Darf ein Klassikfan "fremdgehen?"

  • Liebe Taminos,


    angeregt durch Meinungen in verschiedenen Threads (z.B. was ist Klassikpublikum") glaube ich, daß eine gesonderte Diskussion darüber nicht schaden kann, ob ein absoluter Klassikfan musikalisch "fremdgehen" kann. Ist es verwerflich, wenn ein Opern- und Konzertfreund auch einmal zu einem Rockkonzert geht oder Andre Rieu besucht?


    Sicher, es gibt Musikfreunde, die bereits am frühen Morgen in der Lage sind, beim Autofahren oder während des Frühstückes Bruckner zu hören und die zum Teil bedauernd oder verächtlich auf diejenigen schauen, die im Radio bei Schlagern hängenbleiben. Aber genauso gibt es vorwiegend unter der Jugend Anhänger der verschiedensten Rockrichtungen, denen es gar nicht einfallen würde, einmal Beethoven zu hören. Sind das schlechtere Menschen?


    Ältere Menschen bevorzugen oft Volksmusik (wobei ursprüngliche Volksmusik nichts mit Hansi Hinterseer zu tun hat, sondern z.B. vorwiegend im Alpenraum als Hausmusik gemacht wird) oder Schlager, sind aber unter Umständen durchaus bereit, ins Theater zu gehen und vorwiegend leichte Kost zu erleben. Was unterscheidet sie von einem Klassikfan (-fanatiker)?


    Ist es eine Frage des Alters, der musikalischen Bildung, der Erziehung im Elternhaus, ob jemand sich einseitig für eine Musikrichtung entscheidet? Ich meine, daß ein Musikfreund, dessen Geschmack eindeutig auf Klassik jeder Art gerichtet ist, auch die Möglichkeit wahrnehmen darf, einmal "fremdzugehen". Jahrelang habe ich es vermieden, in ein Konzert mit "leichter Musik" zu gehen. Aber tun das Wiener am Neujahrstag nicht auch? Enttäuscht durch die Zerstörung von Sehgewohnheiten durch das Regietheater bin ich doch einmal in ein Konzert von Andre Rieu gegangen. Ich wußte, was mich erwartet - Unterhaltung auf doch recht hohem Niveau. Und ich wurde im Gegensatz zu mancher Opernaufführung nicht enttäuscht. Rieu brachte die 6000 Mann im Saal zum Kochen, natürlich durch geschickte Animation, aber auch durch die Bereitschaft der Zuschauer, darauf einzu gehen. Ich habe mich danach beschwingt gefühlt, und nicht schuldbewußt.


    Wie geht es anderen Taminos, wie geht Ihr mit dem musikalischen "Fremdgehen" um?


    Viele Grüße von La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Sicher, es gibt Musikfreunde, die bereits am frühen Morgen in der Lage sind, beim Autofahren oder während des Frühstückes Bruckner zu hören und die zum Teil bedauernd oder verächtlich auf diejenigen schauen, die im Radio bei Schlagern hängenbleiben. Aber genauso gibt es vorwiegend unter der Jugend Anhänger der verschiedensten Rockrichtungen, denen es gar nicht einfallen würde, einmal Beethoven zu hören. Sind das schlechtere Menschen?

    Ohne Frage - ja!!!!



    Ist es verwerflich, wenn ein Opern- und Konzertfreund auch einmal [...] Andre Rieu besucht?

    Ja, definitiv!


    Gut, also Spaß beiseite -


    ich bin aber tatsächlich der Auffassung, dass sich ab einer hochgradigen Identifizierung einer Person mit klassischer Musik der Besuch von André-Rieu-Veranstaltungen automatisch ausschließt; schlicht, weil das Interesse an dieser Art von vollkommen durchkommerzialisierter und seichter Unterhaltung dann nicht gegeben sein kann. Warum Rieu hören, wenn ich mich seriös vom schweren Alltagsgeschäft mit Bruckner, Brahms, Mahler und Wagner "erholen" (warum eigentlich? - sind die Genannten nicht ein unstillbarer Quell der Freude, quasi ein Jungbrunnen der Seele und des Gemüts?) kann: nämlich mit der gehobenen Unterhaltungsmusik des späten 19. Jahrhunderts: Johann Strauss, Julius Fucik oder Emmerich Kalman, um nur drei Beispiele zu nennen. Rieu macht doch auch nichts anderes, als die Walzer von Strauss in bearbeiteter Form wiederzugeben - warum nicht gleich das - wohl in jedem Fall bessere - Original hören?


    Es ist schon richtig, dass man (ich) oft nicht gleich morgens um 7 Bruckners Siebte hören möchte. Aber eine CD aus "Mozarts Contemporaries"-Reihe bei CHANDOS, oder eine Symphonie Haydns, Mozarts, Beethovens, Schuberts, Schumanns, Mendelssohns, Gades (womit wir schon tief im 19. Jahrhundert stecken) geht bei mir immer. Von den werken der Barockmeister gar nicht zu reden. Mit einer Aufnahme mit Konzerten Bachs, Vivaldis oder Faschs im Auto zur Arbeit zu fahren? - Ein unaussprechliches Vergnügen, das mich regelmäßig wappnet gegen die pubertären und postpubertären Irrungen und Wirrungen, denen ich im Laufe des dann folgenden Vormittags (manchmal auch Nachmittags) ausgesetzt sein mag.


    'Fremdgehen' habe ich nicht nötig. Ich muss mir noch nicht einmal woanders Appetit holen - zu Hause gibt's genug zu essen (um etwas schräg - zugegeben - im Bilde zu bleiben).


    Wenn man wirklich eintaucht in die Welt der Klassik, dann ist es nicht mehr nötig auf andere Felder auszuweichen - die klassische Musik bietet ein solches Übermaß an Stilen und Gattungen, dass anderes einfach keine Chance hat.


    Grüße,


    Garaguly

  • Ein wenig ratlos lese ich diesen Beitrag. Ist das ein Scherz?? Wie soll ich mich dazu äußern? Ist es tatsächlich ernst gemeint? Ach Du lieber Himmel - das wäre ja schrecklich!



    Ist es verwerflich, wenn ein Opern- und Konzertfreund auch einmal zu einem Rockkonzert geht oder Andre Rieu besucht?

    Verwerflich? Bitte, was ist denn das für eine Kategorie? Und wer soll darüber werten dürfen?



    Aber genauso gibt es vorwiegend unter der Jugend Anhänger der verschiedensten Rockrichtungen, denen es gar nicht einfallen würde, einmal Beethoven zu hören. Sind das schlechtere Menschen?

    Diese Frage kann (= d a r f !) nicht ernst gemeint sein. Ich schwanke zwischen starkem Lachen und blankem Entsetzen, weil ich nicht weiß, wie ich das einzuschätzen ist...



    Ältere Menschen bevorzugen oft Volksmusik...oder Schlager, sind...bereit, ins Theater zu gehen und vorwiegend leichte Kost zu erleben. Was unterscheidet sie von einem Klassikfan (-fanatiker)?

    Von einem Klassikfan, der sie auch sein können (!) wahrscheinlich gar nichts. Von einem Fanatiker hoffentlich ALLES! Fanatiker machen mir Angst, egal ob es um Musik, Salafisten, Vegetarismus oder Heimunterricht geht.



    Ich meine, daß ein Musikfreund, dessen Geschmack eindeutig auf Klassik jeder Art gerichtet ist, auch die Möglichkeit wahrnehmen darf, einmal "fremdzugehen".

    Welch' eingeschränkter und fremdbestimmter Reflex ist das?? "Fremdgehen"? Als wäre man als "wahrer" Klassikfan zwangsweise und zwanghaft nur der einen Musik zugetan...



    Jahrelang habe ich es vermieden, in ein Konzert mit "leichter Musik" zu gehen.

    Klingt wiederum nach Gehorsam und vermeintlicher Erwartungshaltung Anderer. Sehr eingeschränkt das alles, sehr unfrei. Ich entwickle ein gewisses Mitleid mit Dir...



    ...bin ich doch einmal in ein Konzert von Andre Rieu gegangen. ...Ich habe mich danach beschwingt gefühlt, und nicht schuldbewußt.

    Schön! Freut mich! Sicher, dass Du nicht zur Beichte musst? Dass Du im Fegefeuer endest? Dass Du aus Tamino ausgeschlossen wirst, wenn Du solch abgründige Neigungen offenbarst??



    Wie geht es anderen Taminos, wie geht Ihr mit dem musikalischen "Fremdgehen" um?

    WTF. Das kann doch alles nicht ernst sein... Vielleicht muss ich meine Antworten noch mal auf den 01.04. anpassen...

    „In sanfter Extase“ - Richard Strauss (Alpensinfonie, Ziffer 135)

  • Ich kann das bei meinen Mutter beobachten. Die geht regelmäßig in die Oper und ins Konzert, hört zuhause aber WDR 4. Sie würde nie auf die Idee Kommen, dem Klassiksender WDR 3 zuzuhören. Kurze Nachfrage zum Rieu Konzert: geht das Publikum da wirklich immer so mit, wie es im Fernsehn gezeigt wird? Manchmal hab ich den Eíndruck, dass das doch alles sehr gestellt wirkt. In den 80er Jahren habe ich mich schon für klassiche Musik interessiert, aber die Dortmunder Westfahlenhalle war trotzdem mein "2. Zuhause". Viele waren dann z.B. bei einem Eagles oder Tina Turner Konzert erstaunt, wenn ich erzählt habe, dass ich in die Oper gehe. Ich denke mal, dass es hauptsächlich auf das Elternhaus ankommt, für welche Musikrichtung man sich interessiert. Bei mir war es so, dass meine Eltern ein Opernabo hatten und mich dann einfach mitgenommen haben.

  • Ist es verwerflich, wenn ein Opern- und Konzertfreund auch einmal zu einem Rockkonzert geht?

    Nein, überhaupt nicht, weil auch diese Musik, so sie denn gut gemacht ist, in vielem einen gewissen Kultstatus erreicht hat und somit eine selbstverständliche Daseinsberechtigung. Viele Bands haben mit einigen Superhits tatsächlich Musikgeschichte geschrieben. Und man kann dazu stehen wie man will, dies ist unbestreitbar nicht wegzudiskutieren! Ich werde einen Besuch bei solch einem Rockkonzert weder verschämt verschweigen, noch mich etwa dafür entschuldigen, ganz sicher nicht.



    Ich meine, daß ein Musikfreund, dessen Geschmack eindeutig auf Klassik jeder Art gerichtet ist, auch die Möglichkeit wahrnehmen darf, einmal "fremdzugehen".

    Aber selbstverständlich, völlig Deiner Meinung. Ich finde daran nichts verwerfliches.
    Danke, lieber La Roche, für die Eröffnung dieses hochinteressanten Threads, der hoffentlich zu großer Diskussion führt.
    Soeben bin ich geputzt und rasiert aus der Dusche gekommen, der gute Zwirn liegt bereit und ich warte auf meinen Freund. Dann werden wir noch gemütlich Kaffee trinken und danach geht es ab nach Dresden in die Semperoper. Ich freue mich und bin gespannt auf den "Rigoletto" und gehöre heute zum Klassikpublikum. Aber genauso würde ich mich freuen, wenn nächste Woche oder morgen ein Konzert der Rolling Stones wäre, wie ich gestern bereits schrieb. Aber hallo, da wäre ich aber dabei !!! Die Stones habe ich dreimal live erlebt und ich kann nur sagen, dankbare Erinnerungen, die ich nicht vermissen möchte. Es ist ja da auch nicht nur die tolle Musik, hinzu kommt auch noch eine phänomenale und gigantische Bühnenshow mit Lichteffekten, Feuerwerk und alles computergesteuerte Technik. Was da für eine logistische Planung dahintersteckt... Die Kulissen der Bühne erfordern unglaubliche 100 LKW zum Transport. (Beim Rigoletto heute abend werden wohl zwei LKW reichen).



    Ist es eine Frage des Alters, ob jemand sich einseitig für eine Musikrichtung entscheidet?

    Ich sage nein! Der Beweis sind wir selbst. Denn so ganz taufrisch und jugendlich sind wir ja nun auch nicht mehr. Es ist eine Frage in der persönlichen Entwicklung und dem Erkennen von Interessen und der daraus resultierenden Vielseitigkeit. Es ist auch ganz sicher eine Frage der Lebensfreude, der eigenen Energie und somit auch der Lebensphilosophie. Ganz wichtig: "Jegliches hat seine Zeit"!!!



    wie geht Ihr mit dem musikalischen "Fremdgehen" um?

    Ich mache mir da keine Gedanken und halte das nicht für "musikalisches Fremdgehen". Abwechslung, vielseitige Interessen und sich damit, jedes für sich intensiv beschäftigen und solide Kenntnisse und Geschmack erwerben, sind auch hier ein Zauberwort.
    Wie jeder andere, habe auch ich bestimmte bevorzugte Lieblingsspeisen. Und doch möchte ich die nicht jeden Tag haben. Wie köstlich schmeckt auch mal ein richtig gut gemachter Eintopf!!!

    Jegliches hat seine Zeit...

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  • Abwechslung, vielseitige Interessen sind auch hier ein Zauberwort.
    Wie jeder andere, habe auch ich bestimmte bevorzugte Lieblingsspeisen. Und doch möchte ich die nicht jeden Tag haben. Wie gut schmeckt auch mal ein richtig gut gemachter Eintopf!!!


    Man kann das mit der Abwechslung aber auch kritisch sehen. Zu viel Abwechslung und Vielseitigkeit verhindern Konzentration und Vertiefung. Man kann nicht auf allen Hochzeiten tanzen - um im Bereich der Volksweisheiten zu bleiben.


    Grüße,


    Garaguly

  • Zu viel Abwechslung und Vielseitigkeit verhindern Konzentration und Vertiefung.


    Nein. Es ist eine Frage der eigenen Fähigkeit und des Willens sich konzentriert auf das jeweilige Ereignis einzustellen. Jetzt und heute freue und konzentriere ich mich auf den bevorstehenden Rigoletto. Ich hätte nicht das geringste Problem morgen ein Konzert der Stones zu besuchen. Die Art der Freude und der Erwartung sind selbstverständlich jeweils anders und dem Ereignis angepaßt. Aber wie gesagt, kein Problem damit.


    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Nein. Es ist eine Frage der eigenen Fähigkeit und des Willens sich konzentriert auf das jeweilige Ereignis einzustellen. Jetzt und heute freue und konzentriere ich mich auf den bevorstehenden Rigoletto. Ich hätte nicht das geringste Problem morgen ein Konzert der Stones zu besuchen. Die Art der Freude und der Erwartung sind selbstverständlich jeweils anders und dem Ereignis angepaßt. Aber wie gesagt, kein Problem damit.
    Herzliche Grüße
    CHRISSY


    Da möchte ich aber doch widersprechen - wenn ich mich heute mit Oper, morgen mit Rockmusik und übermorgen mit HipHop beschäftige, dann bin ich am Ende in keiner der drei Welten auch nur im Ansatz beheimatet - naja, oder vielleicht eben gerade nur im Ansatz, verbleibe also in einer eher konsumtiven Haltung, gewinne über keines der Felder eine solches Wissen, erlange in keinem eine solche Erfahrung, wie es zur geistigen wie emotionalen Durchdringung eines Feldes tatsächlich nötig ist. Je tiefer etwas dann durchdrungen ist, desto größeren Gewinn ziehe ich dann aus der erneuten Beschäftigung mit demselben Feld, denn es werden neue Aspekte sichtbar, die mir verschlossen blieben, wechselte ich ständig das Beschäftigungsfeld.


    Grüße,


    Garaguly

  • Aber ich lese ja z,B. auch nicht nur ein Buch oder schaue mir zu einem bestimmten Thema eine Fehrnsehsendung an. Ich finde es schon wichtig das man sich für die verschiedenen MusikRichtungen interessiert. Ich bin vor Jahren auch mal mit meiner Freundin auf ein " Toten Hosen Konzert " mitgegangen, hab dann aber schnell festgestellt das diese Musikrichtung nicht die meinige ist. In der Kölner Philharmonie z.B. habe ich schon häufig die Black Föös oder Höhner erlebt. Das waren auch immer sehr schöne Konzerte. Zuhause würde ich mir aber nie eine CD von den Gruppen anhören.

  • Also ich gehe schon davon aus, daß hier im Titel ein gewisser humoristischer Unterton verborgen ist.
    Man könnte die Frage natürlich auch anderes formulieren: Welcher Klassikfreund hat überhaupt das Bedürfnis "fremdzugehen" ?
    Die Antwort auf diese Frage wird natürlich heute anders ausfallen als vor 20 Jahren, wo das Lebensgefühl ein anderes war. (oder ist das vielleicht schon ein bisschen länger her...??)
    Ich kann hier nur über eigene Verhaltensweisen berichten. In meiner Jugend habe ich fast ausschließlich klassische Musik gekauft. Für anderes war mir das Geld zu schade. Wobei es stets Ausnahmen gab. Simon & Garfunkel beispielsweise oder Joan Baez. Da gab es Schallplatten davon in meiner Sammlung. Konzerte hätte ich jedoch nie besucht. Das Hören von Schlagern als seichte Berieselung habe ich stets praktiziert. Und es gab Momente, wo ich Klassik gemieden habe, etwa 1980 wo ich unter so etwas wie Panikattacken litt - da habe ich den Jazz schätzen gelernt.
    Heute höre ich- wenn auch selten - Schlager der 20er und dreißiger Jahre (meine nostalgische Ader), dann "große Orchester wie Billy Vaughn (mein Favorit), Bert Kaempfert , Paul Mauriat, Pasadena Roof Orchestra.
    Kommen wir zu André Rieu. Die Zorn der Klassikgemeinde richtet sich vorzugsweise gegen ihn, weil er einem gewissen Publikum vorgaukelt, sie bekämen "klassische Musik" zu hören. Er "mißbraucht" also "unsere" Musik.
    Ich würde allerdings davon ausgehen, daß "sein" Publikum für die Klassik ohnedies verloren ist - und wenn nicht: Umso besser. An sich ist er aus meiner Sicht mehr Entertainer als Musiker - und wenn er in jeder Stadt, wo er zu Gast ist den Leuten erzählt, daß gerade ihre Stadt "eine der schönsten der Welt" sei - und das Publikum dies mit jubelndem Applaus quittiert, dann sagt das mehr über das Publikum aus, als über den Entertainer.
    Ich habe mir vor einigen Jahren jene Wiener Sendung vom Michaelerplatz angesehen.
    Ursache war, daß ich (mein Arbeitsplatz ist relativ nahe) zusehen musste, wie dort die historischen Straßenlaternen abmontiert wurden, um den Aufbau der Bühne zu ermöglichen (sie wurden einige Tage später wieder an ihre Stelle gesetzt)
    Welch ein Aufwand ! Welche Summen müssen hier geflossen sein um allein die Genehmigung zu erwirken !!! - in einer Stadt wo so ziemlich alles verboten ist.
    Aber Herr Rieu machte es möglich. So interessierte ich mich, was denn hier WIRKLICH geboten wurde.
    Über die musikalische Qualität und die Programmzusammenstellung werde ich an dieser Stelle kein Wort verlieren - aber der Entertainer hat SEIN Publikum bestens im Griff - und das ist das Beste was man über einen Entertainer sagen kann...
    SEINE Musik tangiert mich nicht, sie tut mir nicht weh - warum sollte ich abfällig über ihn reden.
    Er benutzt auch keine klassischen Konzertsäle - unterscheidet sich auf diese Weise wohltuend vom Regietheater, welches gute Inszenierungen aus den Opernhäusern verdrängt...


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Die Frage kann sich schon jeder selbst beantworten der festgestellt hat, dass Klassik nicht gleich Klassik ist. Da ist es bei vielen ja so, dass sie mit Instrumentalwerken für große Orchester anfangen. Irgendwann stellen sie vielleicht fest, dass sie sich glücklich schätzen können, diese oder jene Vokal-, Chor- oder Kammermusikwerke kennengelernt zu haben.
    Den Gedanken kann man nun weiterspinnen. Ich kann froh sein, dass ich Murcof oder Autechre kenne und ich bin zum Beispiel besonders froh, dass ich mal neulich des Nachts krank im Bett lag und zufällig im Fernsehen "Radiohead - live from the basement" sah - so lernte ich deren Musik kennen.
    Oder ein anderes Mal war ich dankbar, dass mir jemand "Dido und Aeneas" als Einstieg in die vokale Branche genannt hat.


    Alles genieße ich sehr und das ist es, worauf es subjektiv ankommt. Dass die Aufmerksamkeitsspanne und Konzentration unterschiedlich sein muß, ist ja klar. Manches großes klassisches Werk erschließt sich erst nach merhmaligem Hören; dann liegt es sonnenklar vor einem und wird ein Hochgenuss. Ein Stück elektronischer Musik von 4 Minuten ist sicher von anderer Komplexität.


    Alles kein Problem. Vielfalt hat nichts mit Beliebigkeit zu tun, wenn man sich den einzelnen Elementen der Vielfalt gebührend widmet. Und "konsumptive Haltung" erkenne ich frühestens, wenn ein angemessener Grad (diskutierbar) an Aufmerksamkeit und Auseinandersetzung unterschritten ist. Auf allen Hohzeiten kann ich auch nicht tanzen. Aber auf so vielen, dass es dann auch gut wird.


    Das André Rieu-Phänomen gibt es in vielen Branchen. Das kenne ich aus der IT oder auch der IDM-Musikszene: Jemand kommt her, nimmt irgendwelche Rosinen aus dem Kuchen aus dem Kuchen und bietet sie zum Konsum an - die Konsumenten meinen nun, sie kennen das Bäckerhandwerk, weil sie Rosinen gegessen haben. Und verprellen so die Kuchenkonsumenten.
    Bei der elektronischen Musik hatten wir sowas auch. Da gabs schönen Fortschritt und Innovation aus England, und dann kamen die ganzen Loveparade-Knaller um die Ecke und Frankfurt Techno usw... und es ist tumb geblieben und entwickelte sich nicht weiter. Das verletzende war dann eben, dass die Nichtkenner dann sagten "hey, Du hörst doch Techno, sowas wie auf der Love parade?" NEEEEIN! "Hey, Du bist doch Klassikfreund, liebst also André Rieu, Paul Potts und Frau Mutter usw???" AAAARGH!


    "Nee, Schostakowitsch. Ist der Schüler von Paul Potts"

  • Aber ich lese ja z,B. auch nicht nur ein Buch oder schaue mir zu einem bestimmten Thema eine Fehrnsehsendung an. Ich finde es schon wichtig das man sich für die verschiedenen MusikRichtungen interessiert. Ich bin vor Jahren auch mal mit meiner Freundin auf ein " Toten Hosen Konzert " mitgegangen, hab dann aber schnell festgestellt das diese Musikrichtung nicht die meinige ist. In der Kölner Philharmonie z.B. habe ich schon häufig die Black Föös oder Höhner erlebt. Das waren auch immer sehr schöne Konzerte. Zuhause würde ich mir aber nie eine CD von den Gruppen anhören.


    Nein - ganz klares Nein - es ist nicht wichtig sich für möglichst viele Richtungen zu interessieren. Wenn Du, lieber Rodolfo, dies tust, weil Du Dir aus verschiedenen Musikrichtungen etwas für Dich Akzeptables herauszuziehen vermagst, dann ist das die eine - nämlich Deine - Sache. Verallgemeinern lässt sich so etwas nicht. Und um zu wissen, dass es sich für mich nicht lohnt auf ein 'Hosen-Konzert' zu gehen, weiß ich auch ohne jemals auf einem gewesen zu sein. Das hängt schlicht damit zusammen, dass ich natürlich kein Autist bin und auch sozial nicht völlig vereinsamt im Elfenbeintürmchen vor mich hin röchele. Ich bin Jahrgang 1972: alleine durch meinen Schulbesuch von 1979 bis 1993 (ja, ein Jahr wiederholt) und den Kontakt zu meinen Mitschülern und Freunden (ich war immer der einzige, der sich zur Klassik bekannte), habe ich selbstverständlich genug mitbekommen - u.a. auch die 'Hosen', denn die gab's ja damals schon (haben ja vorgestern ihr Jubiläumskonzert zum Dreißigsten in Bremen gegeben, wie den Nachrichten zu entnehmen war). Und auch nachdem ich die Schule verlassen hatte, habe ich so allerhand Musikalisches mitbekommen - fasziniert hat mich davon so gut wie nie etwas. Mein Bekenntnis war immer klar - auch nach außen: Außer Klassik kommt mir nix in die Tüte, weil es für mich die Musik ist, die (und soviel kann ich nach fast dreißig Klassikjahren nun schon sagen) zur 'Lebensmusik' geworden ist.


    Respektiert wurde das immer von allen, gemobbt hat mich deswegen auch nie einer.


    Ich frage mich allerdings, warum der Vorwurf der Einseitigkeit immer in die Richtung des Klassikhörers geht und warum man dem durchschnittlichen Popmusikkonsumenten nicht vorwirft, warum er sich nicht für Musik interessiert, die aus seinem Schema herausfällt --- aber das hatten wir vor ein paar Tagen schon in einem anderen Thread.

  • Ich finde es immer sehr bedenklich, wenn Menschen stolz darauf sind, etwas NICHT zu können, zu kennen, probiert zu haben. Es ist natürlich immer ok, etwas zu versuchen, und es dann nicht zu mögen. Aber vorher???
    Ich meine immer, Ziel des Lebens ist es, dieses immer weiter zu verkomplizieren. Jede Facette, die ich erwerbe, kann mir nützen. Und insofern widerspreche ich Garaguly, ich glaube eher, wenn man sich in seinem Elfenbeinturm tummelt, fehlt vielleicht sogar ein tieferes Verständnis für das, was dieser Turm bietet. Denn es fehlt ja immer der Vergleich! - Deshalb MUSSS ich immer wieder "fremdgehen".


    Apropos (etwas weit hergeholt jetzt): ich war in Arezzo, habe ein Spiel der Seria B gesehen mit anschließender Tifosischlägerei, dann ein Orgelkonzert in der Kirche an der Piazza und anschließend ein Essen mit Trüffeln. Und so ein Chaos ergibt einen herrlichen Tag!


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Ich finde es immer sehr bedenklich, wenn Menschen stolz darauf sind, etwas NICHT zu können, zu kennen, probiert zu haben. Es ist natürlich immer ok, etwas zu versuchen, und es dann nicht zu mögen. Aber vorher???
    Ich meine immer, Ziel des Lebens ist es, dieses immer weiter zu verkomplizieren. Jede Facette, die ich erwerbe, kann mir nützen. Und insofern widerspreche ich Garaguly, ich glaube eher, wenn man sich in seinem Elfenbeinturm tummelt, fehlt vielleicht sogar ein tieferes Verständnis für das, was dieser Turm bietet. Denn es fehlt ja immer der Vergleich! - Deshalb MUSSS ich immer wieder "fremdgehen".


    Apropos (etwas weit hergeholt jetzt): ich war in Arezzo, habe ein Spiel der Seria B gesehen mit anschließender Tifosischlägerei, dann ein Orgelkonzert in der Kirche an der Piazza und anschließend ein Essen mit Trüffeln. Und so ein Chaos ergibt einen herrlichen Tag!


    Tschö
    Klaus


    Hallo Klaus,


    Ich weiß nicht, woher diese Gewissheit kommt, mit der Du behauptest - und ja irgendwie auch verallgemeinerst - jede Facette könne das eigene Leben bereichern. Wir sind von so viel Müll (auch musikalischem) umgeben, dass ich das definitiv nicht alles probieren muss. Denn dann ginge mir ja Zeit für die wirklich guten Dinge verloren. Und glaubst Du nicht, dass es ein völlig neuer Kosmos sein kann, wenn man plötzlich sich im Rahmen der Klassik eine neue Epoche oder eine neue Gattung erschließt, die einem bisher verschlossen geblieben ist. Oder kennst Du nicht die Langwierigkeit von thematischer Beschäftigung? Da liest man mitunter ganze Bücher zusätzlich zur Musik eines bestimmten Komponisten oder einer bestimmten Epoche. Und schon ist Zeit vergangen, in der ichmich wieder nicht mit den 'Toten Hosen' (als pars pro toto zu verstehen) beschäftigen konnte. Das, was ich musikalisch nebenbei (Freunde, Parties etc.) kennenlernen durfte (und damit habe ich es ja kennengelernt), reichte mir mitunter um schlicht und einfach auch mal N-E-I-N zu sagen.


    Grüße,


    Garaguly

  • Fremdgehen? Andre Rieu hören? Rockkonzerte? Ich verstehe nur Bahnhof.


    Seit ich Musik hören durfte (wörtlich, weil ich erst fünf war), liebe ich Klassik. Eine Prägung durch das Elternhaus. Die Klassik war bei uns allerdings zweigeteilt: Vater liebte vom Barock bis zur Romantik alles (bei der Hochromantik schaltete er aber schon innerlich instinktiv ab), Mutter war ja so was von Operettenliebhaberin, daß auch diese Musikrichtung bei mir unter Klassik einsortiert ist.


    Anderes gab es nicht. Schlager waren verpönt (in englisch sowieso), die Rockn-Roll-Welle schwappte über unsere Wohnung hinweg, die späteren Musikrichtigungen dito. Ich wollte es aber auch nicht, es interessierte mich sozusagen nicht die Bohne. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Bekanntschaft mit den "anderen" Musikrichtungen hatte ich immer nur im Freundeskreis (doch, doch, die hatte ich schon!), aber wirklich Spaß hat mir nur eine Gattung
    gemacht (auch bis heute unverändert geblieben), der klassische Jazz.


    Aber Geld ausgegeben habe ich dafür nie. Freund Willi lieh mir später seine geliebten Scheiben, damit ich sie mir auf Tonband aufnehmen konnte - unter seiner Aufsicht, versteht sich (vielleicht hatte er Angst, daß mein an Klassik gewöhnter Saphir etwas falsch machen könnte?!). Die Tonbänder sind längst im Orkus der Zeit verschwunden, noch immer fehlt mir der Sinn für den Kauf von klassischem Jazz, mir fehlt ja noch so vieles im Bereich der Klassik.


    Einer erbarmte sich vor wenigen Wochen - jetzt habe ich Scheiben von Mr. Acker Bilk, Chris Barber, beispielsweise.


    Ach ja: Alfred erinnerte mich daran. Da gabs früher sowas, das nannt sich Tanzstunde. Und da liefen immer jene Musiken auf dem Plattenteller, zu denen man angeblich gut Tanzen konnte: Billy Vaughn, beispielweise. Oder auch Herb Alpert. Oder auch "The Sharks". Die waren ja sowas von guuuut! Aber eben nur lokal bekannt. Sicher, auch Bert Kaempfert - toll! Das mit dem Tanzen klappte auch wirklich, der Rhythmus geht mir ein. Aber wer will, mag es mir übelnehmen: was den Rhythmus angeht, da sticht doch jeder Walzer jedes andere Stück aus. Das ist für mich wahre Tanzfreude. Und diesen Rhythmus hat Rieu doch drauf. Aber Arrangements sind nicht meine Sache, Originale liebe ich.


    Warum sollte ich - je nach Stimmungslage - also fremdgehen? Es gibt ja nicht so viele Stimmungslagen, wie ich an Musik im Schrank habe, um meine Stimmungslagen zu befriedigen.


    Ich bin jedenfalls mit mir im Reinen!


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

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  • Natürlich hast du auch recht. Auch. Aber wie kann ich wissen, was Müll ist? Ich muss doch immer probieren, wenn ich mich ncht in Vorurteilen verrennen will. Oder mich immer auf Urteile von anderen verlassen - wie traurig!
    Ich rede ja nicht von Beliebigkeit. Für mcih ist es so, dass ich immer wieder einmal Karnevalsmusik höre, jedesmal finde ich sie schaurig, also werde ich mich nicht wirklich damit beschäftigen. Aber ich musste doch reinhören, um das zu wissen. Und wenn ein Freund mich auffordert, es doch noch einmal zu tun, weil es diesmal wirklich gut sei, dann werde ich es auch tun. (in der Gewissheit, Zeit zu verplempern , ja).
    Und ich möchte noch einmal erinnern, wie viele klassischen Komponisten sich ihre Inspiration oder auch Melodien beim "Fremdgehen" geholt haben! Volksmusik, fremde Musik, Naturklänge und was weiß ich. Wie will ich das denn alles verstehen, wenn ich mich nur in meinem Türmchen auskenne?
    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Hallo Klaus 2!


    Es gibt, wie sich wieder einmal zeigt, viele Wege zur Problemlösung. Du willst wissen, was Müll ist? Gut, dann laß' es Dir erklären, meinetwegen, indem Du hinhörst. Ich wills nicht wissen.


    Karnevalsmusik? Ich höre immer wieder Walzer- oder Marschklänge. Den Unterschied macht allerdings das
    "Orchester". Aber auch hier gilt: Wer's mag.


    Ich bin halt so ein Naturmensch, der einfach nur das hört, was er mag. Mein Türmchen gewährt mir den gewünschten Ausblick - ob ich dann greifen muß, was ich mit dem Auge (mit dem Ohr) erfaßt habe, ist im Voraus entschieden.


    So einfach und so schwer - für andere.


    Liebe Grüße vom

    .


    MUSIKWANDERER

  • Natürlich hast du auch recht. Auch. Aber wie kann ich wissen, was Müll ist? Ich muss doch immer probieren, wenn ich mich ncht in Vorurteilen verrennen will. Oder mich immer auf Urteile von anderen verlassen - wie traurig!
    Ich rede ja nicht von Beliebigkeit. Für mcih ist es so, dass ich immer wieder einmal Karnevalsmusik höre, jedesmal finde ich sie schaurig, also werde ich mich nicht wirklich damit beschäftigen. Aber ich musste doch reinhören, um das zu wissen. Und wenn ein Freund mich auffordert, es doch noch einmal zu tun, weil es diesmal wirklich gut sei, dann werde ich es auch tun. (in der Gewissheit, Zeit zu verplempern , ja).
    Und ich möchte noch einmal erinnern, wie viele klassischen Komponisten sich ihre Inspiration oder auch Melodien beim "Fremdgehen" geholt haben! Volksmusik, fremde Musik, Naturklänge und was weiß ich. Wie will ich das denn alles verstehen, wenn ich mich nur in meinem Türmchen auskenne?
    Tschö
    Klaus


    Aber lieber Klaus,


    es gibt doch ein kulturelles Wissen und Erfahrungen, die wir im Vorbeigehen quasi aufsammeln. Karnevalsmusik lernte ich durch zufälliges Fernsehenschauen in Kintertagen kennen, später (bis in die Studentenzeit hinein) landete man durchaus alkoholisiert auf den kuriosesten Karnevalsfeten - da hört man so etwas nebenbei und kann doch einordnen ob einem das zusagt und damit nach mehr verlangt oder nicht. Es ist die Kompetenz des Loslassen- oder Außer-Acht-Lassen-Könnens um die es geht.


    Grüße,


    Garaguly

  • Ich habe mich danach beschwingt gefühlt, und nicht schuldbewußt.


    Das sei Dir unbenommen und ein Schelm, wer Dir das verübeln möchte.



    ein Konzert von Andre Rieu gegangen. Ich wußte, was mich erwartet - Unterhaltung auf doch recht hohem Niveau.


    Da aber scheiden sich die Geister - Rieu und "doch recht hohes Niveau???" - da höre ich doch, wenn's mal nicht Klassik sein soll, z. B. eher "BJH" oder "Haindling" (obwohl ich Franke bin - bei denen kann sich nämlich mancher Klassik-Bläser wohl eine Scheibe abschneiden) oder"Karat", allein schon wegen der sehr guten Texte.


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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  • Liebe Taminos,


    das , was jemand als "fremdgehen" bezeichnet, lässt sich sicher nicht mit dem vergleichen, was man im allgemeinen Leben darunter versteht. Das muss wohl jeder für sich selbst entscheiden. Allein schon in der Klassik kann jemand allein mit der Barockmusik "verheiratet" sein, und da kann für ihn die Musik der Romantik bereits "fremdgehen" bedeuten und umgekehrt. Ich persönlich bin, was Klassik betrifft, sehr vielseitig interessiert, und da höre ich eben - je nach Stimmungslage - mal diese und mal jene Musik. Allerdings hat Garaguly recht, wenn er sagt, dass bei soviel Abwechslung (allein in der klassischen Musik) sicherlich etwas an Konzentration und Tiefe verloren geht. Was die Unterhaltungsmusik betrifft: Ich höre auch gerne klassische Walzer und Polkas (nicht gerade von Rieu gespielt, den ich persönlich nicht mag) und sehe auch gerne Operetten. Ich gehe auch schon mal, und war es auch erst auch erst kürzlich, in Konzerte mit klassischem Jazz. Was die Volksmusik betrifft, höre ich ältere Volksmusik auch schon mal gerne, aber nicht das, was uns heute als Volksmusik verkauft wird und nahe am seichten Schlager entlang gleitet. Was die Schlager betrifft, bei WDR 4 und ähnlichen Sendern dreht sich mir manchmal der Magen um und zu einer Veranstaltung mit Schlagern würde ich nicht gehen. Hören mag ich hingegen Tanzmusik, rein instrumental. So etwas höre ich auch im Auto, weil mir schon wegen der Konzentration und der Nebengeräusche Klassik viel zu schade ist.
    Um noch einmal auf das "Fremdgehen" zurückzukommen: Wie ich im Leben nur eine Frau habe, der ich treu geblieben bin, aber durchaus andere Frauen als nett und reizvoll angesehen habe, ohne mich in sie zu verlieben, oder auch manchmal Frauen kennengelernt habe, die mir völlig gleichgültig erschienen, so bin ich mit der - schon sehr vielseitigen - klassischen Musik "verheiratet" geblieben, wobei ich auch hier auch mal anders anschaue (anhöre), ohne dass es mich innerlich so berührt wie die Klassik und einiges eben ausschließe..


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Zit. Accuphan: "Ein wenig ratlos lese ich diesen Beitrag. Ist das ein Scherz??"


    Anders kann man die Fragestellung bei diesem Thread wohl gar nicht verstehen.
    "Fremdgehen" - welche Vorstellung vom Wesen von Musik und einer Kategorisierung derselben steht hinter einem solchen Begriff? Und welch wunderlich absurde "Moral" hinsichtlich des Umgangs mit ihr - des rezeptiven wie des aktiven?


    Wahrlich, das kann nur ein "Scherz" sein. Ganz wie Accuphan vermutet. Aber es ist kein guter!

  • Ich gehe gerade fremd auf einem Niveau, das selten von Komponisten diesseits des Barocks erreicht wird: A Meeting by the River. Ry Cooder (Gitarre) spielt mit V.M Bhatt (Mohan Vina), begleitet von Singh Namdhari (Tabla).


    Kein trauerklosiges Gebrahmse, kein beethoven´sches Herumgezappel, klare, starke, etwas exotische, verzaubernde Klänge. Noch Fragen ???


    Ach ja, die Art und Weise, wie unglaublich erhaben ihr Euch über André Rieu-Hörer fühlt, finde ich schlicht ekelhaft ! Nur kleine Geister brauchen ein klares Feindbild.

  • Ach ja, die Art und Weise, wie unglaublich erhaben ihr Euch über André Rieu-Hörer fühlt, finde ich schlicht ekelhaft ! Nur kleine Geister brauchen ein klares Feindbild.


    Lieber m-mueller,


    dieser Satz, den ich oben zitiere, ist ein klassisches Beispiel für ein Missverständnis. Ich habe hier noch nicht gelesen, dass sich jemand ernsthaft wegen seiner Klassikleidenschaft über die Hörer von André-Rieu-Musik erhebt und diese Menschen verachtet. Nein, das scheinst eher Du hineinlesen zu wollen. Aber über diese Art der Musik, wie Rieu sie präsentiert, erlaube ich mir selbstverständlich ein Urteil - und sie ist von minderem Wert als das, was Bach, Beethoven oder Mahler uns hinterlassen haben. Aber diese berechtigte Einordnung dieser Art der Musik ist nicht gleichzusetzen mit einer Abqualifizierung der Menschen, die sie gerne hören! Das ist ein sehr entscheidender Unterschied.


    Letztlich ist diese Behauptung, die hier aufgestellt wird eine Art 'Totschlagsargument'. Was? Du verachtest die Menschen, die das hören? Wie kannst Du nur? Damit ist jeder Ansatz einer Diskussion über unterschiedliche Qualitäten von Musik im Keim erstickt, wenn man die jeweilige Musikrichtung mit ihren Hörern gleichsetzt. Ist Beethovens Musik, die ich höre, idiotisch, nur weil ich - ihr Hörer - vielleicht in manchen Augen einer bin? Wohl kaum.


    Grüße,


    Garaguly

  • Fremdgehen in der Musik (besonders der sog. klassischen) ist wahrscheinlich nicht der richtige Ausdruck für die Reichhaltigkeit, die es inder Musik gibt. Ich unterscheide nicht, ob es E oder UMusik ist, sondern nur, ob es gute Musik oder nicht ist. Aber auch "nicht gute Musik" kann kurzfristig ihre Reize haben.


    Ich habe kein schlechtes Gewissen, wenn ich manchmal Frank Sinatra oder Reinhard May höre. Oder anderes. Hauptsache ist doch, es gefällt mir. Und ich habe kein schlechtes Gewissen, auch Karnevalsmusik manchmal - je nach Stimmung und Laune - zu hören.


    Meinen Geschmack lasse ich mir nicht schlechtreden! Von niemandem!


    Liebe Grüße -


    Erich

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  • Ich verstehe die Eingangsfrage nicht. Oder welche Problematik dahinterstecken soll. Soll doch jeder die Musik goutieren, die ihm gefällt. Auch wenn ich zurzeit die Böhm-"Nozze" im Rekorder habe und gerade die te Kanawa ein überirdisch-berückendes Porgi amor zauberte - warum sollte ich mich stigmatisieren oder garagulysieren lassen, wenn ich anderntags einen von mir geliebten Western Song mit Frankie Laine oder eine Scheibe mit dem charismatischen Stéphane Grappelli oder den nicht weniger charismatischen Louis Armstrong rotieren lasse?


    Allerdings: Weiter oben wurde die Frage gestellt, was denn Müll sei. Da kann ich nur raten, den Fernseher aufzudrehen - aus unzähligen Kanälen quillt wie stinkender Unrat diese peinigende, elektronisch fabrizierte Ohrenpein heraus, garniert mit kreischenden, röchelnden, kehlkopfgeschädigten Stimmkrüppeln. Diese Seuche hat schon derart apokalyptische Ausmaße erreicht, daß diese akustische Umweltverschmutzung jedes zaghafte Aufkommen anspruchsvoller Musik im Keim erstickt.


    Kurz gesagt: Ich vermisse äußerst schmerzlich eine Ausgewogenheit der Musikangebote in den diversen Medien!

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Kurz gesagt: Ich vermisse äußerst schmerzlich eine Ausgewogenheit der Musikangebote in den diversen Medien!


    :jubel::jubel::jubel::jubel: incl. mutierter ZDF-Kultur-Kanal


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • warum sollte ich mich stigmatisieren oder garagulysieren lassen ....


    Schade,


    noch einer, der nicht richtig lesen will. Jetzt noch einmal zum mitbuchstabieren: Es geht nicht um die Menschen, die irgendeine Art von Musik hören, sondern es geht um die Qualität verschiedener Arten von Musik - und da der Threaderöffner die 'Musik' André Rieus ins spiel brachte, äußerte ich meine Meinung zu dieser Art von Musik. Des Weiteren äußerte ich, dass ich auch dem Punkrock der 'Toten Hosen' nichts abgewinnen kann. Über andere Musiker oder Musikrichtungen habe ich noch gar nichts von mir gegeben. Also, Milletre, von den Künstlern, die Du anführst, war noch gar nicht die Rede - und von Dir im Übrigen auch nicht - deshalb wirst Du auch nicht garagulysiert, gelle!!


    Grüße,


    Garaguly

  • Kann man sich nicht zuerst die Frage nach dem Sinn der Musik stellen?


    Rieu ist ein Verführer, der die Musik benutzt um ein Gefühl zu erzeugen, eine Gemeinschaftserlebnis, die Musik ist auf Stimmungsmache reduziert.


    Wozu wurde Marschmusik komponiert? Damit Soldaten leichter in den Tod laufen.


    Es gibt Musik, die nur für sich selber existiert. Musiker, die diese Musik interpretieren und diese spielen , weil sie nur aus sich selber existiert.


    Diese Authenzität liebe ich. Und Beethoven hat Stücke komponiert in einer Vielfalt und Individualität das man nur mit Mitleid auf ganze Popgenre blicken kann.


    Authenzität liegt oft im Ursprung einer neuen Musikidee und ist nicht auf die Klassik beschränkt.

  • Als Eröffner dieser Diskussion freue ich mich über den regen Zuspruch.


    Ich bekenne mich eindeutig zur Meinung unseres Administrators Alfred zum Phänomen Rieu. Jeder, der den Wiener Walzer mag und kennt, wird feststellen, daß Rieu das anders spielt als die Philharmoniker im Neujahrskonzert. Er legt Wert auf unangemessene Pausen, überzieht manche Phrase, legt Wert auf Showeffekte. Aber er verfolgt konsequent seinen Stil! Jeder, der ein Konzert mit ihm besucht (und es sind nicht selten mehr als 10 000 Mann pro Konzert!), der weiß, was ihn erwartet. Und nie wird er enttäuscht werden!! Er spielt sein vom Publikum erwartetes Programm in der erwarteten Qualität ab, und das Publikum ist nicht sauer, dafür 50,- bis 80,- Euro ausgegeben zu haben. Sie gehen glücklich und zufrieden nach Hause.


    Und was passiert immer häufiger dem Opernfreund? Er freut sich auf seine Lieblingsoper, gedenkt früherer Aufführungen. Er zieht den dunklen Anzug an, die Frau ein schönes Kleid. Dann kommt er ins Theater, sieht (leider) immerhäufiger Zuschauer in der gleichen Kleidung wie auf dem Arbeitsweg. Dann öffnet sich der Vorhang zu einer Verdioper, und auf der Bühne stehen Plastikmöbel, Fernseher dudeln, der Chor läuft mit Kalaschnikows herum, und wenn es ganz große Kunst werden soll, muß einer in der Ecke neben einer Blutlache pinkeln gehen. Der Opernfreund wird in seiner Erwartungshaltung enttäuscht!! Klar, er kann sich im Internet über die Inszenierung informieren und sich deshalb auch für eine "schlechte Laune-Aufführung" entscheiden, weil er wieder einmal Live in der Oper sein will.


    Da hat der Rieu-Anhänger Vorteile. Ich kenne aus unserer Stadt unendlich viele ehemalige Theaterfreunde, die nun leichtere Kost bevorzugen, bis hin zu Peter Kraus oder Udo Jürgens. Und nie habe ich von denen gehört, daß es schlecht war. Aber ich höre genausooft Klagen darüber, daß sie das Theater vermissen, durch die gegenwärtig noch immer anhaltende Regietheaterkatastrophe davon abgehalten werden.


    Deshalb soll es jedem gestattet sein, sein Geld für die Unterhaltungsform auszugeben, die ihm das bring, was man heutzutage am Nötigsten hat - gute Laune und keinen Frust!!


    Übrigens mag auch ich Billy Vaughn und seine Nachahmer (schließlich war ich ja selbst einmal Saxophoner), und auch Oldtime-Jazz ist Super (Mister Ackerbilk oder Chris Barber gehören da eigentlich schon nicht mehr hin, obwohl ich beide auch Live erlebt habe - und schon wieder fremd gegangen bin).


    Mein Vater sagte immer "Jeder soll nach seiner Fasson selig werden." So ist es und so wird es bleiben. Nummer 1 bei mir ist immer Klassik (nur ein Endspiel Bayern : Barcelona hätte Vorrang), und wenn ich die Wahl hätte, am gleichen Tag eine gute, auch von der inszenierung her passende Oper oder ein Rieu-Konzert zu besuchen, dann würde die Klassik immer gewinnen (ich hoffe auch auf die Bayern, aber erst kommt Real). Das würde mich aber nicht hindern, 3 Tage später zu Jimmy Kelly (ein toller Sänger) oder den Höhnern bzw. den toten Hosen zu gehen.


    Viele Grüße von La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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