Musik, die emotional stark bewegt

  • Hallo,


    warum dieser neue Thread?


    1. Wie im Thread "Wieso und wodurch…" Beitrag Nr. 389 dargelegt und nachgewiesen, handelt es sich bei diesem Thema um eine höchst individuelle Angelegenheit. Deshalb soll es in diesem Thread hier nicht genügen zu schreiben, diese Musik ist für…emotional - das Mitglied könnte beschreiben, welche Stelle und was emotional bewegt, andernfalls der Beitrag keinen weiteren Sinn ergäbe.


    2. Der Thread lautet "Musik die emotional stark bewegt" - er lautet nicht "Musik die emotional ist".
    Es kommt also in diesem Thread nicht darauf an ob der Komponist stark emotional bewegt war, als er das Werk schrieb und dies auch zum Ausdruck bringen wollte, also z. B. Dvorak mit dem Englischhorn-Motiv "Aus der neuen Welt" oder Mozart mit der Wahl der Soloinstrumente Flöte und Harfe in seinem Konzert KV 299; es kommt auch nicht darauf an ob der Interpret eine besonders emotionale Sicht des Werkes bringen wollte - Nein, es soll ausschließlich darauf ankommen ob die ausgewählte Musik beim Hörer starke Emotionen weckt. (Die im Forum auch geäußerte Meinung, der Hörer habe sich gefälligst an dem zu orientieren, was der Komponist in seiner Musik ausdrücken wollte, hat hier nichts zu suchen.)


    3. Es geht auch nicht um "Gänsehautstellen", die oft zusätzlich außermusikalischen Ursprung haben; die Musik (also auch text- und/oder progammgebundene) und nur sie soll Auslöser sein. Deshalb sollte es auch keine allzu strengen Grenzen geben, welche Art von Musik eingestellt wird, das Kriterium sollte nur sein - gute Musik, also Trivialmusik ausgeschlossen. Und ob es sich nun noch um klassische Musik oder schon um Jazz o. ä. handelt, sollte egal sein.


    4. Es hat sich gezeigt, dass kaum ein ganzes Werk emotional stark bewegt, es sind einzelne Stellen. Diese Stellen exakt zu definieren erfordert Geschick und etwas sprachliche Ausdrucksfähigkeit.


    5. Emotionen verbal auszudrücken und auch noch schriftlich nieder zu legen ist schwierig. In Fachpublikationen wird die - berechtigte - Meinung vertreten, dazu bedürfe es keiner musikspezifischen Fachtermini, im Gegenteil: Nicht Jede(r) kann mit "Tritonus" oder "Dominantseptakkord" oder "Mollakkord auf der 3.Stufe" etwas anfangen. Aber wenn geschrieben wird, diese Harmonik oder diese Akkordfolge oder dieser Zusammenklang von Horn und Harfe oder dieser sehr ausgeprägte (stark synkopierte?) Rhythmus bei der zuvor exakt definierten Stelle - damit kann Jede(r) etwas anfangen, nachhören und sich fragen ob dies auch starke Emotionen bei ihr/ihm auslöst.




    Es mag sein, dass eine unklare Definition des Threads die Diskussion in Gang bringt. Ich finde es allerdings gut, wenn das Thema des Threads die Diskussion anregt und nicht die Diskussion darüber, über was sich eigentlich ausgetauscht werden soll.




    Folgende Gründe können zum Flop des Threads werden:


    a) Generell kein Interesse an Emotionen.
    b) Kein Interesse wegen 2.
    c) Bedenken 4. + 5. nicht gerecht werden zu können - die habe ich auch, was mich aber nicht davon abhält, dennoch zu posten - ich rechne mit der Nachsicht der …
    d) Wegen 3. ist durchaus damit zu rechnen - und es müsse damit umgegangen werden können - dass keine Reaktionen kommen, weil es eben nur bei… "auslöst"
    e) Es werden unbekannte Werke ausgesucht, die nachzuhören und dann zu posten für Mitglieder u. U. nicht lohnend erscheint, weil dazu eine CD zu kaufen wäre. Genau dies sollte aber kein Grund sein, dieses Musik nicht auszuwählen, denn: Genau diese unbekannte Stelle könnte einem Mitglied doch bekannt sein und damit zu dem "ins Wasser geworfenen Stein werden, der einen Wellenkreis auslöst".
    f) 5. könnte zum Problem werden, weil Bedenken entstehen können, Emotionen "auszubreiten" könnte als Distanzlosigkeit ausgelegt werden, man würde sich zu sehr "outen". Dem halte ich entgegen: Ich kann von meinem/n Diskussionspartnern/innen nur soviel Reaktion/Feedback erwarten, als ich selber bereit bin, mich einzubringen. Und: Wenn auf einen ersten "schaumgebremsten" Beitrag eine Reaktion kommt, dann kann das ja nach Belieben vertieft werden.



    Und um c) bis f) gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen, mein 1. Beitrag zum Thema.


    Schuberts "Dona nobis pacem" aus seiner 6. Messe in Es-Dur D950


    Im "Agnus Dei" und dort bei dem 1.Choreinsatz "Dona nobis pacem" bewegt mich die (ungewohnte?) Harmonikwendung vor dem Horneinsatz und bei der Motivwiederholung durch das Horn - ein Eindruck, dies kann nur ein innerer Frieden sein oder ein Frieden im Jenseits. Dabei meine ich, die ungewohnte Harmonikwendung könnte daran liegen:
    Das "Agnus Dei" vor dem ersten "Dona nobis" erklingt überwiegend in ziemlich düsterem Moll (auch die kleine Chorfuge für mich die "Welt" ausdrückend) und endet in einem befriedigend klingenden Dur-Akkord, der aber zugleich nach Auflösung strebt. Die Auflösung zur Gundtonart des Werkes Es-Dur kommt zwar sofort im 1. Akkord von Dona nobis, der Akkord erklingt aber nicht auf der Tonika stehend, sondern auf der Terz und diese Wendung empfinde ich ungewohnt und weckt bei mir den Eindruck von einer anderen Welt.
    Auch die Chorwiederholung mit der etwas abgeänderten (aber für mich bleibend) ungewohnten Harmonik setzt sich so fort und auch die dritte Dona nobis-Harmonikwendung.


    Das hat nun nichts mehr direkt mit meiner starken Emotion zu tun, dennoch meine ich es erwähnen zu müssen: Schubert hält sich genau an den kath. Messtext, in dem das Dona nobis Bestandteil des Agnus Dei ist. Die Bachsche Struktur, dem Dona nobis einen eigenen Chorsatz zu geben, finde ich dem Text angemessener. Nach der Schubert-Bearbeitung des Dona nobis-Themas im Chor, Orchester und den Solisten, erklingt das Originalthema nochmals in den Solis und dem Chor, dies wäre für mich der richtige Schluss des Werkes, "in einer anderen Welt endend". Nachdem Schubert aber für die Vertonung den Text nicht trennt, muss er nun noch mal das Moll-Agnus-Dei bringen und dann erneut das Dona nobis, für das er aber nun nicht das Originalthema verwendet (?), sondern eine neue, ziemlich bombastisch klingende Phrase (wohl den damaligen Konventionen entsprechend?), die für mich die starke Emotion leider nicht zu Ende bringen lässt.


    Noch eine Randbemerkung zur dritten, ebenfalls vom Chor vorgetragenen Dona nobis-Harmonikwendung gleich zu Anfang: Diese Harmonikwendung, allerdings in D-Dur und die Akkorde ergänzt jeweils um ein E, verwendet Morten Lauridsen (siehe seinen Thread) in seinem "Lux aeterna" und macht diese Akkordfolge und Harmonikwendung zum Bindeglied der ganzen Komposition (die m. E. ungerechter Weise hier im Forum etwas "unter die Räder geriet") - auch in einer anderen Welt!


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo,


    Guilmants Bearbeitung (= Nr. 7 auf der CD Vol. 4) der Sinfonia Teil 2 aus der Bachkantate Nr. 35



    Was Guilmant mit seiner Bearbeitung aus der "braven" Sinfonia macht, ist mehr als beeindruckend. Der Charakter der Sinfonia (ein vom Aufbau einfaches Werk mit leicht durchschaubaren Akkordfolgen und einer ansprechenden Melodie) ändert sich total. Die Bearbeitung strotzt nur so vor Energie, Kraft, strahlendem Temperament, bringt einen Vorwärtsdrang, der fast schon atemberaubend ist und die Bachsche Klarheit und Logik des Stückes wird noch transparenter.
    Was hat dazu geführt: Die Beschränkung auf ein einheitliches Klangbild ohne große Veränderungen der Registrierung (abgesehen von laut/leise), ein streng eingehaltener Rhythmus ohne agogische Schwankungen und die Übernahme der von Bach vorgegebenen Klarheit von Melodie und Harmonik. Aus der beschaulichen Sinfonia ist ein mitreißendes Orgel-Tanzstück geworden. Damit ist überhaupt kein Einwand gegen Bachs Komposition verbunden - die ich in einer Aufnahme mit "Ensemble 415" habe (sehr transparent und mit kleiner Besetzung) - ich will damit nur ausdrücken, wie diese Bearbeitung den Charakter der Bachschen Komposition vollständig verändert und quasi ein neues Stück daraus macht, das mich rhythmisch sehr anspricht und in mir (gehirngesteuert!) einen Bewegungsdrang aktiviert, den ich altersbedingt nicht mehr adäquat umsetzen kann.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • oi. Teuer. Und wahrscheinlich gar nicht im Laden zu kriegen (wegen Versandkosten)?
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Lieber Zweiterbass,


    ich danke dir für deine diesem Gespräch vorangestellte, ausgezeichnete Propädeutik.


    Was dein erstes Beispiel betrifft, so kenne ich Schuberts Messen eigentlich zu wenig. Dennoch möchte ich, der ich kein Chorsänger bin, gestehen, daß ich das Agnus dei zu Beginn sehr aufwühlend finde, sozusagen echte Gänsehautmusik, was ja auch von der darin aufgebauten großbogigen Spannung und der Ausweglosigkeit des irgendwie in sich kreisenden Baßthemas herrührt, in das die Hörner so schneidend hereinfahren.


    Das dona nobis pacem hat auf mich nicht die Wirkung wie auf dich (ich bin aber auf die verschiedenn Versionen bei y...e angewiesen). Man sagt ja auch Mahlers Pfingsthymnus-Vertonung im ersten Teil der VIII. nach, mit dem "Veni, creator spiritus!" mehr eine herrische Beschwörung als eine erfüllte Ankunft zu komponieren. Will sagen: im dona nobis überwiegt doch der Mangel, das Bitten um ..., nicht schon die Erfülltheit vom himmlischen Frieden. Das Benedictus schlägt für mich eher diesen jenseitig verklärten Ton an.


    Ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob die von dir ausgewählte Stelle so ganz zum Thema "stark bewegender" Episoden paßt. Denn der Kontrast aus erregter und beruhigter Musik läßt das Movens der Emotion immer im Vorfeld der sich glättenden Wellen vermuten (wenn man sich der Erregung vielleicht auch erst im Nachhinein, wenn der Sturm verebbt und man sich gleichsam "wiederfindet", bewußt wird). Daher meine ich, daß dona nobis sei eher "sanft bewegend", eben besänftigend.


    Trotzdem bin ich mir bewußt, daß gerade auch solche Passagen "stark" bewegen können. Da fällt mir etwa die Missa solemnis von Beethoven ein, wieder das Bendictus mit seiner Verwandlungsmusik in den dunklen Streichern (nach dem Osanna), die bei mir eine unbeschreibliche Wirkung auszulösen vermag (pünktlich endend mit dem Einsatz der Solovioline "aus der Höhe").


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Lieber farinelli,


    ohne zu Deinem Empfinden irgendwie etwas negativ anmerken zu wollen (das ist ja der Sinn dieses Threads, niemand kann tatsächlich etwas nachempfinden - versuchen ja, ob es gelingt? - dabei kommt es auf die tiefe und pers. Betroffenheit/Berührtheit und Sicht der Dinge an), möchte ich aber näher erklären/beschreiben, was mich an Dona nobis… so berührt:
    Ich verstehe die Bitte um Frieden nicht den auf dieser Welt - den wird es nie geben - es ist der Friede in meinen Gedanken - pardon in meinem Gehirn - und der damit vorweggenommene (?) Friede nicht in dieser Welt ist, der des "Jenseits", der im Diesseits aber nur bei mir entstehen kann. (Dabei meine ich das "(?)" ob dieser Friede nicht der Friede des NT sein könnte? Hoffentlich falle ich nun nicht schon wieder mit "weltanschaulichen" Gedanken auf, die hier unerwünscht sind, siehe "Plauderecke hinterm Ofen"?!) Und nachdem dieser Friede für mich nicht von dieser Welt ist, höre ich die Harmonikwendung/Akkordfolge auf das Agnus… (…Sünde der Welt…) folgend so " in/aus einer anderen Welt". Es mag sein, dass mich die Morten-Lauridsen-Akkorde dabei beeinflussen.


    Was meinst Du bitte mit "Versionen bei y…e"?


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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  • Zur Klarstellung welche Stelle ich meine:
    Dein Beispiel 1 ab Laufzeit 4.43
    dto.---------------------------4.00
    Beispiele 3 + 4 Rhythmus?

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Anbei - das erste gefällt mir auch am besten, schon wegen der sehr gut eingefangenen Kirchenakustik. Bsp. 3 und 4 klingen ein wenig nach HIP, so, wie man ja auch Bach heute spielt - rhythmisch sehr prononciert, wodurch der von dir beschriebene Effekt eher auf der Strecke bleibt.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


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  • Ich rechne, mit unverbautem Optimismus, mit der Intelligenz der Benutzer.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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  • DANKE für den Tipp mit Schuberts Es-Dur Messe! Hui, ein schwarzes Loch tut sich auf, und es muss unbedingt gefüllt werden. Nach dem Reinhören auf Youtube und jpc bin ich ja ganz hibbelig...
    Hickox interessiert mich sehr, und die Sammlung aller Messen unter Bruno Weil, die a, 20.02. erscheinen wird.
    Da ist auf jeden Fall ein Kauf dabei.


    Zum Thema: schon die Ausschnitte zeigen, dass das ein Stück ist, welches auch für mich in diesen Thread gehören wird. :)
    Tolle Entdeckung! :hello:
    Accuphan

    „In sanfter Extase“ - Richard Strauss (Alpensinfonie, Ziffer 135)

  • Diese Dresdner Aufnahme hat mir auch sehr gut gefallen:



    ... womit ich mich mal als "Da-hab-ich-noch-gar-keine-Aufnhame-von"-Banause oute ...
    Aber zugegeben, Hickox, das wär´s ...



    :hello:

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  • Hallo,
    da fällt mir auf, dass ich zu der Schubert-Messe die CD ja nicht eingestellt habe, was ich nun nachhhole:

    Nachdem ich auch zu den Mitgliedern gehöre, die selten 2 Aufnahmen von einem Werk haben (Marienvesper/Monteverdi z. B. schon) werde ich mir die von farinelli eingestellte Aufnahme nicht kaufen; der JPC-Schnipsel des Dona nobis gefällt mir gut.
    Nicht so gut in meiner Aufnahme gefällt mit die Sopranistin "Helen Donat" beim Dona nobis, die auch - wie viele ihrerKolleginnen - m. E. die Unsitte hat, bei hohen Stellen die Lautstärke anzuheben (anstatt sie zurück zu nehmen - hohe Töne werden eh lauter wahrgenommen) auch wenn es von der/m Dynamik/Ausdruck der Musik nicht erforderlich ist (erforderlich aber wahrscheinlich um den Ton rein zu "erwischen"); das finde ich besonders bei sakraler Musik unpassend.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo,


    ob dieser Beitrag wohl die strengen Augen und Ohren von Alfred passieren kann? Ist das, was da folgt, klassische Musik? Nun, vielleicht handhabt er es ja ebenso lasch - nein nat. nachsichtig - wie die Anforderungen an Mitglieder, was die Anzahl der zu schreibenden Beiträge betrifft. (Bei ausgewiesen über 800 Mitgliedern stößt man zuweilen auf bemerkenswerte Zahlenrelationen.)


    Also - "frisch gewagt ist halb gewonnen"; zumindest das Label - ECM - ist hochkarätig. In welche Schublade ich diese Musik stecken soll - ???

    Nachdem ich mich ja schon geoutet habe, dass ich auch auf Rhythmik sehr anspreche, hier nun mal die
    Nr. 5 + 11 "Reflections", aber nicht nur die Rhythmik: Die Aufnahmetechnik ist brillant, der Schlagzeuger hält sich, was die Klangbalance betrifft, hervorragend in Zaum und die vorderorientalische Harmonik gibt den letzten Schliff, dass ich hier in der Tat mit dem "Schauer über den Rücken" reagiere.
    Nr. 4 "Gift Of Dreams" lässt sich ja fast wie ein gehendes Adagio an und hat leichte Anklänge an Minimalmusik. Erst langsam kommt der Rhythmus dazu, die kurzen trockenen Schläge bei 2.52, 3.37, 3.45 und 4.33 sind wie kleine "Highlights".
    Nr.10 "Promenade" beginnt mit einem Ostinato im Klavier und mausert sich dann zu einer recht abwechslungsreichen "Promenaden-Variation".
    Nr. 13 "Vocalise" Das anfängliche Andantino entpuppt sich aber zu einem z. T. sehr verzwickten Rhythmus bzw. einer stark synkopierten Melodielinie.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo,



    Mozart, W. A., Sinfonia concertante, Es-Dur, KV 364 bzw. 320d (1779)


    Nur der 2. Satz ist für mich Grund für diesen Beitrag. Anders als bei der Schubert-Messe Es-Dur, wo für mich einige wenige Stellen die emotional Prägenden sind, verbinde ich hier den ganzen 2. Satz mit starken Empfindungen in der sich für mich Mozarts Lebenshintergrund (durch den Tod seiner Mutter) gleichsam in dem 2. Satz spiegelt. (Die Verwendung der Tonart Es-Dur hat für beide Komponisten gewiss unterschiedliche/n Bedeutung/ Anlass.)


    Das beeindruckende Zusammenspiel der beiden Soloinstrumente (dabei kommt mir mit den Anfangstönen immer die "Maurerische Trauermusik" in den Sinn) - eine gedankliche Zwiesprache zwischen ihm (Violine) und seiner 1778 in Paris verstorbenen Mutter (Viola)?
    Der Orchestersatz vor dem 1. Einsatz der Violine einschl. des Violinenthemas in Moll - incl. der 2-maligen Wiederholungen - stets 1 Ton höher als Ausdruck der Steigerung des Verlustschmerzes. Der darauf folgende 1. Violaeinsatz (auch mit Wiederholung) - mit leichter Abwandlung des Themas - in Dur, als Ausdruck liebevoller Erinnerung.
    Wenn sich dann beide Instrumente, auch das Orchester (mit der für Mozart so typischen Behandlung der Blech - und besonders Holzbläser) mit einbeziehend, mit dem immer wieder leicht abgewandelten Thema sich in (unendlich wirkenden) Kantilenen umspielen, Dur und Moll (überwiegend) wechselnd, gegenseitig antwortend, zum Schluss in breitem Largo, Stimmenführung in Moll abwärts mit kurzen Aufwärts-Passagen in den letzten Takten - wie in der Erinnerung fragend und nachhörend---





    Die Haffner-Serenade, D-Dur, KV 250


    war die Musik für den "Polterabend" der Schwester von S. Haffner d. J., einem Förderer/Freund Mozarts, dessen Vater Bürgermeister von Salzburg war, also durchaus ein Anlass für Mozart, sich "ins Zeug zu legen".

    Auch hier ist der gesamte 2.Satz - Andante - Grund für diesen Beitrag und lässt ihn mir ein Gefühl, ein Bild aufkommen:
    Ein fröhliches Fest, aber nicht lautstark polternd, sondern in einem festlichen, aber nicht pompös feierlichen Rahmen; die Stimmung ist nicht lustig, ausgelassen, sondern heiter und die Musik drückt bereits die Hochstimmung, die Bedeutung des kommenden Tages aus, die große, innige Freude gepaart mit den Wertvorstellungen einer Eheschließung und der Bedeutung für die kommenden Lebensjahre. Die Solovioline spielt eine äußerst feinsinnige, elegante, sangliche, wunderschöne und… und…Melodie (in meiner wohl naiven, nicht begründbaren Vorstellung sehe ich Mozart, wie er dieses herrliche Musikstück selbst vorträgt und damit der gewidmeten Person seine Ehrerbietung erweist und für sich selbst als Komponist wirbt).




    (Nachfolgendes nur zu Komplettierung des "Violinkonzertes" innerhalb der Haffner-Serenade:
    Im 3. Satz - Menuetto - steht nur der Mittelteil in Dur und auch nur dort "liefert" sich die Solovioline eine hinreißende Zwiesprache mit den Bläsern.
    Der 4. Satz - Rondo (Allegro) - ist wieder ganz von der Solovioline bestimmt. Eine überschäumende Melodie der Solovioline, in einem heiteren, fröhlichen Orchestersatz eingebunden - aber eben nicht lautstark, polternd, sondern eine "glückliche" Stimmung verbreitend.
    Hinter der Haffner-Serenade steckt für mich ein bemerkenswertes Konzept Mozarts:
    Die Sätze 2 - 4 sind äußerlich wie ein in die Serenade eingeschobenes "Violinkonzert". Und wenn auch Mozart, in meiner naiven Vorstellung, die Solovioline bei der Uraufführung nicht gespielt hat, so ist das eingefügte "Violinkonzert" für mich Mozarts ganz persönlich ansprechender, weit über eine Serenade hinausgehender Beitrag zum "Anlass und der Person des Auftraggebers".)


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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  • Hallo,


    der 6. Chorsatz (Nr. 11 auf der CD) aus den italienischen Madrigalen "Sechs Feuergesänge" ist für mich besonders beeindruckend und emotional aufwühlend. Hier zuerst mal die deutsche Übersetzung von "Se per haveri, oime":
    "Weh mir, als ich Euch mein Herz gab,
    entstand in mir diese Leidenschaft,
    oh grausame Dame, die überall in mir brennt,
    so dass ich vollkommen in Flammen stehe,
    und wenn ich, Euch liebend, die bitteren Qualen erleide
    und an den Schmerzen sterbe,
    weh mir! Was soll ich ohne Euch tun,
    die Ihr mein ganzes Glück seid."
    (Text anonym)


    Ähnlich wie vor ihm Hugo Distler verdichtet auch Lauridsen die Textaussage, in dem er - allerdings weniger intensiv als Distler (bei dem es z. T. wie "einhämmernd" gestaltet ist) - Textwiederholungen vertont, oft auf dieselbe Akkordfolge/dasselbe Motiv, um die Töne wie "einbrennend" dem Hörer aufnehmen und auf ihn wirken zu lassen.
    Ich glaube mir ersparen zu können, auf die Einzelheiten der Vertonung hinzuweisen, zu sehr spricht/"hört" die Musik - die Harmonik und Akkordfolgen - für sich. Auch die sehr wechselnde Dynamik ist der Textvertonung unterworfen. Der zuvor sehr expressive, (L)leiden(schaffende)schaftliche Chorsatz "verhaucht" in einem unaufgelöst bleibenden Akkord ("Was soll ich ohne Euch tun, die Ihr mein ganzes Glück seid?") - ein musikalisch unglaublicher Ausdruck von Empathie.


    Viele Grüße
    zweiterbass



    Nachsatz: Auch die Chorsätze 1 - 5 (Nr. 6 - 10 auf der CD) sind sehr hörenswert - und in allen Texten werden die Qualen einer (noch?) unerfüllten Liebe verglichen mit den Qualen in "Feuer und Flamme(n) " zu verbrennen.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber zweiterbass


    Das ist wahrlich ein etwas heikles Thema, zumal für einen wie mich, dem das Analysieren wenig liegt.


    Wenn dazu noch wie mir die musiktheoretischen Kenntnisse fehlen,
    kann man gerade nicht da den Hebel ansetzen, wo eine exakte, von Musikern gepflegte Sprache, gefordert ist.


    Das verführt, den Emotionen Gründe unterzuschieben, die nichts oder nur bedingt mit dem Gehörten zu tun haben und den Kreis der persönlichen ´Rührstücke´ erweitern,
    wie zum Beispiel die akute Stimmungslage per se oder Feste, Hochzeiten, Beerdigungen, sportliche Siege oder Niederlagen, das Wetter, die Liebe und so fort,
    eben alles, was das emotionale Gleichgewicht stört.


    Da weint gar mancher Olympiasieger beim Anhören der Nationalhymne, aber nur eben da.


    Mich hätt´s da sicher auch erwischt.


    Was rührt mich dann ohne diese künstlichen Geschmacksverstärker?
    Das ist leicht gesagt, aber schwer erklärt, daher in Klammern.


    Die Nationalhymne, fällt weg, soviel ist klar, was bleibt ist mindestens:



    Schubert, Der Hirt auf dem Felsen (die Frühlingssehnsucht, die wunderbare Klarinettenstimme)


    Loewe, Der Nöck (geniale Vertonung zum Thema Dichterleben)


    Loewe, Die Uhr und Schubert, An die Musik (schlichtes, unverschnörkeltes Glaubensbekenntnis)


    Brahms, Altrhapsodie (schon an anderer Stelle erwähnt)


    Wagner, Liebestod und eine Stelle am Ende des zweiten Aufzugs,
    Isoldes ´nun führst du in dein Eigen, dein Erbe mir zu zeigen´ (die wunderbare Hornstimme unter dem Sopran)


    Und seit gestern:
    Verdi, I lombardi das Finale ´un breve istante´ (da sind zum großen Teil die Sänger schuld, Raimondi, Deutekom und Domingo und dazu Verdis große Kunst, dem Tod in lichtem Dur zu begegnen)



    Viel Grüße
    hami1799

  • Hallo hami1799,


    1. Deine Antwort freut mich, denn ich war schon nahe dran zu posten, "der Thread heißt, Musik, die emotional...und nicht, Musik, die mich...
    Ich gehe davon aus, dass Du meinen Einstiegsbeitrag hier kennst. Wenn ich also zu einer Musik hier poste, dann kann es zwar nur ...mich... betreffen, schließt aber 4. nicht aus und Beiträge wie Deinen erst recht nicht.


    2. Ob mir Musik analysieren liegt und wenn ich das tue, richtig tue???


    3. Warum ich hier Musik (nicht musikwissenschaftlich!) "analysiere" hat nur den Grund, dem Leser/Hörer u. U. verständlich zu machen, warum mich eine Musikstelle, oder ein(!) Teil eines mehrsätzigen Werkes, stark berührt; dabei ist mir schon klar, dass weder die Musik noch meine Analyse beim Leser/Hörer irgend etwas bewirken muss, das kann völlig auseinander liegen.


    4. Wegen 3. macht es aber dennoch Sinn, sich in diesem Thread zu beteiligen. Wenn dem Hörer die Musik auch "gefällt", aber wegen anderer Gründe, ist es doch interessant, dies zu erfahren (vielleicht bekommt(e) er/ ich einen weiteren Zugang?). Berührt ihn diese Musik überhaupt nicht und er kann das auch noch, versuchsweise, begründen, ist das fast noch interessanter.


    Wegen der von Dir genannten Musik komme ich in einem weiteren Beitrag noch auf Dich zu - dazu brauche ich etwas mehr Zeit.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber zweiterbass,


    ich hoffe, dass Du keinen versteckten Vorwurf darin siehst, wenn ich sage, dass das Analysieren nicht mein Gebiet ist.


    Das ist mein persönliches Trauma und ich bin ziemlich neidisch auf die, die es können.


    Nein, ich freue mich aufrichtig, wenn mich jemdand gerade auf jene Dinge hinweist, die mir vom rein dilettantischen Hören verborgen blieben.


    Bei Punkt 3. Deiner Antwort muss ich Dir also widersprechen, Deine Analysen bewirken sehr viel und sollen es auch.



    Dankbar für jede Art der Bereicherung


    hami1799

  • Es hat sich gezeigt, dass kaum ein ganzes Werk emotional stark bewegt, es sind einzelne Stellen. Diese Stellen exakt zu definieren erfordert Geschick und etwas sprachliche Ausdrucksfähigkeit.


    Das sehe ich nicht so. Wenn ich einmal "ganz drin bin" in der Musik, was leider nicht so oft der Fall ist, dann kann die große emotionale Beteiligung, die Begeisterung, durchaus über längere Strecken anhalten, und wann ich wieder abgleite, ist unabhängig vom Stück. Wenn ich das Stück sehr gut kenne, weiß ich nachher nicht mehr, welche Stelle diesmal meiner Aufmerksamkeit entgangen ist.


    Mein letztes größeres Musikhörerlebnis war bei Debussys La Mer. Dabei war es definitiv nicht so, dass mich nur bestimmte Stellen stark emotional bewegt hätten, und schon gar nicht, dass die Emotion eine besonders bestimmbare gewesen wäre - eventuell Ernsthaftigkeit, Freude, Versenkung, Euphorie (?)

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  • Hallo hami1799


    Der Hirt auf dem Felsen: Ich habe eine Aversion gegen Frauenstimmen mit zuviel Vibrato/Tremolo (das trifft für mich sehr oft, zu oft, zu); alle Aufnahmen bei JPC mit Hörschnipseln sind nur Frauenstimmen - und nachdem ich das Lied wohl vom Hören kenne aber keine CD habe - sorry, ich kann mich dazu sinnvoll nicht äußern.


    Loewe: Aufgrund eines "Betriebsunfalls" habe ich nur noch 1 LP mit Loeweballaden - ich wollte eh' schon aufstocken - CD mit Nöck und Uhr ist im Merkzettel bei JPC - komme auf Dich zu.


    Schubert: Das ist mir etwas zu pathetisch, da fehlt mir der Bezug auf die Herkunft der Musik, zu Ich-bezogen; außerdem - ich verweise auf meine Signatur - der Chorsatz von Distler/Text Mörike drückt für mich viel besser aus, was Musik ist und was sie in meinem Leben ist (dabei ist der Text für mich eine Metapher, die Musik aber nicht!).


    Brahms -ich habe mich mit der Altrhapsodie noch nicht befasst - willst Du oder soll ich zu einer der Haydn-Variationen (die, welche im Rhythmus "heraus sticht"?) etwas einstellen?


    Wagner, Liebestod: Ich bin nur weniger Opern Freund, aber Tristan schon: Besonders der Anfang, wie aus einem tiefen Trauma erwachend und erst allmählich in der "Realität" ankommend und dann in fast unendlichen Variationen des Motivs zum "Kern" kommend.


    Verdi: Zu ihm habe ich (kaum überwindbare) Vorteile und überhaupt, Opern nur ganz wenige, von ihm nur den Falstaff.





    Das sehe ich nicht so.


    Ich auch nicht ganz so, weswegen ich "kaum" schrieb und das "kaum" auch schon belegt habe.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo zweiterbass,


    ich hab´s mir schon gedacht, das Thema Emotionen ist nicht leicht unter einen Hut zu bringen.


    Den Hirt auf dem Felsen habe ich selbst das letzte Mal vor ca. 30 Jahren gehört. An ein störendes Vibrato kann ich micht nicht erinnern, aber an eine wie ich glaube Decime der Sängerin nach unten und das tolle Klarinettenfinale.


    Beim Nöck hat es mir besonders Donald Bell angetan, es klingt bei ihm so unverfälscht, er geht völlig auf in der Gestalt des gehänselten Wassergeistes.


    Dazu ein Gegenbeispiel, Macbeth im letzten Akt ´Pietà, rispetto, amore ... ´
    Mit Sherill Milnes sehe ich Macbeth dahinter, bei meinen 2 Dieskau-Aufnahmen den Liedersänger. Keine Frage, Dieskau singt wunderschön, nur, für mich ist es eher Kunstlied als ein Verdi (und das auch noch bei Lamberto Gardelli).


    Schubert´s An die Musik ist natürlich schon arg seziert, vielleicht verliert es da an Wert. Über das Pathetische muß ich erst mal nachdenken, mein künftiges Urteil wird aber kaum meine Emotionen dabei ändern.


    Über die Haydn-Variationen lasse ich mich gern belehren, vor allem weil ich sie immer für ein Übungsstück der höheren Schule gehalten habe, ähnlich wie die Kadenzen in einem Violinkonzert.


    Beim Tristan, und ich will´s betonen, beim ganzen Tristan bin ich der Welt abhanden gekommen.


    Der Opernfreund ist leider gegenüber dem Konzertfreund im Nachteil, weil neben den Komponenten Orchester und Dirigent noch eine dritte hinzukommt, die Sänger.


    Also muß es dreimal klappen. Leider sind die Vokalisten oft das schwächste Glied, können andererseits aber auch einen schlechten Dirigenten retten. In der Oper ist es halt immer spannend.


    Ich war übrigens etwas zu pessimistisch, vom benachteiligten Opernfreund zu reden. Sich an einer schönen Stimme erfreuen zu können ist ja ein erkleckliches Sümmchen auf der Habenseite des Musikerlebens.


    Viele Grüße
    hami1799

  • ich hab´s mir schon gedacht, das Thema Emotionen ist nicht leicht unter einen Hut zu bringen.


    Hallo hami1799,
    das war von Anfang an klar.



    Den Hirt auf dem Felsen habe ich selbst das letzte Mal vor ca. 30 Jahren gehört.


    Auf eine 30-jährige Erinnerung verlasse ich mich nicht.



    mein künftiges Urteil wird aber kaum meine Emotionen dabei ändern.


    Das ist auch nicht Sinn des Threads.



    Sich an einer schönen Stimme erfreuen zu können


    Es ist die Frage, wer was als schöne Stimme hört und empfindet. Wenn eine schöne Stimme nicht u]sehr[/u] intonationsrein klingt oder auch, wie ich hier erwähnte, für mich zuviel Vibrato hat, dann ist es für mich keine schöne Stimme mehr (ich kann z. B. H. Prey nicht hören und die Tremolo-Akrobatinnen sind mir ein Graus, ganz zu schweigen davon, wenn sehr hohe Töne deswegen kräftig und damit laut gesungen werden, um den Ton gerade noch zu "erwischen"und dann der harte Tonabbruch!).


    Wegen der Brahmschen Haydn-Variation - mal seh'n was ich höre - was hörst Du allgemein in Variationenwerken (Goldberg, es geht auch tiefer angesiedelt)?


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo zweiterbass,


    die Romantik ist vom Barock weit entfernt und so gesehen, kann ich Deine Aversion gegen das Tremolo verstehen. Sicher hast Du dazu noch ein ausgezeichnetes Gehör, das mir zu meinem großen Bedauern fehlt.


    Nichtsdestotrotz ein Einwand:


    Ohne Vibrato würde in meinen Ohren ein Fagott, Englischhorn oder Oboe ziemlich trocken und langweilig klingen
    und bei den Streichern ist mir der moderne Orchesterklang angenehmer als der authentische.


    Bei der Klarinette ist das anders, da liegt mir der deutsche Klang besser als der englische. De Peyer von den Londoner Symphonikern spielte ja bekanntlich mit viel Vibrato. Bei Mozart ziehe ich da unbedingt Karl Leister vor.


    An Variationswerke wage ich mich ohne fremde Hilfe nicht gern ran.
    Nun sind ja die Goldberg-Variationen großartige Musik und beeindrucken mich sehr.
    Ich könnte aber nichts dazu sagen, was einigermaßen Sinn macht.


    Viele Grüße
    hami1799

  • Hallo hami1799,


    meine Aversion gegen das "übertriebene" (Wolfram würde mit Recht fragen, was ist übertrieben - dazu meine Angabe im entspr. Beitrag) Vibrato bezieht sich nur auf die menschliche, meist weibliche Stimme, bei der Vorhandenes in der Stimmbildung stark weiterentwickelt wird um zu einem tragfähigeren Ton zu kommen. Das wird für mein Empfinden zugunsten der Anforderungen im Opern- und Operettenbetrieb übertrieben. Ich schätze mehr die natürliche Stimmentfaltung, die auch die Grenzen des hörbar mühelos erreichbaren Tonumfangs - besonders in der Höhe - beachtet und auch die negativen Folgen "mit Kraft erreichter Höhe", meist verbunden mit entspr. Lautstärke (abrupter Tonabbruch) vermeidet. Besonders der Starrummel um Operndivas und ihrer Fähigkeit besonderer Tonhöhe ist für mein Empfinden dafür verantwortlich. Diese Art der Stimmentfaltung empfinde ich außerhalb des Opern-, Operetten- und Oratorienbetriebs hinderlich, was sich dann auswirkt, wenn ausgepägte Gesangssolisten dieses Bereiches ihren Bereich, für den sie stimmlich gut ausgebildet sind, verlassen und auf die Anforderungen anderer Bereiche nicht oder schlecht umschalten können.


    Viele Grüße
    zweiterbass


    1. Nachsatz: Mit den Unterstreichungen wil ich ausdrücken, dass ich alle diese Äußerungen, wie auch die im Thread, höchst individuell sehe.
    2. Nachsatz: Wenn Du magst, lies' doch bitte meinen Beitrag Nr. 65 im Thread "Hits des 20. Jahrhunderts - Carl Orffs Carmina Burana". Die Stelle "Dulcissima" stellt, vom Text her kommend, m. E. ganz besondere Anforderungen an die Sopranistin, welche Operndivas meist nicht erfüllen - für mich ist es der Beweis, dass eine Sopranistin außerhalb des "Betriebes" für meine Ohren diese Stelle sehr gut singt, unterstützt von einem sehr einfühlsamen Dirigenten.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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  • Über die Haydn-Variationen lasse ich mich gern belehren, vor allem weil ich sie immer für ein Übungsstück der höheren Schule gehalten habe, ähnlich wie die Kadenzen in einem Violinkonzert.


    Hallo hami1799,


    von Belehrung kann überhaupt keine Rede sein. Ich nehme auch nur - dem Thread entsprechend - zur VII. Variation Stellung.


    Was mich an ihr sehr beeindruckt, wie Brahms aus einem feierlichen, rhythmisch streng gehaltenen Pilgergesang, in einem etwas gebremsten Marschtempo, ein leichtes, beschwingtes, fast tänzerisches "durch Feld und Fluren schweben" macht - 6/8, Grazioso (Siciliano) - es ist so heiter, dem schweren Pilgerschritt völlig enthoben, strahlt es in sich ruhende, beschwingte Gelassenheit aus; dazwischen und auch am Ende wird daran erinnert, was das Thema ursprünglich ist.


    Im Thread "Distler" habe ich einige Gedanken zu seinen Varationen über "Ei du feiner Reiter" eingestellt - auch dort keine Analyse, nur was mich insbesondere an der letzten Variation sehr bewegt, mehr wie o. g.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo zweiterbass,


    ich sehe im Belehren durchaus nicht Abwertendes und bin immer dankbar, wenn mich jemand mit der Nase auf etwas Wissenswertes stößt. (ich meine da MEINE Nase)


    Werde mir also die Haydn-Variationen vornehmen, d.h., wenn ich sie finde, bin nämlich gerade dabei, zu Hause alles umzukrempeln.


    Viele Grüße
    hami1799

  • Ich habe hier bisher nicht geschrieben, weil mich das Thema sehr ans Nachdenken gebracht hat. In mehreren Beiträgen will ich aber eine Antwort versuchen.


    Niemand wird sich wundern, dass für mich die großen Janacekschen Opern die ergreifendsten und bewegendsten Opern überhaupt sind. Dazu enthalten sie besondere Momente, bei denen man sich immer wieder in den Sitz krallen muss und bewegt und erschöpft das Opernhaus verlässt.


    "Jenufa": die Küsterin hat Jenufa, ihrer Stieftochter, gerade eröffnet, dass ihr kleiner Junge tot ist (dass sie ihn umgebracht hat, sagt sie natürlich nicht). Jenufa: "Gestorben.... mein süßes Herzenskind..." Die Welt steht still, man wagt nicht zu atmen.


    "Osud": am Ende des zweiten Aktes stürzen Zhivnys Frau und deren Mutter vom Balkon, beide sind tot. Er singt nicht, alles ertönt im Aufschrei des Orchesters.


    "Das schlaue Füchslein": Die Brautwerbung des Fuchses; dann eine kleine Szene, in der sich das Gastwirtsehepaar darüber unterhält, wie der versetzte Pfarrer Heimweh nach seinem alten Dorf hat. Dazu erklingt eine Musik, wie ich keine heimwehträchtigere kenne.


    "Die Sache Makropulos": das Rezept, das Emilia Marty 300 Jahre am Leben erhalten hat, wird verbrannt. In einem ungeheuren Finale nimmt sie Abschied von einem langen, zum Schluss leeren Leben. Dass diese gewaltige Szene nicht zum Standardrepertoire der großen Sopranprimadonnen gehört, spricht nicht für diese!


    "Aus einem Totenhaus": hier berichten die Gefangenen von ihren Untaten, aber auch von ihren Leiden. Eine der eindringlichsten Szenen der Operngeschichte ist die Beichte Schischkoffs am Schluss, in der er berichtet, wie er von Frau und Nebenbuhler verhöhnt wurde und die Frau getötet hat. Neben ihm stirbt ein Mensch, es ist dieser Nebenbuhler: "Filka, bist du´s? Du Schurke, du Schurke...!"


    "Katja Kabanowa": Katja wird von der Schwiegermutter tyrannisiert, vom Ehemann kaum beachtet, sie nimmt sich einen Liebhaber und beichtet das öffentlich. Da ist es um sie geschehen. Ihre Freundin Varvara ist mit ihrem Freund nach Moskau gezogen, auch der Liebhaber Boris verlässt sie. Sie steht am Fluss, sie sieht die Vögel, wie sie sich um die Jungen sorgen - da weiß sie, dass ihr ja ein Kind auf immer verwehrt sein wird. Im Orchester hört man die Vögel zwitschern. Katja: "kleine Blumen blühen, rote, blaue, gelbe, welcher Frieden, welche Anmut - und ich, ich muss sterben!" Und sie springt ins Wasser, aus dem sie tot herausgezogen wird. Dieser Gegensatz der lieblichen Natur zur Unausweichlichkeit ihres Schicksals mit dem Crescendo im Orchester ist kaum zu ertragen, man krallt sich im Sitz fest und muss auch seine Brille putzen. Im Zug nach Hause sitze ich unter normalen Menschen, müde von der Arbeit, sie kommen heim von der Disko, sie lärmen, trinken Bier - es könnte das Publikum der Kleinstadt sein, in der Katja spielt. Und man selber denkt nach, warum dieses Schicksal uns wieder und wieder so ergreift. Jeder hat das wohl erlebt, dass er von der Welt gekündigt wurde, dass er plötzlich fast alles verloren hat - und das spiegelt sich in dieser Musik. Wir bringen uns dann nicht gleich um, aber das kann auch Glück sein.


    Eine solch ergreifende Katja habe ich 2010 in Münster gesehen (und hier in "Gestern in der Oper" darüber berichtet). Eine ganz einfach erzählte Geschichte mit großartigen jungen Sängern, von denen ich keinen kannte. Dazu hatte man einen neuen deutschen Text erarbeitet und den auch als Übertitel projiziert. Und da habe ich doch gedacht, das war jetzt besser als die Originalsprache.


    Im Tschechischen singt Katja: "Tak ticho, tak krásné! A treba umrit!" (ohne tsch. Zeichen). Deutsch: "Welcher Frieden, welche Anmut! Und ich, ich muss sterben!". In diesem Fall war ich froh, dass deutsch gesungen wurde.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Hallo dr.pingel,


    ich freue mich über Deine Antwort, zeigt es doch, dass der Thread "ankommt". Nun weisst Du wahrscheinlich, dass ich kein besonderer Opernfreund bin - dennoch, eines Tages werde ich mir eine DVD mit einer der von Dir genannten Opern kaufen.


    Dass ich vor etlichen Jahren im "Hans-Sachs-Chor" in Nürnberg die Glagolitische Messe (in der Originalsprache - wir hatten eine Sprachtrainerin) mitgesungen habe, hatte ich schon mal mitgeteilt; von daher ist mir die Musik schon etwas vertraut, auch durch die Sinfonietta.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Niemand wird sich wundern, dass für mich die großen Janacekschen Opern die ergreifendsten und bewegendsten Opern überhaupt sind. Dazu enthalten sie besondere Momente, bei denen man sich immer wieder in den Sitz krallen muss und bewegt und erschöpft das Opernhaus verlässt.

    Lieber dr. pingel,


    ja, der gute Janáček trifft meist den richtigen Ton.


    Das tschechische Gemüt drückt sich selten in großen Gesten aus, einen Meyerbeer wird es dort wohl nie geben, sonder eher in stiller Wehmut oder gar Resignation.


    Ich hörte mir gerade gestern das Schlaue Füchslein an in einer Aufführung vom Covent Garden und war überrascht, wie schön sich das Englische der Musik anschmiegt.


    Die wunderbare Musik lässt nie richtige Trauer aufkommen über den tragischen Tod des Füchsleins, ´s ist halt der Lauf der Welt´, sagt man sich und geht zu seinem Bierchen.


    Ist doch echt tschechisch und dazu noch ein bißchen Strauss, ein bißchen Debusy, das ergreift und tröstet zur gleichen Zeit.


    Eine gute Medizin gegen das Unbehagen des Älterwerdens.


    Viele Grüße
    hami1799

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