Liszt, Franz: Das Werk für Klavier solo – wo beginnen?

  • Der 200. Geburtstag von Franz Liszt war ein guter Anlass, sich mit seinem Schaffen intensiver auseinander zu setzen. Doch alleine die Klavierwerke sind schier unübersehbar: Auf 99 CDs ist die Gesamteinspielung von Leslie Howard angewachsen. Nicht jeder wird sich der Herausforderung stellen wollen, dieses Gebirge hörend zu durchwandern. Auf welche repräsentativen Werke soll man sich beschränken? Wo beginnt man?


    Die h-moll-Sonate gehört sicher zu jedem noch so eng gefassten Liszt-Klavierkanon. Joachim Kaiser hat sie zu „Liszts gewichtigstem Werk“ geadelt. Wer wollte widersprechen? Irgendwo zwischen Horowitz, Barere, Gilels, Argerich, Arrau, Brendel, Pollini und Zimerman wird man seine einsätzige h-moll-Seligkeit finden – oder auch in diesem Thread.


    Die „Études d’exécution transcendante“ wurden in den letzten Monaten mehrfach aufgenommen, auch von jungen Pianistinnen mit zumindest teilweise fernöstlicher Abstammung. Ein kapitaler Zyklus, mehrfach von Liszt überarbeitet. Wer die Etüden Chopins mag, wird auch hier seine Freude haben. Beiden Werkgruppen ist ja gemeinsam, dass jenseits aller pianistischen Zirzensik poetische Ideen hinter den Notenmassen stehen, deren musikalische Ausformulierung tragfähig genug ist, um die Stücke der Sphäre der bloßen Fingerübung zu entreißen. Ob die recht zierlich gebauten Damen den Referenzaufnahmen von Berman und Berezowsky genug entgegen zu setzen hatten? – In diesem Thread findet man jede Menge Informationen zu diesem Zyklus.


    Die „Liebesträume“ und die „Consolations“ mag man zur Salonmusik zählen. Barenboim, den ich beileibe nicht mit jedem Repertoire schätze, konnte so etwas gut. Auch die „Ungarischen Rhapsodien“ sind nicht frei vom Verdacht, der Unterhaltungsmusik nahe zu stehen. Wer kennt den witzigen Cartoon mit Tom & Jerry über die berühmte zweite Rhapsodie? Cziffra ist eine gute Wahl. Auch die Opernparaphrasen wären zu nennen, am bekanntesten ist vielleicht diejenige über „Rigoletto“.


    In Liszts Weimarer Zeit entstanden die „Harmonies poétiques et réligieuses“. Am bekanntesten daraus sind die „Funérailles“. Horowitz, Brendel, Zimerman, Arrau, …


    Das Spätwerk ist, wenn nicht ausschließlich mysteriös (aber auch), so doch in jedem Falle eine Ausnahmewerkgruppe in der gesamten Klavierliteratur. Liszt, der im früheren Jahren Damen der Gesellschaft aus ihren Ehen entführte und ohne Segen der Kirche Kinder zeugte, hat im Alter die niederen Weihen eines Abbé angenommen. Etwas Grüblerisches haftet diesen Stücken an. Die Grenzen der Tonalität werden erreicht, in einem Falle ist dies sogar im Titel dokumentiert („Bagatelle sans tonalité“). Debussy und Schönberg scheinen schon heftig anzuklopfen. „Nuages gris“, „La lugubre gondola“, „Unstern! Sinistre“, „Csardas macabre“ sind Titel, die den zu erwartenden atmosphärischen Rahmen schon ganz gut abstecken. Cyprien Katsaris und Alfred Brendel, aber auch Arrau, Zimerman und Pollini haben den spezifischen Tonfall dieser Werke gut getroffen. – In diesem Thread gibt es weitere Anregungen.


    Neben der Sonate h-moll sind aber vielleicht die „Années de pèlerinage“ als Liszts pianistisches Chef-d’oeuvre anzusprechen. Dies nicht nur wegen ihres Umfangs von gut zweieinhalb Stunden, sondern auch wegen ihrer langen Entstehungszeit: Rechnet man Frühversionen („Album d’un voyageur“) mit ein, so reicht die Zeit der Komposition von 1835 bis 1877 und umfasst Hochvirtuoses genauso wie Werke im vergeistigten Spätstil. Da sogar eine komplette Sonate zum Zyklus gehört („Après une lecture de Dante“ vulgo „Dante-Sonate“), kann man die „Années“ durchaus als pianistisches Kompendium Liszts ansehen. – Ein Thread zu den „Années“ ist geplant.


    Was wäre Eure Mindestaustattung in Sachen „Liszt Klavier solo“?