Dvorak - "Die Geisterbraut"

  • Hallo,


    ich beziehe mich größtenteils und zitiere "..."im Folgenden aus:
    Philippi, Daniela: Antonin Dvorak, Die Geisterbraut, Tutzing: Verlag Schneider 1993, ISBN 3 7952 o692 8



    Das Werk wird am 22.05.2011, 19 Uhr, vom Philharmonischen Chor Nürnberg und dem RSO Pilsen, Leitung KMD Gerhard Rilling, in der Meistersingerhalle Nürnberg aufgeführt.




    Bei dem Werk handelt es sich um eine Auftragskomposition aus England [für das "Birmingham Musical Festival" 1885 (dort war Dvorak besonders durch sein "Stabat Mater" bereits bekannt geworden)], an der Dvorak von Mai bis Jahresende 1884 arbeitete, UA1885 in Pilsen.


    Den deutschen Text habe ich im Internet nicht gefunden - wer diesen aber sonst wo findet, möge ihn bitte einstellen; Copyright verbietet den Text aus dem o. g. Buch zu kopieren.


    Es handelt sich um eine dramatische Kantate, besser Chorballade, für STB, Chor und Orchester. Der Text stammt von Dvoraks Landsmann K. J. Erben (romantische Ballade "Die Brauthemden"), ergänzt vom Komponisten.


    Kurze Inhaltsangabe:
    Personen: Das Mädchen (S), der tote Bräutigam (T), der Erzähler (B) - nachdem es sich um eine Ballade handelt, haben die Protagonisten keine Namen.
    1. Abschnitt: Das Mädchen (Vollwaise) hat 3 Jahre an ihren Brauthemden genäht - ihr Bräutigam ist nicht zurückgekehrt. Tief in der Nacht trägt sie sich, betend, dennoch mit dem Gedanken, aus dem Leben zu scheiden. Da betritt der "untote" Bräutigam ihr Zimmer und will sie, wegen ihrer Treue, sofort nächtens ins Brautgemach führen.
    2. Abschnitt: Was dass Mädchen anfangs nicht weiß, das Brautgemach ist ein Grab auf dem heimatlichen Friedhof (dort mit ihr begraben löst sich das Schicksal des "Untoten"). Auf dem Weg dorthin, heulende Hunde und Käuzchenrufe begleiten sie, verlangt er ihren Rosenkranz, Kreuz und Gebetbuch, welche er wegwirft; dem Mädchen kommen Zweifel.
    3. Abschnitt: Das Mädchen verweigert ihrem "untoten" Bräutigam den gemeinsamen Weg auf den Friedhof und bleibt am Friedhofsgitter stehen. Sie überredet ihn, als Erster über das Gitter zu springen, er zerfetzt dort ihre Brauthemden. Das nutzt sie, sich in ein nahe stehendes (Leichen-) Haus zu flüchten und einzusperren. Seine mehrmaligen Rückkehr-Aufforderungen (eine Leiche erhebt sich jeweils!) erwidert sie mit Gebet. Der anbrechende Tag ("das Krähen des Hahnes") beendet den Spuk; die Kirchgänger finden ein offenes Grab, zerfetzte Brauthemden und ein verstörtes Mädchen vor.

    Die religiöse Symbolik ist nicht zu übersehen, ebenso wenig der Kampf zwischen "Gut und Böse" (Faust). Zu dieser Zeit war die Vertonung von Texten, die sich auf Volkssagen bezogen, sehr "IN" (Wagner, Mahler usw.) und auch "Geschichten", deren Inhalt uns heute zumindest seltsam berühren, wie auch diese*, waren gefragt (z. B. Opernlibretti für Pfitzner).


    Dvorak war ein tschechischer Komponist, der stets auf die "Volksmusik" seiner Heimat zurück griff und in seine Werke einbezog (auch "Aus der Neuen Welt"); so auch hier, ohne Beachtung, dass der Auftrag aus England kam, er sich also dortigem Geschmack nicht anpasste.


    Dies ist auch der Grund, warum dieses Werk (fern aller textlichen?*) - mit viel Chormusik (in 13 von 18 Nummern.) - hörenswert ist, da es Dvoraks musikalische Herkunft hören lässt und die Musiksprache, anders als Tonmalerei, nicht grundsätzlich textgebunden sein muss (der Ausdruck von Angst, Freude, Entsetzen, usw. ist zwar werkspezifisch, aber dennoch allgemein).


    Das Werk gliedert sich in Introduktion und 18 Nummern (nicht mit Nummernangaben in Opern zu verwechseln), die unterschiedlich auf Chor (auch mit Solisten) und Solisten (auch Duette) verteilt sind und motivisch eng verflochten sind (z. B. "Nr. 1 mit Nr. 18, Nr. 2 mit Nr. 17, Nr. 3 mit Nr. 13 - 16" usw.). Dabei sind der Chor und der Erzähler meist für den Fortgang der Erzählung zuständig, während die Protagonisten das "seelische" Innenleben übernehmen.
    Textwiederholungen (Chor zu Solostellen oder umgekehrt) werden zur Verstärkung verwendet.


    Dvorak lebt in einer Zeit, in der die musikalische Technik der "Motive und Leitmotive" (schon Berlioz, dann Wagner, Liszt usw.) gängig war. Auch er verwendet zur musikalischen Gestaltung und Verdeutlichung neben Tonmalerei insbesondere Leitmotive und Motive* die, im Unterschied zu Leitmotiven, Veränderungen/Variationen unterworfen, abgeleitet werden.



    Das 8-taktige Haupt/Leitmotiv (a-moll) ist sofort in den ersten 8 Takten der Introduktion zu hören und wird in dem Werk 35 x wiederholt, immer unverändert, was als gleich bleibender Faktor das Werk durchzieht und zusammen hält (bei kleinen Veränderungen in der Taktart oder Ableitungen). Es gibt weitere 8 bedeutsame Motive*, die wichtigen Gefühlszuständen der Personen oder Handlungsabläufen zugeordnet sind.


    Es gibt eine Vielzahl tonmalerische Passagen, z. B.: "Nr. 2, Takt 91 - 96 (und vereinzelt weiteren Stellen): Die Bewegung des Spinnens, dargestellt durch 32tel Figur in Flöte incl. Triller, Klarinette und Solo-Sopran" oder "Nr. 15, Takt 107-128: Höllische Gestalten: Aus großen Intervallen bestehendes Motiv von Flöte, Picollo und Oboe vorgetragen" usw.


    Das Werk weist kaum homophon geführte Passagen auf (auch wenn nur rhythmische Verschiebungen erfolgen), ist also polyphon strukturiert. Häufig trifft man auf Passagen ohne Vorzeichen und auch eine schwebende Modulation ist oftmals anzutreffen.


    "Die wichtigsten Funktionen des Orchesters sind seine Differenzierung zwischen musikalischer Verdeutlichung der verschiedenen Stimmungen im Verlauf der Handlung und konstanter epischer Grundhaltung, sowie die Veranschaulichung einzelner Geschehnisse durch bildhaft wirkenden Orchestereinsatz….Während die dramatisierende Orchesterbehandlung durch eine Vielzahl verschiedener signifikanter Bewegungsfiguren sowie auffällige rhythmische - und harmonische Wendungen - charakterisiert ist, zeichnet sich die epische Ausdrucksweise durch die Wiederkehr einzelner, für die gesamte Komposition prägender Motive und die häufige Parallelführung zu deklamatorisch gestalteten Vokalpassagen aus."


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Die gestrige Aufführung war handwerklich musikalisch ohne Tadel. RSO Pilsen und der Chor haben unter KMD Rilling eine einwandfreie Arbeit abgeliefert, auch die Solisten; dabei frage ich mich aber, ob der Tenor, vom Stimmfach m .E. ein Heldentenor, deswegen dafür die optimale Besetzung war.


    Vom Werk selbst war ich einigermaßen enttäuscht - eine Übertragung des (fragwürdigen)Textes/Inhalt des Stückes in Musik - für mich???


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Die gestrige Aufführung war handwerklich musikalisch ohne Tadel. RSO Pilsen und der Chor haben unter KMD Rilling eine einwandfreie Arbeit abgeliefert, auch die Solisten; dabei frage ich mich aber, ob der Tenor, vom Stimmfach m .E. ein Heldentenor, deswegen dafür die optimale Besetzung war.


    Vom Werk selbst war ich einigermaßen enttäuscht - eine Übertragung des (fragwürdigen)Textes/Inhalt des Stückes in Musik - für mich???


    zweiterbass

    Da kann ich nur zustimmen. Ich habe mir das Werk unlängst zugelegt und war sehr unangnehm überrascht. Zwar gibt es jede Menge Dvorakscher Melodik, das Konzept der ganzen Kantate halte ich aber für schlichtweg schwach. Es ist fast erschreckend, wie Dvorák hier praktisch jedes dramatische Gespür fehlt: die Chorintermezzi sind schlapp, überlang und steigern sich nicht, der "Geist"/Tenor hat rein gar nichts abgründiges. Ein richtigen Höhepunkt habe ich in dem Werk nicht ausmachen können. Für mich ein drittrangiges Gelegenheitswerk.

  • Täusche ich mich, oder gibt es da wirklich Anklänge an Tschajkovskijs Pikovaja dama?


    Ich kenne leider keine Oper Tschajkowkijs. Allerdings sind die ostslawischen Töne in diesem Werk und anderen Vokalwerken Dvoráks (Die heilige Ljudmila, Te Deum) ohrenfällig. In den weniger wichtigen Werken Dvoráks muss man beizeiten leider durchaus plagiative Tendenzen konstatieren....

  • Allerdings sind die ostslawischen Töne in diesem Werk und anderen Vokalwerken Dvoráks (Die heilige Ljudmila, Te Deum) ohrenfällig. In den weniger wichtigen Werken Dvoráks muss man beizeiten leider durchaus plagiative Tendenzen konstatieren....

    Wobei Tschajkovskij im Gegensatz zu Mussorgskij ohnehin nicht für das typisch Ostslavische steht.


    Finden sich übrigens die plagiativen Tendenzen auch in meiner heißgeliebten Rusalka? Die hört sich für meine Ohren ziemlich eigenständig an.

  • Finden sich übrigens die plagiativen Tendenzen auch in meiner heißgeliebten Rusalka? Die hört sich für meine Ohren ziemlich eigenständig an.


    Ich weiß jetzt nicht, welches Werk zuerst entstanden ist, aber einige Stellen von "Rusalka" und Tschaikowskys "Schneeflöckchen" (Snegurochka) klingen schon sehr ähnlich...


    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich habe das Werk (Musik zum Schauspiel „Schneeflöckchen“ op. 12 – von Ostrowski (1873)) auch eher zufällig entdeckt, aber schon das einleitende "Hou, hou, hou" der Waldnymphen erinnert sehr stark an Motive, die Tschaikowsky im Bühnenwerk verwendet hat...


    Die von Felix und Dir angemerkten "plagiativen Tendenzen" sind mir vorher noch nicht bewußt gewesen. Interessant, Tamino bildet doch... ;)

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ja, wo gibt es denn die?
    Ich habe nur die Komposition des Herrn römischen Korsakov im Regal.


    Und richtig, Tamino bildet wirklich, bisweilen sogar in seinen Ad hominem-Varianten.

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  • Ich fühle mich beispielsweise in Dvoráks Te Deum sehr stark an das Glockengeläute im Boris Godunow erinnert. Auch der weitere Ton der Komposition ist gewissermaßen "kirchenslawisch", was aber außerhalb der tschechishen Tradition steht. In der Rusálka ist mir nichts dergleichen aufgefallen, allerdings kenne ich Tschajkowskijs Op. 12 auch nicht. Zu Tschajkowskij möchte ich aber noch anmerken, dass er zu Beginn seiner Karriere deutlich unter der Fuchtel Stassows unter Balakirews stand. Erst später hat er sich davon distanziert. Sein erstes Streichquartett, die beiden ersten Symphonien etc.. sind "slawophil".


    Das "Epigonale" in einigen Dvorákwerken beschränkt sich aber keineswegs auf russische Musik. Ich empfinde auch sein Streichsextett als brahmsische Stilkopie. Das Werk ist nicht schlecht aber irgendwie "charakterlos". Einige frühe Symphonien (vor allem die Vierte) greift sehr stark auf Liszt zurück etc...
    Das soll keine Brandrede gegen Dvorák sein - er ist meiner Lieblingskomponisten - aber er ist oft uneinheitlich in seiner Inspiration.

  • In der Rusálka ist mir nichts dergleichen aufgefallen,

    Lieber Felix,


    dann darf ich sie auch weiterhin ohne Misstrauen genießen!


    Ich frage mich auch, wo das Epigonale beginnt. Ein Maler, der die Kreuzigungsgruppe malt, ist ja trotz der bekannten Vorlage kein Epigone, solange er nicht die Technik anderer nachahmt.
    Mit dem gleichen Recht dürfte daher ein Komponist auf bekannte Themen zurückgreifen dürfen, solange er seine musikalische Eigenständigkeit bewahrt.


    Ein Abschnitt aus Smetanas Moldau hat das schwedische Volkslied "Ack värmeland, du sköna" (oder Israels Nationalhymne) zur Vorlage und wenn man boshaft sein will, ist es die Moll-Version von
    "Alle meine Entlein schwimmen auf dem See...".


    Doch Smetana verleiht der schwerblütigen, schwedischen Weise eine andere Stimmung, nicht gerade heiter, aber weniger egozentrisch, eher in die pantheistische Richtung.


    Ist das noch epigonal?

  • Eine Volksweise als Thema zu nutzen halte ich natürlich nicht für epigonal, aber die Tonsprache eines anderen Komponisten zu imitieren (nicht einfach ein Zitat) schon. Und das Dvorák des öfteren gemacht - siehe Beispiele.

  • Ich habe das Werk (Musik zum Schauspiel „Schneeflöckchen“ op. 12 – von Ostrowski (1873)) auch eher zufällig entdeckt, aber schon das einleitende "Hou, hou, hou" der Waldnymphen erinnert sehr stark an Motive, die Tschaikowsky im Bühnenwerk verwendet hat...


    Ich hatte mir am Wochenende "Schneeflöckchen" noch einmal angehört und revidiere meine Aussage dahin gehend, als daß Dvorak zu Beginn der "Rusalka" in etwa eine Stimmung entwirft, die die Beginn von "Snegurochka" entspricht. Hier von plagiieren sprechen zu wollen hielte ich für nicht ganz zutreffend.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zu dieser Zeit war die Vertonung von Texten, die sich auf Volkssagen bezogen, sehr "IN" (Wagner, Mahler usw.) und auch "Geschichten", deren Inhalt uns heute zumindest seltsam berühren, wie auch diese*, waren gefragt (z. B. Opernlibretti für Pfitzner).


    So seltsam muten sie doch gar nicht an. Hätte Christopher Lee eine halbwegs passable Gesangsstimme besessen, gäbe es heute eine Hochzeitshemd-Version aus den Hammer Studios.


    Über Hochzeitsschwierigkeiten, von bösen Mächten bereitet, könnte man einen eigenen Thread eröffnen:


    Schneitzhoefers La Sylphide,
    Adams Giselle,
    Marschners Der Vampyr,
    Webers Freischütz,
    Dvořáks Geisterbraut und Rusalka
    Lortzings Undine
    Smetanas Die Teufelswand


    sind einige Beispiele dafür, wie die Geisterwelt mit uns armen Erdenwürmern umspringen kann.


    Und wer weiß, vielleicht stand sogar der Heiratsvermittler Kecal auf der Lohnliste der Hölle.

  • wie die Geisterwelt mit uns armen Erdenwürmern umspringen kann.


    Hallo hami1799,


    heute springen andere "Geisterwelten", die rechts recht lebendig sind, mit uns Armen - "Golde hängt..." - um (und wer da von vereinzelten Spinnern faselt, verkennt die latente Wirklichkeit gründlich).


    LG
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ein Abschnitt aus Smetanas Moldau hat das schwedische Volkslied "Ack värmeland, du sköna" (oder Israels Nationalhymne) zur Vorlage und wenn man boshaft sein will, ist es die Moll-Version von
    "Alle meine Entlein schwimmen auf dem See...".

    Oh, da wüsste ich gerne, wer hier eindeutige Quellen (also nicht die der wirklichen Moldau :) ) angeben kann. Ich dachte, der wahre Ursprung wäre ein "Gassenhauer" aus dem 16. Jahrhundert "La Montavana", der durch Giuseppe Cenci berühmt geworden ist. Soviel ich weiss, tauchte *Ack värmeland ..* im Jahre 1822 auf, die "Entchen" zwei Jahre später, also in Smetanas Geburtsjahr, in einem deutschen Gesangbuch. Da Smetana in Göteborg war, liegt *Ack värmeland* nahe; einerseits erwähnt er es aber in keinem mir bekannten Brief an Fröjda Benecke, andererseits stimmt das Metrum mit dem Lied nicht überein. Wenn aber jemand eine Quelle weiß, wo sich Smetana dazu äußert, würde es mich sehr freuen.

    Heiko Schröder
    Ahrensburg


    "Wer sich im Ton vergreift, sucht nur in den glücklichsten Fällen nach neuen Harmonien."

  • ... , was aber außerhalb der tschechishen Tradition steht.


    Ich empfinde auch sein Streichsextett als brahmsische Stilkopie. Das Werk ist nicht schlecht aber irgendwie "charakterlos".
    Das soll keine Brandrede gegen Dvorák sein - er ist meiner Lieblingskomponisten - aber er ist oft uneinheitlich in seiner Inspiration.

    Was meinen Sie mit "tschechischer Tradition"? Hat auch Janacek mit tschechischer Tradition gebrochen? Das Streichsextett eine brahmsische Stilkopie? Der zweite Satz eine Dumka, der dritte ein Furiant? Welchen Bezug hat denn Brahms zur tschechischen Volksmusik? Und inwiefern *charakterlos*? Hätte Simrock das Werk verlegt, wenn es eine Stilkopie gewesen wäre? Aber vielleicht haben Sie ein paar Ansätze, die mir bisher völlig entgangen sind. :) Und außerdem: Ein guter Komponist klaut etwas Gutes. Es soll keine Brandrede gegen Dvorak sein, das glaube ich; aber es wirkt ein wenig so. :)



    sehr unangnehm überrascht. Zwar gibt es jede Menge Dvorakscher Melodik, das Konzept der ganzen Kantate halte ich aber für schlichtweg schwach. Es ist fast erschreckend, wie Dvorák hier praktisch jedes dramatische Gespür fehlt: die Chorintermezzi sind schlapp, überlang und steigern sich nicht, der "Geist"/Tenor hat rein gar nichts abgründiges. Ein richtigen Höhepunkt habe ich in dem Werk nicht ausmachen können. Für mich ein drittrangiges Gelegenheitswerk.

    Ich kenne das Werk recht gut. Können Sie ein paar Hinweise geben, was sie als schwach empfinden? Soviel ich weiß, sollte es keine dramatische Kantate werden; aber die Supraphon-Aufnahme aus dem Jahre 1961 mit Krombholc halte ich für sehr dramatisch. Die Chorintermezzi sind überlang? Welches meinen Sie zum Beispiel?


    Die eher lyrische Kantate ist für meine Begriffe sehr gut proportioniert. Sie enthält mit "Hoj, ma panenko, tu jsem jiz" (Hei, mein Mädchen, hier bin ich schon) und dem dritten "Pekna noc, jasna - v tu dobu" (Die Nacht ist klar, um diese Zeit) zwei der schönsten lyrischen Perlen des Meisters. Der Bass hat eine sehr dankbare Aufgabe und die verbindenden Chorpartien zwischen den drei "Pekna noc" gehören für mich zu den besten Partien in Dvoraks gesamten Chorschaffen. Das schöne Werk verliert leider durch die zwei sehr ähnlichen "Pekna noc" etwas an Fahrt; aber allein das dritte rechtfertigt schon die Anschaffung. Ein zackiger Chor mit obligatem Bass ist auch "Ah tu, na dvere buh, buh, buh", die drittletzte Nummer. Der Sopran hat ebenfalls sehr dankbare Aufgaben: Die vorletzte Nummer "Jungfrau, Maria, steh mir bei" zum Beispiel.


    Was mich an Dvorak manchmal nervt ist die mitunter penetrante Verwendung von verbindenden Motiven (in diesem Falle wird das Motiv in leicht abgeänderter Fassung später in dem Zyklus Natur, Liebe und Leben wiederverwendet) oder -- wie im Falle von Rusalka (und erst recht in Cert a Kaca) -- von Leitmotiven. Hier ist Smetanas Kunst viel subtiler und feinnerviger. Die "Hochzeitshemden" können sich ganz gewiss nicht mit dem nachfolgenden Oratorium messen. Aber von einem drittklassigen Gelegenheitswerk zu sprechen ist doch ein ziemlich harter Tobak; zumal Dvorak selbst die Komposition als eine ansah, die "alle meine vorherigen übertrifft". Er hat sich nicht an den "Geschmack" des Publikums in Birmingham gehalten. Nein. Hat er das jemals getan? Das Stabat Mater war ebenso eine tschechische Komposition.



    "Hou, hou, hou" der Waldnymphen erinnert sehr stark an Motive, die Tschaikowsky im Bühnenwerk verwendet hat..

    Ich habe einen ganz anderen Vorschlag :) : Der Gesang der Rheintöchter ....


    Gruß Heiko

    Heiko Schröder
    Ahrensburg


    "Wer sich im Ton vergreift, sucht nur in den glücklichsten Fällen nach neuen Harmonien."

  • Hallo Heiko,


    wenn es Dir recht ist schreibe ich "Du", denn das ist hier so üblich.

    Was meinen Sie mit "tschechischer Tradition"? Hat auch Janacek mit tschechischer Tradition gebrochen? Das Streichsextett eine brahmsische Stilkopie? Der zweite Satz eine Dumka, der dritte ein Furiant? Welchen Bezug hat denn Brahms zur tschechischen Volksmusik? Und inwiefern *charakterlos*? Hätte Simrock das Werk verlegt, wenn es eine Stilkopie gewesen wäre? Aber vielleicht haben Sie ein paar Ansätze, die mir bisher völlig entgangen sind. :) Und außerdem: Ein guter Komponist klaut etwas Gutes. Es soll keine Brandrede gegen Dvorak sein, das glaube ich; aber es wirkt ein wenig so. :)

    Mit "tschechisher Tradition" meinte ich in diesemZusammenhang nichts anderes als dass die Tschechen überwiegend Katholiken sind/bzw. waren (Dvorák natürlich ganz sicher). Dvorák bedient sich aber in manchen seiner kirchlichen Kompositionen Elemente slawischer Kirchemusik (also ostslawischer Musik). Janácek als Russophiler hat natürlich auch bewusst nicht immer "tschechisch" komponiert.


    ad Streichsextett: eines der Hauptcharakteristika der Brahmsschen Tonsprache in der Kammermusik ist das Parallelführen der Violinen über einem "Bassfundament". Genau das - und zwar nur hier - findet sich auch über weite Strecken im Kopfsatz von Dvoráks Streichsextett. Schon bereits die ersten Takte sind tonsprachlich reiner Brahms. Der langsame Satz ist zwar eine Dumka hat aber die Bezeichnung "Poco allegretto", genauso wie der Finalsatz aus Brahmsens Streichsextett Op. 18. Klanglich ist der Dumkasatz dem aus Brahmsens Op. 18 sehr ähnlich - höre mal rein und achte auf das Pizzicato (in den Bratschen?). Die beiden letzten Sätze allerdings, so muss ich zugeben, klingen original nach Dvorák.



    Ich kenne das Werk recht gut. Können Sie ein paar Hinweise geben, was sie als schwach empfinden? Soviel ich weiß, sollte es keine dramatische Kantate werden; aber die Supraphon-Aufnahme aus dem Jahre 1961 mit Krombholc halte ich für sehr dramatisch. Die Chorintermezzi sind überlang? Welches meinen Sie zum Beispiel?


    Die eher lyrische Kantate ist für meine Begriffe sehr gut proportioniert. Sie enthält mit "Hoj, ma panenko, tu jsem jiz" (Hei, mein Mädchen, hier bin ich schon) und dem dritten "Pekna noc, jasna - v tu dobu" (Die Nacht ist klar, um diese Zeit) zwei der schönsten lyrischen Perlen des Meisters. Der Bass hat eine sehr dankbare Aufgabe und die verbindenden Chorpartien zwischen den drei "Pekna noc" gehören für mich zu den besten Partien in Dvoraks gesamten Chorschaffen. Das schöne Werk verliert leider durch die zwei sehr ähnlichen "Pekna noc" etwas an Fahrt; aber allein das dritte rechtfertigt schon die Anschaffung. Ein zackiger Chor mit obligatem Bass ist auch "Ah tu, na dvere buh, buh, buh", die drittletzte Nummer. Der Sopran hat ebenfalls sehr dankbare Aufgaben: Die vorletzte Nummer "Jungfrau, Maria, steh mir bei" zum Beispiel.

    Warum sollte das Werk nicht dramatisch sein, es enthält ja zahllose Dialoge? Im Aufbau ist die Ballade dem Erlkönig von Goethe nicht unähnlich. Vergleiche doch mal, wie Schubert in seiner Erlkönigvertonung mit jeder Strophe dringlicher wird! Hörst Du etwas ähnliches in der Geisterbraut? Ich nicht. Die Dialoge zwischen Tenor und Mädchen sind immer im selben Ton gehalten, die Chöre treiben die Handlung voran aber geben ebenfalls keine dramatischen Impulse. Für mich hat das Werk keinen erkennbaren Höhepunkt - wo wäre der deiner Meinung nach herauszuhören? Und weshalb ist die Kantate Deiner Meinung nach gut proportioniert? Ich halte sie für viel, viel zu lang. Mendelssohn schafft es, in seiner "Ersten Walpurgisnacht" in 30 Minuten ein viel größeres Spektrum an Stimmungen und Spannung zu integrieren.

  • Hallo Felix,


    natürlich bin ich mit dem "Du" sehr einverstanden. Mir war es als Neuling nicht ganz klar, dass es allgemein üblich ist. Ich antworte zunächst nur kurz, da ich mir erst einmal Mendelssohns Walpurgisnacht nach längerer Zeit wieder genau anhören muss. Vor allem ist mir momentan nicht klar, wie weit das vergleichbar ist.


    Es mag sein, dass ich von vornherein gar nicht so sehr auf "Höhepunkte" aus bin (nach einem Höhepunkt geht es doch immer abwärts, nicht wahr? ;) ). Sehr oft ist das Werk als Ganzes ein Höhepunkt. (Was würdest Du in Martinus Kantaten als Höhepunkt bezeichnen? Ist "Otvirani studanek" nicht ein einziger Höhepunkt?). Ich glaube, dass die (westliche?) Erwartungshaltung von Höhepunkten eine Problematik mit "slawischer" Musik überhaupt sein könnte. Sonst müsste zum Beispiel Rimski viel bekannter sein; und Tschaikovski ... na, ich will nichts Falsches sagen ;).


    Die lyrischen Höhepunkte hatte ich ja bereits genannt. Proportionen: Wunderbar schillernder Einleitungschor (der gewisse Ähnlichkeit mit der ersten Nummer der "Ludmilla" zeigt), mit dem in einem hellen Licht schillernden Schlusschor als Gegenstück. Ein Sopransolo mit lyrischer Entwicklung als zweite Nummer, das Gegenstück "Maria Panno" als vorletzte Nummer. "Hoj ma panenko" als Gegenstück dazu "A tu na dvere". Der Mittelteil mit den drei "Pekna noc", von denen das letzte eine der größten Eingebungen Dvoraks ist. Was die Nachteile mit "Pekna noc" sind, sagte ich schon. Und die verbindenden Chöre mit obligatem Bass hatte ich schon erwähnt. Ein zwiebelschalenartiger Aufbau. Es ist die Frage, was und eine gute Stunde -- ist das zu lang? Längenprobleme sehe ich viel eher in der "Ludmilla" und in dem Requiem (das "Te Deum" mag ich übrigens ganz und gar nicht). Gut, aber ich muss die Walpurgisnacht noch einmal hören; gebe gerne zu, dass das letzte Mal viel zu lange her ist.


    Gruß Heiko

    Heiko Schröder
    Ahrensburg


    "Wer sich im Ton vergreift, sucht nur in den glücklichsten Fällen nach neuen Harmonien."

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  • Naja, ich habe es schon gerne, wenn ein (meiner Meinung nach) dramatisches Werk (diese Ballade Erbens nämlich) einen Kulminationspunkt hat. Ich bin mir auch nicht so sicher, ob da eine "westliche Sichtweise" eine Rolle spielt, denn die Tschechen sind mindestens so westlich wie die Österreicher (bin aus Wien) - und zwar nicht nur geografisch. Böhmen war immer ein integraler Teil Mitteleuropas, in der Politik wie in der Kunst. Mit Russland hat Böhmen kaum mehr gemeinsam als Österreich mit Island. Ich denke eher, dass Dvorák schlichtweg Probleme hatte dramatisch zu gestalten. Seine Opern - ich kenne nur die Rusálka - sollen auch sehr schöne Stellen haben, dennoch haben sie bis dato nicht einmal die Tschechen überzeugt. Von der Geisterbraut und der Svatá Ludmila gibt es ja auch nicht gerade viele Aufnahmen - auch bei Supraphon nicht. Der Dvorák, den ich liebe ist jedenfalls der der Kammermusik und der Orchestermusik (und auch da eher die traditionellen Werke wie die Symphonien und Konzerte). Hier hat er Großartiges geleistet, bei seinen Vokalwerken bin ich mir nicht so sicher (die Messe ausgenommen).

  • Hallo Felix,


    Dramatische Gestaltung: Da stimme ich Dir zu; wobei wir sicherlich von der mir (eigentlich sympathischen) Russophilie von Janacek sicherlich absehen müssen. Bei Deinem zweiten Satz triffst Du für mich dem Nagel auf den Kopf: Dvorak ist keine Bühnennatur. Er ist kein dramatisches Talent. Und als Menschengestalter --- nun ja. Smetana steht mir da viel näher, das muss ich sagen. Janacek ebenfalls; wenn auch auf eine ganz andere Weise. Vielleicht klingt es etwas platt: aber Smetana macht selbst aus dem wartenden Mütterchen an der Bushaltestelle eine "dramatische" Figur im Sinne von "der Mensch allein ist Drama genug". Dvorak -- wenn ich mir das einmal anmaßen darf -- kann das nicht. Aber viele seiner Schöpfungen sind auf eine seltsame Weise einfach liebenswert. Und die Geisterbraut (aber ich beziehe mich dabei leider immer auf die alte Krombholc-Aufnahme) gehört für mich dazu.. Auch wenn ich sie nicht gerade als Hauptwerk bezeichnen würde.



    Opern: Habe im Herbst erst den "Jakobiner" im Narodni Divadlo gesehen. Kannte die Oper schon vorher, aber ich wollte wissen, wie sie auf der Bühne wirkt. Es ist in der Tat kein Vergleich zu Smetana. Die Partitur enthält für mich sogar einige sehr -- naja, "simple" Stellen. Manches ist aber umwerfend komisch, etwa die Musikprobe. Eine herrliche Szene, in der Dvorak seinen Mozart-liebenden Musiklehrer karikiert (und er selbst ja die schrullige Angewohnheit haben sollte, von seinen Schülern nur die Antwort "Mozart ist die Sonne" akzeptiert zu haben). Es gibt auch manch anderes Detail (zum Beispiel die einleitenden Chorszenen). Aber es sind eben einzelne Nummern; exotische Früchte, die in einem gewaltigen Obstsalat mit völlig verschiedenen Geschmacksrichtungen einfach untergehen. Smetana dagegen ist viel feinfühliger, kreiert ein in sich stimmiges Werk mit subtilster Leitmotivtechnik (jedenfalls in den späteren Opern) und ist Dvorak in der Menschengestaltung meiner Ansicht nach haushoch "überlegen". Auch Rusalka, die ich sehr liebe -- sie kann aber auch, was die Menschengestaltung betrifft, schwerlich mit Smetana oder Janacek mithalten. Die Nixenwelt dagegen hat Dvorak bezwingend gestaltet. Und es ist sicherlich auch dieser enge Naturbezug, der mich manchmal blendet (und ich lasse es gern zu). Dvorak ist für mich eine der liebenswertesten Erscheinungen der Musikgeschichte (und so weit ich Dich verstehe, für Dich auch). Über Größe mag ich eigentlich gar nicht reden, weil sich diese Erscheinung solch einer Diskussion bei mir entzieht.



    haben nicht einmal die Tschechen überzeugt: Hast Du diese Erfahrungen gemacht? Ich habe etwas andere. In Tschechien scheint (vor allem bei jungen Menschen) Dvorak einen recht unkritischen Zuspruch zu finden. Bei Erwachsenen habe ich Ähnliches beobachtet. Andererseits habe ich habe ziemlich merkwürdige Äußerungen über Smetana gehört, was sicherlich auf das sehr unrühmliche Wirken von Zdenek Nejedly zurückzuführen ist. Ziehst Du das Brett in der Wanne bei aufgestautem Wasser weg, schwappt es zur anderen Seite hoch Apropos Nejedly: Warst Du mal auf dem Vysehrad? Nejedlys Grab ist ein roter Stein (der einzige rote auf dem ganzen Friedhof), der auch noch von einer Eibe bedeckt ist. Kein Tscheche kann mir erzählen, dass das ein Zufall ist :) (Das Wort "Nejedly" heißt auf Deutsch "ungenießbar").


    es gibt nicht viele Aufnahmen: Na, von der Geisterbraut sicherlich einige. Aber mir hat bisher Krombholc am besten gefallen. Belohlavek (den ich eigentlich sehr schätze) langweilt mich ziemlich, muss ich sagen. Kammermusik unbedingt! Aber Tschechen führen das sehr selten als Erstes ins Feld, nach meiner Erfahrung.


    Orchestermusik: Da muss ich "jein" sagen, was mich betrifft. Die ersten vier Sinfonien, nun ja. Die meinst Du auch sicherlich nicht. Die fünfte liebe ich sehr, mag sie auch noch ein "Übergangswerk" sein. Was die Konzerte betrifft: Das Klavierkonzert halte ich für viel besser als sein Ruf. Das Violinkonzert gefällt mir sehr. Und ich habe auch eine Schwäche für das Cellokonzert, wobei ich mich aber ein wenig wundere, dass es immer so hoch gelobt wird. Vielleicht sollte doch zugegeben werden, dass der erste Satz nicht ganz frei von einigen Effekten ist; auch höre ich zum Beispiel keine Durchführung, so wunderbar die Themen auch sein mögen. Ich bilde mir ein, dass Dvorak, dass deutlich wird, dass Dvorak das Cello als Soloinstrument nicht mochte (was ich nicht verstehen kann).


    Ansonsten: "Zlaty Kolovrat, op. 109"; hier wurde schon viel Tinte vergossen. In Punkto: Das Werk eignet sich nicht zur Vertonung, und so weiter. Die Instrumentation und die märchenhafte Stimmung die Dvorak hier beschwört ... das ist einfach hinreißend für meine Begriffe. Das Vorurteil, dass Dvorak das Werk denjenigen Hörern nicht plausibel machen kann, die die Geschichte nicht kennen, ist für mich nicht richtig. Mit einer 7 Klasse habe ich mal einen entsprechenden Test gemacht. Ich habe Bauklötze gestaunt, as muss ich sagen. 27 Minuten eine 7 Klasse still zu halten ist kein Pappenstiel. Aber Dvorak hat das geschafft; und über die Musik hinaus mehr als überraschende Phantasieprodukte in den kleinen Köpfen freigesetzt. Auch Natur, Leben und Liebe ist für mich ein Meisterwerk vor dem Herrn, zumal mir sehr entgegenkommt, dass der Inhalt nur vage formuliert ist. Meiner Ansicht nach braucht den eigentlich kein Hörer.


    Geistliche Musik: Ups, und das "Stabat Mater" nennst Du nicht? Auch nicht die "Biblischen Lieder". Ich sehe es ein wenig anders. Dvoraks größte Gebiete sind Kammermusik und das geistliche Schaffen, mal abgesehen, dass er eine Universalität aufweist, wie nur wenige Komponisten. Was die Orchestermusik betrifft könnte ich manchmal in der Gestaltung der Form durchaus Vorbehalte verstehen. Ich erwähnte ja schon mal in einem anderen Beitrag Josef Suks "Asrael". Allen Ernstes -- man mag die Musik "mögen" oder nicht -- ich glaube, dass es Dvoraks Sinfonien nicht leicht haben, dieses Werk zu "übertreffen".


    Grüße von Heiko

    Heiko Schröder
    Ahrensburg


    "Wer sich im Ton vergreift, sucht nur in den glücklichsten Fällen nach neuen Harmonien."

  • Dvorak -- wenn ich mir das einmal anmaßen darf -- kann das nicht. Aber viele seiner Schöpfungen sind auf eine seltsame Weise einfach liebenswert.


    Dein Plädoyer für das Märchen aber auch, lieber Heiko, und mag Dvořáks Rusalka auch die subtile Menschengestaltung im Vergleich zu Smetanas Werken vermissen, so ist sie dennoch - oder gerade deswegen? - eine meiner Lieblingsopern.


    Und dazu noch Dvořáks Musik als Tranquilizer.
    Deine Erfahrungen mit der 7. Klasse sind ermunternd, jedenfalls für mich, weil mir selbst bisweilen das Denken den Weg zum Genießen verbaut.


    Was sagen denn die Tschechen Sonderbares über Smetana, den Schützling Nejedlýs?


    Meine eigene Erfahrung bei meinen leider allzu seltenen Besuchen in Prag sind geteilt, doch bin ich einige Male auf diesen unseligen Nationalismus gestoßen, der besonders im Zeitalter des Ruch, also im Dezennium nach 1870, die Tschechen erfasst hatte und wozu der politische Schwachkopf Franz Joseph I, dazu noch unterstützt von J G Herder, Friedrich Jahn, Friedrich Hebbels
    und nicht zuletzt Richard Wagner, wesentlich beigetragen hatte.


    Zwei massgebende Philosophen jener Zeit, Josef Durdík und Otakar Hostinský, beide Positivisten und Verfechter der Herbartschen Konzeption, machten die Gegensätze Dvořák - Smetana deutlich.


    Während Durdík das Wagnersche Gesamtkunstwerk ablehnte, war Hostinský, der es persönlich in München erlebte, davon begeistert. Hostinský erkannte auch, dass es sich vorzügich vor den Karren des Nationalismus spannen ließ und in Smetana sah er den tschechischen Vertreter des Wagnerschen Prinzips.


    Bezeichnend auch, dass der berüchtigten Fälschung, der Königinhofer Handschrift noch die Grünberger Handschrift folgte, die den historischen Anspruch der Tschechen auf ihr Land mit der Sage von Libuše legitimieren sollte.
    Smetanas Oper wurde auch folgerichtig 1881 zur Eröffnung des Nationaltheaters gegeben und, nach dessen Brand und Wiederaufbau, zur abermaligen Eröffnung 1883.


    Ironisch könnte man es nennen, dass der Hostinský-Schüler und spätere tschechische Kultusminister mit der Hostinský-Ästhetik die Idee des Kommunismus verfälschte.


    Freilich, frei von nationalistischer Begeisterung war auch Dvořák nicht, immerhin hatte er vier Texte aus der Königinhofer Handschrift als Lieder vertont.

  • Hallo Heiko,


    schön einmal mit einem wirklichen Dvorákliebhaber zu diskutieren! Ja, liebenswert ist Dvorák allemal, wir sollten nur nicht übertreiben und ihn verharmlosen. Sein Klavierquartett Es-Dur Op. 87 z.B halte ich für ein grandioses Meisterwerk und für eines der Spitzenwerke der Kammermusik im 19. Jahrhundert überhaupt - da ist nichts Harmloses dran.


    Ich hatte immer das Gefühl, dass Smetana in Tschechien viel beliebter ist als Dvorák, nicht zuletzt da Smetana der Begründer der tschechischen Nationaloper ist. Im Zeitalter des Nationalismus war es ja "überlebensnotwenig" eine eigene Opernkultur zu entwickeln. Weiters denke ich, dass bei den Tschechen nichts von Dvorák in puncto Beliebtheit Smetanas Moldau auch nur annähernd gleichkommt. Dvorák wurde bereits zu Lebzeiten sehr für seine Affinität zur deutschen Kunst und seinem vergleichsweise konservativen Stil angefeindet - von unumschränkter Verehrung wie sie die Finnen oder Polen ihren Nationalkomponisten entgegenbrigen, kann da keine Rede sein. Das Dvorák-Museum in Prag habe ich als sehr lieblos in Erinnerung.....
    Man muss zugeben, dass Dvorák nicht so innovativ wie Smetana oder Janácek war, aber für mich ist er der "Mozart der tschechischen Musik". Wer sonst hätte z.B diese Bläserserenade Op. 44 in d-moll schreiben können, wenn nicht Dvorák? Oder die Drobnosti Op. 75?

  • Hallo Felix, hallo hami,


    Ja, liebenswert ist Dvorák allemal, wir sollten nur nicht übertreiben und ihn verharmlosen. Sein Klavierquartett Es-Dur Op. 87 z.B halte ich für ein grandioses Meisterwerk und für eines der Spitzenwerke der Kammermusik im 19.ten Jahrhundert überhaupt - da ist nichts Harmloses dran.

    Ja, das macht mir auch Spaß, mit Euch zu diskutieren. Oh, ich bin weit davon entfernt, ihn zu verharmlosen. Stimme Dir mit op. 87 völlkommen zu. Meine erste eigene Dvorak-Platte, wo ich als Jungendlicher sozusagen selbst losgezogen bin, war op. 81. Das muss bei mir in einem Zuge mit dabei sein :) . Aber op. 87 ist leider viel zu selten im Konzert zu hören. Keine Frage: Die beiden halte ich für Spitzenwerke des 19. Jahrhunderts. Und weißt Du, was man leider auch viel zu wenig hört, und nach meiner Ansicht in die gleiche Kategorie gehört: Das Klaviertrio op. 65.


    Weiters denke ich, dass bei den Tschechen nichts von Dvorák in puncto Beliebtheit Smetanas Moldau auch nur annähernd gleichkommt.

    Das kann sein. Aber die "Moldau" hat sich auch ein wenig verselbständigt. Während meiner Zeit in Prag (und das ist auch die Antwort auf Deine Frage, hami) habe ich etliche Musiker und Komponisten Dvorak als größten tschechischen Meister reden hören. Selbst Rafael Kubelik hat ja auf eine entsprechende Frage so geantwortet (ich glaube, dass hatte ich schon mal irgendwo hier geschrieben; sorry, falls ich mich wiederhole). Allerdings, als die Frage nach Smetana kam, antwortete er: Smetana ist ein Halbgott. Sehr erstaunt bin ich bei der Gelegenheit immer wieder, dass die Opern des reifen Smetanastils nur allzuwenig bekannt sind. Als mir ein Komponist einmal mit "etwas Kitsch" kam, fragte ich ihn nach den gewaltigen Ensembleszenen in Tajemstvi (er kannte die Oper natürlich) --- und dann ein: "Ach ja, das stimmt schon, da hast du recht, usw." Daher glaube ich, hat das Ganze wohl mehr mit einem kulturpolitischen Problem zu tun, als dass es um die Musik geht.



    Dvorák wurde bereits zu Lebzeiten sehr für seine Affinität zur deutschen Kunst angefeindet

    Ja, aber auch Smetanas größter Wunsch bestand ja darin, von Deutschland anerkannt zu werden. Ich glaube kaum, dass er weniger "deutsch" als Dvorak war. Vielleicht am Ende seines Lebens, ja.



    Das Dvorák-Museum in Prag habe ich als sehr lieblos in Erinnerung.

    Ja, sehr. Und, Du glaubst es nicht, es gibt tatsächlich Tschechen, denen dieses Museum besser gefällt als das Smetana-Museum! Wie kann so etwas sein? Lieblos ist tatsächlich in Bezug auf das Dvorak-Museum der richtige Ausdruck. Ein übrigens sehr lohnendes Museum, das mit dem Prager Smetana-Museum um Ränge streiten kann, gilt Bohuslav Martinu in Policka, einschließlich Geburtsstube im Kirchturm. Ohnehin: Policka ist Klasse! Kein "aufregender" Ort, aber pikfein, wunderbar gelegen und sehr, sehr sympathisch (vom wirklich guten Bier für 14 Kc mal abgesehen).


    Gruss Heiko

    Heiko Schröder
    Ahrensburg


    "Wer sich im Ton vergreift, sucht nur in den glücklichsten Fällen nach neuen Harmonien."

  • a, das macht mir auch Spaß, mit Euch zu diskutieren. Oh, ich bin weit davon entfernt, ihn zu verharmlosen. Stimme Dir mit op. 87 völlkommen zu. Meine erste eigene Dvorak-Platte, wo ich als Jungendlicher sozusagen selbst losgezogen bin, war op. 81. Das muss bei mir in einem Zuge mit dabei sein :) . Aber op. 87 ist leider viel zu selten im Konzert zu hören. Keine Frage: Die beiden halte ich für Spitzenwerke des 19. Jahrhunderts. Und weißt Du, was man leider auch viel zu wenig hört, und nach meiner Ansicht in die gleiche Kategorie gehört: Das Klaviertrio op. 65.

    Da stimme ich vorbehaltlos zu. Op. 65 und 81 sind auf demselben Niveau, nur Op. 87 zeigt seine Schönheiten nicht gleich so offen aber - zumindest für mich - nachhaltiger. Aber keine Frage: Op. 65 und Op. 81 sind absolut genial und ich höre sie sehr oft. Sie gefallen mir besser als die Parallelwerke von Brahms - gilt auch für das Klavierquartett, das meiner Meinung nach das bedeutendste Klavierquartett überhaupt ist.



    Das kann sein. Aber die "Moldau" hat sich auch ein wenig verselbständigt. Während meiner Zeit in Prag (und das ist auch die Antwort auf Deine Frage, hami) habe ich etliche Musiker und Komponisten Dvorak als größten tschechischen Meister reden hören. Selbst Rafael Kubelik hat ja auf eine entsprechende Frage so geantwortet (ich glaube, dass hatte ich schon mal irgendwo hier geschrieben; sorry, falls ich mich wiederhole). Allerdings, als die Frage nach Smetana kam, antwortete er: Smetana ist ein Halbgott. Sehr erstaunt bin ich bei der Gelegenheit immer wieder, dass die Opern des reifen Smetanastils nur allzuwenig bekannt sind. Als mir ein Komponist einmal mit "etwas Kitsch" kam, fragte ich ihn nach den gewaltigen Ensembleszenen in Tajemstvi (er kannte die Oper natürlich) --- und dann ein: "Ach ja, das stimmt schon, da hast du recht, usw." Daher glaube ich, hat das Ganze wohl mehr mit einem kulturpolitischen Problem zu tun, als dass es um die Musik geht.

    Meine Stichprobengröße ist sicherlich kleiner als Deine, also wahrscheinlich hast Du recht. Allerdings ist mir aufgefallen, dass die Tschechen in Sachen Musik viel weniger verkrampft und national denken als manche andere. Mir hat schon ein Tscheche gesagt, Brahms sei ein viel größerer Komponist als Dvorák - was ich empört zurückgewiesen habe. Bei einem Russen könnte ich mir kaum vorstellen, dass er nicht Tschajkowskij über alles stellt.



    a, aber auch Smetanas größter Wunsch bestand ja darin, von Deutschland anerkannt zu werden. Ich glaube kaum, dass er weniger "deutsch" als Dvorak war. Vielleicht am Ende seines Lebens, ja.

    Smetana war aber auch eine Generation älter und konnte auf den deutschen Sprachraum noch weniger verzichten als Dvorák, da das tschechische Kulturleben, auch zwangsweise, zu diesem Zeitpunkt noch weniger entwickelt war als das deutsche. Leider hatte Smetana ja trotzdem keinen Erfolg, weshalb er ins schwedische Exil musste. Zudem war Smetanas erste Sprache ja Deutsch und er lernte erst im Erwachsenenalter flüssig Tschechisch zu sprechen und zu schreiben.

  • Lieber hami1799,


    hoffentlich gilt dieser Beitrag für mich nun als Musikbeitrag, denn nur solche Beiträge darf ich schreiben, also ich mach's kurz:


    Hast Du Dir meine Engangsbeiträge durchgelesen - vielleicht hätte ich besser schreiben sollen "der Inhalt, die Aussage des Textes" - so besser?


    LG
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler


  • Deine Anspielungen wirst Du zukünftig unterlassen, sonst wirst du ebenfalls und ohne weitere Ermahnung auf moderiert gesetzt!


    Norbert als Moderator

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


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