Die Kammersymphonie - Juwel des 20.Jahrhunderts

  • Salve!


    Keine Ahnung, ob es das Thema hier mal gab, aber gefunden habe ich nichts bei der Suche.


    Das 20.Jahrhundert hat ein Genre hervorgebracht, dass kein riesiges Repertoire, aber doch einige extrem wertvolle Juwelen der Kompositionsgeschichte birgt.


    Begonnen hat, wie ich gelesen habe, wohl alles mit Ermanno Wolf-Ferrari und seiner Kammersinfonie (Sinfonia da camera für 10 Soloinstrumente, op.8 von 1901, gedruckt 1903).


    Gestern habe ich mir mal angehört, was sich so aus diesem Genre in meiner Sammlung findet (der Wolf-Ferrari fehlt mir - noch...).


    • Britten - Sinfonietta, op.1
    • Eisler - Kammersymphonie op.69
    • Schönberg - 1.Kammersymphonie, op.9
    • Schönberg - 2.Kammersymphonie op.38
    • Schreker - Kammersymphonie für 23 Soloinstrumente
    • Tansman - Kammersymphonie
    • Strauss - Metamorphosen - Studie für 23 Solostreicher


    (Die Cover mit den Aufnahmen, derer ich mich bedient habe, unten.)


    Das Hauptwerk dieses Genres ist meiner Meinung nach der Schönberg mit seiner 1.Kammersymphonie. Ein Werk, das trotz seiner vergleichsweise kleinen Besetzung eine unglaublich dichte Faktur aufweist und von ungeheurer Intensität ist.
    In dieser Nachfolge stehen m.E. zahlreiche andere Werke, zum Beispiel der Schreker, obwohl von ganz anderem Klang, aber nicht minder intensiv. Eisler ist radikaler in seiner Atonalität, dagegen ist Schönbergs 2. Kammersymphonie viel konziser und versöhnlicher, geradezu freundlicher, und weist nach meinem persönlichen Empfinden eher zur Sinfonietta, obgleich kammermusikalischer besetzt.
    Britten nennt sein Werk zwar Sinfonietta, ist aber, so wie ich das höre, eher eine Kammersymphonie.


    Und warum habe ich den Strauss zum Abschluß gehört? Streng genommen ist das Werk weder eine Symphonie noch eine Kammersymphonie, aber dennoch finde ich das Werk ähnlich dicht und intensiv wie den Schönberg, wenn auch ganz anders gearbeitet. Irgendwie empfand ich dieses Werk als passenden Abschluß.


    Ich bin mir sicher, dass auch andere ihre Erfahrungen und Empfindungen zu diesem Genre haben und würde mich freuen, darüber hier zu lesen.


    Ach ja - das waren die Aufnahmen der Playlist:



    Ach ja - zu diesem Thema und dieser Playlist inspiriert wurde ich von diesem Buch (daraus habe ich auch die Information über die Chronologie):


  • Diese CD habe ich zwar schon lange, aber die 2. Kammersymphonie von Arnold Schönberg habe ich wohl bis heute nie (bewusst) gehört. Mein Verlust, denn das ist ein tolles Stück. Von Dodekaphonie weit entfernt, eher dem Neoklassizismus nahe. Brilliant dargeboten von dem Orpheus Chamber Orchester.

  • Das Thema Kammersinfonien scheint ja nicht so beliebt zu sein, wie man an der Resonanz erkennen kann. ;) Der erste Beitrag nun nach 5 Jahren.


    An dieser Stelle möchte ich auf die Kammersinfonien von Dmitri Schostakowitsch aufmerksam machen. Diese wurden von Rudolf Barshai nach den Streichquartetten Nr. 3, 4, 8 und 10 für Streichorchester gesetzt und vom Komponisten mit den Opuszahlen op. 73a, 83a, 110a und 118a autorisiert.


    Für meinen Geschmack gefallen diese mir besser als die Originale. Mit den Aufnahmen des Chamber Orchestra of Europe unter Barshai ist man bestens und autentisch bedient:



    DG, 1990-97, DDD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Auch George Enescu hat eine sehr beachtenswerte Kammersymphonie geschrieben:


    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Der Begriff Kammersinfonie ist insofern unklar, als dass es keine klare Definition von ihr gibt und auch keine saubere Abgrenzung zur normalen Sinfonie. So kann man beispielsweise Schostakowitschs 9. und 14. Sinfonie - letztere ganz besonders - auch als Kammersinfonien bezeichnen, genau so wie Weinbergs 2., 7. oder 10. Laut Aussage Weinbergs hat er den Begriff Kammersinfonie eh nur deswegen gewählt, um die Abfolge der hohen Zahlen ab seiner 20. nicht fortzusetzen. Von der Länge und vom Charakter her unterscheiden sich diese Werke nicht von den oben genannten.
    Und ich persönlich mach von der HIP herkommend da ehrlich gesagt auch nicht so einen Unterschied, nichtsdestotrotz möchte ich auf folgende zwei Kammersinfonien von Weinberg verweisen


    Viele Grüße
    John Doe


    teleton: Die Barschai-Orchestrierungen der Schostakowitsch-Quartette in der von dier genannten Einspielung kenne und schätze ich auch und ich hab ihnen auch jahrelang gegenüber den Originalen den Vorzug gegeben, bis ich auf die GA der Schostakowitsch-Quartette des Pacifica-Quartetts gestoßen bin:



    Die Aufnahmetechnik ist hier Teil der Interpretation, die als solche den alten Russen in nichts nachsteht! Bei größtmöglicher Transparenz entfalten sich Schostakowitschs Quartette in dieser Aufnahme derart solistisch, quartettmäßig, konzertant und kammersinfonisch, dass man nach den ersten Taktenschon nicht mehr merkt, dass da nur ein Quartett am Werk ist. :thumbup:

  • Der Begriff Kammersinfonie ist insofern unklar, als dass es keine klare Definition von ihr gibt...


    Als Kammersinfonie bezeichnet man ein musikalisches Werk vom Stellenwert einer Sinfonie, das allerdings nicht für Sinfonieorchester, sondern für ein Kammermusikensemble oder Kammerorchester komponiert wurde.
    Die Gattung kam zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf. Kammersinfonien wurden u.a. von Waldemar von Baußnern, Paul Juon, Franz Schreker, Nikolai Roslawez, Max Butting, Hanns Eisler, Isang Yun, Mieczyslaw Weinberg, Fritz Geißler komponiert. Besondere Bekanntheit erreichten die beiden Werke von Arnold Schönberg

    (Zitat: Wikipedia)


    Eine Kammer ist nichts anderes als ein Zimmer (= englisch Chamber, französisch Chambre).
    Kammermusik kann statt in einem Saal in einem Zimmer gespielt werden.
    Ein normales Sinfonieorchester passt nicht in ein Zimmer, daher ist die Besetzung eines Kammerorchesters viel kleiner.
    Die Kammersinfonie ist für eine kleines Orchester oder für eine Solistengruppe komponiert.

    mfG
    Michael

  • In einem normalen "Zimmer" von 40 Quadratmetern dürfte auch eine Kammersinfonie mit 15-20 Musikern eng und laut werden... ;)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Als Kammersinfonie bezeichnet man ein musikalisches Werk vom Stellenwert einer Sinfonie, das allerdings nicht für Sinfonieorchester, sondern für ein Kammermusikensemble oder Kammerorchester komponiert wurde.


    Ja, bloß wo hört das Kammerensemble auf und beginnt das Kammerorchester und ab wann das Sinfonieorchester? Und was ist mit den ganzen Septetten, Oktetten, Nonetten und Dezetten? Kann man so besetzte Werke auch schon als Kammersinfonie bezeichnen? Und was ist, wenn es elf oder dreizehn Instrumente sind?


    Nach dieser Definition besteht dann jedenfalls die gesamte Orchestermusik des Barocks mit Ausnahme der Händelschen Feuerwerksmusik aus Kammerkonzerten und Kammersuiten und die der Frühklassik und Klassik mehrheitlich aus Kammerkonzerten und Kammersinfonien, bloß wurden sie nicht als solche bezeichnet.
    (Wenn ich mich recht entsinne ist sogar ein Klavierkonzert von Beethoven mit einem solistisch besetzten Orchester uraufgeführt worden. Schoonderwoerd hat das doch als Vorbild für seine GA dieser Konzerte hergenommen.)
    Was unterscheidet also nach obiger Definition die h-moll Suite von Johann Sebastian Bach und eine Streichersinfonie von Carl Philipp Emanuel Bach von Weinbergs Kammersinfonie Nr.3, ausser dass die erstgenannten Werke vielleicht noch kleiner besetzt sind, als letztere?


    Das hab ich gemeint mit unklarer Definition.


    Viele Grüße
    John Doe
    :)

  • Es ist in der Praxis normalerweise nicht unklar, weil die Kammersinfonie i.e.S. ja zu einer Zeit aufkam, als Sinfonien normalerweise mindestens den Orchesterapparat einer Sinfonie von Brahms, eher einer von Mahler voraussetzten. Nämlich um 1900 und da gab es mehr als hundert Jahre Tradition groß besetzter NICHT-Kammersinfonien. Während im Barock tatsächlich fast alle Instrumentalmusik (auch) Kammermusik war, selbst wenn einzelne Werke bei besonderen Gelegenheiten mit Besetzungen a la Royal Fireworks gegeben wurden.
    Seitdem (also um 1900) ist die Grenze nach oben m.E. etwa so gegeben, dass alles, was einigermaßen deutlich unter einer ca. Beethovenbesetzung (je zwei Fl.,Ob., Clar. Fg., Hr., Trp, Pk, chorisch besetzte Streicher) liegt, Kammersinfonie heißen könnte. Und nach unten ungefähr ab dann, wenn es keine übliche Bezeichnung (Septett, Nonett usw.) mehr gibt, also ca. 10-12 Musiker.


    Ich finde die Bezeichnung "Kammersinfonie" für Streichorchesterfassungen von Streichquartetten eher irreführend. Warum sagt man nicht einfach Streichorchesterfassung des Quartetts xxx?

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Es ist mir schon klar, dass der Begriff Kammersinfonie im frühen 20. Jhdt. vor dem Hintergrund der damaligen Aufführungstradition entstanden ist. Es sind klein besetzte Sinfonien, die aus HIP-Sicht auf Grund ihrer Besetzungsstärke nichts besonderes sind, sondern erst durch ihren zeitlichen Kontext zu dem gemacht werden.
    Und da liegt schon das nächste Problem drin:
    Der Begriff "Kammersinfonie" macht diese Werke zwar zu etwas besonderem, schließt sie aber von den herkömmlichen Sinfonien aus mit dem Ergebnis, dass sie in der Rezeption gerne übersehen werden.
    Für mich sind das ausgewachsene sinfonische Werke, die sich eben nur in ihrer Orchesterstärke von ihren zeitgenössischen Schwesterwerken unterscheiden und in sonst nichts!
    Weinberg beispielsweise hat den Großteil seiner letzten Sinfonien nur deswegen Kammersinfonien genannt, weil er mit der Zählung der herkömmlichen Sinfonien nicht soweit in die 20er reinkommen wollte. Gleichzeitig befinden sich aber schon drei echte Kammersinfonien unter in der Reihe seiner "normalen" Sinfonien, wie z.B. die Nr.10, die ich jetzt kurz vorstellen möchte:



    1960 entstanden und Rudolph Barschai und seinem Moskauer Kammerorchester gewidmet verlangt dieses Werk eine 17 köpfige Besetzung. Die Sinfonie selbst gilt als Höhepunkt von Weinbergs kammersinfonischem Schaffen und ähndelt mit ihren fünf Sätzen eher einer Suite als einer herkömmlichen Sinfonie, was auch noch dadurch verstärkt wird, dass sie in ihren einzelnen Sätzen auf ältere Musikformen bezug nimmt. Als neobarock, bzw. neoklassisch kann man sie nicht bezeichnen, da sie vom Ausdruck her doch eindeutig 20. Jhdt, ist und von dem her zu den herberen Werken Weinbergs gehört.


    John Doe

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