Schumann, Robert: Album für die Jugend op. 68

  • Hallo,


    zu Schumanns Musik gibt es viele Threads (auch zu seinem Eheleben und dem Grund seines frühen Todes usw. - und mit vielen aufschlussreichen Beiträgen von usern mit dem "kleinen Gelben").
    Zum "Album für die Jugend" - von einigen Erwähnungen in den unterschiedlichsten Threads abgesehen - Fehlanzeige!


    An was das wohl liegen mag? Erscheint die Musik als "zu einfach gestrickt"? Liegt es unter der Würde, sich mit Musik für die Jugend zu beschäftigen, die "Kreisleriana" usw. geben mehr her?


    Und es gilt, nicht nur in der Musik, als anerkannt, in der Einfachheit liegt oftmals die (wahre?) Kunst. Diese Einfachheit gilt m. E. besonders dann, wenn Kinder emotional (wie sonst?) erreicht werden wollen.


    Dabei könnten wir von der (unverbildeten) Emotionalität der Kinder eine Menge für uns abschauen und noch mehr lernen (was Nichts mit kindisch, wohl aber mit kindlich, zu tun hat).


    Schumann hat die emotionale Ansprache von Kindern für mein Empfinden gekonnt.


    Zum Hörvergleich habe ich: Doppel-LP von harmonia mundi aus 1976 mit Jörg Demus am Hammerflügel und CD vom Label Arpege + Calliope aus 1989, Vertrieb wie vor, mit Daniel Blumenthal.


    Ein näheres Eingehen auf wenige ausgewählte Stücke und einen Interpretationsvergleich stelle ich aber nur ein, wenn ich Interesse, durch Reaktionen auf diesen Beitrag, ersehen kann.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo zweiterbass,


    das "Album für die Jugend" hat offenbar ein ähnliches Schicksal wie viele der "Lieder ohne Worte" von Mendellssohn oder die Lyrischen Stücke von Edward Grieg etwa, daß man sie als Übungsstücke für den Klavierunterricht ansieht und entsprechend nicht ernst nimmt. Im Fallei Grieg ist es inzwischen freilich anders geworden dank Gilels, Richter und anderen. Schumanns Album hat da offenbar weniger Glück, trotz Demus oder auch Alexis Weissenberg. Selbst Michelangeli hat immerhin drei Stücke aus dem Album auf Platte eingespielt, was wohl nichts anderes besagen kann als: diese Musik ist unbedingt ernst zu nehmen!


    Schumanns Album für die Jugend - das sind scharf gezeichnete Charakterbilder, wobei der Vergleich mit den Kinderszenen das Denken herausfordert: Die Kinderszenen sind Rückblicke eines Erwachsenen auf die Kindheit - das Album "für" die Jugend geschrieben. Aber aus welcher Perspektive eigentlich? Schlüpft da der Erwachsene in die Rolle des Kindes? Stellt er sich also nur naiv, obwohl er es gar nicht ist? Oder sind es ganz unbedarfte Erinnerungen? Das ist letztlich immer die Grundfrage in der Romantik: Die Sehnsucht nach dem Naiven ist in Wahrheit gar nicht naiv, sondern höchst reflektiert. Ein hochphilosophisches Thema. :)


    Beste Grüße
    Holger

  • Die Sehnsucht nach dem Naiven ist in Wahrheit gar nicht naiv, sondern höchst reflektiert.


    Hallo Holger,


    ich gehe das Thema mal ganz praktisch an:


    Peter und der Wolf: Text und Musik stammen von Prokofieff, der 1923 geheiratet hat, 1936 ist das Werk entstanden. Text und Musik gehen sehr deutlich auf das kindliche Verständnis ein, für sein(e?) Kind(er) - und für viele weitere Kinder (und Erwachsene, die kindlich nicht mit kindisch verwechseln) weltweit.
    Da hat sich P. sehr erfolgreich in die Gefühle eines Kindes versetzen können.


    Kinderszenen - Schumann: 1837/38 entstanden, 2,3 Jahre vor seiner (erstrittenen) Hochzeit mit Clara; das sind Erinnerungen, die Kinder - später - nachvollziehen können.


    Album für die Jugend - 1848 enstanden - Schumann hatte 8 Kinder - ein "lehrhaftes" Werk, mit viel Einfühlungsvermögen in die Möglichkeiten, Kindern das Klavierspielen nahe zu bringen, auch bestimmt mit viel lieben Gedanken an seine eigenen Kinder, aber doch kein direkter Vergleich mit P. möglich.


    Klavierbüchlein für Friedemann - J. S. Bach - 1720 für seinen 1710 geborenen Sohn - ein rein didaktisches Werk, so wie "man" es von Bach erwartet - wenig vergleichbar mit Schumann und weit entfernt von P.


    2 Notenbüchlein für Anna Magdalena - das Erste (1722) von Bach selbst, das 2.(1725) weitestgehend von A.M. - wie vor.



    Ich denke, diese "Entwicklung" hat etwas zu tun mit der grundsätzlichen Einstellung zum Kind.


    Herzliche Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo Zweiterbaß,


    wenn man sich an die Titel hält, dann fällt auf, daß einige Sammlungen betitelt sind mit "für" - "für die Jugend", "für Friedemann". Das ist eine Widmung. Von daher ist es natürlich naheliegend, daß hier ein pädagogischer Zweck vorherrschend ist, diese Musik wirklich für Kinder bestimmt ist. Anders sehe ich das bei den "Kinderszenen". Da gibt es gar keine Widmung im Titel, sondern benannt werden Szenen aus der Kindheit. Außerdem: Ein poetischer Titel wie "Der Dichter spricht" (letzte Nummer) dürfte ein Kind wohl kaum verstehen. Das "Album für die Jugend" enthält außerdem einen zweiten Teil, der für Erwachsene bestimmt ist. Auch das wirft die Frage auf, ob da nicht der Übergang vollzogen wird von einer Musik ür Jugend zu einer Thematisierung des Jugendzeit aus dem Blick des Erwachsenen, so daß der Titel der Sammlung schillernd wird in seiner Bedeutung.


    Beste Grüße
    Holger

  • guten morgen,


    ich habe mir jetzt die hörbeispiele im grossen fluss von Rick Gulda und von Norman Shetler anghört - ich fände es schön wenn jemand aufnahme empfehlungen hätte. die gulda aufnahme gefällt mir soweit ganz gut.


    gruss


    kalli

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  • Hallo,


    leider(?) habe ich nur zwei Aufnahmen, die so gegensätzlich sind, dass man sie kaum vergleichen kann und ich beide gerne höre, jede auf ihre Art:


    LP-Album aus 1976 BASF/harmonia mundi mit Jörg Demus am Hammerflügel von 1839
    CD aus 1989 Arpege/Calliope mit Daniel Blumenthal am Normalflügel


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • guten morgen,


    ich habe mir jetzt die hörbeispiele im grossen fluss von Rick Gulda und von Norman Shetler anghört - ich fände es schön wenn jemand aufnahme empfehlungen hätte. die gulda aufnahme gefällt mir soweit ganz gut.


    Ich kenne Rico Guldas Kinderszenen, die mir sehr gut gefallen. Norman Shetler kenne ich kaum als Solisten, er war in erster Linie als sehr gefragter Liedbegleiter bekannt.


    Angesichts der Preise für die CDs kann man eigentlich nichts falsch machen. Man kann aber auch eine dritte Variante in Betracht ziehen: es gibt die erste Schumann-Einspielung von Jörg Demus in einer sehr günstigen Kassette:


    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Ich kann die nachfolgende Aufnahme sehr empfehlen. Michael Endres scheint mir einer der sachkundigsten und spannendsten Pianisten seiner Generation zu sein. Auch in dieser Einspielung besticht er durch einen unwahrscheinlich delikaten, zarten Anschlag, sowie einen höchst lyrischen, sanglichen Ton und eine fein abgestufte Dynamik. Auch kraftvolle Passagen meistert er zupackend und farbenreich.
    Er steuert auch ein interessantes Geleitwort bei, in dem er analysiert, wie sich die Musik von den anfänglich naiv-verträumten, lieblichen Stücken über die eher melancholisch angehauchten Miniaturen bis hin zu den nachgerade "unheimlichen" und "albtraumhaften" Stücken wie beispielsweise "wilder Reiter" und "fremder Mann" entfaltet. Er konstatiert: "Der Zyklus ist ein geradezu erschütterndes Psychogramm einer seelischen Entwicklung".
    Michael Endres hält dabei auch fest, dass dieser Zyklus "eine der ungewöhnlichsten und vielschichtigsten Kompositionen für Klavier" im Werk von Robert Schumann darstelle, der "in seiner Bedeutung bis heute eigentlich noch nicht gewürdigt" worden sei. Diese Einschätzung teile ich vollkommen. Es lohnt sich, dieser Musik immer wieder nachzuspüren.


  • Ich habe zwei vorzügliche Aufnahmen, die mir sehr gut gefallen: Jörg Demus und Alexis Weissenberg.



    Singulär - von unvergleichlicher Prägnanz und musikalischem Tiefsinn - sind Winterszeit I u. II sowie das Matrosenlied aus dem zweiten Teil gespielt von Arturo Benedetti Michelangeli.



    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Dr. Holger Kaletha


    Danke für die Erwähnung der drei Beiträge Arturo Benedetti Michelangelis aus op. 68.


    Ich ergänze mit einer Einspielung Anton Staiers, der acht Nummern aus dem Album für die Jugend für diese CD ausgewählt hat. Er hat die Bezüge zu Johann Sebastian Bach in seiner Auswahl nachgespürt. Er spielt auf einem Erard Piano aus dem Jahr 1837.



    Nr. 4 Ein Choral
    Nr. 14 Kleine Studie: Leise und legato zu spielen
    Nr. 27 Kanonisches Liedchen: Nicht schnell und mit innigem Ausdruck
    Nr. 28 Erinnerung: Nicht schnell und sehr gesangvoll zu spielen
    Nr. 23 Reiterstück: Kurz und bestimmt
    Nr. 30 ***: Sehr langsam
    Nr. 34 Thema: Langsam. Mit inniger Empfindung
    Nr. 42 Figurierter Choral
    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




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  • Lieber Holger, lieber moderato,


    danke für Eure hochinteressanten Empfehlungen, den Einspielungen mit Arturo Benedetti Michelangeli und Andreas Staier werde ich mit Sicherheit nachgehen.
    Ansonsten fasziniert mich immer mehr, je öfter ich diese Musik höre, wie Schumann in Miniaturen, in winzigen Vignetten eine ungeheure Stimmung und Atmosphäre entfaltet - wenige Pinselstriche, die ein gewaltiges Panorama beschreiben.
    Habt Ihr eigentlich Favoriten bei den unterschiedlichen Stücken? Mir hat es besonders Melodie, Soldatenmarsch, der fröhliche Landmann sowie der Wilde Reiter angetan.
    Übrigens bei dem "Choral", irre ich mich oder höre ich da das Kirchenlied "Der am Kreuz ist meine Liebe?"

  • Wie schön, daß es doch noch einige Liebhaber dieser Klavierminiaturen gibt. Ich habe sie z. T. Klavierunterricht gespielt (etwa Wilder Reiter).
    Meine aktuellen Lieblinge sind allerdings:
    Sizilianisch a-mol
    Winterzeit I & II
    Nordisches Lied F-Dur


    Neben den genannten Aufnahmen wollte ich gern noch eine neueren Datums nennen, die mir ziemlich gut gefällt. Angela Brownridge ist vermutlich im anglo-amerikanischen Raum weitaus bekannter als hier und hat sich v. a. durch Interpretationen von Gershwin einen Namen gemacht, bringt aber auch die Klavierminiaturen zum Erblühen.
    Mit bestem Gruß
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Ansonsten fasziniert mich immer mehr, je öfter ich diese Musik höre, wie Schumann in Miniaturen, in winzigen Vignetten eine ungeheure Stimmung und Atmosphäre entfaltet - wenige Pinselstriche, die ein gewaltiges Panorama beschreiben.
    Habt Ihr eigentlich Favoriten bei den unterschiedlichen Stücken? Mir hat es besonders Melodie, Soldatenmarsch, der fröhliche Landmann sowie der Wilde Reiter angetan.


    So geht es mir auch, lieber Don. Den "Wilden Reiter" und noch ein paar andere Stücke habe ich im Klavierunterricht gespielt. Als ich die Weissenberg-Box bekam, hörte ich das Album für die Jugend nach urlanger Zeit wieder durch und fand, dass ich die Stücke selbst auch unterschätzt habe. Man kennt sie aus dem Klavierunterricht und hakt sie dann doch irgendwie ab. Aber was für eine Poesie steckt da drin! Das sind Präziosen von großer Vielfalt der Stimmungestöne - ganz genau. Winterszeit I u. II beeindrucken mich sehr - aber auch etliche andere Stücke, die man viel zu selten hört. Ich habe allerdings sowieso eine Schwäche für Miniaturen (sei es nun Mendelssohn, Grieg, Scriabin oder Prokofieff oder eben Schumann)! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat Holger Kaletha

    Zitat

    Ich habe allerdings sowieso eine Schwäche für Miniaturen (sei es nun Mendelssohn, Grieg, Scriabin oder Prokofieff oder eben Schumann)!


    Lieber Holger,
    das geht mir ebenso. In den Miniaturen "verdichtet" sich der poetische Ausdruck in einer unglaublichen Form. Wären diese Stücke länger, so meinte ich, sie verlören überproportional viel ihres Ausdrucks. uNd das ist m. E. auch die großer Kunst der guten Pianisten. Man muß die Stücke ganz ernst nehmen, auch wenn das Album für die Jugend technisch gut zu bewältigen ist. Hier zeigt sich, salopp gesagt, ob jemand nur einfach die richtigen Tasten drücken, oder wirklich spielen kann.
    Mit bestem Gruß
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • das geht mir ebenso. In den Miniaturen "verdichtet" sich der poetische Ausdruck in einer unglaublichen Form. Wären diese Stücke länger, so meinte ich, sie verlören überproportional viel ihres Ausdrucks. uNd das ist m. E. auch die großer Kunst der guten Pianisten. Man muß die Stücke ganz ernst nehmen, auch wenn das Album für die Jugend technisch gut zu bewältigen ist. Hier zeigt sich, salopp gesagt, ob jemand nur einfach die richtigen Tasten drücken, oder wirklich spielen kann.


    so ist es, lieber JLang! Als Beispiele fallen mir jetzt spontan ein Childrens Corner von Debussy mit Michelangeli (da merkt man, das Allereinfachste ist das Allerschwerste!), Schumanns Blumenstücke mit Svjatoslav Richter, die Lyrischen Stücke von Grieg und die Visions fugitives von Prokofieff mit Emil Gilels. :hello:


    Herzliche Sonntagsgrüße (schaue mir gleich die Böckstiegel-Ausstellung im historischen Museum an)
    Holger

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