Krieg in der Musik

  • Kriege begleiten die Menschheit bis zum heutigen Tag.
    Natürlich haben sich Komponisten aus verschiedenen Gründen mit dem Thema Krieg beschäftigt.
    Sei es aus Begeisterung für den Krieg oder aus Trauer und Verzweiflung über die Kriegsfolgen und Warnung vor dem Krieg.



    Nicht immer erkennt man am Titel des Werkes,wie bei Brittens War Requiem,einen Bezug auf den Krieg.



    Manchmal versteckt sich der Krieg nur in einer Arie wie in Figaros Hochzeit,wenn Figaro dem 13 jährigen (!) Cherubino zum Offizierspatent gratuliert.


    "Statt den Reigen anzuführen,
    heißt s in Reih und Glied marschieren
    durch verschneite,wüste Wälder,
    über sonnenglühnde Felder,
    bei dem Donner der Geschütze
    und im hellen Pulverblitze
    sausen Bomben und Granaten
    rechts und links die um das Ohr.
    Cherubino,auf zum Siege,auf zu hohem Waffenruhm!"

    mfG
    Michael

  • Ein interessantes Thema! "Der Krieg ist aller Dinge Vater" (Heraklit).


    Diese CD vereint einige der bekanntesten Kriegsschilderungen:


    Beethoven: Wellingtons Sieg (bei Vitoria [nur ein "t"!] - die Englänger besiegten Napoleon in einer Schlacht am 21. Juni 1813)


    Tschaikowsky: Ouvertüre 1812 (Sieg der russischen Truppen in den Napoleonischen Kriegen 1812)


    Liszt: Hunnenschlacht (zwischen den Römern und den Hunnen unter Attila im Jahre 451 n. Chr., nach dem Gemälde von Kaulbach)[/B]



    Zu erwähnen wäre noch - entgegen der vermutlichen Absicht dieses Threads - die Operette "Der lustige Krieg" von Johann Strauß II:


  • Franz Christoph NEUBAUER
    Sinfonie "La Bataille"


    Auch der heute kaum mehr bekannte Mozart Zeitgenosse Franz Christoph Neubauer (* um 1760 +1795) hat seinen Beitrag zu diesem Genre abgeliefert. Er folgt hier der Tradition Haydns und anderer Zeitgenossen

    Soweit ich erueiren konnte ist diese bei Concerto Beyreuth verlegte Aufnahme bei Amazon noch erhältlich (?), wogegen sie jpc derzeit nicht im Katalog hat. Neubauer ist heut so gut wie unbekannt, zu Lebzeiten war er es jedoch nicht.


    "Ein genialisches Feuer durchdrang das Orchester, wenn Neubauer dirigierte, und seine Symphonien brachten, wenn sein Geist sie beseelte, eine unbeschreibliche Wirkung auf seine Zuhörer hervor...


    Ich besitze diese CD seit einigen Jahren und kann sie allen empfehlen, die sich am Thema nicht stoßen, sondern akzeptieren, daß Schlachten stets Komponisten aller Zeitalter fasziniert und zu klangvollen Werken inspiriert haben - wenngleich die traurige Wirklichkeit natürlich ganz anders aussah...


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Biber: Battalia


    Besonders bemerkenswert ist hier weniger die Schlacht selbst als das "liederliche Schwärmen" der Musketiere vorher, wo ziemlich schief "durcheinander gesungen wird". Dass es nicht ohne Blessuren abgeht, zeigt nach der Schlacht das Lamento der Verwundeten.


    Ich kenne nur die folgende Aufnahme, die inzwischen leichter in dieser Box zu haben ist; es gibt aber natürlich eine ganze Reihe weitere:



    Schlachtdarstellungen waren bereits bei den englischen Virginalisten populär; folgende CD kenne ich zwar nicht, aber Byrds "Battle" von der Komplettbox (Moroney/Hyperion) her:



    Meist auf einer anderen Ebene werden Kämpfe dann im berühmten 8. Madrigalbuch Monteverdis, den Madrigali guerrieri ed amorosi ausgefochten. Beim Combattimento di Tancredi e Clorinda findet ein kriegerischer (und amouröse) Konflikt (inklusive Tonmalerei) statt, aber ganz allgemein kann als ein Motto der Sammlung gelten: "Ogni amante e guerrier'.


    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • ich zitiere mich mal selbst:

    Zitat

    Eine Reihe bekannter Opern haben Krieg, Kriegsschauplätze, Bürgerkrieg, Folgen des Kriegs zum Thema: z.B. Othello, Parsifal, Lohengrin, Freischütz, Idomeneo, Iphigenie auf Tauris , Iphigénie en Aulide, Simone Boccanegra, Die Soldaten, Macht des Schicksals, Al gran sole, Die Walküre, Aida, Tosca ...

    Ferner beziehn sich einige Sinfonien von Beethoven (Nr. 3, 5, 7 und 9 (Tenorsolo im 4. Satz) auf Krieg bzw. Schlachten... oder das Streichquartett von Crumb auf den Vietnamkrieg, einige Kompositionen des Ferneyhough-Schülers und Israelis Dror Feiler auf die kriegerischen Konflikte im Nahem Osten..

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  • Amfortas' Aufzählung kann man getrost auch Händel-Opern hinzufügen, denn fast alle haben einen kriegerischen "Plot".
    Zwar kommt es nicht in jeder Oper des barocken Meisters zu wirklichem Kampf, aber der handlungsmäßige Ablauf ist stets mit Kampfeslust und -willen gekennzeichnet.


    Selbst einige der Oratorien kommen ohne den "Krieg" nicht aus...


    Herzliche Grüße

    .


    MUSIKWANDERER

  • Krieg im engeren und weiteren Sinne findet sich nun wirklich in zahlreichen Werken, die mir jetzt gar nicht alle präsent sind. Mein Gott, in wie vielen Opern gibt es Kriege...nicht nur in "Krieg und Frieden" von Sergei Prokofiev.


    Spontan fallen mir folgende kriegsbezogene Werke ein:


    - Gustav Holst: The Planets (I. Mars - The Bringer of War)
    - Ottorino Respighi: Belkis, Regina di Saba (II. War Dance)
    - Ralph Vaughan-Williams: Sinfonie Nr. 4 f-moll
    - Dmitri Shostakovich: Sinfonie Nr. 7 C-Dur op. 60 "Leningrad"


    Edward Elgar war ein patriotisch-kriegsbesessener Komponist, dessen imperialistische Gesinnung im Grunde seine sämtlichen Werke durchzieht.



    Agon

  • Zitat

    Edward Elgar war ein patriotisch-kriegsbesessener Komponist, dessen imperialistische Gesinnung im Grunde seine sämtlichen Werke durchzieht.

    die aber auch in den Werken in Frage gestellt wird, in dem - grob gesagt - diese Ideale zu Grabe getragen werden...
    :hello:

  • Natürlich gibt es auch Streichquartette, die nach 1945 entstanden sind und sich mit Krieg auseinander setzen.


    Am prominentesten ist wohl


    Dmitri Schostakowitsch, Streichquartett Nr. 8 c-moll op. 110 (1960), gewidmet den Opfern des Faschismus und des Krieges


    Aber auch


    George Crumb, Black Angels, Thirteen images from the dark land (1970) für elektrisch verstärktes Streichquartett, welches unter dem Eindruck des Vietnam-Krieges geschrieben wurde,


    ist zu nennen. Beide sind auf folgender CD des Kronos Quartetts zu hören:


  • Wenn es um Beschreibung des Schreckens des Krieges und deren Überwindung geht, ist die Komposition von Karl Jenkins "The Armed Man - A Mass for Peace" ein zeitgenössischer Beitrag. Man kann eine ablehnende Haltung zu diesem englischen Komponisten einnehmen, der nahe am Rand zum Gefälligen Musik schreibt; unter anderem wurde Jenkins durch das Gesangsensemble Adiemus bekannt. Mit dieser Messe ist ihm etwas Bedeutendes gelungen. Jenkins schrieb das Werk als Reaktion auf den Bosnien Krieg der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts, dem letzten Krieg auf europäischem Boden. (Hoffen wir, das es der letzte bleiben wird.) Deshalb steht als zweiter Satz der Gebetsruf eines Muezins. Ausgangspunkt ist ein mittelalterliches Lied, das der Komposition den Namen gegeben hat. Zum Messtext wurden noch Teile hinzugefügt, die Gedichte vertonen, welche den Krieg zum Inhalt haben.

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




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  • Die Melodie eines Renaissance-Liedes (es wird angenommen, daß es im 15. Jahrhundert entstand) hat es, sehr populär geworden, sogar bis zur Verwendung in der Kirche gebracht, weil eben diese Melodie von mehreren Meistern der Zeit in Messekompositionen verwandt wurde: "L'homme armé".


    „Den Mann in Waffen muß man fürchten.
    Überall hat man ausrufen lassen,
    Daß jeder sich bewaffnen solle
    Mit einem eisernen Kettenpanzer.
    [Denn] den Mann in Waffen muß man fürchten.“
    (Deutsche Übersetzung)


    Der Text nimmt Bezug auf die Zeit des Hundertjährigen Krieges; er ruft zur allgemeinen Bewaffnung auf.


    Aber selbst in unserer Zeit wurde das musikalische Thema noch von Komponisten verwendet: Johann Nepomuk David schrieb 1930 eine Orgelfantasie; Peter Maxwell Davis 1968 nahm es für sein gleichnamiges Werk auf; im Konzert für Orgel und Orchester op. 50 von Helmut Eder findet es sich ebenso wie in Karl Jenkins' „The Armed Man: A Mass for Peace".

    .


    MUSIKWANDERER

  • Was etwas verwunderlich ist, dass das Gemeinsame der barocken "Schlachtgemälde" das Herumreiten auf einem Dur-Akkord ist. Ausgerechnet der harmonischste Zusammenklang stellt also den Krieg dar. Auch auf der Orgel.

    Kerll: Bataglia

  • Krieg in der Musik? Das 20. Jhdt. hat diesbezüglich doch genügend produziert und zwar sowohl, als auch:


    Schostakowitschs Leningrader (schon genannt), seine Stalingrader und seine Berliner (Sinfonien Nr. 8 und 9) und Babi Yar nicht zu vergessen (Sinfonie Nr. 13), dann Chatschaturians 2. plus seine Stalingrad-Musik, Prokofijews 5., seine Alexander Newski-Musik, Mijaskowski hat ebenfalls eine Kriegssinfonie komponiert.
    Eislers Deutsche Sinfonie, Dessaus Lukullus, Weills Winterschlachtmusik, Schönbergs Überlebender aus Warschau, Hartmanns Versuch eines Requiems (1. Sinfonie), Strawinskis Sinfonie in 3 Sätzen und von Martinu nimmt auch eine seiner letzten Sinfonien Bezug auf den Krieg.


    Interessant ist nur, dass sich ein Teil der Hauptverursacher ein bißchen arg in Schweigen hüllt.


    Beste Grüße
    John Doe
    :pfeif:

  • Zum Krieg gehören der Schmerz, seine Überwindung und der Frieden. Im grossangelegten Werk "A World Requiem" hat der englische Komponist John Herbert Foulds diese Thematik aufgegriffen. 1921 komponiert erinnerte er seine Zeitgenossen an das Ende des Ersten Weltkrieges. Mit grossem Chor, Solisten und Orchester setzte Foulds ein musikalisches Monument. Die Multi-channel Aufnahme fängt die Klangmassen recht gut ein.


    BBC Symphony Orchestra, Trinity Boys Choir, Crouch End Festival Chorus, Philharmonia Chorus, BBC Symphony Chorus, Solisten: J.-M. Charbonnet Sopran, C. Wyn-Rogers Alt, S. Skelton Tenor, G. Finley Bariton


    Leon Botstein, Dirigent

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Vorsicht beim Auflegen dieser Aufnahme, es kracht wie im Original und die Boxen müssen es aushalten.




    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


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  • Ferner beziehn sich einige Sinfonien von Beethoven (Nr. 3, 5, 7 und 9 (Tenorsolo im 4. Satz) auf Krieg bzw. Schlachten


    Das kann man so einfach nicht sagen. Außer dem Trauermarsch (wo man wohl davon ausgehen kann, dass der Held nicht im Bett gestorben ist) in der Eroica gibt es in keinem der Werke direkten Bezug auf Krieg oder Schlachten (wenn man nicht jedes Marschmotiv oder jede dramatische Entwicklung so deuten will, was ein bißchen inflationär wäre). Selbst bei der Eroica könnte es sein, dass die Deutung nach dem Prometheus-Mythos passender ist als eine "kriegerische".


    Die Musik beim Tenorsoloder 9. ist zwar militärisch-"türkisch", aber der Text ist biblisch inspiriert; die Gestirne laufen ihre Bahn wie ein (sportlicher) Held. Vgl. auch Gellerts vom jungen Beethoven vertontes "Ehre Gottes aus der Natur" (2. Strophe)


    "Wer trägt der Himmel unzählbare Sterne?
    Wer führt die Sonn aus ihrem Zelt?
    Sie kömmt und leuchtet und lacht uns von ferne,
    Und läuft den Weg, gleich als ein Held."


    Gellert (und Schiller) beziehen sich auf Psalm 19, besonders Verse 5+6:
    "Er hat der Sonne eine Hütte an ihnen gemacht; und dieselbe geht heraus wie ein Bräutigam aus seiner Kammer und freut sich wie ein Held zu laufen den Weg"


    Explizit ist dagegen die "Bitte um inneren und äußeren Frieden" im Agnus Dei/Dona nobis pacem der Missa solemnis, die einen Vorläufer in Haydns Missa in tempore belli/Paukenmesse hat.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Die Frage in der Überschrift kam mir, als ich - wie üblich - versucht habe herauszufinden, welches Bild man auf dem Cover der CD nebenan sieht. Es ist C. R. W. Nevinsons Returning to the Trenches von 1914-15. Was macht ein Bild eines offiziell bestellten Kriegsmalers auf einem Cover einer Mahler-CD mit Musik, die 1903/04 entstand? (Nevinson malte später realistische Bilder, die das Grauen des Krieges sehr drastisch darstellten).
    Mögliche Antwort: Es herrscht wohl die Meinung vor, dass Mahler die Katastrophe des Ersten Weltkriegs vorausgeahnt hat. Man könne dies in der Sechsten, der "Tragischen Sinfonie" spüren. Alma Mahler nannte sie auch prophetisch.
    Und dann hat mich die Frage beschäftigt, warum mindestens fünf Komponisten sich von Arnold Böcklins Toteninsel zu Tondichtungen inspirieren ließen (seine Lebensinsel wurde nie vertont). Hatten sie alle eine Vorahnung der nahenden Katastrophe?

  • Ich besitze eine DVD Box von Simon Rattle, wo er intensiv und interessant über die Musik des 20. Jahrhunderts referiert. Auch hier kommen immer wieder Bemerkungen wie die von Seicento vor. Also dass die großen politischen und gesellschaftlichen Ereignisse (und damit natürlich die Kriege) sich in der Musik wiederfinden oder diese antizipieren.
    Ich bin da unsicher. Vor allem weil ich glaube, dass die persönliche Befindlichkeit des Komponisten, sein persönlicher Charakter einen ungleich größeren Einfluss ausüben. Natürlich wird immer wieder Mahler als herausragendes Beispiel erwähnt. Gerade ihn stelle ich mir als einen Menschen vor, den die politischen EReignisse relativ wenig tangierten. Andererseits kennen wir es wohl alle, dass wir, wenn es uns schlecht geht, dies auf den Zustand der Welt beziehen. Das erhöht aber nicht den Wahrheitsgehalt.


    Selbstverständlich schreibe ich jetzt nicht über die dezidierte Programmmusik über den Krieg/ die Kriege. Bei dieser Art von Musik ist für mich folgendes persönlich erstaunlich: Ich habe meist Probleme, Programmmusik zu verstehen, "also sprach Zarathustra" hat für mich beim Hören absolut nichts mit dem Buch zu tun. Bei der Alpensymphonie weiß ich nie, wo die Wanderer gerade sind ohne auf die Zahl auf dem Pläyer zu schauen (doch, wenn die Kuhglocken läuten). Anders bei der Kriegsmusik. Klar Wellingtons Sieg und 1812 sind ja dermaßen lautmalerisch, da gibt es kein Vertun (wobei ich nie verstanden habe, dass Beethoven damit so einen großen Erfolg hatte - mir gefällt es einfach nicht). Bei der Leningrader war es stärksten, dass ich während des Hörens mich andauernd fragte, wie der Kriegsverlauf war, weil ich tatsächlich meinte, Informationen über diesen aus der Musik zu bekommen! Ein sehr beeindruckendes Erlebnis.


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Den größten Eindruck bezüglich der Schilderung von Krieg in der Musik hat bei mir Schostakowitsch und seine 7. Sinfonie, die ""Leningrader"" hinterlassen.


    Der erste Satz, der ja noch in Friedenszeiten beginnt, läßt mit dem Auftreten des Trommelrhythmus bereits den kommenden Schrecken erwarten. Man muß wissen (und ich bin sicher, jedem Tamino ist das bekannt), daß Leningrad 900 Tage belagert wurde. Kein Nachschub an Lebensmitteln, kein Trinkwasser, kaum medizinische Betreuung, dazu Tag und Nacht Geschützlärm, Bombenterror - das kann keine schöne Musik sein. Zu Tausenden sind die Menschen erfroren. Als die letzten Hunde und Katzen verspeist waren, hatten selbst Ratten keine Überlebenschance. Es wird sogar von Kannibalismus gesprochen. Menschen starben auf offener Straße vor Schwäche, vor Hunger. Der Schrecken eines Krieges muß in diesen Tagen besonders fürchterlich gewesen sein.


    Schostakowitsch steigert den Marschrhythmus und die eintönige, fast fugenhafte Musik bis zur unerträglichen Lautstärke. Musik, die die Schmerzen, das Leiden der Leningrader ausdrückt. Musik, die keine Fröhlichkeit kennt, die akustisch weh tut und optische Eindrücke vor dem geistigen Auge erstehen läßt, die Unbehagen produzieren.


    Aber es ist und bleibt eine meisterhafte Musik, und sie endet im letzte Satz nach sozialistischer Art in einem optimistischen, bombastischen C-Dur Finale, strahlend, zukunftsweisend, beeidruckend.


    Mein letztes Erlebnis war mit dem Gewandhausorchester unter Bychkow, der sich dabei völlig verausgabte und dem man die Erschöpfung und Erschütterung deutlich anmerkte.


    Ich kenne keine beeidruckendere Kriegsmusik (schon wegen des Riesenorchesters mit 16 Bässen!!!), selbst die von mit heißgeliebten Pinien von Rom (letzter Satz "Via appia") kommt nicht ganz ran. Man kann die Leningrader Sinfonie auch nur mit zeitlichem Abstand erneut hören, zu aufwühlend ist die Musik.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Volle Zustimmung zum Beitrag Nr. 19 über die Leningrader! Besser kann man das kaum formulieren.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Zitat von seicento

    Haben einige Komponisten den ersten Weltkrieg vorausgeahnt ?


    Lieber seicento,
    da rührst du an eine Frage, die ich mir insbesondere hinsichtlich Mahlers 6. auch schon des Öfteren gestellt habe. Das Werk ist kriegerisch im modernen Sinne: ein gewaltiges Marschieren, ein entfesseltes Pandämonium, frei von romantischem Schlachtendenken und Heroismus, sondern brutal und unbarmherzig auf desillusionierende Weise. Eben wie das industrielle und anonyme Töten sowie Sterben des Ersten Weltkrieges.


    Ein anderes Werk, dass ich in ähnlicher Weise als prophetisch aufgefasst habe, ist die 4. Sinfonie von Sibelius, entstanden zwischen 1910/11. Möglicherweise ist dies auch nur eine persönliche Empfindung, da ich die Sinfonie gerade zu einer Zeit kennenlernte, während der ich mich beruflich wieder mal dem Thema 1. Weltkrieg zuwandte. Dabei ist das Sück in vieler Hinsicht geradezu konträr zur sechsten Mahlers. Während bei letzterem gekämpft wird, höre ich bei Sibelius eher Resignation und Ohnmacht.


    Interpretationen wie den obigen ist natürlich immanent, dass sie aus der Sicht der Nachgeborenen entstehen und somit in Deutungskonstrukte eingebaut werden, die auf unseren Kenntnissen um die Vergangenheit fußen. Andererseits glaube ich, dass feinsinnige Geister, wie es Künstler häufig sind, die heraufämmernde Katastrophe ahnten. Ja, sie lag ja förmlich in der Luft.


    Haben einige Künstler den ersten Weltkrieg vorausgeahnt?
    Ich glaube, dass viele ein Unglück ahnten. Erst in dieser Woche stieß ich bei der Lektüre des ersten Bandes der Sammlung Deutsche Erzähler auf eine Bemerkung, die mir in diesem Zusammenhang besonders eindringlich erschien. In seiner 1912 verfassten Einleitung schreibt Hugo von Hofmannsthal:


    "[...]die Zeiten sind ernst und beklommen für die Deutschen, vielleicht stehen dunkle Jahre vor der Tür."


    Er sollte Recht behalten.

    "Geduld und Gelassenheit des Gemüts tragen mehr zur Heilung unserer Krankheiten bei, als alle Kunst der Medizin." (W.A. Mozart)

  • Vielen Dank, lieber Lynkeus, für die ausführliche Antwort.
    Der Thread hier heißt zwar "Krieg in der Musik". Aber man kann hier vielleicht auch erwähnen, dass es Musik gibt - viel Musik - die wegen des Krieges nie geschrieben wurde. Rudi Stephan wurde 1915 in Galizien von einer Kugel eines russischen Scharfschützen getroffen und George Butterworth fiel 1916 an der Somme. Dazu kommt: Butterworth, der sehr selbstkritisch war, verbrannte viele seiner Werke, bevor er eingezogen wurde, während die nicht gedruckten Werke Rudi Stephans bei einem Bombenangriff 1945 verbrannten. Man kann die Musik dieser beiden wahrscheinlich nicht hören, ohne an den Krieg zu denken. Rudi Stephan wurde 28 Jahre alt, Butterworth 31 - beides glänzende Hoffnungen der Musik in ihren Ländern. Bestimmt gibt es noch mehr Beispiele.



    Sehr persönlich: Leider war es so, dass mich Rudi Stephans Schicksal schon als Kind sehr betroffen gemacht hat. Es ist schön, dass man jetzt zunehmend Schnipsel seiner Musik probehören kann. Kaufen würde ich die allerdings nicht. Es ist einfach so schwer 'beladen' mit seinem tragischen Schicksal.
    'Der Krieg' spielt in meinem Leben indirekt eine große Rolle. Ich habe mich hier bei Tamino auch schon dazu verstiegen, meine Vorliebe für Musik aus der Zeit nach dem Dreizigjährigen Krieg (Pachelbel...) damit zu erklären, dass wir als Menschen, die in der Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts leben, eine ähnliche Katastrophe "in den Knochen haben" wie die Menschen in Deutschland 300 Jahre davor.

  • Diese Scheibe wurde noch nicht genannt:


    Percy Grainger (1882–1961)
    Orchesterwerke
    The Warriors


    Melbourne SO, Simon


    »Es lohnt sich, … 'The Warriors', zu denen Beecham die Anregung gegeben hatte, kennenzulernen. Die CD gibt intensive und engagierte Darstellungen …«

    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)

  • Merikantos 2. Sinfonie (Kriegssinfonie) geht auf den Bürgerkrieg von 1918 in Finnland zurück. Weisse und rote Truppen bekämpften sich, die deutsche Armee griff zugunsten der weissen (bürgerlichen) Truppen ein und nahm Helsinki ein. Mit dem Fall der Stadt Tampere, eine Hochburg der roten Garden, entschieden die bürgerlichen Truppen den Kampf für sich.

    mfG
    Michael

  • Der Krieg wurde immer schon in der Musik verarbeitet. Im Gegensatz zu heute wurde er jedoch eher positiv gezeigt. Haydn, Mozart, Beethoven - sie alle haben den Krieg in irgendeiner Art und Weise dargestellt. Er wurde als selbstverständliches Phänomen hingenommen und nicht als Geisel der Menschheit. Bei Mozarts Cosi fan Tutte sind die beiden Liebhaber der Damen Soldaten - jederzeit konnte man sie aufs Schlachtfeld rufen. Deshalb sind Dorabella und Fiordiligi auch sofort auf den makrabren Scherz hereingefallen. Krieg- auch in der Regimentstochter. Und natürlich auch der Graf Almaviva, als betrunkener Soldat verkleidet.

    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • wurden hier schon die Klaviersonaten Nr 6, 7 & 8 von Serge Prokofiev genannt, auch bekannt als die 'Kriegssonaten', weil während des Zweiten Weltkrieges komponiert ?


    Es wird immer weitergehn, Musik als Träger von Ideen.

    Kraftwerk


  • Seltsamerweise wurde das Beethovenstück hier noch gar nicht erwähnt. Ich muss aber auch sagen, dass ich als echter Beethovenfan auch nicht wirklich was daran finden kann. Das läuft bei mir nur unter "Kuriosum".
    Den Tchaikovsky allerdings mag ich sehr gern hören.

    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Seltsamerweise wurde das Beethovenstück hier noch gar nicht erwähnt.

    => Beitrag 15 ;) Übrigens weniger naheliegend der Bezug zwischen "Krieg" und Beethovens 5ten Klavierkonzert: "Das Konzert entstand 1809, [...]. Beethoven komponierte das Konzert im Zustand fortgeschrittener Taubheit, während Napoleons Truppen Wien mit Artilleriefeuer belegten." (lt. Wikipedia; Hervorhebung von mir).


    Für mich allerdings immer noch das eindrücklichste "Kriegs" - oder besser Anti-Kriegs-Werk bleibt Brittens War Requiem! - Allein der Moment, wenn der Tenor zum ersten Mal mit "What passing bells for these who die as cattle?" ("Was für Totenglocken läuten denen, die wie Vieh sterben?") läßt mich jedesmal gegenüber unserer eigenen Gattung sehr ratlos zurück ...

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Beethoven ist hier schon mehrmals genannt worden. Natürlich muss hier die Schlacht- und Siegessymphonie an erster Stelle genannt werden. Aber das Thema "Krieg" kommt auch in seiner großen Messe, der "Missa solemnis" vor:


    Gardiners Interpretation mit Originalinstrumenten und mit einem verhältnismäßig kleinem Chor, der aber wie ein ganz großer klingt, gefällt mir nach wie vor.
    Und dann das "Dona nobis pacem". Beethoven ergänzte diese Überschrift mit den Worten: "Bitte um innern und äußern Frieden". Es wird hochdramatisch. Wie noch niemals in einem Agnus Dei sind solche "kriegerischen Instrumente" wie die Trompete oder die Pauke zu vernehmen gewesen. Neben den ersehnten Frieden, dessen Vision im Benedictus offenkundig wird, stellt Beethoven nun den Gegensatz, den Krieg. Im Beiheft zu der genannten Aufnahme wird erwähnt, dass "die Kriegsepisode möglicherweise die äußere Kriegsgefahr, wie sie der Komponist selbst in der Nacht des 11. Mai 1809 beim französischen Artilleriebeschuss Wiens erlebt hatte, darstellt". Ängstlich klingt das Altsolo. Ist die Kriegsgefahr erstmal abgewendet, wird die Vision vom Frieden wieder unterbrochen bis zu den leidenschaftlichen Rufen "Agnus Dei! Dona pacem!" Das ist keine Kirchenmusik mehr.

    Mit den besten Grüßen


    :hello:


    Manfred

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Anscheinend bin ich so ziemlich der Einzige im Forum der gerne historische Schlachtengemälde mag. Immer werden nur grausliche Kriegsszenarien des 20. Jahrhunderts erwähnt - etwas das ich eigentlich nie höre.
    Die im 18. und 19. Jahrhundert oft verklärte Sichtweise von Kriegen ist mit zwar fremd - aber die daraus resultierende Musik vermag mir durchaus zu gefallen. Ich habe weiter oben im Thread (Beitrag Nr 3) schon Franz Christoph Neubauers "La Bataille" vorgestellt, die aber vermutlich kaum mehr zu bekommen sein wird.
    Franz Berwalds "Slaget vid Leipzig" (The Battle of Leipzig) ist ein weiteres Exemplar dieser einst scheinbar sehr beliebten Gattung "Musikalisches Schlachtengemälde", deren Faszination sich ja auch Tschaikowsky und Beethoven nicht entziehen konnten.
    Berwalds Stück stammt aus dem Jahre 1828 und beschreibt die historische Völkerschlacht von 1813, wo Schweden eine bedeutende Rolle zukam. Berwald spart nicht an Effekten. Trommelwirbel, Trompetenfanfaren, Paukenschläge, Hymnen und Märsche durchziehen das Werk. Im Booklet der STERLING-CD weist der Autor darauf hin, daß das gegen Ende des Werkes erklingende Thema "God Save the King" damals auch das der Schwedischen Nationalhymne war....

    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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