In den meisten Kulturen gibt es eine enge Verbindung zwischen Religion und Musik.
Auch im Christentum spielte die Musik auf Grund biblischer Zeugnisse (Diverse Stellen in den Psalmen, vor allem aber auch Epheser 5,19 und Kolosser 3,16) von jeher eine Rolle im Gottesdienst.
Zunächst aber war ihr lediglich die dienende Funktion zugestanden. Ihre Aufgabe war die feierliche Ausgestaltung der liturgischen Handlung zum Lobpreis Gottes und zur religiösen Erbauung der Gläubigen.
Früh aber gewann die Musik ein eigenes Gewicht.
Komponisten mochten sich nicht damit begnügen, sakrale Texte mit Tönen auszustatten.
Es drängte sie, die Texte eigenständig und subjektiv zu deuten, eigene Gefühle auszudrücken und etwas von ihren persönlichen Erfahrungen, Ängsten und Hoffnungen mitzuteilen. Schon im späten Mittelalter entzogen sie sich zunehmend kirchlicher Bevormundung (z. B. Wilhelm von Machaud oder Guillaume Dufay) und in der Neuzeit gewann die Musik im Zuge des Säkularisierungsprozesses dann schnell an Autonomie und Freiheit.
Das eröffnete der Kirchenmusik bisher unerschlossene Möglichkeiten und begründete eine Blütezeit, in der Komponisten wie Tallis, Palestrina, Charpentier oder Bach - um nur wenige Namen zu nennen - Werke schrieben, die Ausdrucks- und Empfindungswelten eröffnen, die neu und reich und unergründlich sind. Es zeigte sich, dass die Musik selbst etwas zu sagen hat zur Religion. Gerade weil sie von allen Künsten die am wenigsten materielle und die geheimnisvollste ist, kann sie das Unbegreifliche, das Unverfügbare, das Transzendentale vergegenwärtigen und erfahrbar machen.
ABER - und darum geht es mir vor allem - : Auch wo sie nicht im Dienst der Kirche steht und nicht an sakrale Texte gebunden ist, ist der Musik das Anliegen wichtig, religiöse Erfahrungen und das Ergriffensein von Numinosem auszudrücken.
Zu den erstaunlichen Besonderheiten der abendländischen Entwicklung gehört es somit, dass die Musik sich häufig nicht damit begnügt, eine Sprache zu sein, in der religiöse Anliegen und Gewissheiten ausgedrückt werden, sondern gleichsam selber religiösen Gehalt, ja eine sakrale Qualität gewinnt.
Dies geschieht schließlich mit großer Konsequenz in der absoluten Musik, die frei von außermusikalischen Einflüssen und Vorgaben ganz ihrem eigenen Ideal als Kunst verpflichtet ist. Diese Musik dient keinem Programm, das religiös oder politisch oder moralisch geleitet wäre. Sie ist getragen von der Überzeugung, dass sie „eine heilige Kunst“ ist und nichts weniger anstreben kann als das Unhintergehbare, das Maßstabsetzende, Letztgültige - das Absolute.
Was schon bei Beethoven beginnt, wird etwa bei Liszt und Wagner, Tschaikowski, Bruckner oder Scriabin vollendet: Musik wird Religion. Wenn Schleiermacher Religion als „das Bewusstsein des Unendlichen und Ganzen“ definiert, benutzt er eine Formulierung, die frappierend treffend umschreibt, was der Musik eignet. Gerade Werke der absoluten Musik (wie zum Beispiel Sinfonien, Streichquartette oder Klaviersonaten), die ja doch hoch strukturierte, eigenen Regeln folgende, letztlich abstrakte Kunstprodukte sind, loten in solche Tiefen, dass sie als das letzte Geheimnis des Glaubens erscheinen. In ihnen gewinnt die Verheißung von Erlösung und Heil emotional unmittelbar erfahrbare Gegenwart.
Ich würde gerne diskutieren, ob diese knapp skizzierte Einschätzung des Verhältnisses von Musik und Religion zutreffend ist.
Und vielleicht habt Ihr auch Antworten auf die daraus folgenden Fragen:
- Wo und wie gewinnt die absolute Musik eine sakrale Dimension?
- In welchen Werken befriedigt die absolute Musik die Sehnsucht der Hörer nach Schönheit, Harmonie und Überwältigung besonders eindrüklich und tief?
- Was ist es, das der Musik die Fähigkeit und die Kraft gibt, ihre Hörer in eine metaphysische Perspektive zu rücken, sie zur Andacht und zur Versenkung zu gewinnen?
Auf eine interessante Diskussion freut sich
Caruso41