Die Wiederkehr der Barockoper - Eine Modeerscheinung ?

  • Liebe Opernfreunde,


    während gewisse Opern seit einiger Zeit immer seltener auf den Spielplänen hiesiger Opernhäuser aufscheinen hat die Barockoper ein richtiggehendes Comeback - oder wer das englische Wort Comeback nicht mag - einen regelrechten Boom erleben dürfen.
    Zumindest in den Katalogen von Tonträgerfirmen - denen Opernproduktionen eigentlich seit langem zu teuer sind - macht sich ein immer breiter werdendes Angebot von Barockopern breit. Da werden Opern von Komponisten vorgestellt, deren Namen vor gut zwanzig Jahren allenfalls Insider kannten.
    Und der Trend hält an - immer neue Werke - immer neue Komponisten werden aus den Archiven hervorgezaubert und auf Tonträger veröffentlicht.


    Breiten Zuspruch durfte auch der Thread: Barockopern für die Arche Noah
    für sich verbuchen. Und es gäbe noch zahlreiche Opern mehr als die bereits genannten.


    Was hat den Anstoß zur Wende gegeben - und wie lange wird dieser Trend anhalten ?


    mfg aus Wien
    Alfred





    Barockopern für die Arche Noah

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Der Zuspruch, den die Barockoper in den letzten Jahren auf den Bühnen wie auch auf CD/DVD erfährt, ist meiner Meinung sicher mehr als eine kurze Modeerscheinung. Wenn sich auch manche Entwicklungen, wie beispielsweise der "Hype" um Händels Opernmusik (es wird ja nun auch noch aus den hintersten Winkeln alles hervorgeholt, was sich unter dem Namen Händels vermarkten lässt)auch wieder nivellieren wird.


    Die Barockoper - wie die Barockmusik insgesamt - hatte es eben seit ihrer eigenen Epoche bis weit ins 20. Jahrhundert hinein sehr schwer überhaupt wahrgenommen zu werden. In ihrer eigenen Epoche oft nur als kurzlebige "Eintagsfliegen" in einem Musikbetrieb wahrgenommen, der als Mittel zum Zweck fürstlicher Repräsentation zu dienen hatte. Nicht das Einzelwerk, nicht die singuläre Genieleistung des Künstlers waren von Bedeutung. So verschwanden selbst ausgesprochene Meisterwerke nach nur wenigen Auffährungen wieder in der Versenkung. Der höfische Repräsentationsbedarf forderte Neues, denn der absolute Herrscher und seine Hofgesellschaft konnten mit "ollen Kamellen" (man verzeihe mir die saloppe Formulierung) der letzten Saison nicht glänzen. Alle Kunst hatte auf die Person des Herrschers ausgerichtet zu sein und musste ihn stets im besten Licht erscheinen lassen.


    Als bereits mit Mozart der Übergang zur Vorrangstellung des Bürgertums und seines Musikgeschmackes mindestens eingeleitet wurde, galt die Opernproduktion der Vergangenheit nicht nur musikalisch und formal als veraltet. Die barocke Oper war auch die Oper des Adels aus einer Epoche, in der das Bürgertum noch nichts zu melden hatte. Man schuf sich eigene Werke und künstlerische Werte: Vom Hofbediensteten - wie noch Haydn über drei Jahrzehnte bei den Esterhazys und Mozart in Salzburg es waren - die einfach ihre Arbeit zu machen hatten (nämlich Musik abzuliefern) zum bewunderten Künstlergenie. Über diese Entwicklung war die Barockoper endgültig in Vergessenheit geraten.


    Dass in England etwa Händels Oratorien (bürgerlicher Musikgeschmack!!! von dem wir wissen, dass Händel diesen Geschmack als den der Zukunft erkannte) wie der "Messias" u.a. das gesamte 19. Jahrhundert hindurch von den zahlreichen Chören des Landes am Leben gehalten wurde, während seine zahlreichen Opern für die Londoner Adelsgesellschaft im Staub dunkler Archive ruhten, vervollständigt dieses Bild.


    Das späte 19. und weite Teile des 20. Jahrhunderts mit ihren politischen Extremen (Nationalismus, Faschismus, Kommunismus) waren nicht die Zeiten, in denen die jeweils Herrschenden die barocke Opernmusik als Musik zur Überhöhung ihrer Regime gebrauchen konnten. Sie verbauten der barocken Musik wieder lange Zeit den Weg zu einer interessierten Zuhörerschaft. Es ist doch kein Wunder, dass in Deutschland in der Weimarer Republik das zarte Pflänzlein einer Händel-Renaissance nach 1933 sehr schnell wieder abgewürgt wurde und dass nach einer Übersättigung der Gesellschaft mit Wagnerpathos bis 1945 in den 50er Jahren das Interesse an barocker Musik im Allgemeinen sich zu regen begann - in Westeuropa!! Hinter dem "Eisernen Vorhang" spielten die Opern des Barock bis zu dessen Zerfall 1990 keine nennenswerte Rolle.


    Diese - hier in der gebotenen Knappheit angeführten - Entwicklungen führen mich zu der Überzeugung, dass in den von politisch extremen Überzeugungen weitgehend geheilten Gesellschaften Europas die Barockoper und -musik insgesamt eine dauerhafte Chance haben wahrgenommen zu werden. Die politischen Zustände, denen die barocke Musik einstmals dienstbar zu sein hatte, sind so lange vorbei, sind heute so fern unserer Realität, sind überlagert von ganz anderen historischen Erfahrungen, dass die antiken Heldenfiguren, die in der Barockoper eine so große Rolle spielen vom modernen Publikum häufig - so meine ich - als etwas Märchenhaftes rezipiert werden. Das heutige Publikum eignet sich diese Werke aus der heilsamen historischen Distanz völlig neu an. Von daher glaube ich nicht an einen kurzlebigen Modetrend.


    Grüße,


    Garaguly

  • Es gibt ja einen Vorlauf zu dieser "Mode".
    Es gab das Interesse erstmals in den 1920er und 1930er Jahren, u.a. im Rahmen von Händel-Festspielen. Sehr bedeutende Musiker hatten Interesse an dieser Musik: Orff hat Monteverdi bearbeitet, Britten (wohl in den 1950ern) Purcell, unter Leitung von Nadia Boulanger wurden die ersten Monteverdi-Madrigale in den 1930ern aufgenommen. Seit den 1950ern wurde in der damaligen DDR Händel besonders gepflegt, in deutscher Übersetzung (und bei einigen Oden und Oratorien wohl mit komplett verändertem Text), aber auch die Opern. Fritz Busch hat Idomeneo (auch eine Opera seria, die obwohl von Mozart, ein Jahrhundert oder länger ignoriert wurde) in den 1940ern? in Glyndebourne dirigiert. In den frühen 1960ern entstanden die ersten halbwegs adäquaten Einspielungen, durchaus mit Stars, so z.B. Alcina mit Sutherland und auch Julius Cäsar, selbst wenn der oft noch von einem Bariton (statt Alt) gesungen wurde. Malgoire für die franz. Barockoper usw.
    Insofern ist die Verbreitung dieser Werke in den letzten 25 Jahren nicht aus dem Nichts entstanden. Auch standen durch HIP und durch das schon vorher gestiegene Interesse am Belcanto des frühen 19. Jhds. dann auch wieder Sänger zur Verfügung, die die irrwitzigen Partien der barocken Primadonnen und Kastraten meistern konnten.


    Dass sich dann nicht nur unter Musikern und Sängern, sondern auch beim Publikum die Einsicht verbreitet, dass Monteverdi, Händel oder Rameau vielleicht doch bessere Komponisten waren als Adam, Flotow oder D'Albert ist kein Wunder, selbst wenn uns die Form der Opera Seria erstmal etwas fremd ist. (Allerdings glaube ich nicht, dass das zunehmende Verschwinden von Adam oder D'Albert direkt mit dem Siegeszug der Barockoper zu tun hat.)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo,


    ich kann nicht umhin, mich den hier geäußerten Meinungen teilweise anzuschließen, neige aber dazu, sie noch etwas schärfer zu fassen:


    1.) Der momentane Aufschwung der Barockoper ist sicher keine vorübergehende Mode. Die Komponisten der Barockoper waren wahrscheinlich keine besseren Künstler als spätere Kollegen, nur werden sie entdeckt von einem Publikum, welches dem ewigen Puccini/Verdi/Wagner-Einerlei überdrüssig ist und den höfisch-musikalischen Zauber des Zeitalters 1600-1780 aufsaugen will. Der Bildungsbürger des 21. Jahrhunderts fühlt sich dem multikultur-höfischen, europäischen Adligen der Barockzeit auch näher, als dem nationalbewußten Bürger des 19. Jahs.


    2.) Es gibt in den letzten 30 Jahren wieder zunehmend SängerInnen, die die schwierigen Partien wieder im Original singen können. Es gibt wieder Altisten, Countertenöre, Sopranisten, oder trainierte Sängerinnen. Bartoli, Cencic, Köhler, Kowalski, Mehta, Scholl, um nur einige zu nennen.


    3.) Auch die SängerInnen des "konventionellen" Repertoires wagen sich zunehmend auf das ungewohnte Pflaster. So erprobten sich in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Spinto- und Heldentenöre als Idomeneo, diesem "Tristan des Barock". Die Barockoper wird zu einem Feld, auf dem man auch reüssieren sollte.


    4.) Nicht zu unterschätzen ist auch die schiere Fülle des Repertoires. Jochen Kowalski sagte schon vor Jahren, daß sein Leben nicht ausreichen würde, um alle Partien zu singen, die seine Stimme interpretieren könnte. Es existiert ein riesenhafter Pool von Möglichkeiten !


    Gruß,


    Antalwin

  • Hallo an alle Interessierte,


    ich glaube schon, dass es über eine Mode hinausgeht, und die Gründe sind zahlreich. Ich fange mal einfach wie jeder Esel bei mir selber und meinen Beweggründen an, mich mit der Barockoper zu beschäftigen, was ich nun schon seit einigen Jahren tue. Ich denke, dass ich mich nicht so sehr von anderen Opernfans unterscheide, so dass meine Gründe vielleicht auch für andere gelten.


    Wer schon sehr oft in der Oper war, vielleicht aufgrund seines anhaltenden Interesses und vorgerückten Alters so wie ich, hat das gängige Repertoire schon oft gesehen. Und er hat alle diese Opern auch schon in sehr guten Aufführungen gesehen, vielleicht in so guten, dass sie in ihrer Qualität schwer wieder erreicht werden, dies einmal in Anbetracht der Tatsache, dass die Qualität von Aufführungen in der Erinnerung immer besser wird und zum zweiten dass wir nicht in einer Zeit sängerischer Hochkultur leben, insbesondere was das romantische Repertoire angeht, das ja die Spielpläne zu großen Teilen bestimmt.


    Ich möchte also auch mal was anderes sehen und hören als das, was ich schon kenne, und ich möchte es in hoher sängerischer Qualität sehen, am besten so, dass ich sage: Das war jetzt richtig toll und aufregend und nicht: Ja, ja, hab ich alles schon mal besser gesehen. Wenn einem das wirklich wichtig ist, landet man mit einer gewissen Zwangsläufigkeit bei der älteren Oper, und so war es bei mir. Es gibt auch Leute, die bekannte Stücke gerne in völlig neuer Fassung sehen wollen, die werden vom Regietheater auch gut bedient heutzutage. Und wenn mächtig Action auf der Bühne ist und man drüber nachdenken muss, was man da eigentlich sieht und was das soll, schmerzt es vielleicht weniger, dass die Gesangsleistungen so mäßig sind. Bei mir funktioniert das aber nicht, und deswegen traue ich mich kaum noch in Tristan- und Ring-Aufführungen, obwohl ich diese Stücke wirklich sehr liebe. Man kann auch bei neueren Opern landen, aber da ist das Sängerisch-Kulinarische in der Regel doch wenig ausgeprägt.


    Nach meiner Erfahrung wird nirgends auf der Opernbühne so hohe musikalische Qualität geboten wie in den Aufführungen von Barockopern, weil es heutzutage viele Sänger gibt, die das ganz hervorragend machen und weil sich die Dirigenten sehr viel Mühe damit geben. Man braucht dafür nicht so große Stimmen, die heute selten sind, aber Technik, Musikalität, Fleiß und Engagement. Man macht das mit kleineren Ensembles und oft in kleineren Häusern und erreicht oft eine Kultur des Zusammenspiels, die sonst nur in Ausnahmefällen erzielt werden kann. Und dafür lohnt es sich dann auch, sich in diese vielleicht anfangs fremde Welt der Barockoper hineinzuhören.


    Vielleicht ist diese Welt aber auch gar nicht so fremd. Der oft schematische Handlungsablauf der Barockopern bietet viele Projektionsflächen für Emotionen und eröffnet auch den kreativen Regisseuren, die hier vielleicht sogar stärker benötigt werden, viele Möglichkeiten. Der Hörer bekommt den "Ausdruck" der Musik nicht überdeutlich eingetrichtert wie in der spätromantischen Musik, sondern man muss selbst ein bisschen auf die Suche gehen und aktiv herausfinden, was diese mehr konzertante Musik denn wohl emotional bedeutet. Das finde ich spannend, und man kann dabei durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Auch zu falschen, wenn man z. B. aus der ironischen Situation der Liebeserklärung eines etwas verwirrten Herrschers an eine Platane eine im halben Tempo gespielte Begräbnismusik macht. Überhaupt finde ich, dass "Xerxes" eine ganz wundervolle Oper ist, fast alles darin ist ironisch oder doppelbödig.


    Mein letzter Punkt: Das Artistische, das auch zur Oper gehört. Das kann sich nirgends so Geltung verschaffen wie in der Barockoper. Im "eiskalten Händchen" warten viele, wie das hohe C gelingt, und in der Zauberflöte auf die fünf hohen Fs, aber viele Barockopern sind virtuos von Anfang bis Ende. Und manchmal sind die Stücke nicht einmal so schwer zu singen wie sie klingen, weil sie so raffiniert geschrieben sind. Und die orchestralen Effekte stehen denen in klassischen und romantischen Opern kaum nach: In der Leonoren-Arie gibt es vier Hörner, die großen Eindruck machen, aber in "Sta nell'Ircana" in "Alcina" gibt es auch vier Hörner, und die machen auch größten Effekt.


    Also, da gibt es unendlich viel zu entdecken. Die mythologischen und historischen Stoffe sind durchaus interessant, die Regie hat viel zu tun, die Sänger sind stark gefordert, aber stimmlich nicht überfordert, es gibt einen Neuigkeitswert, man kann erste Aufnahmen einer Oper machen statt der 35. Bohème, die ja keiner mehr braucht. Alles gute Gründe, und die waren in keiner Weise vollständig.


    Und deswegen wird das auch weitergehen, und es werden viele Stücke dauerhaft für das Repertoire gewonnen werden. Dagegen kann man, was das künftige Schicksal von Wagner und Verdi im Opernalltag angeht, durchaus besorgt sein. Selbst größte Häuser müssen hier den Mangel verwalten. Mich beunruhigt das sehr. Dagegen kann man in der Barockoper aus dem Vollen schöpfen. Also nehmen wir doch, was wir an Erstklassigem bekommen können.


    Soweit meine unmaßgeblichen Ansichten, beste Grüße
    der Neuling Vigo

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  • Dieses Argument, dass die Barockoper einen Aufschwung erlebt, weil die Leute dem Standard-Opernrepertoire von Verdi, Puccini oder Mozart überdrüssig sind, ist sicher nicht richtig. Wenn dies so wäre, würden Opern dieser Komponisten wohl kaum immer noch für volle Opernhäuser sorgen. Gerade bei Boheme, Traviata, Barbier oder Figaro sind die Häuser doch immer ausverkauft. Da braucht man nicht mal eine attraktive Besetzung. Diese Opern ziehen einfach immer und von Überdruss kann da nun wahrlich keine Rede sein. :rolleyes:


    Sicher gibt es eine Vielzahl an Werken aus dem Barock, die wenig bekannt sind, und die kaum bis gar nicht gespielt werden. Das gleiche gilt doch aber auch für andere Stilrichtungen. Welche andere Opern von zum Beispiel Mascagni werden denn noch aufgeführt außer der Cavalleria Rusticana? Neben dem Bajazzo gibt es auch bei Leoncavallo noch einige andere Möglichkeiten. Das gleiche gilt für Cilea, der ja auch noch mehr als Adriana Lecouvreur komponiert hat.
    Also, was alleine schon den Verismo betrifft - und da könnte man ja noch andere Komponisten nennen - könnte man noch eine Menge anderer Werke ins Rampenlicht rücken. Von Opern anderer Komponisten und Stilrichtungen gar nicht erst mal zu reden.
    Natürlich wird der eine oder andere sagen, dass es sich bei diesem oder jenem Werk um ein nur mittelmäßiges oder gar schwaches Werk handelt. Aber diese findet man wohl in allen Richtungen. Auch im Barock.


    Dass wieder mehr Barockopern aufgeführt werden hat wohl in erster Linie damit zu tun, dass es wieder Sänger gibt, die dieses Repertoire singen können. So einfach ist das. Es gab doch immer Zeiten in denen gewissen Stimmtypen nicht da waren. Jetzt gibt es wieder vermehrt Sänger für Barockmusik und somit kann man auch wieder mehr davon auf die Bühne bringen.


    Meine erste Barockoper war die Alcina von Händel. Eine Oper, die mir zwar zu Beginn recht gut gefallen, aber mit Fortdauer der Aufführung mich auch gelangweilt hat, weil die Musik nur wenig einfallsreich war. Von Händel hätte ich mir mehr erwartet. Aber wie mir Barock-Freunde sagten, gilt Alcina eher als schwaches Werk von Händel und sei nicht der beste Start in die Barockoper.


    Gregor

  • Ich glaube schon, daß die Barockopfer Repertoire ersetzt, welches derzeit (angeblich) weniger gefragt ist, und deshalb nicht auf den Spielplänen zu finden ist. Quasis die gesamte französische Oper des 19. Jahrhunderts wird (leider) heutzutage negiert, Adam, Auber, Meyerbeer, Gounoud, Berlioz -um nur einge zu nennen, und die Deutsche Spieloper - Wo sieht man heute noch Lortzing, Flotow oder Nicolai ?
    Und dann noch - Vigo schrieb es völlig richtig - zahlreiche Opern des Verismo. Mir ist das kaum aufgefallen - ich mag diese Stilrichtung nicht...


    Es handelt sich hier aber nicht etwa um "unbekannte" oder "schnell vergessene" Komponisten - sondern um einstige Stützen des Opernrepertoires.
    Hier ist die Barockoper ein willkommener Ersatz. Fast hätte ich geschrieben : Sie ist NEU...aber das stimmt ja nicht.
    Indes - sie ist schon soo alt, daß sie uns wieder neu erscheint.
    Ob sie als Modeerscheinung zu werten ist - oder dauerhaft Bestand haben wird ?
    Ich glaube, daß nichts dauernden Bestand hat - aber zumindest für die nächsten 50 Jahre wird sie fest im Bewusstsein der Opernfreunde verankert sein - mit einem festen Platz im Repertoire...


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Gregor und alle,


    mit Verlaub, aber so einfach ist es nicht: weil es viele Sänger gibt, die die Anforderungen der Barockoper gut, teilweise sogar hervorragend, erfüllen, werden die Opern auch gespielt. Das Können der Sänger ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung. Ohne Nachfrage seitens des Publikums würde da trotzdem nicht viel daraus werden.


    Neben den von mir genannten Punkten hat auch die Bewegung der Historischen Aufführungspraxis eine große Rolle gespielt. Die ist zwar nicht primär von der Oper ausgegangen, sondern von der barocken Orchestermusik und den Oratorien, hat aber die Voraussetzungen geschaffen und die Neugier geweckt.


    Klar gibt es im Bereich des Verismo viele unbekannte Stücke, die man auch auf die Bühne bringen könnte. Aber da hat man nicht nur das Besetzungsproblem, sondern auch ein aesthetisches. Das, was so aufregend und sensationell beim Aufkommen des Verismo war, ist doch auf eine andere Gattung übergegangen, die das noch besser bedient, nämlich das Kino. Ein Stück wie "Das Mädchen aus dem goldenen Westen" ist doch - den Gesang mal ausnahmsweise beiseite gelassen - von Inhalt und Wirkung nicht weit vom Kino entfernt, und wenn ich "Tosca" sehe, denke ich auch immer, dass das einen guten Film abgeben würde. Umgekehrt ist der Western "Spiel mir das Lied vom Tod" nicht sehr weit von einer Oper entfernt. Da wird sogar viel gesungen und Mundharmonika gespielt *smile*. Deswegen hat, denke ich, eine Wiederbelebung des Verismo auf der Opernbühne keine allzu großen Erfolgsaussichten.


    Natürlich ist im Barock nicht alles Gold, was glänzt. Aber "Alcina" schon, das ist ein Goldstück. Ich erkenne jedem das Recht auf seine eigene Sichtweise und Bewertung zu, aber dass das eine schwache Händel-Oper ist, stimmt unter halbwegs objektiven Maßstäben einfach nicht. "Alcina" ist eine der besten Händel-Opern, darüber sind sich die Händelexperten einig, und das Publikum anscheinend auch, denn "Alcina" gehört heutzutage zu den am häufigsten gespielten Händel-Opern, an kleineren wie großen Bühnen. Und das liegt wohl daran, dass Händel mit der Zauberin Alcina so eine komplexe und interessante Figur auf die Bühne gebracht hat. Einerseits eine Zauberin mit ziemlich bösartigen Zügen, andererseits eine echt Liebende, und wir sehen und hören diesem Konflikt, der schrittweisen Demontage dieser Figur und ihrer verzweifelten Reaktion darauf über drei Stunden lang zu und Händel bringt es fertig, dass wir diese Alcina am Schluss sogar bedauern. Diese hochpsychologische Rolle ist deswegen auch von Sängerinnen gesungen worden, die als profilierte Darstellerinnen bekannt sind oder waren: u. a. Anja Harteros, Christine Schäfer, Arleen Auger, interessanterweise alle drei keine typischen Barocksängerinnen.


    Dass einem eine Händel-Oper von 3-4 Stunden mit ihrer Abfolge immer weiterer Arien, seien sie für sich genommen auch noch so schön und interessant, etwas mühsam werden kann, ist mir wohlbekannt. Aber das ist eben auch eine Frage der Hörgewohnheiten und der Übung. Wie ist das, wenn man seinen allerersten "Tristan" sieht? Ich glaube allerdings, dass "Alcina" für den Einstieg in die Barockoper nicht besonders gut geeignet ist. Das Stück ist vielleicht zu subtil oder auch zu komplex für den Einstieg. Da wäre nach meiner Meinung beispielsweise der "Rinaldo" besser, Händels erste Oper für London. Der zeichnet sich nicht durch subtile Psychologie aus, eigentlich durch gar keine Psychologie, aber durch eine Abfolge abwechslungsreicher und wirkungsvoller Nummern, ein großer bunter Bilderbogen mit sehr guter Musik.


    Jetzt habe ich viel mehr geschrieben als ich wollte, es sollte ja eigentlich nur eine kurze Replik werden, aber es geht dann mit mir durch.


    Schönen Gruß aus Berlin
    Vigo

  • Alcina gilt, wie schon gesagt wurde, ohne jeden Zweifel als eine der besten Opern Händels (und des Barock) und gehört vermutlich auch zu den drei beliebtesten, was sich daran zeigt, dass schon vor der "HIP-Zeit" eine "All-Star-Einspielung" (Decca, mit Sutherland u.a.) realisiert wurde.


    Dass die Ästhetik und Dramaturgie der Barockoper anders sind als im Verismo versteht sich ja von selbst. Vigo hat da schon einiges dazu geschrieben, dem ich zuzustimmen geneigt bin (wobei ich Verismo-Zeugs zu schlecht kenne, um das ernsthaft beurteilen zu können, aber ich ziehe einen Akt selbst einer zweitklassigen Händel-Oper einem aus Butterfly oder Boheme ohne Zögern vor... ;))


    Ich denke sogar, dass es ggf. auch o.k. ist, etwas zu kürzen (auf der Bühne ist das ja auch bei einigen Mozart-Opern durchaus üblich), wenn man die Stücke für insgesamt zu lange hält. Im Barock wollte man eben abendfüllendes Programm :) (Ein Werk wie Händels Alexanderfest mit etwa anderthalb Stunden war zu kurz...) Und pro Oper benötigten mindestens je zwei Primadonnen und Kastraten genügend Arien, um glänzen zu können.
    Die Qualität (und seine Willensstärke bei der Umsetzung) Händels zeichnet sich nicht zuletzt dadurch aus, dass er eben auch ruhige, lyrische Stücke durchsetzen konnte und kein bloßer Lieferant von Bravourarien war. Wie "Cara Sposa" (Rinaldo) mit seiner ungewöhnlichen kontrapunktischen Begleitung oder "Verdi prati" in Alcina, das der Sänger erst nicht singen wollte, weil es so schlicht und unvirtuos war.

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    (Bob Dylan)

  • Ein paar Stichproben der aktuellen Spielzeit 12/13 obwohl 2013 ein
    Wagner/Verdi-Jahr ist:


    KO Berlin: Xerxes
    (bei der Staatsoper finde ich nichts, aber in Berlin gibt es meinem Eindruck nach in jeder
    Spielzeit mindestens eine Händel-Oper zu sehen, was nicht allein am Einsatz der Komischen
    Oper liegt)
    Frankfurt: Giulio Cesare und Teseo
    Stuttgart: Alcina (Repertoire, Inszenierung von '98)
    Hamburg: Purcell: Dido & Aeneas
    München: Fehlanzeige, aber hier wurde in den 90ern und 00ern ziemlich viel Händel gemacht;
    es gibt etliche DVDs bzw. CDs unter Ltg. von Ivor Bolton
    Deutsche Oper am Rhein (Düsseldorf): Xerxes
    Köln: "Artaserse" von L. Vinci
    Zürich: Rinaldo und "Der geduldige Sokrates" von Telemann
    Theater an der Wien: Radamisto und Monteverdis Ulisse


    Theater Bonn: Jephtha
    Stadttheater Gießen: Alcina und Acis und Galatea


    Wenn auch nicht an allen, so kann man meinem Eindruck nach an den meisten Häusern, auch in der Provinz, ungefähr eine Barockoper pro Saison erleben, natürlich nicht immer Neuproduktionen. Und ca. 70% dürften Händel sein (dabei auch inszenierte Oratorien), vom Rest das meiste Monteverdi und Purcell (dessen Fairy Queen und King Arthur auch keine richtigen Opern sind, "semi-operas")

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  • Nur leider ist das große Problem das die Barockoper beim normalen Abopublikum nicht ankommt und zumindestens in der Rheinoper sehr überschaubar besucht ist. Ich denke mal das Xerxes auch nur bei der Premiere gut besucht sein wird EIn weiteres Problem sind die teilweise langatmigen Arien und die nicht immer nachvollziehbaren Handlungen. Heute habe ich mir aus Glyndebourne aus dem Jahr 2011 Rinaldo rungergeladen. Die Inszenierung erinnert etwas an den Klassenzimmer Lohengrin aus Hamburg , ist aber sehr gut gemacht und Sänger und Orchester sind hervorragend. Nur dauert die Oper auch fast 4 Stunden mit Pause.

  • Man wird sich vielleicht wundern. aber auch ich bin im Falle von Barockopern dafür , sie zu kürzen. Vermutlich wurde das schon immer gemacht. Ausserdem war es ja - soweit mir bekannt - im siebzehnten und frühen achzehnten Jahrhundert durchaus üblich während solch einer Vorstellung zu esse und zu plaudern. Egal wie man dazu steht, ein mehrstündiges Werk war für das Publikum auf diese Art leichter durchzustehen.
    ZUm Vorschlag des Kürzens. Das ist natürlich eine Verfremdung des Werkes, aber der stilistische Kern bleibt gewahrt. Und man kann natürlich nicht eine Video- oder Tonaufzeichnung machen und behaupten man hab das Werk aufgeführt. Nein - es ist eine Bearbeitung. Aber sie bietet die Chance, daß eine neue Generation von Opernbesuchern auf diese Art an die Barockoper herangeführt wird - die in 20 Jahren die Forderung aufstellen wird, man möge die Striche aufmachen.
    Barockoper ist aber - mehr als andere Abteilungen des Genres Oper - eine sehr optische Angelegenheit. Man sollte hier allen barocken Prunk einsetzen der finanziel verkraftbar ist - und auf "modernisierende Experimente" verzichten.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

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  • Man wird sich vielleicht wundern. aber auch ich bin im Falle von Barockopern dafür , sie zu kürzen. Vermutlich wurde das schon immer gemacht. (...) Man sollte hier allen barocken Prunk einsetzen der finanziel verkraftbar ist - und auf "modernisierende Experimente" verzichten.

    Das wäre es! Da könnte ich mich sogar noch einmal aufraffen und ein Opernhaus besuchen (wenn dieses Aufführung denn in meiner näheren Umgebung vorkäme).


    Was die Kürzung betrifft: Da reicht ja manchmal schon die Streichung der Wiederholung des A-Teils einer Arie aus, um auf eine "vertretbare" Aufführungszeit zu kommen. Zumindest eine Einspielung sollte jedoch vollständig sein.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Ich könnte beinahe alles, was hier gesagt wurde, aus eigener Erfahrung und Hörgewohnheit unterschreiben. Aber mir fehlt ein Aspekt, der für mich der entscheidende ist.


    Das klingt ja in den weiter oben zu lesenden Beiträgen beinah so, als seien Barock- und Belcanto-, Verismo- oder Wagneroper eigentlich austauschbar, und der Hörer wechsele faute de mieux eben gerade mal ins Barockfach, da dort die Qualität einfach besser sei.


    Das Qualitätsargument ist ohne jeden Zweifel zutreffend. Aber bei mir kommt etwas anderes hinzu. Seit ich vermehrt Musik des 16. und 17. Jahrhunderts höre, ertrage ich die allgegenwärtige Idiomatik des 19. Jh. nicht mehr. Die Barockmusik berührt mich auf andere Weise mit ihrer Trauer und ihrem Glanz, ihrer Entsagung und Zuversicht, ihrer Schwerelosigkeit und Beseeltheit, wenn ich so sagen darf. Und vermutlich ist eine Ursache dafür, daß sich die ungezählten hervorragenden Ensembles darum bemühen, dieser verschollenen Musik einen für uns Heutigen vernehmbaren Ausdruck abzuringen.


    Daher stehen neben ehrgeizigen und ehrbaren Projekten wie dem Vivaldi-Zyklus bei naive; z.B.:



    auch Bemühungen um weniger spektakulär-virtuose, dafür um so innigere Vokalmusik, z.B. von Antonio Cesti:



    Natürlich läßt sich nicht immer sagen, daß die Barock-Sänger ihre Partien au cœur nu vortragen. Aber wenn dies gelingt, z.B. Dorothea Röschmann als Rodelinda, dann ist diese Musik überirdisch.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Barockoper braucht meiner Meinung nach etwas, das man heute nicht mehr zu geben gewillt ist - nämlich prunkvolle Ausstattung. Aber das ist nur EIN zu lösendes Problem. Das IMO weit größere ist, daß der Hörer von heute im allgemeinen nicht über jene Eigenschaften verfügt, die meines Erachten unabdingbar sind, um eine Barockoper geniessen zu können - und dabei meine ich nicht mal die Liebe zu barocker Musik. Es ist vielmehr die Tugend der Geduld, denn 4 Stunden Spieldauer, das ertragen in der Regel nur hartgesottene Wagnerianer. Die zweite Voraussetzung - nämlich die Kenntnis der antiken Götter und Sagenwelt etc. wäre zwar erlernbar, indes ist hier - wenn ich die Gesellschaft von heute richtig einschätzt - nur in den seltensten Fällen die Bereitschaft gegeben, abesehen davon, daß die Handlung der meisten Barockopern komplex und verworren ist, im Extremfalol noch mit Anspielungen auf gesellschaftliche Zustände der Entstehungszeit....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

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