Igor Strawinsky: Le Sacre du Printemps - (2011)

  • Liebe Forianer


    Neue Threads haben zumeist einen Auslöser. In diesem Fall die Frage, ob Karajan Strawinskys "Le Sacre du Printemps" ädiquat interpretieren konnte, die in einem anderen Thread aufgetaucht ist.


    Ich würde hier persönlich mit NEIN antworten, er kann das ebensowenig überzeugend dirigieren, wie die "Sinfonie fantastique" von Berlioz. Einfach deshalb, weil Karajans Vorzüge, beispielsweise Eleganz, hier nicht zum Zug kommen - ja einer überzeugenden Interpretation geradezu im Wege stehen...


    Einen Thread über Strawinskiy "Le Sacre du Printemps" gab es schon seit der Gründerzeit des Forums



    Strawinsky - Le sacre du printemps


    und theoretisch könnte man ihn fortsetzen - Aber im speziellen Fall will ich das nicht.
    Zum einen sind einige der empfohlenen Aufnahmen schon längst aus den Katalogen verschwunden, zum anderen sind viele beiträge von längst aus dem Forum verschwundenen Forianern verfasst, was erfahrungsgemäß die Motivation, dort weiterzuschreiben, dämpft. (Der Thread ist aber prinzipiell erweiterbar)


    Daher habe ich mich entschlossen einen neuen Thread zu diesem Werk zu eröffnen, wir werden neue Betrachtungsweisen, neue Aufnahmen und die Meinung von neuen Mitgliedern kennenlernen. Empfohlene Aufnahmen werden (zumindest in nächster Zeit) auch verfügbar sein.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Seit knapp 2 Wochen beobachte ich diesen neuen Beitrag von Alfred.


    Besteht am Sacre kein Interesse ?


    Auf auf die Gefahr hin das ich mich wiederhole, möchte ich meine Favoriten für Le Sacre du Printemps hier mit ein paar Worten dazu aufzeigen. Dazu finde ich das Thema zu interessant als das ich diesen Thread brach liegen lassen würde.


    :angel: Die wohl emotionalste und damit für mich packenste Aufnahme aller Zeiten dürfte die erste Bernstein-Aufnahme mit den New Yorker PH von 1958 sein. Bernstein verlangt vom Orchester alles ab, was denkbar ist. Die Aufnahme ist für mich der Wahnsinn.
    Bitte nicht diese CBS-Aufnahme mit Bernsteins weiterer CBS-Aufnahme mit dem LSO verwechseln; und bestimmt nicht mit seiner späten und leider schwachen DG-Aufnahme !



    SONY, 1958, ADD


    Auch Petruschka erhält mit bernstein meine volle Empfehlung, da alles stimmig ist.



    *** Meine Erstaufnahme auf LP - was kann es schon anders sein als auf Eurodisc mit Swetlanow / Staatliches SO der UDSSR Moskau -
    Es ist für mich selbstverständlich, dass ich diese fulminant-brachiale Aufnahme auch auf CD besitzen muss. Würde es Bernsteins Wahnsinn nicht geben, so wäre es dieser Wahnsinn:
    Jetzt bei Warner im bekannten "Einheitsswetlanowcover" ...



    WARNER, Melodiya-Aufnahme 1966, ADD


    Die späte Peruschka-Aufnahme LIVE in Paris 1999 halte ich für daneben. Ich weis nicht was Swetlanow an diesem Tag geritten hat (sein Alter ?), aber das Werk wird derart zerdehnt und hat kaum Biss, das es für mich nicht gut hörbar ist. Welche ein Riesenunterschied dagegen der Sacre auf gleicher CD !?!



    *** Le Sacre wil ich jedenfalls auch in fulminanter Klangtechnik hören um einem Live-Erlebnis zu Hause auf der Anlage wenigsten teilweise gerecht werden zu können. Ich weis das Alfred es ausschliest, dass dies auf der heimischen Anlage möglich ist. Bei mir denke ich gelingt dies wenigsten ansatzweise zufriedenstellend.
    Dazu wähle ich zwei Aufnahmen die sowohl von der Interpretation wie von der audiophilen Klangtechnik wunschlos zufiedenstellen können:


    Chailly / Cleveland Orchestra von 1985



    Decca, 1985 (Sacre), DDD


    Auch die restlichen Strawinsky - Werke wird man klanglich aber auch von der Interpretatioin woanders selten zufriedenstellender hören können. Und Petruschka kommt aucgh bei Chailly mit dem angemessenen Feuer - er wählt hier die Fassung 1947 !


    *** Die zweite Audiophile muss ich hier jedoch "weglassen", weil diese derzeit offenbar nicht greifbar ist:
    Es ist Vladimir Fedossejew / Moskau RSO (JVC-CD, Melodiya-Aufnahme 1981, DDD). Hier wird nochmal als Krönung spürbar (nicht nur hörbar), das neben Pauken auch große Trommeln vorhanden sind - und das in unsagbarer Wiedergabequalität. Fedossejew nimmt sich Zeit, überhastet nichts, liefert klanglich ungeheure Einsichten in Strukturen - ebenfalls fantastisch ! Klanglich eine audiophile Großtat der sich JVC angenommen hat.
    Auf der CD befindet sich nur Le Sacre du Printemps- 35:49 Gesamtdauer.



    ;) Mit neueren Aufnahmen habe ich mich beschäftigt. Es sind sehr gute dabei. Aber keine die dem Wahnsinn von Swetlanow und Bernstein gerecht werden würde.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Seit knapp 2 Wochen beobachte ich diesen neuen Beitrag von Alfred.


    Besteht am Sacre kein Interesse ?


    Doch ... zur Zeit ist aber noch Brahms dran. Mich interessieren die Gegenüberstelllungen der Aufnahmen derer, die mehr als einmal den Sacre eingespielt haben:


    Karajan I (von Stravinsky verrisssen) - Karajan II (in FONO FORUM Okt 2011 gelobt)
    Boulez I (von Stravinsky verrissen) - Boulez II (in FONO FORUM Okt 2011 gelobt)
    Jansons (in FONO FORUM Okt 2011 nicht so gelobt) - Jansons II (in FONO FORUM Okt 2011 gelobt)


    Natürlich will ich auch nochmals Stravinskys eigene Aufnahme hören - ich glaube, er hat eine erleichterte Fassung dirigiert.


    Die von Teleton favorisierte Bernstein-Aufnahme ist derzeit leider nur überteuert zu haben - auch das wäre ein Kandidat für den I/II-Vergleich.

  • Immerhin habe ich durch diesen Thread schon den Hinweis auf interessante Aufnahmen bekommen, die ich noch nicht kannte - und eine davon wandert demnächst mit Sicherheit in meine Sammlung

    . Ich selbst favorisiere bis jetzt die Aufnahme unter Pierre Boulez, damit meine ich jene, die er am 28. Juli 1969 in der Severence Hall in Cleveland, Ohio für CBS (heute Sony) eingespielt hat.(Version 1947) Die Aufnahme besticht durch eine für eine Analogaufnahme geradezu überwältigende Dynamik und Räumlichkeit, und vermag die Illusion von Dreidimensionalität zu vermitteln, was der DGG nur in seltenen Fällen gelingt - aber ich werde demnächst auch hier die Gegenprobe machen. Wenn Strawinsky meinte, das Werk könne nicht zufriedenstellen auf Platte gebannt werden, dann hat er vermutlich recht, aber gilt das nicht für beinahe jedes klassische Werk ?
    Aber dennoch - Heute klingt die Aufnahme oft auf Heimanlagen der gehobenen Klasse besser als einst im Studio.
    Aber das ist natürlich nur ein Aspekt der Aufnahme. Das Werk an sich ist so voller Widersprüche einerseits und geschlossen in sich andrerseits. Die klagenden "Urtöne zu Beginn, die archaische Stimmung, aufgelockert durch leichte frülinshafte Musik, aber immer wieder durch ein bedrohliches unterschwelliges Flirren unterbrochen, bald rhyhtmisch beherrscht, bis die erruptiven Paukenschläge einsetzen.
    Ich zitiere hier Strawinsky:
    "Ich habe den panischen Schrecken der Natur vor der Schönheit wiedergeben wollen, eine heilige Furcht vor der Mittagssonne, einen Panschrei, dessen Anschwellen neue musikalische Möglichkeiten erschliesst. So muß das ganze Orchester die Geburt dieses Frühlings wiedergeben"
    Strawinsky hat teilweise russische Volkslieder mit verarbeitet, wenngleich er es - mit einer Ausnahme - später gerne bestritt.
    Allein die "Story" des Ballets macht es schon interessant, aber auch die Musik ist mehr als beeindruckend, eines der bedeutendsten Werke des 20. Jahrhunderts.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Bin ein großer Bewunderer von diesem Stück. Wohl auch deshalb weil ich die
    vertanzte Version von Maurice Bjeart mit seinem Brüssler Ballett bei den Salzburger Festspielen 1962 gesehen habe.
    Wiener Philharmoniker Dirigent war Pierre Boulez!!!!!
    Das ist mir in unvergessener Erinnerung!!
    :jubel:

    mucaxel

  • Man kann das Stück ziemlich unterschiedlich dirigieren - DGG LSO (?) unter Abbado klingt es wie eine Maschine, präzise Motorik, gnadenlos und eiskalt. Nicht ganz so perfektionistische Maestri lassen dem Sacre einen Schuß Chaotik, was mir irgendwie mehr liegt. - Es läßt sich dieser Tage eine rekonstruierte Originalchoreographie anschauen, die auf Nijinsky und das Ballet russe zurückgeht:



    - Ich denke, es wird zumal Knusperhexe wegen der gemalten Hintergründe und der darin sich entfaltenden echt russischen Naturempfindung bezaubern.
    Was waren das doch für Zeiten, ohne Regietheater ...


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Ich habe anlässlich des Relaunch dieses Themas ein wenig in WIKIPEDIA (und HARENBERG) recherchiert und bin da auf einige interessante Sätze gestoßen - die ich aber erst in Hinblick auf die soeben gesehene Rekonstruktion der Inszenierung voll verstanden habe.


    Es geht um den Skandal anlässlich der Uraufführung in Paris:


    „Die Bühne repräsentierte die Menschlichkeit. Rechts pflücken starke junge Leute Blumen, während eine 300 Jahre alte Frau wie wahnsinnig herumtanzt. Am linken Bühnenrand studiert ein alter Mann die Sterne, während hier und da dem Gott des Lichtes Opfer gebracht werden. Das konnte das Publikum nicht schlucken. Es pfiff das Stück umgehend aus. Vor einigen Tagen hätte es vielleicht applaudiert. Die Russen, die nicht besonders vertraut mit dem Anstand und den Gepflogenheiten der Länder sind, die sie besuchen, wussten nicht, dass die Franzosen ohne weiteres anfangen zu protestieren, wenn die Dummheit ihren Tiefstpunkt erreicht hat.“


    Wikipedia:

    Zitat

    Auch wenn der Skandal Strawinski endgültig zur Berühmtheit machte, verletzte ihn die Reaktion sehr, und er gab nicht zuletzt Vaslav Nijinsky die Schuld, der in seinen Augen den Sacre choreografisch nicht bewältigte


    Dem würde ich ohne Einschränkung beipflichten - Ich hatte - als ich die oben via youtube abrufbare ARTE-Aufzeichnung sa, den Eindruck einer Parodie. Das Gehopse passt in keiner Weise zum Thema - wohl aber zur Musik - die aber dadurch auch nicht gewinnt, sondern zum Zerrbild wird.


    Ich galube es war im Harenberg Konzertführer, wo vermerkt wird, daß das Werk kaum mehr als Ballet, sondern als Musikstück aufgeführt wird.
    Ich kann das gut verstehen, denn vermutlich ist es sehr schwierig eine Choreographie zu gestalten, die das Dämonische der Musik und zugleich das rhythmische bedient - und dabei überzeugend ist....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Es gibt Aufnahmen, die eine Besprechung geradezu zu verbieten scheinen. Was gäben wir darum, Monteverdi selbst in der Rolle des Orfeo zu hören, Bach als Aufführenden seiner eigenen Orgelwerke, Beethoven mit der Appassionata, Schubert mit seiner letzten Klaviersonate, Liszt mit der h-moll-Sonate, oder Wagner, wie er den letzten Aufzug des Parsifal in Bayreuth dirigierte, … müsste da nicht jede Kritik verstummen?


    Und doch: Rachmaninoff spielte sein 3. Klavierkonzert nicht mehr öffentlich, nachdem er Horowitz mit diesem Werk gehört hatte. Bartok weicht bei den Aufnahmen seiner Klaviermusik zum Teil eklatant von seinen eigenen Spielvorschriften ab. – Kann es also nicht auch sein, dass der Komponist selbst als Aufführender seiner Werke gegenüber hauptberuflichen Interpreten ins Hintertreffen gerät? Zumal bei einem dirigentischen Autodidakten wie Stravinsky? Dass sich eventuell die Auffassung des Komponisten bezüglich seines Werkes sogar stark geändert hat?


    Das ging mir im Hinterkopf herum, als ich mir als Ausgangspunkt für Beiträge zu diesem Thread die CD mit Stravinskys eigener Aufnahme des „Sacre“ aus dem Regal holte (Columbia Symphony Orchestra, 5./6. Januar 1960).



    Unterm Strich fand ich die Darstellung zügig, aber gelassen, jedenfalls auf effektvolles Spiel verzichtend, „unfetzig“, ohne Zeigefinger, dabei sehr transparent und geradezu leicht und luftig. Orchestrale Details gibt es anderswo besser: Etwa die Piccolo-Trompete im „Jeu du rapt“ (Track 18, z. B. bei 00:03) habe ich schon brillanter gehört, die Rhythmen in der „Danse de la terre“ (Track 23) schon schärfer, das Nachschlagen der Hörner in der „Danse sacrale“ (Ziffer 149, Track 29, ab 00:31) schon prägnanter. – Aber Stravinsky wollte es offenbar so, durchaus unspektakulär!


    Die Klangtechnik ist für damalige CBS-Verhältnisse geradezu phänomenal, gleichwohl nicht an die Kunst der Decca jener Tage heranreichend.

  • Hallo Wolfram,


    ich habe auch eine ganze Reihe von CD´´s und eine CBS-LP mit Strawinsky´s Aufnahmen seiner Werke: Die Ballette Apollo, Agon, Kartenspiel, Ballettszenen, Der Kuss der Fee, Pulcinella und Orpheus (SONY, 3CD, 1957-1965, ADD) von denen ich sehr überzeugt bin. Ich finde diese Werke aus "erster Hand" zu hören sehr akzeptabel. Orpheus habe ich nie wieder so tief empfunden gehört ! Du sagtest es schon - die Aufnahmequalität dieser CBS-Aufnahmen ist ebenfalls wirklich TOP !
    8) Für diese Strücke reichen Strawinsky´s "dirigentische Emotionen" auch voll aus.
    Aber die großen Ballette wie Le Sacre, Petruschka und Der Feuervogel --- dafür wünsche ich mir weit weniger trockene und unspectakuläre Interpretationen - so wie gemäß Beitrag 2. Der Interpretationsspielraum, den Strawinsky dafür meisterhaft geschaffen hat, läßt dafür auch genug Spielraum.


    :thumbsup: Ich finde übrigens auch Strawinsky´s Aufnahme der Sinfonie in 3 Sätzen ( gekopplet mit der Psalmensinfonie) die ich auf meiner CBS-LP kennengelernt habe sehr gut. Das Werk und seine Eigeninterpretation haben mich bereits in den 80ern "vom Hocker gehauen". heute auf CD mit Dutoit (Decca) hört man aber, was ausserdem noch aus dem Werk rauszuholen ist. So ist das auch mit den großen Balletten !



    PS.: Ich würde mir allerdings nie, die CBS/SONY-GA-22CD-Box mit allen Strawinsky-Werken kaufen. ;) Da würden mehr als die Hälfte der CD´s warscheinlich ungehört liegen bleiben (wären also für mich totes Kapital), weil so manche trockenen und langweiligen Stücke daraus mich einfach nicht interessieren.



    Noch ein Thema möchte ich anschneiden:
    Ernst Ansermet
    Ich schätze Ansermet eigendlich sonst gerade für das russische Repertoire sehr hoch - aber hier ... nein ...
    Ich hatte die GA der Strawinsky-Ballette mit Ansermet früher einmal in einer Decca-LP-Box. Mit diesen Aufnahmen konnte ich mich nie anfreunden. Gerade die TOP-Ballette klangen unter seiner Stabführung für mich immer fremd. Bei Le Sacre, Petruschka, Feuervogel fehlte mir an allen Ecken und Enden etwas; :no: Ansermet hatte einen völlig andere Auffassung von den Werken; total ungewohnte Phrasierungen. Kurz: Ich fand seine Strawinsky-Aufnahmen immer fürchterlich ... und um beim Thema zu bleiben - Le Sacre mit Ansermet - ein "no go" !


    Geprägt war ich durch Strawinsky´s eigene Aufnahmen, durch Swetlanow :angel: , Fedossejew, damals auch Ozawa, Abbado mit seiner hervorragenden Petruschka-Aufnahme ... aber Ansermet - nur in diesem Falle - nichts für mich ...
    Wie seht ihr das ?

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Karajan ist nun wahrlich nicht der erste, an den man denkt, wenn man über gelungene Einspielungen des Sacre nachdenkt. Und doch ... ich fand den Vergleich spannend.



    Karajans erste Aufnahme des Sacre mit den Berlinern entstand in den Monaten Oktober 1963 und Februar 1964. Strawinsky selbst hat sie besprochen, und zwar zusammen mit der ersten Aufnahme von Pierre Boulez und derjenigen von Robert Craft. Sein Fazit: „Keine von den drei Aufführungen ist so gut, dass man sie aufbewahren müsse.“


    Die Einspielung kommt sehr rund daher, das Eckige und Kantige der Musik wurde abgeschliffen. Es klingt wohlproportioniert und gesittet. Die Wildheit, das Barbarische, das Rauschhafte fehlen. Als ob der „Fliegende Holländer“ auf „La mer“ mal ruhigere, mal rauhere See hätte. Sehr schön und kulinarisch, zweifellos. Doch worüber hat sich das Publikum im Jahre 1913 eigentlich aufgeregt? Da ist doch nichts …


    Alleine darum ist die Aufnahme bereits hörenswert. Auch Missverständnisse können erhellend sein. Recht überzeugend finde ich übrigens die Klangtechnik der DG. – Glenn Gould lobte die Einspielung übrigens, aber bei dem weiß man nie, woran man ist. Könnte auch ein Beispiel seines Zynismus sein.



    Zu den Daten der zweiten Aufnahme konnte ich nur das Übliche (P) 1977 ermitteln. Die Musik erklingt mit deutlich mehr Biss, zeigt ihre Kanten und ist im rhythmischen Profil deutlich geschärft. Sicher, das ist kein hochsezierender, jegliche Schönheit leugnender Ansatz wie bei Boulez, aber etwa die Aufgeregtheiten, das Archaische, die Wildheiten sind durchaus wahrnehmbar. Auch der dramaturgische Ansatz überzeugt mich viel mehr, etwa die Zuspitzung am Ende der „Danse de la terre“.


    Es klingt insgesamt deutlich weniger gesittet als 1963/64. Ich finde diese Aufnahme sehr stimmig. Das ist einer der seltenen Fälle, in denen eine spätere Karajan-Aufnahme einer früheren klar vorzuziehen ist.

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  • *** Die zweite Audiophile muss ich hier jedoch "weglassen", weil diese derzeit offenbar nicht greifbar ist:
    Es ist Vladimir Fedossejew / Moskau RSO (JVC-CD, Melodiya-Aufnahme 1981, DDD). Hier wird nochmal als Krönung spürbar (nicht nur hörbar), das neben Pauken auch große Trommeln vorhanden sind - und das in unsagbarer Wiedergabequalität. Fedossejew nimmt sich Zeit, überhastet nichts, liefert klanglich ungeheure Einsichten in Strukturen - ebenfalls fantastisch ! Klanglich eine audiophile Großtat der sich JVC angenommen hat.



    Mitte der 80er Jahre wurden einige japanische CDs auch in deutschen Läden angeboten,weil die deutschen/europäischen Presswerke ausgelastet waren.So gelangte die JVC-CD mit Strawinskys "The Rite of Spring" in meine Sammlung,vermutlich auch deshalb,weil damals keine andere Einspielung in Deutschland zu bekommen war.
    Diese Aufnahmne mit Fedossejew ist bis heute mein Favorit geblieben,weil sie auch in klanglicher Hinsicht überzeugt.

    mfG
    Michael


  • Bei Jansons‘ Einspielung mit dem Oslo Philharmonic Orchestra (November 1992), dessen Chefdirigent er immerhin 21 Jahre lang war, stimmt vordergründig eigentlich alles. Darüber hinaus ist sie sehr gut durchhörbar. Mir fehlt manchmal das Fluidum, das dieses Werk ausmacht, ein Fließen, ein Weitergehen. Sie hat manchmal etwas gemütlich-Behäbiges, das ich mit dieser Musik gar nicht in Verbindung bringe, dann wiederum ist sie schlicht brutal. Anderes wiederum ist ausgezeichnet gelungen. Für mich bleibt ein etwas zwiespältiger Eindruck. Derzeit ist die CD offenbar nicht mehr im Lowprice-Segment zu haben, dadurch ist sie m. E. nicht konkurrenzfähig.



    Seit 2004 ist Mariss Jansons Chef des Koninklijk Concertgebouworkest. Dieses Orchester wurde bekanntlich von einer hochkarätigen Jury des „British Gramophone“ im Jahre 2008 zum besten Orchester der Welt gewählt. Nun sind solche Urteile natürlich immer anfechtbar – bei Bachs Orchestersuiten würde ich die Benennung bestreiten wollen -, aber im spätromantischen (vor allem Bruckner, Mahler, aber auch Rachmaninow) und frühmodernen Repertoire (Strawinsky, Hindemith, Schostakowitsch, Varèse) darf ihre Position tatsächlich als führend gelten. Was durch die große Erfahrung des Ensembles mit dieser Literatur natürlich mehr als plausibel klingt.


    Eine kluge Wahl ihrer Chefdirigenten (Mengelberg, van Beinum, Haitink, Chailly) und deren meistens sehr lange Amtszeit (50 Jahre, 14 Jahre, 29 Jahre, 16 Jahre) haben das Orchester in die allererste Reihe gebracht und gehalten. An deren Seite gab es stets „erste Dirigenten“, später „Assistenten“. Darunter finden sich so illustre Namen wie Karl Muck, Pierre Monteux, Bruno Walter, Eugen Jochum, Edo de Waart und Hans Vonk. Strategisch weise war es auch, schon sehr früh mit Nikolaus Harnoncourt zusammen zu arbeiten und mit ihm Zyklen von Haydn- und Mozart-Sinfonien zu erarbeiten, die zum Besten gehören, was in diesem Feld auf CD zu haben ist. Aber auch für Schubert und Dvorak haben Harnoncourt und die Amsterdamer zusammengearbeitet und deren Werke aufgenommen.


    Die sich schnell wechselnden Moden widersetzende lange Amtsdauer der Chefdirigenten zusammen mit hochinteressanten Erweiterungen des musikalischen Horizontes durch erste Dirigenten bzw. Assistenten und projektbezogene, dennoch langfristige Zusammenarbeit mit Persönlichkeiten wie Nikolaus Harnoncourt haben hier einen Klangkörper geformt, der zwischen Haydn und dem 20. Jhd. alles auf höchsten Niveau spielen kann, was mit einem Orchester machbar ist.


    Im Gegensatz zu Jansons‘ älterer Einspielung aus Oslo vermag dieser Livemitschnitt (2006) aus dem Concertgebouw sofort zu fesseln. Farben und Stimmungen werden hörbar, es pulst und vibriert. Dabei lässt der Lette das Stück keineswegs effektvoll aufgedonnert spielen. Die „krassen“ Stellen werden ausgezeichnet in den Kontext eingebunden und nicht als „Highlights“ exponiert. Dennoch bleibt Jansons der Musik, wo nötig, nichts an Härte, an Schärfe, an Gewalt schuldig. Sehr stimmig, packend, nie die Spannung und (vor allem!) die Atmosphäre verlierend! Aufs Beste unterstützt von einer ausgezeichneten Klangtechnik (ich kann nur die CD-Spur beurteilen, es ist eine SACD mit 5.0-Surround).


    Diese Einspielung gehört für meinen Geschmack in die allererste Reihe.

  • Danke für die Kritiken und den Hinweis auf die neue(re) Jansons-Aufnahme - habe ich mir direkt vorgemerkt. :)


    Ein kleiner Hinweis zur genannten Zeitschrift: weil es mir schon das zweite Mal bei Tamino begegnet, möchte ich darauf hinweisen, dass die Zeitschrift Gramophone nicht "British Gramophone" heißt, sondern einfach nur "Gramophone".
    Ähnlich könnte man von der 'deutschen FAZ' sprechen, wenn man im Ausland darauf hinweist, aber nicht von der "Deutschen FAZ".
    Ob man bei gewünschter Ergänzung der Herkunft "britisch" oder nicht vielmehr "englisch" sagen sollte/ müsste, wäre sicherlich Stoff für Diskussionen mit den Insulanern... ;)
    Grüße
    Accuphan :hello:

    „In sanfter Extase“ - Richard Strauss (Alpensinfonie, Ziffer 135)

  • Sehr interessant finde ich die Auslassungen über den Komponisten als Ausführenden. (ich fand es sehr verstörend, als Bernstein in Anwesenheit Shostakovichs dess V. runternudelte und dessen helle Begeisterung dafür bekam- Das war für mich ein schreckliches Erlebnis und es gibt den Plan in mir, da einen hochkomplizierten Thread zu starten). Ich denke, dass der Schöpfer eines Kunstwerkes manchmal im Schaffensprozess ein Getriebener ist, vielleicht nicht ganz er selbst. Vielleicht so wie bei Dr. Faustus von Th. Mann. Dann kann ihn die Ausführung später evtl. schlicht überfordern.


    Ich stimme Teleton bei, dass die Bernsteinaufnahme mit die beste ist. Zumindest hat mich keine so aufgewühlt. Wobei ich dann aber auch bei einer Kernfrage bin, denn ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich dieses Stück - tja, mag will ich gar nicht schreiben, warum ich es immer wieder mal höre. Es ist ja über weite Strecken nicht "schön". Es ist erschreckend, manchmal unheimlich (und es tut mir leid, aber mir fällt schon wieder mein Achterbahnbeispiel ein). So ähnlich stelle ich mir auch Bugeejumping vor. Ein ganz erschreckendes Erlebnis und am Schluss ist man froh, dass einem ncihts passiert ist.


    Diesen SChrecken jedenfalls bringt Bernstein mir ganz gut rüber.
    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • 29. Mai 1913
    – Am Pariser Théâtre des Champs-Élysées wird Igor Strawinskis Ballett Le sacre du printemps Das Frühlingsopfer uraufgeführt.



    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Ein Opernorchester und dann mit Le Sacre ??? 8o:thumbup: Ja, das geht und zwar verdammt gut !


    Levines Aufnahme mit dem MET Orchestra kann sich zu den Besten und Packensten einreihen. Die Klangqualität ist ausgezeichnet und vom Frequenzgang ist alles von der tiefsten grossen Trommel bis zur Picoloflöte alles präsent. Levine baut das Werk gekonnt bis zur Opferkatastrophe auf !
    Den Wahnsinn bei Bernstein (SONY) und die totale Sidehitze des Moskauer Klangkörpers bei Swetlanow (Melodia) kann man nicht erwarten.
    Trotzdem = Hörspass pur !



    DG, 1993, DDD



    Um es hier OT vorweg zu nehmen:
    Mussorgsky Bilder sind ebenso gekonnt und mit Biss in Klang gesetzt. Nicht in allen Punkten so herausragend wie Solti mit dem CSO, aber astrein mit grosser Geste und berstender Emotion !


    :thumbsup: Wenn man solche Aufnahmen hört, dann kann man James Levine hoch schätzen !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang