Was bedeutet euch die Sparte "Lied" ?

  • Liedgesang ist für Internet-Klassikforen ein unergiebiges Thema - zumindest scheint es so. Regietheater und Oper sind die Renne- dicht gefolgt von Stimmen und Dirigenten, danach kommen die anderen Stars.
    Komponisten - da kann man nur drüber schreiben, wenn irgendwelche Auffälligkeitn im Lebenslauf existieren, aber das ist glücklicherweise ja gelegentlich der Fall.
    Aber Kammermusik und Lied - wen interessiert das schon ?


    Dabei wäre das Lied meiner Meinung nach durchaus ein ergiebiges Feld. Lied ist ja nicht gleich Lied, da geht es vom einfältigen Striophenlied bis hin zur Ballade die ganze Geschichten erzählt und letztlich noch das politische Lied.


    Welche Wirkung kann ein Lied doch erzielen, manches ist eine kleine Oper in sich, und erzählt eine interessante Geschichte.
    Warum das Lied, trotz zahlreicher Lippenbekenntnisse in der Realität aber fast immer ein Schattendasein führt - das ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel. Welchen Eindruck hinterlassen Lieder bei Euch - oder lassen Sie Euch kalt ?


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich denke, für den Sänger ist das Lied die anspruchsvollste Sparte überhaupt: nirgendwo sonst ist man so gefordert, mit jeder Note an einem musikalischen Bild zu malen, das den Zuhörer erfreut, beeindruckt, überzeugt, manchmal auch zu Tränen rührt. Nirgends ist man auch so allein und geradezu nackt wie auf dem Konzertpodium bei einem Liederabend.


    Trotzdem ist Liedgestaltung nichts für verhinderte Exhibitionisten, denn ein gelungener Liederabend erfordert nicht nur ein kongenial musizierendes Duo Sänger/Pianist, sondern auch, viel mehr als bei der Oper, die mit vordergründigen Effekten punkten kann (wenngleich sie es oft nicht sollte...), zu seinem Gelingen den aufgeschlossenen, kundigen Zuhörer. Das ist eine rare Spezies, erfordert ihre Existenz tendenziell doch, daß der hörende Teil das Werk zumindest flüchtig kennt, um so Gestaltung und Eindruck recht genießen zu können; man hört nur, was man weiß.


    Wenn dies alles gegeben ist, ist ein Liederabend eine unglaublich spannende Sache. Schon durch die Auswahl der Lieder kann der Sänger dem Konzert dramaturgisch ein spezielles Gesicht geben. Gelingt es ihm und seinem Pianisten dann noch, tatsächlich jedes Lied zu einem kleinen Gemälde werden zu lassen, immer mit dem Verständnis für die Einheit von Musik und Text und im Idealfall ohne aufdringliche nicht werkbezogene interpretatorische Akzente, wird ein solches Konzert schon einmal zu einer Sternstunde, in der Komponist und Textdichter über das Medium Sänger/Pianist bei einem aufnahmebereiten Publikum quasi persönlich anwesend sind.


    Nicht allzu viele Menschen setzen sich dem gerne aus: Lieder erfordern, wie ich versucht habe zu skizzieren, vom Hörer fast genauso viel Arbeit wie vom Künstler. Das Lied wird daher immer nur etwas für wenige sein - wenn die Begeisterung dafür einen aber mal gepackt hat, ist man fast verdorben für leichtfertiges Musizieren und Konsumieren, gleichviel, um welche Musiksparte es sich handeln mag.


    Grüße!


    Honoria

    "...and suddenly everybody burst out singing"
    Busman's Honeymoon

  • Ich glaube, wenn man einem Kulturinteressierten zwei Eintrittskarten zur Auswahl gibt, Oper - Lied, würde er immer Oper nehmen.


    Oper ist Spiel, da bekommt man was geboten, ist farbenfroh und vielseitig, ist anzschauen in Kostümen und Kulisse abwechslungsreicher, man bekommt eine Geschichte zu sehen, die manchmal einem Krimi gleicht, mit Mord und Todschlag,Liebe, Entsagung, Eifersucht...und das nicht nur von einem Sänger, es ist ein Wechselspiel zwischen vielen Sängern und Chor, all das, was in einem Liederabend nicht zu finden ist....meint man...


    Lied hat die meisten dieser genannten Dinge auch, doch man muss sie sich erarbeiten, Fantasie haben, sie werden vordergründig nicht so präsentiert wie die Oper. Lied ist tiefgründig, es wird serviert wie ein 5* Menue, etwas ganz Besonderes.


    Auch für den Interpeten selber ist Lied etwas Besonderes, hautnah mit dem Publikum zu sein, sich "privat" sich ohne Kostüm und Maske zu präsentieren, ohne Hilfestellung jeglicher Art, er ist auch sich selber angewiesen und seinem Pianisten.


    Wenn es ein Zyklus ist, erzählt er auch eine Geschichte im "Einmannbetrieb", er muss Farbe, Ausdruck in das Geschehen bringen, damit es lebendig wird. Es ist ein Duett zwischen Pianisten und Sänger, die beide die jeweiligen Schwächen des Anderen kennen und eingespielt sind.


    Was ganz wichtig ist, da fast alle Lieder in deutscher Sprache gesungen werden, die Aussprache. Wenn da geknobelt wird, ist die schönste Stimme bedeutungslos.


    Da fragt man sich, was möchte man lieber hören, sehen. Eigentlich möchte man beides nicht missen.

  • Genau so ist es, liebe musica! :yes:


    Deshalb scheuen sich manche Opernsänger auch, Liederabende zu geben, weil da jede Schwachstelle schonungslos offengelegt wird.


    Obwohl ich selbst ein großer Opernfan bin, möchte ich doch die beseelten Liederabende nicht vermissen. Auch sie wirken oft noch lange nach.


    :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Liebe Frau musica,
    wie darf man sich einen "Kulturinteressierten" denn vorstellen? Eigentlich zähle ich mich schon von Jugend an zu diesem Personenkreis...


    Also ich zögere keine Sekunde und greife blitzschnell nach der Konzertkarte für den Liederabend.


    Begründung:
    Bei einem Liederabend hat die Musik absolute Priorität. Nichts - wenn nicht gerade mal gehustet wird - stört die beiden Ausführenden in der Darbietung ihrer hohen Kunst.
    Irgendwelche Wichtigtuer haben hier nicht die geringste Chance etwas kaputt zu machen.


    Wohlgemerkt - ich habe etwa 30 Jahre lang viele Opernhäuser besucht, aber das Regietheater hat dem ein Ende bereitet; wollte mein Kulturbudget nicht für solche meist fragwürdigen Lustbarkeiten verplempern.


    Aber Oper ist nicht gleich Oper. Auch in diesem Jahr mache ich wieder eine Ausnahme: Parsifal im NATIONALTHEATER MANNHEIM.
    Diese Inszenierung steht seit 1957 (!) und wird auch 2010 unverändert so gespielt.
    Opas Theater? Mitnichten, eher spartanisches Bühnenbild und sparsame Regie (etwa im Stil von WW).


    Oper oder Liederabend? Eigentlich sind beide Gattungen schön, wenn niemand die musikalische Darbietung über Gebühr stört.

  • Zitat

    Also ich zögere keine Sekunde und greife blitzschnell nach der Konzertkarte für den Liederabend.


    Daran habe ich nicht einen Moment gezweifelt, ich weiß Daß Du Dich spziell fürs Kunstlied interessierst, und habe mch ein wenig mit Liederaufnahmen eingedeckt, obwohl ich natürlich das Wichtigste im Liederbereich besitze -was das ist darüber kann dann mal woanders diskutiert werden.
    Im Rahmen dieser Recherchen und Neukäufen bin ich dann doch etwas mehr am Thema hängengeblieben, und so wird es in den nächsten Monaten wohl einiges zum Thema "Kunstlied " in diesem Forum geben. Ich sehe im Geister einige Dauermitleser freudig nicken - aber daß sich Liederliebhaber uns anschliessen werden ist wohl eher unwahrscheinlich.


    Mein Einsatz hat sich indes - wenn vielleicht auch nicht fürs Forum - so doch für mich gelohnt - die Beethoven Lieder Mit Peter Schreier sind einfach wuinderbar (obwohl ich das eher nicht erwartet hatte), die Schöne Magelon harrt ihrer Endeckung und Franz Lachner und Nikolaus von Krufft sind offenbar echte Entdeckungen als Liederkomponisten. Leider werden die meisten Mitleser diese CD nicht mehr kaufen könne, es dürfte sich um einen Teldec Restposten gehandelt haben....


    Auch in Bezug auf den Inhalt von Liedern und seine Wirkung auf ein "Klassikpiblikum" habe ich mir Gedanken gemacht, und ich binn zu dem Schluß gekommen, daß einerseits mit zunehmendem Alter die Affinität zum Lied steigt, und daß andrerseits in eijnem Lied eine Menge vrborgen ist - so man nur etwas sucht, das des Entdeckens würdig ist....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Liebe Honoria, Musica und Alfred,


    Ihr sprecht mir aus dem Herzen, und trotzdem lande ich wieder bei Alfreds Eingangsfrage, warum das Lied ein Schattendasein führt.


    Ich frage mich, inwieweit dies mit der Größe der Besetzung zu tun hat und ob das Lied nicht einfach das "Schicksal" anderer kleiner Besetzungen teilt? Gibt es etwa eine "natürliche Hierachie" der Leichtigkeit des Zugangs und folgerichtig der Beliebtheit von Besetzungen und Formen, beispielsweise
    [list=1][*]Sinfonieorchester und Oper
    [*]Kammerorchester und Chor
    [*]Streichquartett, Klavier und Gesangsquartett
    [*]Instrumentalduo und Liedbesetzung
    [/list=1] Warum ist der Zugang bei großer Form und Besetzung leichter, warum sind diese eingängiger und warum sind diese beliebter? Ist dies eher eine Sache der Besetzung (Klavier/Stimme) oder der Form (Lied)? Mir selbst geht es so, daß ich kleine Besetzungen nicht gut nebenher hören kann, kleine Formen in großen Besetzungen schon (also bspw. kleine Stücke für großes Orchester). Ist es letztendlich die Konzentration, das Fordernde eines Liedes oder einer Sonate, das zu dem Schattendasein gegenüber den großen Besetzungen führt?

    “Music is enough for a lifetime, but a lifetime is not enough for music”
    Sergei Rachmaninov

  • Es ist leider eine nicht zu übersehende Tatsache, dass das Kunstlied im Niedergang begriffen ist, was das öffentliche Konzertleben anbelangt. Die Ursachen dafür sind sicher nicht primär darin zu suchen, dass es keine großen Liedinterpreten mehr gäbe. Jeder von uns weiß, dass es die gibt.
    Ich meine damit nicht den Star-Tenor, der gerade mal nebenbei zeigen will, dass er auch die Schöne Müllerin mit tenoralem Pathos zelebrieren kann, sondern die Sängerinnen und Sänger, die sich ganz in den Dienst an der Pflege des Kunstliedes stellen und auch das Zeug dazu haben.


    Die Ursachen dieses Niedergangs dürften eher damit zusammenhängen, dass die Event-Kultur immer mehr auch in das Konzertleben eindringt. Man will heute das große Ereignis erleben, den überwältigenden Sound, die x-te hübsch anzusehende junge Geigerin, den jungen Chinesen, der auf dem Steinway einen Feuerzauber zu entfesseln versteht. Und so weiter.


    Die kleine musikalische Form, und das ist doch das Kunstlied par excellence, hat da kaum mehr eine Chance. Man muss da ja genau hinhören, den Text verstehen, das Wechselspiel von Singstimme und Klavier verfolgen, um zu erleben und auch zu begreifen, was sich auf der Bühne ereignet. Subtile Interpretation ist gefragt. Es gibt einfach keinen Raum für vordergründige Effekte. Und blenden kann ein Interpret schon gar nicht. Jeder falsche Ton ist überdeutlichzu hören.


    Dem Kunstlied bleibt nur der intime Ort vor dem Lautsprecher bzw. im Kopfhörer und - das Kunstliedforum im Internet. Ich glaube, dies ist die Stelle, wo ich mich einmal bei Alfred und seinem Team bedanken möchte. Sie haben einen virtuellen Ort geschaffen, an dem die Freunde des Kunstlieds sich treffen, miteinander darüber sprechen und es damit wenigstens sozusagen diskursiv am Leben halten können. Die Einrichtung eines Kunstliedforums ist, und das ganz sicher nicht für mich allein, ein höchst verdienstvolles Unterfangen!


    Ich weiß ja nicht, ob einem Neuling wie mir solch ein Dankeswort überhaupt zusteht. Aber ich habe einen Grund, der mich, jedenfalls in meinen Augen, ganz subjektiv legitimert.
    Mit dem Ausscheiden von Fischer-Dieskau aus dem Konzertleben ist für mich eine Ära zu Ende gegangen, die ich von Anfang miterlebt habe. Ich kam mir mit meiner von diesem Sänger geweckten Liebe zum Kunstlied wie ein verlassener Alter vor, dem zum Schluss nichts anderes mehr einfiel, als bei Google das Stichwort "Kunstlied" einzugeben.


    Als ich das Forum fand, stürzte ich mich regelrecht hinein, wie der in der Wüste Durstende in die Oase. Dabei war ich zuvor noch nie in einem solchen Internetforum und wusste nicht einmal, was ein "Thread" ist.
    Und jetzt muss ich mich schon fragen, ob ich mich da nicht zu vorlaut herumtummele.
    Nichts für ungut, sollte dem so sein.

  • Zitat

    Original von Helmut Hofmann
    Es ist leider eine nicht zu übersehende Tatsache, dass das Kunstlied im Niedergang begriffen ist, was das öffentliche Konzertleben anbelangt.


    Das, lieber Helmut Hofmann, kann ich nun absolut nicht bestätigen. In meinem Umfeld gibt es zahlreiche Angebote von namhaften bis zu (noch) unbekannten Liedinterpreten und ich mache davon häufiger Gebrauch als vom Gang in die Oper.


    Kann es sein, daß es regional weiße Flecken in Sachen Liedgesang gibt?
    :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Ja, lieber Helmut Hofmann,
    Dietrich Fischer-Dieskau war schon der Beste (ansonsten vermeide ich Superlative bei künstlerischen Betrachtungen), aber die Welt dreht sich weiter...
    Heute bereichern mich Matthias Goerne, Christoph Prégardien, Robert Holl und sogar Jonas Kaufmann, wenn er Strauss-Lieder singt.


    Das Kunstlied ist keineswegs tot, aber ich sehe mit einer gewissen Besorgnis, dass man auch hier mitunter beginnt Liederabende mit Klamauk zu garnieren, erst letzten Mittwoch habe ich in Berlin einen in meinen Augen unmöglichen "Schwanengesang" mit Dietrich Henschel (den ich bisher schätzte) erlebt.

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  • Ja, lieber Liedfreund "hart", Goerne und Prégardien sind für mich auch herausragende Liedinterpreten. Über letzteren habe ich gerade in dem Thread "Das Schubertlied und seine Interpreten" ein Loblied gesungen, und Matthias Goerne hat mich einmal mit Schuberts "Schwanengesang" sehr beeindruckt.
    "Die Stadt" habe ich schon lange nicht mehr mit einer solchen Eindringlichkeit gesungen gehört. Die bedrückend geisterhafte Melodik, mit der Schubert dieses Heine-Gedicht in Musik gesetzt hat, ging mir richtig unter die Haut.


    Dass Dietrich Henschel mit dem Schwanengesang Schindluder getrieben haben soll, mag ich gar nicht glauben. Ich kenne ihn bisher auch nur als ernsthaften Liedinterpreten. Seine CD "Schubert. An den Mond" (harmonia munid) habe ich mir viele Male mit Genuss angehört.
    Was hat er denn angestellt, der Gute?


    Eine Frage noch: Was meintest du im Thread "Überlebt der Liedgesang?" mit dem Aufruf an mich: "Weiter so, - wer singt, und wann und wo?"?
    Diese Frage kannst Du doch vermutlich besser beantworten als ich (und das ist keine rhetorische Floskel!).


  • Meiner Erfahrung nach ist Klavier solo von der Beliebtheit etwa gleichauf mit Sinfonik und Oper und "gemischt-besetzte" Kammermusik, also besonders Duosonaten und Klaviertrios, sind immerhin noch erheblich beliebter als Streichquartette und Lieder.


    Es ist, glaube ich, eine verkehrte Erwartungshaltung von Kammermusik, Liedern usw. überhaupt zu erwarten, dass sie die Popularität von Opern erreichen. Diese Musik war schließlich zum großen Teil für einen eher intimen Rahmen oder zum Selbermusizieren gemacht. Wenn auch nicht nur als Hausmusik im ganz kleinen Kreis, dann vielleicht für einen größeren Salon mit 30-50 Zuhörern oder so.
    Insofern ist hier die CD vielleicht ein gar nicht so verkehrter Ersatz, da aus finanziellen und anderen Gründen ein Rahmen mit relativ wenigen Zuhörern nicht immer gefunden werden kann. Klar, ist ein Lieder-, Klaver- oder Kammermusikabend auch viel billiger als eine Opernvorstellung. Aber auch hier kann, was sich mit 100 Zuhörern lohnt, mit 50 ein Verlustgeschäft sein.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Antwort an H. Hofmann:
    Als ich las: "Eben studierte ich gerade die FAZ", hätte mich interessiert, welcher Liederabend das war.

  • Die Frage müsste lauten:
    WAS BEDEUTET EUCH DAS TAMINO-LIED-FORUM?
    Das habe ich nämlich jetzt gespürt!


    Dreieinhalb Tage lang lief ich mit dem bedrückenden Gedanken herum, dass es das Tamino-Liedforum nun auf absehbare Zeit - oder vielleicht sogar für immer? - nicht mehr gibt.


    Ein alter Mensch wie ich ist es gewohnt, seine Gedanken mit den Händen aufs Papier zu bringen. In ihm steckt ein tiefes Misstrauen gegen die virtuelle Internet-Welt. Nichts ist da wirklich zu greifen, und alles kann sich, wie eben gerade erlebt, in Nichts auflösen.
    Jetzt hatte es sich bestätigt.


    Vor dreieinhalb Tagen lag vor mir ein Manuskript, das ich gerade eintragen wollte. Aber der Ort dafür existierte nicht mehr.
    In Goethes Faust steht der berühmte Satz von dem Schwarz auf Weiß, das man getrost nach Hause tragen könne. Der ist da zwar ironisch gemeint, denn Mephisto ist ein ausgekochter Bösewicht.
    Aber jeder Faustleser weiß: Er spricht oft tiefe Wahrheiten über den Menschen und seine Welt aus.
    Hätte Goethe das auch so formuliert, wenn er die virtuellen Welten des Internet gekannt hätte?


    Tief aufgeatmet habe ich heute, als ich - ohne jede Hoffnung!! - das Tamino-Forum angeklickt hatte. Ich erwartete die mir schon sattsam bekannte und regelrecht schmerzende Meldung: "Konnte nicht gefunden werden!"


    Und siehe! Da war´s wieder!
    Ich habe sofort mit dem Schreiben begonnen. Mein Manuskript lag ja - Gott sei Dank! - noch im Papierkorb.

  • Lieber Helmut,


    mir bedeuten beide sehr viel. Das forum und das Lied. Deshalb hab ich mich auch bei Alfred mit einem Lied von Richard Strauss für das Wiedererscheinen des forums bedankt. Nachzulesen im Thred "Wo bleibt der humor der forianer".



    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • RE: Post resurrectionem


    ________________________________________

    Zitat

    Zitat:
    Ich habe sofort mit dem Schreiben begonnen. Mein Manuskript lag ja - Gott sei Dank! - noch im Papierkorb

    .


    Lag es im althergebrachten Papierkorb oder im virtuellen?


    Goethe: Götz v. B. - nein, nichts Unanständiges ...
    Wo viel Licht ist, ist starker Schatten ...

  • Zitat

    Original von Alfredl:


    "Auch in Bezug auf den Inhalt von Liedern und seine Wirkung auf ein Klassikpublikum" habe ich mir Gedanken gemacht, und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass einerseits mit zunehmendem Alter die Affinität zum Lied steigt, und dass andrerseits in einem Lied eine Menge verborgen ist - so man nur etwas sucht, das des Entdeckens würdig ist...."


    Na denn. Ich bin zum Lied schon viel früher gekommen, aber nicht durch das Lied selbst, sondern durch die Interpreten. Richtig ist, dass ich mit Oper und Operette angefangen habe, zu sammeln. Erst später kam der Liedgesang dazu, einmal weil ich Mitglied im Kirchenchor und Gesangverein wurde, zum anderen nachdem ich von vielen Opernsängern gelesen hatte, wie schwer es ist, ein Lied zu singen. Dann fing ich erst an, Anders, Hotter, Wunderlich, Prey, Fischer-Dieskau, usw. mit Liedern und Liederzyklen zu sammeln und zu vergleichen. Nachdem ich Prey, Fischer-Dieskau und Dietrich Henschel live mit der Winterreise erlebt habe, ist nach meiner Einschätzung das Kunstlied mindestens genau so schwierig, wenn nicht sogar schwieriger zu singen als eine Opernarie.


    Von daher werde ich Gerhaher, Goerne, Pregardien, Güra und wie sie alle heißen mögen, weiter sammeln. Bei Frauenstimmen (Sopranen) tue ich mich etwas schwerer, aber die können es auch.
    Alfreds Aussage, dass die Sparte Lied im forum unergiebig ist, möchte ich widersprechen.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Lieber Liedfreund Bernward,
    ein heißer Tipp für Dich: Am 7. Oktober 2010 gibt Julian Prégardien einen Liederabend in Hildesheim, das müsste doch in etwa in Deiner Nähe sein ... für mich ist das leider zu weit, aber ich habe den jungen Mann hier kürzlich zusammen mit seinem Vater Christoph Prégardien auf dem Podium gehabt ...

  • Vielen Dank für den Tip. Die 20 km werde ich wohl noch schaffen. Mal sehen,
    ob's noch Karten gibt.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Hallo, liebe Kunstliedfreunde,


    für mich ist das Lied von zentraler Bedeutung, zumal es schon früh in der erster Hälfte meiner Gymnasialzeit an mich herangetragen worden ist.
    Das liegt in der Hauptsache an meinem früheren Klassen- und Musiklehrer, den ich mit 14 Jahren bekam, und das ist jetzt 50 Jahre her. Er war ein begeisterter Anhänger des Liedschaffens Franz Schuberts und Robert Schumanns, und so lernten wir mit 14 Jahren "Das Wandern" aus der "Schönen Müllerin", das "Heidenröslein", den "Musensohn" und "Die Forelle" und Schumanns "Mondnacht". Unser Lehrer war in seinen jungen Jahren auch als Liedbegleiter unterwegs gewesen, und so konnten wir dank seiner Fähigkeiten die Lieder passabel einüben.
    Damals wurde meine Liebe zum Lied geweckt und ist bis heute eher noch stärker geworden.


    Für ein Zeichen, dass das Lied noch lange nicht tot ist, halte ich die Tatsache, dass es wieder eine Reihe vorzugsweise bass/baritonaler (Quasthoff, Trekel, Goerne, Gerhaher, Bär, Genz, Henschel, Hampson, Terfel u.a.), aber auch tenoraler (Güra, Bostrige, Kaufmann, Langridge) Vertreter gibt, die schon große Liedsänger sind bzw. sich auf dem Weg dorthin befinden.


    Für mich ist es auch unverständlich, dass bei einer Fachumfrage nach den besten Tenören des 20. Jahrhunderts Fritz Wunderlich hinter Placido Domingo und Luciano Pavarotti genannt wurde, obwohl die beiden letzteren doch auf dem Gebiet des Liedgesanges praktisch nichts hervorgebracht haben. Dabei ist der Liedgesang doch nicht nur eine Domäne deutscher Sänger, sowohl bei den Tenören als auch bei den Baritonen und den Bässen.


    Liebe Grüße


    Willi

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Lieber William,


    das war wohl eine "Schnellantwort" - Wieso fehlen bei Deinen Lied-Tenören so überaus wichtige und das Metier pägende Namen wie Peter Schreier und Christoph Prégardien?
    Ian Bostridge war einmal ein guter Liedsänger ... aber das ist meine ganz private Meinung ...


    Seit vielen Jahren gehe ich zur Schubertiade nach Schwarzenberg und freue mich stets über die sehr gut besuchten Veranstaltungen. Das sieht also ganz ordentlich aus, aber es ist nicht zu übersehen, dass hier die grauen Häupter weit in der Überzahl sind und ich selbst drücke den Altersdurchschnitt auch nicht nach unten.

  • Liebe Freunde,


    manchmal schaue ich mir ganz gerührt meine alten 60er-Plattencover an. Rita Streich, in ihrem Berliner Wohnzimmer, vornehmes 50s-Chippendale, oder Fischer-Dieskau als junger Bonvivant vor seiner Bücherwand. Das ist sehr weit entfernt von der glamourösen Inszenierung heutiger Cover, selbst im Liedgesang. Das Selbstverständnis jener Künstler als Bewahrer und Fackelträger einer nicht in Frage stehenden Tradition und Kultur konnte damals an die Vor- und die Kriegs- wie die unmittelabre Nachkriegszeit anschließen. Hermann Prey beschreibt in seinen Memoiren den langen Schatten von Heinrich Schlusnus, der stilbildendes Vorbild blieb.


    Ich kann mir nicht vorstellen, daß z.B. Jonas Kaufmann der - was Gott verhindern möge - Witwe von Fischer-Dieskau und ihren Gästen ein Schubert-Lied vorsingt, bangend, ob es vor der Erinnerung an den Meister bestehen wird.


    Das Kunstlied hängt ja an verschiedenen Faktoren - einer geschlossen deutsch denkenden Kunstauffassung à la Furtwängler, die ja im guten Sinne etwas Provinzielles hatte, eine Übertreibung der Bedeutung dessen, was man eben sehr genau kannte (diese Provinzialität ist z.B. eine der Pointen der "Meistersinger"). - Die Zäsur des zweiten Weltkriegs hat die Selbstverständlichkeit des geistigen Beheimatetseins im Deutschtum zerschlagen; die Zäsur der Jahrtausendwende hat das neunzehnte Jahrhundert, dem ja die Liedlyrik zu 99% entstammt, in den Orkus der Urgroßeltern verwiesen.


    Die Reetablierung einer deutschsprachigen Hochkultur auf deutsch sprechendem Boden - bis zur Wiedereröffnung Bayreuths, der Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper 1955 - muß doch in den Anfangsjahren ihre Energie z.T. aus der Rehabilitation der deutschen Kunst gezogen haben. Insofern wäre der Perfektionismus eines Dietrich Fischer-Dieskau (auch) Effekt einer beglückenden Überkompensation. - Das ist freilich bloß Spekulation meinerseits, ich bin nicht dabei gewesen.


    Ein moderner Sänger jedenfalls muß nicht mehr Repräsentant und Botschafter eines "guten Deutschen" sein; er muß auch als Liedsänger nicht an eine intakte und integre, unter den Trümmern verschüttete Tradition anschließen. - Im Nahumfeld des Krieges gewann die Kunst, wie die neu erstarkte Religion - eine heute vergessene Bedeutung als kollektives psycho-hygienisches Medium.


    Die Haltung der Idealität, für die Lyrik und das Kunstlied so unerläßlich, ist in einer Welt aufgelöster Verbindlichkeiten und privater Wertesysteme nur sehr schwer zu gewinnen.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Zitat

    Lieber Farinelli,
    Hier ein Zitat aus dem Text oben:
    Das Kunstlied hängt ja an verschiedenen Faktoren - einer geschlossen deutsch denkenden Kunstauffassung à la Furtwängler, die ja im guten Sinne etwas Provinzielles hatte


    Kurz bevor ich Deinen Beitrag las, sah ich heute im SWR-TV einen Filmbeitrag über Hermann Prey; unter anderem auch Konzertausschnitte aus der Suntory Hall in Tokio - das war im Jahr 1997. Die Begeisterung der Asiaten für deutsche Musikkultur ist ja allgemein bekannt. Die Tatsache, dass solche Liedprogramme in diesen Metropolen Zulauf haben, hat eigentlich nichts Provinzielles an sich ...

  • Lieber Hart,


    ich verstehe natürlich Deinen Einwand, finde aber gerade die seltsam mimikryhafte japanische Begeisterung fürs Deutsche Fach keinen Gegenbeweis. Ich habe einen schönen EMI-Konzertmitschnitt von Fischer-Dieskau als Dokument seiner 60er Tokio-Tournee, mit für Japan repräsentativ ausgewählten Liedern, die heute in der BääRDä m.o.w. unbekannt sein dürften.


    Es gibt ein Schwarzkopf-Porträt auf DVD, mit u.a. Ausschnitten aus ihren Meisterklassen. Da versucht sie, einer tout à fait unnative slwaischen Sängerin ein Wolf-Lied beizubringen (es geht um die Zeile "Und er nennt mich seine Schlange"). Schwarzkopf erklärt alles auf deutsch, es wirkt geradezu grotesk, obwohl sie ganz hinreißend in die Materie des Liedes einführt. Aber die Schülerin versteht ohne Dolmetscher kein Wort; und dennoch besteht Schwarzkopf darauf, daß die Beherrschung der deutschen Sprache für das wesentliche Liedrepertoire unerläßlich sei. Wenn man die Szene sieht, weiß man, was ich mit der Provinzialität meine.


    Ich dachte es mir aber auch gar nicht pejorativ - z.B. haben wir keine "Nationaloper" in Berlin (bloß die StO.u.d.L.), sondern eine Fülle gleichberechtigter Häuser. Kultur ist bei uns per se landschaftlich-regional eingebunden, nicht Staatsaffaire. Das ist der Meistersinger-Charme. Auch Weimar war nicht Kulturmetropole, sondern Kunstprovinz. Die (im deutschen Sinn) aufgesezte Nationalstaats-Perspektive müßte einen Herrn Wildgans kanonisieren, während eine Frau Pina Bausch in der Versenkung veschwände.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Ich dachte es mir aber auch gar nicht pejorativ - z. B. haben wir keine "Nationaloper" in Berlin
    Lieber Farinelli,
    ich will ja hier nicht politisch werden ... aber Albert Speer hätte uns vielleicht eine schöne "Nationaloper" gebaut - seien wir doch froh, dass es bei der Straßenbeleuchtung in Berlin geblieben ist ...
    Ich finde es eher positiv, wenn Kultur im ganzen Land gestreut wird ...

  • @ hart:



    Lieber hart, du hast natürlich völlig recht mit "Schnellantwort", die beiden habe ich wirklich vergessen, und dabei habe ich Peter Schreier schon auf dem Podium erlebt, und zwar in Recklinghausen im Festspielhaus mit der "Winterreise" und Christoph Pregardien in Berlin in der "Schöpfung" unter Thielemann und in Essen in der "Mattäuspassion" unter Herreweghe. Asche auf mein Haupt, aber die beiden gehören natürlich unbedingt dazu.


    Liebe Grüße


    Willi ;(

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Darf man die These wagen, daß gute Liedsänger oft auch gute Oratoriensolisten sind?


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Was bedeutet mir die Sparte "Lied"?


    ALLES!!! Das Lied ist der Spiegel der Fähigkeiten eines Sängers, sein Instrument vorzuführen; es besticht durch die Schlichtheit der Instrumentierung, betört durch den Bann des Interpreten, in den er sein Publikum zieht, und ist somit die Klippe, an der der Dilettant zerschellt und der Könner triumphiert. Was auf der Opernbühne durch Inszenierung kaschiert werden kann, ist beim Liederabend nicht zu verbergen; es gibt keine Kulisse ausser dem Flügel und nichts kann vom Interpreten ablenken.
    Das Lied dringt dem Zuhörer eindeutiger in sein Bewusstsein, welches durch nichts Anderes am Hörereignis gehindert wird. Bei Loewe gibt es ausserdem die Gelegenheit, unbekannt gewordene Dichter wie Freiligrath, Kopisch oder Uhland den Menschen wieder näher zu bringen, in die Welt versunkener Mystik einzutauchen und in einer Weise über den Rand der heimatlichen Suppenschüssel zu schauen, die nus in der heutigen Zeit nur Gutes tun kann, angesichts der Tatsache, dass das Volk der "Dichter und Denker" zum Volk der "dichten Denker" mutiert.
    Operninszenierungen erscheinen abgeschmackt, weil Regisseure inszenatorisch meinen, das Rad neu erfinden zu müssen und unterwerfen die Szenerie einem selbstgeschaffenen Zeitgeist, der eindeutig den Beweis antritt, dass sich über Geschmack nicht streiten lässt (de gustibus NON est disputandum), während die Szenerie des Liedes seit seiner Schöpfung immer die Gleiche geblieben ist; zwei Menschen und zwei Instrumente, die uns den Genuss schenken, der schon unseren Altvorderen anspruchsvolle Unterhaltung bot

  • Lieber farinelli,


    die These darf man wagen - allerdings: Vom Rezitativ abgesehen, handelt es sich dann doch meist um einen orchestral begleiteten Gesang, mir all den gegenüber dem Liedvortrag bekannten Vorbehalten/Einwänden?


    Herzliche Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Kein Tag vergeht, an dem ich nicht ein Lied höre. Für mich ist die menschliche Stimme das ausdruckstarkste, unmittelbarste musikalische Medium. Jede Regung, die kleinste Nuance bleibt dem Hörer nicht verborgen.


    In meiner Gymnasialzeit lies einer meiner Lehrer ein Schubert-Lied von einer Langspielplatte abspielen: Fischer-Dieskau und Moore mit "Die Sterne" nach einem Text von Leitner. Seine Begeisterung übertrug sich auf mich. Seither bin ich vom Virus des Kunstliedes infiziert.


    Soll die Sparte Lied in diesem Forums im virtuellen Nirwana verschwinden? Ich hoffe nicht!


    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




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