Hallo Bruckner-Freunde,
von den meisten Dirigenten wird zur Aufführung der Sinfonie Nr.3 meistens die Drittfassung von 1888/89 verwendet, oder machmal auch die Zweitfassung von 1877. Aus meiner Sicht liegt das wohl daran, das die Drittfassung kurzweiliger und aufgeräumer beim Hörer ankommt als die Urfassung.
Die Bearbeitungen und starken Kürzungen wurden von Brucknerschülern und dem Meister Bruckner selbst vorgenommen.
Erst 1977, 103 Jahre nach Beendigung der Komposition, wurde die Originalfassung 1873 von Leopold Novak veröffentlicht. Es ist ein glücklicher Umstand, daß diese Originalfassung in der Abschrift erhalten geblieben ist, die Richard Wagner mit folgenden Worten gewidtmet ist: „Dem unerreichten, weltberühmten, erhabeben Meister der Dicht-und Tonkunst“.
Der erste Satz hat riesige Ausmaße und enthält u.a. Wagner-Zitate aus dem zweiten Akt der Oper Lohengrin. Der 2.Satz, auch länger als gewohnt, enthält extrem schwierige Sykopierungen, die in den späteren Fassungen entfernt wurden und die wohl auch dazu führten, das die Wiener PH damals die Sinfonie als unspielbar zurückwiesen. Der 3.Satz Scherzo ist in seiner Form unverändert geblieben. Der 4.Satz wurde in Auftrag und in Zusammenarbeit Bruckners von seinem überaus geschätzten Schüler Franz Schalk für die spätere Fassung fast vollständig neu komponiert. Schalk kürzte das Stück nicht nur beträchtlich, sondern er und sein Meister übertrug, zu ihrem Nachteil für den Satz, die unregelmäßigen Muster in regelmäßige viertaktige Gruppen.
Diese Urfassung, ohne die umfangreichen Veränderungen, wollte ich nun einmal kennenlernen und entschied mich für die in der Kritik nicht schlecht beurteilte Fassung mit Georg Tintner / Royal Scottish National Orchestra auf NAXOS (Aufnahme 1998 DDD).
Was ich da zu hören bekam hat mich schockiert (wie seinerzeit der Test mit Harnoncourts Brahms-Sinfonien); wie Tintner am Detail herumbosselt, ohne jegliche Spannung, ausgelöst durch ein viel zu langsames Tempo; Steigerungen kommen absoltut ohne Emphase, einfach langweilig. Das soll Bruckner sein? Nein, die Sinfonie zerfällt in ihre Bestandteile ! Dennoch mal interessant wie die Urfassung aufgebaut ist, aber Bruckner (unter Tintner) war das bei weitem nicht.
Erst die nachfolgend aufgelegte DG-Karajan-Aufnahme der Sinfonie Nr.3 (1888/89) hat meine Bruckner-Welt wieder in Ordnung gebracht !
Vorige Woche fiel mir in einem Bonner CD-Laden die CD der Erstfassung 1873 mit
Eliahu Inbal /Frankfurter RSO auf Teldec/APEX (Aufnahme 1983 DDD) in die Hände. Sogleich sah ich mir die Spielzeiten an – das mußte was anderes, besseres als das Tintnersche Zerfallsprodukt sein - für 4,90€ war die APEX-CD ein Glückskauf:
Am Abend hörte ich mir diese Urfassung der Sinfonie Nr.3 mit Inbal an, schon die ersten Takte des ersten Satzes ließen auf eine „richtige“ Bruckner-Welt schließen – und --- der Rest war auch in Ordnung. Die Inbal-Aufnahme und die Urfassung haben mich wirklich ergriffen. Man hat quasi eine neue Bruckner-Sinfonie vor sich, die gegenüber den Spätfassungen deutlich mehr Stoff zu verarbeiten hat.
Die Durchführung und das Finale im 1.Satz sind energisch Interpretiert und die Frankfurter scheinen an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit zu kommen, was die Aufnahme spannend macht. Zwar merkt man im Vergleich zu Karajan, insbesondere beim unveränderten 3.Satz, wo die Glocken hängen (Karajan und die Berliner PH sind weitaus präziser), aber die Frankfurter sind eben keine Berliner PH.
Insgesamt aber eine tolle Empfehlung für die Urfassung, in der so viel Neues steckt, das hier bei Inbal angemessen umgesetzt wird. Schon lange vorher war die frühe Sinfonie f-moll (ohne Nr.) mit Inbal und den Frankfurtern auf Teldec für mich ein positiver CD-Kauf.
Hier die Spielzeiten, die verdeutlichen, welche Zerfallwirkung ein zu langsames Tempo auslösen kann:
1.Allegro..........Tintner..30:34..........Inbal...24:00
2.Adagio......................20:37...................18:53
3.Scherzo.....................06:47...................06:07
4.Allegro......................19:22...................16:37
Gesamtzeit...................77:32...................65:30
Das sind über 12Minuten Spielzeitunterschied für die ganze Sinfonie! Wenn man die ohnehin nicht gerade kurzweilige Urfassung so aufdröselt, kann das nichts werden.
Nicht das ich was gegen langsamere Tempi habe - es gibt in der Diskographie andere positive Beispiele für Interpretationen mit langen Spielzeiten (z.Bsp. Bernstein´s spätere DG-Aufnahmen der Brahms-, Sibelius- und Tschaikowsky-Sinfonien(außer Nr.6)), die genial umgesetzt wurden.
:)Die Klangqualität beider Aufnahmen (Teldec und Naxos) ist auf einem guten Klangniveau mit natürlicher Abbildung des Orchesters.