Der Interpret als Klassikgott - ein Auslaufmodell

  • Lange habe ich über einen möglichst kitschigen, geschmacklosen Titel für diesen Thread nachgedacht - und schließlich habe ich ihn gefunden.
    Dabei wird hier durchaus die Realität der Vergangenheit beschrieben. "Stardirigenten", StarPianisten" "Primadonnen" und "Startenöre" und natürlich "Teufelsgeiger" - das waren jene Gestalten die die Klassikszene der Vergangenheit oftmals geprägt haben. Sie waren einerseits durch ein anbetungswilliges Publikum - andrerseits durch eine willfährige Kritik und eine raffiniert eingefädelte Werbung der Schallplattenindustrie möglich geworden - und alle patizipierten davon. Die Gagen der Künstler stiegen ins überirdische, die Umsätze der Vermarkter ebenso - und dem Publikum wurde dank einiger gottähnlicher Interpreten - eine Ersatzreligion geboten.
    Die Künsteler waren meist abgehoben, hatte eine kapriziöses Privatleben oder publikumswirksame Marotten und standen meit noch mit 100 auf dem Podium oder auf der Bühne


    Das funktionierte viele Jahre so - von Patti, Melba, Caruso, Gigli, Callas , Furtwängler, Karajan. Celibidache war vielleicht der letzt, der Dank eines strategischen Kunstkniffs zumindest posthum - und nur für kurze Zeit - in diesen Parnass aufstieg.


    Irgendwann fand jemand, daß diese Art der Künstleranbetung nicht mehr zeitgemäß sei - und erfand einen neuen Typ des Künstlers. Jenen Kumpel, der in Jeans ein Konzert absolvierte, der Junge oder das Mädchen von nebenan - und der womöglich noch dazu sexy aussah....


    Das funktionierte anfangs scheinbar hervorragend, so daß man von Seiten der Tonträgerindustrie die ganze Aufmerksamkeit diesem Künstlertyp zuwandte. Und vor allem suchte man ein anderes Publikum für die Klassik zu gewinnen.
    Inwieweit das gelang ist eine Streitfrage - und eine weitere ist - wie anstrebenswert das war.
    In der Tat - die neuen Interpreten waren billiger im Unterhalt und weniger schwierig in der Behandlung.
    Sie zogen ein junges - aber nicht besonders zahlungkräftiges und zahlungswilliges Publikum an - das "bisherige" Publikum sah die neuen Grüßen teils mit Desinteresse, teils mit Wohlwollen, teils mit Ablehnung.
    Schon durch diese Splittung der Standpunkte kann man ersehen, daß der wichtigste Punkt der "Reform" zu scheitern drphte: Die Gewinnoptimierung der Tonträgerindustrie.
    Die Tonträgerindustrie sah irgendwann auch ihren fatalen Fehler ein - und wollte korrigierend eingreifen.
    Es wurden junge Künstler "gepusht" die über die selbe Aura verfügen sollten wie ihre Vorgänger - sie sollten individuell klingen - technisch perfekt sein - und aussehen wie Adonis oder eine Elfe. Dazu sollten sie in Interviews eine Mischung von Jugendlichkeit und Geist versprühen, Begeisterung vermitteln und noch ein paar Kunstkniffe beherrschen.


    Jedermann wird einleuchten, daß dies eine unerfüllbare Forderung ist - jederman auße den Bonzen der Tonträgerindustrie.
    Man hatte keine Konzepte, wusste nicht welchen Weg man einschlagen sollte und ging einen Zick-Zack Kurs.
    Zum einen wurden die Aufnahmen einstiger "Ikonen" verramscht und durch solche von unbekannten Neuzugängen ersetzt.
    Zum anderen wurden auch diese Neuzugänge - so sie ihr Umsatz - und Popularitätssoll nicht erreichten - schnell aus den Katalogen verbannt.


    Das Publikum jedoch hatte jegliche "Orientierungshilfe" verloren - alle "großen Namen" entsprangen der Vergangenheit.


    Manch einer begrüßt diese Entwicklung - die meisten bedauern sie.


    Fortsetzung demnächst in diesem Thread...


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,


    schon früher haben mich von Plattenfirmen gepushte Künstler nicht interessiert. Es zählz einzig die Musik.


    Jetzt, bei der Beschäftigung mit Beethoven`s Musik tritt die Person des Künstlers noch mehr in den Hintergrund. Zuerst höre ich die Musik, dann beschäftige ich mich mit dem Künstler, der sie spielt, aber auch nur dann, wenn die Musik mir gefällt. Wie z.B. dem Artemis Quartett.


    Vielleicht muss man ein langjähriger Sammler sein, um solche Analysen anstellen zu können. ich werde mir auf keinen Fall eine aufgeblähte Sammlung zulegen, nur weil ein Label meint, einen neuen Star kreieren zu müssen.


    Viele Grüße Thomas

  • Zitat

    schon früher haben mich von Plattenfirmen gepushte Künstler nicht interessiert. Es zählt einzig die Musik.


    Vielleicht darf ich hier mit einer vermutlichen Fehlinterpretation des Threads aufräumen:


    Die im Treadtitel erwähnten "Klassikgötter" waren keineswegs "gepushte" Künster - zumindest mehrheitlich nicht.
    Es handelt sich hier einfach um die - nach Meinung des zeitgenössischen Publikums und der damaligen Kritik um die Besten ihres Fachs.


    Dies Besten mussten sich ZUERST im Konzertsaal oder dern Opernbühnen der Welt bewähren, bevor sich die Plattenfirmen für sie interessierten. Ursprünglich (also etwa vor 1900) galt es als unseriös Tonaufnahmen zu machen. Das Medium Phonograph galt als Jahrmarktsattraktion,sodaß manche Sänger sogar unter falschem Namen in den Trichter sangen...


    Das änderte sich um etwa 1900. Der Phonograph war akustisch weiterentwickelt worden, die Schallplatte trat als neues Medium auf. Nur wohlhabende Leute konnten sich damals ein Grammophon kaufen


    Deshalb rannte ab diesem Zeitpunkt die Schallplattenindustrie (allen voran der Produzent Fred Gaisberg) hinterher.
    Die Künstler jeoch hatte sich seit Jahren am Konzerpodium oder auf den Opernbühnen der Welt bewährt und einen Namen gemacht. Es gab sie zwar die Werbung - aber sie hatte allenfalls eine verstärkende Wirkung.


    Wer es aber einmal geschaft hatte - der war mehr oder weniger sacrosankt - auch wenn er seinen künstlerischen Höhepunkt schon überschritten hatte.


    Caruso, Patti. Melba - sie waren Götte in den Augen des Publikums - und einige davon sind es in gewisser weis noch heute.
    Der Patti wurde in der Literatur ein Denkmal gesetzt, sie wurde in Oscar Wildes "Das Bildnis des Dorian Gray" namentlich genannt


    Zitat

    Dorian Gray:
    "......ich war in der Oper. Sie hätten auch hinkommen sollen. Ich habe dort Henrys Schwester, Lady Gwendolen, kennengelernt. Wir waren in ihrer Loge. Sie ist äußerst charmant und die Patti hat göttlich gesungen.“


    "hat göttlich gesungen"
    Das war das Gefühl der Zeit - und dieses Lebensgefühl hat sich bis weit ins 20. Jahrhundert erhalten.
    Wenn man schon den Menschen als Ebenbild Gottes in Frage stellte - beim Künstler tat man es nicht. Im Gegenteil.
    Tonträgerkonzerne schufen diese Halbgötter - Dreiviertelgötte und was weiß ich noch für Götter - nicht. Sie machten sie sich lediglich nutzbar - und gewährten ihnen jegliche Gagen und Verträge. Um die allerbesten an sich zu binden gab es sogennannte Exklusivverträge die den Künstlern alle möglichen Rechte einräumten. (Veto gegen eine Veröffentlichung, weitgehende Wahl der Partner oder des Dirigenten etc etc..)


    Irgendwann im ausgehenden 20. Jahrhundert boomte der Markt nicht mehr - sodaß vieles nicht mehr finanzierbar schien. Erst jetzt sah man wie teuer doch manche der Exklusivkünstler waren, die man auf viele 'Jahre verpflichtet hat - und man sah auch, daß etliche ihre Kosten nicht mehr einspielten.


    Flugs begann man viele zu "demontieren" und aus dem öffentlichen Bewusstsein zu verdrängen.
    Denn inzwischen hatte sich noch etwas geändert. Es war nicht mehr vorzugsweuise so, daß man eine Platte von einem Künstler kaufte, den man neulich im Konzert gehört hatte - nein nun war es umgekehrt - Man wollte einen Künstler auch mal live hören, dessen CD man neulich gekauft hatte.


    Aber die Zeit des allgemeinen Starkults war fürs erste mal vorbei, wo man für eine Melba, die gerne Pfirsiche aß, extra das noch heute auf den Dessertkarten der Welt vorhandene "Pfirsich Melba" kreierte..., wo jedes Statement einer Callas oder eines Herrn von Karajan in der Zeitung veröffentlicht wurde...


    Aus Halbgöttern waren "Durchschnittsmenschen" mit einem künstlerischen Beruf geworden -
    und die Opernhäuser, Konzertagenturen und Tonträgerkonzerne atmeten auf.


    Welche Auswirkungen diese Entwicklung auf den Tonträgerumsatz einst haben würde - daran dachte man damals noch nicht - aber die kamen dann auch früh genug.....


    mit freundlichen GRüßen
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Mir fallen zwei Tendenzen ein, die dazu beitragen könnten, dass es die "Klassiklichtgestalten" vielleicht nicht mehr in dieser Form gibt, wie das mal der Fall gewesen sein mag.


    Vorweg: Ob jemand nun Klassikgott ist oder nicht - er oder sie ist nur vom Publikum dazu gemacht, nicht aus sich selbst.


    Die erste Tendenz ist, dass Lichtgestalten und Führerfiguren längst nicht mehr den Stellenwert haben, die sie mal gehabt haben mögen. Ein bösartiges Bonmot besagte, dass Herbert von Karajan jenes Vakuum besetzte, das 1945 durch den Selbstmord im Führerbunker enstand - wozu dieser Dirigent natürlich nichts konnte. Wir sind kritischer und haben längst gelernt, das Menschliche in Bachs, Mozarts und Beethovens Biografien zu akzeptieren. Wir haben verstanden, dass diese nicht die Idealmenschen waren, als die sie im Zeitalter des Idealismus dargestellt wurden, zumindest tendenziell. Auch in besten Interpreten sieht man den Menschen mit seinen Schwächen.


    Die zweite Tendenz ist, dass wir halt rund ein Jahrhundert Tonaufnahmen zum Vergleich haben. Messen wir nicht jeden Heldentenor an Melchior? Jede Hochdramatische an Flagstad und Nilsson? Italienisches an Callas, Caruso? Wer wollte dem Vergleich mit Furtwängler standhalten? Horowitz, Glenn Gould, Pollini - wer will da noch seine Nische finden, in der er bestehen könnte? Wer käme da unbeschadet weg? Vielleicht ein Hamelin.

  • Lieber Wolfram,
    ich neige eher dem ersten Modell zu.
    In der Tat ist es so, daß das Publikum den Star macht, nicht er selbst und auch nicht die PR Abteilung.


    Zitat

    Die erste Tendenz ist, dass Lichtgestalten und Führerfiguren längst nicht mehr den Stellenwert haben, die sie mal gehabt haben mögen


    Das stimmt in der Tat - zumindest dem äusseren Anschein nach. Aber tief im Inneren der Menschheit ist die Sehnsucht nach einem Leitbild immer vorhanden.

    Zitat

    Ein bösartiges Bonmot besagte, dass Herbert von Karajan jenes Vakuum besetzte, das 1945 durch den Selbstmord im Führerbunker enstand - wozu dieser Dirigent natürlich nichts konnte


    In der Tat ein infames Bonmot - eigentlich ein Malmot .....
    Aber eher besetzte Karajan das Vakuum, das Furtwängler hinterliess...
    Leitfiguren wurden stets durch andere ersetzt ("DerKönig ist tot - Es lebe der König")
    Allerdings waren einige in der Tat nur "Zwischenlösungen" oder "Intermezzi" - die Geschichte zeigt dies sehr anschaulich.
    Wir dürften und derzeit in solch einer Phase befinden
    Es herrscht gehobenes Mittelmaß - aber was will man auch in einer Zeit, da "Elite" als "Unwort" gilt anderes erwarten ?
    Im Augenblick gibt es weder ein fanatisiert schreiendes oder ehrfürchtig schweigendes, sondern ein fades braves Publikum - aber das mag auch daran liegen, daß derzeit keine charismatischen Künstler zur Verfügung stehen, die diese Reaktionen rechtfertigen würden...


    Die Tonträgerindustrie, die einst gejubelt hat, als die charismatisch-dogmatischen Künstler abtraten - gäben vieles drum, kämen nur neue ihres Schlages nach.....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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