Kritik an Klassikikonen von gestern

  • Liebe Forianer


    Es gibt Künstler, welche eine mittelmäßige Karriere in diversen mittelgroßen Städten - verteilt über die ganze Welt - machen, es gibt solche, die in ihrem Umkreis hochgeschätzt sind, aber kaum je auf Tournee gehen, somit nur regional bekannt sind. Dann gibt es Künstler die internationale Karrieren machen, jeder kennt zumindest ihren Namen.
    Und dann gibt es Künstler, welche wie Götter gefeiert werden, als das Maß aller Dinge gelten, sie werden geradezu als Symbol für ihren Berufsstand gesehen. Zumindest solange sie aktiv sind.


    Danach beginnt allerdings ein gewisses Herummäkeln an ihnen, das geradezu wie eine Abrechnung mit ihrer einstigen Berühmtheit anmutet, als wollte sich Publikum und (vor allem) Kritik - aber auch Kollegen und Nachfolger dafür rechen, daß der einst so Berühmte alle anderen in den Schatten stellte, oder daß die gesamte Musikwelt sich an diesem Künstler orientierte.


    Leise, ganz leise zuerst, werden Anmerkungen gemacht - und allmählich wird der einst so Unangreifbare nach und nach künstlerisch und oft sogar als Mensch demontiert, bzw offen angegriffen.


    Alle jene, die ihre Karriere durch den Superstar für beeinträchtigt halten kommen nun aus ihrer Deckung - und natürlich am liebsten jene, deren Karriere in keinem Fall großartig verlaufen wäre.


    Mir fallen da spontan die Namen Herbert von Karajan, Karl Böhm, Dietrich-Fischer Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf ein (An die Callas hat sich keiner rangewagt !!)
    Aber auch Sergiu Celibidache, James Levine, Wilhelm Backhaus und Wilhelm Kempff sind gute Bashing - Kandidaten.
    Es gibt sicher noch einige - aber die werdet IHR sicher hier einbringen..


    Gern werden auch Künstler in den Schmutz gezogen, die die Moderne ablehnten - als ob das ein Kriterium wäre ....... !!


    Wie kommt es (Eurer Meinung nach) dazu, daß gerade die führenden Künstler vergangener Epochen heutzutage diffamiert werden ??


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Wie kommt es (Eurer Meinung nach) dazu, daß gerade die führenden Künstler vergangener Epochen heutzutage diffamiert werden ??


    Nun das zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Kunstgeschichte.
    Kaum eine junge Generation hat je etwas übrig für die Zeit und Kultur der Väter und Großväter.


    Damit muss man sich abfinden, das wird auch immer so bleiben.
    Das liegt in der Natur der Sache :D



    Und die ältere Generation kann es eben nicht verkraften, das ihre Ästhetik nunmal aus der Mode gekommen ist.
    Aber das wird mir genauso gehen :D

  • Unangreifbar waren diese "Ikonen" nie. Dass man die Wahrnehmung von Kritik ausgeblendet haben mag, sie überdies weit gestreut war ist wohl des Pudels Kern. Karajan hatte zeitlebens seine Kritiker (auch mein Musiklehrer sprach 1974 nicht schmeichelhaft von ihm), Backhaus wurde in den 1920er Jahren unterkühltes Viruosentum vorgehalten und, und, und. Ich wüsst auch nicht, warum irgendjemand sakrosankt sein sollte. Nur zu verständlich ist, das Künster, die sich selbst zum Gott erklären - oder medial dazu erklären lassen - gerupft werden, kaum dass sie ihr Heilsversprechen nicht einlösen.


    Das Internet und besonders ein Klassikforum wie dieses verschärft die Wahrnehmung natürlich. Derartige - schriftlich geführte, erhaltene und nachlesbare Diskussionen hat es in der Vergangenheit nicht gegeben.


    Wir tragen hier in pro und contra lediglich das zusammen, was immer schon gesagt wurde.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Heilige Kühe hat es zu jeder Zeit gegeben, und ihre Zweifler und Kritiker auch. Vielleicht werden die Kritiker einfach mehr gehört wenn die Ikonen nicht mehr auf dem Höhepunkt ihres Wirkens sind.
    Beispiele fallen mir spontan ein:
    Fritz Wunderlich, Karl Böhm, das ganze Wiener Mozart-Ensemble - alles (vor allem in Österreich) heilige Kühe, bei deren Erwähnung die meisten sofort feuchte Augen bekommen. Völlig zu Recht??
    Daß die Callas während ihrer kurzen Hochblüte keine Kritiker gehabt hat, stimmt nicht. Allein aus den eigenen Reihen haben sich beharrlich Diven der vergangenen Generation gemeldet, die gewarnt haben:
    "sie singt mit drei verschiedenen Stimmen", "sie hätte im belcanto Repertoire bleiben sollen", "das geht auf lange Sicht nicht gut", "ihre hohen Noten klingen gequält und ertrotzt und nicht gesungen".

    Einmal editiert, zuletzt von La Gioconda ()

  • Mir stellt sich ja angesichts einzelner *Künstler* weniger die Frage, warum sie heutzutage "gebasht" werden, sondern eher die, warum es menschenverachtende Muffköppe wie Karl Böhm zu Lebzeiten überhaupt so weit gebracht haben?


    Derartigen Leuten sollte frühzeitig das Handwerk gelegt werden. Aber leider kommen Charaktere, die sich ihren Mitmusikern gegenüber wie die Axt im Wald benehmen, trotz ihrer Egomanie (oder gerade wegen selbiger?) immer wieder nach oben....wie im Wolfsrudel....


    Viele Grüße


    Bernd

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  • Ein "Diffamierung" irgendeines der genannten Künstler kann ich nicht erkennen. Denn darunter verstehe ich üble Nachrede aufgrund falscher Unterstellungen (oder jedenfalls aufgrund überproportional aufgeblasener Kleinigkeiten).


    Es scheint mir überdies plausibel, daß ein von manchen Gruppen und Medien absurd übertriebener Status ("gottgleich") entsprechende Gegenreaktionen provoziert. Wie schon gesagt wurde, gab es die bei extremen Fällen wie Karajan oder Callas aber schon reichlich zu deren Lebzeiten. Selbst wenn das vielleicht in der Mainstream-Presse gegenüber den Hymnen kaum eine Rolle spielte. So ist Schreiber in seinem Plattenführer aus den 1970ern bspw. sehr kritisch gegenüber vielen Einspielungen Karajans (z.B. Beethoven und Brahms; er empfiehlt allerdings z.B. den "Ring" und die frühen EMI-Mozart-Opern) oder auch gegenüber Bernsteins (und in geringerem Maße auch Kubeliks) Mahler-Interpretation.
    Bei Sängern wie Fi-Di oder Schwarzkopf, bei denen die Verbindung mittelschöner Stimmen mit hoher Intelligenz nicht selten zu einer sehr manierierten Singweise geführt hat, ist noch weniger verwunderlich, wenn es nicht nur Lob gibt. Bei Fi-Di kommt dazu, daß, wenn man praktisch alles singt, kaum alles gleichermaßen für Stimme und Charakter passend sein kann. Bei Schwarzkopf die Restriktion auf ein recht schmales Repertoire, die man als weise Beschränkung oder als Einseitigkeit auslegen kann. (Und ein offensichtlich fieser Charakter; daß man im Studio die Spitzentöne einer anderen Sängerin geliefert hat, plaudert man eben nicht aus.)


    Moral sollte eher sein, daß man die Musik möglichst unabhängig vom Diven- und Maestri-Zirkus sehen sollte...


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Bernd Schulz
    Mir stellt sich ja angesichts einzelner *Künstler* weniger die Frage, warum sie heutzutage "gebasht" werden, sondern eher die, warum es menschenverachtende Muffköppe wie Karl Böhm zu Lebzeiten überhaupt so weit gebracht haben?


    Derartigen Leuten sollte frühzeitig das Handwerk gelegt werden. Aber leider kommen Charaktere, die sich ihren Mitmusikern gegenüber wie die Axt im Wald benehmen, trotz ihrer Egomanie (oder gerade wegen selbiger?) immer wieder nach oben....wie im Wolfsrudel....


    Daß zum Erreichen von Spitzenpositionen oft fragwürdige Charakterzüge hilfreich (oder gar notwendig) sein können, ist ja keineswegs auf die Musik beschränkt und in Gebieten, die gesellschaftlich einflußreicher sind, überdies viel bedenklicher. Und ebenso bedenklich ist natürlich, daß diejenigen, die es nicht geschafft haben, dennoch Befriedigung in der Heldenverehrung suchen (Ich glaube bei Tucholsky heißt es, im gesellschaftspolitischen Kontext, daß sie den Kakao auch noch trinken, durch den sie gezogen werden...)
    Um da Abhilfe zu schafffen, müßte man schon die Gesellschaft und die Menschen in ziemlich tiefgreifender Weise verändern.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
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    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Bei Erich Kästner in einem seiner zahlreichen Gedichtbände steht :


    Nie dürft so tief ihr sinken,
    um den Kakao,
    durch den sie euch ziehen,
    auch noch zu trinken.


    Liebe Grüße vom
    Operngernhörer :hello:

  • Sind doch gar nicht viele Bände:


    # Herz auf Taille, 1928
    # Lärm im Spiegel, 1929
    # Ein Mann gibt Auskunft, 1930
    # Gesang zwischen den Stühlen, 1932


    sind die, die mE in Frage kommen.
    Weißt Du vielleicht den Titel des Gedichtes oder kannst Du Dich an den Namen des Bandes erinnern? (Ich will jetzt nicht alle 4 durchlesen, würde aber gerne das Gedicht komplett lesen.)
    :hello:

  • Zitat

    warum es menschenverachtende Muffköppe wie Karl Böhm zu Lebzeiten überhaupt so weit gebracht haben?


    Ganz einfach: Weil sie nicht nur GUT waren, sondern HERVORRAGEND.
    Und weil das Publikum das natürlich registireierte und diesen "Menschenverachtenden Muffkopp" liebte und über alle Maßen verehrte. Das ist in Wien teilweise noch heute der Fall. Als Rattle die während der Wiener Festwochen (2002?) Beethovens Sinfonien mit den Wiener Pilharmonikern aufführte (der CD Zyklus von EMI beroht auf diesen Konzerten), da musste er sich vorher erklären lassen, wie Karl Böhm das einst gemacht hatte - und das obwohl der Maestro schon etliche Jahre tot war und viele der damals anwesenden Musiker gar nicht mehr unter Karl Böhm gespielt hatten (was man der Aufnahme auch anhört !!)


    Ein ähnliches Erlebnis musste Ian Hollaender verdauen, als er in seiner Eigenschaft als Wiener Staatsoperndirektor, anlässlich des 50 jährigen Jubiläums der Wiedereröffnung nach dem Wiederaufbau die Frage stellte, ob denn "ausgerechnet Karl Böhm" der ideale Dirigent für die Wiedereröffnung gewesen sein.. blah blah...


    Da tönte ihm aus dem hochkarätig besetzten Publikum (zahlreiche Prominente) ein lautes Zischen entgegen, das bezeichnenderweise vom Tontechniker des ORF zu unterdrücken versucht wurde - vergebens es war unverkennbar zu hören, daß die Wiener "ihrem" Böhm nach wie vor die Treue hielten und jegliche Diffamierung mißbilligten.


    Dieser "menschenverachtende Muffkopp" hat Wien und Salzburg zu Mozart-Metropolen gemacht, wie sie einzigartig in der Welt waren (Heute im "Zeitalter des "freundlichen Mittelmaß" kann man das nicht mehr so ohne weiteres behaupten)


    Natürlich kann man sich da nicht um die Befindlichkeiten einzelner Musiker kümmern, die eine Nacht durchgezecht haben, schlecht vorbereitet zu den Proben kommen, oder überhaupt ein wenig überfordert für ihren Beruf sind. Böhm wollte stets das Beste - und hier war ihm wirklich jedes Mittel recht.


    Heute ist das ähnlich. Musiker großer Ochester werden quasi gezwungen "Moderne" zu spielen - oder zu gehen.
    Dazu erklärt dann ein aus dem Ausland stmmender Chefdirigent lächelnd, er werde Orchester und Repertoire "reformieren"


    Elisabeth Schwarzkopf.


    Egal wie klein oder groß ihr Repertoire war - sie war immer vorzüglich
    Und das wurde auch von IHREM Publikum so gesehen.
    Was sie war (und hier hat sie einen Wesenszug mit mir geminsam - leider aber nicht die Stimme)- sie war UNERBITTLICH und UNBARMHERZIG - MIT SICH SELBST - und daraus folgend - natürlich auch mit allen anderen.


    Deshalb hatte sie auch solch einen Erfolg. Sie feilte an jeder Interpretation ewig - dabei stand ihr Walter Legge - mit dem sie verheiratet war "hilfreich zur Seite"
    Es wurde oft gemunkelt, die Schwarzkopf wäre so oft für Plattenaufnahmen eingesetzt worden, weil sie mit Legge verheiratet sei.
    Legge meinte sinngemäß zu diesem Fragenkomplex einmal, er liesse sich weder durch Freundschaften, noch durch Feindschaften, auch nicht durch Liebe etc von einem Urteil abbringen - er sei in dieser Hinsicht unbeeinflussbar. Das dürfte meiner Meinung nach auch in der Tat der Fall gewesen sein. Eher hätte er - so glaube ich - eine Sängerin wegen ihrer Stimme geheiratet, um sie für sein Label zu "reservieren", als daß er eine mittelmäßige Sängerin aus Liebe geheiratet hätte - um ihr dan bei "seinem" Label eine Karriere zu ermöglichen.
    Man war damal konsequenter......


    Las but not least, möchte ich in aller gebotenen Deutlichkeit feststellen, daß ich mich von Ausdrücken, wie "Muffkopp" in bezug auf Künstler distanziere - nicht nur, weil Karl Böhm mein Lieblingsdirigent ist - sondern, weil derartige Ausdrucksweisen ein falsche Licht auf das Forum werfen könnten.


    Dennoch - der Beitrag von Bernd Schlz war wichtig - zeigt er doch - geradezu entlarvend - WARUM manche Künstler "gebasht", totgeschwiegen, oder als "Langweiler" bezeichnet werden.


    Zumeist handelt es sich um persönliche "Abrechnungen" mit einem Künstler und seinem Welbild - weniger um tatsächliche Einstufung seiner Kunst.


    Dies zu betonen war mir immer ein Anliegen
    und wird es auch in Zukunft bleiben


    Das Tamino Klassikforum wird diesen Künstern stets Gerechtigkeit
    in Sachen Musik widerfahren lassen und verhindern, daß man sie bewusst - aus durchsichtigen Gründen - in den Orkus schickt.


    Weiter im Text:


    Der "böse Bube" Thielemann war ja erst neulich Thema, wie schauts mit Celibidache oder Szell aus ?
    Aber ich will Euch nicht vorgreifen: "Bashing-Kandidaten gobt es in Hülle und Fülle....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Was auch immer geschieht:
    Nie dürft ihr so tief sinken,
    von dem Kakao, durch den man euch zieht,
    auch noch zu trinken!
    Denn wenn man das Braune erst innerlich sieht,
    dann fangt ihr an zu stinken


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Und weil das Publikum das natürlich registirierte und diesen "Menschenverachtenden Muffkopp" liebte und über alle Maßen verehrte. Das ist in Wien teilweise noch heute der Fall.


    Tja, Liebe macht eben blind ...


    Zitat

    Natürlich kann man sich da nicht um die Befindlichkeiten einzelner Musiker kümmern, die eine Nacht durchgezecht haben, schlecht vorbereitet zu den Proben kommen, oder überhaupt ein wenig überfordert für ihren Beruf sind.


    Au weh.
    Jetzt wüßte ich einmal gerne, woher denn all diese Weisheiten den Brutalo Böhm und seine versoffenen Knechte betreffend herkommen ...


    Zitat

    Böhm wollte stets das Beste - und hier war ihm wirklich jedes Mittel recht.


    Heute ist das ähnlich. Musiker großer Ochester werden quasi gezwungen "Moderne" zu spielen - oder zu gehen.


    Ein netter Umgang mit den Musikern impliziert aber nicht Demokratie in Programmfragen. Insofern hält sich die Ähnlichkeit in Grenzen.

  • Zitat


    Dennoch - der Beitrag von Bernd Schlz war wichtig - zeigt er doch - geradezu entlarvend - WARUM manche Künstler "gebasht", totgeschwiegen, oder als "Langweiler" bezeichnet werden.


    Zumeist handelt es sich um persönliche "Abrechnungen" mit einem Künstler und seinem Welbild - weniger um tatsächliche Einstufung seiner Kunst.


    Das halte ich für falsch. Szell oder Reiner waren im Umgang mit Musikern vermutlich noch wesentlich unangenehmer als Dr. iur. und Nazi-Mitläufer waren bekanntlich ebenfalls sehr viele in der entsprechenden Zeit.


    "Totgeschwiegen" wird von den von Dir eingangs genannten Musikern offenbar niemand. Im Gegenteil sind sie fast alle noch immer bekannter als viele ebenso überragende Künstler, denen eben nicht die entsprechende Medienmaschinerie zu Gebote stand. (Sagen wir etwa Grümmer, Della Casa, Jurinac usw. gegenüber Schwarzkopf oder Krauss, Keilberth und Jochum gegenüber Böhm.)


    Es ist viel eher so, daß z.B. im Falle von Böhms Mozart-, Schubert- oder Beethovensinfonien (die außer letzteren gleichwohl fast durchweg problemlos auch im CD-Zeitalter erhältlich waren) es heute eben einige mehr Alternativen gibt als 1970. Besonders im Falle der ersten beiden Komponisten. Und daß daher eine Anzahl Hörer oder auch Rezensenten den legendären Status völlig zu Recht relativiert haben. Es mag teilweise ein Geschmackswandel sein, teilweise die Anzahl der Alternativen.


    Aber da anscheinend jeder Zweifel am gottgleichen Status (den z.B. Böhm außerhalb Österreichs so auch nie hatte) bereits als eine "Diffamierung" wahrgenommen wird, ist vermutlich der Hinweis sinnlos, daß tatsächlich musikalische Merkmale der entsprechenden Interpretationen zu ihrer Relativierung geführt haben.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Au weh.
    Jetzt wüßte ich einmal gerne, woher denn all diese Weisheiten den Brutalo Böhm und seine versoffenen Knechte betreffend herkommen ...


    Vielleicht sollte ich wieder mal erwähnen, daß ich in den siebziger Jahren 2 Gehminuten von der Wiener Staatsoper arbeitete.


    Die Wiener Philharmoniker gingen bei uns als Kunden ein und aus, ebenso etliche Sänger, sowie Marcel Prawy, die "graue Eminenz" unter vielen Direktoren.


    All das führte zu vielen kurzen Gesprächen mit diversen Musikern, von denen ich einige - längst nicht alle - im Gedächtnis behalten habe. Vor allen, das was mich interessiert hat.


    Dazu noch die Gespräche in den Wiener Klassikläden, wo mabn auch einiges hört


    Es wäre aber indiskret, Dinge öffentlich auszuplaudern, die man nicht als Interviewer., wo alles schon gefiltert ist., sondern als Privatperson erfahren hat.


    Aber es gibt auch solche Gespräche, die so harmlos sind, daß man sie getrost weitergeben darf.


    Es war irgendwann in den späten 70er Jahren. Im genannten Jahr war entweder eine Olympiade oder eine Weltmeisterschaft - was weiß ich.
    Ein Wiener Philharmoniker bei mir im Geschäft über Böhm:


    "Heut ist er gut aufgelegt - oder er hat resigniert.
    Er hat das Staberl niedergelegt und hat gesagt: "Kinder- ich seh schon,- das wird heut nichts - ihr seids all in Gedanken an den Fernsehern beim Sport. - Gehts nach haus - wir machen morgen weiter - Ende der Probe.""


    (aus dem Gedächtnis nacherzählt)


    Mit den Wiener Philharmonikern - und vermutlich auch mit den Berlinern dürfe er auf gutem Fuß gestanden sein....


    Zitat

    Tja, Liebe macht eben blind ...


    Aber nicht taub.... :P


    Zitat

    Ein netter Umgang mit den Musikern impliziert aber nicht Demokratie in Programmfragen. Insofern hält sich die Ähnlichkeit in Grenzen.


    In der Tat: Die Ähnlichkeit hält sich in Grenzen
    Früher hat man genörgelt, geschimpft, geschrieen - aber die Konsequenzen waren eher milde bis gar nicht.
    Heute lächelt man politisch korrekt - und setzt unliebsame
    Mitspieler vor die Türe. - alles im besten Einvernehmen natürlich....


    mad sollte sich stets vor Augen halten, daß der "amikale" Umgang mit Untergebenen eine amerikanische Erfindung ist - die IMO zudem von einer gewissen Falschheit, bzw Hinterhältigkeit geprägt ist, man hält sich die Leuite bei Laune - solange man sie noch braucht - und nichts Besseres in petto hat.



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich will die ollen Diskussionen eigentlich nicht wieder aufwärmen, aber ich habe ja nicht mit dem Thema angefangen..... :D


    Zitat

    Ganz einfach: Weil sie nicht nur GUT waren, sondern HERVORRAGEND.


    Ich besitze zahlreiche Aufnahmen mit Böhm (z.b. diverse Strauss-Opern, die ich mir in meiner Jugend der Werke halber gekauft habe, den kompletten Ring und Verschiedenes von Mozart), und das ist alles solide und gediegen dirigiert, aber "hervorragend"? Jeder unbekannte Provinzkapellmeister mit einer guten Ausbildung und entsprechender Technik bekommt das heute nicht schlechter hin.


    Gerade Dirigenten wie Böhm haben ihren Status meiner Überzeugung nach durch ein völlig übersteigertes Selbstbewußtsein und eine damit korrespondierende Außenwirkung erreicht. Man muß dem Publikum nur überzeugend genug vorspielen, daß man einer der Größten ist - dann nehmen einem viele das auch sehr schnell ab.


    Hier in der Provinz beobachte ich ähnliche Phänomene: Leute, die sich als Lokalmaestro gerieren und nicht die Hälfte von dem können, was sie selber glauben. Aber alleine dadurch, daß sie den Max markieren und ihre Choristen und Musiker beständig herunterputzen, haben sie den Großteil des Publikums auf ihrer Seite.


    Es ist ganz einfach: Wer andere erniedrigt, wirkt neben ihnen erst mal größer.


    Zum Glück gibt es auch die andere Seite, finden sich genug große Musiker, die zeigen, daß auch mit einem grundsätzlich freundlichen und humanen Umgangston Höchstleistungen erreicht werden können.


    Wenn den anderen zumindestens posthum scharfe Kritik entgegengebracht wird, finde ich das nicht nur verständlich, sondern geradezu wichtig.


    Viele Grüße


    Bernd

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  • Gerade Dirigenten wie Böhm haben ihren Status meiner Überzeugung nach durch ein völlig übersteigertes Selbstbewußtsein und eine damit korrespondierende Außenwirkung erreicht. Man muß dem Publikum nur überzeugend genug vorspielen, daß man einer der Größten ist - dann nehmen einem viele das auch sehr schnell ab.


    Pardon - aber das ist in diesem Zusammenhang völlig falsch.


    Wenngleich an der Aussage PRINZIPIELL etwas sein könnte - auf Karl Böhm passt sie indes nicht.


    Es gab keine "gesellschaftlichen Skandale", keinen "Salonlöwen", keinen "strahlenden Sieger" in der Öffentlichkeit.
    Sondern einen dezenten Herrn, der noch heut gern als "Großvaterfigur, oder "Graue Maus" bezeichnet wird, des stet ein wenig nörgelnd, kritisch oder analytisch seine Anweisungen gab, mit leichten Anflügen von Humor. Er stand immer im Schatten Karajans - oft zu Unrecht wie wir wissen und war auch in seinen öffentlichen Aussagen ehr undiplomatisch und tendenziel nicht überfreundlich.


    Alles keine Voraussetzungen für eine Akzeptanz geschweige denn Beliebtheit beim Publikum.


    Zitat

    und das ist alles solide und gediegen dirigiert, aber "hervorragend"? Jeder unbekannte Provinzkapellmeister mit einer guten Ausbildung und entsprechender Technik bekommt das heute nicht schlechter hin.


    Ich würde sagen - kaum ein BERÜHMTER Dirigent der Gegenwart bekommt das so hin wie Böhm.
    Immerhin hat EINER seiner Lieblingskomponisten, Richard Straui?, Böhm tausend Rosen gestreut und sogar Werke gewidmet.
    Das hat Relevanz


    Aber nun zu anderen Dirigenten.....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • "Was immer auch geschieht" in E.Kästner: Gedichte. Gesammelte Schriften. Bd. 1: Gedichte. Zürich Atrium Verlag, 1959 S. 223


    alternativ: Thomas Pape (Hg): Schokolade - Eine kleine kulinarische Anthologie. Stuttgart Reclam Verlag 1998 S. 132 :D


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.


  • Besagtes Gedicht ist ursprünglich der Prolog zu dem Gedichtband: "Gesang zwischen den Stühlen" von 1932:



    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • An Knappertsbusch gab es auch bereits zu Lebzeiten Kritik. Der war doch schon in den 50ern ein "Dinosaurier" und von vielen als nicht mehr zeitgemäß empfunden. Und dennoch ist er eine Legende geblieben, bis heute. Wie Böhm bei Mozart, Jochum bei Bruckner oder Karajan bei Beethoven.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Da muss ich dann doch auch noch deinen Lieblingsbass Josef Greindl anfügen, der nie wirklich sakrosankt war...



    Und mal ehrlich: Die Tatsache, dass an Künstlern "von gestern" rumgemäkelt wird, hält sie doch eher lebendig und zeigt, was man an ihnen hatte. Mir wäre es im Zweifelsfall auch lieber, nach dem Tod noch kontrovers diskutiert zu werden, als quasi mit der Einäscherung der Vergessenheit anheimzufallen.


    Ich halte es auch für fast gefährlich, wenn ein Künstler über alle Maßen verehrt wird und gar keine Ablehnung erfährt, denn sakrosankt darf eigentlich niemand sein, oder?


    :hello:

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  • Zitat

    Original von Basti
    Da muss ich dann doch auch noch deinen Lieblingsbass Josef Greindl anfügen, der nie wirklich sakrosankt war...


    Stimmt, der wäre hier natürlich auch zu nennen. Daß er nie die "sacrosanctitas" eines Frick oder Moll erlangte, ist mir bis dato ein Rätsel. Ich meine: Wenn ich schon nicht der einzige bin, der ihm eine "5 +" beim TMOO gibt, zeigt es, daß ich nicht ganz danebenliege mit meiner Wertschätzung. Er war "der" Bayreuther Baß der 50er und 60er, selbst der überkritische Wieland Wagner hielt vorbehaltlos an ihm fest. Seine Ausflüge ins Mozart-Fach dürfen als überaus gelungen gelten (Osmin mit Referenzcharakter!). Den Hunding sang keiner bösartiger, den Hagen keiner grobschlächtiger (und das meine ich jetzt positiv), den Sachs keiner autoritärer. Selbst wenn man das jeweils nicht als Idealinterpretation sieht, dann verdient es doch dennoch Respekt als völlig legitime Interpretation.


    Dann will ich in dem Zusammenhang gleich noch Deinen Lieblings-Baß-Bariton Hotter anfügen, dem es nicht unähnlich ergeht, was die Wertschätzung betrifft.


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Danke für die Hilfe !


    Ich besitze zwar alle Kästner - Gedichtbände, komme aber an sie nicht heran, da ich dzt. im Keller ca. 2.000 Bücher ungeordnet in Kartons lagernd habe.


    Liebe Grüße vom
    Operngernhörer :hello:

  • Zitat

    Das Tamino Klassikforum wird diesen Künstern stets Gerechtigkeit in Sachen Musik widerfahren lassen und verhindern, daß man sie bewusst - aus durchsichtigen Gründen - in den Orkus schickt.


    Das kann man unterstützen, denn sonst es wäre für das Forum ja auch geradezu rufschädigend, wenn man es hier gegenüber verstorbenen Musikern an persönlichem Respekt fehlen lassen dürfte.


    Ebenso wie man sich mit fast noch grösserer Entschiedendenheit dagegen wenden muss, dass überhaupt irgendwelche andere namhafte Dirigenten/Musiker (auch und gerade noch lebende) hier in aller Öffentlichkeit gebasht werden dürfen, sei es aufgrund ihrer Interpretationen oder gar wegen ihrer persönlichen Biografien.
    Dieses "Untere Schublade-Niveau" passt einfach nicht zu uns hier, und das sollten wir uns auch nicht leisten dürfen, ganz unabhängig von musik-geschmacklichen Präferenzen.


    Wenn man weiss, wie schwer es überhaupt ist, eine qualitativ hochwertige Aufführung hinzubekommen, dann sollte einem die Einhaltung von eigentlich selbstverständlichen Grundregeln im Hinblick auf eine taktvolle Wortwahl und einen angemessenen Tonfall beim Verfassen von Tamino-Beiträgen unter normalen Umständen eigentlich leicht und wie selbstverständlich fallen.


    Es ist jedoch leider so, dass ein gutes Benehmen (zu dem ja auch ein Bewusstsein über die Aussenwirkung von Worten gehört) meistens in der Kinder- und Jugendzeit eingeübt wird.
    Defizite sind da nachträglich schwer zu beheben, und wenn, dann ist mit Sicherheit die Plattform eines Klassikforums für derartige Zwecke denkbar ungeeignet, weswegen ich ein Anhänger eines bei eventuellen Verstössen überaus konsequenten und möglichst gerechten Durchgreifens seitens der Moderatoren bin, und zwar ohne Ansehen der Person, sowohl im Hinblick auf die hier besprochenen Musiker als auch auf die unterschiedlichen, sich hier beteiligenden Personen.
    Das dient einfach der Qualitätssicherung.


    Da ja in diesem Thread auch ein kleiner Hinweis auf den -ebenfalls noch lebenden- Thielemann erfolgte, erlaube ich mir, mit allem gebührenden Respekt vor dem hier eigentlich zu behandelnden Thema doch, diesen kleinen, aber wie ich finde durchaus wichtigen und konstruktiv gemeinten Seiteneinschub im Hinblick auf den einen oder anderen, noch lebenden Dirgenten/Musiker anzubringen.
    Auch sie verdienen es, dass wir die Früchte ihrer Arbeit, die wir uns in den CD-Player legen- in diesem Sinne zwar durchaus auch kritisch, jedoch immer auch respektvoll würdigen.



    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Was mich ja immer sehr wundert ist, dass Herrn Fischer-Diskau
    maniriertheit vorgeworfen wird --- ja, aber, bitte, der Mann ist
    spezialisiert auf´s deutsche Kunstlied, auf Schubert und Schumann.
    Eine artifiziellere Kunstform gibt´s ja wohl kaum. Da muß man ein bißl
    maniriert singen. Und das ihm vorgehalten wird, er hätte eine
    mittelschöne Stimme - fragwürdig, wenn nicht lächerlich. Immerhin
    erkennt man sie unter Dutzenden.
    Es ist mir klar, dass man Probleme mit der Gesangshaltung, mit dem
    sozusagen schauspielerischen Anteil haben kann, insbesondere bei den
    Aufnahmen aus den 50ern, aber das ist eine einfache Geschmacksfrage.



    Ich glaube so oder so, dass FiDi bei einigen nicht gut gelitten ist, weil
    sein Repertoire als auch der gesangliche Gesamteindruck sehr deutsch
    daherkommen. Scheint mir eh ein häufiges Problem zu sein, die
    selbstdistanziertheit des deutsch(sprachigen) Intellektuellen, um es
    vorsichtig auszudrücken.



    Hingegen finde ich Kempff ein interessantes Beispiel, wie es auch
    anders laufen kann: kaum ein Pianist der alten Garde ist heutzutage
    wieder so populär wie Wilhelm Kempff - man schaue sich nur mal an,
    was seine LPs und CDs bei ebay-Versteigerungen einbringen.


    .

  • florian


    Was Fischer-Dieskau anbelangt, kommen mir so manche negative Äusserung über seine Interpretationen und seine Stimme als reichlich unqualifiziert vor.
    Wenn jemand die "schauspielerische" Identifikation mit den gesungenen "Rollen" ( in Anführungszeichen, weil es z.B. bei der Schubertschen Winterreise um die "Rolle" des durch den Winter wandernden Gesellen geht) ablehnt, dann vielleicht auch deshalb, weil er von seinem musikalischen Auffassungsvermögen her eigentlich nur im Legato gesungene grosse Bögen nachvollziehen kann. Schlicht, nur schön und naiv und/oder volltönend soll es klingen, alles andere sei maniriert.
    Wenn man nicht versteht, dass das Kunstlied oftmals über die Einfachheit von Kinderreimen hinausgeht und extrem eng mit der (in diesem Fall deutschen) Sprache verknüpft ist, dann sollte man ggf. das Problem bei sich selber suchen oder besser gleich beim Belcanto bleiben.
    Da kann man dann schwelgen.


    Auch Deinen Aussagen zum Timbre schliesse ich mich an.
    Was ist denn da schön? Gibt es hier nur ein Schönheitsideal, oder kann man nicht vielmehr sich an der Verschiedenartigkeit schöner Timbres erfreuen, wie an unterschiedlichen, aber auf jeden Fall hochwertigen Weinen?


    Natürlich kann man sagen, dass seine Gesangshaltung des Aufspürens immer gleich mehrerer Ausdrucksebenen manchen Liedern besser bekommt als anderen.
    Da muss man dann aber sehr genau differenzieren und spezifizieren.
    Im Grossen und Ganzen kommt man jedoch nicht umhin, ihn nach wie vor als DEN Interpretaten des deutschen Kunstliedes zu bezeichnen. Da gibt es eine ganze Menge Literatur, bei der ich seine Interpretationen für immer noch unerreicht ansehe.
    Und er war ja noch viel mehr. Als Opernsängern finde ich seinen Mozart sehr gut, als Bachsänger hat er -natürlich unter den Voraussetzungen der allgemein üblichen Bachinterpretation seiner Zeit- vor allem unter Karl Richters Leitung die ein oder andere Sternstunde eingesungen, z.B. BWV 21.



    Gegen Kempffs heutige Popularität kann man ja nichts haben, obwohl ich bisher nicht wirklich eine Aufnahme kenne, die mich im Vergleich mit Abstand am meisten überzeugt. Bei Brendels Einspielungen ist das dann schon etwas Anderes.

    Zu den Bietern bei ebay zählte ich bisher also nicht, was nicht heisst, dass mir nicht doch noch irgendwann eine Aufnahme auffällt, die ich für so genial halte, dass ich sie unbedingt haben muss.


    Zu Alfreds Frage, wie es dazu käme, dass Künstler älterer Generationen heutzutage diffamiert würden:
    Wenn man einen heute lebenden, und "voll im Saft stehenden" Künstler für bestimmte Sachen aus der Literatur lieber hört als die konservierten Interpretationen der "alten Garde", dann kann das auch sehr genau begründete und nachvollziehbare Ursachen haben, was jedoch nicht automatisch einer Diffamierung grosser Künstlernamen der Vergangenheit gleichkommt.


    Ansonsten ist es leider eine bedauerliche menschliche Eigenschaft, dass neue Generationen immer mit dem Anspruch daherkommen, sie seien jetzt "die "Tonangebenden, und das Vorhergewesene demzufolge zum alten Eisen gehöre und weggewischt werden müsse.
    Das ist in der Welt der Kunst in manchen Fällen durchaus so, aber auch in anderen Bereichen, z.B. Mode ( wenn das nicht auch irgendwie Kunst ist).
    Vom Marketing und von den Medien wird diese menschliche Grundneigung auch aus Verkaufsgründen verstärkt ( sonst bräuchte heute ja niemand mehr irgendeine Aufnahme machen, weil ja z.B. die Mozartsymphonien unter Karl Böhms Leitung schon auf Tonträger erhältlich sind, nicht wahr ;) spätestens seit Harnoncourts Aufnahmen aus den 80ern braucht die Welt aber wirklich keine neuen mehr.... :baeh01: )


    Ausserdem kommt hinzu, dass es in anderen Bereichen, vor allem in der Technik, immer einen offensichtlichen Fortschritt gab und gibt.
    Ich führe ehrlich gesagt auch lieber mit der neuen E-Klasse als mit den ersten Versuchen Gottlieb Daimlers, oder ich ich benutze auch lieber einen PC der neuesten Generation als einen C64 oder einen Atari.


    Leider wird oft der Fehler gemacht, dass man Rückschlüsse aus der Welt der Technik zieht, wenn es um Kunst und Musik geht.


    Da ist es nämlich nicht so wie bei den PCs oder der Software.
    Wenn etwas hinzugekommen ist - z.B. der galante Stil, die Wiener Klassik, die Romantik, Impressionismus etc.... dann ist auch immer gleichzeitig etwas verloren gegangen. Die Musik hat zu einem gewissen Zeitpunkt an bereits ein Niveau erreicht, dass nicht mehr verbessert, sondern nur verändert werden konnte.
    Ein romantischer Chorsatz klingt also anders als ein Satz von Eccard oder Schütz oder Schein, aber er ist deswegen keineswegs "besser".


    Ähnlich ist es auch bei Interpretationen.
    Wenn erst einmal ein hohes handwerkliches Niverau erreicht wurde, dann sind die aufeinanderfolgenden Interpretengenerationen sicher ein Ausdruck des Stilempfindens, des Geschmacks und des musikhistorischen Wissens ihrer Zeit.
    Das Heutige, das Neue ist das Alte von morgen. Es kann durchaus, aber es muss nicht "besser" sein.
    Auf jeden Fall wird und muss es anders sein.
    Das sehr wichtige und wertvolle Wissen um die musikhistorischen und aufführungspraktischen Zusammenhänge bedeutet nur dann etwas, wenn es von Musikerpersönlichkeiten angewandt wird, die vom Ausdrucksvermögen, ihrer Phantasie und vor allem ihrer Fähigkeit zu verzaubern her ( ="das Furtwänglerische" ) mit den alten grossen Namen in einem Atemzug zu nennen sind.


    Wissen, durchschnittliche Musikalität und technische Perfektion alleine lässt den Zuhörer nämlich trotz allem langfristig kalt, wenn nicht das Feuer des Musenkusses dazukommt. Ich meine damit das Unerklärliche, das Verzaubernde, dass dann auf einmal da ist, wenn echte Meisterwerke von
    echten Meisterinterpreten in ihren Sternstunden zu Gehör gebracht werden.
    Und das gilt durch alle Zeiten hindurch. Wenn etwas wirklich gut ist, dann wird es als "klassisch" angesehen, d.h. es überdauert dann die Zeiten mit allen Modetrends.
    Ob das "Urteil der Geschichte" immer richtig ist, kann man bezweifeln, oft finde ich jedoch, dass es durchaus zutrifft.



    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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  • Lieber Glockenton,


    deine Erwiderung zu Fischer-Diskau, ich kann sie nur unterschreiben,
    besser hätte ich es nicht formulieren können. - Letzthin ist mir noch ein
    möglicher Grund für die momentane (wird sich ja bestimmt nicht halten)
    Ablehnung von FiDi eingefallen: das was seine Stimme beim
    Schubertlied auszeichnet ist neben dem, was andere Maniriertheit
    meinen nennen zu müssen, eine geradezu körperlich spürbare Kühlheit.
    Die meisten Leute mögen das nicht - "das Leben ist doch schon kalt
    genug, jammer, jammer, da muß die Musik wenigstens schön warm
    sein..." --- sollen sie doch Villazon hören.



    Zu Kempff: wie fast alle anderen Kempff-Hörer in diesem Forum,
    empfehle auch ich die GA der Beethoven´schen Klaviersonaten, und
    zwar in der Mono-Aufnahme aus den 50ern, nicht in der Stereo-Version
    aus den 60ern (auch wenn die ebenfalls gut ist). Und seine
    Einspielungen der Schubert-Sonaten sind sehr gut.


    Grüße florian


    .

  • Sagitt meint:


    Vielleicht sperrt man mal seinen Ohren auf und hört die frühen Aufnahmen von Fischer-Dieskau, ab 1948 zum Beispiel von der Winterreise.


    Was ist da " kalt" ??


    Nun ja, die Eindrücke sind verschieden.


    Und " mittelmässig schön" ?


    Man mag das Timbre vielleicht nie, aber wie Fischer-Dieskau 1958 mit Demus die Dichterliebe machte, perfekter Liedgesang, mit absolut schöner Stimme.


    Nur mal als kleine Gegenposition. Bin kein Dieskau -Fan, aber von einiger seiner (Jahrhundert-Aufnahmen) auch noch nach Jahrzehnten begeistert.

  • Also, ich schrieb "kühl" nicht "kalt". Und ich bin Fischer-Diskau-Fan, was
    eigentlich klar geworden sein sollte. Und die Dichterliebe mit FiDi und
    Demus habe ich vor einigen Tagen drei Mal hintereinander gehört.


    .

  • Zitat

    Original von Glockenton
    Was Fischer-Dieskau anbelangt, kommen mir so manche negative Äusserung über seine Interpretationen und seine Stimme als reichlich unqualifiziert vor....
    Wenn man nicht versteht, dass das Kunstlied oftmals über die Einfachheit von Kinderreimen hinausgeht und extrem eng mit der (in diesem Fall deutschen) Sprache verknüpft ist, dann sollte man ggf. das Problem bei sich selber suchen oder besser gleich beim Belcanto bleiben.


    Verdoppeln, bitte.

  • Ich kann nur erneut meinen Eindruck festhalten, daß anscheinend überhaupt das Äußern von Kritik, die nicht abfällig oder unfair sein muß, mitunter reicht schon die Feststellung, daß x nicht der größte y-Interpret aller Zeiten gewesen sei, bereits als Sakrileg empfunden wird. Dafür spricht auch ein fetischistischer Ausdruck wie "Klassikikone". (Es ist auch fast nie richtig, daß es gegenüber "Ikonen" seinerzeit keine Kritik gegeben hätte.)


    Ich besitze selbst zwei dicke Sammelboxen (EMI Introuvables u. DGG Masters) und etliche Einzelaufnahmen mit Fischer-Dieskau, aber ich kann sehr gut nachvollziehen, wie man etliche oder sogar viele seiner Interpretationen als problematisch empfinden kann (selbst abgesehen von Opernrollen). Dabei kann man ohne Weiteres einräumen, daß sich kein anderer Sänger derart um das Kunstlied verdient gemacht hat. Wer eine differenzierte, kritische Haltung bereits als "Diffamierung" versteht, der treibt wirklich Heiligenverehrung.


    Wie artifiziell das Kunstlied ist (wollen nicht einige davon durchaus einen "Volkston" einfangen?), steht dabei gar nicht zur Debatte. Irgendjemand hat, wenn ich recht erinnere, mal zwei Schauspieler so charakterisiert, daß Jeremy Irons einen zornigen Mann hervorragend darstelle, während De Niro ein zorniger Mann sei. Fi-Di hört man m.E. immer den Darsteller an. Das muß kein Fehler sein, aber es gibt Interpreten, denen es besser gelingt, die Kunstfertigkeit, das Darstellen unhörbar zu machen.


    Ich persönlich halte viele Interpretationen Fi-Dis für erstklassig, aber eben nicht alle; es gibt und gab auch andere gute Sänger. Den Ikonenstatus der beiden Wilhelms Backhaus und Kempff kann ich dagegen kaum nachvollziehen. Es gab damals und gibt heute in jeder (nicht nur offensichtlich technischer) Hinsicht besser Pianisten und überzeugendere Interpretationen.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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