• Als ein mögliches Geburtsdatum Chopins wird der 22. Februar (Taufurkunde) genannt (alternativ: 1. März, das von Chopin selbst angegebene Datum)
    Die Biographie kann jeder anderswo nachlesen (oder bei Bedarf gerne in einem weiteren Beitrag ergänzen). Obwohl es schon ziemlich viele einzelne threads zu Werken oder Werkgruppen (mit vielen Aufnahmeempfehlungen) gibt, habe ich keinen allgemeinen im Komponistenforum gefunden und, zumindest in letzter Zeit, hat man den Eindruck, dass es sich bei diesem Komponisten nicht gerade um einen großen Favoriten der Forianer handelt.


    Klavierkonzerte
    Nocturnes
    Etudes
    Preludes
    Mazurki
    Balladen
    Scherzi
    Sonate Nr 1
    Sonate Nr 2
    Sonate Nr 3
    Chopin auf dem Pianoforte
    Kammermusik


    (Rest wird ggf. später eingefügt)


    In diesem thread sollte eher eine allgemeine Diskussion von Chopins Bedeutung, gerne auch persönliche Reaktionen im Mittelpunkt stehen. Ohne den abgegriffenen und hier sicher verfehlten Vorwurf des Verkanntseins zu verwenden, scheint im Falle Chopins tatsächlich eine in mehrfacher Hinsicht ungewöhnliche Situation vorzuliegen. Er dürfte einer der ganz wenigen Komponisten sein, der sich zum einen sehr stark auf ein Genre (Klaviermusik, einige Lieder, wenig Kammermusik mit Klavier) beschränkt hat, dabei aber mit fast allen seinen Werken seit jeher zum Kernrepertoire gehört, egal ob Jubiläum oder nicht.
    Man vergleiche die anderen wichtigen Klavierkomponisten der Zeit, Schumann und Liszt; von letzterem sind angesichts des umfangreichen (und qualitiativ sicher heterogenen) Werks nur sehr wenige Werke präsent. Auch von Schumann gibt es bedeutende, vergleichsweise unbekannte Werke (zB die Humoreske, die Noveletten oder die Violinsonaten) und natürlich auch nicht diese extreme Konzentration auf das Klavier.


    Ungeachtet dieser Umstände begegnet man aber gleichzeitig auch diversen (Vor)urteilen: ein süßlich-melancholischer Salonkomponist, ein "Kurzstückmeister" ;), der mit "großen Formen" nicht zurechtgekommen sei, überhaupt der Ansicht, dass Klavierstücke (dazu häufig kurze) nun ja nicht an Anspruch und Ausdruckskraft mit großen Opern oder Sinfonien vergleichbar seien.


    Das mag für den Anfang genügen, was gefällt Euch von und an Chopins Musik, wie schätzt ihr sie ein, wodurch sind sowohl ungebrochene Beliebtheit als auch fragwürdige Urteile zu erklären? Kontraste und Verbindungen zu Zeitgenossen, nicht nur dem Mitjubilar Schumann können ebenfalls gezogen werden. (Nur allzu konkretes zu Einzelwerken, Interpreten oder gar Aufnahmeempfehlungen bitte in den oben verlinkten threads vornehmen!)


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber Johannes :




    zwei allgemeine Hinweise zunächst :


    (1) Es schaut aktuell so aus als sei es ein C h o p i n - Jahr und spiele Robert Schumann eine untergeordnete Rolle .


    Dies liegt nach meiner Kenntnis in Deutschland daran , das die Robert - Schumann - Gesellschaften e. V. , bseonders die in Düsseldorf , nicht im entferntesten professionell geführt werden ( dies war unter der Leitung meiner Kollegin Frau Dr. Gisela Schäfer ganz anders ! Nach wie vor grösseten Dank an Frau Kollegin Schäfer . ) .


    Bei keinem mir bekannten Komponisten werden die Bedeutung der Werke und deren Verbindungen zu anderen Kompositionen Schumanns so unterschiedlich bewertet wie hier . Dazu kommt die s e h r unterschiedliche Einschätzung der späten Kompositionen Schumanns in Zusammenhnag mit seinen Erkrankungen . Wie unterschiedlich dagegen die "Bewertungen" der Weeke Chopins - schon im Spiehel der Zeitgenossen und die Rezeptionsgeschichte .


    Die wahrscheinlich grösste Behinderung für die Aufführungspraxis der Werke Schumanns war in der Person Clara Schumanns begründet ( so wohl auch Claudio Arrau in einem Interview ) .



    (2) Zu Frédéric Chopin empfehle ich s e h r einen sehr umfangreichen Übersichtsartikel von Julia Spinola in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 20. Februar 2010 .


    Daraus geht auch eindeutig hervor , wie die Werke Chopis durch seine direkten Schüler und persönlichen Vertraute zu spielen seinen bzw. gespielt werden könnten .


    Das ist für die Aufführungspraxis bis heute von grösster Bedetung geblieben . Auch wenn sich die Salonsüsse bei den wichtigen Chopininterpreten seit rund 50 Jahren erfreulich verändert hat , so bleibt bezüglich der Interpretationen durch Altmeister des Chopinspieles wie Stefan Askenase , Alfred Cortot - und hier dessen Schülern - erheblicher Bedarf an Analysen .



    Deiner Liste der kompositione hinzuzufügen sind auf jeden Fall die


    > 4 Scherzi u n d die


    > Vales .


    Dann bleibt nach wievor Klärungsbedarf , ob Chopinmöglicherweise kompositiorisch der Klassik näher gestanden hat als der vor allem deutschen Romantik .


    Chopins eigene Haltung zu J S Bach und W A Mozart im äusserst positiven Sinne aus des komponisten Sicht sowie seine doch stark ablehnende Haltung gegenüber dem Komponisten Robert Schumann bedürfen immer noch immer einer umfassenden Analyse .



    Ich erinnere mich noch sehr genau , dass gerade in Paris bis in die späten 1970er Jahre die Litfassäulen voll waren mit Programmankündigungen von reinen Chopinabenden .


    Der letzte , den ich selbst erlebt habe, fand mit einem überragenden K. Zimerman am Flügel in Düsseldorf statt ( unzter anderem die Sonaten in b - Moll und h - Moll ) .


    Chopin ist mit seinen Kompositionen in fast allen internationalen Musikwettbewerben vertreten.


    Bei Robert Schumann sieht es da eher dunkel aus . Es gibt ja den Satz, dass ein Pianist mit Schumann nie einen grossen Wettbewerb gewinnen könne .


    Ein wirklich hochinteressanter Thread !



    Viele Grüsse



    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Liebe Forianerinnen und Forianer,


    Johannes hatte (u. a.) nach einer persönlichen Reaktion gefragt.


    Im Klavierunterricht hatte ich mich für Chopin begeistert. Walzer, Mazurken, Préludes, Nocturnes, Polonaisen - das ist doch Fingerfutter par excellence. Etüden zum Fingerbrechen ... aua.


    Natürlich war bei meinen allerersten CDs eine Menge Chopin dabei: die Walzer mit Rubinstein und Lipatti, die Nocturnes mit Rubinstein, die Préludes und die zweite Sonate mit Argerich, die Etüden mit Pollini.


    Aber ... die Begeisterung beim Hören hat schnell nachgelassen. Warum? Weiß nicht. Bach, Wagner, Mahler waren auf einmal viel interessanter. Chopin hat irgendwann nur noch ein Schattendasein in meiner Sammlung geführt. Hätte es nicht mal die Rubinstein-Chopin-Edition superpreiswert und eine Diskographie der Préludes in FonoForum Juli 2009 gegeben, wäre wohl nicht mehr sehr viel dazu gekommen. (Die Balladen mit Krystian Zimerman und Perahia habe ich eher aus Interesse an den Pianisten angeschafft.)


    Giibt es - außer für Klaviermaniacs - nicht viel Interessanteres in der Musikgeschichte als ausgerechnet Chopin?

  • Chopin, das ist sehr persönliche Musik. Den gängigen Vorurteilen -Salonmusik etc- bin ich auch eine Weile lang erlegen. Aber das stimmt nicht. Das Saloneske mag im Virtuosen liegen - da ich selber kein Klavier spiele, kann ich dazu nichts sagen. Dessenungeachtet erscheint mir die Musik Chopins - je öfter ich sie höre - eine sehr in sich gekehrte zu sein. Dabei - auch das wieder ein persönlicher Höreindruck, der sich in den letzen Wochen nach einigem Dauerhören von Chopins Musik verfestigt - hören wir die Musik gleichsam doppelt gebrochen: zum einen das Seelentagebuch des Komponisten, zum anderen in der seelischen / psychischen Grundstimmung des Interpreten. In dieser Qualität scheint mir Chopin so ziemlich einzig zu sein.


    Diese doppelte Brechung im Hörerlebnis empfinde ich lediglich noch bei op. 109-111 von LvB. Bei Chopin fällt mir dies vor allem bei op. 28 dem "Preludes" genannten Zyklus von 24 unglaublichen Miniaturen auf.


    Bei den "Preludes" - mit diesen Überlegungen werde ich mich auch in den entsprechenden Thread zurückziehen - frage ich mich, warum Pianisten, die nicht wirklich viel Chopin spielen, gerade diesen Zyklus aufgenommen haben (Tzimon Barto) und andere, die durchaus Chopin auf der Agenda haben, gerade diesen Zyklus nicht spielen (Ciccolini).


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Ich glaube nicht, daß Chopin von den Forianern nicht geschätzt wird, aber er eignet sich nicht extrem gut für Diskussionen , Streit und Weltanschauliches. Wir finden solche Persönlichkeiten stets in der Musikgeschichte. Chopin umweht keine geheimnisvolle Aura, er war kein Neuerer im eigentlichen Sinn, kein politischer Kämpfer, polarisierte nicht, hatte keine berühmten Gegenspieler, schrieb keine Opern.


    Er machte einfach nur Musik, die zu allem Unglück von vielen soagar heute noch als "Salonmusik" abqualifiziert wird - was um Gottes Willen soll man über solche einen Komponisten schreiben ??? :baeh01:


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Gibt es von Chopin eigtl. auch reine Orchesterwerke ohne Klavier? Symphonien ja scheinbar nicht ...

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo,


    Zitat

    Original von Joseph II.
    Gibt es von Chopin eigtl. auch reine Orchesterwerke ohne Klavier? Symphonien ja scheinbar nicht ...


    Nein, gibt es nicht. Chopin hat ausschließlich für sein Instrument, das Klavier, Werke geschrieben. Ein ausführliches Werkverzeichnis findest du hier:


    http://chopin.josefhoelzl.com/w_register.php


    oder hier:


    http://de.wikipedia.org/wiki/Frédéric_Chopin


    Treffender als Alfred hätte man die Problematik mit dem Künstler Chopin nicht bezeichnen. Er bietet in der Tat kaum "Angriffspunkte" für große Kontroversen. Man mag seine Musik, oder man mag sie nicht.


    Imo war er der bedeutenste Komponist für sein Instrument, das Klavier. Er hat es in unnachahmlicher Weise verstanden, auch in den kürzstesten Kompositionen tiefe musikalische Gedanken auszudrücken. Bestes Besipiel sind meines Erachtens, die Etuden oder die Préludes. Sie erinnern mich an japanische Haikus, Kurzgedichte, die keine eigentliche "Bedeutung" haben, sondern Stimmungen, Bilder einzufangen versuchen.


    Meine absoluten Lieblingsstücke sind die Mazurken, gefolgt von den Balladen, dann den Etuden und den Préludes. Aber eigentlich mag ich alles von ihm. Er kann tiefsinnig traurig sein und im nächsten Moment wieder ganz beschwingt und fast heiter. Obwohl sein Musik niemals richtig unbeschwert klingt. Ein wenig Wehmut oder Sehnsucht schwimmt immer mit.


    Ich empfehle - neben der sehr umfangreichen und großartigen Biografie von Tadeusz A. ZieliDski "Chopin. Sein Leben, sein Werk, seine Zeit" die zum Chopin - Jahr erschienene Biografie von Gesine Baur "Chopin oder Die Sehnsucht". Letztere ist zwar viel kürzer und leider auch ohne vollständiges Werkverzeichnis, aber sehr lebendig und spannend geschrieben. Danach kam ich zu der Einsicht, dass er nicht unbedingt ein sehr liebenswürdiger und lebenstüchtiger Mensch gewesen sein muss, sondern Zeit seines Lebens in der Rolle des "Wunderkindes" verharrte und immer auf die Unterstützung anderer angewiesen war, ganz anders als etwa eine J.S. Bach oder Joseph Haydn, die mit beiden Beinen fest verwurzelt im Leben standen. Gleichwohl kann das meine Bewunderung für sein Werk nicht schmälern.


    VG, Bernd

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Ich glaube nicht, daß Chopin von den Forianern nicht geschätzt wird, aber er eignet sich nicht extrem gut für Diskussionen , Streit und Weltanschauliches. Wir finden solche Persönlichkeiten stets in der Musikgeschichte. Chopin umweht keine geheimnisvolle Aura, er war kein Neuerer im eigentlichen Sinn, kein politischer Kämpfer, polarisierte nicht, hatte keine berühmten Gegenspieler, schrieb keine Opern.


    Naja, wir haben schon die geheimnisvolle Aura des typisch romantischen, schwindsüchtigen Künstlers, kein politischer Kämpfer, aber Nationalist und Sympathisant. All das scheint sich aber in der Musik nur bedingt oder doch transformiert zu finden, die, obwohl sie kaum an Beethoven und die Klassik anknüpft, doch oft außerordentlich "klassisch" wirkt.
    Vielleicht kein musikalischer Revolutionär wie Berlioz, aber ein sehr innovativer und einflußreicher Komponist.


    Zitat


    Er machte einfach nur Musik, die zu allem Unglück von vielen soagar heute noch als "Salonmusik" abqualifiziert wird - was um Gottes Willen soll man über solche einen Komponisten schreiben ??? :baeh01:


    Man könnte sich zur Abwechslung mal an die Musik halten, auch wenn es schwer fällt. ;)


    :hello:


    JR

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  • Zitat

    (Wolfram) Gibt es - außer für Klaviermaniacs - nicht viel Interessanteres in der Musikgeschichte als ausgerechnet Chopin?


    Bei allem Respekt für Berlioz, Mendelssohn, Rossini, Bellini, Donizetti, Liszt, ist in den 1830er und 1840er Jahren Schumanns Musik die einzige, die ich ähnlich interessant finde wie Chopins.
    Ich halte mich nicht für einen Pianophilen. Chopin und Schumann sind die einzigen "typischen Klavierkomponisten", die mir nahe stehen. Debussy und Ravel lassen mich weitgehend kalt, auch wenn ich einiges schätze oder gar bewundere. Rachmaninoff mag ich nicht, von Liszt bisher nur sehr wenig, Skrjabin kenne ich zu schlecht. Mir ist der Zugang zu Chopin (auch wenn ich anfangs aufgrund zu starker Prägung durch Beethoven usw. etwas Probleme hatte), leichter gefallen als der zur Klaviermusik von Bach und Schumann.


    Wie auch immer, ich halte die Vorurteile, die ich weiter oben angeführt habe, für haltlos. Zum einen ist es naiv, kurze Stücke abzuwerten, aber es ist ja auch gar nicht richtig, dass es keine umfangreichen gäbe (selbst wenn sogar in wohlmeinenden Artikeln steht, dass kaum ein Stück länger als 5 min wäre...) Abgesehen von den Sonaten sind mindestens die Balladen, die Polonaise-Fantasie und die Fantasie f-moll so umfangreich (ca. 7-14 min) und komplex wie typische Sonatensätze; die Scherzi vielleicht etwas einfacher, aber ebenso lang. Ähnliches gilt für die Polonaisen, Nocturnes, Impromptus.
    Des weiteren wurde schon angedeutet, dass die Etudes und Preludes an Konzentration und Intensität sehr beeindruckend sind; das vergleichsweise kurze Klavierstück ist nun endgültig vollwertiges Ausdrucksmittel (und dominiert ja etwa bei Debussy oder Ravel noch zwei Generationen später).


    "Salonkomponist" ist, doppelt irreführend, wenngleich vielleicht oberflächlich richtig. Im Salon versammeln sich die Kenner, es bedeutet nicht, dass im Hintergrund herumgeklimpert wird. Und ungeachtet vieler intimer Stücke, ist kein kleiner Teil der Werke durchaus für einen öffentlichen Konzertsaal gedacht; man denke an die Polonaisen, die Sonaten, die Scherzi.


    Das bringt mich darauf, dass das musikalische Spektrum Chopins ebenfalls selbst in wohlmeinenden Kommentaren nicht angemessen dargestellt zu werden scheint. Die poetische Intimität einiger Nocturnes, Mazurken oder Walzer ist ja nur ein Aspekt, keineswegs der dominante. Daneben gibt es Musik, in der sich Eleganz und Kraft beispielhaft verbinden, etwa in einigen Polonaisen, im 2. Scherzo, der 3. Ballade oder der 3. Klaviersonate und auch in einigen Walzern, Etudes und Preludes. Im Gegensatz zu Liszt wirken selbst etwas weniger "tiefe" Stücke (wie die A-Dur-Polonaise oder die mit dem andante spianato gegenüber der As-Dur oder gar der Polonaise-Fantasie) niemals banal. Dann die "dämonisch-düstere" Seite, die "schwarze Romantik", wie sie sich im 1. und 3. Scherzo, der "Revolutionsetüde", des d-moll-Preludes usw. zeigt. Die Dramatik der letzten drei Etudes in op.25 (das waren die Werke, die mir die Idee des Salonkomponisten ausgetrieben haben) ist schwer zu übertreffen. In solchen Stücken (es wären noch einige kürzere Stücke, sowie etwa die Codas der 1. und 4. Ballade zu nennen) zeigt sich, was dann im ominösen Finale der b-moll-Sonate auf die Spitze getrieben wird: eine Grenze der Musik, schattenhaft, melodie- und konturlos, nicht mal mehr dramatisch (wie das "Grummeln" am Beginn eines Scherzos).
    In dieser Spannweite wird Chopin m.E. von kaum einem anderen Komponisten erreicht, und dass er nur das Klavier benötigte, um solch ein Spektrum darzustellen, macht es umso bewundernswürdiger. Es ist kein Zufall, dass er als wohl einziger Komponist, der sich auf ein Instrument beschränkte, solch einen Status genießt.


    :hello:


    JR

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Es ist kein Zufall, dass er als wohl einziger Komponist, der sich auf ein Instrument beschränkte, solch einen Status genießt.


    Mir fiele da noch Corelli ein.
    :hello:

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  • Johannes macht das Besondere von Chopin - wie ich meine: sehr treffend - an der Länge der Stücke fest.


    Und vielleicht hängt daran auch seine Einschätzung. - Ist es in der Literatur nicht ähnlich? Einen neuen Roman - davon hört man, den kauft man sich, darüber redet man. Aber einen Gedichtband?

  • Zitat

    Original von Wolfram
    Johannes macht das Besondere von Chopin - wie ich meine: sehr treffend - an der Länge der Stücke fest.


    Und vielleicht hängt daran auch seine Einschätzung.


    Also mir ist neu, dass Chopin nicht einer der allerwichtigsten und allerbeliebtesten Komponisten sein soll.
    :rolleyes:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Also mir ist neu, dass Chopin nicht einer der allerwichtigsten und allerbeliebtesten Komponisten sein soll.


    Habe ich auch nie bestritten. Dennoch scheint die Beliebtheit manche Aspekte seiner Werke eher zu verdunkeln (auch das ist kein Alleinstellungsmerkmal, sondern bei Mozart u.va. ähnlich, aber Chopn scheint mir schon ein besonderer Fall). Und Wolfram scheint mir, was ich zur Länge schrieb mißzuverstehen. Denn ich meinte:


    1) Es kommt nicht auf die Länge an (zumal in einer Zeit in der "kleine Klavierstücke", Lieder usw. eine zentrale Gattung sind/werden.)


    2) Es stimmt überdies gar nicht, dass Chopin überwiegend kurze Stücke komponiert habe. Ca. ein Dutzend Werke (Konzerte, Sonaten, Balladen, Polonaise-Fantasie, Fantasie f-moll) entspricht in Umfang und Komplexität etwa Sonaten- und Sinfoniesätzen dieser Zeit und eine ziemlich große Zahl (Polonaisen, Scherzi, Impromptus, viele der Nocturnes, etliche Walzer und Mazurken) liegt mit etwas schlichterer Form (ABA', Rondo oder so ähnlich) und typischen Spieldauern von 4-12 min nicht weit davon. (Ein typischer Haydnscher Sonatensatz dauert ohne Wdh. auch nur 2-5 min.)


    Corelli ist in der Tat sogar noch frappierender, da im Barock ja eigentlich Vokalmusik die Instrumentalmusik dominierte, an den habe ich nicht gedacht. Eher fallen einem Bruckner, Mahler, Verdi, Wagner ein. Aber die haben sich ja auf "große Werke" beschränkt, daher sind sie diesen Vorurteilen so nicht ausgesetzt.


    (Der Roman war lange Zeit eine "vulgäre Gattung", die nie so hoch angesehen wurde wie Lyrik, Epik oder Tragödien.)


    :hello:


    JR

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  • Lieber Johannes,


    Du hast natürlich recht. Sicher gibt es auch umfangreichere Werke von Chopin. Seine Klavierkonzerte dauern ja auch ca. 40 bzw. ca. 30 Minuten, bei Krystian Zimerman und dem Polish Festival Orchestra nochmal jeweils gut 5 Minuten mehr. Und die Klaviersonaten dauern auch > 25 Minuten.


    Dennoch: Wer wollte ernsthaft behaupten, Chopin hätte die großen Formen beherrscht? Die Klavierkonzerte sind Frühwerke. Bleiben die drei Sonaten. Jenseits davon wird es schwierig, ein Stück mit deutlich mehr als zehn Minuten Länge zu finden.


    Natürlich sagt dies nichts über innere Größe - von Webern wäre ein gutes, wenngleich extremes Beispiel. Aber der Maßstab für die Wertschätzung eines Komponisten ist doch meist: Oper, Oratorium, Sinfonie, Streichquartett. Wenigstens in einem dieser Gattungen hat jeder bekannte Komponist in zeitlicher Nachbarschaft Größtes hinterlassen: Beethoven, v. Weber, die Belcantisten, Schubert, Mendelssohn, Schumann.


    Es ist natürlich hochspekulativ, aber ich weiß nicht, welche Wertschätzung etwa Schubert ohne seine letzten beiden Sinfonien genießen würden. Ob sein Liedschaffen dann überhaupt so bekannt geworden wäre? Seine Kammermusik? Seine Klaviersonaten, die ja lange völlig missachtet wurden, Schnabel und Kempff vielleicht mal ausgenommen?


    Bei Chopin fehlen vielleicht solche Marksteine, ungeachtet aller technischen Errungenschaften der Etüden, ungeachtet aller Poetik der Nocturnes, ungeachtet aller Neubewertung der kleinen Form.

  • Zitat

    Original von Wolfram
    Dennoch: Wer wollte ernsthaft behaupten, Chopin hätte die großen Formen beherrscht?


    Charles Rosen, z.B. Er zählt allerdings Werke wie die Balladen (und die Polonaise-Fantasie und die Barcarolle) als "groß".


    Zitat


    Die Klavierkonzerte sind Frühwerke. Bleiben die drei Sonaten. Jenseits davon wird es schwierig, ein Stück mit deutlich mehr als zehn Minuten Länge zu finden.


    Ja und? Es gibt wie gesagt auch kaum einen klassischen Sonatensatz vor Beethoven, der ohne Doppelstrichwdh. länger als 10 min. dauert. Typische Sinfoniesätze von Mendelssohn oder Schumann dauern ebenfalls nicht länger. Und ein Satz als geschlossenes Gebilde ist hier die entscheidende Einheit, nicht dass man durch mehrere Sätze natürlich leicht lange Werke von 40 oder mehr min. erreichen kann.
    Hält jemand im Ernst die 3. Sonate für bedeutender als die 4. Ballade, weil sie aus mehreren Sätzen besteht und deswegen länger ist? (Man mag sie für bedeutender halten, aber doch nicht deswegen.)


    Wie nun schon mehrfach gesagt, werden typische klassisch-romantische Satzlängen von ca. 5-12 min von ziemlich vielen Werken Chopins errreicht. Oder man nehme als Vergleich Bachsche Präludien und Fugen aus dem WTK. Man könnte ja auch die Etuden und Preludes jeweils als Sammlung werten, dann wären sie lang, damit großartige Werke. Aber das ändert doch offenbar gar nichts an der Qualität der Einzelstücke.


    Zitat


    Natürlich sagt dies nichts über innere Größe - von Webern wäre ein gutes, wenngleich extremes Beispiel. Aber der Maßstab für die Wertschätzung eines Komponisten ist doch meist: Oper, Oratorium, Sinfonie, Streichquartett.


    "meist". ;) Chopin ist offensichtlich eine prominente Ausnahme. Ich glaube nicht, dass es viel bringt, diesen Befund der hohen und durchgehenden Wertschätzung zu bestreiten. Die Fragen, die sich ergäben, wären höchstens, ob diese Wertschätzung gerechtfertigt ist oder worauf sie beruht, obwohl keine Oper, Sinfonie usw. vorliegt. Ein paar Antwortvorschläge habe ich weiter oben im thread angedeutet.


    :hello:


    JR

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  • Zitat

    Es ist natürlich hochspekulativ, aber ich weiß nicht, welche Wertschätzung etwa Schubert ohne seine letzten beiden Sinfonien genießen würden. Ob sein Liedschaffen dann überhaupt so bekannt geworden wäre? Seine Kammermusik?


    Dazu muss man nicht groß spekulieren: Schuberts "Unvollendete" wurde erst 1865, über 30 Jahre nach seinem Tod uraufgeführt; die C-Dur hatte Schumann 1839 ausgegraben und protegiert, aber das Werk war auch dann noch u.a. bei Orchestermusikern auf Widerstände gestoßen (Mendelssohn dirigierte die Uraufführung). Schuberts unmittelbare Nachwirkung lief tatsächlich über die Lieder und einzelne Klavierwerke (zB Wandererfantasie), nicht über die beiden späten Sinfonien!


    Nochmal zu Chopin; die Werke in "traditionellen mehrsätzigen klassizistischen Großformen" sind:


    Sonate c-moll op.4
    Trio g-moll op.8
    Klavierkonzert f-moll
    Klavierkonzert e-moll
    Sonate b-moll op.35
    Sonate h-moll op.58
    Cellosonate g-moll op.65


    Die erste Sonate kenne ich nicht; sie ist wie das Trio ein recht frühes Werk (letzteres habe ich aber als durchaus lohnend in Erinnerung). Auch die Konzerte sind frühe Werke, ungeachtet dessen gehören sie zu den populärsten der Literatur und werden viel häufiger gespielt als z.B. Mendelssohns Klavierkonzerte oder Webers. Die drei weiteren Sonaten sind unbestritten reife und gewichtige Werke, auch wenn die Cellosonate recht unbekannt ist.
    Es gibt noch einige wenige Werke f. Klavier und Orchester (Krakowiak, Fantasie über polnische Lieder usw.), die aber durchweg früh und nicht besonders gewichtig sind.
    Bleiben also 5 wichtige Werke in traditionellen Formen.


    Dann haben wir mindestens 7 zentrale Werke in mitunter freien, aber sonatenähnlichen "durchkomponierten" Formen mit Dauern von etwa 7-14 min.: 4 Balladen, Polonaise-Fantasie, Barcarole, Fantasie f-moll
    Schließlich die 4 Scherzi, die ebenfalls alle länger und gewichtiger sind als typische Scherzo-Sätze innerhalb von Sonaten und einige Polonaisen, die um 10 min dauern. Selbst wenn bei dem Rest viele Stücke dabei sind, die ca. 4-7 min. dauern und ebenfalls Einzelsätzen aus Sonaten vergleichbar wären, nehmen wir die alle als "kurze Stücke".


    Ein vergleichbarer Komponist ist m.E. Debussy, auch wenn der sogar eine Oper geschrieben hat und in unterschiedlichen Gattungen unterwegs war. Es gibt ebenfalls (außer einem frühen Trio) nur 4 Kammermusikwerke in traditionellen Formen, wobei die 3 späten Sonaten alle kurz (je 10-15 min) sind. Das vermutlich gewichtigste Orchesterwerk, La Mer, ist insgesamt etwa so lang wie das Finale von Bruckners 5. oder 8.; das Ballett Jeux ist etwas kürzer, dafür durchgehend. Andere Orchesterwerke (Images) sind teils nachträglich aus Einzelsätzen, die meist unter 10 min dauer, zusammengestellt. (Alle zusammen füllen nicht einmal 3 CDs.) Die Klavierwerke bewegen sich, so weit ich sehe, alle im Umfang der "kurzen" Stücke von 3-7 min.
    Und Bedeutung und Einfluss Debussys beruhen sicher nicht hauptsächlich auf Pelleas & Melisande...


    :hello:


    JR

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  • Mit dieser schönen CD von Maurizio Pollini:


    auf der u. a. auch die Préludes op. 28 enthalten sind, die ich am Mittwoch in Köln live von Pollini hören konnte, möchte ich daran erinnern, dass auch Chopin schon wieder fünf Jahre älter geworden ist.


    Heute ist sein 205. Geburtstag.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Chopin ist für mich der wichtigste Komponist in der Zeit nach Beethoven, wobei ich seine eigentliche Stärke allerdings weniger im Bereich der größeren Formate ansiedeln würde, sondern eher oder gerade bei den Miniaturen, wobei man die Etuden wohl nur noch cum grano salis zu Miniaturen zählen kann.


    Chopin hat eine beeindruckende Reihe von "Ewigkeitswerken" komponiert, etliche Etuden gehören dazu, viele Präludien, einige Nocturne, ein paar Walzer, jedenfalls viel mehr als irgendein E-Musik-Komponist nach ihm.


    Einige der besten Klavierinterpreten haben seine Werke eingespielt, von den noch aktiven sind vor allem Argerich, Pollini und Lisitsa zu nennen, er ist in vielen Konzertprogrammen vertreten -


    kurz, er ist sicherlich nicht nur für mich, sondern auch in der öffentlichen Wahrnehmung einer der wichtigsten Musiker überhaupt.


    btw: die Ansicht, die JR darstellt: "Ungeachtet dieser Umstände begegnet man aber gleichzeitig auch diversen (Vor)urteilen: ein süßlich-melancholischer Salonkomponist, ein "Kurzstückmeister" ;), der mit "großen Formen" nicht zurechtgekommen sei, überhaupt der Ansicht, dass Klavierstücke (dazu häufig kurze) nun ja nicht an Anspruch und Ausdruckskraft mit großen Opern oder Sinfonien vergleichbar seien." kann ich mich nicht anschließen, ich meine, ganz im Gegenteil ist es viel schwieriger, Emotionen mit nur einem Instrument darzustellen, als wenn man mehrere Dutzend davon hat.

  • Wikipedia schreibt:
    "Geburtsdatum – ein (kleines) Problem: Die beiden Urkunden geben als Geburtsdatum den 22. Februar 1810 an; aber nach Chopins eigener Angabe – lange vor der Entdeckung der Geburtsurkunde – ist sein Geburtstag der 1. März 1810. So schreibt er 1832 dem Präsidenten der Polnischen Literarischen Gesellschaft in Paris, dass er am 1. März 1810 geboren wurde. Die letzten Biographien übernehmen dieses Datum und betrachten den „22. Februar“ als Irrtum von Nicolas Chopin am 23. April 1810. In den älteren Biographien (vor der Entdeckung der Eintrage) findet man andere Daten."

    Viele Grüße
    Positano

  • Der von mir referierten Ansicht habe ich mich ja auch nicht angeschlossen; vielleicht ist das auch eher ein Strohmann. Insgesamt kann an der außerordentlichen Beliebtheit Chopins kaum ein Zweifel bestehen.


    Was große kleine Stücke betrifft, so gehören sicher die Zuspitzung in einigen Etüden und der Mikrokosmos der Preludes zu den außerordentlichen Leistungen Chopins. Dennoch sollte man eben auch nicht die drei sehr originellen reifen mehrsätzigen Sonatenwerke (b-moll, h-moll und Cellosonate) und die "freien" längeren Werke wie Balladen usw. unterschlagen. Die großartigsten davon, die 4. Ballade und die Polonaise-Fantaise, sind für mich "sinfonische Dichtungen" auf dem Klavier (und ich mag sie lieber als praktisch alle orchestralen Sinf. Dichtungen, die ich gehört habe...)

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  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Ob 22. Februar oder 1. März ist im Falle Chopins für mein Dafürhalten definitiv eine der am wenigsten spannenden und diskussionswerten Streitfragen.


    - Mir persönlich ist das zweite Datum zwar deutlich sympathischer, weil es mit einer lebensbejahenden Symbolik den (meteorologischen) Frühlingsanfang markiert, während das erstere noch für winterlichen Stillstand steht, aber zum einen wüsste ich gerne, woher Chopin selbst zu irdischen Lebzeiten sein Wissen vom angeblich wahren Geburtstag 1. März bezog, da ja ein nachweislicher Irrtum des Vaters/der Paten/des Pfarrers in den Kirchenbüchern, spätestens nach Berühmtwerden des einstigen Täuflings, höchstwahrscheinlich bereinigt worden wäre.
    - Und zum anderen ist aus (früh-)christlicher Sicht bei Toten der neuentstandene "Geburtstag" derjenige des Todesdatums, welches gerade bei Chopin einen einzigartigen Hintergrund hat, dessen öffentlich zugänglichen Beleg ich mich aber scheue hier zu nennen (ungeachtet eigener fester Überzeugung). Um es anzudeuten: Die Tatsache, dass Chopin - als einer von zwölf berühmten Komponisten - von Rosemary Brown ("Unfinished symphonies", 1970) in großer Plastizität beschrieben wird, wird noch von einem anderen Medium in einer ungelogen atemberaubenden Weise übertroffen, von der sich nur die allerwenigsten eine Vorstellung machen können ... Details würde ich ggf. auf Anfrage mitteilen, aber nur bei ernsthaftem, echtem Interesse.
    - Ein drittes Argument zur Relativierung der Datumsstreitfrage ist der Punkt, dass nicht wenige Zeitgenossen - man erlebt es in den Medien, auch den Kultursendern immer wieder - darüber allzuleicht das weitaus wichtigere Faktum aus den Augen verlieren, dass Chopin angesichts des zweifellos unpolnischen Familiennamens nur zur Hälfte, mag es auch wegen der Muttersprache die subjektiv für ihn eindeutig wertvollere Hälfte (gewesen) sein, Pole ist. Wer einmal, so wie ich, in dem lothringischen Kaff Marainville - es ist leider wirklich der treffendste Ausdruck zur Beschreibung dieser kläglichen Ortschaft - das Geburtshaus von Chopins Vater Nicolas aufgesucht hat (das Foto wurde, da Gedenkfetischist, nicht verabsäumt), wird Chopins Binationalität nie mehr übersehen oder als zweitrangig behandeln können.


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    Im übrigen existieren neben dem großen Warschauer Chopin-Klavierwettbewerb, der für "Tante Polli" sowie für Pogorelich jeweils den Durchbruch bedeutete, noch weitere, kleinere Wettbewerbe, seit Kriegsende z.B. in dem schlesischen Badeort, wo der Komponist vor der Emigration nach Paris zu Gast war (deutscher Name: Bad Reinerz), und aus dessen näherer Umgebung sein Klavierlehrer Joseph Elsner (1769-1854) stammte.
    Für den wahren Chopin-Gourmet unter allen Taminoanern und den Klavieristen "da draußen" ist die Lektüre folgenden Wettbewerb-Erlebnisberichts aus dem Sommer 2014 eine Delikatesse sondergleichen. Sehr gute Kenntnissse der englischen Sprache werden freilich vorausgesetzt. http://www.michael-moran.com/2…droj-chopin-festival.html


    Nicht zu vergessen fürderhin die mehreren(!) deutschen Chopin-Gesellschaften mit Sitz in Darmstadt, Bautzen etc.

  • Neue Evidenz zu Chopins Homosexualität

    b2d71b.jpg


    Heute zufällig auf diesen interessanten Beitrag vom Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) gestoßen:

    https://www.srf.ch/kultur/musi…and-sollte-davon-erfahren

    Es verschwanden demnach offensichtlich zahlreiche kompromittierende Briefe, die vom Komponisten selbst stammten bzw. an ihn gerichtet waren. Andere wurden sinnentstellend aus dem Polnischen übersetzt und dann mit unbelegten Fußnoten, die auf Frauen verweisen, vermeintlich gestützt. Das Ganze hat selbst heute noch eine politische Komponente, sieht man sich die Bedeutung Frédéric Chopins als polnischem Nationalkomponisten an, als welchem ihm auch das derzeitige Regime huldigt. Was nicht sein darf, ist eben nicht. Eine gewisse Parallele zu Tschaikowskis Fall tut sich auf, wobei man es dort mittlerweile weitgehend akzeptiert hat.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Neue Evidenz zu Chopins Homosexualität

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    Heute zufällig auf diesen interessanten Beitrag vom Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) gestoßen:

    https://www.srf.ch/kultur/musi…and-sollte-davon-erfahren

    Es verschwanden demnach offensichtlich zahlreiche kompromittierende Briefe, die vom Komponisten selbst stammten bzw. an ihn gerichtet waren. Andere wurden sinnentstellend aus dem Polnischen übersetzt und dann mit unbelegten Fußnoten, die auf Frauen verweisen, vermeintlich gestützt. Das Ganze hat selbst heute noch eine politische Komponente, sieht man sich die Bedeutung Frédéric Chopins als polnischem Nationalkomponisten an, als welchem ihm auch das derzeitige Regime huldigt. Was nicht sein darf, ist eben nicht. Eine gewisse Parallele zu Tschaikowskis Fall tut sich auf, wobei man es dort mittlerweile weitgehend akzeptiert hat.

    ^^ Typisch. Und es passt zur Heuchelei der polnischen Nationaloismus/Katholizismus der Katschinskys....


    Schöne Grüße

    Holger

  • Und es passt zur Heuchelei der polnischen Nationaloismus/Katholizismus der Katschinskys....

    Wie wahr, lieber Holger. Die Versuche, die Biographie von Chopin zu glätten, gar zu verfälschen, dürften in Polen ein etwas längere Tradition haben, die weit vor den Kaczynskis, die hier als Symbol gelten sollen, begann. Insofern ist der Vergleich mit Tschaikowski sehr treffend gewählt. Der darf nach dem Willen vieler seiner Landsleute auch nicht homosexuell sein. Beide werden also noch lange nach ihrem Tod eines ganz wichtigen Teils ihres Lebens und ihrer Identität beraubt. Ich möchte mich auch bei Joseph bedanken, dass er uns auf diesen bewegenden Beitrag aufmerksam machte.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich war einige Jahre nicht in Polen, kenne dort die neuere Stimmung nicht mehr so genau. TV und NZZ / StZ müssen vorläufig genügen. Der wirtschaftliche Aufschwung dürfte weitergehen und auf dieser Welle schwimmen die Kaczinski- Duda - Leute. Gottseidank kommen auch viele ganz andere polnische Befindensäusserungen zu uns. Hier wie dort legen viele Menschen auf demokratische Gepflogenheiten/ Befindlichkeiten/ Denk- und Fühlweisen grossen Wert.


    Aber ich schreibe aus ganz anderen Gründen.

    Als unter 30- jähriger habe ich neben zunehmenden beruflichen Beanspruchungen noch versucht, die Polonaise- Fantasie und das Prelude op. 45 von Ch. sowie das B- Dur Prelude von Rach einzuüben. Die Noten und sogar die hörbare Musik haben mich gleichermassen gebremst und auch beflügelt. Dann hatte ich ca. 30 Jahre Chopin- Pause, wenig gehört und nichts gespielt


    Ab 2012 bis 2015 hatte ich eine sehr gute ukrainische Klavierlehrerin hier im Stuttgarter Grossraum, die mich zwei der Mozart- Fantasien, die Pathetique von L. van B. und die Preludes op. 28 spielen liess. Leider führten dieses zum "Tennisarm" re. und ich war ausgeknockt...Dabei habe ich dann die Scherzi und die Balladen sowie die Polonaise- Fantaisie so langsam wieder gehört, und mit Liebe, Nostalgie und Interesse immer mal wieder die Barcarole aufgelegt und gespielt.


    Meine Qualitätsempfindung gegenüber Ch. hat zuletzt immer weiter zugenommen und ich schätze diese Stücke wie nie zuvor. Obwohl ich sie (nicht alle) schon vor 40 Jahren kennengelernt habe. Diese Musik ist originell, einmalig und herzergreifend. Ich meine das nicht in einem romantischen Sinn, sondern in einer anhaltenden, nahezu beliebig wiederholbaren existenziellen - gleichwohl fast diffusen - Gesamtempfindung.


    Ich habe jetzt einen Balladenthread hier gefunden, versuche mich dort mal zeitlich passend einzuklinken.

  • Frédéric Chopins (1810-1849) Musik muss zur Zeit ihrer Entstehung für die damaligen Hörer etwas Besonderes gewesen sein.

    Robert Schumann war ein grosser Verehrer seines Komponistenkollegen. Chopin widmete die 2. Ballade aus Dankbarkeit für dessen Widmung der Kreisleriana.


    Ich habe die Arthur-Rubinstein-Box in meiner Sammlung und die beim Label Naxos erschienene Gesamtaufnahme des Klavierwerkes mit Idil Biret im Regal.


    Das Etikett "Salonmusik" hefte ich seiner Musik nicht an, dafür ist sie zu gut komponiert. Sein Werk hat etwas Hermetisches, in Sich-Geschlossenes. Es ist ein eigener Klavierkosmos.

    Johannes Roehl hat Chopins Kompositionen gut beschrieben. Chopin 200


    Im Eröffnungsbeitrag sind die Threads aufgeführt, die sich mit den verschiedenen Werkgruppen beschäftigen.


    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928