Herbstmusik

  • „Bunt sind schon die Wälder …“ – längst ist es abends früher dunkel, nachts wird es schon recht frisch, morgens liegen Nebelschleier auf den Feldern, im Rheintal hängen Wolken. Geht man an den Winzerhöfen vorbei, riecht es verführerisch nach frisch gekeltertem Most, und überall gibt es den "Neuen Wein", den „Federweißen“, „Bitzler“, „Rauscher“, „Bremser“, „Sauser“ – wie auch immer er regional genannt werden mag.


    Hat der Herbst seine eigene Musik, die das Kolorit, die Stimmung der Jahreszeit gut einfängt? Ich meine schon. Angefangen spätestens bei Vivaldis „Vier Jahreszeiten“.


    Für mich gehört in diese Jahreszeit vor allem Brahms – etwa seine 3. Sinfonie, in der jeder Satz im Piano schließt, der letzte sogar im Pianissimo. Besonders mag ich im Herbst aber seine späten Werke, vor allem das Klarinettenquintett h-moll op. 115 und die Klavierstücke op. 116 bis 119:



    Doch könnte ich mir noch vieles mehr vorstellen, ich denke an Schubert, Mendelssohn und Schumann, aber auch Grieg und Sibelius, Tschaikowsky und Dvorak. Lieder, Kammermusik, Sinfonien? Vielleicht gar eine Oper? Und gibt es denn nicht auch im 20. Jahrhundert Kompositionen mit herbstlichem Charakter?


    Welche Musik gehört für Euch in den Herbst?

  • Hallo, Wolfram, hallo, miteinander!


    Auch wenn der Thread dort, wo nicht explizit "Herbstliches" sich im Titel findet, zwangsläufig ein hohes Maß an Subjektivität birgt, finde ich ihn sehr interessant. Denn in dem Maß, in dem hier Vorschläge eingehen könnten, dürfte eine assoziative Wechselwirkung entstehen zwischen Naturschilderung und Innermenschlichem - der Herbst in der Natur und des Lebens, Reife, Vorahnung des Todes und Trauer um die Vergänglichkeit, Ruhe, Beschaulichkeit - einerseits und der musikalischen Geste andererseits - vielleicht Monochromie der Instrumentalfarben, breite Melodik, beschauliche Tempi, der gänzliche Verzicht auf das Sprunghafte oder auch allzu deutlicher Kontraste zwischen den Sätzen eines mehrteiligen Werks..


    Brahms stellt gewiss ein Muster für diese Kriterien; da wird Wolfram wahrscheinlich niemanden überraschen. So manches würde mir einfallen. Ich bleibe mal bei der Klarinette, nenne aber einen weniger bekannten englischen Komponisten, der ähnlich spät in seiner Epoche dasteht wie etwa Richard Strauss mit seinen Holzbläser-Solokonzerten (die natürlich auch in diesen Thread gehören):



    Es gibt mehrere Einspielungen des Werks. Ich besitze die abgebildete.


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Welche Musik gehört für Euch in den Herbst?


    Diese hier unbedingt:



    Josef Haydn
    »Die Jahreszeiten«, III. Herbst

    Wien SO, Karl Böhm
    Gundula Janowitz, Peter Schreier, Martti Talvela

    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)

  • Hat der Herbst seine eigene Musik [...] vor allem das Klarinettenquintett h-moll op. 115 und die Klavierstücke op. 116 bis 119:
    Welche Musik gehört für Euch in den Herbst?


    Bei aller Unterschiedlichkeit hinsichtlich dessen, was der einzelne Mensch möglicherweise als herbstlich gestimmte Musik wahrnehmen könnte, gibt es doch eine Art von 'common sense' in dieser Frage. Und Johannes Brahms und seine Schöpfungen sind sicherlich sehr prominenter Ausdruck dieses 'common senses'. Die von Wolfram oben genannten Brahms-Werke gehören auch in meinem Empfinden stimmungsmäßig definitiv in diese Sphäre der Herbstmusik. In einem anderen Thread drohte ich vor Tagen bereits damit, dass ich, falls Wolfram seinen schon angekündigten "Herbstmusik-Thread" eröffnen sollte in diesem dann zuerst die Serenade Nr. 1 D-dur op. 11 von besagtem Johannes Brahms nennen werde. Ich mache somit meine Ankündigung war. Wenn man dem Herbstlich-Melancholischen in diesem Werk nachspüren möchte, so kann man das meines Erachtens nach besonders gut mit Hilfe folgender Interpretationen:



    Grüße,


    Garaguly

  • Also die erste Brahms-Serenade ist für mich eher eine Frühlings/Sommermusik... ;)
    Was ist daran herbstlich? Hörnerschall?


    Seltsamerweise nennt kaum je einer zB Beethovens Spätwerk "herbstlich". Bei Brahms dagegen schon das Jugendwerk...


    Mal abgesehen davon, dass heuer der Herbst bis jetzt sommerlicher ist als der Sommer war... gibt es, wie schon angedeutet, teils widersprüchliche Aspekte des Herbstes.


    Ernte, Reife, Erfüllung. Erntedank. Weinlese, Jagd (dominieren bei Vivaldi und Haydn)
    Melancholie, Trauer, Ende des Jahres/Lebens/Epoche
    im Kirchenjahr im Spätherbst: Tod und Ewigkeit (und auch säkulares Totengedenken)


    Da zB Melancholie ja, nicht nur, aber besonders in der Romantik, ein verbreiteter Ausdrucksgestus in der Musik ist, tue ich mich etwas schwer dabei, das spezifisch herbstliche festzustellen. Nehmen wir späten Brahms: Klarinettenquintett meinetwegen. das Streichquintett op.111 finde ich dagegen nicht sehr herbstlich, allerhöchstens spätsommerseptemberlich...

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Herbstmusik - genau wie der Titel dieses Threads ist diese Schubert Klavieraufnahme der Pianistin

    Charlotte Baumgartner benannt, die ich schon vor einiger Zeit in diesem Forum vorgestellt habe, eine sehr introvertierte, beeindruckende Aufnahme, an der nichts gekünstelt und gewollt wirkt. Alles in allem eine sehr "österreichische" Lesart, die ich für schlechthin ideal betrachte - und die sich mit den berühmten Kollegen durchaus messen kann (Label: Gramola, Wien)


    Moments musicaux D 780
    Impromptus D. 935
    12 Grazer Walzer D. 924
    Grazer Galopp D. 925


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Der dritte Akt von Alban Bergs "Wozzeck" ist geradezu eine Vertonung des Herbstes. Wozzeck hat das Elend, die Bedrohung schon seit langem gespürt. Nun fallen die Blätter, der Mond errötet.


    Wie genial konnte Berg die Niedergangsstimmung - man lausche den Zwischenspielen - in Musik umsetzen!


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)


  • Die beiden oben abgebildeten Aufnahmen enthalten jeweils die Sinfonie "Zur Herbstzeit" von Joachim Raff.
    Ich nütze hier die willkommene Gelegenheit einmal mehr auf diesen genialen, aber unterschätzten Komponisten hinzuweisen.
    "Zur Herbstzeit" ist Raffs Sinfonie Nr 10 - Teil eines 4 teiligen Zyklus über die Jahreszeiten, also 4 Sinfonien, welche jedoch nicht in chronologischer Reihenfolge entstanden. Hörenswert.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Also die erste Brahms-Serenade ist für mich eher eine Frühlings/Sommermusik... ;)
    Was ist daran herbstlich? Hörnerschall?


    Lieber Johannes,


    ich fühle mich nun schon ein bisschen bemüßigt, meine Herbstassoziation in der ersten Brahms-Serenade zu verteidigen. Zunächst einmal bleibt festzuhalten, dass dieses Werk - für mich - durchzogen ist von einem "roten Faden" unterschwelliger Melancholie und Verhaltenheit, es sind die letzten sonnigen Tage eines sich seinem Ende entgegen neigenden Jahres, bevor der Verfall dann offen sichtbar wird. In der Natur bedeutet das dann: kahle Äste, fallendes Laub, Nebel, Kälte etc. - für einen solchen Herbst steht das Werk tatsächlich nicht. Aber eben für die Phase davor (ich finde im Übrigen, dass auch Brahms' zweite Symphonie dieser Kategorie zuzuordnen ist.). Wenn man so will, kann man als Bild sich den redensartlich weit verbreiteten 'goldenen Oktober' vorstellen. Bei aller Wärme und lichtdurchfluteten Schönheit der Natur liegt doch eine Stimmung des bevorstehenden Endes über allem.


    Schon am Anfang der Brahms-Serenade steht dieses den ganzen ersten Satz bestimmende Motiv, das von den Hörnern zuerst vorgetragen wird (und bei ihnen immer wieder auftaucht), dann aber in den verschiedensten Instrumenten wiederholt wird. Dieses Motiv ist für mich Ausdruck des oben genannten Empfindens von unterschwelliger Melancholie. Die Freude, die sich auch immer wieder Bahn bricht, ist nicht selbstbewusst und von Dauer, sie wird immer wieder eingetrübt. Es ist, als ob da jemand sich milde und wissend lächelnd zurücklehnt, das kommende Dunkel bereits spürend. Geht man dann in den zweiten und dritten Satz hinein, wird das Herbstliche schon wesentlich deutlicher vorgetragen.


    Niemand muss das so sehen, wie ich es hier vorschlage - wegen der Unterschiedlichkeit menschlicher Empfindungen lässt sich ja bekanntlich darüber auch kaum sinnvoll streiten. Ich versuchte jetzt nur, meinem subjektiven Empfinden eine vielleicht nachvollziebare Erklärung nachzureichen - sozusagen den Ansatz zu einer Objektivierung.


    Grüße,


    Garaguly

  • Ein weiteres Beispiel, das Melancholie und "Überreife" kombiniert, daher passend herbstlich genannt werden könnte, sind sicher Strauss' Vier letzte Lieder. Eins von denen heißt zwar "Frühling", ein anderes "September", aber alles haben den "warmen", leuchtenden, gesättigten Klang und die Melancholie ist nicht herb, sondern eher "Spätlese" ;)


    Ich fürchte bei der Brahms-Serenade kommen wir nicht zusammen. Melancholie höre ich hier in den Ecksätzen beim besten Willen nicht heraus. (Liegt anscheinend unter meiner Wahrnehmungsschwelle ;)) Überdies ist die eher schlanke klassizistische Machart für mich auch eher "unherbstlich".
    Für mich sind Brahms' Werke auch selten so stark mit Natureindrücken verknüpft; am ehesten die auch schon genannte 2. Sinf., aber die ist für mich auch wieder klar (früh-) bis hochsommerlich. Bei der 3. kann ich es eher nachvollziehen, die 4. ist mir wieder zu "abstrakt". Auch die 1. Sinf. sehe ich nicht so naturnah, wobei ich beim dritten Satz herbstlichen Charakter evtl. nachvollziehen könnte.


    Bruckners 4. wäre vielleicht ein Kandidat. die Jagd gehört ja in den Herbst.


    Und man kann andere Naturassoziationen mitunter im Herbst verorten oder übertragen. Der "Nebel" in Mendelssohns Hebridenouverture oder Schottischer Sinfonie ist in Schottland wohl allgegenwärtig, aber es kann einem gewiss auch ein deutscher Herbstnebel dabei einfallen.
    Explizit herbstlich ist damit das zweite Lied im Lied von der Erde. Die Stimmung passt wohl auf das gesamte Werk, selbst wenn wieder ein Satz explizit vom Frühling handelt und Von der Jugend und Von der Schönheit eher im Sommer angesiedelt sind, so passt das erste Lied zur Fülle (Wein) und das letzte natürlich zum Abschied des Sommers/Jahres/vom Leben. Insgesamt ist aber der Gegensatz zwischen der ewigen Wiederkehr in der Natur und der Endlichkeit des menschlichen Lebens zentral.


    Ohne bei Brahms insgesamt (oder in seinen späteren Werken) "Herbstlichkeit" pauschal zurückweisen zu wollen, habe ich auch Schwierigkeiten, gut 20 doch recht unterschiedlicher Klavierstücke opp.116-119 komplett so zu charakterisieren. Zum einen gibt es da Stücke, die für mich zu düster und lakonisch sind (wie 117,3), andere wie die trotzig-heroische Rhapsodie 119,4 entziehen sich ebenfalls einer solchen Einordnung...

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

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  • Lieber Johannes,


    danke für Deine Beschreibung einiger Eigenschaften der "Vier letzten Lieder" - da stimme ich sofort zu!


    habe ich auch Schwierigkeiten, gut 20 doch recht unterschiedlicher Klavierstücke opp.116-119 komplett so zu charakterisieren.


    Nun hat der Herbst ganz verschiedene Tage - ausgesprochen spätsommerliche, wie wir sie gerade erleben, dann stürmische, dann nebelverhangene, dann Dauerregen, dann wieder monoton graue Tage, ... da ist in opp. 116 - 119 doch vieles dabei ...


    Herbstmusik ist für mich etwa auch der "Schwan von Tuonela"von Sibelius - die ganze Doppel-CD enthält wunderbare Sibelius-Interpretationen:



    Im 20. Jahrhundert gäbe es etwa "Vom Winde beweint", eine "Liturgie für Viola und großes Orchester" von Giya Kancheli oder das Violinkonzert "Tala Gaisma" ( = entferntes Licht) von Peteris Vasks:


  • Jetzt sind wir mitten im Herbst - und im Herbstmusik-Thread tut sich seit Wochen nichts.


    Dann will ich mal ein Werk hier positionieren, das schon im Titel ganz plakativ den Herbst trägt; nämlich die Tondichtung "November Woods" von Arnold Bax. Deutlicher geht's kaum noch mit dem Herbstbezug. Das Textbeiheft zur CD informiert mich darüber, dass der Komponist hier nicht nur englisch-irische Herbstlandschaften in Tönen nachzeichnen wollte, sondern dass er es "auch als einen Reflex gegenwärtiger persönlicher Spannungen und Unruhe verstanden wissen" wollte. Vollendet bereits 1917 wurde "November Woods" dann stilecht im November 1920 in Manchester vom Hallé Orchestra unter der Leitung des ebenfalls als Komponist nicht unbedeutenden Hamilton Harty uraufgeführt.


    Meine persönliche Meinung zur Musik von Bax - dessen Kammermusik ich gestern ja schon frönte - könnte salopp dahingehend auf einen Nenner gebracht werden, dass ich ihn beinahe in toto als einen 'Herbstkomponisten' bezeichnen würde. Seine Musik (ich kenne zwar nicht alles - besonders die Werke für Solo-Klavier harren noch der Entdeckung - , aber doch ziemlich viel aus seinem Schaffen). Seine Musik klingt für mich bisweilen so melancholisch, dann wieder so düster bewegt, dass sich einfach kaum heitere Sommer- oder Frühlingsassoziationen einstellen wollen.


    Zum Durchleben herbstlicher Stimmungen ist Arnold Bax' Musik sehr geeignet - dabei weise ich ausdrücklich auch auf die Kammermusik hin, die wahre Perlen enthält.


    Hier aber die mir durch eigenes Hören bekannten "November Woods"-Deutungen:



    Bax' Orchestermusik kann man mittlerweile sowohl bei NAXOS, als auch bei CHANDOS (dort gleich in zwei zyklischen Interpretationen) auf hohem Niveau erleben. Die Budget-Variante von NAXOS unter David Lloyd-Jones ist hervorragend, bei den CHANDOS-Aufnahmen haben m.E. nach die neueren unter Vernon Handley die Nase vorn, dafür sind sie dann halt' auch die teuersten. Die Einspielungen mit Bryden Thomson gibt's mittlerweile zum netten Mid-Price. Fehler macht man mit keiner dieser Varianten


    Grüße,


    Garaguly

  • Herbstmusik sind alle Stücke auf dieser CD, abgesehen von der Sonate h-moll:


    Franz Liszt:


    - Nuages gris
    - La notte
    - La lugubre gondola
    - Funérailles


    Diese sind auch auf der rechts abgebildeten Doppel-CD enthalten, zusammen mit den beiden Klaverkonzerten und dem Totentanz. Hochgradig empfehlenswert - wer die Konzerte und die Sonate von Liszt noch nicht hat, kann kaum besser einsteigen, höchstens noch günstiger.


  • Wenn ich an Herbsmusik denke, fällt mir auch das Ballett "Die Jahreszeiten" von Alexander Glasunow ein, das im 4. Bild den Herbst schildert. Der erste Teil ist eher ein wilder Tanz, während sich im 2. Teil (Adagio) dann eher die herbstliche Stimmung einstellt, der letzte Teil (Allegro) ist dann ein etwas lebhahterer Ausklang des Balletts.
    Auch Tschaikowsky hat in seinem Op. 37b die Jahreszeiten in 12 Sätzen für Klavier beschrieben, die nach den Monaten benannt sind. Der September ist ein Jagdbild, der Oktober beinhaltet ein ruhigeres Hebstlied und der November ist mit Troika bezeichnet
    Bisher nicht erwähnt wurde auch die Konzertouvertüre von Edward Grieg "Im Herbst". .

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

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