspiel sind; er umgarnt den Dirigenten, erntet hier und da ein zustimmendes Nicken... Ich kam mir vor, wie das verliebte Paar im Restaurant, welches von einem Violinenspieler umgarnt - GENERVT - wird. Nichts gegen Soli - eine Elfte von Schostakowitsch ohne Oboensolo ist natürlich undenkbar - aber es muss eben in den Rahmen passen. Was wahrscheinlich dehnbar ist. Dies mal ganz subjektiv geschildert.


    Was ist der Punkt? Ich denke, formell herausgestellte Solisten in Orchesterwerken haben mich die Kammermusik fürchten gelehrt - die Furcht vor zu viel Selbstdarstellung, bei der das Werk in den Hintergrund tritt -- Ich arbeite dran.


    Ein anderer Punkt, der gegen Streichquartette spricht: Es fehlen die Holzbläser ;)

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  • Das "Ideal" der Kammermusik, insbesondere bei Streichquartett und -quintett, steht eigentlich gerade dagegen, dass sich Solisten quasi-konzertant hervortun. Völlige Gleichberechtigung aller Stimmen herrscht zwar selten (selbst wenn das oft behauptet wird), aber eben auch keine Unterordnung wie beim Solokonzert. Eine Pointe, gerade beim Quartett, ist das Changieren zwischen "Hauptstimme" und Begleitung.
    Holzbläser mit ihren individuellen Klangfarben "stören" die Homogenität, die bei reinen Streicherbesetzungen den Wechsel von "Sprechen mit einer Stimme" und "Unterhaltung mit Dazwischenquatschen" bruchlos möglich macht. (Davon abgesehen gibt es natürlich außerordentlich gelungene Einbindungen eines Blasinstruments wie bei Mozarts und Brahms' Klarinettenquintett und auch sehr hörenswerte Kammermusik für Bläser. Aber nur wenige dürften meinen, dass Reichas Bläserquintette ernsthaft mit Beethovens Streichquartetten mithalten könnten, obwohl da sehr gute Stücke dabei sind.)

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  • Was ist der Punkt? Ich denke, formell herausgestellte Solisten in Orchesterwerken haben mich die Kammermusik fürchten gelehrt - die Furcht vor zu viel Selbstdarstellung, bei der das Werk in den Hintergrund tritt

    Ja aber genau das ist doch bei der Kammermusik gar nicht erst zu befürchten, meine ich. Gleichberechtigter geht's doch nimmer.


    Gut, es gab mal eine Zeit beim frühen Haydn, frühen Mozart, wo in den ersten Entwicklungsphasen noch das Klavier im Vordergrund stand, bei der Sonate das Soloinstrument, beim Trio die Streicher Begleitfunktion hatten, ähnlich wohl auch bei den frühen Streichquartetten - es hat hierauf oben schon jemand hingewiesen. Diesen "Kinderschuhen" war die Kammermusik aber schnell entwachsen und Beethoven kannte dieses "Problem" von Anfang an nicht, auch wenn bei ihm die Duosonaten noch der guten Ordnung halber formwahrend "für Pianoforte und Violoncello" etc. betitelt waren.


    Sollte sich in der Kammermusik tatsächlich jemand in den Vordergrund spielen wollen, spricht das eher gegen die Qualität des Ensembles, als gegen die Qualität der Musik. :angel:

  • Zit. Tapio: "Ich denke, formell herausgestellte Solisten in Orchesterwerken haben mich die Kammermusik fürchten gelehrt - die Furcht vor zu viel Selbstdarstellung, bei der das Werk in den Hintergrund tritt "


    Ein kammermusikalisches Werk, ein Streichquartett zum Beispiel, ist nicht darauf angelegt, dass diejenigen, die es interpretieren, sich solistisch hervortun. Die einzelnen Stimmen sind zwar nicht generell gleich gewichtig, aber sie sind auf Integration in ein klangliches Gesamtbild hin angelegt. Und selbst wenn kompositorisch auf große Eigenständigkeit der einzelnen Komponenten abgestellt ist, kommt es entscheidend auf das Zusanmmenspiel und das Hinhören des einen auf den anderen an.


    Man kann diesen Effekt deutlich beobachten, wenn in einem kammermusikalischen Werk große Solisten mitwirken: Ein Cellist beispielsweise, der sich mit einem Streichquartett zu einem Quintett vereint. Er nimmt sich zurück in dem Maß, in dem das Werk es erfordert. Zwar gibt es auch Fälle, in denen das nicht geschieht, aber sie sind selten. Und meistens empfindet man dann die Interpretation auch als nicht gelungen.

  • Ein anderer Punkt, der gegen Streichquartette spricht: Es fehlen die Holzbläser


    Dann - off topic - versuch's doch mal mit Flötenquartetten, Oboenquartetten und ähnlichen Kombinationen. :yes:


  • Das Schlagwort, das mir bei Streichquartett (-quintett, -sextett) sofort einfällt ist: Transparenz.


    "...Sprechen mit einer Stimme" und "Unterhaltung mit Dazwischenquatschen" bruchlos möglich...


    Das trifft es perfekt. Mir gefällt es soooo ungeheuer, wenn ich die einzelnen Instrumente immer sofort wiedererkennen kann und weiß, wer da genau gerade “quatscht" oder "seine Stimme erhebt”.
    Eine technische Frage an die Experten, die mich sehr interessiert: Wenn im Quartett mit “einer Stimme gesprochen wird”, erzeugen die Musiker dann mit Absicht Schwebungen :?:
    Manchmal kommt mir der Klang eines Quartetts im Zusammenspiel so extrem “kernig” vor, dass ich den Eindruck habe, dass die Musiker das mit Absicht machen. Wenn ich recht hätte, dann ginge das nur in kleiner Besetzung mit Streichern und nur, wenn diese auch perfekt "eingespielt" sind.

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  • Dass der Klang eines Streichquartetts eingeschränkt sein sollte oder sogar als bewusste klangliche Restriktion konnte ich noch nie so recht nachvollziehen. Das klingt so, als ob Komposition für ein spätromantisches Orchester der Regelfall wäre, demgegenüber man sich einschränken muss.


    Niemand hat behauptet, dass der Klang als eingeschränkt empfunden wird.


    Trotzdem kann man, so meine ich, mit Recht behaupten, dass die klanglichen Ressourcen minimalisiert sind. Man hat eben "nur" Streicherklänge. Natürlich unter Ausnutzung der vollen Palette - arco, pizzicato, sul ponticello, ... , aber dennoch stets homogen.


    Wenn man die Farben eines Streichquartettes mit dem eines Symphonieorchesters vergleicht, vergleicht man (überabzählbar) unendlich mit (überabzählbar) unendlich, also zunächst mal gleichmächtige Mengen. Insofern besteht kein Unterschied.


    Aber - jetzt mal Praxis, wie beim Thread über "ernste Musik" - jeder Hörer wird den Klangfarbenreichtum eines Oboenquartetts, eines Flötenquartetts von Mozart als größer bezeichnen als den eines Streichquartetts desselben Komponisten. Ich glaube nicht, dass darüber ernsthaft Dissens besteht. Man kann im Flötenquartett eine von der Flöte gespielte Phrase von der Violine beantworten lassen. Im Streichquartett geht das nicht.


    Überdies sind die Klang- und Spieltechniken (wie zB bei Bartok) durchaus erweiterbar. Schließlich bietet ein Quartett jedenfalls klangliche Möglichkeiten, die sich selbst von einer reinen chorischen Streicherbesetzung unterscheiden, weil es eben anders klingt, wenn Stimmen solo besetzt sind.


    Alles richtig. Aber im Streicherensemble kann ich den von Dir als vielfältig beschriebenen solistischen Klang ja auch verwenden, habe ihn als Teilmenge immer zur Verfügung. Aber die chorische Besetzung habe ich dann eben auch, die habe ich beim reinen Quartett nicht.


    Das "Ideal" der Kammermusik, insbesondere bei Streichquartett und -quintett, steht eigentlich gerade dagegen, dass sich Solisten quasi-konzertant hervortun.


    Dieses Ideal wurde vielleicht erst später, Mitte des 19. Jhds. formuliert. Bei Haydn und anderen gingen die Komponisten durchaus davon aus, dass die 1. Violine mit einem Berufsmusiker besetzt ist, die anderen Stimmen aber nicht unbedingt. Manchmal gibt es sogar Kadenzen oder zumindest kadenzartige Stellen für die 1. Violine.


    Ein kammermusikalisches Werk, ein Streichquartett zum Beispiel, ist nicht darauf angelegt, dass diejenigen, die es interpretieren, sich solistisch hervortun.


    Wenn das als gattungsimmanentes Postulat formuliert wird, würde ich es nicht unterschreiben. Es ist nie die Gattung, die etwas verlangt oder anlegt, sondern immer der Komponist (oder die Lehrmeister späterer Generationen, die genau wissen, was die Komponisten seinerzeit angeblich wollten). Wenn der Komponist will, dass sich ein Musiker solistisch hervortut, dann komponiert er eben so. Wenn nicht, dann nicht.


    Die o. g. frühen Gattungsexemplare haben dem 1. Violinisten einen deutlich reicheren Part als den anderen Musikern zugewiesen. Mozart hat in seinen "Preußischen Quartetten" den Cellopart besonders reich ausgestaltet - der Widmungsträger war Cellist. Das waren Entscheidungen des Komponisten und keine gattungsspezifischen Postulate.


    Wenn im Quartett mit “einer Stimme gesprochen wird”, erzeugen die Musiker dann mit Absicht Schwebungen


    Kann sein, muss nicht sein. Mit Schwebungen klingt es "fetter" und orchestraler, das weiß jeder, der Synthesizer programmiert hat. Das Hagen Quartett spielt manchmal mit einem ganz fahlen, vibratolosen und gambenartigen Klang (meist nur wenige Takte), da spielen sie auch besonders rein und vermeiden Schwebungen.


    Ob jede live gehörte Schwebung beabsichtigt ist, das sei mal dahingestellt, besonders bei Mehrfachgriffen mit leeren Saiten ...


    :hello:

  • In einem so oberstimmenbetonten Stil wie dem der klassisch-romantischen Epoche ist es naheliegend, dass die Parts der 2. Violine und Bratsche gegenüber demjenigen der 1. Violine eher schlechte Witze sind, das gilt für solisitische wie chorische Besetzungen.


    Gleichberechtigung ist in den Streichern in dieser Epoche keine zu finden. Eventuell hier und da in der Moderne und sonst sollte man eher ins Barock, besser noch weiter zurück gehen.

  • Mozart hat in seinen "Preußischen Quartetten" den Cellopart besonders reich ausgestaltet - der Widmungsträger war Cellist. Das waren Entscheidungen des Komponisten und keine gattungsspezifischen Postulate.

    Ja. Ein schönes Beispiel dafür, dass bereits zu diesem Zeitpunkt die Vorherrschaft der ersten Geige überwunden war und die anderen Instrumente sich im kammermusikalschen Spiel emanzipiert hatten. In den späten Streichquintetten kommen dann auch besonders schöne Bratschenthemen vor.


    Natürlich sind das bewusste Entscheidungen des Komponisten, dem einen oder dem anderen Instrument die Führung anzuvertrauen. Sonst wär's ja auch langweilig. Aber Du willst doch nicht ernsthaft so verstanden werden, die solistische Behandlung der Lead-Geige sei sozusagen das kennzeichnende Merkmal der Kammermusik, oder?


    Klaus2 habe ich oben ("Deshalb verbinde ich mit dem Begriff die Beschränkung auf Weniges.") schon so verstanden, dass er das Streichquartett oder die Kammermusik allgemein als eine behindernde Reduktion der Klanglichkeit empfindet. Wenn ich Johannes zutreffend verstanden habe, hört er eine wenigstens ebenso große Klangvielfalt im Streichquartett wie im Streichorchester - zumindest geht es mir so.


    Selbstverständlich können die Orchesterstreicher dieselben griff- und bogentechnischen Mätzchen ausführen wie der einzelne Quartettstreicher. Derselbe Bogen, derselbe Griff werden bei Ausführung in der Streichergruppe aber stets eine gegenüber dem Klangergebnis des Solostreichers andere Klangqualität erzeugen. Das ist weder positiv noch negativ - es ist zunächst einmal neutral anders. Insofern sind die Klangvielfalten des solistischen und des Gruppenensembles quantitativ vielleicht weitgehend identisch.

  • Ja. Ein schönes Beispiel dafür, dass bereits zu diesem Zeitpunkt die Vorherrschaft der ersten Geige überwunden war und die anderen Instrumente sich im kammermusikalschen Spiel emanzipiert hatten. In den späten Streichquintetten kommen dann auch besonders schöne Bratschenthemen vor.


    Natürlich sind das bewusste Entscheidungen des Komponisten, dem einen oder dem anderen Instrument die Führung anzuvertrauen. Sonst wär's ja auch langweilig. Aber Du willst doch nicht ernsthaft so verstanden werden, die solistische Behandlung der Lead-Geige sei sozusagen das kennzeichnende Merkmal der Kammermusik, oder?


    Ich würde einmal tippen auf: Die solistische Behandlung der Lead-Geige ist nicht kennzeichnendes Element der Kammermusik sondern der klassisch-romantischen Epoche.


    Damit man mir nicht den Vorwurf machen kann, ich würde eine unterentwickelte Frühstufe ansehen, gehe ich jetzt mal ins imslp zu Schumanns erstem Quartett. Das einleitende Andante kann ja eventuell als relativ gleichberechtigt durchgehen, aber mit Einsetzen des ersten Themas im Allegro ist es damit vorbei: 42 Takte lang singt die erste Violine das Thema. Überleitung und zweites Thema sind tatsächlich recht gleichberechtigt, in der Schlussgruppe hat die erste Violine wieder die Hosen an. Auch in der Durchführung sehe ich jetzt entweder gleichberechtigt kontrapunktische Arbeit oder (eventuell gleich oft) eine erste Violine, die im Gegensatz zu dem fragmentierten Material der anderen Stimmen größere Portionen thematischen Materials singen darf.


    Wenn man das mit der Musik des Mittelalters vergleicht, ist das eher so eine Art Solistenkonzert.
    ;)

  • Gewiss mögen die Klangmöglichkeiten eines Streichquartetts trivialerweise "minimal" sein (dito die eines Klaviers).
    Dennoch überzeugt mich ein Beispiel wie das mit dem einzelnen Holzblasinstrument nicht. Denn das "zerstört" erst mal die klangliche Homogenität, die auch ein Klangparameter ist. Die Flöte wird immer irgendwie rausstechen. Daher ist die Textur mit Wechseln von Hauptstimme zu Begleitung usw. kaum so möglich wie beim Streichquartett. Und das ist m.E. eben auch eine klangliche Komponente. Ebenso der Eindruck des Dialogs (oder Tetralogs), der m.E. bei chorischer Besetzung zum Teil verloren geht.


    Wie auch immer, ich weiß nicht, ob das irgendjemand wirklich meint oder hier im thread gemeint hat, aber ich halte die Metaphorik "Federzeichnung", "Schwarz-Weiß-Bild" usw. zur Beschreibung des Quartettklang für irreführend. Ebenso die Idee, dass die Musik wegen der homogenen Besetzung "abstrakt" oder "unsinnlich" usw. wäre. Das würde wohl auch kaum jemand von der Sologeige in einem Violinkonzert behaupten. Im Gegenteil sind offenbar Nuancen beim solistischen Spiel möglich, die bei chorischen Ensembles so nicht funktionierten.


    Aber klar: jemand der besonderes Gefallen am Klang als Klang eines großbesetzten Ensembles der Spätromantik oder des 20. Jhds. hat, wird einiges bei Quartetten oder Quintetten vermissen. Wer aber ohnehin unterschiedliche Besetzung unterschiedlicher Epochen hört, sollte mit dem Streichquartettklang eigentlich nicht mehr Probleme haben als mit gemischter Kammermusik, oder mit eine barocken Triosonate oder einem Concerto grosso.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Zitat

    Zitat von "kurzstueckmeister":
    Das einleitende Andante kann ja eventuell als relativ gleichberechtigt durchgehen, aber mit Einsetzen des ersten Themas im Allegro ist es damit vorbei: 42 Takte lang singt die erste Violine das Thema. Überleitung und zweites Thema sind tatsächlich recht gleichberechtigt, in der Schlussgruppe hat die erste Violine wieder die Hosen an.

    Äh ja. Völlig einverstanden - bis auf die Kennzeichnung als "Solistenkonzert".


    Deine Betrachtung geht ersichtlich von der strukturellen Ebene im mehrstimmigen Satz aus und analysiert selbstverständlich völlig zutreffend. Die Richtigkeit dieser Beobachtung ist weder auf das Streichquartett noch auf Schumann beschränkt.


    Insofern sind jetzt die Betrachtungsebenen etwas auseinander gelaufen, denn Ausgangspunkt der These von der Gleichberechtigung der Stimmen im Streichquartett (oder in der Kammermusik) war wohl Tapios "Furcht vor zu viel Selbstdarstellung, bei der das Werk in den Hintergrund tritt." Das heißt: Es galt, den Kontrast zum romantischen Virtuosenkonzert heraus zu stellen. Dass die in der jeweiligen Epoche oder für den jeweiligen Komponisten typische oder übliche Behandlung des Satzes durchaus auch die Verteilung des musikalischen Geschehens auf führende und begleitende Stimmen verträgt, steht m. E. der Aussage nicht entgegen, dass trotz derartiger Satzbehandlung kein Virtuosenkonzert à la Paganini draus wird.

  • Mit Schwebungen klingt es "fetter" und orchestraler, das weiß jeder, der Synthesizer programmiert hat. Das Hagen Quartett spielt manchmal mit einem ganz fahlen, vibratolosen und gambenartigen Klang (meist nur wenige Takte), da spielen sie auch besonders rein und vermeiden Schwebungen.


    Danke für die prompte Antwort.

    Die Idee, dass Kammermusiker Schwebungen mit Absicht einsetzen könnten, beruht auf meinem vagen "Verdacht", dass HIP-Ensembles Schwebungen oft als Vibrato-Ersatz benutzen. Meinem Gefühl nach machen das die Musiker von Harmonie universelle auf der CD nebenan ganz besonders intensiv - sie übertreiben es fast.
    Das Quartett TWV 43:G5 als Streichquartett ist vom Casal Quartett auf der CD Birth of the String Quartet, Vol. 2 eingespielt worden ( -> Telemann einer der Erfinder der Gattung Streichquartett ? :S:S ).

  • Naheliegendere Vergleichspunkte als Renaissancepolyphonie wären, um bei Streichern zu bleiben, eine barocke Triosonate für 2 Vl und b.c. oder ein Konzert für Solo-Violine und Streicher wie von Vivaldi. (Tapio nannte ja Tschaikowskys Violin-Konzert.) Ich lehne mich mal aus dem Fenster und behaupte, dass verglichen mit einem typischen Vivaldi-Konzert schon ziemlich frühe Quartette von Haydn, Boccherini oder Richter gleichberechtigter beteiligte Mittelstimmen haben.
    Es ist prinzipiell m.E. auch gar nichts gegen etwas konzertantere Passagen zu sagen, solange es kein Violinkonzert für Arme wird. Ich fand den Abschnitt in Beethovens op.74, mit der irren Violinkadenz immer ziemlich unpassend, aber inzwischen doch auch faszinierend (zumal das Pizzicato der anderen eigentlich wichtiger als das Geschrubbe der Violine ist).

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  • Aber Du willst doch nicht ernsthaft so verstanden werden, die solistische Behandlung der Lead-Geige sei sozusagen das kennzeichnende Merkmal der Kammermusik, oder?


    Natürlich nicht. Aber die Behauptung des Gegenteils ist mindestens genauso falsch.


    KSM weist zu Recht darauf, dass die Oberstimmendominanz des klassischen Stils sich ebenso in der Kammermusik jener Zeit findet.


    :hello:

  • Zitat

    In einem so oberstimmenbetonten Stil wie dem der klassisch-romantischen Epoche ist es naheliegend, dass die Parts der 2. Violine und Bratsche gegenüber demjenigen der 1. Violine eher schlechte Witze sind, das gilt für solisitische wie chorische Besetzungen.


    Ohne Bratsche und 2.Violine wäre das Solospiel der ersten Geige unmöglich. Sie sind quasi der Humus, aus dem sich das Spiel der ersten Geige aufbaut.


    In "breiter" angelegten Tonaufnahmen sind die durchaus komplizierten Tonfolgen der "untergeordneten" Instrumente zu hören. Wenn man sich mal darauf konzientriert, hört man das, ist natürlich nichts für Hörer, die sich nur entspannen wollen.


    Ohne die zweite Geige wär das Geflecht von rasantem Aufbau und abrupter Verzögerung gar nicht möglich, aber dadurch, das sie im Hintergrund bleibt, verleiht sie dem ganzen doch etwas Rundes. Sie ist Vorbereiter, Träger einer inneren Dynamik, die kennzeichnend für ein Streichquartett sind.


    Die Bratsche ist noch mehr Vermittler. Ihr Hauptteil ist der Zusammenhalt, das Verbindende.


    Wie sollte Beethoven die herrlichen Melodien in seinen Quartetten erzeugen, die Ausgangspunkte für die innere Gestaltung der Quartette sind?

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