Barrieren zur Klassischen Musik -Ausreden - Vorurteile - Wahrheiten

  • Liebe Forianer, liebe Klassikfreunde,


    daß der Anteil an Klassikhörern vergleichsweise niedrig ist, ist kein Geheimnis und dürfte unbestritten sein. Er liegt, je nach Land und Kultur etwa zwischen 5 und 10 Prozent, vereinzelt sogar unter 3 Prozent.


    Eigentlich war das immer schon so. Lediglich der Adel - und später das Groß- und Bildungsbürgertum hörte regelmäßig das, was wir heute unter "klassischer Musik" verstehen. Erst im 20. Jahrhundert gab es eine Abspaltung der Klassik, die der Arbeiterschicht gewidmet war und eine eigene Ästhetik hatte. Eigenartigerweise konnten die damit aber auch nichts anfangen und blieben beim Schlager, bzw beim Pop und (aus meiner Sicht ähnlichen Richtungen.


    Es wurde immer wieder behauptet, Klassik würde von vielen aus Kostengründen oder der Bekleidungsvorschriften wegen gemieden - ein Argument dem ich mich nicht anschließen kann. Schließlich gibt es daheim beim CD Player keine Bekleidungsregeln - und die CD als Tonträger ist billiger zu haben als je zu vor.


    Es muß also andere Gründe haben, keine Klassik zu hören. Mit der Musik im eigentlichen Sinn haben sie sicher nichts zu tun, denn kaum ertönt Klassik als Filmmusik verpackt (als Beispiele seien hier der zweite Satz aus Mozarts Klavierkonzert Nr 21 KV 467 "Elvira Madigan" und der 4. Satz (Adagietto)aus Mahlers Sinfonie Nr 5 genannt....
    welche über Nacht zu Schlagern wurden, Mozarts Klavierkonzert KV 467 trägt noch bis heuten den Filmtitel als Beinamen!! Legendär auch die Anekdote, wo ein Kunde, der den "Elvira Madigan" gesehen hatte, in das Klassikgeschäft geht und dort "das Klavierkonzert von Mozart kaufen will"



    Also - woran liegts ?


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das ist eine interessante Frage, Alfred. -
    Ich denke, es liegt am Intellekt, an der Verständnisfähigkeit dieser besonders hochkarätigen Klassischen Musik. - Wenn man alleine bedenkt, dass es in der Klassik vergleichsweise so gut wie keine Wiederholungen gibt, dass jeder Ton einmalig in der richtigen Höhe und an der richtigen Stelle sitzt, dann weiß der "normal intelligente" Mensch nichts mehr mit Klassik anzufangen. - Der Mensch liebt nun mal das Bekannte und Vertraute, das Eingängige, das Mitsingende, das Mitschwingende. Das macht ihm die Musik leicht verständlich. Und darauf kommt es an, denke ich.


    Ein Schlager zum Beispiel hat nicht nur einen sehr einfachen bis banalen Text,
    sondern ist auch mit einfachen Rhythmen und vielen Refrains versehen, die sehr schnell und leicht einprägsam sind.


    Schließlich soll Musik ja entspannen, nicht anspannen und schon gar nicht das Hirn anstrengen. :yes:


    Der Klassikliebhaber hört anders, als der Liebhaber der leichten Muse, denke ich. - Er hört die Harmonien, die Verzierungen, die Hemiolen, die Kadenzen, er hört beispielsweise bei der Klaviermusik, was die rechte Hand macht, während die linke Hand begleitet. - Kurzum, der Klassikliebhaber hört eher analytisch. Er geht tiefer in die Materie ein. - Er hört seine Klassik zur Zufriedenstellung seiner geistigen Ansprüche. -


    Nur ein paar Gedanken zu Mitternacht,


    Melisma :hello:

  • Und genauso wenig zieht das Argument mit der Bekleidungsvorschrift: Ich wäre der Letzte, der im Anzug in die Oper gehen würde. Auf der Bühne erleichtert sich der Chor- und ich soll im Stresemann im Publikum sitzen? Dann käme ich mir so bescheuert vor, wie ich wahrscheinlich auch aussähe :D. In der- wahrhaft glamourösen- Aufführung des "Lohengrin" im April an der Lindenoper war ich in Sweatshirtjacke und Jeans. Noch nie wurde ich deshalb schief angesehen, geschweige denn schroff behandelt- warum auch? Im Gegenteil, ich hatte immer das Gefühl, mir dadurch eher zusätzliche Sympathiepunkte einzufahren. An meinem Auftreten wird stets deutlich, dass ich meinen Vater in die Oper schleppe und nicht er mich (wenn ihr wüsstet, wie zielstrebig ich durch ein Opernhaus rennen kann :D). Warum soll man also in feinem Zwirn in den Musentenmpel gehen? Mir fällt kein vernünftiger Grund ein. Eine kleine Episode aus der erwähnten "Lohengrin"-Aufführung: Bereits im Verlauf der Vorstellung war ich auf bessere Plätze in der Mitte des Dritten Ranges (ich saß sehr weit rechts) aufmerksam geworden. Das Schließpersonal gab seinen Segen, die Plätze in der Pause zu wechseln. Vor Beginn des III. Aktes gehe ich nun hin- und siehe da, auf einmal sind die bisher freien Plätze belegt und meine Fragen werden schroff verneint! Solche Leute verabscheue ich aus tiefstem Herzen. Beim nächsten "Don Giovanni" komme ich auch erst zur Champagnerarie.
    Hier schließt sich also die Frage an, wie viel Prozent denn ernsthafte Klassikhörer sind und wie viele Selbstdarsteller aus dem Geldadel oder oberflächliche Möchtegern-Experten ("Der Karajan hat aber immer schön dirigiert!"). Und so dürfte die Prozentzahl nochmals schrumpfen.


    Aber zurück zum Thema. Ich bin Zehntklässler und sitze daher an der Quelle der Klassik-Verabscheuer. Meinen Freunden ist hinreichend bekannt, dass ich Klassikhörer bin und auch meine Gesangskunst haben sie bereits auf mehreren Partys demonstriert bekommen :D. Ich bin aber keineswegs ein Außenseiter, sondern gehöre vielmehr zum "innersten Kreis". Allerdings verbindet der überwiegende Teil von ihnen Klassik leider mit Andrè Rieu an der Teufelsfiedel. Auf jeder Party bekomme ich eine Forderung gestellt: "Sing mal Paul Potts!", worauf ich ausführlich erläutern muss, dass ich kein Tenor bin.
    Ich glaube, es sind keine Berührungsängste vorhanden; diese ganze Sache beruht nur auf dem falschen Image der Klassik, die vor allem durchs Fernsehen propagiert wird. Wie wäre es, wenn statt Veronica Ferres mal Katharina Wagner "Mit dem Zweiten sieht man besser" sagen würde oder mit Bayreuth-Werbung bei "Wetten, dass..?" aufträte? Den Leuten muss die Wahrheit beigebracht werden. Stück für Stück muss man sie aus ihrer Rieu-Potts-Ecke herausführen, sodass langsam jeder zum Experten wird.


    Vorbei die Zeiten, in denen ganz Amerika vor dem Radio hing, um den Samstagnachmittagvorstellungen der Met zu lauschen. Heute wollen (und brauchen?) die Leute die schnelle und bedingungslose Unterhaltung. Wer Außenminister wird, interessiert Otto Normalverbraucher weniger als dass Nicole Richie von einem Paparazzo über den Haufen gefahren wurde. Wo soll da Platz für Klassik sein? "Jedem das Seine", lautet der Kommentar der Medien. Wenn man's nun aber mal probierte...? Aber das tut man ja nicht, und das ist das Problem.
    Dass Klassikhörer etwas komisch zu sein pflegen, sollte man nicht abstreiten. Aber wir lassen uns eben nicht einschüchtern vom Diktat der Medien, auf das eben viele Leute hereinfallen. Ich habe eine, sagen wir mal differenzierte Meinung zum Fernsehen. Doch es gibt tatsächlich Leute, die glauben, was da kommt. Und solange nicht die Massenmedien in die Offensive gehen, können wir das noch so viel tun.


    Klassik gilt als elitär, als langweilig, als schwierig. Gut, für so manches mag das gelten. Aber noch ein weiterer Grund ist wichtig: Eigentlich sind die Leute zu ungeduldig für Klassik. Denn unsere Musik erfordert Geduld. Das pure Hören einer Sinfonien kann wahrlich anstrengend sein. Und die Leute wollen keine Anstrengung, sie wollen Spaß. Nur in dem "Wie", da liegt der ganze Unterschied: Der eine macht sich's vor dem Fernseher gemütlich, der zweite hört Bushido, der dritte vertrimmt den griechischen Gyrosbrater. Aber keiner macht sich's bequem und hört klassische Musik, und sei's eben Karajan.


    Die Menschen wollen ja. Aber man lässt sie nicht.


    :hello:

  • Nun habe ich ja, lieber Basti, hier im Forum gelernt, dass der Karajan vielfach richtig klasse war. Das geht natürlich in den vielen Schmähs mit den entsprechenden Belegen unter. Aber das weißt Du ja genau so gut wie ich.


    Einen ganz wichtigen Punkt hast Du angesprochen: unsere Musik - wie Du das so schön nennst - fordert uns Zeit ab. Und zwar eine ganze Menge. Ich las vor gar nicht langer Zeit, dass die Musik-Video-Industrie deshalb so boome, weil ein 3 min Track von Britney Spears ohne begletende Bilder - vulgo Video - die Konzentrationsfähigkeit der Fans überfordere.


    Sodann ist unsere Musik nicht immer bequem. Ich selber bin z.B. kein großer Freund von Opern. Den Wagner aber liebe ich. Und, o Wunder: fünf Stunden Götterdämmerung vergehen wie im Fluge.


    Unsere Musik fordert von uns Verständnis für ein Gegenüber ab. Selbst der geschmeidig wirkende Mozart ist zumeist alles andere als bequem. Und auch diesem Vivaldi nähert man sich am besten Concerto per Concerto.


    Für die Hemmschwelle sorgen glaube ich die Klassikliebhaber selber. Viele meinen, durch ihre Leidenschaft etwas Besseres zu sein. Sie bauen eine Mauer um ihre Leidenschaft, deren Zement die unverständlich-krude Musikkritik ist (man muss sich nur die entsprechenden Beiträge meines ach so geliebten Kölner Stadtanzeigers....aber ich sag ja schon nix mehr).


    Gilt nicht nur für die Musikliebhaber. Der Generaldirektor der Kölner Museen hat mir seinerzeit ein gruseliges Bonmot gesteckt: "Museen macht man zunächst einmal für die Museologen. Wenn es den Besucher auch gefällt-prima". Der Wiener Otto Neurath (zu dessen Anhängern ich mich zähle) hatte da ganz andere Ideen. Mal im Ernst: diese Leute werden vom Volk bezahlt (über die Steuern). Also ist es ihre gottverdammte Pflicht, dem Volk etwas zurückzugeben.


    Um nun auf die Klassikliebhaber zurückzukommen: die könnten nun durchaus das eine oder andere zur Verbreitung beitragen. Viele freuen sich aber leider daran, allein im Elfenbeinturm zu sein.So ist das nun einmal. Leider.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Hallo liebe Forianer,


    salopp und stark vereinfacht möchte ich behaupten: Klassische Musik zielt auf den Kopf, aufs Intellekt; die übliche Musik der Hitparaden zielt hingegen auf den Bauch, oftmals sogar direkt und ohne Umschweife auf den Sexualtrieb. (Der kürzlich verablebte Herr Jackson ist ein Paradebeispiel hierfür!)


    Natürllich gibt es auch hier Überschneidungen und Grenzfälle (was ist z. B. mit Tänzen, Märschen oder bewußt "einfach" komponierten Operettenmelodien die natürlich auch "auf den Bauch" zielen?) aber im Großen und Ganzen kann man wohl folgendes konstatieren:


    Für den Genuß eines klassischen Konzertes - beispielsweise eines Streichquartetts - ist ein Mindestmaß an geistiger Abstraktionsfähigkeit vonnöten. Es ist kein Zufall, daß die meisten Hörer von Klassischer Musik mental eher überdurchschnittlich begabt sind - und das gilt wohlgemerkt für Klassikhörer aus allen sozialen Schichten!


    Ein kleiner Arbeiter, der sich für Klassik interessiert, wird sich bei näherem Hinsehen immer als ein überdurchschnittlich intelligenter Mensch erweisen - ganz gleich wie wenig er verdient oder wie bescheiden er leben muß. Ein reicher, aber dummer Millionenerbe hingegen, wird noch so oft im teuersten Frack in Oper oder Konzert gehen können: Die Musik wird ihn langweilen weil er sie nicht zu erfassen vermag, sie einfach nicht versteht. Ihm fehlt die dazu nötige Kapazität und daran ändern auch sein Geld und seine "Kultiviertheit" nichts!



    Beste Grüße!


    Laurenz :hello:

    `
    (...) Eine meiner frühesten Erinnerungen im Zusammenhang mit der Musik betrifft einen Abend, an dem das Rothschild-Quartett bei uns ein hochmodernes Werk von Egon Wellesz spielen sollte. Die Stühle waren den Musikern zu niedrig, so nahmen sie unsere Bände mit Schubertscher Kammermusik, um damit ihre Sitze zu erhöhen. Ich dachte, wieviel schöner es wäre, wenn sie auf Wellesz sitzend Schubert spielen würden (...)


    — aus „5000 Abende in der Oper“ von Sir Rudolf Bing —
    .

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  • Interessante Gedanken! Habe eben nur die letzten beiden Beiträge gelesen.


    Sonnensucher: Stimme dir voll zu!


    @ Thomas: Auch deine Gedanken kann ich voll nachvollziehen. -
    Aber wie kann man die Hemmschwelle beseitigen? - Indem man den Liebhabern der federleichten Musik unsere eher schwere und anspruchsvolle Musik vorspielt? - Ein Versuch ist es wert, aber nicht bei allen!
    Damit ist es nicht getan, denke ich. Die meisten würden sie deutlich ablehnen. - Die Barriere wird bestehen bleiben, denke ich.
    Wenn ich als Klassikliebhaberin meinen Friseur aufsuche und dieser das 1. Programm auf Hochtouren laufen lässt, so muss ich dies ja auch tolerieren, obgleich es mich geradezu abstößt. - Hier ist mir aber der geschnittene Schopf wichtiger! - Prioritäten eben!


    Prima la musica e dopo le parole,


    Melisma :hello:

  • Ich glaube nicht, daß Barrieren zur Klassischen Musik im Vergleich zu früher größer geworden sind - zu allen Zeiten haben die meisten Menschen sich musikalisch mit dem leichter Konsumierbaren zufriedengegeben, und daß uns dieser Umstand nicht so bewußt ist, liegt wohl überwiegend daran, daß vieles von diesen leichteren Werken nicht oder nur wenig dokumentiert wurde. Überlebt hat eben das Anspruchsvollere und Qualitative. Wenn man Notensammlungen des frühen 20. Jahrhunderts "zum Gebrauch im Salon und in Gesellschaft" ansieht, erscheinen dort neben einem gelegentlichen "Lied an den Abenstern" aus dem Tannhäuser ganz überwiegend die Pop-Künstler der damaligen Zeit...
    Und ich stimme Sonnensucher zu: diese Qualität wird ihre Zuhörer unter den Menschen aller Schichten (so es diese überhaupt noch gibt, aber das ist ein anderes Thema) finden. Der Anteil dieser Abstraktionsfähigen an der Gesamtbevölkerung dürfte sich, allen gescheiterten staatlichen Erziehungsversuchen am Menschen zum Trotz, durch die Zeiten nicht wesentlich verändert haben. Es werden wohl immer nur die happy few bleiben, die bereit sind, sich auf Anspruchsvolleres wirklich einzulassen und daraus Nutzen zu ziehen - für sich, ihre eigene geistige Entwicklung und ihr Bild von der Welt. Dieses Bewußtsein -vergleichbar mit einer Glaubensüberzeugung ( auch das wäre mal ein Thema: Wechselwirkung zwischen Religion und Musik)- darf aber -in beiden Fällen!- nicht zu elitärem Gehabe führen, denn damit diskreditiert man sein eigenes Wissen um den Reichtum dessen, was man selbst schätzt, zu einer eitlen Masche. Freundliche hilfreiche Erklärungen für den, der -und sei es über den unsäglichen Paul Potts oder die ein dutzend Tenöre- sich heranwagt an etwas, was der Mühe des konzentrierten Zuhörens wert ist, helfen am allerehesten, gefühlte oder befürchtete Barrieren zu überwinden. Die Mehrheit wird man damit nur genauso wenig zu verständigen Klassikhörern machen wie dies in der Vergangenheit möglich war.


    Grüße!


    Honoria

    "...and suddenly everybody burst out singing"
    Busman's Honeymoon

  • Ich muß gestehen, daß ich, selbst wenn vielleicht mit Absicht ein wenig übertrieben wurde, etliche Thesen hier nur schwer nachvollziehen kann.
    Ich will nun keine Aussprache über erotische Präferenzen starten ;), aber mich stoßen sowohl Musik als auch Show des M. Jackson ziemlich ab, während ich nicht wenig klassische Musik durchaus "sinnlich" finde, von Monteverdi-Madrigalen über die Opern Händels und Mozarts, Lieder von Schubert oder Schumann, bis hin zum dekadent-lasziven fin-de-siecle bei Strauss u.ä.
    Mir scheint auch die Betonung des "Intellektuellen" etwas übertrieben.


    Worin ich aber völlig zustimme, ist beim Hinweis auf Konzentrationsfähigkeit, Geduld, Offenheit. Das ist erforderlich und dünn gesät. Und daran ist die moderne Pop- und Medienkultur keineswegs unschuldig. Wir hatten das neulich schon einmal in dem "Spaß-thread", wo KSM zu recht auf den "kontemplativen", "sammelnden" Aspekt der klassischen Musik hingewiesen hat. Es ist eben nicht in erster Linie Zerstreuung, selbst wenn es das auch gibt. Aber praktisch alle modernen Medien arbeiten einer Konzentrationsfähigkeit, die 2-5 min übersteigt, entgegen. Wenn, wie für viele Neulinge bei klassischer Musik "nichts" passiert, sind 3 min schon lang.
    Dazu kommen mindestens zwei weitere Aspekte: Musikalischer Analphabetismus; wenige Leute spielen ein Instrument, noch weniger ein "klassisches".
    Noch wichtiger aber scheint mir, nicht nur bei Jugendlichen (de facto bis hin zu vielen heute 40-50jährigen), die Dominanz einer Pop- und Unterhaltungskultur, der man sich nur schwer entziehen kann. Abgesehen von der durch die "Häppchenformate" der Medien beförderten Konzentrationsunfähigkeit, die schon angesprochen wurde, macht diese Dominanz nicht nur Jugendliche, die stattdessen Klassik hören, zu Außenseitern in ihren "peer groups." An der Musik hängen ja ganze Lebensstile, Moden, sie spielt in vielen Filmen eine große Rolle usw. Wenn man sich dem weitgehend entzieht, weil man einfach nichts damit anfangen kann, kann man nicht "mitreden" usw.


    Ungeachtet des internationalen Charakters der Popkultur halte ich sie im Grunde für intolerant. Wie auch immer, sie verhindert jedenfalls de facto die notwendige Offenheit für völlig anderes. Sie kann anderes nur aufsaugen und assimilieren, oft dabei aber zerstören. Die Kombination mit der im prägenden Alter wichtigen Clicquenbildung bei jungen Leuten sorgt daher für oft erstaunliche Engstirnigkeit. Wobei es durch die Übermacht des Pop meist gar nicht zu einer Wahl oder einer Entscheidung kommt. Das andere ist einfach nicht vorhanden, wird gar nicht wahrgenommen.


    Obwohl "theoretisch" klassische Musik so einfach und günstig erreichbar ist wie kaum je zuvor, halte ich diese übermächtige Dominanz der Popkultur in allen Medien und die von ihren Präsentationsformen verursachte Konzentrationsschwäche für zentrale Hindernisse bei der Wertschätzung der Klassik. Und es hilft auch nur wenig, wenn sich die Klassik hier mit "Häppchen" anbiedert; zum einen sind 5 min eben oft schon zu lange, zum andern gibt man damit eben das Wesentliche der Kunstmusik auf, den Aspekt der Sammlung, der Kontemplation eines Kunstwerks.


    Daß der Alltag (wie der genannte Friseur oder andere Ladengeschäfte oder alle Medien) von der Popkultur dominiert sind, ist m.E. auch ein wichtiger Unterschied zur bildenden Kunst. Es gibt hier in der Präsentationsform und in der Bestimmung des Alltags keinen solchen Unterschied zwischen "ernster" oder auch "moderner" Kunst. Auch die Exponate der Dokumenta werden ähnlich präsentiert wie in der Alten Pinakothek. Es gibt überdies nur eine rudimentäre bildende Kunst des Pop. Poster usw. würde man dazu zählen, aber die hängen ihrerseits wieder von den zentralen Medien Musik und Film (sowie heute auch Computerspiel) ab.
    Hier gibt es also kaum eine ernsthafte Popkonkurrenz, der Alltag wird nicht derart bestimmt, das dürfte ein Grund sein, warum bildende Kunst auch bei jüngeren Leuten vergleichsweise höher geschätzt wird als klass. Musik.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Ich muß gestehen, daß ich, selbst wenn vielleicht mit Absicht ein wenig übertrieben wurde, etliche Thesen hier nur schwer nachvollziehen kann.


    Das geht mir eigentlich ähnlich. Ich glaube eher, daß eine gewisse Angst darin liegt, daß 'Nicht-Klassiker' sich eher nicht mit dem verbreiteten (nicht unbedingt falschen) Image der Klassik 'infizieren' wollen - wer mag schon gerne Außenseiter sein? Das gilt natürlich überwiegend für die Jugendlichen. Im 'Alter' (ab etwa 35/40) sehe ich da wesentlich weniger Berührungsängste.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Ich möchte an den Gedanken von Johannes anknüpfen, der "Mitläufereffekt" bzw. "Gruppenzwang" innerhalb der Jugend ist sicher ein sehr bedeutender Faktor, wenn man auch hernimmt das der aktuelle Trend im allgemeinen eine sehr große Rolle spielt wie zB auch beim Kleidungsstil, Piercings, Tatoos usw.
    Desweiteren möchte ich auch noch ein wenig zurück in die prägenden Kindheitsjahre gehn da es ja schon beim Musikgeschmack der Eltern anfängt der in der Regel natürlich auch eine "Klassik-Tabuzone" darstellt. Man mag sich nur vorstellen was allein aus unseren größten Komponisten geworden wäre, wären sie mit den gleichen Begabungen unter diesen Umständen aufgewachsen und ich bin überzeugt diese Begabungen gäbe es im Prinzip auch noch heute.
    Man gewöhnt sich somit schon seit Baby an auf eine gewisse Musikform die kaum mehr als 3 Minuten hinausgehn darf und aus gewissen einfachen Strickmustern besteht (was schon bei Intro-Strophe-Refrain-Brücke mit ständig wiederholendem Refrain anfängt, Komposition und Arragement mal ganz zu schweigen) Ebenso erscheint es heute sehr wichtig zu sein das die Musik moderne Klänge (Synthies, E-Gitarren, Schlagzeug usw.) enthält, das einfach mit unserem Zeitgeist zwangsläufig verknüpft wird und jegliche Abweichung als altmodisch und überholt empfunden wird.
    Dennoch gibt es sicher einige Menschen die würden wohl auch u.A. den Weg zur Klassischen Musik mit der richtigen "Einstiegsdroge" finden nur wissen sie es nicht weil sie auch kaum in Berühung damit kommen. Gerade Mainstreamhörer die zB gerne auf diese Art "Kuschelrock", Balladen usw. stehn
    finden meist auch gefallen an diversen langsamen Sätzen von Sinfonien, Klavierkonzerte usw. darauf läßt sich eventuell noch mehr aufbauen. Nur ist eben dieses Problem das zum einen diese genannten Vorurteile und tiefverwurzelten Gewohnheiten schon bestehn und zudem durch unseren Zeitgeist sehr spärliche Berührungspunkte mit Klassischer Musik gibt, ab und zu mal Bruchstückhaft in Werbungen (und dann vielleicht auch noch mit negativer Symolik besetzt wie zB in der stumpfsinnigen Ariel-Werbung) als Hintergrundmusik in manchem Film oder gar in einem Mainstreamstück mehr oder weniger heimlich mit eingearbeitet (wie zB dem bekannten "All by myself")
    Das genügt wohl sicher nicht, den größten Effekt hat es sicher noch im Film wie zB das bekannte Beispiel mit Elvira Magidan oder wie der Film auch immer heißt, oder die damalige Verwendung der langsamen Sätze aus dem 1.und 5.KK Beethovens beim Club der toten Dichter. Im Regel kaufen die sich dann aber höchstenfalles auch nur den "Soundtrack" und das wars dann.
    Alles in Allem hat wohl Klassik in der Gesellschaft den Stempel des überholten, altmodischen, anstrengend langwieriger Stücke ohne Spaß, einem ebenso spießig, verzopften Konzertpublikum mit dem Alterschnitt zwischen 70 und 80 und einfach nur Langweile pur. Es sind halt auch festgefahrene Klischees und Vorurteile wie so oft im Leben aber eines wäre richtig, eine Umstellung von seit Baby ausschließlich gehörter 3-Minuten-Mainstream-Musik als Hintergrundgeplätscher auf tiefsinnige Musik deren Gefühlspalette und Intensität wesentlich darüber hinausgeht, meist länger dauert und mehr Konzentration erfordert ist sicher nicht einfach. Das ist dann wohl letztendlich auch die wesentlichste Hürde bei dem es dann zum. im Erwachsenenalter jenseites von Teenie-Gruppenzwänge scheitert, in einem Zeitgeist der (auch durch die neuen technologischen Möglichkeiten) wie nie zuvor von Stress und
    Zeitmangel geprägt ist.
    lg
    Thomas

    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)

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  • Zitat

    Original von Ulli
    Das geht mir eigentlich ähnlich. Ich glaube eher, daß eine gewisse Angst darin liegt, daß 'Nicht-Klassiker' sich eher nicht mit dem verbreiteten (nicht unbedingt falschen) Image der Klassik 'infizieren' wollen - wer mag schon gerne Außenseiter sein? Das gilt natürlich überwiegend für die Jugendlichen. Im 'Alter' (ab etwa 35/40) sehe ich da wesentlich weniger Berührungsängste.


    Ja; schon bei Studenten in den 20ern ist das natürlich entspannter. Man kann sicher auch als Jugendlicher Klassik hören und recht gut integriert sein, solange man eben noch an einigen Bereichen der Popkultur teilhat. Dennoch werden viele Weichen in der Zeit zwischen 15 und Anfang 20 gestellt (und wie viele >40jährige hören immer noch zum guten Teil die Musik ihrer Jugend). Ob das "verstaubte" Image, selbst wenn es von einzelnen Klassikhörern gepflegt wird, nicht auch ein sehr oberflächlicher Eindruck ist, ist wieder eine andere Sache.


    Mein Punkt (der ja nicht besonders originell ist, mehr oder minder Adorno light & politikfrei) ist jedenfalls, daß ein wirklicher und tiefer Gegensatz zwischen Klassik und Popkultur besteht und daß die Omnipräsenz der letzteren - man kann eben in kaum ein Geschäft gehen, keinen Fernseher einschalten usw., ohne damit zugedudelt zu werden - ein schlechtes Umfeld für erstere schafft. Ich will das nicht zu weit treiben, aber Manfred Spitzer und andere haben ja ähnliche Ideen bis ins neurologische Detail vertreten. Überall nur Gedudel ermöglicht eben weder Ruhe noch Sammlung. Und die (sozial-)politischen Konsequenzen kann sich ebenfalls ausmalen -> Huxley...
    Es ist vermutlich nur noch eine Frage der Zeit bis die kulturelle Verblödung sich auch in einer der instrumentellen Vernunft zeigt.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Zitat

    lso ich bleib im Elfenbeinturm. Und der Peuble soll bittschön draussen bleiben...


    PRINZIPIELL würrde ich mich dem anschliessen - aber es ist ja leider der Fal, daß etliche, die sich zur geistigen Elite zählen auch keinen Zugang zur "klassischen Musik" haben.


    Ich würde auch nicht unterschreiben wollen (wenn ich mich nicht irre bin ich hier schon der dritte), daß die klassische Musik intellektbezogen Musik ist, allenfalls die Musik des 20. Jahrhunderts stellt mangels vorhandenem Liebreiz diesen Anspruch.


    Und nun sind wir beim Anspruch, der klassischen Musik. Welchern Anspruch sie an die Hörer stellt, das wurde bereits gelegentlich kontrovers diskutiert. Aber welchen Anspruch stellt der Hörer an die Klassische Musik - vor allem jener Hörer für den sie ursprünglich geschrieben wurde.


    Meines Erachtens nach wurde Musik zumeist geschrieben und den Auftraggeber zu erfreuen und zu erhöhen, zu glorifizieren. Und natürlich gibt es Musik, die Gott glorifizieren soll - angeblich , so behaupte ich.
    Denn in Wahrheit war es der Auftraggeber selbst, der sich göttlich fühlte, der vergöttert werden wollte - aber es nicht offen aussprechen mochte. Der Auftraggeber - durch Gott (den man raffinierterweise selbst erfunden hatte) in eine gesellschaftliche Position gebracht die den meisten anderen überlegen war, wollte diesen Tatbestand auch demonstrieren. Zahlreiche Jubelkantaten und Messen legen davon Zeugnis ab. Das Solistenkonzert, in Auftrag gegeben, ist hier schon direkter.Es sollte die Macht und Herrlichkeit, den guten Geschmack und den Reichtum seines Auftraggebers zeigen, nein hörbar machen.
    Später war es das reiche Bürgertum, welches die Rolle des Auftraggebers übernahm, dieweil der Pöbel "irgendetwas " hörte.
    Im zwanzigsten Jahrhundert wollten die akademischen Führer von Arbeiterbewegungen die klassische Musik "für alle" leistbar machen, ja sogar eigene "linke" Musik wurde geschrieben. Interessanterweise interessierte sich nur ein kleiner Prozentsatz der neuen Zielgruppe für klassische Musik - zudem konnte sie sich mit den "Spielregeln " von Konzertsälen und Opernhäusern nur unzureichend vertraut machen.
    Woran erkennt man ein Konzert, das von der Gewerkschaft veranstaltet, bzw für ihre Mitglieder gekauft wird ?
    Richtig !! - Daß zwischen den Sätzen applaudiert wird :D


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Richtig !! - Daß zwischen den Sätzen applaudiert wird :D


    Ich halte das für Quatsch, daß man nicht klatschen darf, wenn es einem gefallen hat. Das ist bei jedem Pop/Rock-Konzert so und war auch im 18. JH in den Konzerten so. Diese Überverheiligung der klassischen Musik ist auch nicht das Wahre... es kommt natürlich drauf an, WER klatscht :D - da kann ich auch schonmal zur Giftspritze werden...


    :hello:

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Ulli


    Ich halte das für Quatsch, daß man nicht klatschen darf, wenn es einem gefallen hat. Das ist bei jedem Pop/Rock-Konzert so und war auch im 18. JH in den Konzerten so.


    Was ich nicht unbedingt wieder einführen wollte, ist der Applaus während eines Satzes, auch wenn Mozart das in seiner Beschreibung der Aufführung der Pariser Sinfonie schildert und offenbar fest einkalkuliert zu haben scheint.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
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    (Bob Dylan)

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  • Ich komme aus einem Umfeld indem absolut gar keine Klassik gehört wurde.


    Daher kenne ich auch einige der Gründe ganz gut, warum diese Musik abgelehnt wird.


    die Frage nach der generellen Ablehnung von klassischer Musik in den Schulklassen kam natürlich auch mal im Musikunterricht auf....wenn er denn mal stattfand.
    meine Klassenkammeraden wussten eigentlich keine wirkliche Antwort darauf. (was natürlich einige Thesen hier ziemlich untermauert)


    die Stücke seien zu lang, zu langweilig - aber im Grunde wurde hier über etwas geredet, was man gar nicht kannte.



    Und wer kann ihnen das verdenken, das einzige was sie wahrscheinlich gehört hatten, war ein halbes Jahr lang, immer wieder aufs neue, die Moldau.
    Wie auch immer, das Stück ist für mich noch heute unerträglich.
    Was soll da dran besonders sein - langweiliger gehts doch auch kaum.


    Und da liegt der Hase im Pfeffer durch einen völlig blödsinnigen und einseitigen Musikunterricht, ohne jegliche Motivation und Kompetenz seitens der "Pädagogen" wird die mögliche Liebe zu dieser Musik bereits im Keim erstickt.
    Mittlerweile fällt der Musikunterricht ja weitesgehend aus - da steigen die Chancen wieder, dass der Weg zur Musik nicht verbaut wird.



    Dann gab es mal ein Ereignis das ich niemals vergessen werde, weil ich das so unendlich peinlich fand und über ein solches Benehmen nur den Kopf schütteln konnte.
    Wir hörten im Geschichtsunterricht kurz in Bach und Händel rein (Zeitalter Absolutismus)


    Mehrere Schüler verließen schimpfen den Raum, weil sie davon Kopfschmerzen bekommen würden. :wacky:



    Es gibt eben eine gewisse Masse, die niemals den wahren Wert von Kunst erkennen wird.
    Aber für diese Masse ist das ja auch gar nicht gedacht.
    Der Plebs ist nunmal dazu da um mit niederer Arbeit einer gebildeten Oberschicht zu ermöglichen Kultur zu schaffen.
    Würde es das nicht geben, dann würden wir noch Heute in Höhlen hausen.
    So ist eben der Lauf der Welt - und wahrscheinlich ist das auch gut so....


    - ich liebe es arrogant zu sein :beatnik:



    Zum anderen bringt man sich ja auch eine gewisse "Hörkultur" bei.
    So liebe ich die Oper, die schönen Stimmen.
    Im gleichen Maße wirkt Hip Hop zutiefst abstoßend auf mich, in seiner Kultur, in seiner Gesamtheit. Es ist eben auch genau das Gegenteil - man muss nur mal sehen, woher diese Musikrichtung überhaupt kommt.
    Ein Lebenstil, eine Geisteshaltung die mir nicht nur völlig fremd ist, sondern eben auch zutiefst zu wieder ist.
    Ebenso die anderen Sparten der Popmusik., sowie der Schlager und die Volkstümliche Musik.



    Und umgekehrt ist das von Liebhabern dieser Musik oft genau so.
    Allerdings sind gerade Volksmusikhörer ziemliche Fundamentalisten, die nichts außer ihrem schlechten Geschmack gelten lassen.
    Für diese Herrschaften ist meist ja auch schon ein Museumsbesuch eine Zumutung.



    Man entwickelt einfach unterschiedliche Auffassungen von Ästhetik und Verständnis.


    Ich glaube weniger, dass das was mit Vorurteilen oder Kleiderzwang zu tun hat.
    Das geht viel tiefer.


    Das spüre ich bei mir selbst.
    Den Großteil der Pop und Volksmusik empfinde ich als unendlich vulgär und primitiv. Ich werde davon emotional nicht berührt, intellektuell schon gar nicht.
    Das einzige was ich empfinde ist ein Widerwillen und ein Gefühl der Belästigung.


    Standard ist ja der Rat, oder besser die Forderung:
    "Ja aber man muss doch auch mal was anderes hören."


    etwas was ich mir anderen gegenüber niemals heraus nehmen würde !


    Aber wie ich schon mal sagte, mir sind fast 2000 Jahre Musikgeschichte genug, ich brauche weder Jazz, noch Pop, noch Volksmusik oder Schlagern.
    Ich höre zu 100% nur klassische Musik und bin völlig zufrieden damit, mir fehlt absolut gar nichts.


    Und genauso wird es auch den Liebhabern anderer Sparten gehen.
    Daher halte ich ein "Bekehren" für vollkommen sinnlos und überflüssig.
    Wer die Sehnsucht hat, der findet den Weg.




    Und natürlich ist es so, dass wenn man schon als junger Mensch zur klassischen Musik findet, man automatisch von der übrigen Masse ausgeschlossen wird.
    Mir ging das auch so, ich hatte natürlich Freunde, aber in Sachen Musik gab es keine Basis.


    Mittlerweile bewege ich mich aber in Kreisen, wo man mit Kunstgenuss und Liebe zur klassischen Musik völlig normal umgeht und sie als zum Leben dazu gehörig versteht, also eigentlich als etwas selbstverständliches ansieht und das auch zum Leben braucht.



    Und zum Anspruch in Kunst und Musik, es gibt da auch alle Facetten in jeder Periode.
    Man kann den intellektuellen Anspruch nicht nur aufs 20. Jh. schieben.



    Manche Kulturedakteure sind ja schon mit den vielen Rollen einer Opera Seria überfordert und weil sie es nicht verstehen, ist die Oper einfach schlecht...

  • der Lullist


    Ein durch seine provokative Ehrlichkeit interessant und unterhaltsam zu lesender Beitrag, danke.


    Er regt mich an, auf einige Punkte dieses kleinen Rundumschlages einzugehen, sowohl zustimmend als auch widersprechend.


    Zitat

    ...immer wieder aufs neue, die Moldau.


    Das dem Pädagogen nichts anderes einfiel, als immer wieder die Moldau vorzuführen, finde ich auch nicht gut. Auch ich habe dieses Stück im schulischen Musikunterricht mehrfach gehört. Allerdings kannte ich es schon aus der Zeit von zu Hause, in der ich anfing zu sprechen. Es gibt alte Tonbandaufnahmen, bei der ich die Melodie als 4-jähriger singe, mehr oder weniger intonationsrein... ;)



    Zitat

    Wie auch immer, das Stück ist für mich noch heute unerträglich. Was soll da dran besonders sein - langweiliger gehts doch auch kaum.


    Da muss ich etwas widersprechen. Ich höre eigentlich auch so gut wie jede Arie aus einer Bachkantate 100mal lieber als das, aber schlecht und langweilig ist die "Moldau" sicher nicht.
    Einmal sah ich ein Gesprächskonzert mit Albrecht als Dirigenten. Der hat das Stück sehr anschaulich erklärt und vorgeführt. Da gibt es schon Einiges zu entdecken. Allerdings reicht es mir, wenn ich das Stück ca. alle 15 Jahre einmal höre. Als Liebhaber vor allem kirchlicher Musik des Frühbarock und des Barock fehlt mir da vielleicht auch die slawische Seele ;)


    Zitat

    Und da liegt der Hase im Pfeffer durch einen völlig blödsinnigen und einseitigen Musikunterricht, ohne jegliche Motivation und Kompetenz seitens der "Pädagogen" wird die mögliche Liebe zu dieser Musik bereits im Keim erstickt.


    Nun ja, denk doch nur an den von Dir beschriebenen Vorfall mit den Typen, die bei Bachs und Händels Musik aufgrund von Kopfschmerzen schimpfend den Raum verliessen. Was sollst Du denen schon bringen?
    Ich möchte absolut kein Musiklehrer an einer normalen Schule sein.
    Da bist Du doch schon von Haus aus, d.h. ohne dass sie Dich überhaupt kennen, eine Lachnummer. Es ist leider so.


    Zitat

    Es gibt eben eine gewisse Masse, die niemals den wahren Wert von Kunst erkennen wird. Aber für diese Masse ist das ja auch gar nicht gedacht. Der Plebs ist nunmal dazu da um mit niederer Arbeit einer gebildeten Oberschicht zu ermöglichen, Kultur zu schaffen. Würde es das nicht geben, dann würden wir noch heute in Höhlen hausen. So ist eben der Lauf der Welt - und wahrscheinlich ist das auch gut so.... - ich liebe es arrogant zu sein


    Der Abschnitt ist natürlich cool. :D
    Sehr passend dazu auch der herablassende Blick auf dem Avatar.
    Huch- hier staubt mir der französisch-barocke Puder schon aus dem Bildschirm über meinen Schreibtisch.



    Zitat

    (Hip-Hop):Ein Lebenstil, eine Geisteshaltung die mir nicht nur völlig fremd ist, sondern eben auch zutiefst zu wieder ist.


    Kann ich mir gut vorstellen, wie Dich das irritiert, wenn die mit ihrem Gettoblaster auf der Schulter um Dich in voller Montur (also Perücke etc.) herumtanzen und natürlich auch die brennende Mülltonne im Hintergrund raucht.... :D


    Zitat

    Ebenso die anderen Sparten der Popmusik., sowie der Schlager und die Volkstümliche Musik.


    Ein paar gute Sachen gibt es im Pop da schon - wenn es soulig oder jazzrockig angehaucht ist, z.B. Für die meisten Sachen aus den Charts gebe ich Dir aber recht, ebenso für den Schlager und die volkstümelnde Musik.
    Echte Volkslieder sind etwas sehr Schönes, wenn es entsprechend kultiviert vorgetragen wird. Wenn es hervorragender Kammerchor in einer Kirchenakustik einen ebenso hervorragend arrangierten Satz des Liedes "Kein schöner Land" singt, dann ist das schon etwas Gutes. Oder "O Täler weit, o Höhen" im Satz von Mendelssohn.
    Meine liebsten Volkslieder sind die "Deutschen Volklieder" für Singstimme und Klavier von Johannes Brahms. Gerade in der Begleitung ist das ein Höhepunkt, was Geschmack und Kunstfertigkeit angeht.
    Aber so etwas hast Du wohl nicht gemeint, wohl eher "Marianne und Michael" "Heino" "Kastelruter Spatzen" usw.


    Zitat

    Daher halte ich ein "Bekehren" für vollkommen sinnlos und überflüssig. Wer die Sehnsucht hat, der findet den Weg.


    Sehr einverstanden, denn es hat erfahrungsgemäss keinen Sinn.
    Wenn einer noch nicht einmal als Erwachsener eine einfache Kindermelodie singen kann, was willst Du ihm dann mit Schütz ankommen?
    Da ist doch schon in der frühen Kindheit eine Menge schiefgelaufen.
    Elementarunterricht im Sinne einer relativen Solmisation ( nach Kodaly) sollte an jeder Schule Pflicht sein, damit man sich wenigstens ein Publikum heranerziehen kann, das bereit ist, für die Konzerte und die CDs noch Geld auszugeben.


    Aber auch bei den etwas musikalischeren Leuten macht es selten Sinn, sie mit Klassik etc. zu konfrontieren.
    Ich habe selbst durchaus musikalische Amateur-Popmusiker kennengelernt. Mit "musikalisch" meine ich jetzt, dass sie mit Feeling und sauber singen konnten, Groove- und Timinggefühl hatten und auch von sich aus gar nicht schlechte Progressionen auf dem Piano aus dem Stegreif zu einer Melodie hinlegen konnten.


    Mittlerweile habe ich es aber schon lange aufgeben, denen etwas Klassisches, Barockes...etc vorzuspielen, bzw. aufzulegen.
    Trotz ihrer grundsätzlich vorhandenen Musikalität ist es meistens so, dass ihre Ohren für diese Art von Musik einfach zu sind, weil sie da bestimmte Elemente - etwa der Groove aus Schlagzeug und Bass- einfach vermissen.
    Sie wollen von der Musik auch nicht mehr, als oberflächlich angeregt und unterhalten zu werden - rein Spasskultur eben.
    Keiner von denen könnte jemals nachvollziehen, dass mir manchmal Leonhardts trockene Art des improvisierten Orgelcontinuospiels bei den Bachkantaten mehr Spass macht, als die ganze Popmusik zusammen.
    Wahrscheinlich führe ich damit auch hier bei Tamino nicht die überwältigende Mehrheit an... :angel:
    Aber es ist eben nicht nur Spass, sondern es spricht den Menschen auf sehr vielen, verschiedenen Ebenen an.


    Zitat

    ..ich brauche weder Jazz...


    ...der allerdings sehr gut sein kann.
    Jazz ist ja auch ein weites Feld.
    Da gibt es schon Dinge, die mich sehr mitreissen können und die ich zwischendurch auch gerne spiele. Wenn Chick Corea "Someday my prince will come" mit seinem Trio spielt, dann ist das schon sehr toll und auf jeden Fall auch eine grosse Kunst, bzw. eine grosse Kunstfertigkeit/Meisterschaft im Spiel.


    Wenn ich hier widersprach, dann übrigens nur inhaltlich, nicht geschmacklich.
    Man muss jedem seinen Geschmack zugestehen, was ich hiermit tue und andererseits auch selbst in Anspruch nehmen will.


    Bei mir ist es z.B. so, dass ich die romantische Oper des 19. Jahrhunderts - Belcanto also ( Verdi, Puccini, Donizetti, ....) schlicht und ergreifend furchtbar finde.
    Diese ganze Art des schleifenden Gesangs, dieser schmachtende Ausdruck, das Schluchzen der Tenöre ......erzeugt bei mir Widerwillen, Ablehnung usw.
    Nach meinem Empfinden ist Vieles aus dieser Richtung sehr geschmacklos, vulgär, dick aufgetragen.....irgendwie un-evangelisch, wenn ich es einmal etwas humorvoll -durch die Schütz-Brille betrachtet- ausdrücken darf.


    Zwar erkenne ich an, dass sowohl das Komponieren als auch die Ausführung dieser Belcantomusik grosse Kunst und eine ebenso grosse Leistung ist, die ich selbst nicht beherrsche und dies auch nicht anstrebe.
    Trotzdem mag ich es absolut nicht; ich kann mir nicht helfen.
    Ich bezweifle sehr, dass mich dazu noch einer bekehren kann.
    Eine Canzone von Frescobaldi oder eine Fuge von Bach sagt mir da immer mehr als eine ganze Oper dieser Herren :beatnik:


    Wagners Opern finde ich dagegen schon viel besser, obwohl das auch nicht direkt meine Welt ist.
    So ist das eben mit dem Geschmack...


    Barrieren zur klassischen Musik war ja das Thema...
    Dass es an Äusserlichkeiten, wie die immer noch üblichen besseren Kleider in Konzerten (vor allem in Österreich) liegt, glaube ich ebenfalls eher nicht.


    Schwer, auf die Themenstellung zu antworten, ohne das es gleich arrogant wirkt.


    Aber dafür gibt es hier ja andere, die dieses Herabblickende sozusagen von Haus aus mitbringen :pfeif:
    ..weswegen ich mir dazu weitere Ausführungen erspare ;)



    Schönes Wochenende, muss selbst wieder einmal sehr viel Orgel spielen - und Üben, was klar zu Lasten meiner Taminozeiten geht...


    :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Was kann die Schule schon tun -- verglichen mit der von allen Ecken und Enden strömenden Pop-Kultur?


    Johannes Roehl schreibt:
    "Mein Punkt (der ja nicht besonders originell ist, mehr oder minder Adorno light & politikfrei) ist jedenfalls, daß ein wirklicher und tiefer Gegensatz zwischen Klassik und Popkultur besteht und daß die Omnipräsenz der letzteren - man kann eben in kaum ein Geschäft gehen, keinen Fernseher einschalten usw., ohne damit zugedudelt zu werden - ein schlechtes Umfeld für erstere schafft."


    Ich fürchte, er hat absolut recht, auch in Bezug auf die Folgen.


    Die wirksamsten Waffen sind in den Händen der Medien.
    Wann (Ob) eine andere Einstellung seitens der Medienpäpste zu erwarten ist, weiß keiner...


    ;(
    KP

  • mal ein paar einleitende Thesen:


    1. Klassische Musik zu hören ist keine besondere Leistung.


    2. Der Konsum klassischer Musik adelt nicht, weder spirituell, intellektuell noch moralisch.


    3. Klassische Musik ist im wesentlichen Musik der lang Verstorbenen.


    4. Die Aufführungspraxis ist typischerweise museal.


    5. Ein Haydn, Beethoven oder Bach würde heute anders komponieren, instrumentieren und aufführen.


    6. Insofern ist der Klassik-Hörer wie ein Archäologie-Begeisterter, der beginnt die alten Römer nachzuspielen oder sich als Erwachsener mit Gleichgesinnten zum Cowboy und Indianer spielen trifft.


    Dort wo die klassische Aufführungspraxis der heutigen Zeit entspricht, ist an Zuschauern kein Mangel: Bayreuth, Last night of the Proms, open-air Konzerte in der Waldbühne.



    An der Musik liegt es also nicht, sondern am musealen Charakter ihrer Reezeption.

    marta

  • Hallo llieber "Mawal",


    das war ein sympathisch provokativer Beitrag! So dass ich mich aufgefordert fühle, darauf zu reagieren, mit ein paar weiterführenden Thesen:


    1. Worin unterscheidet sich der Klassik-Hörer von dem - sagen wir -"Pop-Hörer", wenn beide die Musik vom Kopfhörer, beim Autofahren oder beim Schreiben am Computer usw. hören?


    2. Was ist an der Aufführungspraxis in bezug auf die Musik anders, wenn es sich um ein Open-air-Konzert in einer Arena / in einem Fußballstadion usw. handelt, außer dass mehr Leute anwesend sind und die Hörverältnisse schlechter sind?


    3. Würdest Du ein kleines klassisches Konzert in einem Supermarkt zu Weihnachten, gespielt von begeisterten jungen Musikern, unter den gleichen Verhältnissen wie wenn ein Pop-Ensemble spielt, für eine der heutigen Zeit entsprechende Aufführungspraxis halten?


    Wenn nicht - was wäre dann dein Vorschlag?


    Wenn ja - wie erklärt sich das Faktum (selber erlebt), dass beim Spielen von der oberen Etage auf die Musiker gespuckt wird? Denn bei der Ja-Antwort müsste dann doch etwas anderes dabei eine Rolle spielen, nicht die Aufführungspraxis...


    Dass der Konsum klassischer Musik allein nicht adelt, damit bin ich einverstanden.


    :hello: KP

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  • Zitat

    Original von Mawal
    3. Klassische Musik ist im wesentlichen Musik der lang Verstorbenen.


    4. Die Aufführungspraxis ist typischerweise museal.


    Inwiefern? Wäre wegen 3. 4. nicht eine durchaus angemessene Praxis?


    Zitat


    5. Ein Haydn, Beethoven oder Bach würde heute anders komponieren, instrumentieren und aufführen.


    Wofür ist das relevant?
    Wir führen heute übrigens deutlich anders auf als zu Bachs oder Haydns Zeiten. Wir müssen nicht 4-5 Stunden in einer ungeheizten Kirche sitzen und eine lange Predigt zwischen den Teilen der Matthäuspassion über uns ergehen lassen. Wir fordern auch nicht sofortiges dacapo, wenn uns ein Satz einer Sinfonie besonders gefallen hat usw.


    Zitat


    6. Insofern ist der Klassik-Hörer wie ein Archäologie-Begeisterter, der beginnt die alten Römer nachzuspielen oder sich als Erwachsener mit Gleichgesinnten zum Cowboy und Indianer spielen trifft.


    Der im "Bekleidungsthread" geäußerte Vorschlag, sich in Garderobe des 18. oder 19. Jhds. zu werfen, scheint mir eher eine Außenseiterposition. ;)


    Zitat


    Dort wo die klassische Aufführungspraxis der heutigen Zeit entspricht, ist an Zuschauern kein Mangel: Bayreuth, Last night of the Proms, open-air Konzerte in der Waldbühne.


    An der Musik liegt es also nicht, sondern am musealen Charakter ihrer Rezeption.


    "Musealer" als Bayreuth geht es wohl kaum, oder? (in diesem Fall ist es einfach Angebot und Nachfrage)


    Ich sehe, wie angedeutet, einen Widerspruch: Warum ist die "museale Rezeption" so verkehrt, wenn es doch (meistens) eh Musik von toten weißen Männern ist?


    Ich will die "Barrieren", die durch Teile des Klassikbetriebs und durch die stellenweise schwer erträgliche Borniertheit eines Teils des Publikums entstehen, keineswegs bestreiten. Aber ich glaube, daß man es sich zu einfach macht, wenn man das für wesentlich hält. Durch Radio, CDs, Internet kann man diesem Brimborium entgehen (und ich hatte höchstens ein oder zweimal einen Schlips im Konzert oder in der Oper an).


    Es ist möglich, aber viel schwieriger und unwahrscheinlicher als noch vor 25 Jahren in meiner Kindheit/Jugend, geschweige denn in früheren Zeiten, der Allgegenwart des Gedudels und der Popkultur zu entgehen. Ich merke ja an mir selbst, der ich noch ohne Computer, mit drei Fernsehprogrammen (und sehr restriktiven elterlichen Regeln bzgl. TV-Konsum) aufgewachsen bin, wie etwa das Internet (ein Medium dessen Möglichkeiten ich ungemein schätze) dazu verleitet, ständig zwischen mehreren Dingen hin und herzuspringen, sich nur wenige Minuten auf eine Sache zu konzentrieren, Artikel nicht zu Ende zu lesen usw. Ich kenne die Forschungen und Thesen von Manfred Spitzer und Co auch nur flüchtig, aber ich finde es völlig nachvollziehbar, daß viele (sicher nicht alle) Kinder, die mit der heutigen Reizüberflutung aufwachsen, alle möglichen Schwierigkeiten bei "traditionellen" Medien, die Geduld und Aufmerksamkeit über längere Zeit erforden, haben.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Nur, weil die Komponisten verstorben sind, sind doch die ausübenden Musikerinnen und Musiker typischerweise höchst lebendig (von historischen Aufnahmen, die i.A. wirklich einen musealen Wert besitzen, aber im positiven, weil erhaltenswerten Sinne) und die Musik bleibt ewig lebendig.


    Immerhin MACHT sich heute noch jemand die Mühe, Symphonien eines Ferdinand Ries einzuspielen, aber wer kauft sich heute noch ein Album längst verflossener Casting-Eintagsfliegen, die immer noch leben aber jetzt wieder zurück in die Anonymität der konsumierenden Masse gestoßen werden von den nächsten, bedeutungsleeren Eintagsfliegen (oder bestenfalls noch als C-Prominenz in zweifelhaften TV-Formaten ihre Medienpräsenz beim herumkauen auf Kakerlaken auffrischen dürfen).




    Mich stört aber noch ein anderer Umstand: immer und überall wird mir Popmusik zugemutet, die ich nicht mag und nicht ertragen möchte (was nicht für jegliche Popmusik zutrifft, aber für einen erklecklichen Teil); im Büro werden Radios angemacht, da muss ich als 'Klassikhörer' eben Rücksicht nehmen. Beim Italiener um die Ecke läuft Eins-live ebenso wie beim Friseur oder WDR2 im Taxi.
    Aber wehe, wenn Du mal in Deinem Büro ein Streichquartett anschaltest - Du glaubst nicht, was Du Dir anhören musst. Popkultur ist, aus meiner leidvollen Erfahrung, auch eine Kultur der Massendiktatur - damit eine Gleichschaltung von Geschmack und Hörerlebnis. Paß Dich an oder Du bist ausgegrenzt.


    Das ist schade.

  • Zitat

    Original von Thomas Pape
    Für die Hemmschwelle sorgen glaube ich die Klassikliebhaber selber. Viele meinen, durch ihre Leidenschaft etwas Besseres zu sein.


    (...)


    Viele freuen sich aber leider daran, allein im Elfenbeinturm zu sein.


    Das Gefühl hatte ich bei den MENSCHEN nie. Als hier in Tamino kam konnte jeder an meinen Beiträgen sehr schnell feststellen, dass ich absoluter Hör-Anfänger war, nannte die Werke sogar noch "Lied", weil ich das aus der Pop-Welt meiner (trotzdem damals schon ungeliebten) Altersgenossen her kannte.
    Und trotzdem wurde ich deswegen eher zuvorkommend, als abweisend behandelt. Nie wurde ich so behandelt, als könnte ich nicht mitreden.


    Und nicht zuletzt konnte ich durch den Prozess der letzten Jahre beobachten, wie schwer es eigentlich ist in die Klassik einzutauchen. Das fängt damit an seinen Stil in der Klassik zu finden. Die meisten glauben ja "Klassik? Ist doch alles eine Suppe. Mozart, Wagner und so..." Dass sich die Romantiker und die Wiener Klassiker aber fast gar nicht stilmäßig berühren ist kaum einem bewusst.
    Ebensowenig, dass "Romantik" nicht wirklich bedeutet, dass es sich hier nur um romantische Musik handelt, und "Wiener Klassik" nicht wirklich was mit kitschiger Effekthascherei zu tun hat.
    Kurzum; Es herrscht eine absolute Unwissenheit bei den Nicht-Klassikhörern, und DEM müsste man eigentlich abhelfen.


    Und da gebe ich dir, lieber Thomas, recht; da ist die Klassikwelt einfach zu abgeschottet und eigen. Herblassung findet da statt, wo die Grenze zu den Hörern der "Unterhaltungsmusik" greifbar nah ist, weil die Klassikwelt sich für diese Menschen symbolisch abschottet - sei es auch nur durch eine Verweigerung Klassik bei eben diesem Publikum zu spielen. Dabei würden sicher viele eine Leidenschaft in sich entdecken, für Bereiche aus der Klassik. Aber die Leute kennen eben nur die berühmtesen Sachen, und in der Regel - so traurig das klingt - verdanken wir das bisschen Wissen den Klingeltönen der Handys.


    Aber in einem muss ich dir auch Recht geben: Ich schätze mich sehr glücklich, in diesem Elfenbeinturm zu sein. Allerdings ist das nicht ganz richtig, denn ich bin ja nicht alleine.
    Ich bin in einer Minderheit, was zusätlich abschreckt, wie Ulli ja schon sagte. Nur die wenigsten haben den Willen nur das zu tun was sie wirklich wollen, unabhängig davon was andere davon finden. In der Schule spielen die Altersgenossen da eine große Rolle, in anderen Bereichen (also nicht nur der Musik) sind es z.B. die Eltern.
    Warum das so ist versteh ICH nicht, was aber daran liegt dass ich schon immer tue was ich WIRKLICH will, und mich damit nicht selten auch zu Seiten der Minderheit zählen darf. Dabei entscheidet man ja selbst dabei sehr wenig. Musikgeschmack, den hat man halt.
    Und ich kann z.B. auch ganz gelassen behaupten, dass mir die moderne Pop-Musik nix gibt und mir nicht gefällt, denn ich hab sie mir ja angehört. Sehr viel sogar. Manches gefällt mir sogar.
    Die Pop-Hörer können das aber in der Regel nicht von der Klassik behaupten. Sie kennen sie halt nicht/kaum. Unwissenheit... :pfeif:


    C.

  • Zitat

    Original von Sonnensucher
    ...die übliche Musik der Hitparaden zielt ... oftmals sogar direkt und ohne Umschweife auf den Sexualtrieb. (Der kürzlich verablebte Herr Jackson ist ein Paradebeispiel hierfür!)


    Danke für den Hinweis,ich werde heute Abend eine CD von Michael Jackson auflegen. Klassische Musik scheint ja wohl die gegenteilige Wirkung zu haben?:D


    Auch der schlechteste Musikunterricht in meiner Schulzeit konnte mich nicht davon abhalten,klassische Musik zu hören.Es scheint in den Genen zu liegen,ob man Musik mag oder nicht.Wer musikalisch veranlagt ist,sucht sich die passende Musikrichtung aus.Ich bin recht vielseitig,was meinen Musikgeschmack angeht.Pop,Rock,Jazz Klassik.
    Im Klassikbereich höre ich nahezu alles.Von Bach bis Say.
    Warum beschränken sich einige Klassikhörer auf bestimmte Zeitepochen oder Werkgattungen? Oder errichten Barrieren zur modernen (zeitgenössischen)klassischen Musik? Hängt zeitgenössische Musik von dem IQ des Hörers ab?


    Herkunft,Intellekt,Musikunterricht in der Schule - all das scheint es nicht zu sein,was zum Klassikliebhaber führt.

    mfG
    Michael

  • Zitat

    Original von Schneewittchen
    Warum beschränken sich einige Klassikhörer auf bestimmte Zeitepochen oder Werkgattungen?


    Ich glaube nicht, daß sich da nur Klassikhörer 'beschränken' - die Auswahl ist einfach derart mannigfaltig, daß man ganz automatisch gewisse Vorlieben entwickelt. Ich kenne kaum jemanden, der - ausgenommen aus historischem bzw. geschichtlichem Interesse - die ganze Bandbreite der Klassik von Lied über Klaviersololiteratur, Kammermusik, Orchesterwerken zu Opern gleichfalls schätzt.


    In der Popkultur gibt es m. W. keine derart difficilen Unterscheidungsmöglichkeiten. Zumeist werden die Songs aus einer mehr oder minder gleichaufgestellten Truppe produziert. Da mag man ggfs. noch zwischen Balladen und provokativen Songs, die das Zeitgeschehen untermalen, unterscheiden, aber das war's dann im Groben auch schon... Und auch Popmusikhörer haben auf der anderen Seite ganz gewiss bestimmte Vorlieben (spezielle Stilrichtung, Gruppe etc.).


    Da gibt es wahrscheinlich Parallelen: Die Menge der Hörer, die beispielsweise eher Lieder der Klassik sinfonischem Gehabe vorzieht, dürfte prozentual ebenso klein sein wie jene Gruppe, die Songs von Udo über den Wolken Jürgens hört. Gibt es eigentlich rein instrumentale Popmusik?


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

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  • Man könnte da vielleicht Mike Oldfield anführen, obwohl bei dessen Instrumentalwerken die Grenzen zur 'Klassik' m.E. mehr als fließend sind.


    Filmmusik ist häufig instrumental und eine Brücke zwischen den Welten (über Filmmusik kann man auch manchen Pop-Hörer 'einfangen').


    Und von den Beatles fällt mir 'Flying' ein...



    Aber die Popkultur ist mannigfaltig genug, um auch da Strömungen und Vorlieben zu generieren. Einen WDR2-Stammhörer kannst Du mit 1live jagen und vice versa. Der eine mag nur die Musik der 80er, der nächste nur 'klassischen' Rock, der dritte eher Seichtes, der Richtungen sind ebenfalls viele.

  • Zitat

    Original von Travinius
    Filmmusik ist häufig instrumental und eine Brücke zwischen den Welten (über Filmmusik kann man auch manchen Pop-Hörer 'einfangen').


    Was aber auch wiederum daran liegt, dass die Leute den Film kennen, und so auf die Filmmusik gebracht werden - denn sie müssen sie sich schließlich anhören wenn sie den Film gucken wollen.
    Alfred hat hierbei ja schon KV 467 erwähnt, das auf einmal ganz begehrenswert war... die Noten haben sich aber durch den Film nicht verändert. :rolleyes:


    C.

  • Zitat

    Original von Ulli


    Ich glaube nicht, daß sich da nur Klassikhörer 'beschränken' - die Auswahl ist einfach derart mannigfaltig, daß man ganz automatisch gewisse Vorlieben entwickelt. Ich kenne kaum jemanden, der - ausgenommen aus historischem bzw. geschichtlichem Interesse - die ganze Bandbreite der Klassik von Lied über Klaviersololiteratur, Kammermusik, Orchesterwerken zu Opern gleichfalls schätzt.


    Ich meine im Gegenteil, daß viele Klassikhörer außerordentlich breit orientiert sind (einschließlich nichtklassischer Musikrichtungen). Auch wenn sie natürlich nicht alles gleichermaßen schätzen (wenn ich kaum franz. Barockmusik höre, so ignoriere ich ja nicht diese Epoche). Außerdem halte ich die Unterschiede zwischen Gattungen und Epochen hier für viel größer als bei der Popmusik, insofern wäre selbst bei Beschränkung die Vielfalt größer.


    Zitat


    Da gibt es wahrscheinlich Parallelen: Die Menge der Hörer, die beispielsweise eher Lieder der Klassik sinfonischem Gehabe vorzieht, dürfte prozentual ebenso klein sein wie jene Gruppe, die Songs von Udo über den Wolken Jürgens hört. Gibt es eigentlich rein instrumentale Popmusik?


    Schon, z.B. Fahrstuhlmuzak, aber auch Easy-listening-Zeugs würde ich als instrumentalen Pop einordnen. Und elektronisches Zeugs ist oft instrumental. Aber normalerweise gehört die Stimme schon dazu.
    "Über den Wolken" ist von Reinhard Mey und meines Wissens haben sowohl der als auch Udo Jürgens ein ziemlich großes Publikum, auch wenn der Altersdurchschnitt sich kaum wesentlich von den Klassikhörern unterscheiden dürfte... :untertauch:


    JR

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    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Sakow
    Was aber auch wiederum daran liegt, dass die Leute den Film kennen, und so auf die Filmmusik gebracht werden - denn sie müssen sie sich schließlich anhören wenn sie den Film gucken wollen.
    Alfred hat hierbei ja schon KV 467 erwähnt, das auf einmal ganz begehrenswert war... die Noten haben sich aber durch den Film nicht verändert. :rolleyes:


    Einverstanden soweit.


    Allerdings spreche ich auch von Originalkompositionen, wie zum Beispiel den (m.E. auch ziemlich gelungenen) Soundtrack von Howard Shore zum Herrn der Ringe. Oder 'The Village' mit Hilary Hahn.
    Oder der eine oder andere Klassiker von John Williams (Indiana Jones, Starwars, Schindlers Liste) oder Miklos Rosza (Ben Hur etc.) - ganz zu schweigen von Korngold.


    Filmkompositionen sind eine nicht zu verachtende Brücke!

  • @ Thomas Pape


    Ich habe jedoch eher das gegenteilige Gefühl insofern es um die gesellschaftliche Akzeptanz der Klassik geht, auch jenseits des Teenager-Alters wird man bei den meisten musikalischen Durchschnittshörern (also meist Mainstream) als etwas sonderbar betrachtet wenn man offen gesteht vorwiegend Klassik zu hören. Es sind da leider in der Tat des öfteren auch damit verbundene charakterliche Klischees wie spießig, verschroben und dergleichen. Mag sein das Manche oder Einge das auch sind, aber ich denke wer die Musik wirklich aus tiefstem Herzen liebt weil er sich von ihr emotional angesprochen fühlt der braucht diese Musik nicht als irgendein Symbol um sich bewußt von anderen Geschmäckern abzugrenzen.
    Was mich zB angeblangt so bin ich vielen Richtungen gegenüber offen auch wenn ich meist Klassik höre gibt es auch Momente wo ich auch Lust habe qualitativen Pop/Rock, Weltmusik, Filmmusik, New Age und dergleichen zu hören und ich glaube so geht es einigen anderen Klassikliebhabern genauso. Ich denke umgekehrt ist es wahrscheinlich seltener das Liebhaber des Meinstreams hin- und wieder auch mal zu einer Sinfonie, einem Instrumentalkonzert usw. greifen, somit mich persönlich also schon interessiert warum das so ist.


    @ Mawal


    Natürlich adelt es nicht Klassik zu hören und man ist deswegen auch kein besserer Mensch. Diese Konjunktiv-Thesen sind aber in diesem Fall nicht wirklich fruchtbar...Haydn, Beethoven, Bach...wer kann schon sagen was sie heute machen würden? Mit der heutigen musikalischen Bildung sicher nicht viel, vielleicht wären sie Handwerker, Jurist, Mediziner, Fußballmanager...?
    Man darf nicht vergessen das sie nicht nur außerordentlich begabt waren sondern eine für ihre weitere Entwicklung sehr wichtige frühmusikalische Erziehung bekamen, kein großer Komponist der nicht in einem musikalischen Elternhaus aufgewachsen ist, der damalige Zeitgeist und Umstände ohne unsere heutige Technologie nicht vergleichbar.
    Was die Musik an und für sich betrifft so ist sie nicht zwangsläufig nur museal zu betrachten, das kommt dann auf den jeweiligen Einzelfall an, aber es gibt genug Werke deren musikalische Botschaft auch noch heute Menschen etwas sagen oder im tiefsten Inneren berühren kann, somit also in ihrem wahren Kern und Wesen als zeitlos betrachte. Außerdem meine ich auch das es nicht hauptsächlich an der Art der Aufführung liegt, man kann ja auch Klassik über Radio und CD´s ebenso hören (und wenn man will in Jogginganzug oder nur in Unterhose) und den Marktanteil kennen wir ja bereits schon.


    @ Travinius


    Ich bezweifel ob Filmmusik wirklich eine gute Brücke von der Pop zur Klassik darstellt. Gut, in manchen Fällen ist wirklich irgendwas zwischen Pop und Klassik (ohne das abwertend zu meinen), in manchen Fällen auch eher mehr Pop (wie zB Giorgio Moroder usw.), in manchen Fällen eher mehr Klassik (wie Korngold, Williams usw.) es gibt hier auch die unterschiedlichsten Qualitäten in einem sehr weiten Feld. Aber in der Regel ist ja der sogenannte "Score", die instrumentale Begleitung zum Film ja auch nicht gerade ein Verkaufsrenner. Nur bei manchen großen Hollywood-Blockbustern kann es Ausnahmefälle geben (wie einst zB Titanic, wobei hier sicher Celine Dion wohl die größe Magnetwirkung hatte, oder
    eben Herr der Ringe, wo glaub ich auch Enya vertreten war, John Williams natürlich mit Star Wars, aber viel mehr kennt dann die Masse auch nicht von ihm)
    Im Schnitt gesehn haben die wohl auch nicht so rosige Verkaufszahlen, wenn man es mit herkömmlichen Mainstreamalben populärer Sänger vergleicht. Die Filmmusik wird auch oft nur im Unterbewußtsein wahrgenommen, zu diesem Thema hab ich ja schon einige Leute befragt. ;)
    Für die Klassik selber halte ich eigentlich noch den Einsatz derselben in großen Filmen am effektivsten - ich denke zB das der Film "Shine" eine gute Werbekampagne für zB Vivaldi und Rachmaninow war, was sicher den einen oder anderen Menschen auf deren Musik aufmerksam gemacht hat.
    Ob man nämlich zwangsläufig zum Klassikhörer wird wenn man zB James Newton-Howard, Morricone und Williams hört? Mag in manchen Fällen so sein, aber ich kenne auch Filmmusik-Freaks die kaum bis garnicht Klassik hören.


    lg
    Thomas

    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)

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