Vor 25 Jhren noch gänzlich unbekannt, hat sich Domenico Scarlattis "Stabat Mater" seit dem zu einem belliebten Objekt der Tonträger-Industrie entwickelt, ist es doch, wie wenige Werke sonst, geeignet, die Leistungsfähigkeit eines Chores eindrucksvoll zu demonstrieren. Ich hörte es im Jahr 1979 zum ersten Mal bei einem Aurtritt des "Monteverdi-Chores unter J.E. Gardiner und muss wohl, wie mir meine Konzert-Begleitung später sagte, den Mund vor Verblüffung garnicht mehr zubekommen haben.
Die Komposition ist allerdings in Rom, für die offenbar ausserordentlich leistungsfähigen Sänger der
Julianischen Kappelle entstanden, doch sind ihre Wurzeln unüberhörbar neapolitanisch, wo die Sequenz schon seit geraumer Zeit, auch durch die Kompositionen Scarlatti Seniors und Provencales fester Bestandteil des Liturgischen Geschehens der Passionswoche war.
Auf den ersten Blick mag die Besetzung zu 10 Stimmen (4 Soprane, 2 Altstimmen, 2 Tenöre, 2 Bässe und Orgel-Continuo) durchaus retrospektiv anmuten, aber Scarlatti operiert hier nicht, wie die Meister des Frühbarock, mit blockhafter, scharf voneinander abgesetzter Doppel-Chörigkeit, sondern lässt alle Stimmen in geradezu grenzenlosen, polyphonen Vermischen zusammen-und wieder ausseinander fliessen.
Alle dramatischen Aspekte werden allein mit den Mitteln der Polyphonie erreicht; die zeitgemässe, meistens monodisch strukturierte Dramatik der Neapolianischen Oper bleibt hier völlig aussen vor. Schon vom technischen Vermögen muss man die Messlatte für die Leistung des Meisters sehr hoch ansetzen,
(Lotti: "Crucifixus", Bach: "Sanctus" der hmoll-Messe und "Metamorphosen" von Richard Strauss (1945), um nur einige ganz wichtige Werke zu nennen.
Das Polyphone Fliessen wird immer durch melodische Einwürfe einzelner Stimmen unterbrochen, die aber dann doch im Gesamtvolumen des Klanges einmünden und die in ihrer himmlischen Entrücktheit an Vokalwerke des
späten Mozart ("Ave verum corpus" )erinnern !
Ein in jeder Hinsicht hörens-und bemerkenswertes Kunstwerk und es stellt sich die Frage, was den überaus erfolgreichen Komponisten wohl bewogen haben mag, aus dem Kernland musikalischen Geschehens sich in völlig unbekanntes Terrain (erst Portugal, später Spanien) zu begeben und das alles als Klavier-Lehrer einer Prinzessin !
Neben dem schon erwähnten Monteverdi-Choir, dessen Aufnahme nach wie vor an der Spitze meiner Lieblings-Einspielungen steht:
(wohl derzeit nicht lieferbar !)
viel kammermusikalischer, aber nicht weniger eindrucksvoll die Aufnahme
unter Gerhard Weinberger:
Sehr schön auch die Einpielung von "The sixteen", die sich ausserdem auch weiterer, kennenlerneswerter Kirchenmusik Scarlattis (überwiegend in Spanien entstanden) annimmt: