Eine Aufnahme einfach als gut anzusehen ist nicht genug

  • Meine Lieben,
    wieder mal ein Zitat eines Mitglieds, welches ich in gekürzter Form als Threadtitel gekapert habe.


    Das Originalzitat von Thomas Sternberg laut folgendermaßen:


    Zitat

    Eine Aufnahme einfach als gut anzusehen, gefällt mir, ist nicht genug. Sie muss sich in einen, ich nenne es mal "ideologischen" Rahmen einfügen.


    Darüber lässt sich in der Tat trefflich streiten - äh diskutieren....


    Mir ist im Zusammenhang mit klassischer Musik ein "ideologischer Rahmen" stets suspekt - aber vielleicht verstehe ich ja etwas völlig Falsches darunter (???)
    Daher sollten wir damit beginnen, festzustecken, welcher ideologische Rahmen denn hier gemeint ist......


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zur Verdeutlichung dessen, was Thomas eventuell meinte, hier der komplette Absatz, aus dem der Satz des Threadtitels genommen wurde:


    Vielleicht kommt ja auch dieser "Ewigkeitswahn" einfach daher, das Menschen eine klare Struktur in jedem Lebensbereich brauchen, Musik ohne diesen "Überbau" nicht denkbar ist. Eine Aufnahme einfach als gut anzusehen, gefällt mir, ist nicht genug. Sie muss sich in einen, ich nenne es mal "ideologischen" Rahmen einfügen.


    Wenn ich es richtig verstehe, wollte sich Thomas von der Haltung, die sich in dem Satz "Eine Aufnahme einfach als gut anzusehen, gefällt mir, ist nicht genug" ausdrückt, distanzieren.

  • Hallo Alfred,


    es ist doch so, das ein Künstler durch seinen Erfolg auch in eine Machtposition förmlich gedrängt werden kann.


    Furtwängler und Karajan wären da Beispiele. Durch diese Macht können sie Konkurrenten ausstechen, erwerben eine Aura, die auch Leute fasziniert, die mit Musik nichts zu tun haben und ihre Sichtweisen auf die gespielten Werke werden zu Dogmen. Die über ihren Tod hinaus noch gültig bleiben, zumindest für einen Großteil der Hörer.


    Natürlich gab es von beiden Künstlern herausragende Aufführungen, ohne Frage, aber dieses "Hinausstrahlen", bis über den Tod hinaus, hat viel mit dieser "Machtaura" zu tun.

  • es ist doch so, das ein Künstler durch seinen Erfolg auch in eine Machtposition förmlich gedrängt werden kann.


    Furtwängler und Karajan wären da Beispiele. Durch diese Macht können sie Konkurrenten ausstechen, erwerben eine Aura, die auch Leute fasziniert, die mit Musik nichts zu tun haben und ihre Sichtweisen auf die gespielten Werke werden zu Dogmen. Die über ihren Tod hinaus noch gültig bleiben, zumindest für einen Großteil der Hörer.


    Diese so genannte Machtposition (ich hätte dieses Wort nicht gewählt, verstehe aber, was Thomas Sternberg meint) der als Beispiele genannten Dirigenten beruht einzig auf ihrem Können. Sie waren außergewöhnlich starke Begabungen. Nur dadurch schlagen sie Konkurrenz aus dem Feld und wirken weit über ihren Tod hinaus. Wer nichts von Musik versteht, der lässt sich auch nicht von Furtwängler oder Karajan faszinieren. Wie sollte das auch gehen? Jeder Dogmatismus in solchem Zusammenhang ist Unsinn. Die Aufnahmen hören, und dann für sich entscheiden, ob sie einem auch nach einem halben Jahrhundert noch etwas geben. Ich kenne etliche Einspielungen von Furtwängler, die ihm bis heute niemand nachgemacht hat. Das ist meine eigene Erfahrung, die lasse ich mir durch niemanden einreden. Nach meiner Überzeugung verlangt das Hören von Musik unter Umständen auch Selbstbewusstsein. Anstöße von außen? Ja, letztlich aber dem eigenen Ohr vertrauen!


    Es gab ja immer wieder Versuche durch Industrie, Agenturen oder Medien, Musiker an die Spitze zu schießen (neue Callas, neuer was weiß ich... ). Viele dieser Versuche sind kläglich gescheitert. Es gilt Spruch, der so alt wie schlicht ist: Kunst kommt von Können.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Eine Aufnahme als gut anzusehen, ist nicht genug ... Das könnte die Maxime von Karajan gewesen sein. Meines Wissens hat kaum jemals ein Dirigent so viel und so viel mal dasselbe aufgenommen wie er. Aber, wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Ein großer Baum, der viele kleinere überragt, wirft auch viel mehr Schatten. Gell.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


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  • Diese so genannte Machtposition (ich hätte dieses Wort nicht gewählt, verstehe aber, was Thomas Sternberg meint) der als Beispiele genannten Dirigenten beruht einzig auf ihrem Können.


    Lieber Rheingold,


    so pauschal möchte ich das nicht stehen lassen.


    Wenn es um die Machtposition geht, dann reden wir über ein Phänomen, das Dirigenten zu Lebzeiten eigen ist (oder auch nicht). Karajan etwa wurde im Jahre 1938 zum Dirigieren an die Berliner Staatsoper eingeladen, weil die braunen Machthaber einen zweiten Superdirigenten neben Furtwängler aufbauen wollten. Den hielten sie nämlich in ideologischer Hinsicht nicht für zuverlässig genug. Darum (aber sicher nicht nur) erhielt Karajan großartige Kritiken ("Wunder Karajan" hieß es in einer Zeitung).


    Ob Karajan im Vergleich zu Celibidache wirklich der bessere Dirigent war, möchte ich mal dahingestellt sein lassen. Dass die Berliner nach Furtwänglers Tod Karajan bevorzugten, lag auch daran, dass sich Celi kurz vorher mit diesen überworfen hatte. - Ein Diplomat war Celi halt nicht. Karajan hingegen beherrschte neben dem Taktieren des Orchesters auch das Taktieren mit Beziehungen. So wurde er es ... wir wissen nicht, wie HvKs Karriere ohne das Verdrängen Celis gelaufen wäre. (Na ja, bei HvKs Machtbewusstsein hätte er es auch so geschafft ... :) )


    Was ihr posthumes Nachwirken angeht, zählen tatsächlich vor allem die überlieferten Einspielungen. Klar gibt es bei HvK Phänomenales (Beethoven 1961/62, Wagner: Ring, Sibelius, R. Strauss: Orchesterwerke, 2. Wiener Schule, Honegger) aber auch Durchschnittliches (Mozart, Haydn, Mahler) und Überholtes (Vivaldi, Bach). Was ganz normal ist.


    Wer nichts von Musik versteht, der lässt sich auch nicht von Furtwängler oder Karajan faszinieren. Wie sollte das auch gehen?


    "Faszination" muss nicht unbedingt etwas mit Musik zu tun haben. Karajan wusste auch unmusikalische Menschen zu faszinieren und arbeitete aktiv an einer solchen "Aura" (Fotos nur von der "schönen" Seite, Dirigieren mit geschlossenen Augen usw.).


    Ich kenne etliche Einspielungen von Furtwängler, die ihm bis heute niemand nachgemacht hat.


    Na, Gott sei Dank hat sie ihm niemand nachgemacht ... :) ... Wahrscheinlich wolltest Du sagen: Einspielungen, die niemand übertroffen hat. Dafür gäbe es Kandidaten, da stimme ich zu. Etwa die beiden "Beethoven 9" von 1942, "Schubert 9" von 1941(?, die frühere halt), Schumann 4, Tristan. Seinen Bruckner halte ich beispielsweise für deutlich schwächer. - Eine andere Frage ist, ob ich Fu auch da akzeptiere, wo er klar gegen die Partitur dirigiert (Beethoven, Schumann). Ich finde es musikalisch gesehen zwar überwältigend, aber mit dem Notierten hat es nur bedingt zu tun.


    Genauso, wie manche Regietheater-Gegner sagen, man müsste "Götterdämmerung - Musikdrama von Konwitschny nach Musik und Texten von Richard Wagner" ankündigen, müsste man bei Fu auf die CD schreiben: "Furtwängler - Sinfonie d-moll nach Noten von Richard Schumann".


    Das von Dir genannte Selbstbewusstsein in allen Ehren - es ist schön, wenn sich jemand von den Medien nichts einreden lässt. Aber es geht hier nicht darum, ein starkes Ego zu haben, sondern zu fragen, wer hat das Stück x am besten eingespielt? Und was heißt am besten: Am partiturgetreuesten? Am dichtesten am Willen des Komponisten orientiert (der sich in den Noten eventuell nur unvollkommen ausdrückt)? Am wirkungsvollsten (und sei es gegen den Komponisten)?

  • Zitat

    So wurde er es ... wir wissen nicht, wie HvKs Karriere ohne das Verdrängen Celis gelaufen wäre. (Na ja, bei HvKs Machtbewusstsein hätte er es auch so geschafft ... :) )


    Hvk war 1. Dirigent in London. Wäre er geblieben, hätte Klemp sich einen anderen Job suchen müssen und wäre wahrscheinlich als Rundfunkdirigent durch die BRD der 50iger Jahre gezogen oder in Amsterdam als Dauergast gelandet.


    Zum Thema. Wenn mir eine Aufnahme gefällt, dann reicht mir das. Es kommt allerdings vor, dass mit den Jahren ich Aufnahmen "nach unten" durchreiche. Denn, man glaubt es nicht, manche Aufnahmen aus jüngerer Zeit sind besser als alte. Und manchmal kommen alte hinzu, die ich noch nicht kenne und mich dann wunder, warum ich die solange ignoriert habe.
    Verklärung kenne ich eigentlich nicht, eher Respekt. Man sollte stets eine gewisse Distanz zum Gegenstand der augenblicklichen Bewunderung haben.
    Oder wie ich es gerne formuliere: "Gegen Liebe auf den ersten Blick, hilft oft der Zweite."


    Gruß S.

  • Karajan war das Beste, was den Berliner Philh. passieren konnte. Orchestermusiker sind auch nur Menschen und ich denke, wenn Celi statt Karajan Chef geworden wäre, hätte der Geldsegen der folgenden Jahre wohl erheblich karger ausgesehen. Celi war ja damals gegen jegliche Tonträger und die brachten dem Dirigenten, wie auch dem Orchester das große Geld.


    :hello: Herbert

    Tutto nel mondo è burla.

  • Ich meine, Celi wäre erst dann gegen Tonträger gewesen, als er sah, welche Maschinerie Karajan dabei in Gang setzte. Aber meine Erinnerung kann auch trügen.

  • so pauschal möchte ich das nicht stehen lassen.

    Lieber Wolfram, ich danke Dir sehr herzlich, dass Du mich mit so großer Nachsicht und Geduld belehrst. Die Fakten, die Du zusammengetragen hast, sind mir wohl bekannt. Wir deuten sie unterschiedlich. Ob Du meine Auffassungen stehen lassen willst oder nicht, darüber darfst Du frei entscheiden. Wir sind in einem Forum unterwegs. Du darfst auch meine bescheidenen semantisch Fahigkeiten korrigieren. Nur in diesem einen Punkt erlaube ich mir Widerspruch:



    müsste man bei Fu auf die CD schreiben: "Furtwängler - Sinfonie d-moll nach Noten von Richard Schumann".

    Das halte ich für ein Fehlurteil, vorausgesetzt, Du meintest ROBERT Schumann. Im Übrigen beruht Furtwänglers Faszination für mich auch darauf, dass er es mit den Notierungen manchmal bewusst nicht so genau nahm. Sagte er nicht selbst einmal auf die Bitte des Orchesters, genau zu schlagen: "Je ungenauer, desto besser."

    Biographische Details interessieren mich bei Dirigenten nur zweitrangig. Sie sollen gut dirigieren und keine guten Menschen sein.


    Grüße von Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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  • Bruno Walter oder Dimitri Mitropoulos


    Ich beneide Dich sehr darum, dass Du diese beiden Männer persönlich gut gekannt hast. Gern wüsste ich mehr über sie als in Büchern steht. Schreib bitte darüber.


    Ich bin sehr gespannt auf deine Berichte.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Nur ein paar Zwischenbemerkungen zu eben Gelesenem:


    Zitat

    Karajan etwa wurde im Jahre 1938 zum Dirigieren an die Berliner Staatsoper eingeladen, weil die braunen Machthaber einen zweiten Superdirigenten neben Furtwängler aufbauen wollten. Den hielten sie nämlich in ideologischer Hinsicht nicht für zuverlässig genug. Darum (aber sicher nicht nur) erhielt Karajan großartige Kritiken ("Wunder Karajan" hieß es in einer Zeitung).


    Ich muß sagen, es berührt mich irgendwie unangenehm, wenn (nach Karajans Tod - zu Lebzeiten hätte sich das niemand getraut) immer wieder unterschwellig angedeutet wird, Karajan habe seine Karriere "den braunen Machthabern" zu verdanken - wobei dann immer wieder ein kleiner Rückzieher gemacht wird, der offenlässt, es hätte auch anders kommen können.


    Wenn Herrn Dr. Goebbels Furtwängler aus ideologischer Sicht nicht zuverlässig genug erschien, dann hat er mit der Nominierung Karajans mit Sicherheit die falsche Wahl getroffen, denn Karajans Ideologie hieß schlicht und einfach "Karajan"
    Er hätte mit JEDER ihm nützlichen Partei zusammengearbeitet - ich erinnere mich, das mal in einem abgedruckten Interview von ihm gelesen zu haben.


    Der EIGENTLICHE Ruhm Karajans kam erst in der Nachkriegszeit, wo er von Politikern aller Coleur hofiert wurde
    Lediglich die EMI traf eine ihrer - beinahe möchte ich sagen "legendären" Fehlentscheidungen, als ein Manager meinte, "Karajan wäre "ausgespielt" - er habe nichts mehr zu bieten. Zu diesem Zeitpunkt wat kein Fred Gaisberg zugegen und auch kein Walter Legge, der gesagt hätte: "Leute Wacht auf !!!"
    Und so konnte die Deutsche Gramophon Gesellschaft mit Karajan einen Exklusivvertrag abschliessen, der alles bisher Dagewesene übertraf. Spätestestens zu diesem Zeitpunkt gab es DREI Synonyme für Klassische Musik: Caruso -Callas -Karajan.


    In der Tat erreichte Karajan speziell ab den fünfziger Jahren eine wohl einzigartige Machtposition - die teilweise noch heute Bestand hat - und die nächsten Jahre haben wird.


    Diese Tatsache bringt in der Tat einige Fragen mit sich.
    Wenn - was ich bezweifle - Karajans Ruhm - eng mit dem dritten Reich verknüpft war, warum gab es danach keine Karrieredelle ?
    Darauf gäbe es einige Antworten - aber allesamt wird man sie nicht hören wollen.


    Wenn (nach dem 2. Weltkrieg) Politik, Kritik, Plattenkonzernen UND Publikum GLEICHERMASSEN diesen Halbgott Karajan anbeteten, dann kann man daraus verschieden Schlüsse ziehen:


    a) Entweder Karajan war so ÜBERRAGEND gut, daß er alles zeitgenössische in den Schatten stellte -und die zukünftigen Interpreten dazu


    ODER
    b) den obengenannten Gruppen - und sie machen ein Gutteil der Gesellschaft aus - war seine politische Vergangenheit (so es je eine gab - was ich entschieden bezweifle) völlig EGAL. Und das ist noch eine harmlose Version.....


    Ich würde aber meinen, nicht völlig falsch zu liegen, wenn ich wiederhole:
    Karajans Ideologie hieß "KARAJAN".......


    Zitat

    Vielleicht gibt es aber auch mal einen Dirigenten, der ein guter Mensch ist und gut dirigiert, was dann ?


    Dann ist endlich der Beweis erbracht, daß die Erde eine Scheibe ist....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich beneide Dich sehr darum, dass Du diese beiden Männer persönlich gut gekannt hast. Gern wüsste ich mehr über sie als in Büchern steht. Schreib bitte darüber.


    Du brauchst nicht mehr zu wissen als in den Büchern steht. Über diese beiden kann man vollkommen genug lesen, um zu meinem Urteil zu kommen.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • Wenn - was ich bezweifle - Karajans Ruhm - eng mit dem dritten Reich verknüpft war, warum gab es danach keine Karrieredelle ?


    Ich möchte dieses Thema nicht moralisieren. Keiner weiß, wie er selbst gehandelt hätte. Karajan hat z. B. das Horst-Wessel-Lied öffentlich dirigiert - was andere abgelehnt haben. Wir hatten ähnliches vor etwa einem Jahr in einem Thread zu Karl Böhm besprochen.


    Jedenfalls gab es viele, die sich im dritten Reich arrangiert hatten und danach keine Karrieredelle hatten. Karajan wäre da nicht der einzige.


    Ferner ist zu bemerken, was ein kluger Mensch (weiß gerade nicht, wer) mal festgestellt hat: Karajan füllte das Vakuum, das für einige, die nach 1945 führerlos geworden waren, entstanden ist, aufs Beste aus.

  • Keiner weiß, wie er selbst gehandelt hätte.

    Eine sehr gute ehrliche Aussage, über die manch ein kritischer Moralist mal intensiv in der "Ich- Form" nachdenken sollte. Passend kommt mir da in etwas abgewandelter Form der biblische Spruch ein:
    Wer ohne Schuld (ist) wäre, werfe den ersten Stein.

    Karajan hat z. B. das Horst-Wessel-Lied öffentlich dirigiert

    ... und wenn er es nicht getan hätte, hätte es ganz sicher ein anderer getan und sich vielleicht damit eine evtl. Karriere bereitet. Und HvK hätte somit als bekennender Gegner des Reiches sein künstlerisches Leben bestenfalls an irgendeinem kleinen Provinztheater gefristet.
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • alleine Dein "sollte" macht Dich aber auch zum kleinen Moralisten - wenigstens ein bisschen, nicht wahr?


    Nein, eigentlich nicht, lieber Wolfram.
    Vielleicht ist in der Kürze meines Beitrages nicht das rübergekommen, was ich eigentlich ausdrücken wollte. Nun etwas ausführlicher.
    Zuerst mal möchte ich betonen, daß ich diese braune Zeit und ihre Verbrechen aus tiefstem Herzen und vollster Überzeugung hasse, verabscheue und verachte. Nur, wir sprechen hier im Fall von HvK und auch vorher schon mal von Böhm, nicht von Menschen, die sich eines Verbrechens schuldig gemacht haben, sondern von Menschen, die sich schlicht und einfach aus persönlichen, bestimmt auch egoistischen Motiven ihrer Berufung und damit auch ihrer Karriere zuliebe, "angepaßt, eingeordnet und mit den Wölfen mitgeheult haben". Eine menschliche Schwäche, die man aber bis zu einem gewissen Grade nachvollziehen und verstehen kann. War es nicht zu allen Zeiten so, und auch heute noch, "wes´Brot ich ess", dessen Lied singe ich". Man kann als einzelner nicht gegen den Strom schwimmen. Das führt dann bis hin zur Vernichtung der Existenz mit allen Konsequenzen und wird zum Überlebenskampf.
    Wie viele Beispiele könnte man hier anführen...
    Nehmen wir eine gegenwärtig hohe politische Person. Seinerzeit in der DDR gelebt. Ich bin ehrlich davon überzeugt, daß sie gegen die Politik, den Staat und ihre Machenschaften war. Dies wird sie innerlich und im engsten vertrauten Kreis auch bestimmt vertreten haben. Aber ganz sicher nie öffentlich. Oder glaubt ernsthaft jemand, daß man mit einer offenen staatsfeindlichen Meinung hätte das Abitur machen können, hätte studieren und promovieren dürfen? Man mußte sich schon nach außen ein bischen anpassen, wenn man persönlich was erreichen wollte.
    Ein auch heute anerkannter Schauspieler aus der ehemaligen DDR. Früher beim Film und im Fernsehen auch Kommunisten bis hin zu Kundschaftern für den Frieden, Stasi- Offiziere gespielt.
    Ein anderer ganz bekannter. 1963 Drehbuchautor, Mit-Regisseur und Hauptdarsteller im Film "Der Kinnhaken". Der Inhalt, die Glorifizierung und Bestätigung "der Richtigkeit der Mauer"!!!
    Diese Menschen haben sich seinerzeit aus persönlichen egoistischen Gründen angepaßt und es ging ihnen gut. Sie genossen alle Privilegien und Vorteile, waren aber ganz sicher keine überzeugten DDR- Staatsbürger!
    Ein Beispiel noch aus der eigenen Verwandtschaft.
    Meine Schwägerin ist Ärztin, FA für Chirurgie. Seinerzeit als Oberärztin in einer Klinik langjährig tätig. Mit ihr ein Kollege, ebenfalls OA. Sie hatten viel gemeinsames, beide etwa gleich alt, fachlich erfahren und kompetent und etwa die gleiche Zeit in der Klinik tätig. Einen Unterschied gab es aber doch. Er war Mitglied in der Partei, der SED. Meine Schwägerin nicht. Als der bisherige Chefarzt aus Altersgründen ausschied, wurde die Stelle vakant. Beide hatten sich beworben. Muß ich sagen, wer von beiden der neue ChA wurde?
    Um auf den eingangs angesprochenen kleinen Moralisten einzugehen, möchte ich meinen Beitrag mit einer hypothetischen Frage beenden.
    Wir hatten vor einem Monat etwa in unserem Forum eine Diskussion zum Thema BILD- Zeitung, die dann leider etwas in die falsche Bahn geriet und entgleiste. Macht nichts, spielt auch keine große Rolle mehr. Es haben sich etliche als totale und absolute Gegner dieses Blattes bezeichnet, was ihnen unbenommen bleiben soll. Man stelle ich sich vor, bei denen klingelt ein Vertreter dieser Zeitung und bietet ihnen an, wenn sie für kurze Zeit Werbung für BILD machen, erhalten sie steuerfrei auf die Rasche 100 oder auch 200.000 € bar auf die Hand. Was meint Ihr, wie schnell sich da die Meinung über diese Zeitung ändern würde. Zumindest nach außen... Schenkt Euch die Antwort, mag sich jeder selbst überprüfen...
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Das von Dir genannte Selbstbewusstsein in allen Ehren - es ist schön, wenn sich jemand von den Medien nichts einreden lässt. Aber es geht hier nicht darum, ein starkes Ego zu haben, sondern zu fragen, wer hat das Stück x am besten eingespielt? Und was heißt am besten: Am partiturgetreuesten? Am dichtesten am Willen des Komponisten orientiert (der sich in den Noten eventuell nur unvollkommen ausdrückt)? Am wirkungsvollsten (und sei es gegen den Komponisten)?


    Damit kommen wir zur Frage, um die es in diesem Thread doch eigentlich gehen sollte, wann ist eine Aufnahme "gut"? Was heißt gut? Und worin unterscheiden sich verschiedene Einspielungen, die alle "gut" sind? Reicht es aus, zu sagen, partiturgetreu? Nein, denn wie laut das forte ist (= wie leise das pp), wie hart das staccato, wie lang die Fermate, wie baue ich das crescendo auf, wie ist die Phrasierung, welche Nebenstimmen hebe ich hervor usw., alles das bei völliger Partiturtreue und man kommt zu unterschiedlichen Ergebnissen. Ich kann deshalb nicht sagen, X hat das Stück am besten eingespielt. Aber X überzeugt mich am meisten mit seiner Interpretation. Und was einem gefällt, das ist sehr subjektiv. Der eine mag eben die Pastorale flott, der andere getragen.


    Wenn es um die Machtposition geht, dann reden wir über ein Phänomen, das Dirigenten zu Lebzeiten eigen ist (oder auch nicht). Karajan etwa wurde im Jahre 1938 zum Dirigieren an die Berliner Staatsoper eingeladen, weil die braunen Machthaber einen zweiten Superdirigenten neben Furtwängler aufbauen wollten. Den hielten sie nämlich in ideologischer Hinsicht nicht für zuverlässig genug. Darum (aber sicher nicht nur) erhielt Karajan großartige Kritiken ("Wunder Karajan" hieß es in einer Zeitung).


    Über Karajan ist doch in diesem Forum schon mehr als genug debattiert worden. Aber wenn über ihn auch Jahrzehnte nach seinem Tod sich die Gemüter so erhitzen, dann muss doch etwas dran sein, an dieser Persönlichkeit. Was ich nicht mag, wenn die Karajan-Hasser die braune Keule schwingen, um ihrer Abneigung so richtig Genüge zu tun. Das Schlagwort vom "Wunder Karajan " stammt in der Tat aus der Nazizeit und zwar aus dem Jahre 1938. Deutschland lebt in einem hektischen Rausch an Fahnen und Uniformen. Mit gewaltigen Mitteln wird die Staatsoper in der Reichshauptstadt gefördert. Sie versucht, alle bedeutenden Kräfte auf musikalischem Gebiet an sich zu ziehen. Karajan ist damals ganze 30 Jahre alt und Generalmusikdirektor in Aachen. Er dirigiert als Gast an der Berliner Staatsoper Wagners "Tristan". Wer kennt ihn schon? Im Publikum rührt sich keine Hand, als er zum ersten Mal am Dirigentenpult erscheint. Als er zu Beginn des zweiten Aktes wiederkommt, wird er mit einem Riesenbeifall aufgenommen und es ertönen Bravos. Danach schreibt ein Kritiker: "Dieser Mann ist die größte Dirigentensensation des Jahrhunderts. Rund herausgesagt: wir stehen vor einem Wunder. " (Zitiert aus Karl Löbl: "Das Wunder Karajan")
    Was besagt denn das? So unrecht hatte der Kritiker nicht.

    Ich muß sagen, es berührt mich irgendwie unangenehm, wenn (nach Karajans Tod - zu Lebzeiten hätte sich das niemand getraut) immer wieder unterschwellig angedeutet wird, Karajan habe seine Karriere "den braunen Machthabern" zu verdanken - wobei dann immer wieder ein kleiner Rückzieher gemacht wird, der offenlässt, es hätte auch anders kommen können.

    Mich auch.


    Zitat

    Er hätte mit JEDER ihm nützlichen Partei zusammengearbeitet - ich erinnere mich, das mal in einem abgedruckten Interview von ihm gelesen zu haben.


    So wie ich es gelesen habe, hat sich Karajan geäußert, er wäre auch in den Alpenverein eingetreten, wenn es nötig wäre.


    Und nun ist eigentlich von mir genug zu Karajan gesagt worden. Die einen mögen ihn, die andern nicht. Und das ist eigentlich nichts Neues.


    Mit freundlichen Grüßen aus Berlin


    :hello:


    timmiju

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

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