Populärklassik versus Richtige Klassik

  • Liebe Forianer,


    was ich im Threadtitel nicht getan habe, hier mach ichs;
    Ich setze die beiden Begriffe, die Zatopek in einem anderen Thread ins Spiel gebracht hat, unter Anführungszeichen.


    Bevor wir uns der Kernaussage, daß Klassische Musikl heutzutage nur dann existieren könne, wenn man einen guten Mix aus "Populärklassik" und "richtiger Klassik" anbiete, weil in letzter Konsequenz die Populärklassik die richtige Klassik finanzierbar machen müsse widmen, vorerst ein parr Versuche die beiden Begriffe zu definieren.


    Ich habe ischon im entsprechenden anderen Thread die Frage aufgeworfen, was denn unter "Populärklassik" zu verstehen sei - Mainstream an sich - ist das schon Populärklassik ? Ober bedarf es hiefür eine Veredeleung durch Rieu oder einen anderen Arrangeur ? Ist hier der letzte Satz aus Beethovens Neunter inder Bearbeitung von Woldo de Los Rios gemeint, der in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts unter dem Titel "Song of Joy" für Furore sorgte (und mir in meiner Jugend diese Sinfonie näher brachte*)


    Oder ist schon ein Werk wie Mozarts Klavierkonzert Nr 27 mit seinem Thema "Komm lieber Mai und mache..." zur Populärklassik zu zählen.
    Ich habe sch an anderer Stelle darauf hingewiesen, daß Beethovens 5. und auch "Also sprach Zarathustra" von Richard Strauß, ebenso wie Tschaikowskys Klavierkonzert Nr 1 Allenfalls ein paar Anfangstakte lang "populär wären, der Rest sei unbekannt.


    Diese Fragen lassen sich aller Voraussicht nach noch eher leicht beantworten, wenngleich es hier eklatante Auffassungsunterschiede gebendürfte..


    Viel schwieriger jedoch erscheint mir die Frage:


    "Was versteht man unter "richtiger" Klassik ???


    mfg aus Wien


    Alfred




    *ich hatte sie nicht gekauft, da sie iohrer enormen Länge wegen meist auf 2 Schallplatten angeboten wurde, soll heissen: doppelter Preis)

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • So einfach finde ich die Frage gar nicht.


    Nehmen wir uns mal ein Stück wie den 'Minutenwalzer' von Chopin. Sehr populär - kennen auch viele Menschen, die keine Klassikhörer sind. Aber gleichzeitig ist das auch ein erstklassiges Charakterstück, das man durchaus ernst nehmen kann.


    Oder den Hummelflug. Man kann das so schnell spielen, dass man es nur noch mit künstlichen Hilfsmitteln hören kann. Man kann das aber auch anständig interpretieren.


    Oder nehmen wir Andre R*** (nein, ich nehme den Namen auch in diesem Thread nicht in den Mund...). Er mißbraucht Johann Strauß. Aber ein Walzer von Strauß, vernünftig interpretiert, ist ein vollwertiges Charakterstück und eigentlich "richtige Klassik".


    Ich glaube, die Unterscheidung zwischen 'Populärklassik' und 'richtiger Klassik' ist eine Funktion vom Stück und der Interpretation. Manche Stücke neigen dazu, 'leicht verdaulich' zu sein. Wenn man sie dann noch stark simplifiziert (einer der Schrecken meiner Jugend: ein popularistischer "Pianist", zu dessen Popularität ich nicht beitragen möchte, indem ich seinen Namen nenne simplifiziert den langsamen Satz aus Mozarts KV 467, oder ein E-Gitarren-Plärrer geht zum Großen Preis und gibt uns den ersten Satz von Mozarts KV 550 für E-Gitarre und Orchester...), hat man Machwerke, die ich unter 'Populärklassik' einordnen möchte. Oder indem man einfach verkürzt, wie die Symphonische Dichtung über eine Deutsche Brauerei von Richard Strauss. Die meisten denken, sie kennen Tschaikowskis b-moll-Klavierkonzert, wenn sie die ersten zwei Minuten nachpfeifen können. Wenn sie dann in ein Konzert gehen, und feststellen, dass da noch vieeele Minuten ohne diese Melodie kommen, sind sie schwer enttäuscht!


    Andere Stücke scheinen demgegenüber ziemlich resistent zu sein.


    Die meisten Stücke bewegen sich irgendwo in diesem Feld.


    Eine scharfe Trennlinie kenne ich nicht. Man kann auch Mozarts Requiem breittreten. Jeder von uns wird dieses Feld in zwei Zonen einteilen können - aber das Resultat wird bei zwei Forenbesuchern selten identisch sein.

  • Am leichtesten fällt mir die Beantwortung der Frage mit der Nennung eindeutiger Beispiele:


    Populärklassik:



    ...hier Track 6 "Mondscheinsonate"


    dagegen ganz eindeutig, 1000%ige richtige Klassik:



    ...hier Track 1


    Einfach `reinhören, dann sollte der Unterschied klar werden.
    Erstaunlich, dass bei der ersten Version nicht noch ein dezentes Schlagzeug unterlegt wurde....so etwas gibt es aber bestimmt auf dieser Welt.
    Ich könnte hier hinsichtlich der Unterschied sehr drastische Worte finden, will aber höflich bleiben und mein Lieblingsreizthema " entweder hat man Geschmack, oder man hat ihn eben nicht" hier lieber ausklammern.
    Jedenfalls kann ich von mir sagen, dass mir Originalversion 2 mit dem jungen Brendel unendlich mehr zu sagen hat.


    Vielleicht gibt es im Vergleich zwischen Populärklassik und Klassik Analogien zu den Begriffen Kitsch vs. Kunst die bei der Beschreibung helfen könnten.
    Das Eine weckt eher oberflächliche, billig sentimentale Gefühle, das Andere kann sowohl Seele als auch Geist in einer nachhaltigen, edlen und tiefen Weise ergreifen.
    Den Unterschied kann man besser hörend als lesend erfahren, auch bei dem von mir genannten Stück.
    "Wenn man`s nicht fühlt, wird man`s nicht erjagen"....(um einen deutschen Dichterfürsten in abgewandelter Form zu bemühen)


    Es ist auch wahr, dass man auch original und ordentlich gespielte klassische Werke in unerträglicher Weise kaputtspielen kann und von daher eine begriffliche Unterscheidung zwar möglich, aber eben nicht in einem Kurzsatz hinzubekommen ist.
    Ein Paradebeispiel ist da wohl die "Morgenstimmung" von Grieg.
    Ich habe das schon auf wenige Sekunden zusammengeschnitten in TV-Werbungen über mich ergehen lassen müssen. Ob es sich da jetzt um umweltfreundliche Kloreiniger oder so etwas handelte, weiss ich jetzt nicht mehr.
    Auf Touristenbooten in norwegischen Fjorden kann man auch damit rechnen, dass es irgendwann einige Sekunden lang an passender Stelle erklingt....nun denn, das geht ja noch, bei der Umgebung.
    Auch als Wecker auf einer Fähre habe ich es schon gehört....natürlich nur ein paar Takte, dann kam brutal so eine "Ladies and Gentleman"-Stimme.


    Irgendwo habe ich gelesen, dass Grieg es schon zu Lebzeiten nervte, dass die Leute mit "Grieg" vornehmlich die Flötennoten der ersten Takte dieses Stückes verbanden.


    Trotzdem ist und bleibt es ja ein wunderbares Stück, und im richtigen Zusammenhang wirkt es bei mir immer noch.
    Auf einer meiner CDs (Marriner) kommt es nach Åses Tod.
    Da fühlt man richtig die Wärme der ersten Sonnenstrahlen.


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Ich glaube mit zwei Kategorien kommen wir nicht aus. In meiner Anfangszeit als Klassikhörer hatte ich auch solche LP'S wie z.B. "Die schönsten Opernchöre". In der Wagnerversion alle von Wilhelm Pitz einstudiert mit dem Orchester der Bayreuther Festspiele. Große Kunst, große Interpretationen, aber zwiefelsohne, damals jedenfalls, äußerst populär. Und die Reihe könnte man ja beliebig erweitern. Was sah ich gerade: "Chopin zum Chillen". Populäre Stücke mit großen Interpreten.


    Um Menschen zur Klassik zu führen, sicherlich legitim. Dies ist für mich Populärklassik. Aber die sollte man, denke ich, von den "Vergewaltigern" absetzen, eben von einer richtigen "Trashklassik", Rieu, Lotti, Mae und Konsorten. Das hat nichts mit Klassik zu tun, sondern ist schon eher eine völlig neue Musikrichtung, die sich nur klassischer Zitate und Beigaben bedient.


    Dass sie durchaus ein bestimmtes Bild von Klassik verkaufen, ist sicherlich bedenklich. Andererseits wenden sie sich an ein total anderes Publikum, dass in der Regel sowieso keine (richtige) Klassik hört.


    :hello: Gustav

  • Zitat

    Original von Gustav
    Aber die sollte man, denke ich, von den "Vergewaltigern" absetzen, eben von einer richtigen "Trashklassik", Rieu, Lotti, Mae und Konsorten. Das hat nichts mit Klassik zu tun, sondern ist schon eher eine völlig neue Musikrichtung, die sich nur klassischer Zitate und Beigaben bedient.


    Dass sie durchaus ein bestimmtes Bild von Klassik verkaufen, ist sicherlich bedenklich. Andererseits wenden sie sich an ein total anderes Publikum, dass in der Regel sowieso keine (richtige) Klassik hört.


    :hello: Gustav


    Da muss ich leicht widersprechen. Als ich noch im Tonträgerhandel als Abteilungsleiter der Klassik-Abteilung war, kamen sehr viele Leute zu mir in den Laden, die erst diese "Trashklassiker" gehört haben. Sie wollten danach die "richtigen" Klassiker auf CD haben. Viele von Ihnen konnte ich als Stammkunden für die Klassik gewinnen.


    LG Uwe

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  • Ich kann mich noch an ein Konzert von Lotti in der Düsseldorfer Philipshalle erinnern. Es wurden busweise ältere Damen aus den BeNeLux-Staaten angekarrt.


    Wir hatten die Karten von einem Vertreter der EMI bekommen.


    Die Stimmung, die sie verbreitet haben war phänomenal. Man kann zu Helmut Lotti stehen, wie man will, was er an diesem Abend geboten hat, ich muss sagen: Chapeau. 2,5 Std. auf der Bühne und hinterher noch 45 Minuten Zugabe.


    Alles hat natürlich nicht sehr viel mit der "richtigen" Klassik zu tun, aber trotzdem Hut ab vor dieser physischen Leistung.

  • Zitat

    Original von MosesKR1


    Da muss ich leicht widersprechen. Als ich noch im Tonträgerhandel als Abteilungsleiter der Klassik-Abteilung war, kamen sehr viele Leute zu mir in den Laden, die erst diese "Trashklassiker" gehört haben. Sie wollten danach die "richtigen" Klassiker auf CD haben. Viele von Ihnen konnte ich als Stammkunden für die Klassik gewinnen.


    LG Uwe


    Das ist doch eine schöne Nachricht zum Ende eines langen Tages. Hoffen wir, dass das recht häufig vorkommt.


    :hello: Gustav

  • Ein anderes Konzert:


    Pavarotti in Dortmund.


    Die Westfalenhalle war bis auf den letzten Platz ausverkauft.


    Pavarotti hat an diesem Abend 5 Arien und 2 Duette mit einer Sopranistin gesungen. Der Sopranistin hat man auch noch 2 Stücke zugestanden und dem Orchester 3 Einlagen, wie ich das mal so nennen möchte.


    In der Pause dachte ich so bei mir, naja, angesichts der horrenden Eintrittspreise, unsere Karten hätten 250 € gekostet, aber wir hatten wieder Karten von der Industrie bekommen :pfeif: :D, da muss von Pavarotti schon noch einiges kommen.


    Die letzte Arie war natürlich "Nessun dorma". Ich habe es noch nie erlebt, das nach Schluß dieser Arie 50000 Menschen von ihren Sitzen aufsprangen und begeistert waren.


    Da geht mir heute noch eine Gänsehaut.


    Es erübrigt sich natürlich zu sagen, dass wir hinterher noch in der VIP Lounge waren... :pfeif: :pfeif: :pfeif:

  • Zitat

    Original von Gustav


    Das ist doch eine schöne Nachricht zum Ende eines langen Tages. Hoffen wir, dass das recht häufig vorkommt.


    :hello: Gustav


    Lieber Gustav,


    ich glaube, den Zahn muss ich dir leider iehen, denn es gibt in meiner größeren Umgebung keine Klassikfachverkäufer mehr, die sich um ihre Kunden kümmern.


    Wir in Krefeld, ein mittelgroßer Laden, haben Kundschaft aus einem Radius von 100 kmm gehabt, die extra wegen der Beratung kamen. Das findest du heute nirgendwo mehr. Wenn du heute in einen dieser großen Märkte wie M*** und S*** gehst, die halten Mozart für eine Zahncreme.



    Jetzt gutes Nächtle


    LG Uwe

  • Die Frage ist in der Tat vor allem, wie man das überhaupt definiert.


    Populär sind in der Tat die ersten Takte der 1. Sätze der 5. von Beethoven, der 25. und 40. von Mozart, von Orffs "Carmina Burana". Populär ist "Freude, schöner Götterfunken" in der 9. von Beethoven (viele halten das übrigens für ein "Lied" ...). Populär ist auch der Walkürenritt. Aber ist das alles deswegen "Populärklassik"? Ich meine nicht.


    "Populärklassik" – wenn wir diesen Begriff verwenden wollen – ist für mich irgendeine André Rieu-Kitschversion von Johann Strauß Sohn ( :no:) (der dadurch ungerechtfertigt in eine niveaulose Ecke gerückt wird und von vielen generell als Kitsch aufgefaßt wird, was er in einer anständigen Interpretation freilich mitnichten ist), das ausgekoppelte "Freude, schöner Götterfunken" unter der Leitung von Gotthilf Fischer ( :wacky:) (echt grausam) oder wenn Paul Potts "Nessun dorma" trällert ( :faint:) (mir glaubt aus meinem Freundeskreis immer fast niemand, daß er kaum einen Ton trifft – man sollte seine Leistung doch anerkennen, sein Talent nicht verkennen, nicht so überheblich sein usw. ...).


    Populär sind gewisse Stellen aus Symphonien, manche Arien aus Opern usw. Auf solchen "Populärklassik"-CDs sind oft die "Highlights der Klassik" zusammengestellt (was sie freilich nicht zu echten Querschnitten macht, die ich aber auch nicht sonderlich schätze). Die Leute wollen die "Renner" hören. Aus eigener Erfahrung kann ich etwa berichten, daß ich meiner Mutter aus Puccinis "Turandot" (als Gesamtaufnahme natürlich) das unvermeidliche "Nessun dorma" vorspielte. Sie findet es natürlich Klasse. Der Rest der Oper interessierte sie dann aber nicht mehr sonderlich, ich mußte es vielmehr wiederholen ... :pfeif: Wobei ich es verstehen kann, wenn Klassik-Laien so ihre Probleme haben mit dem "Rest", neben den "populären" Highlights. Wie kam ich etwa zu Beethoven? Genau, natürlich durch den Beginn der 5. Ich hatte mir dann auch recht bald eine Box mit "Meisterwerken der Klassik" zugelegt, wo der Kopfsatz der 5. natürlich auch dabei war. Und ich erinnere mich, daß ich damals selbst diesen einzelnen Satz als sehr lang empfunden habe. Durch heutige Hörgewohnheiten ist dies m. E. gar kein Wunder. Die ganze 5. Symphonie erscheint einem Laien unendlich lange, was wir Klassik-Liebhaber gar nicht mehr nachvollziehen können. Die gängen POP-Stücke sind so 2–3 Minuten lang, soweit ich das überblicke. Heute gilt ja bereits ein Lied, das über 5 Minuten geht, als lange.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Wie schwierig der Begriff "Populärklassik" zu definieren ist, hat der Thread bis jetzt gezeigt. Ich sehe es wieder etwas anders als Josef.


    Ich finde man kann Populärklassik nicht mit Andre Rieu und seinem Schmalz - Gedöns gleichsetzen. Das würde bedeuten, dass nur Oma- und Opa-Klassik populär wäre.


    Populärklassik ist auch Richtige Klassik !


    Unter Populärklassik verstehe ich solche Werke, die auch bei einer großen Anzahl von Klassik und Nichtklassik-Hörern gedanklich etwas in dieser Richting auslösen: das habe ich schonmal gehört; das ist toll; den Komponisten kennen ich; den müßte man mal hören; Klassik ist eingendlich doch ganz toll ....


    Zu Populärklassik gehören zum Beispiel die bereits hier genannten Werke, wie
    Tschaikowsky - KK Nr.1; Beethoven - 5 und 9, Mondscheinsonate; Dvorak - 9; Wagner - Walkürenritt ..... eben vieles was weit verbreitet bekannt ist.
    R.Staruss - Zarathustra würde ich nicht dazuzählen wollen, denn da ist nur der Anfang verbreitet.


    :no: Das Schlimmste sind diese CD-Sampler, auf denen nur Ausschnitte von Populärklassik geboten wird. Der Einblick für das Werk selbst geht dem Laien dann vollkommen verloren.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • In dem Thread "Hat Klassische Musik noch eine Zukunft," habe ich gestern ausführlich meine Meinung dargestellt und begründet. Deshalb an dieser Stelle nur die altbekannte, banale Weisheit. " Es gibt keine gute und schlechte Musik, nur gut gemachte oder schlecht gemachte."
    Wieviele Menschen, die vor einem Konzert- oder Opernbesuch zurückscheuen, sind durch Populär-Klassik an "echte" klassische Musik herangeführt worden.
    Dafür ein Beispiel: Ein Heilbronner Handwerker, der bekennt, dass klassische Musik für ihn ein Horror war, ist durch den Trompeter Walter Scholz, den er in Stuttgart zusammen mit den Oberkrainern erstmals hörte, zum begeisterten Klassikfreund, langjährigen Konzertabonnenten -mit 5 Abos, von denen 3 an Lehrlinge verschenkt werden - und Sponsor geworden. Er besitzt darüber hinaus eine enorm umfangreiche Sammlung von Tonträgern mit Trompetenmusik verschiedenster Epochen und Interpreten. Er selbst hat in fortgeschrittenen Alter selbst Trompete gelernt, allerdings mit mäßigem Erfolg.
    Der Trompeter Walter Scholz konnte also mit einem populären Schnulzen-programm à la "Schwarzwaldmelodie" einen begeisterten, wertvollen Klassikfreund gewinnen. Sicherlich gibt es zahlreiche ähnliche Beipiele. Sollten wir Populärklassik deshalb nicht als "Einstiegsdroge" in die Welt der klassischen Musik ansehen und gelten lassen?
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Ich hätte ja nie gedacht, dass dieser Begriff "Populärklassik" solche Begriffschwierigkeiten auslösen könnte.


    Nun, ich würde den Begriff nicht auf bestimmte Musikstücke fixieren. Ich glaube auch nicht, dass Populärklassik etwas mit einem bestimmten Niveau zu tun hat.


    Für mich bedeutet dieser Begriff klassische Musik, die auf einen reinen Gebrauchwert, sei es zur schlichten Unterhaltung, sei es als Hintergrundmusik, reduziert wird und die ihres künstlerischen Gehaltes entkleidet ist. Bei solcher Musik macht man sich keine Gedanken darüber, welchem Interpretationsansatz der Musiker folgt, oder ob er überhaupt einen hat. Sie hinterläßt auch keine Spuren. Eine intellektuelle Auseinandersetzung damit lohnt sich schlicht nicht.


    Legt man dies zu Grunde, wird man imo finden, dass bestimmte Stücke besser zur Unterhaltung oder als Hintergrundmusik taugen, als andere. Ein Beispiel, dass mir immer wieder aufstößt sind die Stücke von Eric Satie. Es vergeht kein Feature über eine Kunstausstellung, bei der nicht im Hintergrund ein Stück der Gymnopedies läuft. Oder Wagners Ritt der Walküren. In wievielen Filmen wird die als Filmmusik eingesetzt ? Es gibt nun mal besonders eingängie Stücke, die sich tatsächlich zu allem möglichen gebrauchen lassen.


    Viele Grüße,


    Bernd

  • Tja, die Antwort auf die eingangs gestellte Frage "was ist richtige Klassik" kann man nur dann sinnvoll geben, wenn vorher definiert wird, von "richtige Klassik" denn sein soll. Eventuell auch im Gegensatz zu "Populärklassik". Hm.


    Ich gehe mal davon aus, dass die meisten, die hier posten, sog. klassische Musik nicht professionell hören (auch, wenn hier wohl einige Berufsmusiker sind). Aber die wenigsten hier hören wohl klassische Musik, um damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen, etwa weil sie Rezensionen schreiben. Also ist klassische Musik für die meisten von uns zunächst mal U-Musik. Wir verwenden diese Musik so, wie andere Michael Jackson hören: Zur Freizeitgestaltung.


    Ich kann mit den Begriffen "U" und "E" oder "Populärklassik" und "richtige Klassik" wenig anfangen. Vielleicht werden diese Begriffe von einigen verwendet, um implizit Aussagen über die (vermeintlichen?) Hörer dieser Musik zu transportieren. (Das ist nur eine Vermutung.)


    Einen wesentlichen Unterschied, den ich bei Musik mache, hat mein Tonsatzlehrer mal auf den Punkt gebracht: Die Aufgabe von Musik ist es, eine Saite in uns zum Erklingen zu bringen, die ansonsten stumm geblieben wäre. Das ist für mich die beste Verbalisierung der Unterscheidung zwischen "Spaß" und "Ernst" in der Musik. Mit Michael Jackson oder den Spastelruther Katzen oder Mozart im James-Last-Sound funktioniert das bei mir nicht. Mit Mahler schon.

  • Zum Thema fällt mir ein Witz aus den Simpsons ein:


    In Springfield wurde eine Konzerthalle gebaut und bei der Eröffnung wird Beethovens 5. zum Besten gegeben. Die Symphonie beginnt natürlich mit dem allseits bekannten "dedededeeeeee dedededeeeeee". Danach steht das Publikum auf und will gehen. Der Dirigent dreht sich um und fragt, warum sie gehen, die Symphonie habe doch gerade erst angefangen. Die Leute antworten, dass sie bereits alles gehört haben, was sie hören wollten. Irgendeiner holt auch sein Handy raus und sagt "auf meinem Handy klingt das aber besser" :D
    Der Witz, der danach über Phillip Glass kommt ist aber wesentlich lustiger.


    Ich denke, man muss Populärklassik als einen Oberbegriff für Populärkomposition und Populärinterpretation sehen. Den ersten Satz der Mondscheinsonate würde ich z.B. als Populärkomposition ansehen - egal wie man sie interpretiert, sie gefällt einfach jedem. Sogar die Einspielung von Gould kann gefallen. Tja, ich hab keinen Schimmer, was Andre Rieu so spielt, aber ich schätze, dass seine Interpretation zur Popularität des gespielten Stückes enorm beiträgt. Wenn wer anders das Stück interpriert, dann wäre es wohl nicht so populär geworden.

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  • Zitat

    Original von MosesKR1
    Wir in Krefeld, ein mittelgroßer Laden, haben Kundschaft aus einem Radius von 100 kmm gehabt, die extra wegen der Beratung kamen. Das findest du heute nirgendwo mehr. Wenn du heute in einen dieser großen Märkte wie M*** und S*** gehst, die halten Mozart für eine Zahncreme.


    Darf man fragen, was das für ein Laden ist. Ich bin öfter in KR, aber den Laden kenne ich nicht. In meiner Jugend gab es Schossau an der Haltestelle 'Rheinstraße', aber das ist ja schon lange weg... (und noch ein Laden, den es lange nicht mehr gibt, dessen Name mir aber entfallen ist... Funkhaus Kremer? Weiß nicht mehr....)

  • Ich verstehe unter "Populärklassik" im engeren Sinne eine Verkürzung oder mindestens (stilistisch problematische) Bearbeitung eines klassischen Stücks. Beispiele wären gewisse Bearbeitungen von Händels "Largo" (Ombra mai fu) oder im Schlimmstfall eben so etwas wie "Song of Joy" von De Los Rios, was nur die Melodie dem Original entnimmt oder Stücke in einem pseudoklassischen Tonfall oder Klanggewand wie "Time to say goodbye".


    Im weiteren Sinne könnte man sicher auch unbearbeitete populäre Ausschnitte nennen. Das sind aber immerhin Originalstücke, auch wenn sie oft aus dem Zusammenhang gerissen werden. Arien außerhalb von Opern im Recital zu präsentieren, hat eine gewisse Tradition, ebenso Ouverturen und andere Schmankerl.
    Bei Einzelsätzen aus Sonaten oder Sinfonien stehe ich der Sache allerdings ziemlich kritisch gegenüber. Es ist eben ein Unterschied, ob man Chopins "Regentropfenprelude" einzeln spielt oder den ersten Satz der Mondscheinsonate. Die Preludes bilden nicht eine solch starke Einheit wie die Sonate op.27,2.
    (Ich finde diese Sonate übrigens überhaupt keine Populärkomposition, die jedem gefällt, sondern ein ungewöhnliches und fremdartiges Stück, nicht zuletzt auch aufgrund dieses Satzes...)


    U-Musik hat m.E. nichts damit zu tun, ob Musik nun professionell oder in der Freizeit, als "Unterhaltung" gehört wird. Ich halte die Begriffe auch nicht für besonders passend, aber sie haben sich nunmal eingebürgert.


    Wie auch immer: Der Unterschied zwischen "richtiger Klassik" und den im zweiten Absatz genannten Auszügen besteht gewiß auch in der Rezeptionshaltung, die aber von der Art, wie die Stücke dargeboten werden, abhängt. Eine Arie im dramatischen Zusammenhang einer Oper oder einen Satz im Kontext eines mehrsätzigen Werkes nehme ich anders wahr als wenn ich mich davon nur berieseln lasse. (Das schließt nicht aus, dass ich als Kenner des Zusammenhangs bei entsprechender Gestaltung durch den Sänger "Nessun dorma" auch einzeln dargeboten nicht bloß als hübsche Melodie oder Bravourstück wahrnehme.)


    Aber es geht eben oft der Sinn verloren. Wenn ich recht erinnere, singt im Rigoletto der Duca sein Donna e mobile nochmal kurz hinter der Bühne an, nachdem Gilda erdolcht wurde; Rigoletto kapiert dann die Verwechslung. Gerade angesichts der Kombination des trivialen Liedchens, das den leichtlebigen Duca treffend charakterisiert, mit der Tragik der Situation, können dem Hörer hier Schauer über den Rücken laufen. Wenn man mit der Arie in erster Linie Choco Crossies assoziiert, wohl eher weniger.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Aber es geht eben oft der Sinn verloren. Wenn ich recht erinnere, singt im Rigoletto der Duca sein Donna e mobile nochmal kurz hinter der Bühne an, nachdem Gilda erdolcht wurde; Rigoletto kapiert dann die Verwechslung. Gerade angesichts der Kombination des trivialen Liedchens, das den leichtlebigen Duca treffend charakterisiert, mit der Tragik der Situation, können dem Hörer hier Schauer über den Rücken laufen. Wenn man mit der Arie in erster Linie Choco Crossies assoziiert, wohl eher weniger.


    Ich vertrete eigentlich immer eine Linie des 'Leben und Leben lassen'. Sollen die Menschen hören, was sie mögen, solange sie mich in Ruhe das hören lassen, was ich mag. (Wie ich in einem andren Thread schrieb, hapert es meistens am zweiten Teil.)


    Aber gerade im Falle von Werbung funktioniert das nicht! Durch die permanente Assoziation in der Werbung können einem Stücke auch regelrecht verdorben werden! Das Beispiel, das Du ansprichst, oder Raguletto ("Wollen wir denn heut' früh zu Bett gehn..." zu Il Trovatore war es glaube ich), die berühmte Morgenstimmung, Strauss' Zarathustra und was nicht alles.


    Eigentlich ist das tödlich für die Klassik!

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    .... Wenn ich recht erinnere, singt im Rigoletto der Duca sein Donna e mobile nochmal kurz hinter der Bühne an, nachdem Gilda erdolcht wurde; Rigoletto kapiert dann die Verwechslung...


    Ja, genau so ist es, ich habe den Rigoletto gestern erst gehört.

    Viele Grüße,


    Marnie

  • Ich schlage eine Dreiteilung vor:


    1. "Populäre" Klassik für die Anhänger eines Paul Potts, André Rieu etc.


    2. "Richtige" Klassik für die Zuhörer, denen klassische Musik Mittel zum Zweck einer bildungsbürgerlichen Attitüde ist und die Klassikkonzerte vornehmlich als ein gesellschaftliches Ereignis betrachten und


    3. "Ernste" Klassik; das ist Musik, bei der eine künstlerische Aussage im Vordergrund steht. Hier teilt sich die Spreu des modernen "Bildungsbügertums" von den ernsthaften Musikliebhabern, für die klassische Musik mehr ist, als ein bloßes Statussymbol.


    Man kann dieser unterschiedlichen Richtungen wahrscheinlich auch an den verschiedenen Marketingstrategien festmachen. In den ersten beiden Fälle, stehen die Aufmachung, der schöne Schein im Vordergund, im letzteren ausschließlich der Inhalt, die Musik.


    Viele Grüße,


    Bernd

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  • Hallo zapotek,
    das gefällt mir.
    So kann man beispielsweise sagen, dass Deutsche Grammophon in den letzten Jahrzehnten von 3. nach 2. gewandert ist und das Gebiet 3. Firmen wie Brilliant oder cpo überlassen hat. Passenderweise scheinen mir die Preise für 2. die höchsten zu sein.
    :D

  • Ich verstehe immer noch nicht, worauf das Thema "Populärklassik versus Richtige Klassik" bzw. die Fragestellung "Was versteht man unter 'richtiger' Klassik" hinaus laufen soll. Wozu soll eine solche Unterscheidung nützlich sein.


    Ich werde den Verdacht nicht los, dass hier eine Wertigkeit der klassischen Musik eingeführt werden soll nach der Art, dass es einserseits geringer wertige Musik gibt, da massenkompatibel und populär, und einmal die wahre Kunst, die nur von den verständigen Menschen genossen werden kann. Was natürlich die so geadelten Kenner über die Massen erhebt, quasi also eine Klassik-Elite unter den Klassik-Hörern definiert. Mal ehrlich, brauchen wir das? Können wir uns in diesem Forum nicht einfach nur darauf beschränken, die Vorzüge der klassischen Musik zu genießen, ohne uns gleich über die anderen zu erheben?


    Gruß enkidu2

    Nach Schlaganfall zurück im Leben.

  • Der Vorschlag zur Dreiteilugn von Zatopek gefällt mir auch. - Adorno hat das Thema schon behandelt (von Konrad Paul Liesemann, aus dem Internet):


    Es gab die These, dass sich überhaupt erst im rational-nachvollziehenden Hören solch einer "kalten Musik" die eigentliche Kunst des Hörens bewährt. Sie stammte von dem Philosophen und Soziologen Theodor W. Adorno. In der vor Jahrzehnten vieldiskutierten Einleitung in die Musiksoziologie hatte Adorno den Versuch unternommen, die Liebhaber von Musik nach ihrem Hörvermögen zu klassifizieren. Adorno beginnt mit dem "Experten". Er ist imstande, tatsächlich "adäquat" zu hören. Er ist der "voll bewusste Hörer, dem nichts entgeht und der zugleich in jedem Augenblick über das Gehörte Rechenschaft sich ablegt". Und dann bringt Adorno ein legendäres Beispiel: "Wer etwa, zum erstenmal mit einem aufgelösten und handfester architektonischer Stützen entratenden Stück wie dem zweiten Satz von Weberns Streichtrio konfrontiert, dessen Formteile zu nennen weiß, der würde, aufs erste, diesem Typus genügen." Es sind, Adorno gibt es zu, gerade einige Berufsmusiker, die diesem Anspruch genügen. Es folgt der "gute Zuhörer". "Auch er hört übers musikalisch Einzelne hinaus; vollzieht spontan Zusammenhänge, urteilt begründet, nicht bloß nach Prestigekategorien oder geschmacklicher Willkür. Aber er ist der technischen strukturellen Implikationen, nicht oder nicht voll sich bewusst." An dritter Stelle steht der "Bildungskonsument". Von ihm heißt es: "Er hört viel, unter Umständen unersättlich, ist gut informiert, sammelt Schallplatten. Musik respektiert er als ein Kulturgut, vielfach als etwas, was man um der eigenen sozialen Geltung willen kennen muss; diese Attitude reicht vom Gefühl ernsthafter Verpflichtung bis zum vulgären Snobismus." Ohne Bildungsanspruch aber mit viel Sentiment folgt dann der "emotionale Hörer". Er beruft sich auf die Gefühlswerte der Musik, ist leicht zum Weinen zu bringen und spricht besonders stark auf "sinnfällig emotional getönte Musik, wie Tschaikowsky" an, und er weigert sich, sich den Anstrengungen des "strukturellen Hörens" zu unterziehen. Am unteren Ende der Skala rangiert dann der "Ressentiment-Hörer". Er verachtet das offizielle Musikleben als ausgelaugt und flüchtet in Epochen, der er davon verschont wähnt. Die Liebhaber Bachs zählt Adorno ebenso dazu wie die Adepten der "Alten Musik", die Fanatiker der historischen Aufführungspraxis, die eifernd darüber wachen, dass nicht um ein Tüttelchen von dem abgewichen wird, was sie, anfechtbar genug, für die Aufführungspraxis vergangener Zeiten halten, gehören ebenso dazu wie auch der Jazz-Fan, der mit dem Ressentiment-Hörer die "rezipierte Häresie" teilt, den gesellschaftlich aufgefangenen und harmlos gewordenen Protest gegen die offizielle Kultur. Ganz zum Schluss residiert schließlich der quantitativ erheblichste, qualitativ abscheulichste Typ, der Musik nur mehr als "Unterhaltung" konsumiert, der Typ des "musikalisch Gleichgültigen, Unmusikalischen und Antimusikalischen". Auf ihn, den Unterhaltungshörer, ist die Kulturindustrie geeicht, Musik ist ihm nicht Sinnzusammenhang, sondern Reizquelle, was er sich erwartet, ist "zerstreuender Komfort". Die "Struktur dieser Art des Hörens ähnelt der des Rauchens. Sie wird eher durchs Unbehagen beim Abschalten des Radioapparates definiert als durch den auch noch so bescheidenen Lustgewinn, solange er läuft."

  • Zitat

    Original von enkidu2


    Ich werde den Verdacht nicht los, dass hier eine Wertigkeit der klassischen Musik eingeführt werden soll nach der Art, dass es einserseits geringer wertige Musik gibt, da massenkompatibel und populär, und einmal die wahre Kunst, die nur von den verständigen Menschen genossen werden kann. Was natürlich die so geadelten Kenner über die Massen erhebt, quasi also eine Klassik-Elite unter den Klassik-Hörern definiert. Mal ehrlich, brauchen wir das? Können wir uns in diesem Forum nicht einfach nur darauf beschränken, die Vorzüge der klassischen Musik zu genießen, ohne uns gleich über die anderen zu erheben?


    Gruß enkidu2


    :jubel::jubel::jubel:


    Genau das denke ich mir auch immer wieder - ich finde diese immer wieder aufkeimenden Selbstbeweihräucherungen schon lange zum :kotz:


    Eine Person, die an klassischer Musik gefallen findet ist um keinen Deut besser als jemand, der damit (noch) nichts anzufangen weiß. Ich selbst habe auch lange Jahre dazu gebraucht, dass sich die Schönheit dieser Musik für mich erschlossen hat. War ich vorher ein minderwertiger Mensch? Ich denke nein...


    Aber vielleicht hat das Ganze mit fehlendem Selbstbewusstsein zu tun - man muss dann andere erniedrigen um sich selbst zu erhöhen...

    Hear Me Roar!

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Ich verstehe unter "Populärklassik" im engeren Sinne eine Verkürzung oder mindestens (stilistisch problematische) Bearbeitung eines klassischen Stücks. Beispiele wären gewisse Bearbeitungen von Händels "Largo" (Ombra mai fu) oder im Schlimmstfall eben so etwas wie "Song of Joy" von De Los Rios, was nur die Melodie dem Original entnimmt oder Stücke in einem pseudoklassischen Tonfall oder Klanggewand wie "Time to say goodbye".


    Wir hätten es also mit Convinience-mäßig reduzierten Arrangements/Bearbeitungen klassischer Werke zu tun (wie es ja auch André Rieu vorgeworfen wird) oder bzw. mit pop-artigen Kompositionen nicht-klassischer Komponisten, die im klassischen bzw. barocken Gewand (z.B. Rondò Veneziano, Richard Clayderman) daher kommen.


    Ich würde solche Musik aber lieber Pseudo-Klassik nennen denn Populär-Klassik. Populär-Klassik ist für mich immer noch unverfälschte klassische Musik wie z.B. der Gefangenenchor aus Nabucco, der Triumph-Marsch aus Aida, der Walkürenritt, das Regentropfen-Prelüde oder das Adagio aus der Mondscheinsonate. Ja, auch das Finale der Wilhelm-Tell-Ouvertüre. Populäre Werke bzw. aus ihrem Zusammenhang gerissene Teile einer Komposition, aber immer noch unverfälscht.


    Von diesen Definitionen ausgehend besteht also die potentielle Gefahr, dass in diesem Punkt ungebildete Menschen diese Musik mit der klassischen Musik an sich verwechseln könnten.


    1) Hörer von Pseudo-Klassik könnten glauben, dass dies richtige klassische Musik sei. Pour Adeline oder Für Elise, da ist doch kein Unterschied, oder? Hier Paul de Senneville und Olivier Tousaint, dort Beethoven, der alte Rock'n'Roller. Hier der sympathische Richard Clayderman, dort eher ältlich wirkende Guldas, Brendels, Argerichs.


    2) Hörer von Populär-Klassik verwechseln diese mit der Gesamtkomposition bzw. dem Gesamtschaffen ("Mein Lieblingskomponist ist Ravel, weil ich den Bolero so mag").


    In beiden Fällen hilft Konfrontation mit den Realitäten. Aber ich brauche dafür keine Definition von Richtiger Klassik.
    - Und manchen Menschen genügt Populär-Klassik, mehr wollen sie gar nicht. Es wäre vergebene Liebesmüh, sie zu anderem Bekehren zu wollen.
    - Und manchen Menschen genügt Pseudo-Klassik, da sie die Beschäftigung mit klassischer Musik zu aufwendig finden (allein schon die richtige Aufnahme unter den vielen Interpreten raussuchen -- viel zu aufwendig). Für sie ist wie in der Popmusik der Interpret wichtig: hauptsache es ist mit André Rieu. Ob die Walzer nun von Strauß oder Lahner sind, interessiert nicht. Insofern interessieren kleinere Glättungen in der Partitur auch nicht.


    Da wir von diesen genügsamen Menschen aber keine in diesem Forum haben dürften, stelle ich mir die Frage, wozu wir uns der Mühe unterziehen, eine Abgrenzung zu Pseudo-/Populär-Klassik vorzunehmen.


    Gruß enkidu2

    Nach Schlaganfall zurück im Leben.

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  • Zitat


    Original von enkidu2
    Was natürlich die so geadelten Kenner über die Massen erhebt, quasi also eine Klassik-Elite unter den Klassik-Hörern definiert.
    Mal ehrlich, brauchen wir das? Können wir uns in diesem Forum nicht einfach nur darauf beschränken, die Vorzüge der klassischen Musik zu genießen, ohne uns gleich über die anderen zu erheben?


    Es geht nicht darum, ein aus Minderwertigkeitskomplexen gespeistes Bedürfnis danach auszuleben, dass man sich über Andere erhebt.
    Und beim Hören und Ausüben dieser Musik geht es mir um mehr, als nur um den Genuss. Wahre Kunst möchte mehr, als nur den Menschen einen Genuss zu verschaffen, was man noch weiter vertiefen könnte.


    Es geht also um den Versuch der Unterscheidung zwischen der Populärklassik und " der wahren Kunst, die nur von verständigen Menschen genossen werden kann", wie Du es so treffend formuliert hast.


    Wenn Du nach dem Nutzen dieser Unterscheidung fragst, dann solltest Du das nicht tun, denn sonst kommt bald die allgemeine Frage nach dem Nutzen dieses Postens im Klassikforum auf ;)
    Vielleicht geht es einfach nur darum, deutlich zu machen, dass Klassik und Kunst so viel mehr als diese sentimentalen Fakes bedeuten kann, die in der Öffentlichkeit oft fälschlicherweise als Klassik wahrgenommen werden.
    "Time to say goodby" ist eben noch keine Klassik, auch wenn es mit klassischer Gesangstechnik und nicht wie die Popmusik aus dem Hals mit Bruststimme geträllert wird.


    Es ist nun einmal so, dass die Musik, über die wir hier reden, vom Hörer ein manchmal nicht geringes Verständnis abverlangt.
    Aus diesem Grund laufen ja in manchen klassischen Konzerten nicht gerade wenige von diesen Typen herum, die es ansonsten gesellschaftlich-beruflich gesehen "geschafft haben" (Rechtsanwälte, Ärzte, Uni-Professoren...) und alleine durch den Besuch dieser Konzerte mit anspruchsvoller Musik sich selbst und ihren besseren Kreisen signalisieren wollen, dass sie etwas von dem, was auf der Bühne stattfindet, tatsächlich verstehen.
    Ob das dann wirklich der Fall ist, möchte ich lieber nicht so genau wissen, aber es kann ja in einigen Fällen durchaus sein.



    Sehr interessant finde ich das Adorno-Zitat von Wolfram.
    Auch wenn er viele Dinge sehr scharfsinnig und richtig erkannt hat, meine ich doch, dass Adornos Einteilungen an der Wirklichkeit etwas vorbeigehen, weil der einzelne Mensch vielschichtig und in sich widersprüchlich ist, weshalb er sich nicht so leicht kategorisieren lässt.


    Ich kann ja nur authentisch von mir berichten und entdecke in mir bis auf den sentimentalen und den letzten Typus eigentlich Teile aller sonst genannten Hörergruppen, auch den "Ressentiment-Hörer".


    Um das nach oben hin zu überprüfen habe ich aus Spaß mir einmal folgende Musik angehört:


    "http://www.youtube.com/watch?v=tnBc_dbxH9E"


    (Webern Streichtrio)


    und meine danach drei große Formteile erkannt zu haben( stimmt das?), sowie etwas zum verwendeten Motivmaterial hinsichtlich der Intervalle, der Anzahl verwendeter Töne und rhythmischer Elemente berichten zu können.
    Allerdings könnte ich nicht auf Anhieb diese Musik transkribieren, d.h. wie etwas aus dem "Paulus" von Mendelssohn nachsingen und auf dem Klavier nachspielen und aufschreiben.
    Da würde ich bald an eigene Grenzen stoßen und sehr viel Zeit brauchen. Wahrscheinlich würde ich an meiner Unlust und am langsamen Fortschritt scheitern.


    Aber ich kenne zwei Leute, die da sehr schnell hineinfänden, wenn sie denn müssten. Natürlich sind die Musiker, und gehören nicht in die Kategorie des normalen Publikums.


    Vielleicht würde ich dieses Streichtrio nach langer Beschäftigung irgendwann mögen, momentan kann ich das jedoch nicht von mir behaupten.


    Gerne wüsste ich einmal, ob Adorno das selber alles so gekonnt hätte, nicht wahr.... ;)
    Ich finde auch nicht, dass man vom Publikum diese Fähigkeiten erwarten sollte, meine aber schon, dass an jemanden, der sich vollkommen "unbeleckt" in ein Konzert mit einer Brahms-Symphonie setzt, höchstwahrscheinlich einiges vorbeirauschen wird und ihm auf Anhieb die produzierten Töne der Herren Rieu, Richard Kleiderschrank und wie sie alle heißen mögen, mehr zu sagen haben werden.



    Gruß :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zitat

    Original von Glockenton


    Es geht also um den Versuch der Unterscheidung zwischen der Populärklassik und " der wahren Kunst, die nur von verständigen Menschen genossen werden kann", wie Du es so treffend formuliert hast.


    Gruß :hello:
    Glockenton


    Vielleicht sollte man das Thema dann von der anderen Seite her aufziehen: nämlich von den verschiedenen Formen oder Ebenen des Hörens bzw. des Verstehens von Musik her.


    Wer Musik einfach nur hört, kann sie zwar genießen und auch lieben (!), aber bleibt sozusagen an der Außenfläche eines Gebäudes. Werke, deren Besonderheiten (Schönheiten) eher in der inneren Struktur und Zusammenfügung zu suchen sind, bleiben dem einfachen Hörer dagegen verschlossen.


    Man kann durch viel Hören vielleicht einige Bezüge wie z.B. Zitate erkennen. Doch ab einem bestimmten Punkt erschließen sich Feinheiten nur noch über das Studium der Partitur und praktischer wie musiktheoretischer Kenntnisse. So ein Hörer vermag zu erkennen, warum das Gemäuer die schwere Kuppel trägt, und mit welchen Tricks die Kuppel erleichtert wurde.


    Das hat aber nichts mit Populärklassik oder Richtiger Klassik zu tun, wie zuvor definiert, sondern mit der Art wie man sich mit klassischer Musik befasst und ggf. befassen muss, wo es zum Begreifen des Gehörten erforderlich ist. Es gibt natürlich Werke, die stellen weniger Ansprüche ans Begreifen, sind eher vorrangig für den reinen Genuß bzw. fürs breite Auditorium geschrieben, und solche, die sich an den Kenner wenden, der die Begabung und Fertigkeit des Komponisten in diesem Werk zu würdigen versteht.


    Wenn es also darum geht, wäre doch der nächste Schritt, Kriterien aufzustellen, die für das tiefere Verständnis einer Komposition erforderlich sind, und dann die diversen Kompositionen der Klassik dementsprechend zu klassifizieren.


    Und das ginge doch, ohne die Aufzählung der gebräuchlichen antipathischen Namen wie Paul Potts, André Rieu, Rondò Veneziano etc.


    Gruß enkidu2

    Nach Schlaganfall zurück im Leben.

  • [quote]Original von enkidu2
    [quote]Original von Glockenton


    ... bleiben dem einfachen Hörer dagegen verschlossen.


    Gruß enkidu2[/quote


    Die "Kammer des Schreckens" sollte man in der Tat nicht aufmachen.


    Ich kann nicht eine einzige Note lesen (obwohl ich im Chor singe), und ich behaupte, es hat mir weder in Bezug auf Zugang noch hinsichtlich der "Tiefe" des Empfindens geschadet.


    Daß mir Kompositionstechnik verschlossen bleibt, will ich nicht weiter bestreitren, aber man kann die Hagia Sophia bewundern, ohne zu wissen (oder es wissen zu wollen), wie die weite Kuppel entstanden ist ohne einzustürzen - das oben dargestellte Zitat empfinde ich daher als reichlich elitäre und völlig überflüssige Kampfansage!


    Mein Musikhören ist in keiner Weise eingeschränkt, weniger wertvoll oder weniger "auslotend" als das eines beliebigen Kompositeurs! Oder eines Jemanden, der sich für einen Experten hält.

  • Zitat

    Original von m-mueller
    Mein Musikhören ist in keiner Weise eingeschränkt, weniger wertvoll oder weniger "auslotend" als das eines beliebigen Kompositeurs!


    Da irrst Du Dich leider.


  • Selbst wenn es so wäre, hättest Du keine Möglichkeit, das wissen zu können, da Du ja nur eine Seite kennst!
    (Dagegen kennen viele, die erst Noten/Instrument richtig gelernt haben, nachdem sie schon Musik hörten, wenigstens ansatzweise beide Seiten.)


    Mal abgesehen davon, dass man deine Haltung ebenso als Kampfansage verstehen könnte... ;)


    Man muss sich natürlich hüten, hier durch Attribute wie "wertvoll" eine falsche Art von Wertung hineinzubringen. Niemand ist ein "schlechterer" Mensch oder ein in einem moralischen Sinn schlechter Musikhörer. Aber eingeschränkt selbstverständlich. Ich weiß gar nicht, mit welchem Argument man das sinnvoll bestreiten könnte.


    Niemand bezweifelt, dass man alles Mögliche "bewundern" kann, tief emotional beeindruckt sein usw. Aber zum einen ist das nur eine von sehr vielen Dimensionen und diese anderen bleiben zum Teil verschlossen, wenn man nicht weiß und nicht wissen will, zum anderen, das ist eine weitere Hypothese, steigt die Anzahl der Werke, die man bewundert, an, wenn man mehr weiß. Eben weil man sie aufgrund von dem naiven Bewunderer nicht offensichtlichen Aspekten bewundert.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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