Referenzaufnahme - was ist das ?

  • "Ganz einfach" - wird mancher sagen - "die beste Aufnahme"


    Ich meine, das ist eine durchaus gängige Betrachtung - aber es gibt - so meine ich wenigstens - Alternativen.


    Referenz ist etwas - auf das sich etwas anderes beziehen kann, ein Standard, bzw etwas, das Maßstäbe gesetzt hat.
    Referenzen sind jedoch in der Regel (aber durchaus nicht immer) etwas Willkürliches.(?)


    So könnte man beispielsweise Karajans Einspielung der Beethoven Sinfonien (1962) als Referenz heranziehen um andere Aufnahmen zu bewerten. Dazu ist es nicht unbedingt notwendig die Karajan-Aufnahme als "Beste" einzuschätzen.
    Dennoch erfüllt sie viele Voraussetzungen für eine "Referenz"


    a) Die Aufnahme wurde bei ihrem Erscheinen als das "Non Plus Ultra" aller Stereo-Beethovensinfoniezyklen gefeiert -
    und zwar von Kritik und Publikum gleichermaßen


    b) Die Aufnahme hat sich seit 50 Jahren in den Katalogen gehalten und wird von vielen Klassikfreunden noch heute allen anderen verfügbaren Einspielungen vorgezogen.


    c) Manche sehen in dieser Aufnahme aber auch eine Verfälschung in Richtung "Schönklang"
    Hier haben wir eine typische Charakteristik - etwas womit man andere Aufnahmen vergleichen kann....


    d) Die Aufnahme ist weit verbreitet und allgemein bekannt - sie stellt in gewisser Weise einen "Standard" dar, an dem man andere Einspielungen vergleichen kann


    e) Dies betrifft sowohl das Orchester, welches zu den besten der Welt zählt.


    f) als auch die gewählten Tempi, die weder als "verhetzt", noch als "schleppend" bezeichnet werden können....



    Man hat also eine Aufnahme "der Mitte" vor sich, an der man wunderbar neuere und ältere Aufnahmen "messen" kann.
    "schneller als Karajan", "langsamer als Karajan", "aggressiver als Karajan", "weicher als Karajan", "akzentuierter als Karajan" - etc. etc.....


    Damit wir uns richtig verstehen: Die Karajan Aufnahme wurde hier nur als MÖGLICHKEIT einer eventuellen Referenzaufnahme genannt, genausogut könnte man irgend eine andere, wenig verfälschende Aufnahme heranziehen - sagen wir Abbado oder Böhm mit den Wiener Philharmonikern - jedoch sind diese nicht sooo.. allgemein bekannt und haben weniger Aufsehen erregt.


    Viele meinen, es dürfe nur EINE "Referenz" eines Werkes geben - diese Ansicht ist weit verbreitet und wird oft als absolute Wahrheit verbreitet. Ich meine jedoch, es kann von einem Werk durchaus MEHRERE "Referenzaufnahmen" geben - die jeweils in einem gewissen Umfeld, bzw einer speziellen Disziplin als "Referenz" herangezogen werden kann.


    Um beim Beispiel der Beethoven Sinfonien zu bleiben - Furtwängler ist hier mit Sicherheit eine Referenz - und zwar in interpretatorischer Hinsicht - nicht jedoch in tontechnischer. An Furtwängler wird man Klemperer, Celibidache und Thielemann (Aufzählung in der Reihenfolge ihres Erscheinens) messen müssen, bzw können.


    Ungeachtet der bisher genannten Aufnahmen zählte längere Zeit die Aufnahme der Beethoven Sinfonien unter Gardiner als Referenz für Aufnahmen mit Originalinstrumenten. Und in gewisser Weise ist sie das auch heute noch. Die als gemässigt geltende Aufnahme wird gelegentlich als zu glatt bezeichnet - oder aber als Musterbeispiel dafür, daß Aufnahmen die als "historisch informiert" gelten nicht durchaus "aggressiv" klingen müssen.


    "Referenzaufnahmen" sind also - wie ich meine - durchaus eine Sache der Betrachtung, des Standpunktes - zeichnen sich aber dadurch aus, daß sie von eine gewissen Gruppe als Referenz anerkannt werden.....


    Um das einmal mehr zu erläutern, würde ich sowohl Furtwängler, als auch Karajans und Soltis "Ring" als "Referenzaufnahmen sehen.


    Böhms Mozart ist "Referenz" - egal ob man ihn mag oder nicht. Den Gegenpol hiezu dürfte wahscheinlich Harnoncourt darstellen. Karajans Mozart spielt hingegen als "Mozart-Referenz" keine Rolle. Krips wäre hier schon eher ein Anwärter - jedoch sind seine Aufnahmen zu wenig verbreitet, bzw bekannt, Bruno Walter - ein großer Mozart-Interpret der Vergangenheit - gilt weitgehend als vergessen, jener von Klemperer als "eigenwillig", "interessant" aber nicht "referenzverdächtig", bzw "beispielgebend". (wenngleich ich hier anderer Meinung bin)


    Es ist mir bewusst - und zwar nicht "schmerzlich" ;) , daß meine Definitionen auf Widerspruch stoßen werden, bzw ein heisses Diskussionsthema sind, bzw sich zu einem solchen entwickeln könnten - und genau aus diesem Grund habe ich sie hier niedergeschrieben.....


    mit freundlichen Grüssen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Tja, lieber Alfred, da können wir nun trefflich diskutieren. Ich verstehe Deinen Ansatz und teile ihn durchaus, aber warum hast Du Dich bei Beethoven für Karajan als Beispiel entschieden? Es gibt doch die GA von Karl Böhm. Nun gut, sie war est ein paar Jahre später komplett. Aber auch beim Gelblabel erschienen. Die haben sich Konkurenz im eigenen Haus gemacht. Zu der Zeit hat Karajan schon einen weitere stereo-Aufname aller Beethoven Sinfonien begonnen vorzulegen. Warum eigentlich? Ich bin jetzt boshaft: Karajan hat Musik produziert, Böhm hat sie gemacht, Karajan hat auf Schönklang poliert, eine Aufführung von Böhm klang schön, sie war authentisch.


    Du hast nun einige Aspekte erwähnt, die eine Einspielung zur Referenz werden lassen können. Am Beispiel Karl Böhm frage ich mich allerdings, warum nun gerade die Karajan GA zur Referenz erklärt werden soll. Ist er nicht eher ein früher Exponent jener Musiker-Phalanx, die letztlich in Lang-Lang endet, und die vor allem auf öffentliche Zurschaustellung angelegt ist?


    Ich glaube, wir sind in medias res, wenn ich auf Deinen Beitrag frage, warum Karajan und nicht Böhm?


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Es gibt doch die GA von Karl Böhm


    Ich freue mich, daß das - ausnahmsweise nicht von mir - hier zur Sprache gebracht wird.
    Zum einen, weil meine Affinität zu Karl Böhm bekannt ist -und somit meine Aussage allzu parteiisch erscheinen mag, zum anderen weil es meine These zumindest dort unterstreicht - wo ich sage, daß eine Referenz auch "mehrheitsfähig" sein muß.
    Und es muß nicht immer die "Beste" Aufnahme sein...


    Karajans Ruf als Beethoven-Dirigent war in Zeiten als sein erster Stereozyklus der Sinfonien für Deutsche Gramophon erschien derart überragend, daß er alles andere verdrängte. Vergessen war die (unvollendet gebliebene aber ausgezeichnete) Fricsay-Aufnahme, auch Klemperer und Bernstein kamen dagegen nicht an.
    Mit Karl Böhm und den Wiener Philharmonikern hatte die DGG einen Trumpf in der Hand, den man zwar kannnte - sonst hätte man die Aufnahmen erst gar nicht gemacht - der aber nur halbherzig ausgespielt wurde, bzw werbemässig auf Sparflamme gesetzt wurde. Auch heute ist auf die Böhm Aufnahme eine relativ lange Wartezeit.



    Zu Lebzeiten der beiden großen Dirigenten Karajan und Böhm teilten sich die beiden den Markt.
    Selbst der große Karajan konnte Böhm in Sachen des Rufes der Mozartkompetenz nicht gefährlich werden - Böhm war hier absoluter Spitzenreiter. Umgekehrt verhielt es sich in Sachen Beethoven, wo Karajan geradezu gottähnlich verehrt wurde. Böhm wurde geschätzt und geehrt - aber Karajan wurde immer als Nr 1 gesehen - Wien war hier eine Ausnahme. Hier wurde Böhm mit Sicherheit auf eine Stufe neben Karajan gestellt - wenn nicht sogar darüber....


    Weltweit war Karajan vermutlich präsenter -mit Ausnahme von Japan. Ich erinnere mich vage an einen Ausspruch von Karl Böm "Sie können sich gar nicht vorstellen WIE beliebt ich dort bin - so wie hier der Karajan)


    Zitat

    Am Beispiel Karl Böhm frage ich mich allerdings, warum nun gerade die Karajan GA zur Referenz erklärt werden soll. Ist er nicht eher ein früher Exponent jener Musiker-Phalanx, die letztlich in Lang-Lang endet, und die vor allem auf öffentliche Zurschaustellung angelegt ist?


    Nicht wirklich volle Zustimmung.
    Karajan war ein Mann der Medienpräsenz - das ist wahr - aber im Gegensatz zu heutigen "Stars" war das nur EINE seite der Plakette - er war zudem noch ein großer Künstler.


    Karl Böhm indes agierte stiller - und nicht immer diplomatisch (dazu mehr in einem Spezialthread)


    Aber die "Hauptschuld" lag vermutlich bei der PR-Abteilung der Deutschen Grammophon, die "ihre" Berliner Philharmoniker (mit ihrem publikumswirksamen Chefdirigenten) an erster Stelle positioniert wissen wollten....


    And dieser Stelle vielleicht noch ein erhellendes Zitat aus WIKIPEDIA:


    Zitat

    In der Öffentlichkeit wurde Böhm im Kontrast zu seinem als mondän geltenden Landsmann Herbert von Karajan eher als bodenständiger Musiker wahrgenommen.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Um beim Beispiel der Beethoven Sinfonien zu bleiben - Furtwängler ist hier mit Sicherheit eine Referenz - und zwar in interpretatorischer Hinsicht - nicht jedoch in tontechnischer. An Furtwängler wird man Klemperer, Celibidache und Thielemann (Aufzählung in der Reihenfolge ihres Erscheinens) messen müssen, bzw können.


    Hallo Alfred,


    zu pauschalisierend.


    Wer sich Furtwängler als Messlatte nimmt, muss sich bewusst sein, das er sich in extrem subjektiven Ansichten über Musik bewegt.


    Man kann Karajan`s Beethoven natürlich als Referenz nehmen. Aber auch hier sehe ixh die Gefahr, das man auch hier zu sehr auf subjektive Ansichten stösst. Wenn man es aber schafft, seine Interpretationen in Frage zu stellen, unvoreingenommen vergleicht, andere Interpretationen gelten lässt, warum nicht?


    Es kommt doch auf die Grundeinstellung an!


    Und wie intensiv ich mich mit einem Werk/Komponisten auseinander setze. Die Ansprüche an den Hörer bei Beethoven sind aufgrund der Komplexität der Musik besonders hoch. Ich gestehe es jedem zu, einfach zu sagen, ich habe meinen Böhm, er bringt mir meinen Beethoven. Aber es gibt dann die Hörer, die diese Musik hinterfragen.


    Dies kann über ein "Zerlegen" der Interpretation gehen, einzelne Fragmente eines Satzes werden in Frage gestellt. Das kann aber auch nur ein Teil einer Beurteilung sein, erst wenn man diese Fragmente im Zusammenhang mit dem Grundtempo der Interpretation und dazu noch die Zwischenbeziehungen zu anderen Fragmenten, sowohl in der Gestaltung als auch im Tempo, nimmt ( gaaaanz wichtig bei Beethoven!), dazu noch den satzübergreifenden Zusammenhang nimmt, kommt man einer Interpretation auf die Spur.


    An diesem Schlangensatz kann man erahnen, was eine intensive Beschäftigung mit dem Schaffen Beethovens bewirkt. das lässt sich sicher noch erweitern.


    Und da soll ich eine Referenz bestimmmen?


    Viele Grüße Thomas

  • Zitat

    Wer sich Furtwängler als Messlatte nimmt, muss sich bewusst sein, das er sich in extrem subjektiven Ansichten über Musik bewegt.


    Kein Widerspruch.
    DENNOCH war Furtwänglers Beethoven zu seiner Zeit ein anerkannter Maßstab - was auch dadurch belegt scheint, daß seine Aufnahmen - trotz bescheidener Mono-Tonqualität noch immer verkauft werden


    Zitat

    Man kann Karajan`s Beethoven natürlich als Referenz nehmen. Aber auch hier sehe ich die Gefahr, das man auch hier zu sehr auf subjektive Ansichten stösst.


    Gleiche Ausgangssituation: Wir haben es hier mit DEM Beethoven-Dirigenten seiner Zeit zu tun. über 30 Jahre war die Musikwelt von Karajan geprägt. Nimmt man "die frühen Jahre" dazu - und Karajans "Nachruhm", dann erweitert sich dieser Zeitraum auf gut 70 Jahre - Ende offen......


    Denn - bei aller Affinität der Forianer zu Harnoncourt, Zinman, Järvi und Consorten - Auch heute gibt Karajan - wenn wir von Tonträgern als Maßstab ausgehen - den Ton an....


    Aber damit sind wir (und ich bin mit schuld) schon vom eigentlichen Thema abgewichen. Es ging nämlich nicht darum WER als Referenz betrachtet wird - und ob die jeweils getroffene Auswahl objektiv ist, sondern welche Eigenschaften vonnöten sind um von einer Gruppe - sei sie zeitlich - sei sie örtlich -als Referenz angesehen zu werden.


    Wenn wir beispielsweise eine Abstimmung machten, wer denn der grösste Mozart Pianist "aller Zeiten" zu sehen sei - dann würden wir irgendwann zu einem Ergebnis kommen. Der Gültigkeitsbereich dieses Ergebnisses wäre aber einerseits ein regionaler
    in zweierlei Hinsicht. Zum einen deckt Tamino lediglich den Deutschen Sprachraum ab - zum anderen eben nur das Hoheitsgebiet des Forums und seiner Mitglieder, des weiteren auch zeitlich beschränkt - solange die Mitglieder dieselben bleiben.


    Je nachdem inwieweit die Kompetenz und die Eloquenz der Mitglieder ausreicht die Wahl zu begründen - und auch inwieweit sich diese getroffene Wahl mit dem allgemeinen Zeitgeist vereinen lässt werden Randbereiche des Forums (Mitleser) davon beeinflusst. Schliesst sich dann der Musikkritiker einer Fachzeitschrift an, bzw deckt sich die Meinung von ein oder zwei Kritiern des englischen Sprachraums - dann ensteht das was ALLGEMEIN als Referenzaufnahme bezeichet. Ab jetzt werden die Kritiken zumeist nur mehr abgeschrieben - bzw man hängt sich unter Zuhilfenahme von Zitaten an die "grossen" Musikkritiker an....
    Eine Referenz wurde geboren....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Selbstverständlich ist es schwierig, vielleicht sogar unmöglich eine Gesamtaufnahme auf den ersten Rang zu setzen. Es ist allerdings ein Zeichen unserer Zeit und unserer Gesellschaft, dass der Erste, das Beste, das Super-Model gekürt werden soll. Da bei einer seriösen Wahl von Referenzaufnahmen meisten auch die Konkurrenten um diese Krone genannt und besprochen werden können solche Rankings doch eine selektierende Hilfe und Kaufempfehlung besonders für nicht so informierte Klassikfreunde sein. Ich selbst ziehe beim Kauf einer Opern -Gesamtaufnahme häufig den "Harenberg Opernführer" zu Rate.
    Zur Meinungsbildung tragen bei mir vielleicht noch mehr die Bewertungen in unserem Tamino-Klassik-Forum bei. Wenn sich hier in der Diskussion wie z. B. beim "Solti-Ring" ein Trend in der Häufigkeit und eine hohe Zahl begründeter Aussagen für höchstes Niveau von den erfahrenen Taminos ergeben, dann ist das für mich " Vox populi" und damit durchaus eine beachtenswerte Richtschnur und Kaufempfehlung.
    Wir sollten solche wirklich nützlichen und aussagekräftigen Bewertungen im Forum reglmäßig auswerten und jeweils zu einem Gesamttrend verdichten. Dadurch würde Tamino noch stärker zu einem Meinungsbildner der Klassikszene. Nur wer steuert das und wer macht diese lohnende Arbeit?
    Herzlicsht
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Referenzaufnahme - was ist das ?


    Das frage ich mich auch häufig. Sind das Aufnahmen, die in Fachzeitschriften (fonoforum) 5 Sterne bekommen haben. Wer entscheidet darüber. Kann sich jeder von uns eine xbeliebige Aufnahme nehmen uns sie zur Referenz erklären. Gibt es von jedem Musikstück eine oder mehrere und wenn ja wie viele Referenzen. Übrigens bei Bewerbungen bedeuten Referenzen Personen, die über meine Eignung zur Bewerbung in der Regel etwas positives zu sagen haben. Wenn es sich bei einer Referenz-Aufnahme um etwas "Einmaliges" handeln sollte, sollten wir mit dem Wort Referenz vielleicht doch etwas vorsichtiger umgehen, denn soviel "Einmaliges, in allen Punkten stimmiges, von keiner anderen Aufnahme auch nicht bei der kleinsten Stelle, Rolle, Ton, Pause übertroffenes etc. gibt es doch gar nicht.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)



  • ---------


    Da beginnen bei mir schon die Probleme. Denn unbeschadet der Notwendigkeit, bei "Referenzaufnahmen" analytische Studien zu betreiben, sind doch für mich andere Komponenten ausschlaggebend. Auch auf die Gefahr hin, als Ignorant zu gelten, muß sich mir die Gänsehaut aufstellen, ich muß in dramatischen Situationen von atemloser Spannung erfasst, muß auch zu Tränen gerührt werden - dann ist es für mich "Referenz", wobei das "Wie" natürlich nicht unwesentlich ist, aber schlußendlich das "Produkt" als solches den Ausschlag ggeben muß.


    Wenn ich ein exzellentes Speisegericht serviert bekomme, muß ich nicht notwendigerweise darüber Bescheid wissen, wie es zubereitet wurde. Hauptsache ist doch, dass es ausgezeichnet schmeckt.


    Grüße aus Wien
    von Fritz

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Hallo Milletre,


    könnte es sein, dass Du Referenzaufnahme mit "meine liebste, meine mich am meisten emotional bewegende Aufnahme" eines Werkes verwechselst?


    Was verstehe ich (wohl auch Alfred?) unter Referenzaufnahme:


    Eine unter Berücksichtigng der neuesten, musikwissenschaftlichen Erkenntnissen vorgenommene vergleichende Betrachtung unterschiedlicher Interpretationen, mit dem Ziel, mit einer werkgetreuen Wiedergabe und unter Beachtung der heutigen üblichen Hörgewohnheiten, die beste Interpretation zu finden - stilprägend ist dabei eine Frage der Zeit. Ob ein Werk vor 50-60 Jahren eine Referenzaufnahme war, können wir, wenn entspr. Aussagen vorliegen, zur Kenntnis nehmen, nachvollziehen???


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • "Auf etwas referieren" heisst ja, auf etwas Bezug zu nehmen, womit man schon recht einfach die wichtigste Eigenschaft einer Referenzaufnahme beschreiben kann.


    Natürlich wird diese Aufnahme immer ihre besonderen (guten) Qualitäten haben, denn sonst würde ja kaum jemand auf sie Bezug nehmen wollen.
    Ein solches Tondokument gibt dem Hörer auch dadurch, dass es als Bezugspunkt gilt, eine Orientierungshilfe für die Beurteilung von Interpretationen.


    Für den Bereich der Bachschen Goldberg-Variationen haben Goulds Aufnahmen (vor allem die zweite) derartig einzigartige Standards gesetzt, dass sie bei jeder Klavier-Neuaufnahme in den meisten Kritiken als Vergleich herangezogen wird. Aus meiner Sicht ist das auch sehr berechtigt:
    Seine Unabhängigkeit und Klarheit beim polyphon-mehrstimmigen Spiel oder seine Temporelationen zwischen den Variationen (zweite Aufnahme) sind nur einige wenige Beispiele von vielen, die dazu führten, dass die Aufnahme in den Referenz- ja in den Kultstatus erhoben wurde.


    Milletre hat m.E. auch Recht, wenn er sagt, dass eine Referenzaufnahme auch emotional stark ansprechen sollte, wobei solche Dinge ja sehr vom Verständnis des Höres, vom Status Quo seines Geschmacksbildungsprozesess etc. abhängen. Es ist ja so, dass man dann etwas ergreifend findet, wenn man es auch versteht. Dieses Verständnis muss nicht unbedingt immer bewusst oder gar fachlich fundiert sein - obwohl auch das in den meisten Fällen nicht schadet...doch auch hier gibt es Ausnahmen.


    Allerdings stimmt auch, dass man diese Dinge, die einem so stark unter die Haut gehen, bis zu einem gewissen Grad auch fachlich benennen kann und für sich selbst auch sollte, jedenfalls als ausübender Künstler, und ich meine auch, als Kritiker.
    Für mich als äusserst lernwilligen Musiker ist es jedenfalls sehr wichtig zu verstehen, "wie und warum er (oder sie) das jetzt so macht". Wieso ergreift mich diese Interpretation so sehr? Das Hinzuziehen der Partitur kann hier hilfreich sein.


    Eine Referenzaufnahme wird immer dann allgemein als eine solche angesehen werden, wenn viele Hörer zu einem ähnlichen Meinungsbild kommen, woran man übrigens auch sehen kann, das Qualität in der Musik nicht irgendwie "total relativ und Geschmackssache" sei, wie ich es in vor allem bei in der "realen Welt" geführten Diskussionen ab und an zu hören bekomme.


    Hierzu ein kleiner Exkurs:
    Wenn alles gut und richtig ist, dann hört sich das ja gerne sehr tolerant, demokratisch und politisch korrekt an- Man soll ja nicht den Geschmack anderer Leute herabsetzen. Diese Gleichmacherei, die die Existenz verschiedener musikalischer Niveaus verleugnet, führt m.E. jedoch in Wirklichkeit dazu, dass man ganz hervorragende, wunderbare Musik auf ein plattes, niedriges Niveau herabzieht, jedenfalls mit Worten.
    Obwohl ich weiss, dass man Geschmack entwickeln und verfeinern kann ( ein wundervoller, genussreicher Prozess...) antworte ich -wenn ich überhaupt reden will- bei solchen Anwürfen wie oben oft politisch inkorrekt und arrogant mit :


    "Geschmack ist eine Sache, die man entweder hat, oder nicht hat. Und ich habe ihn!
    Er ist leicht zu definieren: Vor allem nur das Beste.(Oscar Wilde)"


    ...womit man sich sicher keine Freunde macht, aber nicht immer wollte ich in der Vergangenheit einfach hinnehmen, dass man z.B. die Ergüsse irgendeines Rappers von einem Sozialprojekt aus Berlin-Marzahn einerseits und Mozart oder Brahms andererseits durch solch ein unsägliches Reden als grundsätzlich sehr gleichwertige Musiken hinstellt, bei denen es eben nur auf den Geschmack des Hörers ankäme, was er denn nun bevorzuge ( meistens ja dann auch noch den Vorstadtrapper, der es zwar nicht so mit dem Lesen und Schreiben hat, aber egal....)


    Doch Schluss mit dem Exkurs und zurück zur Referenzaufnahme:


    Subjektiv und individuell dürfen Referenzaufnahmen m.E. durchaus sein. Sie beleuchten bestimmte Aspekte meistens sehr deutlich, wodurch sie geliebt, verstanden oder auch gehasst werden.


    Die von Alfred genannten Namen haben aus meiner Sicht schon ihre Berechtigung.
    Ich möchte für den Bereich des Liedgesangs auch noch den Namen Dietrich Fischer-Dieskau anführen.
    Da er vielen Werke im Laufe seiner aktiven Karriere mehrfach aufnahm, kann man sich darüber streiten, welche von diesen Aufnahmen (etwa Winterreise...) denn nun DIE Referenzaufnahme sei. Kaum streiten kann man sich m.E. aber darüber, dass das, was er insgesamt vorgelegt hat, oft einen wirklichen Referenzstatus erreicht hat. Immer wieder nimmt man bei Neuerscheinungen darauf Bezug, und das aus guten Gründen.


    Man muss wohl auch zwischen persönlicher und irgendwie "allgemeiner" Referenz noch unterscheiden, wobei es bei den letztgenannten meistens so ist, dass es diese allgemeine Einigkeit nicht so oft gibt, schaut man jedenfalls ins Internet.
    Mir kommt es auch manchmal so vor, dass manche Leute ein Bedürfnis haben, anerkannte Referenzaufnahmen und Künstler im Netz verbal zu kreuzigen, weil sie sich dann wohl anschliessend besser fühlen. Wenn man es schon besser weiss als der berühmte Künstler XY, den alle doch - völlig unverständlich, natürlich- so sehr als Referenz ansehen, dann ist man selbst ja auch schon wer....jemand, der einen viel besseren Durchblick hat...


    Ich denke aber auch, dass ein Meinungsbild im Internet nicht zwangsläufig eine Mehrheitsmeinung darstellen muss, denn nicht jeder fühlt sich berufen, seine Ansichten im Netz kundzutun.


    Eine Liste meiner persönlichen Referenzaufnahmen wäre lang. Manchmal wäre sie wohl auch mehrheitsfähig, manchmal wohl nicht, womit ich jedoch gut leben kann.
    Ich kann beispielhaft gerne auch den schon vorher erwähnten Böhm nennen:



    Zwar habe ich schon viel gesucht und so einige ebenfalls sehr gute Aufnahmen im Regal, aber diese Interpretationen der "Unvollendeten" und der "Grossen" von Schubert sind in meinen Ohren immer noch unerreicht.
    Dies zu begründen würde hier jedoch den Rahmen sprengen.


    Ähnlich ergeht es mir mit dieser Aufnahme:



    Hier beziehe ich mich ausdrücklich auf die wunderbar musizierte Schubert-Symphonie, nicht die "Pastorale" von Beethoven (hier im Forum, wie ich meine zu wissen, eine Einzelmeinung) , die mich u.. wegen ihren geradezu streng-oberlehrerhaft zelebrierten, scheinbar nur auf absolute Deutlichkeit abzielenden Ausformulierungen eher enttäuscht hat. Hier sehe ich die schwedische Aufnahme des noch romantisch-langsameren Furtwänglers sowie die klangtechnisch demgegenüber auch aktzeptable Einspielung Wands mit dem NDR-Orchester als meine Referenzen an. Wand stellt ebenfalls das klassische Ebenmass heraus, aber spielt engagierend, mit Emotion und jugendlicher Frische, die gleichzeitig eine hohe Altersweisheit in sich trägt.


    Karajans klanglich Ansatz passt für mich besonders gut für Debussy, Ravel, Sibelius und vor allem für Wagner und auch Brahms.
    Wenn es um Wagnersche Orchestermusik geht, gefällt mir nichts so gut, wie dieser Klang, diese von unten (Celli, Kontrabässe) kommende Wärme, dazu der strahlende und aus der Tiefe kommende Blechbläserklang. Bei Brahms spricht ja Rattle vom deutschen Mythos, dieser Klang, der an Wälder, Gebirge, Burgen und Schlösser erinnert und immer auch herbstlich gefärbt ist. Hierzu passt für mich - und nicht nur für mich- der klangliche Ansatz Karajans sehr gut.
    Aber auch manche Beethoven-Symphonie von ihm erreicht bei mir den Referenzstatus, z.B. Nr. 3, 5 und die 9, bei denen er in seiner eigenen Art einen grossen Bogen, einen Zusammenhang der einzelnen Sätze bis zum triumphalen Schluss hin erreicht.

    Böhms Mozart ist "Referenz" - egal ob man ihn mag oder nicht. Den Gegenpol hiezu dürfte wahscheinlich Harnoncourt darstellen.

    Hier möchte ich teilweise einschränken. Wenn es um Pol und Gegenpol geht, dann sind es wohl die Pole "appolinische (Nur-)Schönheit" versus "dramatische Hölle- und Himmel-Kontraste" einerseits und andererseits die Pole "Sostenuto/Legato-Ästhetik" versus "sprechender Gestus (Klangrede)".


    Für den ersten Fall würde ich die Interpreten Krips vs. Harnoncourt und für den zweiten die Interpreten Karajan vs. Harnoncourt nennen.
    Böhm könnte man bei aller Eigenständigkeit meinem Verständnis nach grob der Krips-Richtung zuordnen. Ein "Flächenleger" im Sinne Karajans war er jedoch nicht.
    Nicht einverstanden wäre ich hingegen damit, den oben zitierten Satz so auszulegen, als ob man mit Recht Harnoncourts Mozart als "Anti-Referenz" ansehen könne, gleichsam als abschreckendes Beispiel für die Art, wie man es nicht machen solle.


    Harnoncourt hat die Aspekte herausgearbeitet, die sowohl vom flächigen ( für mich aber auf jeden Fall auch sinnentstellenden) als auch vom appollinischen Ansatz her eher untergingen. Viele seiner Mozart-Symphonien mit dem Concertgebouw-Orkest ( z.B. Jupiter, Haffner, g-moll bis auf den letzten Satz gelten für mich aus vielen Gründen als echte Referenzen. Hier kommen objektive Analyse und ein hohes Mass an Subjektivität und Feuer zusammen. Neulich war ich erfreut zu hören, dass ein mir bekannter norwegische Dirigent das auch so sieht.
    Ich kann jedoch verstehen und auch mit Genuss nachvollziehen, weshalb man z.B. Böhms Interpretation der g-moll Symphonie so gut findet.
    Wenn es um die Zauberflöte geht, steht seine DGG-Aufnahme mit FiDi als Pagageno ja ohnehin einzigartig dar, eben als Referenz.


    Natürlich könnte ich noch mit vielen Beispielen für Referenzaufnahmen aus dem Bereichen Schütz, Bach und Brahms fortsetzen, aber dann würde der Beitrag zu lang werden ( ist er ja - wie üblich- ohnehin schon wieder), weshalb ich es damit erst einmal bewenden lassen will.


    :hello:


    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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  • Ist eine "Referenzaufnahme" nicht immer subjektiv konnotiert?


    Objektiv gesehen ist der bereits genannte "Ring" von Solti referenzwürdig. Gleichwohl ist er für denjenigen, der Probleme mit Soltis Tempogestaltung hat, wohl nicht mehr die Referenzaufnahme.
    Bei Karajans "Ring" sind die Sänger wohl insgesamt nicht ganz die Klasse von Solti, aber trotzdem wurde und wird die Aufnahme von manchen als Referenz gehandelt.
    Knappertsbuschs Aufnahmen des "Rings" scheiden für viele wegen der Tontechnik als "nicht referenzwürdig" aus, aber künstlerisch könnte man sie durchaus als Referenzaufnahmen ansehen.


    Böhms Mozart war seinerzeit die erste (?) Gesamtaufnahme aller Symphonien. Folglich war ein Referenzstatus doch schon darin begründet, daß es Jahre lang keine (oder fast keine) Alternative dazu gab. Das hat sich eben bis heute gehalten.
    Da Karajan m. W. nicht alle Symphonien und Opern Mozarts aufgenommen hat, scheidet er ja schon deswegen aus, wenn man den Referenzbegriff an den Begriff der Gesamtheit bindet.


    Bei Beethoven dominierte die Karajan-Gesamtaufnahme der Symphonien parallel zu der Böhm'schen von Mozart viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, woraus auch hier der Referenzstatus abgeleitet werden könnte.
    Objektiv gesehen entsprechen Karajans Tempi nicht den Metronomvorgaben Beethovens, folglich scheiden die Aufnahmen für manch einen bereits als Referenz aus.


    Das könnte man unendlich fortsetzen.


    Ich glaube auch, daß der eigene Standpunkt wichtig ist, wenn es um Referenzen geht. ;)

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Weltweit war Karajan vermutlich präsenter -mit Ausnahme von Japan. Ich erinnere mich vage an einen Ausspruch von Karl Böm "Sie können sich gar nicht vorstellen WIE beliebt ich dort bin - so wie hier der Karajan)


    Sehr schön zu beobachten hier, bei Böhms allerletzten Auftritt in Japan im Jahre 1980:


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Mich persönlich beschäftigt der Begriff "Referenzaufnahme" nicht mehr wirklich.
    Früher war das anders. Da waren für mich z.B. nahezu sämtliche Fritz Reiner-Living Stereo-Aufnahmen "Referenzaufnahmen". Von dieser Haltung bin ich ziemlich abgerückt. Mittlerweile unterscheide ich eher nach guten und schlechten Aufnahmen.
    Es gibt allerdings nach wie vor Fritz Reiner-Aufnahmen, die ich für unerreicht halte, und deshalb vergleiche ich sie mit neu von mir erworbenen Aufnahmen. Das ist z.B. La Mer von Debussy, Wagner-Orchesterstücke, Pini di Roma von Respighi und das Konzert für Orchester von Bartok. Dies sind für mich "Referenzaufnahmen", weil sie als Vorbild für andere Aufnahmen dienen. Und diese Vorbildfunktion werden sie für mich auch behalten. Es ist die Synthese von künstlerischer Absicht und klangtechnischem Vermögen, die diesen Aufnahmen einen besonderen Rang einräumt.



    Agon

  • Auch, wenn wir nicht immer einer Meinung sind, lieber Agon, vor allem über Paavo Järvi, frage ich dich doch, was du von diesen Aufnahmen Reiners mit Van Cliburn hältst, die ich, vor allem, was Beethovens KK Nr. 5 betrifft, seit ihrem Erscheinen, aber auch aus der Rückschau, immer noch für die Referenz halte?


    Liebe Grüße


    Willi ?(

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Zitat

    Da beginnen bei mir schon die Probleme. Denn unbeschadet der Notwendigkeit, bei "Referenzaufnahmen" analytische Studien zu betreiben, sind doch für mich andere Komponenten ausschlaggebend. Auch auf die Gefahr hin, als Ignorant zu gelten, muß sich mir die Gänsehaut aufstellen, ich muß in dramatischen Situationen von atemloser Spannung erfasst, muß auch zu Tränen gerührt werden - dann ist es für mich "Referenz", wobei das "Wie" natürlich nicht unwesentlich ist, aber schlußendlich das "Produkt" als solches den Ausschlag ggeben muß.


    Werter Milletre,


    als Ignorant geltend? Auf keinen Fall. Höchstens offen und ehrlich. das ist für mich eines der höchsten "Güter" in einem solchen Forum, mindestens gleichbedeutend wie eine Zustimmung über einen von mir verfassten Beitrag.


    Wir können uns doch herrlich ergänzen!


    Nehmen wir z.B. Beethoven`s zweiten Satz aus der Eroica. Ich akzeptiere, das man hier als Interpret emotional gestalten kann, die "Großen Alten" haben es auch hervorragend vorgemacht.


    Mir hat aber die Einspielung von Daniel Grossmann mit dem Ensemble 28 "die Augen geöffnet". Wenn ich es bedenke, habe ich hier doch eine kleine Referenz.


    Viele Grüße mit großem Respekt Thomas

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  • Lieber Thomas


    Nur oder gerade bei Furtwängler als Messlatte für eine extrem subjetive Sicht zu sprechen überrascht mich, nein es überrascht mich hier eigentlich nicht und dennoch......
    Sowohl bei Herbert von Karajan als auch bei Karl Böhm trifft dieses sicherlich ebenso zu und erst recht bei den größten Langweilern im gesamten CD Katalog, Sinopoli, Abbado, Muti und Levine ( und ich spreche hier nicht nur von Beethoven, sondern auch von Mozart, Strauss, Bruckner, Wagner, Puccini und Verdi um jetzt nur einige herauszugreifen.)
    Jeder Dirigent vermittelt bei seinen Einspielungen seine extrem subjektive Sicht auf die Musik die er vermitteln will ( auch wenn uns die Beipackzettel etwas anderes verkaufen wollen und müßen ), manchmal wird es eben sterbenslangweilig udn manchmal geschieht etas was großes, manchmal eben aber leider auch nur.


    Gruß


    Sven

  • owohl bei Herbert von Karajan als auch bei Karl Böhm trifft dieses sicherlich ebenso zu und erst recht bei den größten Langweilern im gesamten CD Katalog, Sinopoli, Abbado, Muti und Levine ( und ich spreche hier nicht nur von Beethoven, sondern auch von Mozart, Strauss, Bruckner, Wagner, Puccini und Verdi um jetzt nur einige herauszugreifen.)


    Hallo Sven,


    :!: dein Beitrag und insbesondere dein Zitat zeigt, wie extreem subjektiv der Weg ist, eine Referenz zu benennen.


    Du nennst eine Reihe Dirigenten "die größten Langeweiler".
    Da möchte ich Dir aus meinere Sicht bei einigen der genannten Dirigenten sogar zustimmen. Aber beachte mal zum Beispiel wie spannend Levine die Schumann-Sinfonien (besonders bei DG) interpretiert hat, oder den Smetana Zyklus - Mein Vaterland. Dann Muti, den sehe ich bei klassischen Komponisten auch als Langeweiler, aber beachte mal sein fetzigen Dirigate bei Komponisten des 20.Jhd, wie Strawinsky, Ravel, u.a. Dann Abbado, obwohl er Italiener ist, strotzt dieser Mann nicht gerade vor Emotionalität.
    Aber von Abbado gibt es auch referenzwürdige Aufnahmen, wenn Du u.a. Ravels Daphnis und Chloe betrachtest. Das Werk wirst Du woanders kaum besser hören können.
    Ja, das ist für mich eine Referenzaufnahme !


    ;) Von daher ist es nicht richtig, diese Dirigenten pauschal als Langeweiler abzustempeln.



    Genau so ist das mit den Nominierungen für Refenzaufnahmen.
    :yes: Ich sehe es genau so subjektiv wie Alfred, das zunächst Karajan (DG,1962) mit seinerm Beethoven-Zyklus eine Referenz geschaffen hat, an denen sich alle weiteren messen lassen. Wenn wir alleine unsere Beethoven-Beiträge bei Tamino betrachten, dann steht in jedem Beethoven-Therad mindestens ein Beitrag, an dem wir Bezug nehmen auf die bekanntesten und weitverbreitesten Beethoven-Aufnahmen, die Karajan-Aufnahmen --- die Referenzen !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich möchte für den Bereich des Liedgesangs auch noch den Namen Dietrich Fischer-Dieskau anführen.
    Da er vielen Werke im Laufe seiner aktiven Karriere mehrfach aufnahm, kann man sich darüber streiten, welche von diesen Aufnahmen (etwa Winterreise...) denn nun DIE Referenzaufnahme sei. Kaum streiten kann man sich m.E. aber darüber, dass das, was er insgesamt vorgelegt hat, oft einen wirklichen Referenzstatus erreicht hat. Immer wieder nimmt man bei Neuerscheinungen darauf Bezug, und das aus guten Gründen.


    Harnoncourt hat die Aspekte herausgearbeitet, die sowohl vom flächigen ( für mich aber auf jeden Fall auch sinnentstellenden) als auch vom appollinischen Ansatz her eher untergingen. Viele seiner Mozart-Symphonien mit dem Concertgebouw-Orkest ( z.B. Jupiter, Haffner, g-moll bis auf den letzten Satz gelten für mich aus vielen Gründen als echte Referenzen.


    Hallo Glockenton,


    ich habe mir Deinen Beitrag aufmerksam durchgelesen. (Referenz = Bezugswert/-punkt für einen gewissen Messwert, ja?)


    Zur Begriffsdefinition hier in unserem Fall meine Frage:


    Referenzaufnahme = entspr. dem 1.Zitat, also allgemein als Bezugswert/-punkt anerkannt = allgemein werden andere Aufnahmen mit FiDi verglichen und an seinen gemessen/bewertet.


    Referenzaufnahme = entspr. dem 2. Zitat, also was Du für Dich als Referenzaufnahme hörst und anerkennst (und Dich freust, wenn Andere das auch so hören).


    Hilfst Du mir bitte auf die Sprünge?


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo zweiterbass,


    der Thread zeigt m.E. ganz deutlich, dass man wohl zwischen allgemein "irgendwie" anerkannten Referenzen und persönlichen Referenzaufnahmen unterscheiden muss.
    Zwar habe ich in meinem Beitrag versucht, etwas von Wortsinn des Begriffs "Referenz" her zu argumentieren, doch erhebe ich keineswegs den Anspruch, dass jede Aussage von mir irgendeinen definitorischen Charakter habe - da müsste ich ja Stunden, wenn nicht Tage für einen Satz....


    Vielleicht ist es so, dass die allgemein anerkannten Referenzaufnahmen dadurch als solche in der Öffentlichkeit angesehen werden, dass möglichst viele Akteure äussern, dass es sich um ihre persönliche Referenzaufnahme handele. Irgendwann verselbständigt sich das, vor allem dann, wenn in Fachzeitschriften (wie Fonoforum) und im Kulturteil grosser Medien (z.B. FAZ) gleichlautende Meinungen veröffentlicht werden. Es mag dann Leute geben, die sich dem vorbehaltlos anschliessen, entweder für sich selbst wohlbegründet, oder auch nur aus Angst, allein gegen alle stehen zu müssen dumpf mitlaufend, obwohl sie von selbst nie zu dieser Ansicht gekommen wären. Ähnliche Mitläufer-Phänomene mag es ab und an auch in Foren geben.


    Wenn mir also eine Einspielung als persönliche Referenzaufnahme gilt, dann kann diese Ansicht sowohl allgemein Zustimmung, Ablehnung oder auch ein umstrittenes Echo erfahren. Meistens wird es eine Vielfalt von Meinungen geben. Auch im Fall des von mir genannten Fischer-Dieskau gibt es ja genügend Menschen, die seine Art zu musizieren schlichtweg ablehnen, weil es ihnen nicht schön kindlich einfach genug, zu wenig Belcanto-mässig, zu intellektuell überinterpretierend oder sonst was ist . In nahezu allen Fällen (Ausnahme Brahms Deutsche Volkslieder) kann ich mit einer solchen Kritik gar nichts anfangen, doch das nur am Rande.


    :hello:


    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Hallo Glockenton,


    danke für Deinen klärenden Beitrag (so ist meine Meinung übrigens auch).


    Dass ich für mich großen Wert der Einzelmeinung (aber auch so geäußert!) des Individuums beimesse, habe ich schon oft in verschiedenen Threads geäußert.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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  • Ich wurde bereits an anderer Stelle in diesem Forum dafür gerügt, in belehrender Weise auf den Ursprung eines Wortes zurück zu gehen, möchte aber auch hier nicht davon lassen. - Wer das nicht mag, kann das Folgende ja überlesen.


    Der Fremdwörterduden von 1990 (also nicht mehr ganz neu) kennt das Wort "Referenz" nicht in der Bedeutung, wie wir es hier verwenden. Er nennt nur: 1. von einer Vertrauensperson gegeben Auskunft, die man als Empfehlung vorweisen kann [ich ergänze als Beispiel: "Seine Arbeitszeugnisse sind beste Referenzen"]. 2. Vertrauensperson, die über jmdn. eine positive Auskunft geben kann [ich ergänze: "Als Referenz darf ich meine Zeugnisse der Firma xy benennen"]. 3. Beziehung zwischen sprachlichen Zeichen und ihren Referenten in der außersprachlichen Wirklichkeit.


    Wikipedia kennt auch (unter anderen) die folgenden Bedeutungen:


    - allgemein ein Bezugssystem (etwa in Geowissenschaften oder Astronomie)
    - Bezugswert für einen gewissen Messwert (z. B. der Polarstern mit einer definierten Helligkeit von 2.0 mag)
    - eine gesetzliche Eichquelle, ein sogenanntes Normal (etwa das "Urmeter" in Paris, bevor es durch exaktere physikalische Verfahren ersetzt wurde)


    Ich meine, diese Bedeutungen bringen uns näher an das, was wir hier meinen (oder auch nicht?).


    Gemeinsam ist, dass eine "Referenz" eine Größe darstellt, auf die Bezug genommen wird, wenn man bestimmte Objekte messen oder vergleichen will. Abgeleitet ist das Wort von referre, welches laut Stowasser eine ganze Palette von Bedeutungen hat:


    1. Zurücktragen/heimbringen; (dies wohl die ursprüngliche, abgeleitet von ferre = tragen, bringen)
    2. Zurückwenden, sich zurückziehen
    3. (Schuldiges) zurückgeben, abstatten, bezahlen, vergelten, erwidern, Antwort geben


    ..
    ..


    aber auch


    6. auf etwas zurückführen, beziehen.


    In dieser letztgenannten Bedeutung verwenden wir es wohl.


    Eine Referenzaufnahme ist also keineswegs die "Beste". Wobei da ohnehin zu fragen wäre, ob bei einem komplexen, umfangreichen Werk wie bspw. der Eroica eine einzige Aufnahme in allen möglichen Aspekten die beste überhaupt sein kann - vermutlich nicht.


    Eine Referenzaufnahme ist aber vielleicht eine, die man per Konvention als Bewertungsmaßstab nimmt - das heißt, dass es mehrere Referenzen geben kann. Bei der Eroica etwa Klemperer und Järvi. Beim Tristan vielleicht Furtwängler und Böhm und Kleiber (bitte nicht schlagen ... ). Usw.


    Ein Teil des Begriffes "Referenz" ist also Konvention - womit vergleiche ich eine Aufnahme und unter welchen Gesichtspunkten - Temporelation, ausbalancierter Orchesterklang, Intonation, Einhaltung der Metronomangaben, ... .


    Referenzaufnahmen sind also vielleicht eher Eckwerte, die in einigen Aspekten Maßstäbliches bieten, das andere Aufnahmen im selben Maße erfüllen können (eher selten) oder nicht (was wohl für die meisten gelten wird - genau das macht eine Aufnahme zur Referenz).


    Das müssen keine physikalisch messbaren Aspekte sein - wenn Milletre sagt, dass er von einer Aufnahme eine gewissen emotionalen Effekt erwartet, dann ist das sein Referenzsystem für das jeweilige Werk. - Bei Mahler stimme ich ihm zu - und höre darum gerne Bernstein und vergleiche stets mit dessen Aufnahmen. Bei Bachs WK habe ich andere Referenzen und vergleiche weniger in emotionaler Hinsicht.

  • der Thread zeigt m.E. ganz deutlich, dass man wohl zwischen allgemein "irgendwie" anerkannten Referenzen und persönlichen Referenzaufnahmen unterscheiden muss.


    Glockenton



    jau - in der Musik gibt es nix Absolutes - es gibt nur Gruppen- oder Einzelentscheidungen.


    Irgendwie allgemein anerkannte Referenzen sind mir recht gleichgültig.


    - Da ich mich nicht so intensiv mit Beethoven beschäftige, ist die Diskussion, ob nun Böhm oder Karajan die "referenzierendere" Aufnahme Beethoven´scher Symphonien vorgelegt hat, für mich von geringer Relevanz.


    - Auch wäre es mir schnuppe, wenn alle Welt meinte, Angela Hewitt sei der Maßstab der Bach-Klavier-Interpretation.


    Sie ist nicht schlecht, aber Rosalyn Tureck ist besser, wenn auch die Aufnahmen zu alt sind, dito Richter. Koroliov klingt erheblich besser als Tureck, Dubravka Tomsic hat einen coolen Anschlag, Martha Argerich hat zu wenig Bach eingespielt, wenn auch das Wenige ganz ausgezeichnet ist, das gleiche gilt für Gavrilov; Stadtfeld hat einen guten Aufnahme-Klang aber seine Tempi sind sehr fragwürdig; Weissenberg wäre es fast gewesen, aber er hätte dann doch mehr als nur ein paar CDs einspielen müssen; Wolf Harden und Wolfgang Rübsam sind aufrichtig bemüht; Gilbert, van Delft, Wuyts, Belder, Dirksen und Jacottett spielen ein nettes Cembalo, dessen Zirpen man aber nur maximal eine halbe Stunde lang ertragen kann, und am Ende ist es doch Glenn Gould, der fast überall die Maßstäbe setzt.


    Aber er rauscht.


    Die Welt wartet auf die nächste Referenz.

  • ...und am Ende ist es doch Glenn Gould, der fast überall die Maßstäbe setzt.

    Hallo m-mueller,


    ich frage mich fast, ob Du aus der Bielefelder Ecke (wegen "jau") kommst....habe da viele Jahre gewohnt.


    Bei einigen Aufnahmen setzt Gould immer noch die Massstäbe.
    Aber auch Hewitt hat so ihre Momente, bei denen ich sie richtig gut finde, z.B. B-Dur Präludium WTK II.
    Es gibt leider auch immer wieder Aufnahmen, wo ich mich an ihrer Aufgabe eines klaren Metrums zugunsten eines schon romantischen Rubatos störe.
    Lernen kann man von beiden etwas, ohne sie kopieren zu wollen oder gar zu müssen (klappt ohnehin nicht).


    :hello:


    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zitat

    Glockenton: Hallo m-mueller, ich frage mich fast, ob du aus der Bielefelder Ecke (wegen "Jau" )kommst....


    Hallo lieber Glockenton, ich komme aus dem schönen Münsterland, wo ja, wie man heute der Presse entnehmen kann, ein besonders energieträchtiger Wind weht. Bei uns sagt man auch "jau" wie im ganzen plattdeutsch sprechenden Westfalen.


    Stimmt's, m-mueller?


    Liebe Grüße


    Willi :D?(

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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