Der Freischütz – Deus ex machina oder feiner Spott?

  • Liebe Taminos,


    als ich das erste Mal den Freischütz hörte, stieß mich das Ende vor den Kopf. Unentrinnbar schien alles auf ein dramatisches Finale zuzusteuern. Doch dann – plumps – fällt Kaspar getroffen zu Boden und alle danken froh der „Lenkung des Ewigen“, der „Schutz der Unschuld“ ist.


    Mit diesem Deus ex machina – das war mir sofort klar – würde ich mich nicht anfreunden können und ich fürchtete schon, mein Genuß der Oper würde unter diesem zu versöhnlichen Schluss leiden. Dann jedoch, und ohne dass ich absichtlich danach gesucht hätte, drang sich mir ein anderer Blickwinkel auf, den ich gerne vor- und zur Diskussion stellen würde. Möglicherweise wiederhole ich nur, was schlauere Exegeten schon lange vorher konstatierten und trage Eulen nach Athen. Sei’s drum. Die Frage lautet:


    Ist das Freischütz-Ende ein Deus ex machina oder vielleicht feiner (Glaubens-) Spott?


    Folgende Deutung des Geschehens ist Anlass meiner Frage:


    Ausgangspunkt ist der nach Rache strebende Kaspar. Nicht ihm sondern Max wurde Agathe als Braut versprochen und somit auch die Erbförsterei. Freilich gilt es dazu noch den Probeschuss zu bestehen und genau das scheint angesichts der plötzlich verlorenen Treffsicherheit Max’ zweifelhaft. Für diese widerrum zeichnet Kaspar verantwortlich, der sogar die Dreistigkeit besitzt, darauf anzuspielen: „Es hat dir jemand einen Waidbann gesetzt...“ und auch mit Ratschlägen zur Aufehbung desselben spart er nicht: „Geh am nächsten Freitag auf einen Kreuzweg...“ Und diese Offenheit kann er sich auch leisten, denn ganz gleich an welchem Tag die Handlung spielt, der Probeschuss findet „Morgen schon“ statt. Kaspar aber gibt sich nicht mit Max’ etwaigen Versagen zufrieden; nein, seine Absichten sind finsterer, denn auch Agathe soll nicht schadlos aus der Angelegenheit herausgehen: Eine Freikugel soll sie aus dem Leben reißen. Dass die Sprache dann ausgerechnet auf diese Geschosse kommt, ist ihm daher gar nicht recht und während er eben noch vom Waidbann sprach, sind Freikugel plötzlich „Alfanzerei[...]Nichts als Naturkräfte!“ Doch als Max und Kaspar allein sind, hat er eine dieser Kugeln zur Hand, mit der Max tatsächlich ein unmöglicher Schuss glückt. Den Wunsch nach weiteren Kugeln muss Kaspar abschlagen, denn „Sie haben gerade ausgereicht.“ – Eine Lüge! Wäre es tatsächlich die letzte Kugel gewesen, so hätte Samiel, nicht Max, über die Bestimmung des Ziels entschieden. Gleichwohl verspricht er, Max Freikugeln beschaffen zu können. Zu diesem Zwecke verabredet man sich in der Wolfsschlucht.


    In der Wolfsschlucht handelt Kaspar zunächst allein mit Samiel. Er wünscht Verlängerung einer am nächsten Tag ablaufenden Frist und will ihm als Ersatz durch das Freikugelgießen Max zuführen sowie durch die siebte Kugel – das gibt er vor, obwohl doch Samiel darüber zu entscheiden hat – Agathe. Dass Agathe ungeeignet ist macht Samiel deutlich: „Noch hab’ ich keinen Teil an ihr!“ Ob er sich auch nur mit Max zufrieden geben würde, will Kaspar
    wissen. Samiel weicht aus: „Das findet sich!“ (zu deutsch: Mal sehen!Vielleicht!) „Morgen er oder du!


    Einen verhängnisvollen Fehler begeht Kaspar, als Max, der noch nie Samiels dunkles Reich betrat, erscheint, denn Max wird zwar Zeuge des Gießens, die eigentliche Prozedur aber liegt in den Händen Kaspars. Somit aber – das unterstelle ich – betrügt er Samiel, indem er neue Freikugeln gießt, ehe noch die vorherige siebte verschossen wurde.


    Der Rest ist schnell erzählt. Als die letzte der mit Max gegossenen Kugeln verschossen wird, lenkt Samiel diese nicht wie von Kaspar gewünscht auf Agathe, sondern gleichsam als Vergeltung für die in betrügerischer Absicht unterschlagene Kugel auf Kaspar selbst. Sich dem Sterbenden zeigend, wird er begrüßt mit den Worten: „So hieltst du dein Versprechen mir?“ Welches Versprechen? Wortbrüchig wurde Samiel nun keineswegs; da hätte Kaspar wohl mal besser zugehört!


    Wie das Ganze aber nun seitens des Volkes ausgelegt wird, dürfte Samiel sprachlos machen und gern sehe ich ihn im Geiste kopfschüttelnd vor mir. Denn das versammelte Volk dankt „den Heil’gen“ und auch Kaspar selbst äußert: – bedingt durch den aus seiner Einsiedelei erschienen Klausner? – „Der Himmel siegt!“ Die folgenden Ausführungen des Eremiten selbst widerrrum erscheinen mir ähnlich der Abschlussworte Sarastros, von denen (ich glaube, es war sogar hier im Forum) mal sinngemäß geschrieben wurde, man könne sie in ihrer Gravität und Ernsthaftigkeit kaum anders als (peinlich) übertrieben ansehen.
    Die Naivität, mit der das Volk schließlich dem vermeintlich göttlichem Eingreifen dankt, erscheint mir umso erschreckender im Angesicht des mit pausbackiger Dumpfheit vorgetragenen „Er war von je ein Bösewicht! Ihn traf des Himmels Strafgericht!“ Der herzenskalte Frohsinn, mit der hier Leben und Sterben eines Menschen abgehandelt werden, gehört vielleicht zu den gruseligsten Stellen des Freischütz.


    In diesem Sinne verstehe ich das Finale inzwischen nicht mehr als Deus ex machina sondern als Spott über Leichtgläubigkeit.


    Liest noch jemand mit? :hello:


    Liebe Taminos, ist diese Interpretation zulässig und gibt es weitere sie untermauernde oder erweiternde Elemente? Oder ist sie unzulässig, da es ihr widersprechende Textstellen gibt?


    Auf eine lebhafte Diskussion hofft


    Lynkeus

    "Geduld und Gelassenheit des Gemüts tragen mehr zur Heilung unserer Krankheiten bei, als alle Kunst der Medizin." (W.A. Mozart)

  • Mein lieber Lynkeus!
    Da hast du dir aber Mühe gemacht. ich muss zugeben, dass ich die Oper erst einmal gesehen habe. Deshalb habe ich die Handlung nur sehr lückenhaft in Erinnerung, was ich aber noch gut weiß, ist, dass der Schluss eine Überraschung darstellt, die nicht sehr organisch auf mich wirkte.
    Mir kam es so vor, als versuchte man, jetzt am Schluss noch schnell ein Happyend dranzumontieren. Es lief klar auf eine Katastrophe hinaus. Und plötzlich ist alles wieder gut.
    Einen Spott allerdings vermag ich nicht zu entdecken. dazu ist es mir zu romantisierend, ja am Ende fast kitschig.


    Bin mal gespannt, was die Kenner dazu sagen werden.
    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Liest noch jemand mit?


    Ja, obwohl kein Kenner!


    Ob man Deine Interpretation damals so gesehen hat? Wohl kaum. Ich kann mit Deiner Sicht sehr gut umgehen, was wohl auch daran liegen mag, dass religiös verbrämte Storys damals sehr beliebt waren und sich die Ansichten seit dem geändert haben zu einer etwas rationaleren Sicht - das Pendel bewegt sich aber momentan wieder zurück (religiöse Eiferer, weltweit) - oder man hat damit kaum mehr was am Hut, sieht den ganzen Schmonzes eh spöttisch.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Der herzenskalte Frohsinn, mit der hier Leben und Sterben eines Menschen abgehandelt werden, gehört vielleicht zu den gruseligsten Stellen des Freischütz.


    Lieber Lynkeus,


    ich bin zwar nicht der Holländermichel, aber dieser herzenskalte Frohsinn, hat mich eigentlich nie berührt.


    Im Freischütz habe ich immer nur - entgegen der Ansichten moderner Regisseure - immer nur die geniale Vertonung einer Schauermär gesehen. Die Sicht der Dinge entsprach eben dem Zeitgeist.


    Die Bösen waren böse, die Guten gut, die Obrigkeit von Gott eingesetzt, die Reichen waren zu Recht reich und die Armen und Kranken waren selbst schuld an ihrem Unglück und über allem schwebte der ewige Kampf zwischen Gut und Böse.


    Da das Gute in Märchen immer siegt, bedarf es keines Deus ex machina, weil der Schluss der Oper damit völlig logisch erscheint. Der Himmel siegt über die Mächte der Finsternis und der Böse wird bestraft. Dass nur Kaspar der Leidtragende ist, hat zwei Gründe: erstens kommt man an Samiel nicht ran und zweitens braucht man ihn zur Abschreckung auch weiterhin.


    Spott oder Ironie kann ich aus der Schlussszene ebenfalls nicht heraushören. Die Musik weist doch keinesfalls in diese Richtung, hier wird eben eine Struwelpeter-Moral postuliert,
    wie der Geschmack der Zeit es verlangte.


    Dass wir heute anders denken - bin nicht mal sicher - tut der Genialität Webers keinen Abbruch, sonst dürfte niemand Goethes Faus lesen, der nicht an den Teufel glaubt.


    Nimm also die Geschichte, für das was sie ist, ein passendes Sujet für eine wunderbare Melodien-Oper. Mittel zum Zweck, nichts weiter.


    Grüble also nicht allzu zu sehr über Kaspars trauriges Los. Die Knusperhexe in Hänsel und Gretel wurde auch verbrannt ohne einen Sturm der moralischen Entrüstung zu entfachen und will man den Psychologen glauben, dann dient das Ende der Hexe einem Fünfjährigen als Schutz gegen die bösen Mächte.


    MfG
    hami1799



    Knusperhexe
    jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen ist rein zufällig :thumbsup:

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  • Da das Gute in Märchen immer siegt, bedarf es keines Deus ex machina, weil der Schluss der Oper damit völlig logisch erscheint. Der Himmel siegt über die Mächte der Finsternis und der Böse wird bestraft.


    Genau. Das ist völlig normal. Übrigens nicht nur im "blöden Europa der Tradition" sondern z.B. auch in China. Dort erfolgt die Bestrafung des Bösen durch für unsere Augen ebenfalls komplett unglaubwürdige und unplausible Strategien.


    Dass nun der Verdacht der Parodie auftaucht, ist wohl eine Folge von Bildungsdefizit übliche Strategien der Geschichtenerfindung betreffend?

  • Ich habe irgendwo gelesen, dass in der Vorlage es noch eine Szene mit dem Eremiten gibt (vor dem Zeitpunkt, an dem in der Oper die Handlung einsetzt), in der er Agathen die heiligen Rosen oder was auch immer überreicht. Dadurch erscheint er dann nicht mehr so "ex machina" wie es in der Oper letztlich der Fall ist.
    Und natürlich wurden "deus ex machina" Lösungen bei Dramen seit der Antike scharf kritisiert, das änderte aber nichts daran, dass sie immer wieder vorkamen. Ziemlich sicher fände man zeitgenössische Stimmen, die dem Freischütz ähnliches ankreiden. (Es gibt einen sehr witzigen Text von Heine, da geht es aber nur um die für ihn unerträgliche Allgegenwart des "Ohrwurms" "Wir winden dir den Jungfernkranz"). Es ist m.E. naiv, zu meinen, dass es unter Zeitgenossen keine Kritik an Elementen, die wir heute als übertrieben pathetisch oder unplausibel empfinden, gegeben hätte. (Sachen wie Schillers Lied von der Glocke oder "Ehret die Frauen" wurden beinahe umgehend parodiert, man google nach.)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich habe irgendwo gelesen, dass in der Vorlage es noch eine Szene mit dem Eremiten gibt (vor dem Zeitpunkt, an dem in der Oper die Handlung einsetzt), in der er Agathen die heiligen Rosen oder was auch immer überreicht. Dadurch erscheint er dann nicht mehr so "ex machina" wie es in der Oper letztlich der Fall ist.


    Findest Du, dass es hier überhaupt um eine ex machina Situation geht? Das Ende ist doch, wie im Faust, schon vorprogrammiert.


    Dort nimmt die dreiste Anmaßung, was wettet ihr, den sollt ihr noch verlieren, doch niemand ernst und sie dient nur der hübschen Story als Vorgabe.
    Keine nägelkauende Spannung wird durch ein unerwartetes Ereignis aufgelöst, kein erstauntes Raunen - ja sowas! - geistert durch den Zuschauerraum und kein moralisches Feingefühl wird verletzt, wenn die Plumpen schließlich ärschlings in die Hölle stürzen.


    Geschieht ihnen recht, haben wir doch von Anfang an schon gewusst. Geht doch ohne Maschine.?(

  • Es ist m.E. naiv, zu meinen, dass es unter Zeitgenossen keine Kritik an Elementen, die wir heute als übertrieben pathetisch oder unplausibel empfinden, gegeben hätte.


    Hat das hier irgendjemand? Es ist ja ein großer Unterschied, etwas zu kritisieren, oder dasselbe für eine Parodie zu halten. Ich halte eher letzteres für etwas naiv, weil heutige Erzählgewohnheiten und Moralvorstellungen auf andere Epochen anwendend.

  • Lieber Lynkeus!


    Das ist wirklich ein sehr interessantes Thema, das Du hier auf den Tisch gebracht hast!


    Vor allem hat mir gefallen, wie sorgfältig Du Deine Argumentation enfaltest und begründest!


    Wenn ich das recht sehe, stützt Du Dich dabei im wesentlichen auf eine Analyse des Librettos.
    Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden, ich würde es aber für interessant halten, mal zu schauen, wie Deine These auch durch eine Analyse der Musik gestützt werden kann.


    Leider habe ich mich mit dem Freischütz bisher noch nicht intensiver beschäftig und ich habe noch nicht einmal die Partitur im Haus.
    Aber es wäre gewiß interessant sich mal die Tonartendramaturgie und die harmonischen Muster genauer anzusehen. Beides ist für Webers musikdramatische Konzeption natürlich ausgesprochen bedeutsam.


    Ich sehe da einige durchaus nicht einfach zu beantwortende Fragen:
    Was bedeutet das Gegenüber von c-moll und C-dur?
    Wie ist es zu werten, dass schon in der Ouvertüre der Einbruch des Lichtes in die Finsternis gleichsam überfallartig, ja richtig explosionsartig wirkt?
    Wem ist das lupenreine Es-Dur zuzuordnen, das in der Ouvertüre - von der Klarinette vorgestellt - so berührend eine heile Welt imaginiert?
    Wie muss ich es verstehen, dass die Final-Tonart also die Tonart, in der das lieto fine gefeiert wird, schon im ersten Akt benutzt wird, wenn der Chor Max zu trösten sucht? (Oder täuscht mich meine Erinnerung?)


    Interessant wäre sicher auch, mal zu schauen wie Max' Suche nach Licht zur Samiel- und zur zur Kaspar-Welt einerseits und zur Agathe-Welt andererseits steht.
    Wenn ich mich recht erinnere, hat sich ja Berlioz schon intennsiver mit der Tonartendramaturgie des Freischütz beschäftigt, aber ich erinnere mich nicht, zu welchen Einsichten er dabei kam.


    Erst in diesem Kontext aber scheint mir eine Antwort auf die Frage möglich, wie denn das Finale zu verstehen ist.
    Die C-dur-Diatonik des Eremiten hat ja etwas bemerkenswert Plakatives!
    Dass sie auch noch durch den teuflischen Tritonus ( Zur Erinnerung: die übermäßige Quart, mit der die Wende zum Guten bei Weber eingefädelt wird - hier vom Fis aufs C -, gilt seit der Renaissance als Tonemblem für den Satan!!!) schafft vielleicht tatsächlich einen Subtext zu dem versöhnenden und versöhnlichen Finale!
    Signalisiert das nicht, dass diese Wende, die der Eremit herbeiführt, die Unerlöstheit dieser Welt nicht aufheben kann?


    Wenn sich das erhärten ließe, erschiene das Finale in einem ganz anderen Licht als die lieto-fine-Finali der Barockzeit und auch als die Jubelfinali der Revolutionsopern.
    In dem C-dur Finale des Freischütz scheint mir der verminderte Septakkord, der schon in der Ouvertüre die Welt des Unheimlichen und Bösen vorstellte, und der in der Wolfsschlucht harmonisch ausgefaltet wird, gerade nicht aufgelöst sondern eher im Sinne Hegels aufgehoben!
    Anders gesagt: das C-Dur des Eremiten-Finales ist ein anderes C-dur als das, mit dem die beiden Hörnerpaare in der Ouvertüre auf die leeren Quinten des Beginns antworten!


    Ich würde das gerne noch detaillierter belegen, aber dafür bräuchte ich eine Partitur oder zumindest den Klavierauszug! Aber vielleicht können ja passionierte Freischütz-Experten in die Bresche springen?
    Mir ging es erst mal nur darum, die Aufmerksamkeit auf die Musik zu lenken, die doch mehr mitteilt über den Widerstreit von Gut und Böse als das Libretto von Kind!


    Es grüßt Dich in ungetrübtem Es-dur


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

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  • Mir ging es erst mal nur darum, die Aufmerksamkeit auf die Musik zu lenken, die doch mehr mitteilt über den Widerstreit von Gut und Böse als das Libretto von Kind!


    Traurig wäre das, traurig, lieber Caruso41, wenn dem nicht so wäre. Aber es ging ja doch in erster Linie um das Textbuch. Was dann Weber daraus macht, ist freilich höhere Kunst und zeigt, dass ein Genie aus einer Mücke einen Elefanten machen kann. Ein großer Maler könnte auch einem Gänseblümchen Unsterblichkeit verleihen.


    Deine interessanten Beobachtungen stehen jedoch nicht in Widerspruch, zu meinen Ansichten und wenn man die Unerlöstheit der Welt nicht aufheben kann,
    dann liegt es daran, dass Samiel bis zum Jüngsten Tag noch unter Naturschutz steht.


    Es wäre auch zu langweilig ohne ihn.


    MfG
    hami1799

  • Aber es ging ja doch in erster Linie um das Textbuch. Was dann Weber daraus macht, ist freilich höhere Kunst und zeigt, dass ein Genie aus einer Mücke einen Elefanten machen kann.

    Mir geht es eigentlich immer eher um die Musik.


    Und auch Du hast mit der Musik argumentiert:

    Spott oder Ironie kann ich aus der Schlussszene ebenfalls nicht heraushören. Die Musik weist doch keinesfalls in diese Richtung,


    Da finde ich es denn doch wichtig, die Musik auch mal ernst zu nehmen und zu analysieren, denn Weber war einer, der mit seiner Musik etwas aussagen will.


    Am liebsten hätte er ja Sinfonien geschrieben, aber das übermächtige Vorbild Beethoven hat ihn bei den entsprechneden Versuchen fast erdrückt. So schreibt er Opern.
    Der Musikwissenschaftler Matthias Viertel hat eindrücklich nachgewiesen, dass die Ouvertüren der Opern gleichsam das Medium sind, in denen Weber mitteilt, was er als Sinfoniker (sic!!!) zu sagen hat.
    Soweit so gut.


    Aber ich denke, vor diesem Hintergrund ist denn auch die musikalische Dramaturgie der Oper selbst von Belang - auf jeden Fall von mehr Belang als Kinds Text!
    Insofern fand ich Lynkeus These spannend, weil sie einen drauf stößt, dass ein Weber vielleicht doch nicht ein so biederes dramaturgisches Konzept gehabt hat, wie es in manchen Aufführungen den Anschein hat. Da könnten ja eine Mehrdeutigkeit und sogar Doppelbödigkeit in der Wende zum guten Ausgang sein, die schaudern lässt!
    Wieso hat Thomas Mann im Faustus gerade den Bezug zu dem Quartsext-Akkord im Finale hergestellt, wo es um Adrians todbringende Infektion geht?



    Nimm also die Geschichte, für das was sie ist, ein passendes Sujet für eine wunderbare Melodien-Oper. Mittel zum Zweck, nichts weiter.


    Nee, wissen se, nee! So biedermeierlich ist Weber nicht!
    Ich bin eigentlich kein besonderer Verehrer des Freischütz, aber Weber hat hier mehr geschrieben als eine wunderbare Melodien-Oper zu einem schwachsinnig-kruden Text.
    Man muss ihn nur ernst nehmen und seine Strukturen und Zeichensysteme entschlüsseln. Das setzt Arbeit voraus.
    Ich habe ein paar Fragen und Vermutungen beisteuern wollen. Es ist aber mehr zu tun! Bin gespannt, wer dazu noch was beitragen mag.


    Oder schleicht sich der Tritsch-Tratsch-Schlendrian nun auch in Threads, in denen höchst überlegt Fragen gestellt wurden?
    Das sind doch einfach Fragen, die jeden, der an dieser Oper oder an romantischen deutschen Opern im Allgemeinen interessiert ist, beschäftigen sollten.
    Ich werde mir jetzt jedenfalls mal eine Partitur besorgen und mich damit intensiver beschäftigen!


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


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  • Es wird diskutiert und das ist ja schon mal nicht verkehrt. :)


    Ich möchte nach Euren Beiträgen dem Eingangstext noch einige Bemerkungen als Reaktion hinzufügen, u.a. weil ich zwei verschiedene Dinge ohne klare Trennung in einen Topf geworfen habe.


    Zum einen die Frage nach dem Deus ex machina
    Von vielen Hörern wird die plötzliche Lösung des Konfliktes eben in diesem Sinne verstanden, denn das Ende wirkt überraschend, unmotiviert oder mit den treffenden Worten von Klaus 2 „nicht sehr organisch“. Stoße ich bei der Lektüre von Texten auf solche Wendungen oder Unstimmigkeiten (wie beispielsweise den Umstand, dass Max im 1. Aufzug mit der Freikugel Kaspars trifft, dieser aber behauptet, es wäre die letzte gewesen), versuche ich diese Diskrepanzen aus dem Text heraus aufzulösen, bevor ich dem Autor Unfähigkeit oder fehlende Gründlichkeit bei der Konzeption des Stoffes unterstelle. Und im Falle einer Oper ist man mit letzterem vermutlich schneller bei der Hand, insofern man das Libretto der Musik unterordnet.
    Wie Caruso41 richtig feststellt, stütze ich meine Aussagen auf die Analyse des Libretto und von diesem ausgehend wollte ich darlegen, warum es m.E. überhaupt keinen Deus ex machina gibt. Tatsächlich findet doch an keiner Stelle ein unmittelbares göttliches Eingreifen statt. Ich weise nochmals darauf hin: Unzweideutig sagt Samiel, dass Agathe als Opfer nicht in Frage kommt („Noch hab’ ich keinen Teil an ihr!“) und er zwischen zwei Möglichkeiten wählen wird, nämlich Max oder Kaspar („Morgen er oder du!“). Freilich, die bösen Vorzeichen in Gestalt des Totenkranzes und des Taubentraumes verschleiern da den klaren Blick. Dass man dennoch den Eindruck eines Deus ex hat, dazu trägt maßgeblich das plötzliche Auftreten des Eremiten und die Schlussfolgerungen des eifrig „den Heil’gen“ dankenden Volkes bei.


    Wenn man so will lautet meine These also, dass die Konfliktlösung nach eingehender Beschäftigung mit dem Libretto weder überraschend noch unmotiviert ist und kein Deus ex machina vorliegt.


    Zum anderen die Frage nach dem Spott
    Mit meinem Threadtitel habe ich ein Skala eröffnet und deren Pole benannt. Da gibt es viel dazwischen. An keiner Stelle habe ich behauptet, das Finale sei eine Parodie oder gar, Weber und Kind wollten es als solche verstanden wissen. Aber: Das Kunstwerk ist offen. Nicht nur jeder Einzelne, sondern auch jeder Einzelne in jeder Zeit darf sich fragen, was das Kunstwerk ihm zu sagen hat, unabhängig davon, ob dies mit den Intentionen des Künstlers konform geht. (Um gleich vorzubeugen: Ich will damit keinesfalls eine Anschauung vertreten, die dem Regietheater das Wort redet. Ich bin alles andere als ein Freund des Regietheaters.)
    Einfach darauf hinzuweisen, dass das Gute im Märchen immer siege, um dann die Frage nach der Zulässigkeit einer anderen Deutung aus heutiger Sicht als mögliche Folge eines Bildungsdefizits hinsichtlich der Strategien der Geschichtenerfindung abzuqualifizieren, erscheint mir voreilig. Zumal einerseits im Märchen nicht immer das Gute siegt (man lese bei den Grimms nur mal Von dem Tode des Hühnchens, Das eigensinnige Kind oder Das Märchen von der Unke) und andererseits ich trotz aller übernatürlichen Elemente einer Einordnung des Freischützes zu dieser Textsorte nicht zustimmen kann.


    Bezüglich des Spotts möchte ich lediglich wissen, ob eine solche Lesart aus heutiger Sicht zulässig ist?


    Auf die Frage, ob sie nicht vielleicht doch auch schon zur Entstehungszeit denkbar gewesen wäre, werfen die Überlegungen von Caruso41, die anzustellen oder gar zu ergründen mir die nötige musikalische Fachkenntnis fehlt, ein interessantes Licht. Dank an dieser Stelle dafür. :hello:

    "Geduld und Gelassenheit des Gemüts tragen mehr zur Heilung unserer Krankheiten bei, als alle Kunst der Medizin." (W.A. Mozart)

  • Das ist so ähnlich wie Regietheater.


    Aller hochwürdigster Herr Moderator, sollte nicht ein Moderator eine Diskussion konstruktiv leiten und zur Klärung beitragen?


    Solche flapsigen Zwischenrufe empfinde ich als unsachlich und wenig hilfreich!
    Ich mache mir die Mühe, mit ein paar Fragen und Bemerkungen etwas zur Klärung einer aufgeworfenen Frage beizusteuern und werde dann durch solche Einzeiler abgefertigt, die ich nur als unreif empfinden kann!


    Wer sich mit Musik befasst, sollte eigentlich wissen, was eine Parodie ist! Sie hat wirklich nichts mit Regietheater zu tun - aber bitte das mag Auffassungessache sein - noch kann ich sehen, was sie mit meinem Beitrag zu tun hat, der damit abqualifiziert wurde!


    Sorry! Das ist total demotivieren!


    Ich bin dann mal raus!


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Es ist in der Tat schwer, einzuschätzen, inwieweit der Freischütz eine ernstgemeinte Handlung darstellt - und inweweit spöttische Untertöne vorherrschen: Dieses Schicksal teilt diese Oper mit einigen anderen, wobei die Bewertung auch in unserer Zeit stets unterschiedlich ist. Mir fallen hier spontan die Zauberflöte ein, welche heute von einigen als Parodie der Freimaurer gesehen - und Sarastro als scheinheiliger Scharlatan gesehen wird, umgeben von einer dümmlich-kritiklosen Priesterschar und dem erkorenen Jünger, dem Wendehals Tamino. Hat man dies schon zu Zeiten Mozartsd und Schikaneder so gesehen ? Einige offensichtlich schon.
    Die "Freiheitsoper" Fidelio reizt mich ob ihres gerdezu stereotyp einfältigen Strickmusters oft zum Lachen. Eine Frau, die sich in einen Mann verliebt, der in wirklichkeit eine verkleidete Frau ist, ein redlicher Gefängniswärter, der jahrelang einem (angeblich) totalitärem Regieme dient - und dennoch ein ehrsamer Mann bleibt, Eine Meute von Gefangenen, die in Wahrheit alle Unschuldsengel sind, was aber erst am Schluß bemerkt wird. Weitere Details erspare ich mir.


    In letzter Konsequenz (ich höre schon den Aufschrei der Taminowelt) sind auch der Auftritt des toten Komturs und Don Giovannis Höllenfahrt durchaus vergleichbar mit der Schlußszene in Webers "Freischütz"
    Wir erleben in vielen Werken des gesamten späten 18, und gesamten 19. Jahrhunders eine Mischung aus Angst vor Gespenstern und dem Teufel, manchmal auch dur Ironie gebrochen, wobei die Ironie durchaus auch eine vermeintliche - im 20, Jahrhundert hineinprojizierte - sein kann. In letzter Konsequenz wissen wir es nicht.


    Beim Freischütz indes gibt es doch subtile Hinweise darauf, daß hier eine Ironische Sichtweise nicht auszuschliessen ist.
    Sehr gut zu sehen am Text von: "Einst träumte meiner selgen Base....." Hier wird der Aberglaube sanft bespöttelt - fast wie in einer Sicht des 20. Jahrhunderts. Ist aber dennoch Originaltext. "Heilige Männer - Mönche - Leitbilder - treten uns aber oft im Finale von Opern entgegen . stets moralisierend - stets unkritisch verehrt. Mag durchaus sein, daß hier das gläubige, leicht lenkbare Volk verspottet wird. Wer meint, diese Zeiten seien längst vorbei, den erinnere ich nur an die diversen Gurus, Sekten und Wahrsager, welche sogar von Politikern konsultiert werden......


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Einst träumte meiner selgen Base....." Hier wird der Aberglaube sanft bespöttelt - fast wie in einer Sicht des 20. Jahrhunderts

    Doch beim Anblick der Totenkrone schlägt die heitere Stimmung in Moll um. Das dürfte ernst gemeint sein, als Vorbote eine Unglücks.

  • sollte nicht ein Moderator eine Diskussion konstruktiv leiten und zur Klärung beitragen?


    Solche flapsigen Zwischenrufe empfinde ich als unsachlich und wenig hilfreich!


    Hallo Caruso41,


    1. Ich bin nur unwesentlich länger als Du hier im Forum - aber es könnte auch Dir aufgefallen sein, das dies bei bestimmten Moderatoren ab und zu vorkommt.
    2. Moderatoren dürfen - so wurde ich (berechtigt!) belehrt - auch Beiträge schreiben wie normale Mitglieder, also nur den üblichen Beschränkungen unterliegend. Nur wenn der Moderator in seiner Eigenschaft als Moderator schreibt, darf er lenkend eingreifen und hat dies dann mit blauer Schrift zu tun. Die Bezeichnung Moderator unter dem Nicknamen ist also genauso sinnentstellend, missverständlich und eigentlich unnötig, wie "Meister" u. ä. Titel. Nur in der Eigenschaft als Moderator dürfte also sinnvollerweise Moderator erscheinen - auf die Diskussionen zu den "Titeln" verweise ich.
    3. Aus 2. folgt: Pfeif' einfach drauf, was das Mitglied schreibt, es war ja keine blaue Schrift und damit nicht die Meinung eines Moderators. Wenn ich auf allen unnötigen Schwachsinn hier im Forum reagieren wollte - ignorieren ist für mich die Devise!


    Viele Grüße
    zweiterbass


    Nachsatz zum Thema: Nachdem der 1. Beitrag sich nach meinem Verständnis nur mit dem Libretto befasste, bin ich in meiner Antwort auf Musik gar nicht eingegangen - was aber durch Deinen Beitrag eine äußerst sinnvolle Ergänzung gebracht hat; also bitte nicht "bin dann mal raus".

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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  • 1821 glaubte die Mehrheit der "gebildeten Stände" nicht mehr an Hexen und Spuk und das Gottesgnadentum war ebenfalls weitestgehend passé. Vielleicht auch daher die Verlegung der Handlung, die dem heutigen Opernfreund ja durchaus ins beginnende 19. Jhd. zu passen scheint, in eine etwas finsterere Zeit nach dem 30jährigen Krieg. Die Faszination für Spukgeschichten usw., die man in der literarischen Romantik ja ebenfalls findet, hängt ja nicht davon ab, ob man wirkliche an diese Dinge glaubt.


    Die unkonventionelle Deutung von Lynkeus ist interessant. Man sollte sich aber deutlich machen, dass sie NICHT der üblichen (vielleicht naiven) Sichtweise des Dramas entspricht. Nach Lynkeus ist, wenn ich recht verstehe, der Eremit überflüssig. Kaspars Plan scheitert nicht an Schutz durch geweihte Rosen, sondern er erhält die Quittung dafür, dass er sich verkalkuliert und Samiel betrogen hat. Samiel lenkt die 7. Kugel auf Kaspar.


    Was genau war denn Kaspars Plan? Anscheinend, dass Max und Agathes Vater "verzweifeln", wenn die 7. Kugel Agathe trifft, also ggf. Bestrafung oder gar Hinrichtung von Max (wg. Totschlag und/oder schwarzer Magie) und Depression, ggf. Selbstmord des Vaters? Agathe ist gar nicht betroffen, weil ihre Seele kaum Samiel gehören kann, wenn sie ein unschuldiges Opfer wird.


    Die übliche Interpretation ist, dass Max Schuss auf die Taube/Agathe durch die heiligen Rosen geblockt wird und dann die Kugel auf Kaspar gelenkt wird. Ob nicht nur die Blockierung, sondern auch die Lenkung durch den Eremit (bzw. Rosen) geschieht, damit ein "himmlisches Strafgericht" oder nur die Blockierung durch die heiligen Kräfte, die Umlenkung dann aber durch den frustrierten Samiel (damit ein "höllisches Strafgericht" bzw. das Böse richtet sich gegen sich selbst), scheint mir offen. Es spricht einiges für die zweite Möglichkeit.


    Nach Libretto ist aber klar, dass zunächst Agathe tatsächlich getroffen wird, d.h. nach dem Schuss auf die Taube niederstürzt ("Er traf die eigne Braut!) und kurz die Besinnung verliert ("Wo bin ich? War's Traum nur, daß ich sank? " usw.) Der tödlich getroffene Kaspar sieht sowohl den "Klausner" schützend bei Agathe stehen als auch dann Samiel, der kommt, um ihn abzuholen.


    Welche magischen Regeln sollte Kaspar gebrochen haben? Gießen neuer Freikugeln, obwohl von den alten noch die 7. übrig sein müsste? Wissen wir das so genau? Warum beschwert sich Samiel nicht bei der Unterredung mit Kaspar, weiß er nichts von der unterschlagenen Kugel? Oder ist das egal? Was war mit der alten 7. Kugel? Hätte Max aktiver beim Gießen mitmachen müssen, um Samiel zu verfallen? (Kaspar überredet ihn nicht, nachdem Max abgelehnt hat.) Das scheint alles offen (und wird von keiner Interpretation gelöst, es ist wohl nicht wichtig genug, es geht ja nicht um das Magiesystem eines Rollenspiels...)
    Weiterhin bleibt Max zwar "nur" Beobachter beim Kugelgießen, aber bei seinem Geständnis räumt er ein, beim Ritual mitgemacht zu haben
    ("Vier Kugeln, die ich heut verschoß,/Freikugeln sind's, die ich mit jenem goß.") Für den Fürsten reicht das jedenfalls, um mit Verbannung bestraft zu werden. (Aber das sind keine magischen Regeln, sondern die weltlichen Gesetze.)


    Wenn Lynkeus recht hätte, wäre der Eremit überflüssig, er hätte nur die Rolle als Fürsprecher für Max.
    Das Brimborium mit den geweihten Rosen und der genaue Ablauf (Max schießt, Agathe fällt besinnungslos zu Boden, Kaspar wird tödlich getroffen, Agathe erholt sich sofort wieder) spricht aber doch sehr deutlich dafür, dass der Eremit bzw. seine Rosen notwendig waren.


    Ob nun Ännchens Spukgeschichte einfach nur eine komische Parallele zieht oder darauf hindeutet, die ganze Chose nicht so ernst zu nehmen, darüber kann man sicher streiten. Ich meine aber schon, dass man die Geschichte ernst nehmen sollte, selbst wenn natürlich 1822 die meisten ebensowenig an Freikugeln glauben wie heute. Man muss ja auch nicht an den fliegenden Holländer und Tarnkappen glauben, um die entsprechenden Opern ernst zu nehmen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Wer sich mit Musik befasst, sollte eigentlich wissen, was eine Parodie ist! Sie hat wirklich nichts mit Regietheater zu tun - aber bitte das mag Auffassungssache sein - noch kann ich sehen, was sie mit meinem Beitrag zu tun hat, der damit abqualifiziert wurde!


    Über das, was musikalische Parodie ist, gehen hier die Ansichten ja krass auseinander - manche meinen, dass Schuberts Winterreise parodistisch gemeint sein soll. Wobei die Notenanalyse bei der Beurteilung - parodistisch: ja oder nein - ziemlich überflüssig ist. Der eine schreibt: Ein Dreiklang, wie platt, dass ist offenbar Parodie, der andere: ein Dreiklang, dürfte nicht parodistisch sein (ist jetzt vereinfacht).


    Das Regietheater sieht ebenfalls gerne Kritik oder montiert sie ins Stück hinein - ich würde mich wundern, hättest Du tatsächlich meine Einzeiler nicht verstanden. Vielleicht hast Du Dich aber auch so darüber geärgert, dass Du nicht in der Lage warst, darüber nachzudenken (siehe zweiterbassens Schwachsinns-Behandlung).


    Die Abqualifizierung besteht darin, dass ich die Empfehlung gepostet haben, die von Dir angebotene Methode auf Deine Methode anzuwenden. Also gewissermaßen nichts ernst zu nehmen, das nicht der eigenen Gewohnheit des Denkens und Empfindens entspricht, nach dem Motto: "Das kann doch nicht ernst gemeint sein". Das ist eine Parodie, die eventuell dazu nützen könnte, die Möglichkeit anderer Standpunkte einräumen zu können. Etwa dem, dass vorzugsweise das Böse am Ende unterliegt.
    :hello:

  • Zitat von hami1799

    Knusperhexe
    jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen ist rein zufällig :thumbsup:


    Die Firma dankt ;)


    Ich kann mit dem religiös motivierten deus ex machina sehr gut leben. Gestört hat mich der Eremit nie. Aber wenn heute schon der Abendsegen bei Hänsel und Gretel als verzíchtbarer Zusatz aus wilhelminischer Zeit abgetan wird, was will man da noch machen außer bedauern, dass unsere Zeit heute so zynisch geworden ist.

  • Die Firma dankt


    Bitte, gern geschehen. Vom Verbrennen wollen wir vorerst absehen, da wir unsere Reaktionäre noch dringend im Kampf gegen das Regietheater benötigen.


    Doch sprich: welcher Geistesriese hat den Abendsegen die Pickelhaube aufgesetzt? Den Ort, wo dieser Unmensch haust, werde ich nie wieder betreten.


    Doch zum Schluß des Freischütz zu kommen. Meine These war eben die, dass dieser Donnergott gar nicht nötig ist, weil nichts im Finale dem Verlauf der Handlung widerspricht. Nun hat Caruso41 darauf hingewiesen,
    dass die Musik bei weitem hintergründiger ist, als die literarsiche Vorlage, was aber nicht zwingend bedeutet, dass Weber am Text vorbei komponiert hat.


    In dieser Sache kommt hoffentlich noch mehr zum Vorschein.


    Grüße
    hami1799

  • Wenn Lynkeus recht hätte, wäre der Eremit überflüssig, er hätte nur die Rolle als Fürsprecher für Max.


    Doch nicht nur, denke ich. Hier wird auch ein Stück Sozialkritik geübt. Der Eremit kritisiert offen Ottokars Rechtsauffassung und deren Verankring im Aberglauben des Volkes. Dabei wird nicht erklärt, ob Ottokar aus taktischen Gründen oder aus Überzeugung richtet. Vermutlich das Erstere, denn er gibt schnell nach, wohl aus der Furcht, der Eremit könnte beim Volk besser ankommen. Vielleicht war es also nur eine Flucht nach vorn.


    Wie auch immer, das musikalische Pathos beim Erschienen des Eremiten scheint mir echt. Schließlich war es Weber und nicht Milhaud, der die Musik dazu schrieb.

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  • Über das, was musikalische Parodie ist, gehen hier die Ansichten ja krass auseinander - manche meinen, dass Schuberts Winterreise parodistisch gemeint sein soll. Wobei die Notenanalyse bei der Beurteilung - parodistisch: ja oder nein - ziemlich überflüssig ist. Der eine schreibt: Ein Dreiklang, wie platt, dass ist offenbar Parodie, der andere: ein Dreiklang, dürfte nicht parodistisch sein (ist jetzt vereinfacht).


    Das Regietheater sieht ebenfalls gerne Kritik oder montiert sie ins Stück hinein - ich würde mich wundern, hättest Du tatsächlich meine Einzeiler nicht verstanden. Vielleicht hast Du Dich aber auch so darüber geärgert, dass Du nicht in der Lage warst, darüber nachzudenken (siehe zweiterbassens Schwachsinns-Behandlung).


    Die Abqualifizierung besteht darin, dass ich die Empfehlung gepostet haben, die von Dir angebotene Methode auf Deine Methode anzuwenden. Also gewissermaßen nichts ernst zu nehmen, das nicht der eigenen Gewohnheit des Denkens und Empfindens entspricht, nach dem Motto: "Das kann doch nicht ernst gemeint sein". Das ist eine Parodie, die eventuell dazu nützen könnte, die Möglichkeit anderer Standpunkte einräumen zu können. Etwa dem, dass vorzugsweise das Böse am Ende unterliegt.


    Nein, ich habe Deine Einzeiler wirklich nicht verstanden!
    Aber wie konnte ich auch? Offenbar gelingen Dir manche Stuecke einfach zu kurz! Du etikettiertst meinen Beitrag ohne jede Erläuterung flugs als Parodie!
    In meinem Beitrag war doch nicht einmal ein parodistischer Unterton. Dass man ihn als Parodie lesen kann, leuchtet mir auch jetzt noch nicht ein. Und schon gar nicht war er auf eine Rechtfertigung eines Regietheaters angelegt, das irgendwelche Umdeutungen vornimmt! Ich habe mich bisher nicht im Forum zum Regietheater geäussert und werde es auch künftig nicht tun. Da liegen einfach keine Interessen von mir


    Ich fürchte, dass Du einfach nicht meine Interesse verstanden hast, die Diskussion über die Deutung des Freischütz-Finales durch eine musikalische Analyse voranzubringen. Mich interessiert weniger, ob es es berechtigt wäre, in der Wendung des Handlungsverlaufs Spott oder Ironie zu entdecken. Aber gerade weil Lynkeus das so engagiert aus dem Text Kinds herausgefiltert hat, wollte ich mal fragen, wie eigentlich die dramaturgische Konzeption Webers aussieht. Und das geht nun mal nur, wenn man sich dann auch mit der Komposition wirklich ernsthaft befasst. Dafür scheint Dir jedes Verständnis abzugehen.


    Macht ja nichts! Man streitet eben viel besser, wenn man bei seinen Waffen bleibt. Und die Waffen gegen das Regietheater haben sich ja hier im Forum wohl bewährt! Sie schützen natürlich auch bestens davor, sich ernsthaft mit Partituren zu beschäftigen!


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!


  • Doch nicht nur, denke ich. Hier wird auch ein Stück Sozialkritik geübt. Der Eremit kritisiert offen Ottokars Rechtsauffassung und deren Verankring im Aberglauben des Volkes. Dabei wird nicht erklärt, ob Ottokar aus taktischen Gründen oder aus Überzeugung richtet. Vermutlich das Erstere, denn er gibt schnell nach, wohl aus der Furcht, der Eremit könnte beim Volk besser ankommen. Vielleicht war es also nur eine Flucht nach vorn.


    Wie auch immer, das musikalische Pathos beim Erschienen des Eremiten scheint mir echt. Schließlich war es Weber und nicht Milhaud, der die Musik dazu schrieb.


    Ich bin ja mit KSM völlig konform, dass das gesamte Pathos und die Oper überhaupt ernst sind. Meiner Ansicht nach ist die von mir geschilderte Deutung aufgrund der kausalen Abfolge im Finale (also, dass Agathe tatsächlich vor Kaspar getroffen wird, aber eben mit "heiliger Reflexionsweste") wesentlich plausibler als ein nur beratender Eremit. Denn dessen Autorität speist sich ja in der Szene auch daraus, dass er kein Säulenheiliger in der Einsamkeit ist, sondern Agathe gerettet hat. Wäre Agathe tot, dürfte alle Fürsprache vergeblich sein.
    Es ergibt m.E. auch gar keinen Sinn, die schwarze Magie in der Oper als "Aberglauben" zu behandeln. Erstens glauben alle daran und zweitens funktionieren die Freikugeln ja (mit Ausnahme der letzten, aber das ist die Pointe). Und wie jemand (CS Lewis?) mal gesagt hat, verurteilen wir heute Hexenprozesse nicht deshalb, weil wir meinen, Hexen und Schwarzmagier seien ungerecht behandelt worden, sondern weil wir meinen, dass es gar keine schwarze Magie gibt, Menschen also für etwas hingerichtet wurden, was sie gar nicht getan haben konnten. Gäbe es funktionierende Schwarze Magie, so wären drakonische Strafen für ihre Praxis durchaus angebracht.


    Die Hauptkritik des Eremiten richtet sich überdies nicht gegen den Aberglauben des Volkes, sondern dagegen, dass Karriere und Lebensglück vom gelingenden Probeschuss abhängig gemacht werden. Und da kann aus Versagensangst eben auch ein Kandidat scheitern, der sonst ein guter Schütze und überhaupt "treu und bieder" gewesen ist. (Der beinahe schon zu offensichtliche Subtext, dass Max kurz vor der Hochzeit, Probleme mit "seinem Rohr" hat, ist inzwischen wohl auch schon abgedroschen und sicher regiemäßig indiskret ausgeschlachtet worden.)


    Ich habe das Finale nicht ausreichend präsent, um zu beurteilen, inwiefern die Handlung musikalisch konterkariert werden könnte. In der harmonischen Sprache der Zeit ist C-Dur die einzig mögliche Auflösung für c-moll (d.h. ein c-moll Stück kann nur in c-moll oder C-Dur enden) und Es-Dur natürlich als Terztonart auch ganz nah verwandt. Die Themen der Ouverture werden üblicherweise nach ihrem späteren Auftreten musikalisch gedeutet: das erste Thema des schnellen Teils, was bei Maxens "mich umgarnen finstre Mächte" wieder auftaucht wird Samiel und das Klarinettenthema Agathe (ihre Arie steht auch in Es-Dur) zugeordnet. Nach dem ersten Themenkomplex folgt die Klarinettenpassage, die dann bei Max furchterfülltem Blick in die Wolfsschlucht wiederkehrt, und die hier zu Agathes Thema (dem "2.Thema" der Ouverture) überleitet.
    Interessant auch das sinistre Posaunenecho der letzten beiden Töne des Agathenthemas, wenn dieses in der Durchführung von der Oboe gespielt wird.
    Die abrupte Wende zum Jubel fand ich auch immer etwas plötzlich. Der Spuk ist einfach vorbei, es wird keine Wendung "erarbeitet". (Passt m.E. zur deus ex machina Deutung, aber ich würde die Ouverture ungern deutungsmäßig überfrachten.)

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Doch beim Anblick der Totenkrone schlägt die heitere Stimmung in Moll um. Das dürfte ernst gemeint sein, als Vorbote eine Unglücks.

    Eines ausbleibenden Unglücks, wohlgemerkt.



    Nach Lynkeus ist, wenn ich recht verstehe, der Eremit überflüssig. Kaspars Plan scheitert nicht an Schutz durch geweihte Rosen, sondern er erhält die Quittung dafür, dass er sich verkalkuliert und Samiel betrogen hat.

    Absolut richtig verstanden. Da aber, sinngemäß nach Aristoteles, zur Vollkommenheit des Ganzen nichts Überflüssiges enthalten sein darf, erfolgte meine Überlegung, ob sich das Auftreten des Eremiten anders erklären lässt, die schließlich in obiger Lesart mündete. (Als eine von vielen möglichen Lesarten.)



    Nach Libretto ist aber klar, dass zunächst Agathe tatsächlich getroffen wird

    Das sehe ich nicht so. Denn während ein Teil der Anwesenden singt: „Er traf die eig’ne Braut!“, stellen andere fest: „Der Jäger stürzte vom Baum!“, um schließlich gemeinsam ihre Unkenntnis darüber, wer denn nun tatsächlich getroffen wurde, zu äußern: „Kaum will es das Auge wagen, wer das Opfer sei, zu seh’n.“
    Das gleichzeitige Niederstürzen von Agathe und Kaspar spielt natürlich mit den Erwartungen des Publikums und hat spannungssteigernde Funktion. Ich erklärte es mir aber schon immer so, dass Kaspar der Getroffene ist und Agathe lediglich infolge einer durch vermeintlich böse Vorzeichen verursachten Überreiztheit in Ohnmacht fällt; im Glauben, getroffen zu sein.



    ... mein Interesse [...], die Diskussion über die Deutung des Freischütz-Finales durch eine musikalische Analyse voranzubringen

    Lieber Caruso, ich hoffe du und auch andere Forianer können das von dir genannte Interesse tatsächlich durch musikalische Analyse voranbringen. Ich bin ja weit davon entfernt, Behauptungen aufstellen zu wollen. Unsere Diskussion ist ergebnisoffen. Bisher scheint es mir, als sei die von mir vorgeschlagene Lesart zulässig, aber nicht intendiert. Wahrscheinlich wird die musikalische Analyse nichts zu ihrer Untermauerung beitragen; wie spannend jedoch, träffe Gegenteiliges zu. Aufschlussreich wäre in diesem Zusammenhang sicher auch Webers Verhältnis zum Glauben. Weiß darüber jemand etwas?



    Man muss ja auch nicht an den fliegenden Holländer und Tarnkappen glauben, um die entsprechenden Opern ernst zu nehmen.

    Soll das heißen, dass es in Wirklichkeit gar keine Tarnkappen gibt? 8| Dann habe ich gestern nicht nur hundert Euro in den Sand gesetzt, sondern mich anschließend ja auch richtig blamiert. :P

    "Geduld und Gelassenheit des Gemüts tragen mehr zur Heilung unserer Krankheiten bei, als alle Kunst der Medizin." (W.A. Mozart)

  • Ich habe das Finale nicht ausreichend präsent, um zu beurteilen, inwiefern die Handlung musikalisch konterkariert werden könnte. In der harmonischen Sprache der Zeit ist C-Dur die einzig mögliche Auflösung für c-moll (d.h. ein c-moll Stück kann nur in c-moll oder C-Dur enden) und Es-Dur natürlich als Terztonart auch ganz nah verwandt. Die Themen der Ouverture werden üblicherweise nach ihrem späteren Auftreten musikalisch gedeutet: das erste Thema des schnellen Teils, was bei Maxens "mich umgarnen finstre Mächte" wieder auftaucht wird Samiel und das Klarinettenthema Agathe (ihre Arie steht auch in Es-Dur) zugeordnet. Nach dem ersten Themenkomplex folgt die Klarinettenpassage, die dann bei Max furchterfülltem Blick in die Wolfsschlucht wiederkehrt, und die hier zu Agathes Thema (dem "2.Thema" der Ouverture) überleitet.
    Interessant auch das sinistre Posaunenecho der letzten beiden Töne des Agathenthemas, wenn dieses in der Durchführung von der Oboe gespielt wird.
    Die abrupte Wende zum Jubel fand ich auch immer etwas plötzlich. Der Spuk ist einfach vorbei, es wird keine Wendung "erarbeitet". (


    Danke, lieber Johannes, dass Du Dir die Mühe machst, meinem Argument nachzugehen, und dass Du Dir die Tonartendramaturgie genauer anschaust.


    Deine Beobachtungen liegen ja durchaus auf der Linie, die ich kurz angedeutet hatte. Ob es richtig ist, das C-Dur als "einzig mögliche Auflösung" für c-moll zu sehen, könnte ich für diese Zeit nicht unbedingt behaupten. So groß die Orientierung an Beethoven auch noch ist, sucht man nicht gerade in den harmonischen Strukturen und Zuordnungen neue Wege?
    Aber da müsste man mal eingehender Material sichten..... Und was heißt eigentlich Auflösung? Es geht doch eher darum, aus der einen Welt in eine andere zu kommen.


    Mich würde aber mal interessieren, wieso Du darauf verzichtest, den Tritonus im Finale zu betrachten. Siehst Du in dieser sonderbaren übermäßigen Quarte nicht einen Schlüssel für die Deutung des C-Dur-Finales?


    Mit besten Grüßen


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • @ Johannes Röhl

    Ich bin verwundert, dass Du es nicht für nötig hältst, meine Frage wenigstens aufzunehmen. Sie passt wohl so gar nicht in Dein Deutungsmuster?


    Gruß


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

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