Muß man gläubig sein, um geistliche Musik wahrhaft interpretieren zu können?

  • José van Dam meinte in einem überaus interessanten Film (Wh. auf arte am 22. Mai 2011 um 6 Uhr früh), nur ein wirklich gläubiger Sänger könne in Oratorien seine Partie wahrhaft ausloten.


    Zunächst hielt ich dieses Statement für eine Einzelmeinung, bis ich mich erinnerte, dass Gundula Janowitz in einer Matinee der Wiener Opernfreunde am 18.9.2010 noch weiterging und behauptete, man müsse auf alle Fälle gläubig sein, um den hohen Ansprüchen der Kunstausübung gerecht werden zu können.


    Ich persönlich stehe im Widerspruch zu diesen Meinungen. Denn dann müsste ja im Umkehrschluß ein Sänger einer Bösewichterrolle ein ausgemachter Schurke sein oder eine Frau an Männerrollen (Cherubino, Komponist in der "Ariadne" oder gar Oktavian) zum Scheitern verurteilt sein.


    Ich weiss aus Erfahrung, dass viele gläubige Menschen Ungläubige wie mich nicht wirklich ernst nehmen, da Gläubige ja etwas Besseres zu sein glauben.


    Da erinnere ich mich einer Aussage des ehemaligen Bischofs Kurt Krenn vor Jahren in der "Kronen-Zeitung", als er dozierte, wenn einem Menschen die Gnade des Glaubens fehle, entwickle er sich unweigerlich zu einer reißenden Bestie.


    Eure Meinung dazu würde mich sehr interessieren!


    Grüße aus Wien
    von Fritz

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Lieber Milletre,


    ich glaube schon. Gerade ein Oratoriensänger oder -chorist singt ja von Glaubensinhalten, wobei auch manchmal der Glaube an das "Böse" oder der Irrglaube eine Rolle spielt, wie z.B. in dem grandiosen Chor "Baal, erhöre uns", aus dem "Elias" von Mendelssohn.
    Ich denke, dass ein Sänger, der an nichts glaubt oder nicht an Gott glaubt (also ein Nihilist oder ein Atheist), religiöse Inhalte nicht überzeugend vermitteln kann. Jedenfalls kann ich das aus meiner eigenen Erfahrung als Chorsänger (seit 1957 im Chor) berichten.
    Als meine Frau mir mal vorhielt, ich ginge nur in die Kirche, wenn ich mit dem Chor sänge, erwiderte ich ihr, dass der Chorgesang meine Art sei, im Beisein anderer Menschen zu Gott zu beten, und ich habe in den ganzen Jahrzehnten noch nicht bei einem einzigen Auftritt anders empfunden.
    Das hat gar nichts damit zu tun, dass gläubige Sänger keine Schurken darstellen könnten. Ich meine, dass zwei der größten deutschen Bassisten, um nur ein Beispiel zu nennen, Gottlob Frick und Kurt Böhme, die die durch und durch böse Gestalt des "Kaspar" aus dem Freischütz" referenzwürdig dargestellt haben, gläubig waren.


    Liebe Grüße


    Willi :rolleyes:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Wenn man gläubig sein muss (gemeint ist wohl: im christlichen Sinne), um geistliche (christliche) Musik wahrhaft interpretieren zu können,
    was muss man dann sein


    - um den Sacré du Printemps wahrhaft interpretieren zu können?
    - um den Wotan wahrhaft interpretieren zu können?
    - um die Titelrolle in Rodion Shchedrins Oper "Lolita" wahrhaft interpretieren zu können?
    - um die Titelrolle in Bergs "Lulu" wahrhaft interpretieren zu können?
    - ...
    - ...
    - ...


    Ich halte die Bach-Interpretationen des Bach Collegium Japan mit für das Beste, was momentan auf dem Markt erhältlich ist, und bin nicht sicher, ob alle Mitglieder gläubig im christlichen Sinne sind.

  • Da erinnere ich mich einer Aussage des ehemaligen Bischofs Kurt Krenn vor Jahren in der "Kronen-Zeitung", als er dozierte, wenn einem Menschen die Gnade des Glaubens fehle, entwickle er sich unweigerlich zu einer reißenden Bestie.


    Diese Äußerung halte ich für den Schwachsinn in der Potenz!!!


    Um zu dieser Frage Stellung nehmen zu können, müsste erst einmal geklärt werden, was man unter "gläubig" versteht, unabhängig davon welcher Religionsgemeinschaft man angehört.


    Ist darunter der "sonntägl. Kirchgänger" zu verstehen? Sind das die Menschen, die von sich im Brustton der Überzeugung sagen, sie sind Christen? Ist das der Mensch, der mit einem großen goldenen Kreuz vor der Brust rumläuft?


    Eure Meinung würde mich interessieren. Aber Achtung: Forenregeln?! Die ich in diesem Fall nicht unbedingt meine beachten zu müssen, aber ich bin nicht die Forenleitung.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler


  • Scarpia war mir als erstes eingefallen, aber das sind auch schöne Beispiele...
    (Wobei ich mal eine Schauspielerin in Wedekinds Lulu gesehen habe, von der mir berichtet wurde... vielleicht ist das doch gar nicht so schwierig... :D)


    Zitat


    Ich halte die Bach-Interpretationen des Bach Collegium Japan mit für das Beste, was momentan auf dem Markt erhältlich ist, und bin nicht sicher, ob alle Mitglieder gläubig im christlichen Sinne sind.


    Ich fand die erste Folge dieser Reihe (inkl. BWV 4) eine der enttäuschendsten und blutleersten Bach-Aufnahmen, die mir je begegnet sind, was Suzukis Bekenntnis im Beiheft fast schon ironisch erschienen ließ... wenn die Christen so Bach dirigieren, dann gebt mir lieber die Heiden! (Mir wurde versichert, spätere Folgen seien besser gelungen, aber ich habe bisher dennoch keine Lust, das rauszufinden.)
    Allerdings ist er wohl (auch was die Interpretation betrifft) eher niederländisch-calvinistisch geprägt als mitteldeutsch-lutherisch.


    Es gab in der Vergangenheit schon mehrmals ähnliche threads, meist jedoch eher mit einem Schwerpunkt auf der Seite des Rezipienten. Meistens sind die nach einiger Zeit geschlossen worden, weil Teilnehmer persönlich wurden. Ich warne daher schon einmal vor und bitte um entsprechende Zurückhaltung, auch in der Wortwahl.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Nicht einmal ein Komponist von Oratorien muß gläubiger Christ sein. Auf Anhieb fällt mir da Verdi ein.


    :hello: Herbert

    Tutto nel mondo è burla.

  • ›Es mag sein, dass nicht alle Musiker an Gott glauben, an Johann Sebastian Bach jedoch alle.‹


    Mauricio Kagel


    Ich halte eure Diskussion nach dem Schema similia similibus solvuntur für etwas vordergründig. Vielleicht wollen die von euch zitierten Sänger ja auch sagen, die geistliche Musik sei ein Medium, worin sich dem dafür empfänglichen Gemüt die religiöse Sphäre eröffnen könne.


    Im Grunde hat ja beinah alle große Musik auch teil an der Demut der Schaffenden - ich denke z.B. an Beethoven, dessen Musik auch im absoulten Sinn etwas von der Kraft der Bezwingung, der Weltüberwindung und der großen Menschenliebe atmet, die den Hörer bis heute zutiefst anrühren. - Kunst und Religion haben im Abendland eine große Nähe (zumal gilt das für das 18. und das 19. Jh.)


    Ich würde also im Gegenteil behaupten: Nur wen die Abendmahlsszene in der Matthäuspassion nicht berührt, darf sich schmeicheln, ein unreligiöser Mensch zu sein.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • "Von Herzen - Möge es wieder - zu Herzen gehen!" - mit dieser Widmung hat Beethoven seine Missa Solemnis in D-Dur, Opus 123 überschrieben.



    Das sollte uns doch genügen.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Ich persönlich stehe im Widerspruch zu diesen Meinungen. Denn dann müsste ja im Umkehrschluß ein Sänger einer Bösewichterrolle ein ausgemachter Schurke sein oder eine Frau an Männerrollen (Cherubino, Komponist in der "Ariadne" oder gar Oktavian) zum Scheitern verurteilt sein.


    Ich halte den Umkehrschluss für nicht gerechtfertigt. Es geht doch darum, wie man den Begriff Kunst definiert.


    Wenn ich meine, dass Kunst etwas ist, was den Menschen über das Alltägliche hinaushebt, etwas darstellt, was letztlich nicht mehr formal erklärbar ist und ein gewisses Maß an Transzendenz einführt, dann kann ich sehr wohl behaupten, dass ein fester Glaube an diese Kunst vorhanden sein muss - sowohl um sie zu vermitteln, als auch sie zu erleben. Und bei religiös ausgeprägten Werken kann religiöser Glaube dann durchaus von Vorteil sein. In diesem Sinne ist es aber völlig egal, was innerhalb der Kunst dargestellt wird, der Künstler muss nur an seine Kunst glauben, dann ist es egal, ob er den Mörder oder den schmachtenden Liebhaber darstellt.


    Wenn ich aber eine offene Farbdose über einer Leinwand verschütte und dies als Kunst erkläre, dann profanisiere ich die Kunst, sie ist eigentlich nichts Besonderes mehr und schon gar nicht die Überhöhung und Überwindung des "Könnens". Kunst ist dann alles, was ich anderen einreden kann, Kunst zu sein und sie zum Bezahlen zu bringen. Auch hier ist ein gewisser Glaube an den "Wert" von Kunst im Spiel, aber sicher kein religiöser...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Ich halte den Umkehrschluss für nicht gerechtfertigt. Es geht doch darum, wie man den Begriff Kunst definiert.

    Es ist immer interessant, diese Frage zu stellen und nach einer Antwort darauf zu suchen. Unter Hinweis auf den Titel des Threads halte ich jedoch diesen Beitrag hier für fehl am Platz.



    Um zu dieser Frage Stellung nehmen zu können, müsste erst einmal geklärt werden, was man unter "gläubig" versteht, unabhängig davon welcher Religionsgemeinschaft man angehört.

    Ich meine, dass dies die richtige Frage ist, um eine Antwort auf die Frage des Threads zu finden und verweise hierzu insgesamt auf meinen Beitrag.



    Es gab in der Vergangenheit schon mehrmals ähnliche threads, meist jedoch eher mit einem Schwerpunkt auf der Seite des Rezipienten. Meistens sind die nach einiger Zeit geschlossen worden, weil Teilnehmer persönlich wurden. Ich warne daher schon einmal vor und bitte um entsprechende Zurückhaltung, auch in der Wortwahl.

    Ich bin nun äußerst (und hoffentlich erfolgreich) bemüht, dieser Bitte zu entsprechen - meine folgende Wortauswahl aus einzelnen Beiträgen ist deshalb keinesfalls in persönliche Beziehung zu bringen.


    Ich lese: "Gemüt - berührt (ergänzt Gefühl?) - Herz"
    Ist es eine Fehlinterpretation, wenn ich hier herauslese, dass man gläubig (christliche Gläubigkeit und nur um diese kann es gehen bei diesem Threadthema) vorrangig als emotionale Angelegenheit sieht?


    Für mich ist christliche Gläubigkeit zu 80%? 90%? ein Thema, das meinen Verstand berührt und mit dem ich mich insbesondere rational auseinander setzten muß. Daraus folgt dann die Frage, wen ich oberflächlich betrachtet als gläubig ansehe und dabei zwangsläufig ein gewisses "Schubladendenken" anwende, was im Einzelfall falsch sein mag, aber im "Trend" doch nicht völlig daneben liegt. Wobei im Einzelfall es eine große Rolle spielt, was von dieser Person für mich rüberkommt und was sie ausstrahlt.


    Und damit bin ich beim Threadthema: Wenn ein Interpret/in ein geistliches Werk (ob es tatsächlich ein gläubig christliches ist hängt davon ab, wie ich dieses Werk, textlich und/oder im musikalischen Ausdruck, sehe) so interpretiert, das es meinen Anspruch an christliche Gläubigkeit erfüllt, dann interpretiert er es für mich richtig, völlig egal ob er gläubig ist oder welcher Weltanschauung auch immer er angehört.
    (Bei einem Orgelinterpretationswettbewerb vor einigen Jahres im Rahmen der int. Orgelwoche Nürnberg haben die drei ersten Plätze Damen aus dem asiatischen Kulturkreis gewonnen. Dies soll nur als Beispiel dienen, dass die Interpretation westlicher Musik allgemein losgelöst vom Kulturkreis der Interpreten zu sehen ist.)
    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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  • Es ist immer interessant, diese Frage zu stellen und nach einer Antwort darauf zu suchen. Unter Hinweis auf den Titel des Threads halte ich jedoch diesen Beitrag hier für fehl am Platz.


    Eine seltsame Ansicht. Es war eine direkte Antwort auf einen Aspekts des Eröffnungsbeitrags und kann daher gar nicht fehl am Platz sein!


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Ich gehe davon aus, dass es für Dich eine seltsame Ansicht ist.
    Habe ich das falsch verstanden, dass wertende Antworten/Äußerungen über Meinungen anderer Mitglieder nicht so gerne gesehen werden?
    Es mag gesagt werden, dass man meine Ansicht nicht teilt, sie als seltsam zu bezeichnen, halte ich für seltsam.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Achtung - der Thread eskaliert schon wieder unnötiger Weise. Ich habe den Meinungsaustausch bisher interessiert verfolgt, bitte kommt doch wieder zum Thema zurück und fangt nicht wieder an, über das Diskutieren zu diskutieren!

  • Hallo Travinius,


    werf' doch mal bitte einen Blick in "Schuberts Winterreise in..."


    Meinen Satz "Habe ich das falsch verstanden..." halte ich für dringend notwendig für eine angemessene Diskussionskultur, hier wie dort und ganz Allgemein - wobei die unentschiedene Frage "Huhn oder Ei" dabei nicht zum Tragen kommt!!!


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • ...
    Es mag gesagt werden, dass man meine Ansicht nicht teilt, sie als seltsam zu bezeichnen, halte ich für seltsam.


    Entschuldige! Milletre stellt in seinem Eingangsposting eine These auf, auf die ich direkt antworte, und du kommst daher und meinst, dass gehöre nicht hierher. Wo bitte soll ich denn sonst auf Milletre antworten? Kannst du mir das erklären?


    ?(

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Die Frage im Threadtitel suggeriert, dass es eine "wahrhafte" Interpretation gibt.


    Nehmen wir doch ein Beispiel wie die h-moll-Messe von Bach. Kann es sein, dass ein orthodoxer romtreuer Katholik, ein Zeuge Jehovas, ein lutherisch Evangelischer und ein reformiert Evangelischer zu stark voneinander abweichenden Interpretationen kämen?


    Welche ist nun wahrhaft? Was ist wahrhaft - und was ist der Unterschied zu wahrhaftig?

  • Ich persönlich bin Agnostiker.


    Dennoch empfinde ich bei geistlicher Musik Genuss und empfinde eine Art 'gottloser Religiosität', wenn ich die Musik höre. In früheren Zeiten, als ich noch aktiver Musiker war, habe ich oft an geistlicher Musik mitgewirkt: Brahms Requiem, Mozart Requiem, diverse Messen etc. Ich glaube, diese Musik glaubwürdig interpretiert und verstanden zu haben, und dennoch wurde ich dadurch nicht christlich.


    Abweichend von der religiösen Lehre glaube ich an eine Art universellen Spiritismus, der sich in den verschiedenen dogmatisierten Religionen widerspiegelt, quasi die niedergeschriebenen, etablierten Religionen als unterschiedliche Instanzen einer Universalreligion, jeweils gepägt durch den kulturellen Hintergrund und die Vorgehensweise und Ansichten der Religionsstifter und ihrer Nachfolger.


    Als Beispiel sehe ich für mich Mahler an, der zwar immer noch vom Christentum geprägt ist, aber nach meinem Empfinden ohne feste konfessionelle Bindung (und schon gar nicht im Judentum verwurzelt) komponiert. Das ist ein Schritt in die Richtung eines 'universellen Monotheismus'. Was muss man denn sein, um die II. Mahler richtig interpretieren zu können? Jude? Katholik? Lutheraner? Und warum?


    Ich glaube, dass jeder, der empfänglich ist für, nennen wir es pathetisch 'höhere Wahrheiten' oder universelle Ethik, geistliche Musik interpretieren kann.

  • Entschuldige! Milletre stellt in seinem Eingangsposting eine These auf, auf die ich direkt antworte, und du kommst daher und meinst, dass gehöre nicht hierher. Wo bitte soll ich denn sonst auf Milletre antworten? Kannst du mir das erklären?


    Hallo,
    aber gerne

    Meinen Satz "Habe ich das falsch verstanden..." halte ich für dringend notwendig für eine angemessene Diskussionskultur, hier wie dort und ganz Allgemein - wobei die unentschiedene Frage "Huhn oder Ei" dabei nicht zum Tragen kommt!!!


    Und der Satz von mir, den Du in Deinem letzten Beitrag zitierst, das ist genau das Problem; nicht wo Du Deine Antwort eingestellt hast, es geht um das "Wie".


    Ich hatte die "hohen Ansprüche der Kunstausübung" auf die geistliche Musik bezogen, was ja schießlich Threadthema ist. Wenn ich das Deiner Meinung nach falsch verstanden habe, könnte man auf ein u. U. Mißverständnis hinweisen und meinen Beitrag nicht als seltsam und damit wertend bezeichnen.

    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber Teophilus und Zweiterbass,


    ihr habt mit euren Fragen natürlich irgendwie beide recht; denn wie für alles das, was Kunst einbegreift, gilt auch für das Gläubigsein ein gewisser inflationärer Sprachgebrauch z.B. unter dem Etikett "spirituell". Da wird es selbst vorstellbar, daß drei Asiatinnen betörend Orgel spielen, weil ihre Kultur nämlich buddhistisch ist.


    Mahler war da schon skeptischer:


    Spitzgoschete Hechte,
    die immerzu fechten,
    sind eilends herschwommen,
    zu hören den Frommen.
    Auch jene Phantasten,
    die immerzu fasten,
    die Stockfisch´ ich meine,
    zur Predigt erscheinen.
    Kein Predigt niemalen
    den Stockfisch so g´fallen.


    Die Nachhaltigkeit frommer Erbauung beim Publikum ist das Problem; ähnlich wie das Mitleid mit Erdbebenopfern nach Abklingen der Top-News. Andereseits wäre es die Frage, ob ein Nichtchrist überhaupt die emotionalen Voreinstellungen vornehmen kann, die zum Verständnis und Nachvollzug der Heilswahrheiten allererst notwendig sind. Oder fühlt sich eine Asiatin bei Bach wie ein Neckermann-Tourist im indischenTempel? - Esperanto-Demut?


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


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  • Ich persönlich halte die Arroganz christgläubiger Menschen, die vermeinen, mittels der Gnade und Erleuchtung durch den Heiligen Geist gegenüber Nichtgläubigen einen spirituellen Mehrwert beanspruchen zu können, für nicht gerechtfertigt.


    Warum sollte ein nichtgläubiger Sänger oder Dirigent nicht in der Lage sein, die metaphysischen Tiefen z.B. von Bachs WO oder Haydns Schöpfung ebenso ausloten zu können wie ein Gläubiger?


    Die Kulturgeschichte zeigt ja, dass explizit homosexuelle Komponisten wie Tschaikowskij oder Britten z.B. zutiefst berührende Frauenschicksale zu formen in der Lage waren. Man müsse zu allererst Künstler sein - die persönliche religiöse Befindlichkeit darf dabei keine vordergründige Rolle spielen.


    Wie oft hört man in Wien, nur Wiener könnten den Wiener Walzer tanzen. Diese Chauvinisten verweise ich auf diverse internationale Tanzturniere, wo in der Sparte "Wiener Walzer" meist Briten oder Franzosen die Preise abräumen ...


    Grüße aus Wien
    von Fritz

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

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  • Die Kulturgeschichte zeigt ja, dass explizit homosexuelle Komponisten wie Tschaikowskij oder Britten z.B. zutiefst berührende Frauenschicksale zu formen in der Lage waren. Man müsse zu allererst Künstler sein - die persönliche religiöse Befindlichkeit darf dabei keine vordergründige Rolle spielen.


    Ich weiß jetzt nicht, ob ein heterosexueller Mann sich leichter in eine Frau reinversetzen kann... ;)
    Es würde also reichen zu sagen, dass männliche Komponisten Frauenfiguren gestalten können. Bei Schriftstellern bezweifelt das wohl kaum jemand: Shakespeare, Tolstoi, Fontane usw.

    Struck by the sounds before the sun,
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    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zu farninellis Beitrag "muß" ich doch ergänzen:


    1. Antonius zur Predig
    Die Kirche findt ledig,
    Er geht zu den Flüssen,
    Und predigt den Fischen;
    Sie schlagn mit den Schwänzen,
    Im Sonnenschein glänzen.


    8. Die Predigt geendet,
    Ein jedes sich wendet,
    Die Hechte bleiben Diebe,
    Die Aale viel lieben.
    Die Predig hat gfallen,
    Sie bleiben wie alle


    9. Die Krebs gehn zurücke,
    Die Stockfisch bleiben dicke,
    Die Karpfen viel fressen,
    Die Predig vergessen.
    Die Predig hat gfallen,
    Sie bleiben wie alle.


    Aus des Knaben Wunderhorn Band I


    Na, bin ich froh, dass nicht ich den Spottkübel ausgießen mußte.


    In diesem Sinn und


    herzliche Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Es würde also reichen zu sagen, dass männliche Komponisten Frauenfiguren gestalten können. Bei Schriftstellern bezweifelt das wohl kaum jemand: Shakespeare, Tolstoi, Fontane usw.


    Können sie. Richard Strauss fällt mir ein, dessen Frauenfiguren mir immer farbiger, mehrschichtiger und raffinierter vorkommen als seine Männerfiguren.

  • Das wäre aber z.T. auch Hugo von Hofmannsthal anzurechnen. Und Straussens Vorliebe für Tenöre ... :stumm:


    :hello:

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    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Ich finde die Gestalten nach Hoffmannsthal aber nicht wesentlich schlechter - in der Frau ohne Schatten (Zweig), oder Capriccio, seinem letzten Vermächtnis. Außerdem gehört zur Charakterisierung mehr als nur der Text.
    Aber es ging ja nur um ein Beispiel, um die Aussage von Johannes Roehl zu illustrieren - wir schweifen ab. (Wäre ein eigener Thread: Charakterisierung der Frauenfiguren bei R.Strauss).
    Im Grunde spricht mir vor allem Milletre aus dem Herzen.

  • mit Verlaub: kleine Eselsbrücke: Zweig - Schweigsame Frau


    :hello:

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  • Natürlich war das Hofmannsthal. Ich rate allen Liebhabern dieses Werkes an, Hofmannsthals Novellenband zu lesen, denn dort findet man auch die Novelle "Die Frau ohne Schatten", die tieferen Einblick in dieses Meisterwerk gewährt.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • ich will mal versuchen, zum Thema zurückzufinden ... da wurde aus der agnostischen Einfühlung die Bösewichtrolle und daraus wieder die einfühlsam gezeichnete Damenpartie, wobei Homosexuelle hier keinen Vortritt haben - das Ewig Weibliche zieht uns hinan. Ich fürchte, das läuft auf Tartuffe hinaus ...


    :hello:

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    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Ich meine, aus meiner 55jährigen Chorsängerzeit, ja. Wenn hier die Rede von José van Dam war, der in der Karajan-Version des Verdi-Requiems von 1985 eine der großartigsten Bass-Partien gesungen hat, so kann ich mir nicht vorstellen, dass dieser Mensch ungläubig war.
    Ich habe in meinem Leben nicht nur viele Chorkonzerte gesungen, sondern auch viele live gesehen, und die besten von denen waren diejenigen, in denen man spontan merkte, dass alle Mitwirkenden wirklich hinter dem standen, was sie sangen. Das war der Augenblick, wo dem Zuhörer der Schauer über den Rücken rann.
    Ich kann geistliche Musik nur wahrhaft interpretieren, wenn ich gläubig bin, ebenso, wie ich jedwede andere Musik nur wahrhaft interpretieren kann, wenn ich an ihren Kern gluabe.


    Viele Grüße


    Willi :thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich kann die Aussage, daß man religiös sein muß, um z.B. den Jesus in der Matthäus-Passion von Bach glaubhaft zu interpretieren beim besten Willen nicht nachvollziehen. Ein Sänger sollte so ausgebildet sein, daß er alle Gefühlsregungen so übermitteln kann,daß der Zuhörer davon erreicht wird. Ein Atheist, der ein guter Interpret ist kann geistliche Musik genau so vermitteln, wie ein guter Interpret der religiös ist.
    Ein schlechter Interpret, der religiös ist interpretiert die geistliche Musik genau so schlecht, wie ein schlechter Interpret, der Atheist oder Agnostiker ist.
    Was ich hier geschrieben habe, weiß ich aus eigener Erfahrung und aus Gesprächen mit Sängern. Wenn Sänger wie Jose van Dam, oder Gundula Janowitz bei ihrem Vortrag geistlicher Musik religiöse Gefühle haben, ist der einzige Grund, daß sie selber religiös sind.
    Was der religiöse Zuhörer beim Vortrag geistlicher Musik als authentisch empfindet, entsteht durch die Kunst des Interpreten.


    :hello: Herbert aus Troisdorf

    Tutto nel mondo è burla.

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