Legenden auf dem Prüfstand: Beethovens neun Symphonien unter Karajan (1961/62)


  • Zwischen Dezember 1961 (1. Symphonie) und November 1962 (3., 4. und 9. Symphonie) nahm Herbert von Karajan, damals seit kurzem neuer Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, alle neun Beethoven-Symphonien für die Deutsche Grammophon Gesellschaft erstmals in Stereo im Studio auf. Bereits 1951–1955 entstand ein solcher Zyklus bei EMI, allerdings noch in Mono. Und obwohl bereits der erste Stereo-Zyklus eine auch heute noch beeindruckende Tonqualität aufweist (er liegt sogar in SACD-Version vor), entschloß man sich bei der DG, das ganze Projekt noch dreimal (!) zu wiederholen: 1967–1972 in verfilmter Form (heute auf DVD erhältlich), 1975–1977 ein letztes Mal analog und schließlich 1982–1984 erstmals digital. Der legendärste all dieser Zyklen ist aber mit einiger Sicherheit der aus den frühen 60er Jahren, der nicht wenigen insgesamt auch als der beste gilt.


    Der vielfach geäußerte Vorwurf der Kritiker, Karajans Stil wäre glattgebügelt und auf Schönklang ausgelegt, trifft zumindest auf den frühen Stereo-Zyklus nur schwerlich zu. Man merkt vielmehr die Jahrzehnte lange Prägung der Berliner durch Furtwängler noch immer. Bösen Zungen könnten nun freilich behaupten, Karajan hatte das BPO Anfang der 60er noch nicht "versaut" und ihm sein Klangideal aufgezwungen. Wie dem auch sei: Das Ergebnis spricht m. E. für sich, die Einspielung darf nach fast einem halben Jahrhundert auch heute noch einen Platz unter den gelungensten Gesamtaufnahmen der Beerthoven'schen Symphonien beanspruchen.


    LG
    Joseph
    :hello:


    LEGAPS

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Für mich ist der 1961/62er Zyklus nach wie vor der klassische Beethoven-Zyklus. Alles ist an seinem Platz, alles passt. (Eventuell fehlen ein paar Wiederholungen.) Abzüge gibt es höchstens für die Pastorale, die zu wenig entspannt daher kommt. Höhepunkt sind vielleicht die Fünfte sowie eine großartige Neunte, die einen großen Zyklus krönt; vielleicht nur übertroffen von der 1977er Version.


    Mit dieser Box - die seinerzeit auch nur als Box verkauft wurde! - haben unsere Eltern Beethoven kennen gelernt. Vier Superlative: Karajan, Stereo, Berliner Philharmoniker, Beethoven (vermutlich auch in dieser Reihenfolge). Kann mit HIP mühelos standhalten. Heute noch so gut wie damals - das ist der Unterschied zu anderen sogenannten Legenden wie Böhms Mozart, und das trennt halt die Spreu vom Weizen. (Alle Böhm-Fans mögen mir verzeihen ... :hello: )

  • Ich bin mit diesem Zyklus sozusagen groß geworden, ging in die Mittelstufe des Gymnasiums und hatte an meinem Gymnasialort ein Elektrogeschäft mit Schallplattenabteilung (2 separate Hörräume).
    Dort konnte ich mit Kopfhörer auf einem guten Plattenspieler mit dem damals verbreiteten Abtastsystem von Shure die Symphonien, die als Subskription successive erschienen, ausgiebig probehören. In der Tat musste man sich zum Kauf der ganzen Box für damals 175,00 DM (7LP's) verpflichten, und das fiel mir als "armem" Schüler sehr schwer, und so verabredete ich mit dem Händler Teilzahlung, nahm dann aber nach Erscheinen der Neunten eine ganz fabrikneue Box mit nach Hause.
    Natürlich hatte ich keine Vergleichsmöglichkeiten, aber mir gefielen die Aufnahmen auf Anhieb, vor allem die Zweite, Vierte, Fünfte und Neunte.
    Ich hatte auch etwas zu kritisieren, z.B. spielte Karajan die bläserchoralartige Variation gegen Ende des Finales der Dritten zu langsam (vergleichbar etwa mit dem Tempo des Variationenkopfsatzes der Mozartschen A-dur-Sonate bei Glenn Gould), aber das wurde durch Highlights dieser Gesamtaufnahme mehr als wett gemacht.
    Heute habe ich nun so viele Gesamtaufnahmen kennen gelernt und noch immer hält sich die erste Karajan-Version bei mir wacker auf dem Treppchen, allerdins ist dieses inzwischen etwas breiter geworden.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Ein etwa zeitgleicher Kontrahent, der seinerzeit wohl im Jubel über die Karajan-Aufnahmen unterging, lange Jahre eher Kennern vorbehalten war und erst jüngst eine Renaissance erfährt, ist der Zyklus von René Leibowitz von 1961. Über dessen Qualitäten wurde bereits in hinreichendem Maße berichtet. Der metronomgenaue Umgang mit den Werken in einer Gesamtausgabe aller neun Symphonien war damals neben Toscanini vermutlich der einzige erhältliche. Einzelaufnahmen von E. Kleiber von Anfang bis Mitte der 50er gediehen ja nie zur Gesamtaufnahme. Jedenfalls scheint Leibowitz von Anfang an im Schatten Karajans gestanden zu haben, was sich erst seit der allgemeinen leichten Zugänglichkeit qua CD-Veröffentlichung etwas abmildert.

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  • Es gab zeitgleich schon mehrere Zyklen der Beethovensinfonien, die aber alle nicht als "Gesamtkunstwerk" angelegt waren wie der von von Karajan. Leibowitz, den Du, lieber Joseph gerade erwähntest, erschien beim Plattenclub Readers Digest, war also nur eingeschränkt verfügbar. Und dieanderen kamen als Einzel-LP's sukzessive und wurden erst später zu Boxen zusammengefasst (Ormandy, Ansermet, Schuricht, Cluytens). Böhm dann erst Anfang der 1970er.


    Obwohl kein Karajan-Freund (bekanntlich) schätze ich den Meister aus Anif in dieser Phase durchaus, ebenso wie die zeitgliehc entstandennen Brahms und Schumann-Platten von ihm. In die späteren Zyklen von ihm (2. stereo und digital) habe ich nur sporadisch hineingehört. Nach meinem dafürhalten können die an dem ersten stereo-Zyklus nicht kratzen. Darüber soollte allerdings nicht vergessen werden, dass die zuvor entstandenen mono-Aufnahmen eine Klasse für sich sind.


    Alles in allem: an diesem Karajan habe nicht einmal ich was zu meckern.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Ich meine, dass wir mit "legendär" inzwischen ziemlich inflationär operieren. Karajan selber hat die Aufnahme anscheinend für so legendär gehalten, dass 15 bzw. gut 20 Jahre später zwei komplette Neuaufnahmen folgten...
    Ist jetzt alles legendär, was als 08/15-Empfehlung gegeben wird?


    So skeptisch ich gegenüber dem ganzen Konzept "legendär" bin, so gehört doch Seltenheit, Einzigartigkeit dazu. Beethovenzyklen gibt es, s.o., sogar von Karajan im dutzend billiger, von anderen "Legenden" (Toscanini, Szell, Walter, Klemperer usw.) gar nicht erst anzufangen...


    (BTW fehlen praktisch alle Wdh. von Expositionen, außer bei einigen sehr kurzen Sätzen wie 5,i)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Karajan selbst war offensichtlich nicht zufrieden damit, was er Anfang der 60er Jahre aufgenommen hatte. Wo der verfilmte Zyklus Ende der 60er/Anfang der 70er ja noch irgendwo seine Berechtigung hat (eine überragende "Pastorale"), so stelle ich bereits beim Zyklus Mitte/Ende der 70er keine signifikanten Verbesserungen fest. Die 5. etwa gelang ihm m. E. nach 1962 nie wieder derart gut (ich weiß, es gibt Gegenstimmen). Vom Digitalzyklus ganz zu schweigen. Dort ist wohl lediglich die "Pastorale" besser als 1962. Er paßte Beethoven wohl immer mehr seinem streitbaren Klangideal an, daher die zig Neuaufnahmen. Wo wir 1961/62 beinahe noch das Furtwängler-Orchester hören, haben wir 1982–1984 eindeutig den typischen "Karajan-Sound".


    Ich denke, der 1961/62er Zyklus ist deswegen "legendär", weil er heute (auch schon zu Karajans Lebzeiten?) als sein insgesamt gelungenster und von den meisten akzeptierter durchgeht, der eben zudem bereits in Stereo vorliegt.

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    – Luís de Camões

  • Ich meine, dass wir mit "legendär" inzwischen ziemlich inflationär operieren. Karajan selber hat die Aufnahme anscheinend für so legendär gehalten, dass 15 bzw. gut 20 Jahre später zwei komplette Neuaufnahmen folgten...
    Ist jetzt alles legendär, was als 08/15-Empfehlung gegeben wird?


    Lieber Johannes,


    was Du schreibst, ist bedenkenswert. Aber die Tatsache einer Neuaufnahme spricht nicht dagegen, dass die ältere doch einen besonderen Ruf genießen könnte. Als Beispiel würde ich die Tosca mit Callas anführen - die Existenz der zweiten Studioaufnahme unter Prêtre ändert nichts an der Singularität der Aufnahme mit de Sabata.


    Ansonsten würde ich vorschlagen, Grundlegendes zu dieser Thread-Reihe im Stammthread Legenden auf dem Prüfstand zu diskutieren. Jeder Verbesserungsvorschlag ist natürlich herzlich willkommen!


    Beim 1961/62er-Beethoven mit Karajan beruht der besondere Status wohl tatsächlich auf der historischen Situation der Aufnahme. Dies war der Wirtschaftwunderzyklus. Er war Statussymbol und Ausweis für gehobene Bildung. - Dass Insider Toscanini, Szell, Klemperer e tutti quanti bevorzugten, tut dem keinen Abbruch. - Ob der 1961/62er Zyklus unter Karajan auch musikalisch legendär ist im Sinne einer Callas/de Sabata-Tosca, eines Solomon-Beethovens, eines Gould-Bachs, sei dahingestellt.

  • Karajan selbst war offensichtlich nicht zufrieden damit, was er Anfang der 60er Jahre aufgenommen hatte.


    Nein, so kann man das nicht sagen. Das zeigt sich schon an der Tatsache, dass die Interpretationsunterschiede zwischen den drei DG-Zyklen relativ klein sind. Es waren die jeweils neuen und besseren Aufnahmestandards, die eine Neuaufnahme rechtfertigten. Karajan wollte wohl immer mit einem Beethoven-Zyklus am Markt vertreten sein und dabei nicht durch veraltete Technik auffallen.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Da bin ich ganz bei dir, lieber Theophilus, denn Karajan war sicher unter allen Dirigenten des 20. Jahrhunderts der größte Technikfreak und hat frühzeitig die Möglichkeiten der digitalen Aufnahmetechnik erkannt, und so war es ganz klar, dass nach seiner ersten Geamtaufnahme 1961/62 zwar die Klassikfreunde schon hochbeglückt waren, aber er noch nicht und er somit nach weiteren Verbesserungen suchte. Die waren nach meiner Meinung im 1977er Zyklus nur marginal, wobei meiner Meinung nach das Sängerquartett an das aus den 60er Jahren nicht heranreichte. Es musste also ein digitaler Zyklus folgen, der mich persönlich aber, was das Klangbild und das Sängerquartett betrifft, am wenigsten überzeugt hat, deshalb steht er auch nicht in meiner Sammlung.
    Ansonsten ist der 1961/62er Zyklus meiner Ansicht nach, trotz der gravierenden Tempoverfehlung in der Bläserchoralvariation im Finale der Eroica eine Legende.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup:

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  • Daß Karajan den Zyklus digital neu einspielen wollte, leuchtet mir ein. Aber wozu noch eine zweite (eigentlich sogar dritte) analoge Stereo-Aufnahme? Die Tonqualität ist 1977 kaum besser als bereits 15 Jahre zuvor, da pflichte ich Willi bei. Und daß grad der digitale Zyklus auch net wirklich besser klingt, haben wir auch schon mehrfach festgestellt. Also ein Schuß in den Ofen?


    LG
    Joseph
    :hello:

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    – Luís de Camões

  • ... Die Tonqualität ist 1977 kaum besser als bereits 15 Jahre zuvor, da pflichte ich Willi bei.


    Nein, nein. In den 70ern konnte man praktisch rauschfreie Aufnahmen machen, und da war der "alte" DG-Zyklus mit seinem doch merklichen Rauschen gegenüber aktuellen Konkurrenzprodukten zu deutlich im Nachteil, als dass er weiterhin als Vollpreisprodukt hätte verkauft werden können.



    Zitat

    Und daß grad der digitale Zyklus auch net wirklich besser klingt, haben wir auch schon mehrfach festgestellt. Also ein Schuß in den Ofen?


    Nein. In den 80ern MUSSTE ein Spitzenprodukt DDD am Label stehen haben um ernst genommen zu werden, selbst auf der der LP-Plattenhülle! Nur ein relativ kleines Häuflein audiophiler Stänkerer wollte und wollte nicht die angebliche Überlegenheit der CD in der Praxis hören. Nur langsam setzte sich die Erkenntnis durch, dass "digital" nicht automatisch besser heißen musste, sondern auch eine Technik darstellte, die erst einmal vollständig beherrscht werden muss. Der dritte DG-Zyklus mag klanglich wieder kein großer Fortschritt gewesen sein, kommerziell waren alle glücklich...


    :hello:

    Ciao


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  • Vorweg: Karajans Beethoven-Zyklus ist Legende, auch ich empfinde ihn genau so.


    Doch inwiefern dies der Tatsache geschuldet ist, dass Karajan selbst inzwischen Legende ist, ja auch schon zu Lebzeiten war, sei mal dahingestellt.
    Jedenfalls neigt man bei Legenden gern zu einer verklärenden Sicht der Dinge, was dem Beethoven-Zyklus sicher zugute kommt, denn in Wirklichkeit muss man die Sache dann doch sehr nüchtern betrachten. Es gibt einfach viele Bessere. Auch Gesamtaufnahmen, dass es bessere Einzelaufnnahmen gibt, ist ja die Crux bei jeder Gesamtaufnahme und folglich eine Binsenweisheit.


    Ich persönlich jedenfalls bin von Karajans Beethoven nur schwer zu begeistern. Gewiss, es ist alles sehr gut interpretiert, immer auch irgendwie mitreissend, spannend, schön, strahlend, etc. Aber mir fehlt stets die letzte Hingabe an die Musik, auf mich wirkt es meist eher kühl kalkuliert als aufrichtig emotional.


    Nehmen wir die einzelnen Symphonien.


    Ich gebe zu, bei 1 & 2 sagt mir Karajan sehr zu. Es sind spritzige, elegante Interpretationen, differenziert und mit schönen Details. Der frühe Beethoven wird einem überzeugend dargeboten.


    Bei der 3. hingegen stört mich schon die angesprochene berechnete Emotion. Der Kopfsatz ist offensichtlich heroisch, der Trauermarsch offensichtlich erhaben usw. Wirklich glauben kann ich jedoch all dies nicht. Dennoch, es ist auch hier eine sehr gute Interpretation.


    Die 4. ist wieder besser, sie erfordert diese Tiefe im Ausdruck, dieses Sich-Einfühlen nicht so sehr, eine im positiven effektvolle Darbietung.


    Das lässt sich auch für die 5. sagen, die ich wohl am meisten in diesem Zyklus mag, auch wenn dem Kopfsatz jeglicher Raum zum Atmen genommen wird, hier gräbt er der gewünschten Dramatik stellenweise durch verhetzte Übergänge selbst das Grab.


    Dann die 6. Das Lob vorne weg; ein herrliches Gewitter, ein mächtiger Sturm, der hier hochdramatisch inszeniert wird. Mit dem Rest hingegen kann ich rein gar nichts anfangen. Wenn ich das höre, muss ich immer an die merkwürdigen Bilder von Karajan denken, die es mirunter sogar auf CD-Cover geschafft haben: Der Maestro braust im offenen Sportwagen über Landstraßen. Genauso interpretiert er die Symphonie: Die Landschaft im Vorbeifahren, aus Beethovens tiefempfundenen Natureindrücken wird eine sonntägliche Spritztour. Die flotten Tempi lassen sich nicht auf irgendwelche Emotionen ein, alles bleibt glatt und oberflächlich. Die Szene am Bach ist sehr schnell, dennoch ist man froh, wenn sie endlich vorbei ist, man merkt, er selbst ist nie am Bach angekommen, sondern hat ihn nur von weitem gesehen. (Vermutlich war der Parkplatz zu weit entfernt...)
    Man bitte die Polemik zu entschuldigen, aber mein Zugang zur Pastorale ist eben ein diametral verschiedener.


    Die 7. beginnt im guten Mittelmaß, das Allegretto gelingt sehr gut, könnte fast Referenz sein, und auch im Scherzo eigentlich volle Zufriedenheit. Allerdings ist der Finalsatz ein weiteres Beispiel für Karajans Darüber-Hinweg-Musizierens, er glättet alle Akzente, bis nur noch glänzende Langeweile bleibt. Der Vierte Satz ist Ekstase, die Musik muss wie ein loderndes Feuer wirken. Davon spüre ich hier nichts.


    Nummer 8 dann wieder toll, der leichte Beethoven gelingt vorzüglich, ohne aber in diesem Fall allzu trivial zu wirken, was bei dieser Symphonie ja durchaus die Gefahr ist. Das Trio im dritten Satz ist ein Musterbeispiel für Karajans Klangschönheit im positivsten Sinne.


    Zu guter Letzt die 9.
    Hätte Karajan stets nur das Scherzo dirigiert, hätte er sich mit dieser Symphonie wirklich ein wenig Unsterblichkeit errungen.
    Leider hat er auch den ersten und dritten Satz dirigiert. Im Kopfsatz erscheint mir wieder alles blutarm, alle Kontraste wie wegpoliert, der Satz erschüttert nicht, sondern unterhält bestenfalls ganz gut. Beim Adagio muss ich einfach gestehen, dass mir hier die Tempi gar nicht langsam genug sein können. Deshalb ist Karajan hier einfach viel zu wenig empfindsam, zu wenig entrückt.
    Im Finale ist die Welt dann wieder in Ordnung, hier weiß ich absolut nichts zu bemängeln, doch Sätze 1 & 3 haben dazu geführt, dass Karajan bei Beethovens IX. für mich keine Rolle mehr spielt.


    Soweit zu meinen - höchst subjektiven- Karajan-Impressionen.

    'Architektur ist gefrorene Musik'
    (Arthur Schopenhauer)

  • Daß Karajans Aufnahme der Beethoven Sinfonien aus dem Jahre 1961/61 einen legendären Ruf besitzt wird schon allein durch den Umstand dokumentiert, daß wir sie heute noch immer kritisch oder begeistert besprechen. - 50 Jahre nach dem die Aufnahme gemacht wurde !!!


    Im Gegensatz zu vielem, was heute über den grünen Klee gelobt wird, bei seinem Erscheinen aber kaum Beachtung fand, war die Karajan Einspielung schon bei ihrem Erscheinen eine Sensation. Ich erinnere mich sehr gut, daß die leicht verbilligte Donauland Sonderausgabe Weihnachten 1965, - also immerhin ca drei Jahre nach ihrem ursprünglichen Erscheinen - schon vor ihrem Erscheinen ausverkauft war, die Presswerke kamen mit der Produktion gar nicht nach.


    Karajan hat zweimal versucht, den Sensationserfolg zu wiederholen. Er vertraute auf eine verbesserte Aufnahmetechnik, aber Routine konnte Spontanität nicht ersetzen. Nie wieder hat er jene Wirkung mit einer Einspielung erreicht, wie gerade mit dieser Aufnahme aus dem Jahre 1962....


    Wenn es angeblich bessere Aufnahmen aus dieser Zeit gegeben haben sollte, so wurden sie zumidest von der Mehrheit der Klassikwelt nicht wahrgenommen. Ich erinnere mich, daß man lediglich den CBS Aufnahmen unter Bernstein eine gewisse Aufmerksamkeit schenkte. Sie hatten jedoch das Manko des relativ hohen Grundrauschens der Ampex-Bänder und der schlechten amerikanischen Pressqualität....


    Von Klemperers Aufnahmen wird berichtet, daß nicht mal Walter Lege mit ihnen zufrieden war.....



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Von Klemperers Aufnahmen wird berichtet, daß nicht mal Walter Lege mit ihnen zufrieden war.....

    Legge schrieb 1957 anläßlich der Fertigstellung des Beethoven Zyklus:" Klemperer goes from strength to strength. When we have completed the Ninth I shall give you a Beethoven Cycle on records that will be prized as long as records are collected."
    So viel dazu.


    Zu Hvk 196x Zyklus. Er ist insofern legendär, als er der 1. konkurrenzfähige Stereo Zyklus der DGG war.
    Welcher deutsche (österreichische) Bürger wollte schon Anfang der 60iger was aus Amerika oder England oder gar der "Ostzone" (Konvitschny) haben?
    Dass Karajan nie zufrieden war, ehrt ihn, ob er besser wurde, ist umstritten.


    Gruß S.

  • Ich glaube nicht, dass Karajan mit dem interpretatorischen Ergebnis seiner ersten Gesamtaufnahme nicht zufrieden war, er war ja bekanntermaßen ein großer Technikfreak und ein Klangfetischist (was für sich genommen durchaus nicht negativ sein muss), und so denke ich, dass er das klangliche Ergebnis verbessern wollte, wovon ihn die Sony-Oberen zu Beginn des digitalen Zeitalters in Japan überzeugen konnten, und ich denke, dass so auch sein dritter Stereo-Zyklus entstanden ist.


    Sein erster Stereo-Zyklus war zwar der erste der DGG, nicht aber der erste der Berliner Philharmoniker, das war der nur wenige Jahre vorher in Berlin entstandene Zyklus mit André Cluytens, der etwa zeitgleich mit den Zyklen von Otto Klemperer und Bruno Walter entstand, während der von René Leibowitz zeitgleich mit dem Herbert von Karajans entstand.


    So wurden in einem Zeitraum von 4 bis 5 Jahren fünf veritable Zyklen eingespielt, von denen aber offenbar nur der Karajansche genügend Publicity erhielt, um damals eine solche Marktführerschaft zu entwickeln.


    Viele Grüße


    Willi :rolleyes:

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  • So wurden in einem Zeitraum von 4 bis 5 Jahren fünf veritable Zyklen eingespielt, von denen aber offenbar nur der Karajansche genügend Publicity erhielt, um damals eine solche Marktführerschaft zu entwickeln.


    Die Pointe daran ist, dass nur Karajan einen echten Zyklus eingespielt hat! Alle anderen wurden anfangs in loser Reihenfolge als Einzel-LPs herausgebracht.


    Aber der 1. Karajan-DG-Zyklus wurde als völlige Novität als vollständiger Zyklus konzipiert und ausschließlich in einer Kassette verkauft, die man vorbestellen musste (Subscription). Dies war die erste umfangreiche Box der LP-Geschichte! Die Konkurrenz prophezeite dem Wagnis der DG nichts Gutes, sie sollten sich aber grandios täuschen...


    :hello:

    Ciao


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  • Subskriptionen waren allerdings in den 1930ern, als größere Projekte dutzende von Schellackseiten verschlangen, ebenfalls schon üblich. (Meines Wissens z.B. bei Schnabels Beethoven und den Haydn-Aufnahmen des Pro Arte Quartetts). Ich habe das in den 1960er noch nicht miterlebt. Aber meiner Erinnerung nach wurde der zweite Zyklus (mit den brennenden Zahlen u.ä. drauf) einzeln veröffentlicht. Jedenfalls habe ich diese Cover vor Augen. (Und natürlich gab es später auch einzelne Platten der Aufnahmen des 1962-Zyklus. Die ersten 6. und 9., die ich hörte, waren solche einzelnen Neuauflagen.)


    Ich finde das Verkaufsargument immer etwas dürftig. Danach wäre auch Lorin Maazels Feuerwerksmusik aus den 1960ern eine "Legende", weil sie zigtausendmal verkauft wurde und vermutlich durchgehend im Katalog verblieben ist.
    Ich würde mich übrigens wundern, wenn die Beethovenzyklen von z.B Toscanini, Szell und Klemperer nicht ebenfalls durchgehend im Katalog verblieben wären.

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  • Subskriptionen waren allerdings in den 1930ern, als größere Projekte dutzende von Schellackseiten verschlangen, ebenfalls schon üblich.


    Das ist richtig. Ich schrieb auch explizit von der LP-Ära!



    Zitat

    Aber meiner Erinnerung nach wurde der zweite Zyklus (mit den brennenden Zahlen u.ä. drauf) einzeln veröffentlicht.


    Ja. Aber es gab natürlich auch eine Kassette mit allen Neunen...



    Zitat

    Ich finde das Verkaufsargument immer etwas dürftig....


    Wenn man puristisch auf die künstlerische Qualität achtet - verständlich. Aber ein Kunstwerk ist auch fast immer ein Kind seiner Zeit und die Akzeptanz durch das Publikum Teil seiner selbst. Und "Legendenbildung" muss nicht allein auf das Künstlerische begrenzt sein, es können durchaus andere Aspekte ins Spiel kommen oder darauf Einfluss haben. Doratis 1812 ist Legende, weil sie über Jahrzehnte die meistverkaufte Klassik-Platte der LP-Geschichte war (ich kenne keine aktuellen Hitlisten...). Das hatte sicher nicht nur künstlerische Gründe.


    Was machte den VW Käfer zur Legende? Einfach die Tatsache, dass er seinerzeit das am längsten produzierte und meistverkaufte Automobil war. Er muss auch irgendwelche Qualitäten gehabt haben, die dazu führten, aber objektiv gesehen war er wenigstens zwei Jahrzehnte lang ein rollender Anachronismus...


    ;)

    Ciao


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  • Zitat

    Zitat von Theophilus:


    Aber der erste Karajan-DG-Zyklus wurde als völlige Novität als vollstädniger Zyklus produziert und ausschließlich in einer Kassette verkauft, die man vorbestellen musste (Subskription).

    Das stimmt, lieber Theophilus, und ich war auch einer der Subskribenden. Das Interessante an der Angelegenheit war, dass 7 LP's zu einem Gesamtpreis von 175,00 DM geplant waren und auch so in die Subskription gelangten. Nun stellte sich im Verlauf der Produktion aber heraus, dass man mit dem Plattenplatz nicht auskam, und am Ende wurden 8 LP's benötigt, die dann allerdings zum gleichen Preis von 175,00 DM verkauft wurden. Da ich damals noch Schüler war und alles selbst bezahlen musste, habe ich die Kassette bei meinem Händler in Raten vorausbezahlt, so dass ich sie bei Erscheinen mitnehmen konnte.


    Liebe Grüße


    Willi :rolleyes:

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    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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