Blancafort, Manuel - Komponist aus Katalonien

  • Hallo,


    es gibt einen Thread "Katalanische Komponisten", in dem auch "Manuel Blancafort" erwähnt wird. Ich halte es für sinnvoll, für ihn einen eigenen Thread zu eröffnen, was ich hiermit getan habe.




    Der Interpret Miquel Villalba, 1968, ist ebenfalls Katalane und Garant dafür, keine "spanische Folklore" zu spielen.


    Die von Naxos gewählte Überschrift "Spanish Classics" ist ja ein Unding. Schon 2002 (=Aufnahmedatum) müsste auch überm "großen Teich" bekannt gewesen sein, dass kein Katalane sich freiwillig als Spanier bezeichnen würde (genauso wenig wie ich mich - Franke - als Bayer bezeichne*).


    Ich habe unter "www" seine Biographie in deutscher Sprache nicht gefunden; der/n Booklettext zu der CD lässt sich/kann ich nicht als Link laden - es gibt nur die Möglichkeit z. B. bei Google "Manuel Blancafort" eingeben und dann auf der 5. Seite den Text von "Naxos" direkt aufzurufen, worum ich sehr bitte.


    In der eingestellten CD sind seine frühen, (spätromantischen - oder schon impressionistischen?) Klavierkompositionen (durchwegs tonal) aufgenommen; es handelt sich um stets kleine, kurze Stücke - ob man sie als "jugendliche Kompositionsversuche" bezeichnen soll? - auf jeden Fall haben sie für mich schon einen sehr eigenen Charakter.


    In dem Booklett wird von seiner melancholischen, lyrischen, naturverbunden, der Heimat Kataloniens verbundenen Art gesprochen und ein Vergleich zu Griegs "Lyrischen Stücken" gezogen. Ich lese das für mich so: Blancafort wuchs in der herben Natur Nordostspaniens, also Kataloniens, auf - Grieg im herben Norwegen; in beiden Fällen damals noch weit entfernt von den heute touristisch überlaufenen Regionen - das mag ein verbindendes Moment sein, um zu einer näherungsweisen Tonsprache zu finden.


    Fast alle Stücke sind leise (auch so vorzutragen), introvertierte Stücke und weit ab von der technischen Brillanz (und dem seltener salonhaften Hauch) der Meisterwerke von Chopin.


    Eine kleine Auswahl:
    Nr. 1 Record: Ein ganz unkompliziertes Motiv wird in teilweise sehr ungewöhnlichen Akkordfolgen, außerhalb des Quintenzirkels, variiert.
    Nr. 4 Pensament de tristesa: Das anfänglich lebhafte Motiv in Moll wird immer ruhiger, lebt wieder kurz auf um dann, wie unbestimmt fragend, fast zum Stillstand zu kommen.
    Nr. 8 - 9 Die kleinen Liedchen fallen durch gut erkennbare Melodien auf.
    Nr. 10 Canco de l'hivern: Das "Winterlied" kommt am Ende ohne Rhythmus fast "zum Erstarren".
    Nr. 12 Canco de l'arribada al cim: Das 1.Lied mit lebhaftem Tempo und Dynamik.
    Nr. 15 Canco del silenci del capvespre: Das Thema, mehrmals wiederholt, dabei auch mit einem Vorbehalt auf dem 1. Ton des Themas - ein verzögert, langsamer Dämmerungsübergang.
    Nr.16 Canco del mati lluminos: Ein anfangs rhythmisch und dynamisch sehr bestimmtes Stück, mit einem "langen", sehr ruhigen Mittelteil, dem der Anfangsteil nochmals folgt - Morgenleuchten überschrieben - und treffend musikalisch ausgedeutet.
    Nr. 17 En arribar la tardor: Der Herbst, nicht als Erntezeit, sondern als dem Winter nahend musiziert.
    Nr. 22 La lluna brilla: Die nächtliche Idylle des "Mondscheins" in ganz langsamen Akkordfolgen musikalisch eingefangen.
    Nr. 30 Cancon en l'ermita: Ein bedächtiger, aber fortschreitender - Andante - Gang zur Kapelle, mit nachdenklichem, stillen Innehalten.
    Nr. 37 Rossinyol que vas a Franca (traditional): Ein Gruß an die in Frankreich lebenden Katalanen? "Traditional" verstehe ich als eingängige liedhafte Melodie.



    Ob und wann ich weitere CDs vorstelle hängt von meiner zeitlichen Belastung ab - vielleicht kann dieser Beitrag ein Anstoß dafür sein, dass ein anderes Mitglied den Thread fortführt?


    Viele Grüße
    zweiterbass



    *Nachsatz: Gibt es in der BRD eine, ähnlich wie damals Katalonien in der Beziehung zu Spanien, im Gegensatz dazu aber auch heute noch unterdrückte (und finanziell benachteiligte) Bevölkerungsgruppe und -region wie Franken gegenüber Altbayern? (Wer das nun wieder als "nicht erwünschten politischen Beitrag" sieht, dem kann mit einer Fülle von Beispielen aus dem kulturellen Raum - auch Musik! - auf die Sprünge helfen werden und das hat mit den Themen des Forums schon was zu tun!)

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler


  • Blancafort Klavierkonzert Nr. 2 - Iberic


    Hallo,


    bereits im vorangegangenen Beitrag habe ich auf die Ähnlichkeiten der nordspanischen und norwegischen Landschaft hingewiesen und auf die beeinflussenden Lebensbedingen der dort gelebt habenden Komponisten Blancafort und Grieg.
    Blancaforts Klavierkonzert erinnert mich im 1. Satz, nach den beiden fanfarenartigen Eingangsakkorden, an den Beginn von Griegs Klavierkonzert. Im Fortgang höre ich ebenfalls einen leicht schwermütigen Charakter und es gibt keine überbetonte Dramatik. Seine Musiksprache (neuromantisch?) ist rd. 50 Jahre später entstanden (die Behandlung der Blechbläser höre ich bei Blancafort anders als bei Grieg), ist aber trotzdem von Grieg nicht allzu sehr entfernt, wenngleich manche Modulation bei Grieg undenkbar ist. Das Thema des 2. Satzes könnte ich bedenkenlos auch als norwegische Volksweise bezeichnen. Und nicht nur der Beginn des 3. Satzes könnte auch aus einer (fiktiven) Komposition zum Middsommernachtsfest stammen und nicht aus dem Klavierkonzert „Iberic“.

    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Zunächst zur Frage Grignon-Espriu [siehe "Katalanische Komponisten des 20. Jahrhunderts"]: Bessere Kenntnisse vermag ich nicht vorzuweisen, kann höchstens die Verwirrung ausbauen. Meines Wissens wurde die Komposition vor Veröffentlichung von "La pell de brau" geschrieben, allerdings waren Dichter und Komponist persönlich miteinander bekannt... . Angeblich soll die "Stierhaut" seit der Zeit Felipes III. [nach aragonesischer Zählung] ein nationalistisches Symbol gewesen sein; diese Angabe konnte ich allerdings nie verifizieren.
    (Was ist das eigentlich für eine seltsame Übersetzung - aus dem Spanischen?)


    Blancafort wäre wahrscheinlich ungern unter "Spanish Classics" subsummiert worden, Villalba hat aber tatsächlich kein größeres Problem damit; die Zeiten ändern sich, langsam.


    Andererseits:

    Zitat

    Gibt es in der BRD eine, ähnlich wie damals Katalonien in der Beziehung zu Spanien, im Gegensatz dazu aber auch heute noch unterdrückte (und finanziell benachteiligte) Bevölkerungsgruppe und -region wie Franken gegenüber Altbayern?

    Etliche Katalanen würden gegen diese Aussage noch immer protestieren...

  • (Was ist das eigentlich für eine seltsame Übersetzung - aus dem Spanischen?)

    Nachdem ich keine Spanischkenntnisse habe, ???



    Etliche Katalanen würden gegen diese Aussage noch immer protestieren...

    Das kann ich mir gut vorstellen - der Vergleich hinkt sehr stark - die Franken waren/sind nicht so unterdrückt (trotzdem - der "Frankenrechen" darf auf dem Wittelsbacher Teil der Nürnberger Burg nicht wehen, von den kulturellen und finanz. Benachteiligungen ganz abgesehen - und Dürers Apostel wurden von Nbg. nach Mchn. "entsorgt" usw. usw.) - und deswegen gilt für Franken heutzutage erst recht:
    Nicht "Freistaat Bayern" sondern "frei statt Bayern"!

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