Ravel: Konzert für die linke Hand

  • Hallo, liebe Musikfreunde,


    nachdem dies Konzert bereits an verschiedenen Stellen angesprochen ist, scheint ein eigener Thread das Beste zu sein. Ich kann es nicht besser einleiten als mit den Worten von Gavrilov, der es 2004 in Osnabrück gespielt hat: „Ravels Konzert für die linke Hand ist die Krone der gesamten Konzertliteratur. Das philosophische Niveau ist unerreicht, musikalisch und technisch ist es enorm stolz und nobel. Und es ist ein existenzialistisches Werk. Ich habe es immer gern gespielt, aber als grausam und dunkel empfunden. Vor kurzem, nach einem Konzert in Stockholm, habe ich dann herausgefunden, dass das Hauptthema eng mit dem ‚Dies irae’-Motiv verwandt ist: Dieses Werk ist ein Totentanz. Aber es ist auch eine schöne Geschichte vom Tod, eine sehr süße, sehr jazzige. Ich finde, dieses Konzert muss mehr gelebt werden.” (NOZ)


    Ravel und der Jazz : Ravel hat erstmals 1927 in seiner Violinsonate einen Blues komponiert. 1928 traf er in New York Gershwin, der ihm alle seine Stücke vorspielte. Dessen „Rhapsody in blue“ war 1924 uraufgeführt worden, unter den begeisterten Zuhörer waren u.a. Heifetz, Kreisler, Godowski, Mengelberg, Rachmaninow, Stokowski, Strawinsky. Der Bolero entstand 1928 (die an anderer Stelle erwähnte Aufführung von 1930 ist also nicht die Uraufführung), das Konzert für die linke Hand 1929 – 30.


    Hat sich Ravels Hirnerkrankung bereits ausgewirkt? Auch in Antwort an Franks Frage zum Bolero: Wie der Bolero ist dies Konzert durch seinen eignen Rhythmus, hier würde ich direkt sagen: seinen Herzschlag geprägt. Dies ist für mich in beiden Werken das Einzigartige, wodurch sich diese Kompositionen auszeichnen. Ich wage nicht zu beurteilen, ob er hier bereits von der Krankheit geprägt war, oder wie kaum ein anderer Komponist wahrnahm, was zu seiner Zeit vorging. Aber ich stelle mir am ehesten vor, dass es seine Zeit war, die er in diesen Stücken eingefangen hat und die ihn krank gemacht hat.


    Paul Wittgenstein: Wie ich jetzt gesehen habe, schreibt Nubar im Thread über die schwierigsten Stücke, er habe es „viel zu spätromantisch, besser gesagt schwülstig und auch noch mit eigenen Verbesserungen gespielt“. Im Internet fand ich ähnliche Hinweise, dass er es verändert, später jedoch immer mehr geliebt hat. Das in seinem Auftrag von Hindemith geschriebene Konzert hat er ganz abgelehnt. Es ist erst kürzlich in Berlin uraufgeführt worden!


    Viele Grüße,


    Walter

  • Lieber Walter ,
    besten dank für Deinen ausführlichen beitrag . Insbesondere für die Werkanalyse durch Gavrilov .
    In dem Artikel , auf den mich G a s p a r d hingewiesen hatte , wird der Zusammenhang zwischen Ravels Erkrankung und diesem Konzert eindeutig bejaht . es gibt dazu in verschiedenen Litertaurhinweisen auch solche zu diesem Werk , seiner Entstehungsgeschichte etc. pp. .
    der Einfluss des J a z z , auf den Du dankbarerweise hingewiesen hast , ist bei Ravel evident . Dass bestätigen auch seine Zeitgenossen .
    Leon F l e i s h e r , der durch seine Krankheit gezwungen ist , nur noch mit der linken Hand spielen zu lönnen , verdanken wir eine herrliche Aufnahme des Werkes .
    Lieder kenne ich keine abgedruckte vollständige Veröffentlichung seiner Werkanalyse .
    Ich werde mich mit diesem Werk wohl noch intensiver befassen müssen .
    Dank und beste Grüsse
    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Hallo Ravel-Freunde,


    erstmal Walter Dank für seine ausführliche Einleitung zu Ravels Klavierkonzert für die linke Hand.
    Ja, das sind Meisterwerke des 20.Jahrhunderts die wirklich Beachtung verdienen.


    :hello: An Frank und Christian möchte ich sagen, das ich ungehört glaube, das Zimmermann und Fleischer die Ravel-Klavierkonzerte auf Beste meistern.
    Ich kenne beide Aufnahmen (noch) nicht.


    Im Thread für das Ravel Klavierkonzert G-Dur hatte ich schon geschrieben, welche Aufnahmen ich favorisiere - das gilt auch für das Klavierkonzert für die linke Hand.


    :) Meine Decca-Aufnahme mit Alicia de Larocha/Rafael Frühbeck de Burgos mit beiden Klavierkonzerten ist derart tiefgehend und hat einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen; mehr als andere Aufnahmen von diesem Werk, die ich vorher auf LP hatte.


    :) Auch sehr gut und Klangtechnisch auf allerhöchstem Niveau ist auch die zweite Decca-CD mit Pascal Roge/ Dutoid/Montreal SO .
    Roge zeigt auch hier größtes Einfühlungsvermögen für Ravel und der plastische Klavierklang ist was ganz besonderes bei dieser Aufnahme.

    Roge hat 2003 auf SACD noch eine weitere Aufnahme vorgelegt - diese Musik scheint ihn sehr zu interessieren.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Lieber Wolfgang ,
    ich habe Alicia de Larrocha leider nie live gehört , da sie ihre Tätigkeit schwerpunktmässig ja in New York hat)te) . Auch habe ich hier nur eine glühenden Verehrer ihrer Kunst kennengelernt , der sie auch mehrfach live erleben konnte . Seine Begesiterung war ungewöhnlich .
    Es ist immer schwer einen tieferen Zugang zu jemandem zu gewinnen , den man auch nicht in einem TV-Programm erleben konnte oder auf DVD .
    Zu den schreibenden Verehrern der Senora gehört Matthias Kornemann , früher "Rondo" . Er hat regelrechte Lobeshymnen über sie verfasst .
    Persönlich kenne ich höchstens sechs oder sieben CDs mit ihr . Schade.
    Danke für dne Hinweis wie den über Pascal Rogé .
    Beste Grüsse
    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Lieber Walter ,
    ich habe inzwischen noch andere wissenschaftliche Arbeiten über Ravels Krankheiten und deren möglichen Einfluss auf seine Werke Bolero und ddie beiden Klavierkonzerte studiert .
    W e n n ein Werk tatsächlich von Ravels schweren , fortschreitenden Erkrankungen beeinflusst , ja geprägt worden ist , dann dieses Konzert für die linke Hand .
    Marguerite L o n g , die eng mit Maurice ravel befreundet war , hat dieses Leiden Ravels sehr präzise beschrieben .
    Wie dem alles auch sei :
    Wir müssen die drei Werke aufmerksam im Kontext zu seiner Entstehungszeit ( und den ersten Iddenn zu solch einem Werk ! ) hören , um dann letztlich auch für uns zu entscheiden , ob wir das Konzert für Mit - Ausdruck einer Krankheit halten .
    Beste Grüsse
    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Je öfter ich jetzt das Werk in verschiedenen Aufnahmen gehört habe, um so mehr festigt sich die Präferenz für die Einspielung durch Wittgenstein und Bruno Walter. Da stellte sich die Frage, ob das nicht auch am Werk liegt, es also Beziehungen zu Mahler gibt, und es scheint sie zu geben! Ravel konnte zwar nicht an dem legendären Konzert 1910 teilnehmen, als Mahler in Paris seine 2. Sinfonie dirigierte und Debussy und Dukas demonstrativ das Konzerte verließen. Es gibt von ihm keine einzige Äußerung zu Mahler, weder positiv noch negativ.


    Aber er war seit dem Studium bei Gabriel Fauré eng mit Alfred Casella befreundet, der in Paris der Wegbereiter Mahlers war. 1920 fuhr er mit Casella nach Wien, um dort den La Valse in der Fassung für 2 Klaviere uraufzuführen. In Wien traf er Schönberg und wohnte bei Alma Mahler.


    Die Anklänge an Mahler sind also kaum zufällig (gibt es bei Ravel überhaupt Zufälle?). Dies Werk entstand in den 1930er Jahren, als auch andere Komponisten stärker im Stil von Mahler zu komponieren begannen (Berg, Schostakowitsch). Das wurde dann im deutschsprachigen Raum unterbunden, als nach 1933 (bzw. in Österreich 1938 ) Mahler verboten wurde. Im Grunde ist es umgekehrt überraschend, wie lange Mahler noch nach 1945 in Deutschland und Österreich vergessen blieb und bis heute in den Klassikforen immer wieder die Meinung geäußert wird, Mahler sei erst dank Solti wieder entdeckt worden. Das gilt nur für den deutschsprachigen Bereich, sicher auch für Frankreich. Ravels Konzert für die linke Hand ist zweifellos in Frankreich eine überraschende Ausnahme, die nochmals zeigt, wie viel es bei Ravel zu entdecken gibt.


    Viele Grüße,
    Walter

  • Zitat

    Original von Walter.T
    Das wurde dann im deutschsprachigen Raum unterbunden, als nach 1933 (bzw. in Österreich 1938 ) Mahler verboten wurde. Im Grunde ist es umgekehrt überraschend, wie lange Mahler noch nach 1945 in Deutschland und Österreich vergessen blieb und bis heute in den Klassikforen immer wieder die Meinung geäußert wird, Mahler sei erst dank Solti wieder entdeckt worden. Das gilt nur für den deutschsprachigen Bereich, sicher auch für Frankreich.


    Hallo Walter,


    es stimmt zwar sicherlich, daß Mahler bis in die 60er Jahre hinein in Deutschland und Österreich nicht unbedingt absolutes Kernrepertoire der Orchester war, aber "vergessen" war er nicht. Beispiel Wiener Philharmoniker: vom Ende des 2. Weltkrieges bis zu Bernsteins Debut 1967 stand Mahler in 47 Konzerten der Wiener Philharmoniker auf dem Programm (Dirigenten: Fanta, Krips, Moralt, Klemperer, Walter, Furtwängler, Kubelik, Krauss, Mitropoulos, Böhm, Karajan, Solti, Abbado und Mehta).


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hallo Giselher,


    auch wenn das jetzt weiter vom Thema wegführt: das hätte ich nicht erwartet, zumal ich eher gedacht hätte, dass Mahler von den Wiener Sinfonikern statt den Philharmonikern gespielt worden ist. Gern gebe ich ein Vorurteil auf.


    Viele Grüße,
    Walter

  • Mal eine (dumme?? ?() Frage an die Klavierexperten: Mir ist klar, dass das Konzert für die linke Hand geschrieben wurde, da ein Pianist die rechte Hand verloren hatte. Wie wird das Stück denn heute von einem "zweihändigen" Pianisten gespielt. Auch nur mit links oder ist es vielleicht einfacher, bei manchen Passagen die rechte Hand mitzubenutzen und wenn das so ist, wird es auch praktiziert?
    Gruß

    Günter

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  • hallo Fohlenfanatiker,


    es ist selbstverständlich, dass die werke für linke hand auch mit der linken gespielt werden ! das gilt für das obige konzert, für prokofiev 4. klavierkonzert ebenso wie für einige chopin-godowsky bearbeitungen oder z.b. das wunderschöne prelude scriabins für die linke hand !


    ich weise im zusammenhang des ravel-konzertes noch auf zwei wunderschöne aufnahmen hin.


    robert casadesus/ philadelphia orchestra/e. ormandy (1947, CBS)



    r. casadesus war mit ravel eng befreundet und war ein promotor seiner werke. das konzert für die linke hand hatte er schon häufig gespielt bevor er es dann aufnahm. er war wohl der erste pianist der das gesamte solo-werk auf platte aufnahm (1951). wie auch immer, es stimmt,ich kenne keine andere interpretation, in der die 32tel der großen kadenz (der absolute höhepunkt des werkes) so gleichmäßig, transparent und a tempo gespielt werden ! sicherlich ist die mono-aufnahme klanglich eingeschränkt.


    michel beroff/london symphony orchestra/ claudio abbado (1988, DG)



    eine blitzsaubere aufnahme, wo der flügel aufnahmetechnisch nicht bevorzugt behandelt wurde und so dem tatsächlichen kräfteverhältnis entspricht (wie auch bei den monoaufnahmen). beroff erkrankte zu dem zeitpunkt ähnlich wie fleisher an der rechten hand (dystonie) !


    gruß, siamak :angel:

    Siamak

  • Hallo,


    zu Paul Wittgenstein möchte ich noch beitragen, daß es eine Aufnahme des D-Dur Konzertes mit dem Orchester der Metropolitan Oper, New York unter Max Rudolph gibt.


    Diese Aufnahme ist scheußlich, Wittgenstein spielt alle möglichen glissandi, die in der Partitur überhaupt nicht vorkommen.


    Wittgenstein hatte augenscheinlich nur den Wunsch, mit einer Hand soviel Krach wie mit zweien zu machen, auch fehlte ihm die nötige Technik, die o.g. Studio- Aufnahme strotzt nur so von Fehlern und Gehämmere.


    Übrigens haben Wittgensteins eigenmächtige Veränderungen schon Ravel selber sehr geärgert.


    Es ist überliefert, das Wittgenstein- von Ravel darauf angesprochen- ihm sagte "Interpreten sind doch keine Sklaven", worauf Ravel nur entgegnete "Interpreten sind Sklaven".




    Beste Grüße,
    Michael

  • " beroff erkrankte zu dem zeitpunkt ähnlich wie fleisher an der rechten hand (dystonie) !"


    Hallo siamak,


    stimmt, und eine ziemlich teuflische Krankheit noch dazu....


    Leider wußte dies unser Orchester-Büro nicht und vor einigen Jahren spielte Beroff dann das Tschaikowsky b-moll Konzert mit uns.


    Es wurde extra ein Spitzenflügel geleast und auch eine Aufnahme vorbereitet.
    Ich habe dann die Verantwortlichen im Hause darüber aufgeklärt, daß Beroff nicht mehr im Vollbesitz seiner manuellen Fähigkeiten ist(daß er halt den sog. Pianistenkrampf oder eben Focale Dystonie hat) und niemand wollte mir glauben, alle freuten sich selbstzufrieden auf den Starpianisten.


    Und zwar bis zu dem Moment, wo Beroff dann den ersten Satz des Tschaikowsky in der Probe gespielt hat.


    Ein Desaster ohnegleichen.


    Ich weiß nicht, was diesen von mir hochgeschätzten Pianisten geritten hat, im unglücklichsten Fall war er wohl der Meinung, daß eine solch desaströse Leistung für die sog."Provinz" immer noch ausreicht.


    Ich fand dies peinlich und auch irgendwie respektlos.



    Schade,


    LG :hello:
    Michael

  • hallo Michael,


    in welchem jahr ereigntete sich die obige begebenheit ? möglicherweise war es 'sinnloser heldenmut', der beroff zu dem riskanten manöver verleitete ! hat er den tschaikowsky denn dann auch im konzert aufgeführt ? er hätte z.b. alternativ das 4. prokofiev-konzert aufführen können, dass er ja lange im repertoire hatte (linke hand).


    gruß, siamak :hello:

    Siamak

  • Hallo Siamak,


    Das muß vor ungefähr vier Jahren gewesen sein.


    Beroff hat natürlich das Konzert dann mit uns dreimal gespielt.


    Beroff arbeitete damals an einer neuen Gesamteinspielung des Debussy-Klavierwerkes, er scheint also mit Abstrichen wieder "beidhändig" spielen zu können.


    Aber den Tschaikowsky hätte er trotzdem besser gelassen.


    LG :hello:
    Michael

  • Hallo Michael,

    Zitat

    Zitat Michael: Beroff arbeitete damals an einer neuen Gesamteinspielung des Debussy-Klavierwerkes, er scheint also mit Abstrichen wieder "beidhändig" spielen zu können.


    ...es wird vermutlich die Denon-Einspielung sein. Béroff veröffentlichte seine Préludes kurz nach Zimerman, es muss also schon ein paar Jahre länger her sein als vier Jahre. Komischerweise habe ich danach nichts mehr vom Fortgang des Debussy-Projekts gehört. Meines Wissens nach blieb es bei zwei oder drei CD's. Ob er z.B. die Ètudes noch eingespielt hat, weiß ich nicht.
    Die Aufnahme der Préludes lässt aber darauf schließen, dass die Rechte auch damals wieder OK gewesen sein muss - sie ist überaus brillant, souveräner noch, als die EMI-Einspielungen aus den 70ern. Aber wie so oft: Viielleicht machte er live (da schlägt die Stunde der Wahrheit natürlich unüberhörbarer, als im Studio) einen vollkommen anderen Eindruck oder er hatte vor vier Jahren schon wieder eine Lähmung...


    LG! :hello:
    Daniel

  • hallo Daniel,


    ich kenne ja nur beroffs gesamteinspielung des debussyschen solo-klavierwerkes aus den 70er bei EMI, und die ist schon sehr gut.


    gruß, siamak

    Siamak

  • Hallo,
    das mit der Gesamteinspielung der Debussy-Klavierwerke stand in Beroff's Lebenslauf im Programmheft.Vielleicht war der damals schon nicht mehr aktuell.....


    Gruß,


    Michael


  • Hallo, miteinander!


    Kennt jemand diese schon viel gerühmte, noch nicht lange veröffentlichte Aufnahme auf einem Erard-Flügel um die Jahrhundertwende und auch den Orchesterinstrumenten aus dieser Zeit und möchte sich dazu äußern?


    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

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  • an der Wiederbelebung dieses Threas will ich mich gerne beteiligen.


    Meine bescheidenen Anmerkungen zu einigen der erwähnten Aufnahmen:


    Anima Eterna
    ich kenne davon nur La Valse: grandios gespielt, einfach straight durch im Tempo, das sorgt heutzutage allein schon für zahllose überraschende Wendungen, gefällt mir *interpretatorisch* ausgezeichnet.
    Auch der Bolero, im von Ravel vorgeschriebenen langsamen Tempo, sorgt mit seinen ungewohnten Klangfarben für Überraschungen und Gesprächsstoff. Leider weigert sich Immerseel, die Violinen antiphonisch aufzustellen, und daher weigere ich mich, diese CD zu kaufen. Denn ausgerechnet im Bolero gibt es einen der besten Beweise für die Notwendigkeit der geteilten Violinenaufstellung:
    An einer Stelle sind die 1. und 2. Violinen in identischer Weise in 4 Minigrüppchen unterteilt, die jeweils (die entsprechenden Grüppchen der 1. und 2. Violine) das gleiche zu spielen haben. Das Thema wird hier von den Violinen in parallelen Akkorden vorgetragen, die offensichtlich von der ganzen Breite der Bühne erklingen sollen. Wäre dem Komponisten dieser Breitwandeffekt egal gewesen, dann hätte er die vierstimmigen Akkorde nämlich auf 2x2 Gruppen (1. und 2. Violine je zweifach) verteilt, was spieltechnisch wesentlich einfacher wäre.
    Klar, das macht auch sonst kein Orchester (?). Aber wenn sich einer schon soviel Mühe gibt, das letzte Museumsstück eines originalen Instruments für seine HIP-Aufnahme ausfindig zu machen und dermaßen den originalen Sound auf seine Fahnen schreibt, auf der anderen Seite aber auf einen original intendierten wichtigen Effekt verzichtet (der generell ein Hinweis darauf ist, daß Ravel von der antiphonischen Sitzordnung ausgegangen ist), dann bin ich einfach nur ratlos.


    Béroff
    um die vorangegangen Spekulationen weiterzuführen: der Debussy-Zyklus bei Denon (aufgenommen 1994-97) ist komplett. Qualität durchwachsen, am besten wohl die Préludes. Von Bekannten höre ich, daß sich bei Béroffs Konzerten in Abhängigkeit von der Tagesform geniale Momente mit einem pianistischen Trauerspiel abwechseln (letzteres häufiger). Man könnte also geneigt sein zu vermuten, die manuellen Fertigkeiten wären gar nicht das eigentliche Problem (gewesen).
    Seine Aufnahme des Ravel-Konzerts kenne ich nicht.


    Zimmerman
    Wow! Ganz anders als bei seinen Debussy-Préludes, die aus meiner Sicht zu den allertraurigsten Repertoire-Verfehlungen gehören, kommt Zimmerman hier seine Bastel-Leidenschaft voll zugute (Strawinsky soll Ravel scherzhaft-anerkennend als "schweizer Uhrmacher" apostrophiert haben). Und Boulez läßt es hier wirklich ordentlich krachen. Bei aller Präzision, wie nicht anders zu erwarten, eine ungemein lebendige, inspirierte und spannungsgeladene Interpretation. Ich kann mir keine bessere vorstellen (kenne sonst näher nur Rogé/Dutoit - auch gut, aber gegen Zimmerman/Boulez nur Mittelklasse).


    Gruß, Khampan

  • Hallo Khampan,

    Zitat

    daß sich bei Béroffs Konzerten in Abhängigkeit von der Tagesform geniale Momente mit einem pianistischen Trauerspiel abwechseln (letzteres häufiger). Man könnte also geneigt sein zu vermuten, die manuellen Fertigkeiten wären gar nicht das eigentliche Problem (gewesen).


    ich denke eher, daß die manuellen Probleme im Laufe einer solch tückischen Krankheit wie dem sog.Pianistenkrampf mal mehr oder auch weniger hörbar sind, je nach Tagesform.


    Jedenfalls ist das eine Tortur für einen davon betroffenen Musiker.


    Die Tatsache, daß Beroff an der rechten Hand erkrankte, ist von meiner Seite jedenfalls keine Spekulation.
    Seit Mitte der 80er Jahre gab es immer mal wieder Berichte darüber, warum Beroff nur noch selten und dann fast nur mit Repertoire für die linke Hand alleine auftrat.


    Gruß,
    Michael

  • Eine Anekdote dazu: das Konzert wurde hier in Lille im Rahmen des Piano-Festivals letzten Herbst mit Claire-Marie le Guay und dem Orchestre National de Lille unter Jean-Claude Casadesus gegeben(die Familie ist hochbegabt, siehe Robert oben)
    Die Pianistin sollte anschliessend wegen anhaltend tobenden Applauses eine Zugabe spielen. Sie entschuldigte sich bei uns damit, dass ihre rechte Hand derzeit nicht in der Lage sei, da sie die ganze Zeit über stillgelegen hätte. Soviel zu der Frage, ob das wirklich nur mit der linken Hand gespielt wird. Mit eigenen Augen gesehen: ES WIRD!


    F.Q.

  • Hallo F.Q.

    Zitat

    Mit eigenen Augen gesehen: ES WIRD!


    Und zwar immer.
    Ausnahmen sind mir nicht bekannt.


    Zitat

    Sie entschuldigte sich bei uns damit, dass ihre rechte Hand derzeit nicht in der Lage sei, da sie die ganze Zeit über stillgelegen hätte.


    Klingt nach einer Ausrede.... ?(
    Bisher haben alle Pianisten bei uns es geschafft, nach dem linke Hand -Konzert von Ravel noch eine schöne Zugabe mit beiden Händen abzuliefern.


    LG,
    Michael

  • Zitat

    Original von Michael Schlechtriem
    Bisher haben alle Pianisten bei uns es geschafft, nach dem linke Hand -Konzert von Ravel noch eine schöne Zugabe mit beiden Händen abzuliefern.l


    und zwar mitunter ziemliche Kracher für beide Hände.
    Studien belegen außerdem: wenn man bestimmte Sachen auf dem Klavier mit einer Hand übt, werden diese danach auch von der anderen Hand leichter bewältigt (Schlußfolgerung: die Schwierigkeiten stecken zu einem nicht unerheblichen Teil nicht in den Händen, sondern im Kopf).


    Gruß,
    Khampan


  • Das ist in der Tat verwunderlich! Und sehr schade, da diese Aufnahme klanglich sonst wirklich zauberhaft ist - erstmals hat mich dieses Konzert in Immerseels Aufnahme zu Tränen gerührt.

  • Im Gegensatz zu dem Klavierkonzert G-Dur und dem Gershwin-KK auf der CD, bin ich mit dieser Interpretation des KK für die linke Hand D-Dur nicht ganz zufrieden.


    Hier sind Entremont / Boulez mit dem Cleveland Orchestra die Ausführenden. Leider bleibt es beim KK für die linke Hand bei der unglaublichen Detailschärfe (wie die anderen KK auf der CD) … wenn es dabei bliebe und Entremont alle Ecken und Kanten betont ausspielen würde, wäre ich damit zufrieden. Die Interpretation ist für sich gesehen gelungen, aber sein Anschlag wirkt mir im Vergleich mit meinen höher geschätzten Aufnahmen mit Larrocha / Foster (Decca) und Roge /Dutoit (Decca) und Collard / Maazel (EMI) dann doch zu pauschal und zu wenig ausdrucksstark. Boulez ist auch hier wieder darauf bedacht auf äusserste Detailtransparenz … leider bleibt das rhythmische Feeling dabei etwas auf der Strecke.


    Klangtechnik: sehr ausgewogen mit vollem Frequenzgang und fast ausdiophilem Anspruch; sehr genaue orchestrale Abbildung.



    SONY, 1972, 1975, ADD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

    Einmal editiert, zuletzt von teleton ()