"Pseudonymous Performers".

  • Wenn man heute auf Flohmärkten oder Antiquariaten amerikanische Schallplatten findet, auf denen Opern- oder sonstige Klassikaufnahmen sind, die angeblich in Europa aufgenommen wurden, die Interpreten uns aber völlig unbekannt sind (aber vielleicht ähnlich klingen wie prominente Künstler), handelt es sich oft um sogenannte "PSEUDONYMOUS PERFORMERS".


    Aufnahmen von MMS/Concert Hall wurden hier schon genannt, aber dort sind es nur Ausnahmen: Künstler, die anderweitig vertraglich verpflichtet waren, wurden unter falschen Namen aufs Plattenetikett gedruckt.


    In den folgenden Beiträgen soll näher auf dieses Thema eingagangen werden, ausgelöst durch eine Frage in der "Plauderecke".

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Interessantes Thema.


    Gibt es irgendwelche Chancen, die richtigen Künstler ausfindig zu machen? Vielleicht plauderte der eine oder andere ja Jahre später darüber.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • (...) Aufnahmen von MMS/Concert Hall wurden hier schon genannt, aber dort sind es nur Ausnahmen: Künstler, die anderweitig vertraglich verpflichtet waren, wurden unter falschen Namen aufs Plattenetikett gedruckt.

    War das grundsätzlich so? Ich erinnere mich, daß mein Vater lange Jahre bei Concert Hall Mitglied war und auf diese Weise an durchaus preiswerte Platten kam - zumindest war das sein Argument. Damals hatte er in diesem Ring eine Zauberflöten-Aufnahme, dirigiert von Alexander Krannhals, und Bachs h-Moll- Messe (könnte sein von Walter Goehr dirigiert) gekauft. Wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, waren die Interpreten durchaus mit ihren richtigen Namen genannt: Mattiwilda Dobbs, Pierette Alarie und Leopold Somineau fallen mir da als einzige ein - soviel ich weiß als Solisten der h-Moll-Messe. An die Zauberflöten-Sänger/Innen kann ich mich nicht mehr erinnern...


    LG vom

    .


    MUSIKWANDERER

  • Mit dem Thema habe ich mich vor Jahrern intensiv befasst, habe auch damals in Fachzeitschriften geschrieben, das Thema irgendwann aber fallengelassen, da ich keine Möglichkeiten weiterer Recherchen in den USA hatte. Andere haben das Thema aber aufgegriffen und weiterverfolgt, sodaß jetzt die meisten Fälle gelöst sind.


    Hier im Forum hatte Freund Wolfgang von einem Flohmarkt-Schnäppchen "Hoffmanns Erzählungen" berichtet:

    Ich habe heute auf dem Speicher einige Platten gesucht und bin auf eine sehr interessante Gesamtaufnahme der "Hoffmanns Erzählungen" auf 3 LP gestoßen. Leider kann ich nirgends ein Aufnahmedatum entdecken. Es handelt sich um eine ältere Aufnahme der Dresdner Staatsoper, unter der Ltg. von Karl List. Die Hauptrollen singen: Hoffmann: WILHELM HORST; Niklaus: HERTHA SCHENK; Stella: ELLY VON KOVATSY; Olympia: INGE CAMPHAUSEN; Giulietta: ERNA NIEHAUS; Antonia: HELGA ZACK; Lindorf: FRITZ JUNGMANN; Coppelius: GERHARD SCHNEIDER; Dapertutto: HEINRICH NEUWALD; Mirakel: GERHARD RAMMS.


    Vielleicht kannst du mit den Angaben etwas anfangen. Es handelt sich um eine amerikanische Pressung. Leider sind die Platten in einem schlechten Zustand. Ich werde mal die Platten-Waschmaschine anwerfen. Nur, gegen Kratzer ist auch die wehrlos.


    Nach vergeblichen Recherchen dann der entscheidende Tipp: Der Name der Plattenfirma "Royale". Da klingelte es bei mir. Dieses Label (+ Unterlabels) ist bekannt für ihre Veröffentlichungen in den USA unter falschem Namen:



    Diese Tochterfirma der Record Company of America veröffentlichte regelmäßig Klassik-Aufnahmen und Opern/Operetten aus Europa, hatte aber keine eigene Produktionsbasis. Die Platten waren billiger, allerdings auch aus minderwertigem Material gefertigt und mangelhaft gepreßt. Wolfgang wird das Putzen und die Plattenwaschmaschine nicht helfen - die Platten haben von Beginn an gekratzt und gerauscht - wie alte Schellack-Platten. Ich habe auch noch ein paar davon im Keller (falls sie nicht schon im Müll gelandet sind.


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • In den Veröffentlichungen dieser Gesellschschaft [ http://www.arsc-audio.org/ ] ist die Geschichte der "grauen" Veröffentlichungen in den USA nachzulesen.
    In unserem Fall stellte sich heraus, dass die angebliche Dresdener Aufnahme eine Rundfunkproduktion aus Berlin von 1946 unter Arthur Rother war.


    Der Produzent von Royale Records soll diese Bänder - zusammen mit einem ganzen Paket anderer Aufnahmen - für insgesamt 700.000 $ für 3 Jahre - von einem (Ost-) Berliner Agenten gekauft haben. Die Namen der eigentlichen Interpreten, Sänger, Orchester, Dirigent wurden komplett durch Phantasienamen ersetzt, um die wahre Herkunft zu verschleiern.


    Hier noch ein Beispiel ähnlich dem "Hoffmann":


    Zitat

    Royale # 1284 (1952) Strauss, Johann: Die Fledermaus, Gesamtaufnahme
    "Inge Camphausen, soprano / Wilhelm Horst, tenor / Erna Maria Romer, contralto / Gerhard Ramms, baritone /
    Chorus and Orchestra / Karl List"


    Das ist die NDR Hamburg Produktion aus 1950 mit dem Rundfunkorchester Hamurg unter Wilhelm Schüchter. Die Dialoge wurden entfernt, es singen Rita Streich, Sena Jurinac, Horst Günter, Hans-Herbert Fiedler und Rupert Glawitsch.


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

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  • Interessantes Thema.


    Gibt es irgendwelche Chancen, die richtigen Künstler ausfindig zu machen? Vielleicht plauderte der eine oder andere ja Jahre später darüber.


    Lieber Joseph,
    manchmal ging es auch in die Hose. Als Wagner-on-record-Experte kennst Du die Geschichte sicher schon:
    Im Jahr 1954 veröffentlichte die Firma in den Vereinigten Staaten unter dem Label Allegro/Elite (# 3125-3143) einen kompletten "Ring" auf 19 LPs zu einem attraktven Preis. Die Namen aller Mitwirkenden, Chor und Orchester, waren völlig unbekannt.
    Zufällig ergab es sich aber, dass die amerikanische Sopranistin Regina Resnik Ausschnitte hörte und ihre eigene Stimme (Sieglinde?) wiedererkannte. Nachdem ihre Sängerkollegen Ramon Vinay und Hans Hotter ebenfalls ihre eigenen Stimmen identifizierten, wurde Klage gegen die Firma erhoben - es stellte sich heraus, dass es sich um die Aufzeichnungen der Rundfunkübertragungen von Wagners "Ring des Nibelungen" aus Bayreuth im Jahre 1953 handelte.
    Die komplette Auflage der 19-LP-Boxen mußte eingesammelt und vernichtet werden. Vor Jahren ist mir mal ein Exemplar auf einer Schallplattenbörse begegnet.


    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)