Der Ring in Hannover beginnt

  • Nachdem Barry Kosky in Hannover mit Peter Grimes die faszinierendste Inszenierung, die dieses Haus in den letzten zehn Jahren zu sehen bekam, vorgelegt hat und für „Totenhaus“ den Theaterpreis des Bühnenvereins einheimste, war die Neugier auf seinen Ring-Zyklus natürlich enorm. Das Rheingold konnte hier allerdings keine Abhilfe schaffen, denn wie so oft hat man am Ende keine klare Vorstellung davon, wo es einmal hingehen soll und kann nur hoffen, dass der Regisseur es weiß.
    Um mich nicht um die Vorfreude zu bringen, hatte ich keine Premierenfotos angeschaut, so dass ich mich tatsächlich hin und wieder von der visuellen Phantasie des Regisseurs überraschen lassen konnte. Die Premiere im Radio hatte ich allerdings gehört, und leider bestätigte sich der Eindruck vom 14. November: Das Staatsorchester klingt während des Vorspiels wie die Blaskapelle der Zwergenfeuerwehr Nibelheim. Zum Glück legt sich das während der Vorstellung im Gegensatz zum Premierenabend rasch, so dass der Gesamteindruck günstig ist. Gut ausbalanciert, nicht zu laut, schöne Einzelleistungen und stimmige Tempi. Aber der Reihe nach:
    Während des anfänglichen Es-Dur-Gewabers strecken drei kecke Rheintöchter mit Federbusch die Köpfe aus dem geschlossenen roten Vorhang. Wenn der sich öffnet, bietet sich dem hörbar raunenden Publikum ein interessantes Bild: Der Rhein ist ein Gewoge aus rhythmisch in Wellen wippenden Federbüschen. 19 Tänzerinnen, unter ihnen die Rheintöchter, tanzen die Rhein-Revue.
    Alberich (beeindruckend und wortverständlich: Frank Schneiders) tritt als Ministrel-Sänger auf, entledigt sich aber nach den Demütigungen durch die Mädchen seiner Schminke und des Kostüms und steht im Metallica- (später Iron-Maiden-) T-Shirt da. Das Rheingold, eine golden eingesprühte Frau (bislang dachte ich ja aufgrund der Erfahrungen mit James Bonds „Goldfinger“ immer, das sei tödlich), die in einen Umzugskarton verfrachtet und abtransportiert wird.
    Die Götter lungern in legerer Strandkleidung auf einer Parzelle Vulkan- oder Tufgestein herum, die nur vorsichtige Schritte zuläßt. Warum sie sich in einer kleinen, geschlossenen Kammer befindet, erschloss sich mir nicht, aber dem Kammerspiel-Charakter tut das ganz gut. Wotan, Tobias Schabel, macht stimmlich und auch als Badehosenträger eine gute Figur. Das trifft auch auf seine Gattin, Khatuna Mikaberidze, zu. Kelly God, Freia, ist in beiderlei Hinsicht darüber hinaus gewachsen.
    Die Götterkollegen Froh und Donner sind rollendeckend mit Brian Davis (schön, wie er dauernd Leuten Prügel androht) und Corby Welch besetzt. Loge (Hubert Delamboye) tritt in der Kleidung eines alternden Entertainers auf und verkörpert wie üblich den Typus des geistig beweglichen Intellektuellen.
    Nibelheim ist wie so häufig eine unterirdische Werkstatt oder ein Labor, wo alles Mögliche hergestellt wird. Alberich, immer noch in Metal-Klamotten, hat seine Sammlung an mit Gold gefüllten Kartons vermehrt. Die Verwandlung in Unsichtbaren, Drachen und Kröte wird durch die Statisterie dargestellt, die zu dreizehnt in Alberichs Ministrel-Maskerade erscheint.
    Zurück in der Oberwelt, wird Freia mit dem Gold aus den Kartons behängt, bis der Deal aufgeht. Die Riesen sind siamesische Zwillinge, die auseinanderreißen, wenn der eine den anderen tötet. Aufregend ist, wie sie sich auf dem gefährlichen Felsen bewegen, fast zu aufregend. Mich hat es jedenfalls abgelenkt. Das Monströse der beiden Gestalten ist aber auch durch die deformierten Köpfe gut visualisiert.
    Ein schönes, eindringliches Bild gelingt Kosky in der Erda-Szene. Die Stimme kommt von der Seitenbühne, während sich eine sehr alte, nackte Frau langsam und würdevoll auf Wotan zubewegt, ihn umarmt, kurz verharrt, und ruhig wieder abtritt.
    Dann ist Party angesagt. Zu Donner Heda-Hedo-Geprahle öffnet der Gott den Schampus und dann kommt endlich Walhall - in Form einer riesigen Torte, die lustigerweise fast wie das klassizistische Opernhaus aussieht. Man langt ordentlich zu, schleckt genüsslich das Messer ab und schreitet aus der sich öffnenden Kammer in einen nachtschwarzen Hintergrund. Loge springt allerdings vorne aus dem Kasten heraus und schlendert durch die Nullgasse fort.
    Wenn die schrecklich bombastischen Schlusstakte erklingen, bleibt, wie einst bei Wieland Wagner, die Bühne leer - abgesehen von einer halben Torte und einem toten Riesen.
    Starker, begeisterter Beifall für alle - nur GMD Wolfgang Bosic muss Buhrufe einstecken.
    Was bleibt? Bei mir pure Neugier. Wohin das Konzept steuert, ist noch nicht zu erahnen, und leider dringt nicht viel nach Außen. Im Mai kommt die Walküre heraus, man darf gespannt sein. Langweilig wird es jedenfalls unter Barry Kosky nicht.
    Und noch Eines sei lobend erwähnt: Man lässt Übertitel laufen, und zwar wie es sich gehört den kompletten Text. Gerade bei Wagner, Strauss und ähnlich stark instrumentierten Werken hilft das dem Verständnis ungemein. Die äußerst zahlreich anwesenden Schüler waren auch dieser Meinung.


    Ausschnitte gibt es wieder auf Theater TV: http://theater-tv.com/?link=st…er&video=rheingoldhan.flv

  • Vielen Dank für den Bericht. Ich spiele die ganze Zeit mit dem Gedanken nach Hannover zu kommen, eigentlich erst zur Walkür, aber jetzt habe ich auch Lust auf Rheingold bekommen.
    Ich hab mir die Premierenbilde angesehen und fand die Ideen ausgesprochn interessant.

  • Würde mich freuen. Und noch mehr würde es mich freuen, dann eine kleine Rückschau zu lesen - ich habe das dumme Gefühl, momentan der Einzige zu sein, der sich hier im Forum um Hannover kümmert. :(


    Ich vergass zu erwähnen, dass ich die Zweitbesetzung gehört habe, was aber seit einigen Jahren in H qualitativ nichts heißt und m.W. Wotan, Fricka und Erda nicht tangiert, die einfach besetzt sind. Alberich fand ich sogar deutlich besser als in der Premierenbesetzung.


    Nur so am Rande: Hast du Tannhäuser in Hannover gehört?


    :hello:

  • Dieser Ring wird jetzt mein dritter in Hannover. Ich stimme der Rezension von Alberich im Wesentlichen zu: Die Besetzung (am 11.12. war es offensichtlich die gleiche wie in der von Alberich besuchten Vorstellung) ist gut bis sehr gut, die stärksten Eindrücke hinterlassen Wotan, Loge und Alberich. Die musikalische Leistung von Wolfgang Bozic ist noch verbesserungswürdig, in einigen Punkten sogar recht deutlich. Ein reichlich störender Faktor sind jedoch die heftigen und lauten Bühnengeräusche (das Werfen von großen Pappkartons mit Füllung und das sehr laute Trampeln der Statisten in Alberichs erster Verwandlungsszene, das fast schon zur ungewollten Opernparodie wird). Aber das Fazit ist: Es bleibt spannend, der Besuch in Hannover lohnt sich...

  • Zitat

    Original von JL
    Ich war bisher in hannover nicht in der Oper.
    Kann man vom Rang gut sehen und hören?


    Ja, kein Problem. Ganz außen muss man sich etwas sehr drehen und ganz hinten sind die Übertitel manchmal weg. Akustisch ist nat. die Mitte auch besser, aber ganz unmöglich ist kein Platz. Persönlich würde ich aber lieber dritter Rang Mitte nehmen als zweiter Seite.

  • Hallo,
    ja von den Rängen kann man gut sehen und hören, allerdings nicht von den Seitenplätzen im 2. und 3. Rang. Die sind eher Hörplätze. Natürlich sind die Ränge weit von der Bühne entfernt, aber das ist ja überall so.
    Schöne Grüße
    wega

  • Ein bißchen arg verspätet kommt diese Rezension über die "Walküre" aus Hannover schon, aber sie hat mich so nachhaltig geärgert dass ich sie nicht vergessen habe.
    Die Sänger sind im wesentlichen gut, teilweise sogar hervorragend (Albrecht Pesendorfer als Hunding!!!) Brigitte Hahns Brünnhilde ud Khatuna Mikaberidzes Fricka sind aber noch ausbaufähig.
    Was nervt, ist die Inszenierung: Der erste Akt als Wohnzimmer: naja, das ist nichts Neues. Siegmund und Sieglinde verschwinden am Schluß hinter dem Sofa, aber da ist die große Peinlichkeit auch schon gelaufen: Siegmund zieht Nothung aus der Wohnzimmerdekce, hinterher läuft eine gelbe, eindeutige Flüssigkeit, der der arme Sänger knapp ausweichen kann. Man soll sich was denken. Der Holzhammer läßt grüßen.


    Der 2. Akt: naja, wenn einem nix einfällt, zieht man den Vorhang zu, dann singen Brünnhilde und der frisch vom Joggen heimgekehrte Wotan halt an der Rampe, gut für die Textverständlichkeit, als Inszenierung nur ein Notprogramm.


    Der 3. Akt bringt es dann: Walküren als Rockerbräute, das kennt man woanders her. Der Walkürenfelsen als Tankstelle ist was neues, aber auf Dauer auch etwas furchtbar Statisches. Nach 2 Minuten hat man sich das übergesehen, genau wie die klapprigen Autos anstelle der Walkürenpferde. Am Schluß sinkt Bünnhilde zwischen die Zapfsäulen und Wotan stellt einen Bunsenbrenner neben sie, nachdem er vorher mit einem Eimer Benzin die Tankstelle umkreist hat. Das war's, den Feuerzauber darf man sich nur denken.
    In der von mir besuchten Vorstellung gab es viel Beifall für die Sänger, zu Recht, die fälligen Buhs für Regie und Dirigat verkniff man sich, der Regisseur war auch schon abgereist.


    Der Siegfried kann besser werden, schlechter inszenieren kann man ihn kaum