Alexander von Zemlinsky - Komponist zwischen den Zeiten ?

  • Alexander von Zemlinsky ist ein Komponist, der nicht als Erneuerer gilt, der schwer
    einzuordnen ist, dessen Namen so gut wie jeder Klassikfreund kennt – und dessen Werke dennoch eher wenig bekannt sind.
    Ich meine hier nicht namentlich - sondern vom Hören......


    Sein Adelstitel ist nach heutigem Wissensstand nicht echt – aber was bedeutet der heute schon ?


    Geboren 1871 in Wien, studierte er dort von 1885- 1892 am Konservatorium, Er fiel früh durch seine außergewöhnliche musikalische Begabung auf. Johannes Brahms, des sich als Zemlinskys Mentor anbot, machte ihn mit dem Verleger Simrock bekannt, mit Arnold Schönberg war er befreundet, und – nachdem dieser Zemlinskys Schwester geheiratet hatte – sogar verschwägert.


    Er unterrichte Arnold Schönberg kurze Zeit im Tonsatz. Eine weitere Schülerin war Alma Schindler (die spätere Alma Mahler) mit welcher er eine unglückliche Liebesbeziehung einging
    E.W. Korngold war ebenfalls ein Schüler Zemlinskys



    Waren die ersten Werke noch dem Vorbild Johannes Brahms verpflichtet, entwickelte Zemlinsky recht bald eine individuelle Tonsprache. Sein Stellenwert wurde in den verschiedenen Nachschlagewerken jedoch unterschiedlich gesehen. In einem Konzertführer aus Wien, 1975, wird ihm kein eigener Artikel eingeräumt- im "Harenberg" können wir nachlesen, dass Adorno ihn für eine der „denkwürdigsten Figuren seiner Generation“ hielt. Auch Schönberg, dessen Mentor der nur 3 Jahre älterere Zemlinsky war, schätzte ihn als Komponisten.


    Zemlinsky komponiert selbst nicht atonal, förderte aber die Wiener Schule durch seine Haltung ihr gegenüber. Vermutlich ist es diese Ambivalenz, welche lange Zeit die Verbreitung seiner Werke im grösseren Ausmaße verhinderte.


    Zemlinskys Schaffen umfasst etwa 30 Opuszahlen, seine Opern werden heute als seine eigentlichen Hauptwerke gesehen, jedoch gibt es auch Sinfonisches, wie die Lyrische Sinfonie op. 18 oder zwei Sinfonien aus 1892 und 1897, dazu noch die Streichquartette und Lieder.


    Zemlinsk war sowohl Komponist als auch Dirigent, 1900-1904 dirigierte er Operetten am Wiener Carl-Theater und am Theater an der Wien – bis er an die Wiener Volkoper wechselte, wo er seinerseits bis zu seinem Wechsel nach Prag, 1911 blieb. Seine Wirkungsstätte war dort „Das Neue Deutsche Theater“, wo er als Musikdirektor engagiert war. Er war als Dirigent sehr erfolgreich, was jedoch den Nebeneneffekt hatte, dass ihm wenig Zeit fürs Komponieren blieb. Dennoch entstand in dieser Zeit (1913-1915) sein 2. Streichquartett, dessen Widmungsträger Arnold Schönberg war.



    Ein Versuch nach dem ersten Weltkrieg nach Wien zurückzukehren, scheiterte – es gab keinen geeigneten Posten für ihn.
    1922 fand in Köln die Uraufführung von Zemlinskys „Der Zwerg“ unter Otto Klemperer statt. Dem Stück, nach einer literarischen Vorlage von Oscar Wilde („Der Geburtstag der Infantin“) war nur ein mäßiger Erfolg zuteil.


    Kurz danach folgte ein sinfonisches Werk, die „Lyrische Sinfonie.
    Zemlinskys nächster Wirkungsbereich war die Kroll-Oper in Berlin, ein Experimentierfeld für modernes Musiktheater, das jedoch unter ständiger Geldknappheit litt und 1931 geschlossen wurde. Das Arbeitsklima war für jüdische Künstler in Berlin schwierig geworden, und so übersiedelte Zemlinsky 1933 - einmal mehr – nach Wien.


    Inzwischen wurde seine ein Jahr zuvor vollendete Oper „Der Kreidekreis“ in Zürich uraufgeführt. Es gab positive Kritiken und - einen mäßigen Publikumserfolg.


    Die nächste große Oper „Der König Kandaules“ wurde 1935 komponiert.
    Als zu Weihnachten des gleichen Jahres Alban BERG starb, schrieb Zemlinsky aus diesem Anlass sein 4. Streichquartett.


    1938, nach dem Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich verließen Zemlinsky und seine (zweite) Frau das Land in Richtung USA. Zemlinsky litt unsäglich unter dieser Situation und war die erste Zeit seines USA-Aufenthalts nicht in der Lage zu dirigieren, weil seine Gesundheit geschwächt war. Er begann jedoch wieder zu komponieren. Die Oper „Circe“ war bereits bis zum 2. Akt gediehen, als ein Nervenzusammenbruch, ein Schlaganfall mit Lähmung und einige weitere Komplikationen das Komponieren vollkommen unmöglich machten. Nach mehreren Schlaanfällen starb Alexander Zemlinsky am
    15. 3. 1942 in Lachmont bei New York


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • viel zu spät beginnt/begann sich die Musik Zemlinskys "durchzusetzen". Eine Ursache ist sicher auch in seiner Emigration vor den Nazis 1938 nach den USA zu finden. Nach dem 2. Weltkrieg bis in die 70ziger wurde Zemlinsky selten aufgeführt...

    Zitat

    Als zu Weihnachten des gleichen Jahres Arnold Schönberg starb, schrieb Zemlinsky aus diesem Anlass sein 4. Streichquartett.


    LaSalle fing schon in den 60ziger Jahren sich für seine Quartette einzusetzen.


    Dass sein fetziges Opernmeisterwerk "Kleider machen Leute", dessen großartige Musik an Unambitioniertheit, schwermütiger Schönheit und Qualität ihresgleichen sucht, so selten gespielt wird, wirft ein extrem ungünstiges Licht auf den Opernbetrieb.
    Statt dessen werden einem qualitativ fragwürdige Werke wie z.B. "Capriccio", "Daphne" vorgesetzt....


    Ich halte die Musik Zemlinskys (und auch die Pftzners) der Straussschen weit überlegen...
    :hello:

  • Zitat

    Eine Ursache ist sicher auch in seiner Emigration vor den Nazis 1938 nach den USA zu finden. Nach dem 2. Weltkrieg bis in die 70ziger wurde Zemlinsky selten aufgeführt...


    Ich glaube nicht so recht an diese Ursache. Zumindest ist dieser Punkt nicht entscheidend.
    Man darf ja hier nicht ausser acht lassen, daß bei Komponisten - im Gegensatz zu Dichtern und Schauspielern die Sprachbarriere wegfälllt.
    Selbst wenn wir davon ausgehen, daß Zemlinsky in der NS- Zeit in Deutschalnd (und Österreich) nicht aufgeführt wurde, so stand ja einer Aufführung seiner Werke in anderen Ländern nichts im Wege. Aber von dieser Freiheit wurde kein Gebrauch gemacht. NACH dem Weltkrieg war es weltweit möglich Zemlinskys Werke aufzuführen - aber erneut geschah das kaum.


    Es herrschte ein gewisses Desinteresse, das wir bis heute sehen. Auch dieser Thread hat nur wenige Leute zum Mitlesen animiert - vom Schreiben rede ich an dieser Stelle erst gar nicht.


    Vielleicht kann an dieser Stelle wenigstens geklärt werden WARUM das so ist.


    Meine These dazu ist - und ich bestehe nicht darauf , zu behaupten daß sie stimmt:


    Zemlinsky war den Modernen zu konservativ und den Konservativen zu modern....



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Zemlinsky war den Modernen zu konservativ und den Konservativen zu modern....

    Da ist sicher was dran.


    Er hatte eben einen sehr persönlichen, unverwechselbaren Stil. Und genau das macht Ihn für mich so wertvoll.


    Er ist keinen Moden hinterhergerannt, gehörte keinem Kreis an, ist krank und einsam in New York gestorben.


    Seine Opern "Eine florentinische Tragödie" und "Der Zwerg" sind absolute Meisterwerke, die gleichrangig neben zahlreichen Richard Strauss-Opern stehen - nur eben im Ggs. zu diesen so gut wie nie aufgeführt werden. Eine Schande!


    Außerdem ist hier natürlich sein Geniestreich "Lyrische Sinfonie" zu nennen, auf die ich bei anderen Gelegenheiten schon oft hingewiesen habe, wo ich aber auch keine Reaktion erhalten habe.


    Es wirkt so, als ob Zemlinsky einfach ignoriert und bewußt übersehen wird. Mahler wird mittlerweile landauf landab gespielt, bis mans nicht mehr hören kann, aber von Zemlinsky keine Spur. Eine Ausnahme bildete da vor einigen Jahren der Doppelabend mit Florent.Trag./Zwerg an der Oper Frankfurt, der von Udo Samel ganz hervorragend inszeniert und von Paul Daniel ebenso exzellent dirigiert wurde. Hier habe ich gespürt, welch grandiose und tiefgründige bis abgründige Meisterwerke diese Opern sind. Hoffentlich werden sie nochmal wiederaufgenommen! Es wäre ihnen zu wünschen.


    Zemlinskys Themen sind unangenehm, sie treffen ins Herz der bürgerlichen Gesellschaft, entlarven ihre Kälte und Verlogenheit, ihre Äußerlichkeit und ihren Materialismus, stellen Außenseiter in den Mittelpunkt (so im Zwerg), beschäftigen sich mit Trennung, seelischem Schmerz, innerer Verzweiflung. Somit wirken seine Opern verstörend und verweigern sich dem Genuß. Dies scheint mir auch ein Grund dafür zu sein, daß Zemlinsky ignoriert wird.



    Agon

  • Nun sollte man nicht unterschlagen, dass Zemlinsky in den letzten 30 Jahren eine außerordentliche Renaissance erfahren hat. Es gibt inzwischen zwei oder drei Gesamtaufnahmen der Quartette (LaSalle, Artis, evtl. noch eine, jedenfalls Einzelaufnahmen) bestimmt ein halbes dutzend der lyrischen Sinfonie und auch die anderen Werke sind größtenteils eingespielt. Die Lyrische Sinfonie halte ich, zumindest auf Tonträger, inzwischen für ziemlich fest etabliert.


    Auch wenn an der Formel "Den Konservativen zu modern und den Modernen zu konservativ" ein wenig dran sein mag, ist es sicher nicht so einfach. Selbst wenn ein Konservativer wie Pfitzner zwischendurch nicht so in den Hintergrund gerückt war wie Zemlinsky, so ist er heute kaum beliebter oder häufiger aufgeführt. Erst recht gilt das für andere Zeitgenossen wie Schreker, Korngold usw. Andererseits war der spätere Hindemith der 1940er und 1950er ebenfalls den Modernen nicht modern genug usw., dennoch sind einige dieser Werke ziemlich populär. Für einen Komponisten seiner Generation ist Zemlinsky sicher progressiv, selbst wenn er sich der Avantgarde nicht angeschlossen hat.


    Der Opernbetrieb ist aus vielen Gründen sehr träge, und außer der Lyrischen Sinfonie sind wohl die Opern Zemlinskys Hauptwerke (Die Quartette halte ich auch für bedeutend, aber das ist ja ohnehin kein beliebtes Genre. Schulhoffs, Hartmanns oder Prokofieffs Quartette sind auch nicht bekannter.) Eine Sinfonie kann man eben mal ins Programm nehmen, Opern sind erheblich aufwendiger.
    Dazu kommt noch, dass z.B. die Florentinische Tragödie und Der Zwerg (das sind die einzigen, die ich bisher kenne) nur zusammen abendfüllend sind. Insgesamt ist dann aber recht lang (ich erinnere mich, wie ich beim Zwerg Konzentrationsschwierigkeiten hatte) und vermutlich im Verhältnis deutlich aufwendiger als viele Opern, die allein abendfüllend wären.
    Ich könnte mir aber vorstellen, dass sie im Repertoire Fuß fassen und wenigstens ab und zu gegeben werden. Es ist aber klar, dass es niemals "Reißer" wie Turandot oder Rosenkavalier werden.

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  • Zunächst mal sollten wir erwähnen, daß Zemlinskys "Lirische Sinfonie" wesentlich "konsumentenfreundlicher" ;) daherkommt, als das vermutlich allgemein angenommen wird.
    Ich habe mich mit Zemlinsky vor allem aus historischem Interesse befasst, und war ausgesprichen überrascht wie effektvoll und - ich neige dazu zu sagen "publikumswirksam" Zemlinsky orchestriert hat.


    Beginnen wir zunöchst zwei Aufnahmen des Werkes vorzustellen - hineinhören ist durch anklicken auf das jeweilige Cover möglich.



    Beide Aufnahmen sind gut besetzt, man könnte in einem Fall sogar sagen "superb" und die Tontechnik ist überzeugend.
    näheres zum Werk demnächst an dieser Stelle, so nicht eine anderes Tamino-Mitglied diese Aufgabe hier erledigt,.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Am 27.2.2011 gab es in der Bayerischen Staatsoper, München, eine Neuinszenierung "Der Zwerg", zusammen mit Ravels Einakter "l`Enfant et les Sortilèges". Da es in den gängigen Opernführern nur wenig oder gar nichts über Zemlinskys Werk zu lesen gibt, informierte ich mich in der Bayerischen Staatsbibliothek in musikwissenschaftlichen Werken und alten Programmheften anderer Opernhäuser und hörte mir in der Musikabteilung auch eine CD (Dirigent J. Conlon) an.


    Häufig war zu lesen, dass Zemlinsky ganz und gar nicht nur spätromantisch, gar "eklektizistisch" sei - nein, dass er seinen eigenen Stil habe etc. etc. Aber am Premierenabend mußte ich - natürlich "subjektiv" - feststellen, dass ich alle möglichen anderen Komponisten heraushörte, u.a. auch R. Wagner (was auch der Sänger des Zwerges in der Einführungsmatinee hervorhob). Ja und dann wurde ich auch - das soll jetzt wirklich nicht bösartig sein - an Hollywood-Filmmusik erinnert. War froh, als das Ganze vorbei war, zumal der Regisseur auch nicht mit Einfällen glänzte.


    Es war weder ein emotionales, noch ein intellektuelles Erlebnis. (im Idealfall sollte ja beides sogar zusammen eintreten). Und ich kann verstehen, dass Zemlinskys Opern (kenne die anderen Opernwerke allerdings nicht!) nicht zum Opernrepertoire gehören. Befürchte, dass für "Wiederentdeckung", gar "Wiedergutmachung" kein Anlass besteht.


    Bin mir allerdings bewußt, dass ich hier nur ziemlich naiv meine Eindrücke und meine Meinung wiedergebe. Bitte deshalb die Kenner und Experten um Nachsicht!

  • Zitat

    Häufig war zu lesen, dass Zemlinsky ganz und gar nicht nur spätromantisch, gar "eklektizistisch" sei - nein, dass er seinen eigenen Stil habe etc. etc. Aber am Premierenabend mußte ich - natürlich "subjektiv" - feststellen, dass ich alle möglichen anderen Komponisten heraushörte, u.a. auch R. Wagner (was auch der Sänger des Zwerges in der Einführungsmatinee hervorhob). Ja und dann wurde ich auch - das soll jetzt wirklich nicht bösartig sein - an Hollywood-Filmmusik erinnert.
    War froh, als das Ganze vorbei war, zumal der Regisseur auch nicht mit Einfällen glänzte.

    Ja, es ist wichtig diesen gegen Zemlinskys Musik gerichteten + in den Gazetten/Feuilleton bis zum Erbrechen repetierten dümmlichen Wortprügel "eklektizistisch" energisch zurückzuweisen.


    Zemlinkskys Musik kommt nicht mit auftrumpfend-selbstgefälligen Elan des mit sich selbst zufriedenen Erfolgskomponisten von Richard Strauss daher. Im Gegentum. In ihr ist – darin mit Mahler solidarisch – ein durchgehend gebrochener - man könnte auch sagen fatalistischer - Ton/Gestus gegenwärtig, bis in seine Quartette hinein. 100 % sicher ist daher, dass bei intensiver Beschäftigung mit Zemlinskys Musik die Assoziation mit sog. „Hollywoodmusik“ sich ganz von selbst auflöst.


    Zemlinskys Musik ist selbstverständlich völlig eigenständig in ihrer Sprache. Zur Neuen Wiener Schule (NWS) behielten seine Werke durchgehend die musikalische Distanz. Das mag auch ein Grund sein, dass er nach dem Ende der Nazizeit so wenig gespielt wurde. (Die NWS wurde zwar öfters gespielt, aber vom Publikum wenig geliebt, was nicht gerade fürs Pubklikum spricht) Vertreter der NWS schätzten Zemlinskys Musik. Alban Berg setzte Zemlinskys Lyrischer Sinfonie in seiner Lyrischen Suite mit einem schönen Zitat ein Denkmal.


    Für zeitgenössische Einflüsse war Zemlinskys Musik durchaus empfänglich, z.B. die Weillsche Sound im „Kreidekreis“. Mit diesem produktiven Einfluss gewinnt dieses Werk eine besondere + reizvolle Färbung (natürlich wäre auch ohne die Weillscher Färbung die Musik des "Kreidekreises" meisterlich).


    Für die grandiose Musik Zemlinskys, die qualitativ z.B. der von Janacek, Pfitzners, Debussys keinesfalls nachsteht, bedarf es feiner Ohren.
    :hello:

  • Nach einer aufwühlenden Orchestereinleitung setzt die "Lyrische Sinfonie" mit den Worten "Ich bin friedlos, ich bin durstig nach fernen Dingen, meine Seele schweift in Sehnsucht" des Bariton ein. Diese Worte des Dichters Rabindranath Tagore scheinen mir wie ein inneres Programm für Zemlinskys Leben und Kompositionen zu sein. Es geht hier um innere Kämpfe, Getriebenheit, Ruhelosigkeit, Unentschiedenheit, Ängste. Die beiden Protagonisten der Lyrischen Sinfonie, ein Sopran und ein Bariton, ein Liebespaar, gestehen sich ihre Liebe und kämpfen gleichzeitig um eine Trennung in "Vollendung", d.h. um eine Trennung die nicht den "Tod" bedeutet, sondern die "Vollendung" eines gemeinsamen Abschnitts. Wie Zemlinsky hier die Worte von Tagore vertont hat, finde ich unglaublich eindringlich und glaubwürdig. Alfred schreibt, daß die Sinfonie "publikumswirksamer" und "konsumentenfreundlicher" daherkommt, als "vermutlich allgemein angenommen wird". Ich kann diese Worte nicht wirklich nachvollziehen. Sicher hat man es hier nicht mit einer Schönbergschen "Erwartung" oder einem Bergschen "Wozzeck" zu tun, dies heißt aber bei weitem nicht, daß diese Musik leicht zu konsumieren ist und den Hörer nicht herausfordern würde. Zemlinsky schafft harte Kontraste und Einschnitte sowie heftige Stimmungswechsel, die durchaus eine Schockwirkung haben (natürlich nur für Hörer, die sich in die Zemlinskysche Klang- und Gefühlswelt einlassen können).
    Der Anmerkung von Amfortas08 über Zemlinskys Musik "In ihr ist – darin mit Mahler solidarisch – ein durchgehend gebrochener -
    man könnte auch sagen fatalistischer - Ton/Gestus gegenwärtig" ist absolut zuzustimmen. Schon von daher entzieht sich seine Musik dem einfachen Konsum und Genuß.
    Es ist Dirigenten wie Kent Nagano in allerhöchstem Maße anzurechnen, daß er sich kompromißlos für die Opern von Zemlinsky einsetzt und sich über die Ignoranz und den Widerwillen von abgestumpften und saturierten Opernbesuchern hinwegsetzt, um diese sensiblen und zerbrechlichen Werke aufzuführen.



    Agon

  • Seine Opern "Eine florentinische Tragödie" und "Der Zwerg" sind absolute Meisterwerke, die gleichrangig neben zahlreichen Richard Strauss-Opern stehen - nur eben im Ggs. zu diesen so gut wie nie aufgeführt werden. Eine Schande!


    Zu erinnern wäre hier an die Dresen-Inszenierungen in den frühen achtzigern an der Staatsoper Hamburg. Ich hatte dann irgendwann einmal den Zwerg tatsächlich im Fernsehen gesehen (wahrscheinlich 3sat) und habe mir dann quasi umgehend eine Karte besorgt. Dass muss dann allerdings schon in den neunzigern bei einer Wiederaufnahme gewesen sein. Leider sind meine alten Programmhefte im Rahmen eines Umzuges vollständig verlorengegangen, so dass ich nur noch Gert Albrecht am Pult zu erinnern meine.
    Wie gerne würde ich diese beiden Stücke mal wieder sehen, aber wenn es denn schonmal zwei Einakter hintereinander gibt, dann doch die vermeintlich wesentlich "publikumstauglicheren" Pagliacci und Cavallaria ...


    Erwähnenswert sicher auch James Conlon, der sich mit dem Gürzenich-Orchester und Einspielungen der Opern und Orchesterwerke sehr verdient gemacht hat.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

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  • Liebe Taminoianerinnen und Taminoianer,


    ich gestehe, zu der Lyrischen Sinfonie bisher noch keine Zugang gefunden zu haben.


    Dennoch: Sowohl die "Florentinische Tragödie" als auch der "Geburtstag der Infantin" sind großartige Kurzopern.


    Noch mehr möchte ich Euer Ohrenmerk auf sein zweites Streichquartett op. 15 (1913-1915) lenken, dessen Lob in diesem Klassikforum schon verschiedentlich gesungen wurde - man suche nach "Zemlinsky" und "Streichquartett".


    Etwa in diesen Einspielungen:



    Auch die alte Einspielung mit den LaSalles ist wieder bei Brillant greifbar (ursprünglich DG):



    Hochkomplexe, hochinteressante Musik. In dieser Zeit standen Streichquartette vielleicht nicht gerade hoch im Kurs, benachbart wären etwa Schönbergs 2. Quartett (1910) und Bartoks 2. Quartett (1915-1917), Reger hatte sein letztes Streichquartett 1911 geschrieben.

  • Ich möchte von den Opern wieder zurück zur "Lyrischen Sinfonie" - Eigentlich hatte ich ja mit dem Gedanken gespielt, Oper und Orchestral zu trennen, aber dann erschien mir das bei Zemlinsky doch zu gewagt.....


    Schon bei der Einleitung kam mir Mahlers "Lied von der Erde" in den Sinn, eine Assoziation, die offenbar auch die Autoren des Harenberg-Konzertführes hatten, wie ich nachträglich nachlesen konnte. Das ist umso bemerkenswerter, da ich ansonsten mit Ansichten aus diesem Nachschlagewerk meist auf Kollisionskurs bin....


    Die Ähnlichkeit ist nicht nur auf die Tatsache zurückszuführen, daß Lyrik fremder Kulturen verwendet wird, sondern auch auf den gesamten Charakter. Ich empfibnde Zemlinskys Musik etwas sperriger als jene von Gustav Mahler, die Gesamtwirkung wird indes dadurch icht beeinträchtigt.
    Egal ob einem die Musik gefällt oder nicht - sie wird einen vermutlich beeindrucken.
    Alban Berg zitierte ein Motiv daraus ("Du bist mein Eigen") in seinem zweiten Streichquartett....



    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Den beiden hoch kompetenten Beiträgen Agons mit ihren prägnanten Charakterisierungen von Zemlinskys Wesen und Kompositionsstil kann ich nur vollstens zustimmen!
    Es sei allerdings eine teilweise abweichende Meinung bezüglich eines Aspektes gestattet:

    Zitat

    Somit wirken seine Opern verstörend und verweigern sich dem Genuß.


    Ganz so ausschließlich verbittert, gebrochen und verstörend erscheint mir Zemlinskys Kunst denn doch nicht:
    Beispiele für das Schöne, Schwelgerische, verheißungsvoll Erotische, das Wunderbare, was den märchenhaften Ton Zemlinskys betrifft, gibt es eben auch in seinem reichhaltigen Oeuvre:


    Der Traumgörge - Oper in 2 Akten und 1 Nachspiel 1904-06
    6. Szene: Görge (am Ufer des Baches): Wer das verstünd', dein ewiges Rauschen - ...


    Eine florentinische Tragödie - Oper in 1 Aufzug, opus 16 1915/16
    Bianca: Komm mit dem jüngsten Frührot. Bis dahin ist mein ganzes Leben eitel. ...


    Der Zwerg - Oper in 1 Akt, opus 17 1920/21
    Der Zwerg: ... Wie schön es Abend wird! ...


    Und dann gibt es noch das Überbordende, Bombastische, Grandiose in Teilen von:


    Lyrische Symphonie in 7 Gesängen für Sopran, Bariton und Orchester, opus 18 1922


    Die Seejungfrau - Fantasie in 3 Sätzen für Orchester 1903
    2. Sehr bewegt, rauschend


    Aber, wie gesagt, sind diese unfassbar schönen und großartigen Augenblicke in Zemlinskys Stücken vergänglicher Natur - offenbaren tiefe Abgründe. Was darauf folgt, ist meist (nicht immer!) Enttäuschung, Schock und Desillusionierung:


    Der Zwerg - Oper in 1 Akt, opus 17 1920/21
    Infantin: Wohlan, du bist häßlich, ein Zwerg und verwachsen! Du bist so häßlich, daß du lachhaft wirst, du bist ein Scheusal, bist kein Mensch! Du bist greulich, daß es lachhaft wird! ...


    Von Zemlinsky ungeheuerlich fesselnd und bewegend vertont!


    :hello:
    Johannes

  • Das Erstaunliche an der Lyrischen Sinfonie finde ich nicht zuletzt, dass die Ähnlichkeiten mit dem mehr als 10 Jahre vorher komponierten Lied von der Erde eher äußerlich sind. Sie betreffen hauptsächlich die Besetzung und die Idee einer Fusion von Sinfonie und Liedzyklus. Es ist aber eine völlig eigene Stimmung und Klanglichkeit, die Zemlinsky erzeugt. Anders als Mahler (zumindest in den Sätzen 3-5) verzichtet Zemlinsky auch auf "oberflächlichen" Exotismus.

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  • In dieser Zeit standen Streichquartette vielleicht nicht gerade hoch im Kurs, benachbart wären etwa Schönbergs 2. Quartett (1910) und Bartoks 2. Quartett (1915-1917), Reger hatte sein letztes Streichquartett 1911 geschrieben.


    Ich glaube erstmal nicht, dass zwischen 1910 und 1920 Streichquartette nicht hoch in Kurs standen.
    Ich ergänze mal die Liste:


    1910 Lourié Streichquartett in Mikrotönen
    1910 Stanford 6. Streichquartett
    1910 Stenhammar 5. Streichquartett
    1910 Schönberg 2. Streichquartett
    1910 Berg Streichquartett op. 3
    1911 Webern 6 Bagatellen op. 9
    1911 Reger Streichquartett op. 121
    1911 Suk Streichquartett op. 31
    1912 Wellesz 1. Streichquartett
    1912 Milhaud 1. Streichquartett
    1912-13 Schoeck 1. Streichquartett
    1913 Kaminski Streichquartett F-Dur
    1913 Rosslawetz 1. Streichquartett
    1914 Strawinsky 3 Stücke für Streichquartett
    1914 Pijper 1. Streichquartett
    1915 Lourié 1. Streichquartett
    1913-15 Zemlinsky 2. Streichquartett
    1914-15 Bridge 2. Streichquartett
    1914-15 Milhaud 2. Streichquartett
    1915 Hindemith 1. Streichquartett
    1915 Villa-Lobos 2.Streichquartett
    1916 Delius Streichquartett
    1916 Stenhammar 6. Streichquartett
    1915-16 Wellesz 2. Streichquartett
    1916 Wetz 1. Streichquartett
    1916 Bloch 1. Streichquartett
    1916 Jarnach Streichquartett
    1916 Milhaud 3. Streichquartett
    1915-17 Cowell Quartet Romantic
    1915-17 Bartók 2. Streichquartett
    1917 Szymanowsky 1. Streichquartett
    1917 Kodaly 2. Streichquartett op. 10
    1917 Villa-Lobos 3. Streichquartett
    1917 Villa-Lobos 4. Streichquartett
    1917 Honegger 1. Streichquartett
    1918 Milhaud 4. Streichquartett
    1918 Hindemith 2. Streichquartett
    1918 Martinu 1. Streichquartett
    1918 Wellesz 3. Streichquartett
    1918 Atterberg 2. Streichquartett
    1918 Saint-Saens 2. Streichquartett
    1918 Elgar Streichquartett op. 83
    1918 Bax 1. Streichquartett
    1919 Stanford 7. Streichquartett
    1919 Stanford 8. Streichquartett
    1919 Nielsen 4. Streichquartett
    1916-19 Cowell Quartet Euphometric
    1919 Hàba 1. Streichquartett op. 4
    1920 Hàba 2. Streichquartett op. 7
    1920 Humperdinck Streichquartett C-Dur
    1920(?) Kienzl 2. Streichquartett
    1916-20 Enescu 1. Streichquartett
    1920 Wellesz 4. Streichquartett
    1920 Milhaud 5. Streichquartett
    1920 Hindemith 3. Streichquartett
    1920 Casella 5 Stücke für Streichquartett
    1920 Malipiero 1. Streichquartett


    Nicht finden konnte ich die Entstehungsdaten der Schnabel-Streichquartette ...


    Man findet alles von Spätromantik (Elgar, Stanford, Kienzl, Humperdinck, Saint-Saens, etc.) bis Ultramodern (Schönberg, Webern, Cowell, Mikrointervallik bei Lourié, Hàba) und die späteren Neoklassizisten haben sich auch nicht zurückgehalten (Strawinsky, Hindemith, Honegger, vor allem Milhaud) - auch die berühmten Komponisten von Regionen, die man erstmal nicht im Blick hat, waren den Streichquartetten nicht abhold: Pijper in den Niederlanden, Villa-Lobos in Brasilien.
    :hello:

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  • Lieber Kurzstückmeister,


    danke für Deine imposante Liste! Wenn man nur intensiv sucht, findet man vermutlich noch deutlich mehr Streichquartette aus der zweiten Dekade des vergangenen Jahrhunderts.


    Ich habe mich allerdings nicht sehr klar ausgedrückt. Was aus Deiner Liste hat überlebt in dem Sinne, dass es auf Konzertprogrammen und CDs mehr als eine Außenseiterrolle spielt? Bartoks 2. ist nicht unbedingt sein populärstes, am ehesten sind vielleicht noch die Werke Bergs, Weberns und Hindemiths vertreten.


    Es ist natürlich auch richtig, dass man in dieser Dekade alle möglichen Kompositionsstile findet, sowohl rückwärts orientiertes als auch hochgradig progressives - mit allen Abstufungen.

  • Zitat

    Anders als Mahler (zumindest in den Sätzen 3-5) verzichtet Zemlinsky auch auf "oberflächlichen" Exotismus.


    Lieber Johannes, die Einschränkung "zumindest in den Sätzen 3-5" ist meines Erachtens wichtig, denn gerade der Effektvolle Beginn setzt diesen Kunstkniff des Exotismus unterschwellig ein - wogegen ja auch nichts einzuwenden wäre. Immerhin hat gerade dieser Beginn mich dazu ermuntert weiter zu hören.


    Natürlich ist es so, daß die Ähnlichkeit zu Mahlers "Lied von der Erde" eine eher oberflächliche ist, vielleicht verschwindet sie nach oftmaliem Hören letztlich sogar ganz. Es liegt nun mal in der Natur des Menschen, daß er einreihen und katalogisieren, bzw sich orientieren will. Das funktioniert für den Einstieg am Besten, wenn man Unbekanntes mit Bekanntem vergleicht, bis man eines Tages die "Krücke" nicht mehr benötigt und sich vielleicht sogar ob des unangebrachten Vergleiches wundert....


    Kurz noch ein Abstecher zur Oper "Der Zwerg".
    Der Inhalt der Oper stammt von Oskar Wilde, bzw gibt den Inhalt seine Werkes "Der Geburtstag der Infantin" wieder.
    Inhaltsangabe findet man unter anderem im Tamino Opernführer. Wilde seinersets wurde zu der frei erfundenen Story durch ein Bild von Velazques inspiriert.


    Die EMI CD-Aufnahme unter James Conlon ist offenbar bereits wieder gestrichen



    Es existiert jedoch eine DVD (auch als Blue Ray verfügbar) über deren szenische Gestaltung ich nichts sagen kann,da ich sie nicht kenne....




    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Johannes, die Einschränkung "zumindest in den Sätzen 3-5" ist meines Erachtens wichtig, denn gerade der effektvolle Beginn setzt diesen Kunstkniff des Exotismus unterschwellig ein - wogegen ja auch nichts einzuwenden wäre. Immerhin hat gerade dieser Begiin mich dazu ermuntert weiterzuhören.


    Sätze 3-5 hatte ich auf Mahlers Lied von der Erde bezogen. Besonders der "Pavillon aus Porzellan", aber auch der Jadestaub-Herbstnebel usw. sind schon "chinesisch" angehauchte Genrestücke. Dagegen klingt doch Zemlinsky nirgendwo "indisch", oder? Das prominente Anfangsmotiv erinnert mich eher an Wagner? als an Exotismus. Hier könnte man auch eine Nähe zu dem "Hornsignal" im ersten Lied des LvdE feststellen.
    Es mag auch an den Texten liegen. Bethges Nachdichtungen zeigen stärker den Hang zur Chinoiserie als die Übersetzungen der Tagore-Lyrik.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)



  • Wundervolle Entdeckungen kann man auch bei den Liedern machen!


    Die Aufnahmen von Cord Garben sind großartig gelungen.


    Und sie kosten zur Zeit gerade mal einen Appel und nen Ei!

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

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  • Zitat

    Ganz so ausschließlich verbittert, gebrochen und verstörend erscheint mir Zemlinskys Kunst denn doch nicht:


    Beispiele für das Schöne, Schwelgerische, verheißungsvoll
    Erotische, das Wunderbare, was den märchenhaften Ton Zemlinskys
    betrifft, gibt es eben auch in seinem reichhaltigen Oeuvre:

    Mein lieber Guercoeur,


    zunächst einmal herzlichen Dank für Deine anerkennenden Worte zu meinen beiden Beiträgen. Das ermutigt mich sehr.


    Und natürlich hast Du mit Deiner oben zitierten Anmerkung recht, daß Zemlisnky nicht ausschließlich den Verbitterten und Gebrochenen gibt, sondern, gerade in der "Seejungfrau" einen unglaublich schwelgerischen, leidenschaftlichen und klangsinnlichen Tonfall anschlägt, der dieser märchenhaften Phantasie absolut gerecht wird.
    Ich nehme stark an, daß Zemlinsky durch die Flucht in diese märchenhaften Stoffe auch so etwas wie innere Ruhe und Ablenkung gefunden hat. Die "Seejungfrau" erlebe ich als nahezu einziges seiner Werke als nicht psychisch aufwühlend. Die "Lyrische Sinfonie" hat mich hingegen sofort schockiert und umgehauen. Es war die Aufnahme mit dem SWRSO unter Michael Gielen, der ich diesen Schock "verdanke". Daraufhin folgte eine tiefe Auseinandersetzung mit diesem Werk. Besonders der letzte Abschnitt des Baritons hatte es mir angetan. Die Worte "Friede, mein Herz, lass die Zeit für das Scheiden süß sein. Lass es nicht einen Tod sein, sondern Vollendung. Lass Liebe in Erinn'rung schmelzen und Schmerz in Lieder. Lass die letzte Berührung deiner Hände sanft sein wie die Blume der Nacht. Steh still, steh still, o wundervolles Ende, für einen Augenblick und sage deine letzten Worte in Schweigen. Ich neige mich vor dir, ich halte meine Lampe in die Höhe, um dir auf deinen Weg zu leuchten."
    Mit einer trocken-akademischen Sichtweise läßt sich die Wirkung dieser Worte in Verbindung mit Zemlinskys Musik nicht beschreiben. Man muß es erfühlen und verinnerlichen.



    Agon

  • Tatsächlich kann ich die auf den ersten Blick naheliegende Assoziation zu Mahler und seinem "Lied von der Erde" nur bedingt teilen. Vielmehr gemahnt mich die Orchestereinleitung mit ihrem chinesisch anmutenden Hauptthema eher an den Beginn von Puccinis "Turandot". Bedenkt man jedoch, dass der zugrunde liegende Text wohl eher dem indischen Kulturkreis zuzuordnen ist, stellt sich unmittelbar die Frage, worauf es Zemlinsky hier wirklich ankam? Was wollte er auf musikalischem Wege eigentlich ausdrücken bzw. erreichen?


    Ich denke, dass es Zemlinsky nicht darum ging, ein originär "chinesisches" oder "indisches" Thema zu komponieren. Es genügte vielleicht, wenn es auf den Zuhörer ausreichend exotisch und doch einprägsam wirkte - vergessen wir nicht, dass wir uns bei der Uraufführung im Jahr 1924 befinden und der "gemeine" westeuropäische Zuhörer vermutlich zwar eine genaue Vorstellung, aber nur ein sehr rudimentäres Wissen darüber hatte, wie Musik aus dem fernen Osten klingt ...
    Wirklich interessant ist dann die weitere Behandlung dieses in der Einleitung verwendeten Themas. Es erklingt am Schluß des ersten Liedes nocheinmal sehr verhalten und verweist dabei bereits auf den Schluß des vorletzten Liedes. Dort wird das Thema wieder aufgegriffen und erneut zu einer Orchestereinleitung diesesmal für das letzte Lied aufgebaut. Beide Einleitungen - die zum ersten und die zum letzten Lied - sind übrigens mit ca. zwei Minuten etwa gleichlang. Ich sehe hier also ein Art musikalischer Klammer, welche gleichzeitig die Entwicklung von "Ich bin friedlos" zu "Friede, mein Herz" wiederspiegelt.


    Zwischen diesen beiden Eckpunkten empfinde ich mit den Liedern 3 - 6 eine Art Liebesduett, deren Tonsprache mich sehr oft an Strauss "Salome" denken läßt. Einen mahlerschen Klang vermeine ich dann erst im letzten Lied zu vernehmen. Auch der Schluß, die Musik ersterbend, findet sich in der einen oder anderen Symphonie Mahlers.


    Bis jetzt wenig zugänglich ist für mich das zweite Lied "Mutter, der junge Prinz ...". Einerseits fällt es m.E. inhaltlich aus dem Kontext, da es eine durchaus konkrete Geschichte erzählt, während die anderen Lieder insofern abstrakt sind, als dass sie nicht die wirkliche, sondern die Gefühlswelt darstellen. Andererseits scheint mir dieses Lied auch von der Instrumentierung und dem verwendeten Material "anders" zu klingen.


    Auf jeden Fall und trotz meiner Assoziationen - nach denen ich vielleicht auch bewußt im Sinne der von Alfred so genannten "Krücke" gesucht habe - zu Puccini, Strauss und schließlich doch auch Mahler sehe ich die Lyrische Symphonie ohne Frage als ein absolut eigenständiges und hochspannendes Werk, welches leider viel zu wenig Beachtung um täglichen Repertoire findet.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Was soll an dem "Leitmotiv" chinesisch oder indisch sein? (Es gibt noch zwei oder drei weitere Motive, die mehrmals wiederkehren, so auch das "Du bist mein Eigen" aus dem 3. Lied. Mit diesen motivischen Verklammerungen hast Du jedenfalls recht.)
    Den angeblichen Exotismus kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Auch die Texte sind ja nicht explizit indisch, anders als beim LvdE (dort jedenfalls in den mittleren Liedern).
    Es fehlen bei Zemlinsky, darin besteht für mich ein deutlicher Stimmungsunterschied zu Mahler "scherzando"-Sätze (wie 3-5 im LvdE). Vom Tempo würde höchstens der 2. Satz passen, der ist für mich aber zu "hysterisch" im Charakter. Selbst wenn der Schlußsatz versöhnlicher? ist als bei Mahler wirkt das Stück insgesamt daher auf mich dunkler und düsterer als das LvdE.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • In diesem Thread ist bisher ein lebhafter Meinungsaustausch erfolgt, in dem viel Kluges und Zutreffendes über Zemlinsky
    geschrieben wurde..


    Ich stieß in diesen Tagen auf die Äußerung eines Berufenen und Kompetenten zu unserem Thema, nämlich Arnold Schönberg.
    Ich möchte sie Euch nicht vorenthalten. Er bekannte 1949:


    "Alexander von Zemlinsky (...) ist derjenige, dem ich fast all mein Wissen um die Technik und die Probleme des Komponierens verdanke. Ich habe immer fest geglaubt, daß er ein großer Komponist war, und ich glaube noch immer fest daran. Möglicherweise wird seine Zeit früher kommen, als man denkt."


    Am 8., 10. und 11. April 2011 kann man in der Düsseldorfer Tonhalle ein Werk von Zemlinsky live erleben. Die Düsseldorfer Symphoniker spielen unter der Leitung ihres GMD Andrey Boreyko die Symphonische Dichtung "Die Seejungfrau". Außerdem stehen auf dem Programm Schrekers "Vom ewigen Leben" und Lieder und Duett aus "Des Knaben Wunderhorn" von Mahler. Eine - wie ich finde - sehr gute Zusammenstellung.


    LG
    Portator

  • Andrey Boreyko ist ein Dirigent, den ich aus meiner Jenaer Zeit noch sehr gut in Erinnerung habe. Er war damals (1997-99) Chefdirigent der Jenaer Philharmonie und hat für einige außergewöhnliche Konzertereignisse mit diesem hervorragenden, aber leider relativ unbekannten, Orchester gesorgt. Ich erinnere mich an eine bombastische Fünfte von Prokofiev, die das arme Volkshaus fast zersprengt hätte, eine irrwitzige Carmen-Suite von Schtschedrin sowie das Erste Klavierkonzert von Tchaikovsky mit Lazar Berman, sicher einer seiner letzten Auftritte. Kurzum: Andrey Boreykos Konzerte sind immer einen Besuch wert, so sicherlich auch bei dieser "Seejungfrau". Wäre ich in Düsseldorf, würde ich mit Sicherheit in dieses Konzert gehen. Viel Vergnügen!



    Agon

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  • Wie Agon schon vorhersagte, war die Aufführung der "Seejungfrau" durch die Düsseldorfer Symphoniker unter Andrey Boreyko ein wahres Klangerlebnis. Das Orchester hatte dieses sinnliche und leidenschaftliche Werk nie zuvor gespielt. Boreyko hat seine Symphoniker so gut darauf vorbereitet, dass sie sich in Bestform darstellten. Das Werk gelang sehr farbig und stimmungsvoll, wobei ein neu zum Orchester gekommener Konzertmeister mit fein ziselierten Solostellen positiv auffiel.
    Insgesamt ein großer Genuss ohne psychisch zu bedrängen, wie sonst oft bei Zemlinsky.

  • Ich war heute da, Portator. Eine höchstens zu zwei Dritteln (gefühlt) volle Tonhalle - schade! Das Programm hätte ein volles Haus verdient gehabt.


    Ich war auch begeistert. Eine Weile habe ich zu Boreyko keinen rechten Zugang gefunden, aber sein Dvorak neulich und sein Mahler und Zemlinsky heute - das war großes Dirigat. Und auf ihre Bläser können die Düsseldorfer wahrhaft stolz sein.

  • Das Märchen von der Seejungfrau/Undine/Rusalka hat mehrere Komponisten zu außergewöhnlicher Musik inspiriert. Man denke nur an Dvoraks oder Lortzings Oper. Zemlinsky hat zu der Version von Hans-Christian Andersen, die das Fabelwesen im Meer statt im See verortet, eine symphonische Fantasie komponiert. Diese ist eine der genialen um die Jahrhundertwende entstandenen Kompositionen, bei der das spätromantische Orchester noch einmal in allen Farben aufblühen darf. Die Uraufführung fand 1903 gemeinsam mit Schönbergs "Pelleas und Melisande" statt, eine denkbar ungünstige Kombination, die beim Publikum auch voll durchfiel. Zemlinsky war darauf so frustriert, dass er das Werk zurückzog und es bis 1984 als verschollen galt. Was wäre das für ein Verlust gewesen.
    Nun zum Glück gibt es das Werk und obwohl das Schönberg-Werk und Zemlinskys spätere Lyrische Symphonie allgemein als bedeutendere Werke gelten, habe ich für die vertonte Fabel eine besondere Zuneigung entwickelt, so dass ich sie persönlich höher einschätze als die beiden anderen Werke.
    Bisher kannte ich die Einspielung unter Riccardo Chailly und habe mir - nach mehreren sehr positiven Rezensionen auch noch die Aufnahme unter Thomas Dausgaard gegönnt, was - wie ich inzwischen weiss - kein Fehler war.


  • Alexander von Zemlinsky starb am 15. März 1942. Auch dafür habe ich, wie bei Halvorsen, eine kammermusikalische CD mitgebracht:


    Heute ist Zemlinskys 73. Todestag.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Da ich eher wenig mit Klavierliedern aber viel mit Orchesterliedern anfangen kann, freue ich immer wieder über Transkriptionen von Klavierliedern fürs große Orchester speziell wenn sie in der Übergangsphase von der Spätromantik zur Moderne also im zeitlichen Umfeld von Gustav Mahler entstanden sind. Ondine hat kürzlich eine CD herausgebracht, auf der 7 frühe Lieder von Alexander von Zemlinsky in der Bearbeitung für Orchester durch den österreichischen Komponisten Richard Dürner zu hören sind. Daneben gibt es auch noch eine Kammerorchester-Version des gewichtige Streichquartett Nr. 2 vom gleichen "Team". Das kommt auf die nächste Bestellliste.

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