Die ersten „Bravi!“ fielen schon in der letzten Generalpause. Senta hatte zunächst den Holländer erschossen, dann sich, was einen billigen und noch mit Verspätung gezündeten Splattereffekt zur Folge hatte. Das schien die Zuschauer aufzurütteln und noch während der letzten Takte des dazu passenden prosaischen, harten Schluss der Dresdener Fassung kam der erste kurze Applaus.Die Ouvertüre hatte Münsters sichtlich gut gelaunter GMD Fabrizio Venura noch mit dem Tristan-Schluss gespielt und schon hier zeigte sich das unser Sinfonieorchester gut aufgelegt war. Manches hätte ich gerne noch forscher, aufgewühlter gehabt, aber ich mag den Holländer halt sehr gerne etwas ruppiger.
Während der Ouvertüre wird in der modernen Inszenierung von Andreas Baesler die Senta als Träumerin vorgestellt. Sie betrachtet das Konterfei des Holländers nicht auf einem Ölgemälde sondern auf einem kleinen Fernseher mit Videorekorder. Zur Sicherheit hat sie mehrere Kopien des roten (Symbol!) Videobandes gemacht, da die Amme wie auch Erik das Video gerne wegnehmen wollen. Das schlechte Bild des Holländers wird für die Zuschauer auch flimmernd auf den eisernen Vorhang projeziert. Und während Senta vom Holländer und der Erlösung träumt (ihre Umwelt nimmt sie kaum war), da taucht plötzlich ein Engel auf. Kitschig sind an ihm nur die weißen Flügel sonst sieht er aus wie ein Mann dieser Zeit. Dass dieser Engel noch Sentas Wunsch nach der romantischen Verklärung steigert, unterstreicht die Wahl der späteren Fassung der Ouvertüre. Die Realität sieht allerdings ganz anders aus.
Die folgende Handlung lässt Baesler dann in der genialen Container-Stadt von Andreas Wilkens spielen. Meiner Meinung nach hat auch diese Kulisse durchaus einen romantischen Touch, treibt aber dem Stück das naturalistisch-romantische gründlich aus. Zwischen Dalands grüne Container senkt sich von oben herab der rote Container des Holländers, der auf ihm festgebunden ist – ein guter Einfall. Er, der Heimatlose – kein verfluchter Dämon, sehnt sich nach Erlösung, auch er sieht diesen Engel. Daland (Plamen Hidjov hatte einen sehr guten Abend!) ist zwar geldgierig, aber kein Unmensch.
Für den zweiten Akt wird ein Container waagerecht vor das Publikum gestellt, und aufgemacht, im Inneren wird an der Norwegischen Flagge gesponnen
Der Jäger Eric mag zwar der grundsolide Mensch für eine „normale“ Zukunft Sentas sein, aber so ganz frei scheint auch er nicht zu sein. Sein Verhalten strahlt ebenso Verzweiflung aus, seine Züge wirken hart. Wolfgang Schwaniger durfte wenigstens mit seinem Motorad über die Bühne fahren, was Judith Genrich vor drei Jahren als Elvira noch verwehrt blieb. Er sang deutlich, mit viel ausdrcuk, zuweilen aber auch etwas grob. Insgesamt aber auch eine gute Leistung.
Die Begegnung zwischen Holländer und Senta läuft völlig unspektakulär ab und man sieht, dass Baesler zwar moderne Chiffren für die Geschichte gewählt hat, aber sie dennoch im Sinne der Musik erzählt und auch diese wirken lassen kann. So kann diese geniale Duett völlig für sich selbst sprechen. In der kalten Welt der Container finden sich die Stimmen von Turid Karlsen (Senta) und Johannes Schwärsky (Holländer) zum bewegenden Wunsch nach der Erfüllung ihrer Schicksale. Bei letzterem kann ich nur „negativ" anmerken, dass ich sein etwas knarziges Timbre nicht mag (Geschmacksache), ansonsten bewältigte er die Rolle sehr gut und ausdrucksstark. Seine Figur passte zum Holländer optimal, die Stimme ebenso, lediglich manchmal ging die Höhe im Orchester unter. Turid Karlsen war eine intensive Senta, vermochte viel zu differenzieren, klang nur ganz selten ein wenig schrill, und hatte noch am Ende genug Power um dem Holländer „Preis deinen Engel....“ zuzurufen.
Die Szene der Seemannschöre beginnt relativ harmlos. Der Container des Holländers ist hinter Stacheldraht von dem Rest getrennt. Die Norweger feiern, beginnen schließlich Essen über den Zaun zu werfen, wo sich nichts regt. Schließlich kommen die Fremden aus dem roten Container. Es sind Menschen, die noch vielen in unserer Kultur unheimlich sind: der kurdische Nachbar, der schwarze Mann usw.... Während der Chor hall-verstärkt durch das Theater dröhnt und das Herz rasen lässt, reißen die Fremden schließlich den Zaun nieder, treiben die Norweger in die Ecke. Eric muss mit der Waffe dazwischen gehen und sie zurücktreiben. An dieser Stelle muss ich ein großes Lob aussprechen für die fantastischen, gut präparierten Chöre.
„Weil ihnen auf Erden nicht zu helfen war....“ ist das Interview mit Andreas Baesler überschrieben, was ich nach (!) der Vorstellung gelesen habe. Alle seine Ideen und Gedanken kamen während der Aufführung deutlich heraus, was ich nicht häufig erlebe. Nichts wirkte belanglos nicht überfrachtet, lediglich ein paar stärkere Momente in der Personenführung könnte ich mir vorstellen. Für seine Sicht kassierte er viele Bravos aber auch laute und deutliche Buhs, die ich ehrlich gesagt nicht nachvollziehen konnte. Meine Freundin sah den Holländer zum ersten Mal, fand aber auch, dass diese moderne Sicht durchgehend schlüssig war.
Für die musikalische Seite gab es durchgehend lautstarke Zustimmung. Ein wirklich toller Abend in Münster.