Warum ausgerechnet Richard Wagner ?

  • Wagner Threads gibt es bereits einige im Tamino Forum.
    Selbstverständlich könnte man an einen bereits bestehenden anknüpfen. Aber es hat sich gezeigt, daß neue User lieber bei einem junfräulichen Thread mitmachen, weil sie dadurch nicht den Eindruck bekommen, es sei bereits alles zum Thema gesagt. Ic bin immer wieder erstaunt wie verschiedenartig Threads mit ähnlicher (aber nicht gleicher) Thematik verlaufen können, wenn andere User dazustoßen.



    Richard Wagner - Genialer Librettist oder literarischer Stümper ?


    Was mich an Richard Wagner fasziniert ...


    Richard Wagner - Der Stoff aus dem der Ring geschmiedet


    Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein kleiner Schritt - Das Phänomen Richard Wagner


    Heute geht es um die Frage, warum die Deutsche Oper derzeit nicht
    im Rampenlicht steht (im wahrsten Sinne des Wortes !!) - aber ausgerechnet Richard Wagners Werke - die ja weiß Gott zur Parodie verleiteten und manchmal doch recht schwülstig sind, nicht nur akzeptiert, sondern geradezu vergöttert werden.
    Zu Wagners Zeiten lässt sich die Beliebtheit ja noch nachvollziehen, die Werke entsprachen dem Flair der Zeit - aber heute ?


    Irgendwas muß da sein, was diese Werke Zeitlos macht, sie über die deutschen Opern des 19. Jahrhunderts erhebt, und deren einziges Gegengewicht Verdis Werki zu sein scheinen, wogegen Meyerbeer (meiner Meinung nach zu Unrecht) weitgehend in Vergessenheit geraten ist.



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Es läßt sich für mich nur schwer in Worte fassen.


    Man könnte aber auch mal, rein versuchsweise, ganz tief in die Kiste greifen und von der 'Deutschen Seele' anfangen. Damit tue ich mich allerdings etwas schwer, ich fühle mich durch und durch als Europäer und weiß nicht, ob ich die Deutsche Seele richtig verstehe und fühle. Und ob es eine gibt. Aber dazu gibt es sicher Meinungen. Viel Pathos, aber, wenn richtig aufgeführt, kein Kitsch. Wer kann denn bei Isoldes Liebestod unbwegt bleiben?



    Ganz persönlich bin ich durch Wagner zum Rollenspiel gekommen, aber das ist eine eher persönliche Geschichte... :D



    Wagners Musik ist einfach zeitlos. Aber warum? Vielleicht, weil er neue Wege sucht, ohne den Schritt in die vielen Leuten nur schwer zugängliche Atonalität zu wagen? Das macht ihn interessant aber vielen Hörern verständlich.
    Vielleicht hilft auch seine Technik der Leitmotivik ungeübteren Hörern, sich in den Werken zurecht zu finden.


    Ich habe hier nur mal ein paar lose Gedankenfetzen geäußert, um zur Diskussion zu provozieren, möchte das aber nicht als meine wirkliche Meinung verstanden wissen. Eher Denkansätze...

  • Als einen ersten, ganz spontanen Gedanken:


    Wagner war ein unglaublich guter Psychologe und dass schon im Holländer. Ich habe das Duett Erik - Senta gerade noch einmal gesehen und gemerkt, wie vielschichtig er dabei ist. Da sind einmal der Erlösungsgedanke und dann die Ausnahmestellung Sentas in einer sehr festgefügten Ordnung vorhanden, aber auch die Hilflosigkeit Eriks und seine fast wütende Verzweiflung einer neurotischen Frau gegenüber, die er nicht mehr begreifen und der er auch nicht helfen kann. Dies ist so modern, so eindringlich dargestellt, dass Wagner mit diesen Szenen immer aktuell sein wird. Dazu kommt dann die Musik, die noch ganz viel Lortzing in sich trägt und doch schon ganz darüber hinaus geht.


    Schon in dieser Szene zeigt er, dass er eine Summe ist und zudem noch viel mehr, ganz stark ins 20. Jhrdt. weisend.


    :hello: Gustav

  • Jegliche Oper lädt m.E. zur Parodie ein, Wagners vielleicht ein klein wenig offensichtlicher, aber nicht viel.


    Mein Eindruck ist vielleicht im Gegensatz zu Travinius Äußerung eher der, dass Wagner klar der "internationalste" Komponist der deutschen Oper ist. Nur die Zauberflöte und maximal eine Handvoll Opern von Strauss (und vielleicht inzwischen auch Bergs Wozzeck) erreichen diese gleichmäßige Verbreitung und werden nicht wie der Freischütz mit deutschen Spezifika assoziiert. Von den Spielopern usw., die inzwischen ja selbst im deutschsprachigen Raum kaum mehr jemanden interessieren gar nicht anzufangen.


    Das legt den Schluß nahe, dass es an der Musik liegt. ;)


    Ob die Musik "zeitloser" ist als die anderer Komponisten, weiß ich nicht. Vielleicht steht sie aber dadurch, dass nicht in dem Maße der Gesang und Arien im Mittelpunkt stehen wie in der italienischen Oper der reinen Instrumentalmusik näher (es gibt ja auch kaum einen anderen Opern-Komponisten, von dem so viele orchestrale Ausschnitte separat gegeben werden) und sind dadurch "allgemeiner", was eben nationale Besonderheiten zurücktreten läßt. Von den Stoffen, das sollte man auch nicht vergessen, sind nur Meistersinger und Tannhäuser "deutsch"; der Ring ist nordisch/germanisch und der Rest basiert auf Stoffen, die im Mittelalter auch (oder zuerst) von französischen (oder provenzalisch oder was immer) Autoren behandelt wurden.


    Überdies, auch das deutet Travinius schon an, ist einiges an seiner Musik derart, dass es "immer modern" klingen wird (das soll Strawinsky über Beethovens op.133 gesagt haben). Sie ist sehr ausdrucksstark, teils allein klanglich überwältigend, dabei aber so komplex, dass der Hörer nicht so leicht das Interesse verliert. (Bei der italienischen Oper sind dagegen viel mehr sensible Interpreten gefragt; sonst nimmt ein Hörer bald nur noch die Floskeln und Klischees wahr)


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Mein Eindruck ist vielleicht im Gegensatz zu Travinius Äußerung eher der, dass Wagner klar der "internationalste" Komponist der deutschen Oper ist. Nur die Zauberflöte und maximal eine Handvoll Opern von Strauss (und vielleicht inzwischen auch Bergs Wozzeck) erreichen diese gleichmäßige Verbreitung und werden nicht wie der Freischütz mit deutschen Spezifika assoziiert. Von den Spielopern usw., die inzwischen ja selbst im deutschsprachigen Raum kaum mehr jemanden interessieren gar nicht anzufangen.


    Das legt den Schluß nahe, dass es an der Musik liegt. ;)


    Der Ansatz gefällt mir auch gut. Auch wenn starke Frauen mit Flügelhelmen das Bilde der Deutschen Frau im Ausland nachhaltig beeinflusst haben.... :D


    Also internationale, zeitlose Musik. Das würde die Beliebtheit schon ein wenig erklären.


    Dass Wagners Opern der Instrumentalmusik nahe stehen deckt sich mit Wagners Einstellung: das Musiktheater als Gesamterscheinung. Bei Wagners großen Opern steht nie die virtuose Leistung einzelner Gesangskünstler im Vordgrund, sondern er erwartet, daß die Darsteller sich in die Musik einfügen. Dabei stellen die Gesangspartien natürlich höchste Anforderungen an alle Ausübenden!



    Die größte Gefahr für Wagners Opern (auch nach seiner eigenen Ansicht) geht vermutlich vom Publikum aus... :D Mitten in den Ring reinklatschen, weil einer gut gesungen hat - für mich unvorstellbar! Der ganze Spannungsbogen wäre dahin!

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  • Weil uns Werke wie der "Ring" die menschlichen Unzulänglichkeiten zeitlos gültig vor Augen führen.


    Jeder findet sich in irgendeiner Rolle selbst wieder. DAS ist das Phänomen Wagner.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Eine Erklärung für den Mythos von Richard Wagner und seinen Werken ist, dass er wie kein anderer Komponist Dichtung, Musik und Architektur zu vielschichtigen Musikdramen verdichten konnten. Darüber hinaus berühren seine archetypischen Gestalten und Handlungen tiefe emotionale Schichten, derjenigen, die sich vom genialen Magier in seine "Sagenwelt" entführen lassen. Harry Potter lässt grüßen!


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Angeregt durch den Thread über die deutsche Spieloper hatte ich vor einen Thread zu erstellen, wo man der Frage nachgehen sollte, warum ausgerechnet die Opern von Richard Wagner alle Stürme überstanden haben und immer noch aufgeführt werden. Bei meiner Recherche entdeckte ich diesen Thread hier, der ja wirklich nicht zu lang geraten ist und wo die letzten Beiträge vor fast 5 Jahren geschrieben wurden. Zudem sind 2 der damaligen Mitglieder bereits ausgeschieden. Wir betreten zwar kein Neuland, aber die Karten sind quasi neu gemischt.
    Wenn ich schreibe "AUSGERECHNET" Wagner, dann weist das darauf hin, daß es eigentlich eher unlogisch ist, dass gerde seine Opern nicht unter die Räder gekommen sind, bringen sie doch alle Voraussetzungen für "ungeliebtes" Repertoire mit.


    Die Opern sind pathetisch - und eignen sich deshalb gut zur Parodie (wovon oft Gebrauch gemacht wurde)
    Die Handlung ist in der Regel "Ur-Deutsch" und entspricht eigentlich nicht unserem "Zeitgeschmack"
    Das Libretto ist quasi "selbstgestrickt" (was ich als Vorteil betrachte)
    Wagner wird im Gegensatz zu einst - heute oft nicht mehr "verehrt" sondern als unsympathisch dargestellt
    Alle "artverwandten" deutschen Opern von Zeitgenossen und Schülern sind de facto von den Spielplänen verschwunden
    Es gibt zahlreiche "Wagner-Verweigerer" und "Wagner Hasser"
    Wagner-Stimmen sind heutzutage rar


    Eigentlich sind die Rahmenbedingungen denkbar ungünstig - alles ist für einen Flop vorprogrammiert und dennoch dürften Wagners Opern die meistgespielten sein -noch VOR Verdi (?)


    Das einzige Manko, das die Wagner-Opern NICHT haben ist, daß es sich um keine Spielopern handelt.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Über den Fall deutscher Opern von Mozart - werde ich vielleicht ebenfalls einen Thread starten...

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Es ist hier schon vieles zum Ausdruck gekommen. Ich für mich muss auch sagen, dass gerade sein "Ring" mit seiner Tiefe ein immer gültiges Werk ist, das alle menschlichen Schwächen seit Urzeiten umfasst, Gier nach Kapital und Macht, Hass, Neid, Verstrickung und Gefangenschaft in den eigenen Ketten und denen der Umwelt (Wotan), Intrigen, jugendliche Unbefangenheit (Siegfried) und auch Liebe. All das ist immer noch aktuell und wird aktuell bleiben. Diese Parabel, die absolut nicht des mythischen Gewandes entkleidet werden muss, um sie zu verstehen, ist einfach große Dichtung.
    Man mag über Wagner als Menschen urteilen, wie man will, sein Werk ist für mich über allen Zweifel erhaben. Auch hat Wagner in seiner Musik etwas ganz Neues geschaffen, das aber nicht in die Ohren beleidigenden Experimenten ausartet, wie es heute bei vielen Komponisten der Fall ist. Wagners Musik ist für den, der sich damit beschäftigt, einfach fesselnd.
    Meine erster Besuch einer Oper war übrigens Wagner (Tannhäuser). Daneben habe ich - noch in meiner Schülerzeit - jedes Jahr (noch im "Dampfradio") ohne UKW mit allerhand Störungen, alle Übertragungen der Bayreuther Festspiele mit "heißen Ohren" zu verfolgen versucht, denn auch die anderen Opern - vom Holländer angefangen - bedeuten mir sehr viel.
    Das heißt nicht, dass ich nicht auch andere Opern (auch die deutschen Spielopern) begeistert höre, aber Wagner war immer etwas Besonderes.
    Leider könnten Bayreuth und auch andere Opernhäuser manchem die Wagneropern für die Zukunft vermiesen, wenn es nicht hervorragende ältere Aufnahmen auf Ton- und Bildträgern gäbe.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Meine allererste Wagner Oper die ich live in der Oper gesehen habe waren die Meistersänger. Meine Eltern haben sich wohl gedacht, wenn er das übersteht dann schafft er auch die anderen Wagner Opern :). Und schon als Teenager habe ich zu hause versucht die Schlussansprache des Hans Sachs nachzusingen. Wagner hat es wie kein anderer verstanden die einzelnen Figuren perfekt zu charakterisieren . Mir war zum Beispiel immer Mime sympatischer als Siegfried. Und zu dem hatte ich das Glück die Ring Inszenierung von Otto Schenk an der Met zu sehen. Das wahr der wahre Innbegriff von Musiktheater. Das stimmte einfach alles.

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  • Wagner hat es wie kein anderer verstanden die einzelnen Figuren perfekt zu charakterisieren . Mir war zum Beispiel immer Mime sympatischer als Siegfried.


    Eigentlich ein Widerspruch, wenn dir der berechnende Ring-Geile, der selbst vor einem Mordversuch am eigenen "Ziehsohn" nicht zurückschreckt, dir sympatischer ist, als "Held" des Stückes, oder? 8-)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Wagner ist nicht der meistgespielte Opernkomponist und vermutlich gehört keine seiner Opern zu den internationalen Top ten (das sind eher Carmen und die je drei bekanntesten Opern von Mozart, Puccini, Verdi, evtl. noch je eine von Rossini oder Donizetti). Das liegt aber natürlich auch am relativ großen Aufwand, selbst für den "Holländer". Aber es besteht natürlich keine Gefahr, dass Wagners Werke derart in der Versenkung verschwinden wie Spohrs, Meyerbeers, Marschners oder vielleicht langsam auch Lortzings oder Flotows.


    Wagner ist, außer in den Meistersingern, auch nicht "ur-deutsch" (außer vielleicht in dem Sinne von langweilig, tiefgründig, umständlich... ;)) Parsifal, Lohengrin, Holländer, Tristan stammen aus dem allgemeinen Sagenschatz des mittelalterlichen Europa, der Hintergrund des "Ring" gehört jedenfalls auch zu anderen germanisch-sprachigen Traditionen. Abgesehen von der tatsächlichen Herkunft, handelt es sich meistens freilich um Archetypen, die man in allen möglichen Mythologien findet. All das ist sehr viel weniger "lokal" als z.B. "Freischütz". (Was allerdings, siehe "Carmen" nichts für die internationale, transkulturelle Verbreitung besagen muss.)


    Klar, es gibt nach wie vor Wagner-Hasser, aber viel Feind', viel Ehr! Es gibt keine schlechte publicity. Letztlich liegt Wagners Ruhm und Rang an der Musik, aber die archetypischen Handlungen sind oft so allgemein, dass sich hier ganz unterschiedliche Positionen wiederfinden können. Unerfüllte Liebessehnsucht oder Kampf um Macht sind nicht an germanische, keltische oder sonstige Stoffe gebunden und leicht aktualisierbar. Und die Musik ist einerseits so rauschhaft-überwältigend wie kaum eine andere, andererseits rein musikalisch-technisch außerordentlich avanciert und einflussreich, dass fast jeder, vom reinen "Bauch-Hörer" zum gelehrten "Kopf-Hörer" etwas finden wird. Weil er auch einer der symphonischsten Opernkomponisten gewesen ist, wenden sich sogar Opernverächter manchmal Wagners Musik zu. Also ich finde Wagners fortdauernde Präsenz und Relevanz nicht so schwierig nachzuvollziehen.

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    (Bob Dylan)

  • Wagner kommt auch zugute, daß sich in der öffentlichen Wahrnehmung seine Musik völlig von seiner lebensreformerischen, chauvinistischen, frauenfeindlichen und antisemitischen Ersatzreligion getrennt hat, obwohl die Idee des Gesamtkunstwerkes nach seiner Auffassung auch dieses "Gedankengut" beinhalten sollte, was gerne vergessen wird.
    Ich würde sogar behaupten wollen, daß Wagners diesbezügliche Ideen sowie das Treiben des "Bayreuther Kreises" seiner Witwe, dessen Ausmaße und Folgen man allerdings Wagner nicht anlasten darf, heutzutage nur noch musikwissenschaftlich und historisch interessierten und informierten Opernfreunden bekannt ist.
    Auf diese Weise "chemisch gereinigt" verkörpern Wagners Opern vor allem das Allgemeinmenschliche, alles Verbindende, was uns erlaubt, fern von allen unerfreulichen Konnotationen die Musik zu genießen.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Das befremdet mich einigermaßen. Vielleicht ist das komplette "System", inklusive Ersatzreligion usw. (wenn es denn eines war) so nicht bekannt.


    Aber wenn irgendwas bei jedem Wagner-Jubiläum ausführlich diskutiert wird, dann sein virulenter Antisemitismus und die Verstrickung besonders der Schwiegertochter Winifred mit engsten Führerkreisen. Übrigens auch außerhalb der Jubiläen. Das dürfte vielen Leuten, die kaum eine Note Wagners gehört haben (und vielleicht genau deswegen auch nicht wollen) bekannt sein.


    Die Vulgärvariante davon, Wagner als nationalistischer (statt zumindest anfangs eher anarchistischer) Proto-Nazi, ist ebenfalls weit verbreitet. Man erinnere sich an den vielzitierten mäßig witzigen Spruch Woody Allens, wenn er Wagner hörte, erzeuge das den Drang, in Polen einzumarschieren. Das geht soweit, dass vor einigen Wochen in einer Online-Studentenzeitschrift einer englischen Universität ein studentischer Schreiber anscheinend Wagner für einen Zeitgenossen der Nazis und sozusagen offiziellen Parteikomponisten hielt. (Nachdem jemand auf den peinlichen Fehler hingewiesen hatte, wurde das stillschweigend korrigiert. Leider finde ich den Hinweis in einem Blog nicht mehr, da ich anscheinend kein Lesezeichen gesetzt hatte.)


    Es liegt mir fern, Wagners Antisemitismus kleinreden zu wollen. Aber wenn irgendein Künstler posthum "bestraft" worden ist, indem es unmöglich geworden ist, sein Werk zu diskutieren, ohne dass dieser unangenehme Zug zur Sprache kommt, er gar zum vorauseilenden Zeitgenossen der Nazimörder gemacht wird usw., dann doch wohl Wagner, oder?

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    I knew the night had gone.
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    (Bob Dylan)

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  • Diese Diskussionen betreffen m.E. vor allem das Feuilleton und werden von dessen "notorischen Lesern" (zu denen ich mich auch zähle) rezipiert, gehen aber aus meiner Sicht am "normalen" Opernbesucher, sofern er von Wagners Werken überhaupt angesprochen wird, weitgehend vorbei und das vor allem deswegen, weil das konfuse, synkretistische Gedankenkonglomerat, das Wagner als seine Ideologie betrachtete, heutzutage jede praktische Bedeutung verloren hat -im Gegensatz zu Wagners direkter Nachfolgegeneration (s. die "Bayreuther Blätter).
    Das Beispiel mit dem doofen Studenten ist wirklich witzig, allerdings nicht auf das "perfide Albion" (Wilhelm II) beschränkt.
    Neulich las ich von einer Umfrage in Bezug auf das kommende Luther-Juiläum in Deutschland; hier glaubte eine Studentin, daß der Thesenanschlag vor 50 Jahren erfolgt sei.



    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)