Heile Welt in der klassischen Musik - ein rotes Tuch ?

  • Schon wieder so ein suggestiv- tendenziösert Thread ?
    Mag sein - aber die stossen in der Regel auf das meiste Interesse....


    Hier geht es um das Spannungsfeld, zwischen jenen, die zur Empörung der anderen die heile Welt in der klassischen Musik suchen und finden und jenen, die gerne Brüche und unangenehmen Stellen betont wissen wollen.
    Der Streit ob klassische Musik ein Born der apollinischen Interpretation oder ein Spiegel einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft ist - oder sein soll - ist vielleicht älter als wir meinen. Dennoch lag das Gewicht bis vor einigen Jahren stets bei jenen Interpretationen, die Freude und Entspannung, Triumph und Freude in den Vordergrund stellten und unschöne Stellen entweder ausbesserten - in der ehrlichen Annahme der Komponist habe hier mit kompositionstechnischen Problemen zu kämpfen gehabt. Die radikalen Schönfärber führten Werke, die diese Attribute aufwiesen gar nicht erst auf.


    Indes - die Zeit ist nicht stehen geblieben und vieles hat sich - nicht unbedingt zum Besserern - geändert.
    Desto unangenehmer, rhythmisch betonter und schräger eine Interpretaton* klingt - desto beliebter ist sie, bzw umso mehr wird sie von ihren Anhängern in den Vordergrund gespielt.


    Die Frage ist, inwieweit dies der "Klassikszene" schadet, weil potentielle Interessenten, denen Popmusik einfach zu unangenehm klingt, die bis dato ihre Zuflucht in der "Klassik" suchten und fanden - vertrieben werden.....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred


    *Das von mir falsch verwendete Wort "Komposition" wurde durch das Richtige "Interpretation" ersetzt.

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Mir scheint hier das selbe Missverständnis vorzuliegen wie bei der Frage nach Konsonanz und Dissonanz. Auf die geschickte Verwendung kommt es an.

    Dennoch lag das Gewicht bis vor einigen Jahren stets bei jenen Interpretationen, die Freude und Entspannung, Triumph und Freude in den Vordergrund stellten und unschöne Stellen entweder ausbesserten - in der ehrlichen Annahme der Komponist habe hier mit kompositionstechnischen Problemen zu kämpfen gehabt.

    Wirklich? Worum geht es in einer Beethoven Interpretation Furtwänglers? Ist da der letzte Satz der Neunten der gelungene Triumph und der Weg dorthin, etwa manche schroffen Stellen im ersten Satz ein "kompositionstechnisches Problem" Beethovens??? Wohl kaum, sondern erst das Ganze aus "unschönem" Ringen und dem Durchbruch macht einen großen Teil der gelungenen Werke des 19. Jhrdts. aus. Die besten Interpreten der Vergangenheit sind nicht etwa harmoniesüchtig, sondern zeichnen sich meist durch ein Herausarbeiten der den Werken innewohnenden Dramatik aus.


    Auch die weit verbreitete Meinung die Neue Musik des 20.Jhrdts. wolle Häßlichkeit ausdrücken ist ein ziemlicher Irrglaube, ausgehend von einer Theorie eine kaputte Welt drücke sich in kaputter Musik aus. Bis auf wenige Ausnahmen meist politisch engagierter Werke, die versuchen Grauen und Betroffenheit auszudrücken, hat das aber mit den Vorstellungen der meisten Komponisten sehr wenig zu tun. Messiaens Musik ist durch seine Gläubigkeit motiviert und soll natürlich Schönheit ausdrücken. Boulez ging es immer um eine zwar neue aber natürlich ästhetische Musik ("L'art pour l'art"), Stockhausen ("Jede Musik ist eine geistliche"), Berio, Maderna etc. da geht es nie um Hässlichkeit oder Kaputtheit. Schon für Schönberg war die Zwölftontechnik ein Weg zu einer neuen Klassizität, weg vom hysterischen Ausdruck des fin de siecle. Der falsche Eindruck wird allerdings durch journalistische Schreibe immer wieder bestätigt. Den gleichen Einfluss des Journalismus hatten wir schon in dem Thread zum Thema "Spannende" Interpretationen.

    Die Frage ist, inwieweit dies der "Klassikszene" schadet, weil potentielle Interessenten, denen Popmusik einfach zu unangenehm klingt, die bis dato ihre Zuflucht in der "Klassik" suchten und fanden - vertrieben werden.....

    ??? Ganz grosses Fragezeichen!!! Ich höre keine Popmusik, weil sie mir zu blöd ist. (ich mag wenige Ausnahmen wie Zappa oder Björk, aber das ist dann auch schon wieder nicht mehr wirklich Pop). Popmusik ist doch gerade deswegen so langweilig und uninteressant, weil sie meist heile Welt verkörpert, weil da nichts passiert, weil da alles statisch ist!


    Gruß aus Freiburg
    Byron

    non confundar in aeternum

  • Vielleicht läßt sich das Thema vom Feld der Beethoven-Interpretation etwas ausweiten.


    Ich denke mir z.B. einen Bezug zur Opernregie, fernab der hier im Forum breit diskutierten Frage der klassischen vs. der Konzept-Regie.


    Es gab zwei Salzburger Figaros, einen von Luc Bondy eingerichtet, der andere spielte in einem herrschaftlichen weißen Stiegenhaus. Beiden war gemeinsam, die Ehemisere von Graf und Rosina derart herauszuarbeiten, daß die Oper hier eindeutig das Genre wechselte. Die sehr genau beobachteten kleinen Verletzungen und Verletzlichkeiten bildeten zusammengenommen eine Art Eifersuchts- und Ehemelodram mit großen seelischen Tiefpunkten.


    Ein Figaro, der keine komische, d.h. primär heitere Oper mehr ist, illustriert auf seine Weise, was Alfred Schmidt anspricht. Der Schwerpunkt wird von der Komik und der Leichtigkeit, von der Harmonie auf das Disparate und Dissonante verlagert, das amüsante Sujet methodisch ernst genommen.


    Im guten alten Wien war die Figaro-Gräfin eher eine rührende, hoheitsvolle und sensible, doch niemals auf den Boden ihrer Gefühle geschleuderte Dame, wie es die Kringelborn und noch mehr die Röschmann zeigten. Auf einer bestimmten Ebene des Dramas wird heute das Typisierte und Stilisierte durch einen psychologischen Realismus ersetzt. Das Ergebnis war eher beklemmend als befreiend. Ich stelle es hier auch bloß ein, um die Symptomatik aus Alfreds Diagnose an einem mir geläufigen Gegenstand zu konkretisieren.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Das Problem ist doch, dass "heile Welt" sehr leicht langweilig wird. In einer Oper muss es einen Konflikt geben, auch wenn er gut ausgeht. Selbst in den leichtesten Operetten müssen irgendwelche Verwicklungen und Probleme gelöst werden. Und manches, was uns heute nur albern oder jedenfalls leichtgewichtig erscheint, hatte in Zeiten mit Standesgrenzen und sehr begrenzter Mitwirkung (nicht nur aber besonders) der Frauen, was Liebes- und Lebenspartner betrifft, vielleicht einen ernsteren Beiklang.
    (Es gibt sicher einzelne "Heile-Welt-Komödien", die nicht ins Seichte abdriften, aber das ist schwierig und die sind selten. Die leben dann meist von sprachlichem Witz und Situationskomik)
    Das Paradox besteht doch eher beim ersten Drama und der Tragödie, dass uns Konflikte und Schicksalschläge, die wir hoffen nie erleben zu müssen, ästhetischen Genuss bereiten.)


    Keine von den Da-Ponte-Opern ist auch nur in der Nähe einer "Heile-Welt-Komödie". Nicht einmal ein Märchen wie die Zauberflöte. (Die Königin, die immerhin Paminas Mutter ist, verstößt ihre Tochter und wird im Finale "zernichtet", das klingt nicht so, als ob eine Aussöhnung möglich wäre...)


    Gewiss kann man, auch in der Instrumentalmusik, einfach ein Idyll malen, einen Fluchtort (vgl. "An die Musik"). Aber wiederum leben die meisten Werke doch von Kontrasten. Oder von der Melancholie, die bei der Darstellung des Idylls anklingt, so als ob in der Musik selbst ausgedrückt würde, dass es sich eben in der Wirklichkeit nicht so verhält.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Da will ich mal wieder einen Ball aufnehmen und willfährig zurückspielen! :hello:


    Hier geht es um das Spannungsfeld, zwischen jenen, die zur Empörung der anderen die heile Welt in der klassischen Musik suchen und finden und jenen, die gerne Brüche und unangenehmen Stellen betont wissen wollen.


    In der klassischen Musik gibt es sicher beides. Griegs berühmte "Morgenstimmung" liegt sicher ziemlich nahe bei de Utopie einer "heilen Welt", Mahlers 6. Sinfonie enthält sicher viele Brüche und anangenehme Stellen. Das ist völlig in Ordnung. Jeder kann doch wählen, was er hören will!


    Dennoch lag das Gewicht bis vor einigen Jahren stets bei jenen Interpretationen, die Freude und Entspannung, Triumph und Freude in den Vordergrund stellten und unschöne Stellen entweder ausbesserten - in der ehrlichen Annahme der Komponist habe hier mit kompositionstechnischen Problemen zu kämpfen gehabt.


    Das mit den "einigen Jahren" kann ich nicht glauben. Hier eine Rezension zu Mahlers Wirken aus der "Neuen Freien Presse" im Jahre 1909:


    „ … und Manchen ward das deutsche Wams zu enge, wenn sie den Namen Mahler hörten. Einigen wohl aus Begeisterung, den Meisten aber aus Wut. Vom ersten Tage an ist das so gewesen. Er hat sofort gewirkt, aufwiegelnd, provokant, alarmierend – gleichviel: er gehört eben zu den elektrischen und elektrisierenden Naturen, die beim leisesten Anrühren Funken geben oder zünden.


    Es wäre nur geringe Mühe, ähnliche Berichte über Nikisch, Mitropoulos, Scherchen u. a. zu finden, die das im Zitat skizzierte Märchen sofort widerlegen.


    Desto unangenehmer, rhythmisch betonter und schräger eine Komposition klingt - desto beliebter ist sie, bzw umso mehr wird sie von ihren Anhängern in den Vordergrund gespielt.


    Ist wirklich die Komposition oder die Wiedergabe bzw. Interpretation gemeint? - Ich weiß nicht - wäre eine Interpretation von Griegs "Morgenstimmung" wirklich beliebt, wenn sie unangenehm oder schräg klänge? Doch wohl höchstens als Parodie. - Absurd.

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner

  • unschöne Stellen entweder ausbesserten - in der ehrlichen Annahme der Komponist habe hier mit kompositionstechnischen Problemen zu kämpfen gehabt. Die radikalen Schönfärber führten Werke, die diese Attribute aufwiesen gar nicht erst auf.


    [...]


    Desto unangenehmer, rhythmisch betonter und schräger eine Komposition klingt - desto beliebter ist sie, bzw umso mehr wird sie von ihren Anhängern in den Vordergrund gespielt.


    Ich glaube, dass hier oft die Gefahr des Aneinandervorbeiredens besteht. Ich selbst bin mir jedenfalls gar nicht sicher, was gemeint ist. Ich fände es daher gut, wenn Du (oder gerne auch jemand anders) mindestens je drei Beispiele für (ggf. "auszubessernde"), aber jedenfalls "unschöne Stellen" und für "unangenehm, rhythmisch betont und schräge Kompositionen" angeben könnte, und zwar möglichst genau, d.h. Satz- und ggf. Takt oder Track und Sekundenangabe und/oder möglichst genaue Beschreibung, inwiefern diese Merkmale zutreffen sollen.


    Und vielleicht auch noch den Zusammenhang des letzteren mit der Beliebtheit? erklären, das verstehe ich nämlich auch nicht recht.

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  • Desto unangenehmer, rhythmisch betonter und schräger eine Komposition klingt - desto beliebter ist sie, bzw umso mehr wird sie von ihren Anhängern in den Vordergrund gespielt.


    So wie ich Alfred kenne, meint er gar nicht die Komposition sondern die Interpretation. Also hier Harnoncourt mit Mozart oder so.
    Allerdings zeigt der Verweis "sie" in diesem Falle leider auf die Komposition.
    Ich glaube nämlich nicht, dass er mit "rhythmisch betont" den sacre meint (den schätzt er) und Nono wohl auch kaum :D

  • Desto unangenehmer, rhythmisch betonter und schräger eine Komposition klingt - desto beliebter ist sie, bzw umso mehr wird sie von ihren Anhängern in den Vordergrund gespielt.


    Hinsichtlich der Kompositionen stimmt das sicher nicht - die am meisten gehörten Kompositionen dürften aus der Zeit zwischen ca. 1700 und ca. 1900 stammen. Mozart und Schubert liegen zumindest bis heute in der Publikumsgunst deutlich vor allem, was den (möglicherweise schrägen??) Avantgarde-Stempel trägt.


    Lediglich hinsichtlich der Interpretationskultur könnte man dem Statement zustimmen. Hier wurde nicht umsonst im Bereich der "HIP"-Praxis immer wieder mit Begriffen wie 'aufgeraut', 'gegen den Strich gebürstet' etc. argumentiert. Aber 'schräg' würde ich auch diese Interpretationsansätze nicht nennen.


    Grüße,


    Garaguly

  • Oh je, noch ein geistreicher Thread!


    Ich hätte noch einen Vorschlag:
    "Die klassische Musik im Lichte des deutschen Heimatfilmes"
    oder
    "Selig sind, die schön im Geiste" - Wider die unsägliche Unsitte des Haßlichen in der klassischen Musik
    oder
    "Spiel mir das Lied von der gottgegeben Schönheit klassischer Musik"


    Ganz im Ernst, muß sich das Sommerloch auch in der Diskussion um klassische Musik niederschlagen???

  • Zitat

    So wie ich Alfred kenne, meint er gar nicht die Komposition sondern die Interpretation.


    Ganz richtig. Ein Schreibfehler meinerseits - wurde bereits korrigiert.


    Im übrigen sehe ich, daß auch ein Forum, welches einem selbst gehört nicht wirklich ein Schutz ist, wenn man gegen die "Feinde der heilen Welt" "zu Felde zieht. Da fallen dann alle Hemmungen - so diejenigen überhaupt je welche hatten, denn wer für "Brüche in der Musik" ist, der akzeptiert sie auch im realen Leben.


    Daß dieser Thread kein "Sommerlochthread" ist beweisen allein die Einschaltziffern. Schon nach ganz kurzer Zeit (4 Tage) gabe e 247 Seitenaufrufe . Daß Barenboim für den Friedensnobelpreis nominiert wurde hatte indes nur 147 Seitenaufrufe zur Folge - obwohl dieser Thread 12 Tage alt ist. Es hat einfach (fast) niemanden interessiert.


    Die Balance zwischen hochwertigen Threads einerseits - und Reissern mit hohen Einschaltziffern ist ein Balanceakt.
    7 Jahre Taminp Klassikforum - mit unterschiedlichen Besetzungen - mögen als Beweis dienen, daß ich diese Kunst beherrsche und keine Ratschläge von aussen benötige.


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Zitat

    Im übrigen sehe ich, daß auch ein Forum, welches einem selbst gehört nicht wirklich ein Schutz ist, wenn man gegen die "Feinde der heilen Welt" "zu Felde zieht. Da fallen dann alle Hemmungen - so diejenigen überhaupt je welche hatten, denn wer für "Brüche in der Musik" ist, der akzeptiert sie auch im realen Leben.


    Wieso sollte ein Forum auch ein Schutz gegen die Feinde der heilen Welt sein? Ich fürchte sehr, daß diese "Feinde der heilen Welt" mit beiden Beinen im Leben stehen, denn diese sogenannte heile Welt gibt es nicht. Dies festzustellen, genügt ein Blick in die Tageszeitung oder in Nachrichtensendungen.


    Da es der überwältigenden Teil aller Komponisten aber um das Hervorbringen der vielfältigsten Emotionen geht, also der gesamten Breite an menschlichen Gefühlen, wird sich auch die heile Welt nicht in der Musik finden lassen. Ich kann Werke wie Bachs Passionen oder die Kreuzstabkantate, Mozarts Requiem, das Deutsche Requiem von Brahms oder Samuel Barbers berühmtes Adagio, um mal nur die Reiser kurz anzureißen jedenfalls nun wirklich nicht als Abbild einer heilen Welt deuten. Wenn es den schon den Komponisten nicht um die Abbildung einer heilen Welt in diesen Werken geht, wieso bitte soll das dann der Interpret tun? Man könnte natürlich alle Dissonanzen und rhetorischen Figuren ersetzen und durch Konsonanzen ersetzen, das wäre eine Lösung, allerdings sollte man dann auch den Text ändern. "Dies irae, dies illae" ist jedenfalls in meinen Augen kein Freudenfest, die Vertonung dieses Textes auch nicht.


    Zitat

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    Es geht hier ja auch nicht um Ratschläge, der Sinn eines Forums ist ja die freie Meinungsäußerung eines JEDEN. Dann muß man auf der einen Seite als User Threads wie diesen akzeptieren, auf der anderen Seite muß man aber als Ersteller eines Threads auch akzeptieren, wenn dieser Threads von einem User als verfehlt und überflüssig angesehen wird. Übrigens ein Beweis mehr, daß das Leben keine "heile Welt" ist!

  • Ganz im Ernst, muß sich das Sommerloch auch in der Diskussion um klassische Musik niederschlagen???


    Hallo flutedevoix,


    das soll kein Ablenkungsmanöver sein:


    Als geouteter Mozartfreund und -kenner, schau doch mal bitte in die diversen, auch neueren (auch von mir) Mozart-Threads - ich würde mich freuen zu den aufgeworfenen Fragen von kompetenter Seite Antwort zu erhalten.


    Vielleicht ein kleiner Lückenfüller für das von Dir gesehene Sommerloch.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Zitat

    Alfred: Im Übrigen sehe ich, dass auch ein Forum, welches einem selbst gehört,, nicht wirklich ein Schutz ist, wenn man gegen die "Feinde der heilen Welt" zu Feld zieht. Da fallen dann alle Hemmungen, so diejenigen überhaupt je welche hatten, denn wer für Brüche in der Musik sit, der akzeptiert sie auch im realen Leben.


    Lieber Alfred, ich habe bisher immer versucht, dich zu stützen und zu unterstützen, wenn es wieder einmal auf dein Haupt prasselte, aber hier denke ich, dass du doch zu weit gegangen bist (oder ist das alles n ur ironisch gemeint?).


    Die Musik, zumal die klassische, war immer ein Spiegel der Gesellschaft, die sie umgab. Und es hat immer wieder Brüche gegeben, die sich auch in der Musik ausdrückten. Du bist doch ein so großer "Böhm-Fan" (wenn diese Ausdrucksweise erlaubt ist), und dann hast du doch sicherlich schon mal seine Aufnahme der Unvollendeten von Schubert gehört, oder möglicherweise auch die von Günter Wand (wo die Brüche, von denen es in Schuberts gesamtem Oeuvre nur so wimmelt), besonders deutlich zu Tage treten.
    Und diese Brüche treten natürlich auch tagtäglich im realen Leben auf.
    Gerade, wo ich dieses schreibe, fällt mir wieder ein, dass ich heute zweimal Schuberts Winterreise gehört habe, einmal in der 1955er Aufnahme von Dietrich Fischer-Dieskau und Gerald Moore und einmal in der 1965er Aufnahme von Dietrich Fischer-Dieskau und Jörg Demus. Dieser großartige Zyklus ist geradezu ein Paradebeispiel für Brüche in der Musik. Und wenn Schubert nicht die (kompositorischen) Möglichkeiten gehabt hätte, sich mit diesen Brüchen (auch in seinem eigenen Leben) auseinanderzusetzen und sie zu kanalisieren, dann hätte er sich vielleicht schon vor seinem 25. Lebensjahr aufgehängt oder in der Donau ertränkt. Beethoven wäre es vermutlich nicht viel anders ergangen. Diese Reihe ließe sich noch beliebig fortsetzen (Brahms, Bruckner u.a.).


    Und, lieber Alfred, wenn man die Brüche in der realen Welt nicht akzeptiert, wird man nicht mit ihnen fertig. Das Falscheste wäre es, gegen sie "zu Felde zu ziehen". Ein Verhaltenspsychologe, der mir geholfen hat weiterzuleben (und wir haben usn über dieses Thema schon einmal telefonsich unterhalten), sagte mir: Um seine Ängste zu besiegen, muss man sich ihnen stellen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Die Balance zwischen hochwertigen Threads einerseits - und Reissern mit hohen Einschaltziffern ist ein Balanceakt.
    7 Jahre Taminp Klassikforum - mit unterschiedlichen Besetzungen - mögen als Beweis dienen, daß ich diese Kunst beherrsche und keine Ratschläge von aussen benötige.

    Dr. jur. Karl Böhm (einer meiner Lieblingsdirigenten) ist zwar in Graz geboren, aber er konnte genau so gut granteln wie Alfred aus Wien.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)



  • Im übrigen sehe ich, daß auch ein Forum, welches einem selbst gehört nicht wirklich ein Schutz ist, wenn man gegen die "Feinde der heilen Welt" "zu Felde zieht. Da fallen dann alle Hemmungen - so diejenigen überhaupt je welche hatten, denn wer für "Brüche in der Musik" ist, der akzeptiert sie auch im realen Leben.


    Hm, ich konnte mich nicht erinnern, dass hier jemand etwas gegen heile Welten gesagt hat - höchstens:

    Das Problem ist doch, dass "heile Welt" sehr leicht langweilig wird. In einer Oper muss es einen Konflikt geben, auch wenn er gut ausgeht. Selbst in den leichtesten Operetten müssen irgendwelche Verwicklungen und Probleme gelöst werden. Und manches, was uns heute nur albern oder jedenfalls leichtgewichtig erscheint, hatte in Zeiten mit Standesgrenzen und sehr begrenzter Mitwirkung (nicht nur aber besonders) der Frauen, was Liebes- und Lebenspartner betrifft, vielleicht einen ernsteren Beiklang.
    (Es gibt sicher einzelne "Heile-Welt-Komödien", die nicht ins Seichte abdriften, aber das ist schwierig und die sind selten. Die leben dann meist von sprachlichem Witz und Situationskomik)
    Das Paradox besteht doch eher beim ersten Drama und der Tragödie, dass uns Konflikte und Schicksalschläge, die wir hoffen nie erleben zu müssen, ästhetischen Genuss bereiten.)


    Leider ist "heile Welt" kaum eine Kategorie, nach der ich meine Kunsterlebnisse sortiere. Mir fällt daher auch nicht so viel ein.
    Da Johannes ja schon halb in die Literatur abgezweigt ist, kann ich zumindest die Anakreontik als prominente ziemlich reine heile-Welt-Strömung ins Feld führen. Nun sind diese Gedichte zum Großteil kurz und wenn man 10 davon am Stück gelesen hat, könnte es schon passieren, dass einem irgendetwas abgeht.
    :D
    Allerdings gehören auch längere Texte da hinein, etwa der "Frühling" von Ewald von Kleist, und berühmter die "Alpen" von Albrecht von Haller. Bei dem ist die heile Welt aber der Kontrast zur beklagten Wirklichkeit:


    "Dort spielt ein wilder Fürst mit seiner Diener Rümpfen,
    Sein Purpur färbet sich mit lauem Bürger-Blut;
    Verleumdung, Haß und Spott zahlt Tugenden mit Schimpfen,
    Der Gift-geschwollne Neid nagt an des Nachbarn Gut;"


    usw.
    (Im "Frühling" ist's ebenso.)


    Ich fürchte, die kontrastlos üppig ausgebreitete heile Welt ist auch in der Kunst nur selten zu finden.

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