Thielemann dirigert Beethovens 9. - 25.04.2010

  • Ich habe gerade in meinen Mitschnitt der Matinee reingehört und bin gelinde gesagt doch enttäuscht.
    Positive Punkte gleich vorweg: Die Wiener Philharmoniker klingen toll, Bezcala und Zeppenfeld lassen schöne Stimmen hören. Der Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien muss sich schon Abstriche gefallen lassen. Eine gute Leistung wird getrübt durch manch verwackelten Einsatz und auch Mängel in der Intonation. Auch Christian Thielmanns Interpretation ist mir zu unausgewogen, der erste und zweite Satz ist mir zu zerfasert, der dritte gelingt besser, im vierten hapert es in der Balance zwischen Orchester und Chor, was eindeutig zu lasten letzterem geht. An einen Vergleich mit meiner Lieblingsinterpretation von Gardiner wage ich gar nicht zu denken.
    Größtes Ärgernis ist allerdings das solitische Quartett am Ende des viertes Satzes im Poco Adagio (alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt), das sich dermaßen unhomogen anhört und bei Thielmanns langsamen Schlag auch an der Grenze der Atmung bewegt. Dazu der wirklich in diesem Fall nicht erträgliche Gesang von Annette Dasch, deren Flügel in höchster Höhe buchstäblich abschmieren.

  • Zitat

    Original von WotanCB
    . Dazu der wirklich in diesem Fall nicht erträgliche Gesang von Annette Dasch, deren Flügel in höchster Höhe buchstäblich abschmieren.


    Wer selber die 9. von Beethoven gesungen hat, weiß wie schwer sie zu singen ist. Der Sopran kann in der Höhe nur noch den Mund aufmachen und versuchen mit den anderen Solisten über das Orchester hinweg zu kommen und das ist manchmal ohne "Schreien" nicht möglich. Textverständlichkeit bleibt da auf der Strecke. Ein undankbares Stück von Beethoven für die Solisten, so habe ich es empfunden und nie gerne gesungen.

  • Zitat

    Original von WotanCB
    ..., im vierten hapert es in der Balance zwischen Orchester und Chor, was eindeutig zu lasten letzterem geht.
    ...


    Solche Aussagen sind mit Vorsicht zu tätigen. Diese Balance kann auch vom Tonmeister kommen, der sich für den Chor Sicherheitsreserven für die Liveübertragung geschaffen hat. Das kann dann in der Plattenabmischung durchaus anders klingen...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von musica


    Wer selber die 9. von Beethoven gesungen hat, weiß wie schwer sie zu singen ist. Der Sopran kann in der Höhe nur noch den Mund aufmachen und versuchen mit den anderen Solisten über das Orchester hinweg zu kommen und das ist manchmal ohne "Schreien" nicht möglich. Textverständlichkeit bleibt da auf der Strecke. Ein undankbares Stück von Beethoven für die Solisten, so habe ich es empfunden und nie gerne gesungen.


    Ich habe die 9. immerhin mehrmals im Chor mitgesungen und kann daher erahnen wie schwer die Partieen der Solisten und gerade im Sopran sind. Aber mir ging es letztendlich nicht um die Textverständlichkeit sondern um den Ton, genauer das h². Dieser Ton und einige andere mißlingen ihr und trübt absolut das Ergebnis.
    Bitte nicht falsch verstehen: Ich habe, da ich selber auch ein bisschen singe, viel Verständnis für andere Sänger und fiebre oft im Theater mit Ihnen mit in der Hoffnung das ihnen das gewünschte Ergebnis gelingt. Aber in diesem Fall muss man auch mal ehrlich sein und sagen, das war leider nix.

  • Zitat

    Original von Theophilus


    Solche Aussagen sind mit Vorsicht zu tätigen. Diese Balance kann auch vom Tonmeister kommen, der sich für den Chor Sicherheitsreserven für die Liveübertragung geschaffen hat. Das kann dann in der Plattenabmischung durchaus anders klingen...


    :hello:


    In der Tat, das habe ich nicht beachtet. Danke für diesen Hinweis.

  • Zitat


    Original von WotanCB
    Der Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien muss sich schon Abstriche gefallen lassen. Eine gute Leistung wird getrübt durch manch verwackelten Einsatz und auch Mängel in der Intonation. Auch Christian Thielmanns Interpretation ist mir zu unausgewogen, der erste und zweite Satz ist mir zu zerfasert, der dritte gelingt besser...


    Abgesehen von der Interpretation, die es noch zu hören gilt, sind das Dinge, die typischerweise bei Live-Aufführungen nicht auszuschliessen sind.
    Ich hoffe nur, dass sie Einiges davon am Folgetag für die CD wenigstens ausgebessert haben.


    Insgesamt bestätigen mir solche Berichte wieder einmal meine generelle Vorliebe für "Studio"produktionen bei Aufnahmen.
    Man kann hier für zwischen jedem Take sich erholen, Pausen machen, nicht optimal Geratenes verbessern und ein insgesamt - sicherlich etwas unmenschlich- perfektes Ergebnis erzielen, dass m.E. aber durch die "Kunstform" des bei jedem Abspielvorgang immer gleich klingenden Tonträgers an sich geboten und erwünscht ist.


    In den 70er, 80er und noch 90er (?)-Jahren waren nach meinem Eindruck noch die "Studio"produktionen vorherrschend (das "Studio" war dann natürlich in erster Linie der Konzertsaal oder die Kirche), während man heute, wohl aus Kostengründen, stark zum eiligen Live-Mitschnitt bei Produktionen dieser Grössenordnung (also nicht Kammermusik) tendiert.
    (Der Hinweis sei erlaubt, dass auch Probenzeit teuer ist.)

    Man sieht, wie sehr die Tonkunst vom Geld gerade heute vom Geld abhängig ist und es schon immer wahr.
    Wie man die Finanzierung der Klassischen Musik insgesamt verbessern könnte (ohne die Kunst auf ein leicht verkäufliches Strassenniveau zu ziehen), wäre vielleicht Wert, in einem eigenen Thread diskutiert zu werden.


    Ich finde diese Tendenzen bedauerlich und wünsche mir mehr sorgfältige und dementsprechend auch gut finanzierte Studioaufnahmen.
    Es gibt natürlich ganz hervorragende, wunderbare Live-Mitschnitte von Sternstunden, die sogar auch aufnahmetechnisch kaum noch Wünsche offen lassen, und ich besitze auch solche Schätze.
    Für mich sind das aber eher Ausnahmen, die die Regel bestätigen.
    Man sollte nur aus ökonomischen Gründen nicht so naiv sein zu glauben, dass jede Live-Aufnahme - auch mit grossen Namen besetzt- zur legendären Sternstunde wird.
    Das kann und wird nicht funktionieren.


    Mir vorliegende Wiener Mitschnitte der 1. und 2. Symphonie Beethovens unter Thielemanns Leitung sind übrigens ganz gut gelungen, besonders eine sehr schöne 2.



    :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zitat

    Original von Glockenton


    Abgesehen von der Interpretation, die es noch zu hören gilt, sind das Dinge, die typischerweise bei Live-Aufführungen nicht auszuschliessen sind.
    Ich hoffe nur, dass sie Einiges davon am Folgetag für die CD wenigstens ausgebessert haben.


    Insgesamt bestätigen mir solche Berichte wieder einmal meine generelle Vorliebe für "Studio"produktionen bei Aufnahmen.
    Man kann hier für zwischen jedem Take sich erholen, Pausen machen, nicht optimal Geratenes verbessern und ein insgesamt - sicherlich etwas unmenschlich- perfektes Ergebnis erzielen, dass m.E. aber durch die "Kunstform" des bei jedem Abspielvorgang immer gleich klingenden Tonträgers an sich geboten und erwünscht ist.


    Ich persönlich bin ein großer Freund von Live-Mitschnitten und nehme für die Atmosphäre der Aufführung auch mal den ein oder anderen Schnitzer in Kauf, auch wenn das in meiner obigen Kritik durchaus anders rüber kommt. Aber ich bin mit dem Gesamtergebnis dieser Matinee nicht zufrieden gewesen, daher auch diese ganz subjektive Bewertung.

  • Ich war heute in der angesprochenen Aufführung und ich kann Wotan nur zustimmen. Üblicher Jubel zum Schluss, bei Thielemann jubelt man eben, aber mich hat es kalt gelassen, zumindest bis zum Einsetzen des Singvereines. Erst dann kam menschliche Emotion ins Spiel. Die ersten beiden Sätze, perfekt gespielt, aber ohne Seele, wie lauter einzelne Versatzstücke in einer Wohnung, die überhaupt nicht zusammenpassen. Dann mein Lieblingssatz, der Dritte! Und hier hab ich es überhaupt nicht verstanden, noch nie ließ mich diese Musik so unberührt wie heute. Daran änderte es auch nichts, dass wirklich die Creme de la Creme der Philharmoniker an den Pulten saßen, die Streicher klangen für sich phantastisch, das Blech war einmal wirklich topp, und auch die Hörner (oftmals Wackelkandidaten, da das Wiener Horn halt kicksanfälliger ist) intonierten toll.


    Aber was Thielemann in Sachen Tempo, Übergänge und Dynamik bot, leider meiner Meinung nach Thema verfehlt. Wunderschön war er anzusehen, wie er mit Pomade im Haar den Taktstock führte, aber es war halt geschmäcklerisch. Meiner Meinung dirigierte er mit dem Hintergedanken, so stellt sich das Publikum vor, dass der Thielemann Beethoven dirigiert (diesen Eindruck hatte ich auch unlängst bei der Fünften).


    Nicht konform bin ich mit Wotan bei der Leistung des Singvereins, für mich war er toll, und auch die Solisten, chapeau, mit der schon zitierten Ausnahme Dasch. Zu ihrer Entschuldigung kann ich nur beitragen, dass sie sich nach ihrem Part stark räusperte und hustete, vielleicht war sie indisponiert, aber insgesamt war meine Auffassung eher, dass sie diese Partie überfordert hat.


    Der negative Höhepunkt war das erste Erklingen des Götterfunken-Themas in den Kontrabässen, das nach einer viel zu langen G.P. einsetzte und in pppp ertönte. Ein Gast auf Der Galerie sagte mir nachher, dass er es überhaupt nicht gehört hat...man kann auch übertreiben....


    PS: Ruzickas modernes Werk vor der Pause überzeugte mich da mehr....

  • Um den Thread der Beethoven Sinfonie Nr.3 nicht unnötig zu belasten hänge ich meinen Beitrag hier an, bei dem es um Thilemann geht.


    Ich habe am Dienstagabend zufällig auf ARTE umgeschaltet und da lief die Eroika mit Thielemann / Wiener Philharmoniker - eine Aufzeichnung von 2009.


    Thielemann liegt mir auf CD bisher noch nirgens vor. Nachdem ich das gehört habe, denke ich, wird es auch so bleiben !


    Diese überromatisierenden Hervorhebungen von einzelnen "Wunderschönen" Passagen und das damit verbundene Verlangsamen gingen mir schwer auf den Wecker. Das hat nichts mit Beethovens Metronomangaben zu tun. Die Wiener PH folgeten ihm auf Schritt und Tritt; sehr sauber. Auch seine Art zu dirigieren fand ich nicht übel. Er sprach anschließend mit einem Journalisten über seinen interpretationsansatz. Sicher - so wie er es darstellt klingt es intelligent und fundiert.


    ;( Aber was nützt das alles - :thumbdown: mir als Hörer gefiel diese Darstellung von Beethoven nun überhaupt gar nicht. Seine anstehende GA aller Sinfonien --- ich denke nicht, dass ich die benötige.


    :?: Wie seht ihr Thieleman ? Hat jemand diesen "Plumquatsch" gesehen ?

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • ...
    ;( Aber was nützt das alles - :thumbdown: mir als Hörer gefiel diese Darstellung von Beethoven nun überhaupt gar nicht. Seine anstehende GA aller Sinfonien --- ich denke nicht, dass ich die benötige.


    :?: Wie seht ihr Thieleman ? Hat jemand diesen "Plumquatsch" gesehen ?


    Zum Ersten: Die "anstehende GA" ist im November auf Blueray veröffentlicht worden! Wenn ich mich recht erinnere, so sind die Philharmoniker mit Thielemann diese Woche in Paris und nächste Woche in Berlin, wo jeweils der gesamte Zyklus aufgeführt wird!


    Zu den Aufführungen: der ORF hat bisher die ersten drei Symphonien übertragen und Thielemann umschifft elegant die letzten drei Jahrzehnte Auseinandersetzung mit Beethoven. Vollmundiger, runder Ton der Philharmoniker, eher flottes Grundtempo, das aber einen weiten Variationsspielraum besitzt (vor allem in Richtung "langsamer"), gut ausbalancierter Orchesterklang ohne Betonung des Blechs. Ein Philharmoniker erzählte in einem Interview, dass Thielemann ebenso ein Klangfetischist sei, wie es Karajan und Böhm waren, und das kann man hören. Allerdings gönnt er sich vom Tempo einen weiteren Spielraum. Da setzen neue Themen langsam ein und gewinnen Fahrt, wo andere moderne Dirigenten eisern ihren Nähmaschinenrythmus durchziehen, Generalpausen verleiten zum Hören auf die fallende Stecknadel und wer nach einer Symphonie atemlos nach Luft schnappen will, der soll sich mit einem Stapel Dausgaard-CDs in ein stilles Kämmerlein zurückziehen - bei Thielemann kommt er definitiv nicht aus seine Kosten.


    Es zeigt sich aber, dass diese Art der Interpretation heute sehr wohl ihr Publikum findet - zumindest in Wien kommt er damit sehr gut an und auch die Philharmoniker scheinen ihn sehr zu schätzen. Lediglich die Kritiker werden händeringend nach Formulierungen suchen müssen, um diesen völlig "veralteten" romantischen Ansatz nicht einfach zu zerpflücken, sondern ihm angesichts des unüberhörbaren Zuspruchs des zahlenden Publikums doch die eine oder andere positive Seite abzugewinnen. Vielleicht sollte man auf die Kritiken aus Paris und Berlin warten. Ich erwarte mir da durchaus unterschiedliche Meinungen...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • Ich hatte mir die Sendung auch angeschaut und fand eigentlich den sich permanent anbiedernden Joachim Kaiser schlimmer als Herrn Thielemann. ;)


    Das einzig überraschende war, daß Thielemann im Scherzo der Eroica schneller zu sein schien als Bernstein (wo weit anhand der kurzen Gegenüberstellungen hörbar).


    Ansonsten ist Thielemann halt Thielemann. Er meint, auch Beethoven durch seine agogischen Freiheiten "interessanter" machen zu müssen, genau so wie er es bei Brahms und Bruckner (u.a.) durchführt, offenbar frei nach dem Motto: "Wenn's bei Furtwängler gut war, dann kann es bei mir nicht schlecht sein."


    Das Dumme ist bloß: Beethovens, Bruckners und Brahms' Musik ist an sich schon so "gut komponiert", daß sie solche effektvollen Mätzchen gar nicht nötig hat...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Lediglich die Kritiker werden händeringend nach Formulierungen suchen müssen, um diesen völlig "veralteten" romantischen Ansatz nicht einfach zu zerpflücken, sondern ihm angesichts des unüberhörbaren Zuspruchs des zahlenden Publikums doch die eine oder andere positive Seite abzugewinnen. Vielleicht sollte man auf die Kritiken aus Paris und Berlin warten. Ich erwarte mir da durchaus unterschiedliche Meinungen...


    Hmm, irgendwie nicht so richtig, habe ich das Gefühl: Andreas Göbel vom rbb Kulturradio stellt genau alles das, was Du geschrieben hast, zu der gestrigen Hinrichtung der Vierten und Fünften in stellenweise geradezu süffisanter Schreibe auch fest - du denkst die ganze Rezension über, das kann nur im Fazit "misslungen" münden. Aber: seine letzten zweieinhalb Zeilen sind dann kein Schlenker, sondern eine Kehrtwendung um 180 Grad: "Beethoven in höchster Vollendung ... streiten, ob Beethoven so interpretiert noch zeitgemäß ... aber die Qualität, das Niveau ist nicht mehr zu überbieten." Fazit: 5 Ks - großartig -.


    Da biste platt :wacko:


    Und die "schnellsten Kritiken Berlins" in der BZ titeln: "Thielemanns Beethoven ist ein triumphaler Traum": "...einfallsreiches Genie ... praktisch makellose Sensation ... nicht verkopft auf Partitur oder Metronom geeicht ... ein glitzernder Fluss, der atemberaubend strömt und sprudelt und als Naturschönheit bewegt" - ja dann habe ich jetzt endlich eine Vorstellung, wo ich bestimmt nicht hingehen werde.

  • Neulich war eine Fernsehsendung über die IX. Beethoven, und neben anderen waren häufiger Järvi und Thilemann gegenübergestellt.


    Ich möchte keinen Stab brechen, habe nur meine eigene Präferenz gefunden.