Interpreten - Internationales Renommee oder künstlerisch-musikalische Bedeutung ?

  • Der Titel müsste eigentlich viel länger sein, denn in jenem Thread (über Simon Rattle) war noch von anderen Parametern die Rede. Aber das wird sich im Laufe des Threads -so glaube ich - von selbst ergeben.


    Es wird immer wieder die Frage aufgebracht, was denn einen "grossen Künstler" im Bereiche der Interpretation musikalischer Werke eigentlich ausmacht.
    Ausnahmsweise möchte ich MEINE Antwort bereits an den Beginn dieses Threads stellen , die da vereinfacht lautet "die Wahrheit ist ein Kind der Zeit"
    Eigentlich möchte ich dieses Zitat noch erweitern , nämlich in: "Die angebliche Wahrheit ist ein Kind der Zeit un des Umfelds in der sie verbreitet wird"


    Diese Aussagen werde ich - wenn er erforderlich sein sollte - oder es gewünscht wird - gerne an Hand konkreter Fälle zu belegen versuchen, vorerst aber zurück zur Fragestellung.


    In dem genannten Rattle-Thread (aber nicht nur dort) wurde die These aufgestellt, daß wirklicher künstlerischer und musikalischer Wert Wert zwei Paar Schuhe sind, die nicht notwendigerweise zusammengehören, und unterschwellig meine ich herauslesen zu können, daß sie einander eigentlich sogar gegenseitig ausschliessen. (?)


    Es wurden Vergleiche mit "gepushten" Stars angeboten, die von anderen als "Sternschnuppen" abqualifiziert wurden, etc. etc.


    Was macht eigentlich einen "großen Künstler" als Interpreten überhaupt aus ?


    Die einen messen ihn danach, wie gut er beim Publikum ankommt )Wobei man natürlich noch die Frage aufwerfen sollte, wei WELCHEM Teil des Publikums - und WARUM ?


    Die anderen loben einen Interpreten dann, wenn er sein Leben Lang am Publikum vorbeiinterprtiert hat - und nie anerkannt wurde. Man argumentiert dann gern, daß das Publikum eben a priori doch eine Masse von Ignoranten sei, die "wahre Größe" nicht erkennen könne.


    Andere Künster werde wegen ihrer "Werktreue" gelobt - Die Gegner nennen sie "Langweiler"


    Dann gibt es jene Interpreten, die die mutmaßlichen Intentionen des Komponisten schlichtweg negieren - auch sie haben eine Klientel, die ihnen zujubelt, wenn sie den "Staub der Tradition" entfernen....


    Aber die Kernfrage dürfte hier wohl sein, wodurch ein Künstler es zu internationalem Ansehen schafft - ob dies längerfristig auch durch PR möglich iist - oder ob es nicht doch NOTWENDIGERWEISE ein Ergebnis von "künstlerischen Spitzenleistungen" ist - wobei man ier auch erkären müsste, was man darunter versteht....


    Dieser Thread könnte sich zu einem Renner entwickeln,
    aber er birgt auch - das haben Renner hier so an sich - Konfliktpotential
    Daher wird die Moderation diesen Thread scharf im Auge behalten
    und bei "Entgleisungen" rasch und effizient löschen


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Für mich, lieber Alfred, ist ein Interpret dann ein "Großer", wenn seine Interpretation (und dazu gehören in den letzten Jahren bei mir zunehmend Live-Konzerte) in mir Saiten zum Klingen bringt, die sonst stumm sind, wenn er mir Schauer über den Rücken jagt und wenn er mich zu Tränen (der Ergriffenheit) rührt.


    Dazu gehört natürlich die künstlerische Potenz, beim Dirigenten das untrügliche Erkennen der musikalischen Strukturen, das Offenlegen dessen, wie es z.B. bei Günter Wand hieß, "was hinter den Noten steht", die Werktreue, die Fähigkeit, das eigene musikalische Gedankengut auf das Orchester zu übertragen und es davon zu überzeugen, die Fähigkeit, bei jedem Konzert, auch physikalisch bis an seine Grenzen zu gehen, und es auch so zu dirigieren, als wenn es das letzte im eigenen Leben wäre.


    "Die Staubbefreiungsthorie" gehört für mich nicht dazu.


    Das, was ich über die Dirigenten gesagt habe, gilt natürlich auch für die Sänger und Instrumentalisten. Stellvertretend für die vielen möchte ich hier einige nennen, bei denen es mir so ergangen ist (Schauer und oder Tränen).


    Herbert von Karajan (1963): 2. Sinfonie D-dur op. 36, Larghetto, 5. Sinfonie c-moll op. 67, Finale, 9. Sinfonie d-moll op. 125 Finale;


    Alfred Brendel (live vor einigen Jahren in Köln): Schubert, Impromptu Nr. 1 f-moll D.935;


    Günter Wand (live 2001 in Lübeck): Bruckner, 9. Sinfonie;


    Fritz Wunderlich: (1966, Edinburgh): Schumann, Dichterliebe: Ich hab' im Traum geweinet, (1965, München): Schubert, Die Schöne Müllerin: Trock'ne Blumen;


    Swjatoslaw Richter (1960, New York, Carnegie Hall): Sonate Nr. 23 f-moll op. 57 "Appassionata";


    Sir Simon Rattle: (3. Februar 2011, live in Berlin). Mahler, Sinfonie Nr. 3 d-moll;


    Wenn dann, wie bei den von mir hier angeführten drei Live-Konzerten nach einem angemessenen Zeitraum der "fassungslosen" Stille nach dem Ende des Konzerts ein orkanartiger Jubel losbricht und das Publikum sich spontan von den Plätzen erhebt, dann haben die Protagonisten sicherlich alles richtig gemacht und brauchen sich über ihr Renommee keine Sorgen zu machen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • wodurch ein Künstler es zu internationalem Ansehen schafft - ob dies längerfristig auch durch PR möglich iist - oder ob es nicht doch NOTWENDIGERWEISE ein Ergebnis von "künstlerischen Spitzenleistungen" ist


    Lieber Alfred
    Eine interessante Frage. Ich glaube in der heutigen medialen Welt geht das eine ohne das andere nicht mehr. Natürlich setzt internationales Ansehen und Bekanntwerden erstmal künstlerische Höchstleistung voraus. Wenn diese vorhanden ist, greift dann das Vermarkten. Und wenn ein Künstler an der internationalen Spitze mitmischen will, muß er sich diesem Markt, ob gewollt oder ungewollt, unterwerfen und mitmachen. Vermarkter wie Plattenfirmen, TV, Presse, Werbung, Sponsoren, Berater, Vermittler und, und, und stürzen sich natürlich auf Spitzenkünstler. Sie verdienen doch alle mit. Manche viel versprechende Karriere endet durch Überanstrengung und übertriebenen Ehrgeiz alles machen zu wollen, bzw. zu müssen, auch ganz schnell. Natürlich spielt auch Geldgier und Ruhmsucht eine große Rolle. Ich denke aber, daß sich diesem Kommerz heute keiner mehr entziehen kann, will er oben mitmischen.
    Wenn ein Luciano Pavarotti, dessen sängerische Spitzenposition unbestritten war und ist, es nicht verstanden hätte sich vermarkten zu lassen, wäre er bestimmt nicht " der Pavarotti " geworden, der er bis heute noch ist. Man stelle sich vor, er wäre nur an einem Opernhaus fest engagiert gewesen. Wer würde dann von ihm wissen?
    Mein Fazit: Künstlerisches Können und PR bedingen sich gegenseitig Die heutige moderne Zeit ist schnellebiger, vielfach dadurch oberflächlicher, aber damit nicht unbedingt besser.
    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Ich meine, das Unterscheidungskriterium dafür. ob etwas musikalisch wertvoll ist oder nicht, liegt darin, ob ein Künstler mit den Mitteln des Werkes sein Publikum begeistert oder ob er andere Hilfsmittel hinzunimmt.


    Diese anderen Hilfsmittel könnten sein:


    - ein vortreffliches Äußeres, das gekonnt in Szene gesetzt wird (Auf CDs am ehesten zu entlarven)
    - ein effektvolles Zurechttrimmen eines Stückes auf Virtuosität (Könnte z. B. bei Beethoven-Sonaten passieren, Waldstein, Hammerklavier, ... )
    - das "interessant machen" eines Stückes (Bach muss da häufig herhalten. Ich meine nicht Glenn Gould ... !)


    Wenn ein Publikum am Ende des letzten Satzes von Mahler dritter Sinfonie minutenlang schweigend verharrt, so ist der Verdacht, dass eine großartige Interpretation geboten wurde, schon naheliegend.

  • Hallo Alfred,


    nehmen wir doch mal das Artemis Quartett.


    Die Beethoven Quartette dieses Ensembles verhalfen ihm zu Ruhm. Sie geben relativ wenige Konzerte, sind ausverkauft und locken junges Publikum in die Konzerte. Zwanzigjährige drängen sich nach Beethoven`s späten Meisterwerken, aus Lust an der Qualität der Musik!


    Außerdem veranstalten sie Workshops, bringen ihr Wissen anderen Quartetten nahe. Dazu hervorragende CD`s. Sie erhaten diese Werke Beethovens am Leben, zeigen, wie wertvoll diese Stücke sind und das sie nicht nur in akademischen Zirkeln totstauben.


    Ob sie "große Künstler" sind, ist eine Frage, die wohl nur im Kontext klassischer Musik gestellt wird. Es gibt keine andere Musikrichtung die einen solchen Klotz an Vergangenheit mit sich rumschleppt. Da werden Geister über Tonträger beschworen, Gedanken über einen Ruhm gemacht, der sich nur über eine Idee von Musik am Leben erhält.


    das Artemis Quartett hat internationales Renomee und künstlerisch musikalische Bedeutung.


    Und doch spielen sie" nur" Beethoven. :D


    Viele Grüße Thomas

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  • Zitat

    Ob sie "große Künstler" sind, ist eine Frage, die wohl nur im Kontext klassischer Musik gestellt wird. Es gibt keine andere Musikrichtung die einen solchen Klotz an Vergangenheit mit sich rumschleppt. Da werden Geister über Tonträger beschworen, Gedanken über einen Ruhm gemacht, der sich nur über eine Idee von Musik am Leben erhält.


    das Artemis Quartett hat internationales Renomee und künstlerisch musikalische Bedeutung.
    Und doch spielen sie" nur" Beethoven.

    :D

    nicht nur Beethoven.


    Artemis sind auch sehr in der klassischen und zeitgenössischen Moderne engagiert.


    Von Bergs Lyrischer Suite gibt es eine schöne Studiokonserve.


    Ich habe wunderbare Mitschnitte mit Artemis:
    z.B. der Uraufführung von Denhoffs 8. Streichquartett von 2002,
    einem Gesprächskonzert übers Gipfelwerk der Kammermusik, nämlich Nonos Streichquartett unter keiner geringeren Moderation als der von Nuria Nono-Schönberg (Witwe des Komponisten) vom 09.10.02.


    Aber auch Brahms und Schönberg u.a. sind im Repertoire von Artmis zu finden.

    Zitat

    Ob sie "große Künstler" sind, ist eine Frage, die wohl nur im Kontext klassischer Musik gestellt wird. Es gibt keine andere Musikrichtung die einen solchen Klotz an Vergangenheit mit sich rumschleppt. Da werden Geister über Tonträger beschworen, Gedanken über einen Ruhm gemacht, der sich nur über eine Idee von Musik am Leben erhält.

    Ja, allzu enge Fixierung auf vorgeblich glorreichen vergangenen Zeiten oder auf einige wenige bekannte "internationale" Namen versperren die Erfahrung anderer nicht minder wichtiger bzw. bedeutsamer Musiker:


    Wer würde mit solchen Scheuklappen z.B. folgende beeindruckende Einspielungen, Mitschnitte mit eher uinbekannten Musikern/Orchestern etc. sich reinziehn, die qualitativ sich überhaupt nicht hinter den sog. großen Namen überhaupt brauchen z.B.


    Gouldbergvariationen von Scott Ross
    Kunst der Fuge unter Koroliov vom 16.07.03 aus Ludwigsburg,
    das Musikalische Opfer mit dem R.S. O. Berlin unter Scherchen (über Youtube erhältlich),
    H-Moll-Messe unter Rademann vom 07.07.07 aus Chorin
    Haydns Quartette mit Quatuor Ébène aus Hitzacker
    Schubert Nr. 21 A-dur, D 959 + Kl.-So. Nr. 22 B-Dur D 960 aus München vom 19.02.06 mit dem israelischen Pianisten Amir Katz
    die kaum zu übertreffenden Wiedergabe von Schönbergs Streichquartette Nr. 3 + 4 mit dem Parrenin Quartett aus den 60zigern, meisterhafte Bach-Wiedergaben vom Ensemble Gli Incogniti unter Beyer vom 22.05.10 aus Regensburg,
    die Wiedergabe von Mahlers 5. Sinfonie mit der Junge Deutsche Philharmonie von 1997 unter Barshai..


    etc etc etc .....


    :hello: