Hans Pfitzner (1869 – 1949) hat ein größeres Kammermusikoeuvre hinterlassen, aber für die meisten Gattungen nur einen Beitrag geschaffen: eine Cellosonate op. 8, eine Violinsonate op. 27, ein Klaviertrio op. 8 (neben einem vom Pfitzner-Schüler Gerhard Frommel ergänzten frühen Klaviertrio), ein Klavierquintett op. 23, ein Sextett op. 55 (für Klavier, Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass und Klarinette).
Lediglich in der Gattung des Streichquartetts liegen mehrere Werke vor, die zudem in naheliegender Weise den Schaffensphasen Pfitzners zugeordnet werden können:
Das erste Streichquartett in d-moll schrieb der Komponist im Jahre 1886 als 17jähriger in seiner Zeit am Hochschen Konservatorium in Frankfurt.
Das zweite Streichquartett in D-Dur op. 13 (1902) mag für die Phase der frühen Meisterschaft stehen – es wurde von Gustav Mahler ausdrücklich als Meisterwerk bezeichnet. In dieser Phase entstand z. B. auch die zweite Oper „Die Rose vom Liebesgarten“ (UA 1901).
Das bekannteste Werk ist eventuell das dritte Streichquartett in cis-moll op. 36 (1925). Es ist ein Höhepunkt in der expressiven Phase Pfitzners, die man ungefähr durch die Eichendorff-Kantate „Von deutscher Seele“ (1921) und das literarische Requiem „Das dunkle Reich“ (1929/30) abgrenzen kann.
Das vierte und letzte Streichquartett in c-moll op. 50 (1942) ist bereits dem abgeklärteteren Spätwerk hinzuzurechnen.
Man bedenke: Zur Zeit der Komposition des ersten Streichquartetts war Mahlers 1. Sinfonie noch nicht komponiert, zur Zeit der Komposition des letzten Streichquartetts lagen die Gattungsbeiträge von Schönberg, Berg, Webern und Bartok alle bereits vor.
Es gibt derzeit nur eine einzige Gesamtaufnahme der Streichquartette Pfitzners. Dies ist erstaunlich: Gerade das dritte Quartett op. 36 ist ein singuläres Werk, in dem der Komponist die Grenzen der Tonalität zu sprengen scheint und mit größter musikalischer Dichte aufwartet.
Einmal mehr hat sich das Label cpo verdient gemacht:
Das geradezu epochale Quartett cis-moll op. 36 liegt auch in einer Einspielung des Wihan-Quartetts vor:
Dass Pfitzner heute noch nicht mit derselben Aufmerksamkeit wie seine Zeitgenossen Mahler, Strauss, Reger, Zemlinsky, Schönberg wahrgenommen wird, sondern eher auf seinen „Palestrina“ reduziert wird, hat sicher auch politische Gründe. Von Pfitzner stammen einige Äußerungen und Schriften, die ihn sehr wohl fragwürdig machen. Gleichwohl war Pfitzner kein NSDAP-Mitglied. - Eine umfassende Bewertung der ideologischen und politischen Aussagen und Stellungnahmen Pfitzners und eine Untersuchung möglicher Zusammenhänge mit seinem musikalischen Werk steht allerdings wohl noch aus.
Wolfgang Rihm schrieb: Pfitzner ist zu progressiv, um einfach wie Korngold eingeschlürft werden zu können, und er ist zu konservativ, um etwa wie Schönberg die Musik hörbar folgenreich beeinflusst zu haben. Wir finden nicht auf den ersten Blick das gebrochen Heutige in seinem Werk, aber auch nicht das ungebrochen Gestrige. Wir finden beides – also keines, und dies läßt Einordnungsversuche stocken.
In den folgenden Beiträgen sollen die Streichquartette Pfitzners kurz besprochen werden.