Ein Thema, das mir schon länger durch den Kopf geht, ist, was die letzten Aufnahmen im Leben großer Dirigenten angeht. Bei manchen wurden diese Aufnahmen von der Schallplattenindustrie geschickt inszeniert und als Quasi-Vermächtnis hochgespielt – obschon sie wohl in den seltensten Fällen vom jeweiligen Dirigenten als letzte Aufnahmen geplant waren.
Prominentestes Beispiel dürfte Karajans letzte Aufnahme, Bruckners 7. Symphonie von 1989, sein. Sie wurde als sein allerletztes Bekenntnis gesehen, als Hinwendung zum österreichischen Katholizismus interpretiert und desweiteren mehr. Wahr ist, daß Karajan offenbar eine Vorahnung hatte, daß dies seine letzte Aufnahme sein könnte. Er soll nach einer der Aufnahmesitzungen in Tränen ausgebrochen sein. Die DG hat diese Einspielung kurz darauf geschickt vermarktet. Plakativ prangt auf dem Cover der Schriftzug "Seine letzte Aufnahme".
Ein nicht unähnlicher, gar viel dramatischerer Fall betrifft die letzte Aufnahme von Bernstein. Es handelte sich um ein Live-Konzert, das wegen eines starken Hustenanfalls Bernsteins fast abgebrochen werden mußte. Er dürfte sich bewußt gewesen sein, daß es eines seiner letzten Konzerte sein könnte. Auch hier wirbt die DG mit dem Titel "The Final Concert".
Karl Böhms letzte Aufnahme wurde im Forum bereits hinreichend gewürdigt. Es war Beethovens 9. Symphonie. Es ist sicherlich eine der allerbesten auf dem Markt erhältlichen. Die Alterssicht Böhms erwies sich als geradezu ideal für diese "Jahrhundert-Aufnahme". Bereits damals erkannte man offenbar ihre Qualität, und in großen Lettern zierte ein "Karl Böhms letzte Aufnahme" die kurz darauf erschienene LP-Cassette.
Die Aufnahme eines der übrigen "Titanen" unter den Dirigenten, Sir Georg Solti, kam dagegen erst zehn Jahre nach seinem Ableben überhaupt auf den Markt. Es handelt sich um eine Rundfunkaufnahme der 5. von Mahler mit dem Tonhalle-Orchester Zürich (hat schon wegen der ungewöhnlichen Kombination Kuriositätenwert), welche die Decca dann für die CD-Veröffentlichung tontechnisch wohl noch etwas optimiert hat.
Aus dem Stegreif fiele mir noch eine weite "letzte Aufnahme" eines großen Dirigenten ein: Knappertsbusch. Sie war gewiß nicht als solche geplant. Es handelt sich um den Live-Mitschnitt des "Parsifal" von den Bayreuther Festspielen 1964. Ein Oberschenkelhalsbruch, an dessen Folgen "Kna" dann auch verstarb, verhinderte einen letzten Auftritt 1965.